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3 Ergebnisse für: Sinnershausen

Nikola Dietrich - 2024-01-22
Verschickungsheim: Sinnershausen
Zeitraum-Jahr: Februar 1978
Kontakt: Kontakt: Erwünscht

Hallo an alle, die in Sinnershausen im selben Zeitraum waren, wie ich. (ich war im Februar 1978 und im Februar 1979 dort). Ich würde mich gerne mit Euch austauschen. Meldet Euch bitte.

Christine - 2022-10-12
Verschickungsheim: Kinderkurheim Sinnershausen
Zeitraum-Jahr: 1978
Kontakt: Kontakt: Erwünscht

Ich war sieben Jahre alt, da musste ich 1978 zu einer Kinderkur nach Sinnershausen bei Meiningen. Diese Zeit wird mir ewig in Erinnerung bleiben, denn es war keine gute.
Aufgewachsen bin ich in einem liebevollen Elternhaus und ich hatte eine unbeschwerte und fröhliche Kindheit. Bis auf den Fakt, dass ich wohl etwas zu dünn war, war mit mir alles in Ordnung. Ja, ich war extrem mäkelig, was fettiges Essen anging. Na und? Mäkelig zu sein ist doch kein Makel, sondern gehört meist bei jedem Menschen, ob jung oder alt, zum Leben dazu. Meine Mutti hat immer lecker gekocht und niemand hat mir zuhause Essen reingezwungen, das ich nicht möchte. Und ja, ich habe die ein oder andere Kinderkrankheit nicht so leicht weggesteckt, wie andere Kinder. Dennoch war ich in meiner Entwicklung nicht zurückgeblieben. Die Idee eines Arztes, meine allgemeine Konstitution in Kombination mit einer Gewichtszunahme durch eine Kinderkur zu stärken, haben meine Eltern unterstützt. Und schon mal vorweg, das habe ich ihnen niemals zum Vorwurf gemacht.
An vieles kann ich mich nicht mehr erinnern oder ich habe es verdrängt. So zum Beispiel, dass die An- und Abreise mit einem Bus erfolgte. Erinnerungen an die Ankunft selbst sind präsent. Der Bus hielt vor einem großen Haus, das ziemlich isoliert umgeben von bergigen Wiesen mit Kühen und Bäumen in der Landschaft stand. Das Haus selbst erschien mir riesig, verwinkelt mit Treppen, vielen Räumen und dunklen Treppenaufgängen. Wir wurden nach Jungen und Mädchen in Gruppen aufgeteilt. Geschlafen haben wir dann in der oberen Etage in einem Zimmer, dass mit vielen Betten zugestellt war. Wir hatten auch jeder einen kleinen Schrank für unsere Sachen.
Plötzlich umgaben mich fremde Kinder und Erwachsene. Ich hatte furchtbares Heimweh und habe mich dort nicht wohl gefühlt. Zum einen war es für mich eine neue Erfahrung, dass Kinder mich nicht mochten. Sie nannten mich Brillenschlange und ich war in kürzester Zeit eine Außenseiterin. Von Kindern abgekanzelt und schikaniert zu werden, kannte ich nicht und das tat schrecklich weh. Zum anderen wurde diese Isolation noch extremer, weil die Erzieherinnen dem keinen Riegel vorgeschoben haben. Ganz im Gegenteil, sie haben dabei noch mitgemacht und die anderen Kinder dadurch noch bestärkt. Ich habe an die Erzieher nicht eine gute Erinnerung. Es gibt aus der Zeit zwei Fotos. Ein Einzelfoto von mir an einem Tisch im Speiseraum und ein Gruppenfoto auf einer geschwungenen Treppe mit den anderen Kindern und einer Erzieherin. Die Fotos waren für unsere Eltern und wir mussten dafür in die Kamera lachen. Zum Lachen war mir nicht zumute, aber was hätte es gebracht, es nicht zu tun. Der Gesichtsausdruck der Erzieherin auf dem Foto spricht Bände. Sie schaut streng ohne einen Hauch von Freundlichkeit, geschweige denn einem Lächeln. Da war nur Kälte. So habe ich es jedenfalls empfunden.
Das Heimweh war allgegenwärtig und ich weiß nicht wie oft ich geweint habe. Ich wollte nur nach Hause und habe mich so verlassen gefühlt. Einmal hatte ich Hoffnung, dass sich an der Situation etwas ändern würde. Dass meine Eltern kommen würden, um mich abzuholen. Denn wir durften nach Hause schreiben. Wir bekamen alle eine Postkarte und ich weiß bis heute, was ich geschrieben habe: „Liebe Mutti, lieber Vati, die Kinder und die Erzieher sind gemein zu mir. Das Essen schmeckt nicht. Könnt ihr mich abholen kommen?“ Der Blick der Erzieherin hat sich bei mir eingebrannt, als sie las was ich geschrieben hatte. Ich bekam eine neue Karte und musste unter Aufsicht schreiben: „Liebe Mutti, lieber Vati, die Kinder und Erzieher sind alle lieb. Das Essen schmeckt gut und es gefällt mir hier.“ Damit erlosch jede Hoffnung, nach Hause zu kommen. Und beliebter hat mich das leider auch nicht gemacht.
Besonders schlimm ist eine Erinnerung an den dunklen Keller. Ich weiß nicht wie oft es war, aber ich kann mich noch genau daran erinnern, dass es dort einen gefliesten Raum gab. Wir mussten uns alle nackig ausziehen und uns mit dem Gesicht zur Wand aufreihen. Ich weiß noch, dass mir furchtbar kalt war und dass ich Angst hatte. Plötzlich schoss ein kalter harter Wasserstrahl von hinten auf mich. Der Druck war so extrem, dass ich mit voller Wucht an die Wand gedrückt wurde. Es war schrecklich. Manchmal frage ich mich, ob ich mir diese Erinnerung nur einbilde. Kann man wirklich so brutal mit wehrlosen Kindern umgehen? Ja, sie konnten es wohl.
Besondere Angst hatte ich auch vor den Mahlzeiten. Das viele Essen empfand ich als Last und hat mich den ganzen Tag über begleitet. Aufstehen, frühstücken, raus an die frische Luft, bewegen und schon gab es wieder zu essen. Es nannte sich zweites Frühstück und bestand aus klebrig süßem Saft oder einer Fruchtschnitte. Irgendwann Mittagessen und die Portionen waren nicht klein. Unter dem strengen Blick der Erzieherin musste immer aufgegessen werden. Würgereize, Tränen und Protest spielten keine Rolle. Sie ließ sich nicht erweichen und hatte uns fest im Blick. Ich saß an einer Säule an einem Vierertisch mit einer Wachsdecke. Und je länger ich dort saß, umso mehr verschwamm das Muster auf ihr. Es gab einfach kein Entrinnen. Besonders schlimm waren fettige Sachen oder Wurst zum Abendessen. Ich habe mich so sehr davor geekelt. Das Gefühl etwas zu essen war nicht mehr positiv belegt. Essen ging nur noch mit puren negativen Stress einher.
Von meiner Mutti weiß ich, dass ich mit weniger Gewicht nach Hause gekommen bin. Beim Kofferauspacken fand sie Scheiben von alter vergammelter Wurst und konnte sich das damals nicht erklären. Ich habe aber wohl auch nichts erzählt. Erst viele Jahre später. So auch die Geschichte mit der Wurst im Koffer. In meinem Schränkchen im Schlafsaal hatte ich ein Versteckt von Essen angelegt, dass ich aus dem Speisesaal schmuggeln konnte.
Die Zeit in Sinnershausen hat mich definitiv geprägt und mich in meiner charakterlichen Entwicklung beeinflusst. Aber das ist eine andere Geschichte.

Heide Wruck - 2019-12-08

Kinderkurheim Sinnershausen bei Hümpfershausen in der Nähe von Meinungen, damals in der DDR


Mein Name ist Heide, geb. 1952, und ich kam etwa 1960/61 in oben genanntes Kurheim, zusammen mit meinem 1 Jahr jüngeren Bruder. Wir wurden auch getrennt und kamen in verschiedene Gruppen. Wir waren beide sehr dünn und sollten zunehmen. Die ganze Atmosphäre gefiel mir nicht, wir wurden schikaniert und zum Essen gezwungen. Frühs standen wir in einer Schlange, um uns vom Direktor des Heimes persönlich den Löffel mit Lebertran pur in den Mund schieben zu lassen. Davor hatte jeder das Grausen. Ich konnte nicht essen, musste mich bei jeder Mahlzeit übergeben und man ließ mich lange allein vor dem Teller sitzen, beschimpfte mich und wenn ich auf den Fußboden kotzte, musste ich selber Eimer und Lappen holen und es aufwischen. Es gab noch andere Kinder, die waren in der gleichen Lage wie ich, aber bei mir war es am Schlimmsten, da ich sehr sensibel bin. Mit meiner Gesundheit ging es steil bergab, ohne dass es jemanden interessierte. Ich wurde immer dünner und schwächer, jeder Spaziergang war für mich eine Qual, da ich kaum noch laufen konnte. Ich trank nur noch Wasser aus den Wasserhähnen im Waschraum. Es wurde so schlimm, dass ich aus dem Bett nicht mehr aufstehen konnte und die dann mal einen Arzt holten, der sich an das Fußende meines Bettes stellte und mich ebenso beschimpfte wie die Erzieherinnen, dass wenn ich nicht esse, sie mich ins Krankenhaus stecken wollen. Ich war schon total apathisch vor Schwäche. Mein kleiner Bruder hat mir das Leben gerettet. Er schrieb auf seine Ansichtskarte, die wir mal schreiben sollten, dass es ihm in der Kur gefallen würde, nur der Heide ginge es so schlecht. Darauf rief mein Vater im Heim an, hörte nichts Gutes aus dem Gespräch heraus und setzte sich durch, mich abzuholen. Da war ich schon so schwach, dass ich nur noch liegen konnte. Ich selbst habe nicht mehr registriert, wie schlecht es mir ging. Er setzte sich mit dem Direktor auseinander, dass sie mir nicht geholfen haben, nicht die Eltern benachrichtigt haben. Er legte mich in eine Taxe, es ging zum Bahnhof, dort musste ich im Abteil liegen und auch zu Hause im Bett bleiben. Auch dort konnte ich nichts essen, stand immer noch unter Schock. Mein Vater redete mir immer wieder zu, sie brachten mir frische Kirschen aus dem Garten ans Bett und da begann ich in Zeitlupe eine Kirsche zu essen, nachdem ich sie erst zerlegt und von allen Seiten angeschaut habe. Ab da konnte ich wieder langsam was essen. Also, ich habe etwa 3 Monate gebraucht,um wieder auf die Beine zu kommen und um wieder in die Schule gehen zu können. Mein Bruder hat die restliche Zeit noch in der Kur ausgehalten, ich weiß nicht, wie er das gemacht hat. Er war es, der mich auf euch aufmerksam gemacht hat!!!! Eine der schlimmsten Frauen dort war die Frau Domke und der Direktor mit seiner Frau.