Theorie der thyrannischen Kinder

Schwere Vorwürfe gegen Kinderpsychiater. Tagesschaumeldung: 09.08.2021 

Der bekannte Kinderpsychiater Winterhoff steht massiv in der Kritik. Ex-Patienten und Fachleute werfen ihm vor, zweifelhafte Diagnosen zu stellen und zu häufig ein ruhigstellendes Medikament eingesetzt zu haben.
Nicole Rosenbach, hat dazu diese Doku im WDR vorgelegt, die sehr aufschlussreich und super gut recherchiert ist.
Winterhoff ist ein Psychiater und Bestsellerautor, der seit Langem die Theorie der thyrannischen Kinder propagiert. Eine uralte Theorie, in der behauptet wird, dass Kinder angeblich tyrannisch werden, wenn man ihnen mit Einfühlung und Liebe begegnet, wenn man sie tröstet und ihren elementaren Bedürfnissen freundlich nachgeht. In der NS-Zeit wurde das auf die Spitze getrieben, die „Affenliebe“ der Mutter wurde sehr scharf bekämpft. Man trennte mit Absicht die Mutter 48 Stunden lang nach der Geburt von ihren Kindern, um der Mutter einfühlsames Verhalten abzugewöhnen. Von „Verwöhnung“ ist bis heute die Rede, wenn Eltern ihren Kindern lieb begegnen, sie hochnehmen, mit ihnen zugewandt und spielerisch sprechen, wenn sie weinende Kinder trösten und auf sie eingehen. Pädagogische Gegenbewegung ist die Bindungstheorie, die in Forschungen der ganzen Welt festgestellt hat, dass ein bedürfnisgerechtes Verhalten dem Baby und Kleinkind gegenüber, das Ursprünglichere ist, etwas, was im erwachsenen Menschen gradezu instinktmäßig angelegt ist, alle Menschen, die mit Babys kommunizieren, in allen Kulturen der Welt, zeigen dieses Verhalten. Man muss es Müttern und Eltern, Großeltern und Geschwistern schon systematisch wegtrainieren, damit Kälte und Härte in die Beziehungen zu Kindern Einlass finden können. Einfühlsames, liebevolles, sensibles Verhalten ist aber nachgewiesenermaßen Kreativität und Intelligenzfördernd, und fördert selbst wieder die Fähigkeit sich in Kinder und hilflose Menschen einzufühlen. Die Idee, dass man durch ein Zuviel an Zuwendung Thyrannen „erzieht“, ist ein Irrglaube. Thyrannen erzieht man durch das Gegenteil, eine Erziehung zur Angst macht Menschen tyrannisch, weil sie die Angst abwehren müssen. Die Idee, dass Liebe und Zuwendung für Kinder schädlich sei, wurde meist von Staats wegen in die Welt gesetzt, um schneller einen problemlosen Zugriff auf Kinder zu bekommen und eine Elternlösung zu ermöglichen. So zb im frühen Sparta und überall dort, wo Kindersoldaten erzogen werden. Auch Institutionen wie Militäranstalten für Kinder, Kinderfürsorgeheime und medizinische Kinder-, also Verschickungsheime, propagierten stets, das ist seit dem 19. Jahrhundert nachweisbar, dass Elternliebe schädlich sei und Kinder dadurch zunächst verweichlichen und dann tyrannisch würden. Das Menschenbild vom Kind ist in dem Falle so, dass davon ausgegangen wird, das Kind ist von Natur aus schlecht und muss erst durch strenge Hand „zurechtgebogen“ werden, im anderen Fall ist es umgekehrt, da wird von einem Menschenbild des Wachsenlassens und der Selbstentfaltung vom Kind ausgegangen, der Erzieher betätigt sich sozusagen wie ein Anreger, ein Beschützer, wie ein Gärtner in einem Wildblumengarten. Neuere Autoren der Ideologie des kindlichen Thyrannentums wie Winterhoff begründen ihre Theorien analytisch, denunzieren die Eltern-Kind-Beziehung als symbiotisch und kommen groß raus. Dass sie im Ergebnis dieselbe Praxis verbreiten wie ehemals die schwarze Pädagogik, unter der auch wir gelitten haben, zeigt diese Doku, die aufdeckt, aus welchen ganz anderen Gründen hier mglw. eine Distanz zu den Bezugspersonen propagiert wird. Sehr sehenswert! Auch für uns höchst erkenntnisreich, weil hier Mechanismen und Haltungen aufgedeckt werden, die ähnlich auch in unseren Institutionen herrschten. Erschreckend, dass das heute noch möglich ist.

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