Kindererholungsheim Alpenblick, Seeg, Allgäu – Bayern
Foto: Bildkunstverlag A. Tanner, Nesselwang
Kindererholungsheim Alpenblick,
8959 Seeg im Allgäu
Inhaber, seit 1966: Werner Vogt, ab 1985: Heidi Vogt
Aufnahme: Kinder von 4-12, ganzjährig
Kurmittel: Spielplätze, Liegewiese,
Betten: ca. 50 – 60 Kinder
Etwa 2000 wurde das Grundstück von einem Landarzt gekauft und als Wohnhaus und Arztpraxis verwendet. Nutzung findet heute noch statt.
Inge A.
zusammen mit ihrer Schwester Gitti, 1966, von Gütersloh aus, ins Kindererholungsheim Alpenblick verschickt.
Im Mai 1966 wurden ich und meine zwei Jahre ältere Schwester Gitti, 11 Jahre alt,, sechs Wochen zur Kur nach Seeg im Allgäu verschickt. Ich war damals 8 Jahre alt.
Es war das erste Mal, dass wir von unseren Eltern getrennt waren. Unseren Eltern wurde gesagt, dass die Kur sehr gut für uns wäre, weil wir Untergewicht hatten und uns dort mit viel Spaß erholen könnten. Als wir abends, nach der langen Zugfahrt in Seeg ankamen, war ich überrascht über die Atmosphäre im Heim. Die Heimleitung, die „Tanten” waren herzlos und unnahbar. Wir durften nicht miteinander sprechen. Dann wurden wir sofort in den Waschraum geführt und dort mit kalten Schläuchen abgeduscht, was ich sehr sehr peinlich fand.
In den 6 Wochen mussten wir jeden Tag Mittagsschlaf halten. Am 2ten Tag nach unserer Ankunft, was ich nie vergessen werde, hielten wir grade wieder Mittagsschlaf, und da flüsterte meine Nachbarin aus dem Nebenbett mir etwas zu. In dem Moment kam die Tante in den Raum gestürmt, schlug wie verückt auf mich ein, riss sie mich aus dem Bett, schüttelte mich und schmiss mich zurück auf mein Bett. Ich war so benommen vom Schock, dass ich im Bett lag und nur noch gezittert habe. Daraufhin hatte ich dann die ganze Zeit über, große Angst einzuschlafen und lag jeden Tag wie versteinert im Bett, weil ich dachte, dass die Tante Brunhilde wieder reinkommt und mich erneut schlägt. Meine Schwester Gitti, die im gleichen Raum schlief, sagt heute noch, wie schrecklich es für sie war, das zu sehen, weil sie so hilflos war und mir nicht helfen konnte.
Von da an hatte diese Tante mich ständig im Auge. Besonders beim Essen. Eines Tages mochte ich die eklige Graupensuppe nicht und war schon am würgen. Meine Schwester ging dann zur Tante und sagte, dass ich den Teller nicht leer essen könne, daraufhin kam sie, schrie mich wieder an, dass ich die Suppe aufessen müsse. Ich versuchte ich es aus Angst, brachte es aber immer wieder hoch und dann hat sie mich gezwungen mein Erbrochenes aufzuessen. Ich habe heute immer noch ein Foto von der Tante und denke mit Grauen an sie. Unglaublich, wie grausam sie war.
Ich hatte damals meinen 9ten Geburtstag im Heim und meine Eltern hatten mir ein Päckchen geschickt, das kam geöffnet an und drin war nur noch ein Wäschebeutel und ich war enttäuscht. Keine Karte, kein Geschenk. Nachher fragte meine Mutter, ob ich denn mein Geburtstagsgeschenk bekommen hätte. Sie hatte mir Spielsachen und Süßigkeiten mitgeschickt.
Meine Schwester durfte damals Postkarten schreiben, die wurden diktiert. Ich habe gefragt, ob ich auch schreiben dürfte, nein, hieß es.
Ich bekam auch Tabletten, ich weiss nicht warum, dachte, es waren Vitamine. Meine Schwester hat sich geweigert, weil sie sie die nicht schlucken konnte, ich habe die Bitteren aus Schreck und Angst zerkaut.
Am vorletzten Tag hatten wir eine kleine Abschiedsfeier in Tante Brunhildes Schlafzimmer. Dort hat sie uns dann Geschichten erzählt. Da sah meine Schwester plötzlich, dass sie unter ihrem Bett viele geöffnete Päckchen hatte. Dann sagte die Tante zu mir, dass sie mich sehr schlecht behandelt habe und dass sie es nie wieder tun würde. Ich war für einen Moment froh und dachte, ich fahre ja bald nach Hause. Sie hatte bestimmt gehofft, dass ich es so nicht zu Hause erzähle. Aber meine Schwester hat es gleich bei der Heimkunft den Eltern erzählt und die meinten: Da fährst du nie wieder hin!
Die Fotos und Erinnerungen, die ich habe, sind sehr traurig, es hätte so schön sein können, sowas hätte nie passieren dürfen, wir waren so klein und waren völlig ausgeliefert. Grausam, unglaublich.
Inge A., Kontakt über: Dokumentation@verschickungsheime.de
[timelineZeugnisse whereheimid=5 header=’Weitere Zeugnisse vom Kindererholungsheim Alpenblick aus Bayern’ redmarker=’Alpenblick’ ]Als 7/8-jähriger Junge in Seeg:
Heute lief in der Sendung Report ein Bericht über die Verschickungsheime, wodurch ich Hinweise zu Anja Röhl’s Projekt bekam. Dort werden traumatische Erlebnisse junger Mädchen geschildert. Es waren nicht nur Mädchen, die gepeinigt wurden, es traf kleine Jungen genauso!
Ich wurde Ende der sechziger Jahre als 7 oder 8 jähriger Junge in ein “Erholungsheim” nach Seeg im Allgäu verschickt. Das Heim war offenbar mit zuwenig Personal ausgestattet. Daher übenahmen oft Jugendliche, sechzehn oder siebzehnjährige, die Aufsicht über die Kindergruppen. Diese Heranwachsenden haben das als tolle Gelegenheit angesehen, eigene Machtphantasien ausleben zu können.
Ich (und andere Kinder) wurden regelmäßig geschlagen unter Androhung von weiteren Schlägen, wenn wir etwas davon weitergeben würden. Unser eigentlicher Gruppenleiter hatte englische Wurzeln. Er hieß Bob und genoss es, die vollständige Kontrolle über uns Kinder zu haben. In regelmäßigen Abstanden sollten wir Briefe an unsere Eltern schreiben. Diese Briefe wurden vorher gelesen, und wenn auch nur Ansatzweise was negatives geschrieben wurde, hat er den Brief zerrissen und wir mussten ihn neu schreiben.
Ein Verbrechen?
Ich erinnere mich sehr genau daran, das eines Tages ein Junge (unbekannt wer denn der “schuldige” war) mit Kot verschmiertes Toilettenpapier neben die Toilette auf den Boden geworfen hatte. Da sich der “Täter” nicht freiwillig meldete, musste jeder von uns zum Einzelgespräch zu Bob. So auch ich. Er beschuldigte mich sofort des “Verbrechens” und forderte mich auf, es doch endlich zuzugeben. Obwohl ich verneinte, bestimmte er mich zum “Täter”. Als Konsequenz musste ich von da an die Toiletten putzen. Darüber hinaus durfte ich nicht mehr mit den anderen Kindern spielen, Sämtliche Spielgeräte wie Schaukel, Rutsche, Sandkasten etc. waren für mich tabu. Zusätzlich wurde ich vor der ganzen Gruppe als schuldiger präsentiert. Daraufhin wurde ich von allen ausgegrenzt und nur noch als der Kacka-Mann bezeichnet…..
Ich weiss heute, das ich durch diese Erlebnisse ein Trauma erlitten habe, das dazu geführt hat, das ich Zeit meines Lebens nie in der Lage war, eine feste Beziehung mit einem anderen Menschen einzugehen, weil ich nicht fähig bin, einem anderen Menschen zu vertrauen. Daran gingen letzten Endes alle Beziehungen zugrunde. Ich lebe heute zurückgezogen als Single mit relativ wenig sozialen Kontakten und scheue mich davor, andere Menschen anzusprechen.