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Verschickungsheim: 1967 – Kinderheilstätte Donnersberg, 5 Jahre alt 1969 – St. Peter-Ording, Leitung Familie Doll, 7 Jahre alt 1970 – Kindersanatorium Waldesruh, Dausenau/Lahn, 8 oder 9 Jahre alt 1972 - Amrum, Haus Satteldüne, 10 Jahre alt 1974 – Bad Kreuznach, 12 Jahre alt
Zeitraum-Jahr: 1967, 1969, 1970, 1972, 1974
Kontakt: Kontakt: Unerwünscht
1967 – Kinderheilstätte Donnersberg, 5 Jahre alt
1969 – St. Peter-Ording, Leitung Familie Doll, 7 Jahre alt
1970 – Kindersanatorium Waldesruh, Dausenau/Lahn, 8 oder 9 Jahre alt
1972 - Amrum, Haus Satteldüne, 10 Jahre alt
1974 – Bad Kreuznach, 12 Jahre alt
Als ich mir einige der vielen Berichte hier durchgelesen habe, stellte ich fest, dass ich zum Teil sehr ähnliche Erfahrungen gemacht habe während den fünf 6-wöchigen Verschickungen, an denen ich aufgrund meines Asthmas teilnehmen musste. Ich kann wohl von Glück sagen, dass ich schon immer eine Frohnatur war, aufgrund der vielen Bücher, die ich las, mich als Abenteurer und tapferen Helden sah (und dazu zählten wohl auch die Gefahren eines Heimaufenthaltes, die es zu bezwingen galt). Allerdings sind auch an mir diese Aufenthalte nicht ganz spurlos vorbei gegangen und ich frage mich, ob ich einige meiner „Überlebensstrategien“ vielleicht sogar dort entwickelt habe.
Bei der ersten Verschickung war ich gerade mal 5 Jahre alt. Ich kann mich an so gut wie nichts erinnern, was in der Kinderheilstätte Donnersberg geschah. Ich weiß nur, dass es uns nicht erlaubt war, unsere eigene Puppe oder Teddybär dabei zu haben, was zu einem großen Trennungsdrama führte, als man meine Puppe meinen Eltern wieder mitgab, die mich im Auto eines Bekannten hingefahren hatten. Es gibt ein Foto, wo man uns zum Fasching angemalt hatte und man kann auf dem Foto sehen, dass ich mich sehr unwohl fühlte.
Die nächste Verschickung führte mich nach St. Peter-Ording und an diese Zeit kann ich mich noch sehr gut erinnern. Ich war mit 7 Jahren die Jüngste und wurde von den großen Mädchen gehänselt, geschubst, vom Spiel ausgeschlossen und nachts im Schlafsaal drangsaliert. Das Ehepaar, das damals das Haus leitete (ich glaube, sie hießen Doll), beschloss, dass dies eine untragbare Situation sei und nahm mich kurzerhand mit in die Privatwohnung, wo ich in der Besucherritze zwischen den beiden mit im Ehebett schlafen durfte. Morgens sprang der Dackel der Familie aufs Bett und begrüsste mich freudig. Nach anfänglicher Bedrängnis wandelte sich dieser Aufenthalt daher für mich in eine wunderschöne Zeit, dank des liebevollen Ehepaars. Ich habe noch lange Kontakt gehalten mit der Familie, erinnere mich an Telefonate aus der gelben Telefonzelle und die Frau, die mich ihre „Micky Mouse“ nannte.
Bei der nächsten Verschickung landete ich wohl mit 8 oder 9 Jahren in Dausenau an der Lahn. Seltsamerweise hat meine Mutter jahrelang bestritten, dass ich jemals dort war, bis eines Tages eine Postkarte von dort auftauchte, die ich eigenhändig geschrieben hatte. Wahrscheinlich hat meine Mutter dies verdrängen wollen, da ich offenbar dort Ärger machte. Die einzige Szene aus diesem ganzen Aufenthalt, an die ich mich nämlich erinnern kann, ist eine Fahrt auf der Lahn auf einem Ausflugschiff. Offenbar habe ich es so sehr gehasst dort, dass ich, als das Schiff in der Schleuse aufstieg über Bord und an Land gesprungen bin. Leider kam ich nicht weit, da mich ein Betreuer ganz schnell wieder einfing. Diese Situation kam mir erst Jahre später wieder ins Gedächtnis, als ich mich mit Freunden auf so einem Ausflugschiff befand und beim Auftauchen aus der Schleuse plötzlich den gleichen Blickwinkel einnahm wie damals.
Danach folgten 6 Wochen in Haus Satteldüne auf Amrum, als ich 10 Jahre war. Obwohl es teilweise eine schlimme Zeit für mich war, wollte ich immer wieder dorthin zurück in Urlaub fahren und Amrum ist bis heute meine Lieblingsinsel. Dies ist wahrscheinlich auf die lieben jungen Erzieherinnen zurückzuführen, die damals unsere Gruppe betreuten. Das Regiment führten jedoch einige Ordensschwestern, die uns ziemlich schikanierten. Es musste immer aufgegessen werden und einmal war ich so satt, dass ich nach dem Mittagessen den Schokopudding nicht aufessen konnte. Ich musste noch ganz lange sitzen und begann schon zu würgen. Als ich es dennoch nicht schaffte, aufzuessen, hat man mir zum Abendbrot kurzerhand noch einmal eine volle Schüssel Schokopudding mit dicker Haut hingestellt und zum Frühstück wiederum – während die anderen normales Essen bekamen. Das Einzige, was ich bis heute nicht essen kann und wovon mir nur beim Gedanken daran schlecht wird, ist Schokopudding. Nach dem Essen mussten alle Kinder den Kopf in den Nacken legen und dann kam eine Ordensschwester, hat uns die Nase zugekniffen und einen Löffel Lebertran in den Mund gegossen. Wenn die Schwester mal nicht da war, haben die jungen Betreuerinnen die Kinder durchgezählt und dann die Löffel abgezählt und in den Ausguss geschüttet, denn vielen wurde immer schlecht von dieser Gabe nach dem Essen und der Lebertran kam uns stundenlang immer wieder hoch.
Ich erinnere mich noch gut an die Vorbereitungen für jede Verschickung – meine Mutter musste in jedes Kleidungsstück meinen Namen einnähen, es gab dazu extra Aufnäher mit roten Druckbuchstaben. Außerdem hatte jedes Kind eine Kleiderliste im Koffer. Wir mussten nun immer in so Unterdruckkapseln sitzen, in denen ich Panik bekam, weil es so eng und dunkel darin war, komisch roch und klang. Zum Rausschauen gab es nur ein kleines Bullauge. An einem Tag kam eine der Betreuerinnen und hielt mehrere Kleidungsstücke vor das Bullauge und wollte wohl wissen, ob sie jemand von uns gehören. Ich konnte nichts erkennen, da die Sicht nach draußen sehr schlecht war und beim Verlassen der Kapsel bat ich die Erzieherin, mir die Sachen noch einmal zu zeigen. Da sagte sie, ich sei ein dummes Kind und sie habe meine Sachen in den Müll geworfen, die seien jetzt weg. Ich habe meine Kleider nie wieder bekommen.
Uns wurde auch immerzu Blut geholt und noch heute kann ich nicht hinschauen, wenn mir jemand eine Spritze in den Arm steckt oder in den Finger pieken will. Eine große starke Ordensschwester hielt mich im Klammergriff während ein Arzt mir Blut abnahm. Ich kann bis heute das Ticken der Uhr hören, die die Schwester umhängen hatte und gegen die sie mein Ohr presste, während sie versuchte, meinen Kopf so zu drehen, dass ich hinschauen musste, was der Arzt da machte.
Nachts war die schlimmste Zeit: am Abend las uns eine liebe Erzieherin immer ein Kapitel aus Tom Sawyer vor, es brannte nur noch ein Licht im Flur, wir lagen alle still im Bett und hörten andächtig zu. In dieser Zeit durfte man auch noch zur Toilette. Dann wurde auch das Licht im Flur gelöscht und die Ordensschwester schärfte uns ein, dass wir bestraft würden, wenn wir es wagten, nachts unsere Betten zu verlassen und zur Toilette zu gehen. Ich hatte in den 6 Wochen sehr oft Durchfall und schlich mich regelmäßig nachts mit Todesangst über den Flur zur Toilette und traute mich nicht, abzuziehen, da dies die Nonne auf den Plan gerufen hätte. Am Morgen war dann immer großes Geschrei, weil wieder jemand trotz Verbot aufgestanden war und man drohte uns an, dass man schon diejenige erwischen würde, die sich nachts rausschleicht. Diese Zeit hat mich tief beeindruckt, aber trotz der Schikanen wollte ich nicht mehr nachhause, weil es mir so gut gefiel.
Die letzte Verschickung fand statt, als ich etwa 12 Jahre alt war. Hier war es der Heimleiter, der uns Kinder in Angst und Schrecken versetzte. Wir durften ab einer bestimmten Zeit das Haus nicht mehr verlassen, um in den Hof zu gehen, weil der Mann dort seinen Schäferhund frei laufen ließ und drohte, ihn auf uns zu hetzen, sollten wir uns draußen blicken lassen. Es gab oft Griesbrei zu essen, den ich liebte, aber von dem vielen Kindern schlecht wurde. Es gab Schläge mit dem Holzlöffel, wenn wir nicht essen wollten. Ich erinnere mich, dass es wenig zu trinken gab, wir hatten ständig Durst und bei Wanderungen rieten uns die Erzieherinnen, einen Kieselstein in den Mund zu legen, dann würde man den Durst nicht so spüren. Es gab einen Kiosk in dem Gebäude, an dem man sich selbst Getränke kaufen sollte, aber der Heimleiter machte den Kiosk nicht auf. Gegen Ende der Kur kam eine Gruppe von Stadtratsmitgliedern meiner Heimatstadt zur Besichtigung und um zu prüfen, ob wir gut untergebracht sind. Der Heimleiter drohte uns mit Schlägen und Strafen, wenn wir etwas Nachteiliges über ihn und das Heim sagen. Einer der Männer war jedoch ein Freund meines Vaters und ich bat ihn um einen kurzen Moment und klärte ihn auf, was hier für Zustände herrschten. Daraufhin kam es zu einer Untersuchung, aber ich weiß nicht, was dabei herauskam.
Meine Schwester ist auch zweimal verschickt worden, einmal ins nördliche Saarland und einmal nach Wyk auf Föhr. Sie hatte jedes Mal eine schlimme Zeit, große Trennungsängste und erhielt wohl viel Schläge, hat bis heute Gewichtsprobleme, wurde immer zum Aufessen und Überessen gezwungen, weil sie zunehmen sollte. Auch sie durfte nachts nicht zur Toilette, hat ihre eingenässte und eingekotete Unterwäsche im Schrank versteckt und wurde dafür bestraft.
Zeitraum (Jahr): 1960 und 1966
1. Ich bin zufällig auf das Thema im Internet gekommen. Ich erlebte als 5jähriger (1960) in Bad Laasphe den stundenlangen Esszwang und den Schlafzwang. Durch den Esszwang erbrach ich auf eine Steintreppe im Haus und rutschte aus. Ich erlitt eine Platzwunde über dem Auge und wurde in einer Hausarztpraxis versorgt. Anschließend hatte ich absolute Bettruhe. Darüber war ich als kleiner Junge recht froh. Ich konnte nicht mehr mit Essen traktiert werden. Schließlich hatte ein externer Arzt "ein Auge auf mich". Kontakt zu den Eltern war nicht möglich. Meine Eltern waren sehr zurückhaltend und beschwichtigten nach meiner Rückkehr. Mir blieb eine Narbe in der Augenbraue.
2. Meine zweite Kinderkur fand wegen Luftveränderung auf Amrum statt. Der Großteil der Kurkinder waren aber als schlechte Esser dort. Hier erlebte ich mit, wie Kinder vor meinen Augen bestraft und erniedrigt wurden. Essen oft von Milchsuppen und ähnlichen ungenießbaren mussten mit mehreren Portionen teilweise über lange Zeit heruntergewürgt einschließlich oft Erbrochenes aufgegessen werden. Oftmals wurden herrlich duftende Gerichte durch den Essenssaal zur Heimleiterin und den Schwestern geschoben was unsere ausgelieferte Situation nicht besser machte und bei mir auch Angst hinterließ. Ein strenger Winter während meiner "Kur" ließ Amrum einfrieren. Es kam keine ausreichende Versorgung per Schiff. Angeblich wurde die Insel mit Hubschraubern versorgt. Mir machte das als Zehnjährigen natürlich Angst. Heftiger Sturm machte es nicht besser. Bei einem vorgeschriebenen Kartengruss an die Eltern durfte ich das schwere und lange Wetterereignis nicht mitteilen. Man sagte mir, ich würde den Eltern damit nur Sorgen bereiten. Diese wollte man nicht und ich musste eine neue Karte mit Belanglosem abschicken. Ich fühlte mich hilflos und von meiner Familie isolliert. Ein kleines Geburtstagpäckchen mit Süssigkeiten wurde mir nicht gegeben. Vermutlich hat der Inhalt der Belegschaft gut geschmeckt. Nach meiner Rückkehr erlebte ich wieder bei meinen Eltern eine gewisse Verharmlosung meines Erlebten. Das Erlebte wird mir heute durch Betroffene im Internet wieder bewusst gemacht. Ich hatte das Erlebte so hingenommen, weil ich sowieso kein Gehör und keine Hilfe erwarten konnte.
Verschickungsheim: Weiß ich leider nicht mehr
Zeitraum-Jahr: 1979
Kontakt: Keine Angaben
Hallo,
ich war 1979 (?) auf Amrum 6 Wochen zur Kur wegen meiner chronischen Bronchitis.
Meine Erfahrungen decken sich mit vielen Schilderungen:
Nur zensierte Post nach Hause
Ansonsten kein Kontakt zur Familie
Anrufe der Familie gab es nur in dringenden/außergewöhnlichen Fällen
Post der Eltern war bereits geöffnet, wenn sie bei uns ankam
Zugesandte Süßigkeiten wurden an alle verteilt
Geschlafen wurde in einem großen Schlafsaal, die Ruhe wurde überwacht
Regelmäßig wurden wir gewogen und auf Läuse kontrolliert
Täglich gingen wir Mädchen mit Kopftuch lange spazieren
Ansonsten gab es nur noch Inhalationen als einzige weitere medizinische Anwendung
Die „Schwestern“ waren sehr streng, unangenehm und gefühllos, es gab viel Heimweh für das es allerdings kein Verständnis gab
Ich war damals in der sechsten Klasse und erinnere mich noch, dass meine Eltern mich bis nach Pinneberg brachten und von dort reiste ich allein weiter.
Ich habe es nicht so schlimm erwischt, wie viele andere. Wahrscheinlich weil ich mich so gut es ging anpasste und quasi unsichtbar blieb, so weit das möglich war. Wie ich mich an die Reaktionen der „Schwestern“ erinnere, war es auf jeden Fall besser nichts zu sagen und alles mit sich selbst auszumachen.
Vieles von damals habe ich wohl erfolgreich verdrängt. Eine positive Erinnerung habe ich an ein gemeinsames Fest am Ende der Kur. Hier waren auch die Jungs eingeladen und es wurde sogar etwas getanzt.
Verschickungsheim: Amrum und Sylt
Zeitraum-Jahr: 1972-1974
Kontakt: Kontakt: Über die Initiative
ich bin als 4-5 Jähriger Junge mehrfach nach Amrum und Sylt verschickt worden und habe dort in den Unterbringungsstätten traumatisches erlebt. Die Erinnerungen plagen mich bis heute. Mein Bruder, der zwei Jahre älter war wurde zu Pflegeeltern gebracht und ich hatte jahrelang keinen Kontakt mit ihm. Erst in der Schulzeit war mir dann bewusst dass ich einen Bruder hatte, da er dann wieder zu Hause bei meiner alleinerziehenden Mutter war. In den Verschickungsheimen ging es sehr streng zu. Mann durfte Nachts nicht auf die Toilette und dies wurde auch bewacht. Und wenn man dann ins Bett urinierte wurde man brutal gemassregelt. Zum Essen gab es meist nur Senfsuppe mit einem gekochten Ei; karge Kost halt. Gespielt haben wir garnicht . Dafür gab es lange Wanderungen in der rauhen Nordseewitterung. Ich kann mich noch an die aufpeitschende Gischt bei Sturm erinnern. Alles in allem war ich mehrfach wochenlang, wenn nicht sogar gefühlt monatelang allein und es war einfach eine schlimme Erfahrung, deren Bilder mir immer noch im Kopf herumspuken und mich quälen.
Verschickungsheim: Fischen im Allgäu, Kinderheim Berghalde - Zum Sonnenbergle
Zeitraum-Jahr: 1979
Kontakt:
Ich war in Sommerferien 1979 in dem Verschickungsheim, mein Bruder in den Osterferien. Unsere Erfahrungen waren ziemlich gleich. Unsere Heimleiterin damals hieß Evi, die Betreuer waren noch ziemlich jung, z. T. erst 18-21. Ich kann mich noch an eine Elke, Hilde und Martina erinnern, es gab auch einen männlichen Betreuer, der Luca hieß.
Morgens um halb neun gingen die Betreuerinnen durch die Flure und sangen Morgenlieder. Das war für uns das Zeichen, dass wir aufstehen und die Zimmer verlassen durften. Um 9:00 Uhr gab es Frühstück: Von großen Tabletts, die turmartig beladen waren mit Honig- und Marmeladenbroten mussten zwei gegessen werden, zu trinken gab es Sirupwasser oder ungesüßten Tee. Zwei Mal die Woche kam ein Trainer, um mit uns nach dem Frühstück durch den Ort zu joggen. Die übrigen Tage mussten wir in Zweierreihen singend mit zwei Betreuerinnen durch die Ortschaft ziehen. Mittagessen gab es um 12:00 Uhr, meist sandige Kartoffeln, sandiges Gemüse, oft mit "Einlage" und immer dieselbe Soße. Ab und zu auch mal ein Würstchen, Rührei oder Leberkäse. Egal wie es schmeckte, Aufessen war Pflicht. Danach mussten wir 2 Stunden Mittagsruhe halten und um 15:00 Uhr schon wieder Marmeladenbrot essen. Abendessen gab es um 18:00 Uhr. Tagsüber oder auch mal nach dem Abendessen wurden öfter kleine Ausflüge gemacht, in den Ort, zu einem Bach, ins Freibad oder einfach nur zum Spielen im Garten.
Ein Mal die Woche gab es einen Wochenbrief von den Eltern und es war erlaubt, samstags ein Telefongespräch von 15 Minuten zu führen, natürlich unter Aufsicht. Auch sämtliche Briefe kamen nur geöffnet und gelesen bei uns an.
Wenn jemand etwas falsch gemacht hatte - z. B. unhöflich war, nicht aufgegessen hatte oder auch andere Kleinigkeiten, dann gab es jedes Mal eine Gruppenstrafe. Ich kann mich noch an ein Mal erinnern, als wir Mädchen mit der Heimleiterin im Freibad waren und die Jungen aus unserer Gruppe im Heim geblieben war. Einer der Jungen hatte die Betreuerin beleidigt - mit der Folge, dass wir alle für den Rest der Woche direkt nach dem Abendessen ins Bett gehen mussten.
Freitags gab es eine Disco, aber nur für diejenigen, die sich nichts "geleistet" haben unter der Woche. Alles in allem lief es sehr streng ab im Tagesablauf. Jedes Wort wurde auf die Goldwaage gelegt und beim Essen wurden wir streng überwacht. Nachts durften wir die Zimmer nicht verlassen, auch nicht, um zur Toilette zu gehen. Es gab aber einen Jungen, der nachts Asthma-Anfälle bekam und ins Arztzimmer gebracht werden musste. Diese Minuten haben wir meist ausgenutzt, um doch heimlich schnell zur Toilette zu kommen. Wären wir erwischt worden, hätte es eine Gruppenstrafe gegeben.
Da wir schon etwas älter waren, bekamen wir sonntags ein Taschengeld und durften in der Gruppe am Montag nach Fischen zum Einkaufen gehen. Am Sonntag gab es die Möglichkeit, in die Kirche zu gehen - und damit auch früher aufzustehen und Frühstück gab es anschließend beim Bäcker.
Das schlimmste dort waren die ständigen Kontrollen, das Missachten der Privatsphäre und vor allem das Heimweh. Zum Glück mussten wir nicht noch einmal in so ein Verschickungsheim.
Ich vermute mal, dass dies das selbe Heim gewesen ist, das Katharina aus Bremerhaven hier meinte. Auch ich habe danach gesucht. Wie es aussieht, wurden die Häuser in dieser Straße alle zu Ferienhäusern umgebaut, vielleicht auch das ehemalige Kinderheim?.
Auch unsere Gruppen kamen überwiegend aus Norddeutschland - Hamburg, Bremen, Lübeck, Heidekreis, usw. Die "Kur" wurde damals von unserer Krankenkasse befürwortet und regelrecht angepriesen und wurde vom Arzt genehmigt.
Eine ehemalige Klassenkameradin von mir war im selben Jahr in einem Verschickungsheim auf Amrum in Wittdün, das es heute auch nicht mehr gibt.
Verschickungsheim: Marienhof, Wyk auf Föhr
Zeitraum-Jahr: Januar 1977
Kontakt: Kontakt: Erwünscht
Hallo ,
mit Entsetzen habe ich die Berichte der ehemaligen Verschickungskinder gelesen und bin in Gedanken sehr damit beschäftigt, wie man so etwas menschenunwürdiges tun kann. Mein Mitgefühl allen Betroffenen!
Ich selbst habe 1977 eine wirklich schöne Zeit im Marienhof auf Föhr erlebt. Es gab zu dieser Zeit zum Glück keine solchen Ereignisse. Es wurde viel unternommen, die Erzieherinnen wurden auch nicht als „Tanten“ bezeichnet, sondern bei ihren Namen genannt. Ich war allerdings bereits 14 ! Wir haben Strandwanderungen, Besichtigungen, Inselrundfahrt , Nachtwanderung, Fahrt nach Amrum, Stadtbummel in Wyk oder einen Wellenbadbesuch unternommen. Kasperletheater für die Jüngeren aufgeführt, Fasching veranstaltet usw. Es war eine tolle Gruppe (Gruppe VI, Frau Hagen, falls sich jemand angesprochen fühlt) und ich habe keine negativen Eindrücke erhalten. Vielleicht war inzwischen auch eine andere Heimleitung (Herr Tietz) tätig , so dass solche schrecklichen Taten keinen Platz mehr hatten.
Ich finde es gut, dass die Menschen mit Negativerlebnissen austauschen und so ein Stück ihrer Kindheitserfahrung miteinander verarbeiten können . So etwas durfte und darf nie wieder passieren. Leider wird Kindern auch heute noch immer noch zuviel Leid angetan und sogar übers Internet verbreitet , so dass es noch mehr Passivtäter erreicht .
Sollte sich jemand aus der Kur 1977 angesprochen fühlen, um sich positiv auszutauschen , würde ich mich freuen.
Verschickungsheim: Schloss am Meer
Zeitraum-Jahr: 1956
Kontakt: Kontakt: Über die Initiative
verschickt – verdrängt – vergessen
1 warum dieser text?
Vor etwa 2 jahren hatte ich im radioprogramm den titel „verschickungskinder“ gelesen. Ich dachte dabei sogleich an eine neue übeltatvariation der priester, pastoren, lehrer, regisseure und trainer. Wegen der frage: ‚was kommt jetzt neues zum tema‘ habe ich mir die sendung angehört und alsbald überrascht erkannt: man spricht über mich. Die bezeichnung „verschickungskind“ war mir allerdings fremd; ich habe mich deshalb nicht unter dieser indizierung identifiziert. Meine eltern hatten mich seinerzeit 6 wochen zur kur geschickt. „Zur kur gehen“ verband man, damals wie heute, mit einem heilenden aufenthalt. Meine kur-zeit hatte allerdings keinen kurierenden charakter. Das zur kur geschickte kind kam als ein verschicktes kind zurück. Eine bestätigung dieser klassifikation fand ich in den berichten, die die schriftstellerin Anja Röhl gesammelt hat. Anja Röhl hat sich zum ziel gesetzt, die erlebnisse und langzeitschäden von verschickungskindern aufzuzeigen. Auf ihrer webseite appelliert Anja Röhl zum einsenden eigener erlebnisse.[1] Durch Anja Röhls initiative habe ich neue startpunkte für den verlauf meines lebens finden können. Zufällig fragte mich einige wochen nach der entdeckung meiner neuen kindlichen einordnung eine 20 jahre jüngere bekannte, ob ich einst verschickt war.[2] Ich war somit doppelt sensibilisiert, meine ins unterbewusste versunkene vergangenheit hervorzuholen.
2 geschichtlich, persönlicher hintergrund
Mein väterlicher grossvater hatte den sicheren tod in den schützengräben des 1. weltkriegs
mit seelischen verletzungen überlebt. Der mütterliche grossvater amputierte als sanitäts-soldat zerschossene gliedmasse. Die mütterliche grossmutter beobachte die vertreibung einer jüdischen nachbarsfamilie. Mein vater nahm als sanitäter in Amsterdam die deportation der juden wahr. Meine mutter war im arbeitsdienst erfolgreich aktiv und sah in ihrer helfenden tätigkeit einen positiven sinn.
Die grosse synagoge in der innenstadt von Essen, dem wohnort meiner eltern und gross-eltern, wurde gut sichtbar von den einwohnern am 9.11.1938 in brand gesteckt. Die mieter vieler Essener wohnungen bemerkten stumm oder allenfalls mit leisem protest die gewaltsame vertreibung von 2500 juden aus Essen.
Essen erhielt während des krieges von der Royal Air Force den label “primary target area for bombing”. Im märz 1943 begannen die bombardierungen. 242 bombenangriffe zerstörten
90% der innenstadt und 60% des übrigen stadtgebietes. Die explodierenden brandbomben bei nacht, später auch bei tag, deprimierten die bewohner. Die letzten bomben 1945 auf Essen töteten Hedwig, meine grossmutter väterlicherseits. Sie hatte alle hoffnung verloren und war nicht mehr zu bewegen, schutz in einem bunker zu suchen.
Die todesängste der grossväter im 1. krieg, die gestapo und die denunziationen ab 1933, der 2. krieg ab 1939 mit erschossenen ehemännern und brüdern, vergewaltigten müttern und schwestern, flucht und vertreibungen, kriegsgrausamkeiten und bombardierungen schafften ein alltägliches leben, in der gewalt, unsicherheit und lebensgefahr normal war.
Angst und schrecken verschwanden für die überlebenden einwohner Essens am 10.5.1945. Das bemühen brot, wasser, unterkunft und arbeit zu finden bestimmten hinfort den tag. Ein politiker wies den deutschen den weiteren weg: „Wer noch einmal eine Waffe in die Hand nimmt, dem soll die Hand abfallen.“ 85% der deutschen bekräftigten in meinungsumfragen und volksentscheiden diese aussage.[3] Doch trotz des deutlich demonstrierten militärischen pazifismus: gewalt gegen kinder galt weiterhin als eine probate erziehungsmetode.
Die im gedächtnis verankerten gewaltsamen erfahrungen der grosseltern, eltern, lehrer und pädagogen blieben lebendig und wurden weitergetragen auf die nun geborenen töchter und söhne.
3 verschickt
Ich bin am 24.10.1948 in Essen geboren, 3 jahre und 5 monate nach kriegsende.
Die versorgungslage war immer noch kompliziert. Die freuden an ihren mahlzeiten, die meine eltern nach den entbehrungen erlebten, konnte ich nicht mitempfinden. Heisshunger oder bevorzugte lieblingsspeisen sind bei mir kaum aufgetreten. Ich blieb im verständnis der elterngeneration ein dünnes kind. Im frühjahr 1955 wurde ich volksschüler in einer klasse von 45-50 kindern. Wie zu hause so auch in der schule erlebte ich gewaltsames vorgehen gegen kinder mittels körperlicher strafen. In den gesprächen mit spielkameraden hörten wir, wie gewaltig es in anderen familien zu ging. Bekannte und kollegen meiner eltern beschrieben lachend und voller stolz, wie sie ihre kinder verprügelten bis sie nicht mehr sitzen konnten. Schlug man in einer familie weniger, so schlug man in einer anderen familie häufiger. Prügelten einige eltern gar nicht, so prügelten manche um so massloser. Das gewaltniveau gegen kinder war in der nachkriegszeit lange konstant.
Als ich 8 jahre alt war, stellte man endgültig fest, ich wäre zu dünn. Man diagnostizierte zwar keine unterernährung, trotzdem empfahl der hausarzt den aufenthalt in einem heim um mich zu mästen. Die kosten der terapie übernahm die krankenkasse. Krankenkasse? Ich fühlte mich mit meinem gewicht nicht krank. Das beabsichtigte ziel und der wohlwollende wunsch, mich selbstständiger werden zu lassen, veranlassten meine eltern mich „zur kur zu schicken“. Meine meinung zur beunruhigenden trennung von mutter, vater, bruder, spiel- und klassenkameraden war nicht gefragt. Ich erinnere mich, das meine mutter begann, namensetiketten in die kleider einzunähen.
Dann kam der tag der abreise. An die sonderzugfahrt mit vielen kindern von Essen bis Dagebüll kann ich mich nicht entsinnen. Ich war zwar bereits oft mit dem zug gereist, aber nicht so weit. Ein so grosses schiff wie die fähre nach Wyk auf Föhr hatte ich noch nie gesehen; die seereise ist mir völlig entfallen. Ich sah auch zum ersten mal das weite meer. Diese entdeckung hat ebenso keine spuren im gedächtnis hinterlassen. (Den überraschenden, erstaunten weitblick mit dem freudigen ausruf „das meer“ höre ich in meiner erinnerung erst 4 jahre später bei ferien auf Walcheren in Holland). Die ankunft auf Föhr und der empfang im kinderheim Schloss am Meer sind mir ebenso nicht gegenwärtig. Der heimname ist mir erst wieder eingefallen durch berichte von verschickten schloss-bewohnern.
Bei der ankunft wurden mädchen und jungen getrennt einquartiert. Ich teilte meinen raum mit 8-10 anderen jungs, möglicherweise einige mehr. Ich erinnere mich nur schemenhaft an eine kurze untersuchung bei einem onkel doktor, der danach nicht wieder erschien. Im speisesal mussten wir an vorbestimmen tischen platz nehmen, wieder jungen und mädchen getrennt. Ein oder zwei kleinere tische fielen auf, vorgesehen für die kalorienarme diät dicker mädchen. Mir fallen keine dicken jungen ein, denen diese ehre zuteil wurde. Dann kam man bald zum wichtigsten punkt des tages: der namentliche aufruf der anwesenden zur zentral platzierten waage. Das gewicht eines jeden kindes notierte man sorgfältig.
An mahlzeiten war ich nicht sonderlich interessiert. Sie waren wohl meist geniessbar, bei einigen gerichten musste ich erbrechen. Ich erreichte aber stets die toilette ohne vomitale spuren zu hinterlassen. Ob ich darauf einen nachschlag des emeticums bekam, das ich als mittagessen verzehrt hatte, daran kann ich mich nicht erinnern. Später wurde ein tisch in der nähe der toilettentür aufgestellt. Hier sassen nun die nausealen hyperemetiker. Ein mädchen werde ich nie vergessen; es regurgitierte in ihren teller und erhielt darauf den befehl zum verschlingen der kotze. Ich empfand das damals zwar als sauerei, es wunderte mich aber nicht. Es war lediglich eine innovative variation bekannter bestrafungen. Das mädchen mit dem teller voll erbrochenem hat zu meiner grossen bewunderung ihr hervorgewürgtes mahl mit grosser ruhe vertilgen können. Ich kann meine erinnerungsfetzen an weitere vomitale verspeisungsvorfälle nicht zusammensetzen. Es wäre möglich, das solche fälle mit heulen und zähneklappern geendet haben. Das souveräne verhalten des mädchens war allerdings einzigartig und beeindruckte mich sehr; in ihr haben sich in meinem gedächtnis möglicherweise andere kotzereien kondensiert.
An zwei zeitpunkte im täglichen stundenplan kann ich mich gut erinnern. Morgens mussten wir uns im waschraum halbnackt waschen unter distanzierter beobachtung einer einzigen tante. Abends war nacktwaschen vorgeschrieben. Im grossen waschraum standen viele kleine nackte jungs, nun beaufsichtigt von mehreren glotzenden tanten, die auch durch die reihen gingen. War ein kind zu laut, bekam die geräuschquelle einen klaps auf das nackte gesäss. Ich habe mich damals gefragt, warum man abends mehr aufsichtspersonal benötigte als morgens. Erst viel später erriet ich den grund: die zahlreichen tanten eilten freiwillig zum jungenwaschraum. Die sicht auf die vorpubertären unterleibsregionen der jungs erfreute die tanten, wie wir aus ihrem lebhaften gekicher und geflüster hätten feststellen können, wenn wir bereits sinn für solche zusammenhänge gehabt hätten.
Vom übrigen tagesablauf habe ich nur verschwommene anhaltspunkte. Das vorgeschriebene schlafen nach dem mittagessen erlebte ich als zumutung. Ich war hellwach und hatte wie alle 8-jährigen, den drang mich zu bewegen. Ich ruhte also gezwungenermassen auf der liege und schaute umher. Eine tante befahl dann strengstens die augen zu schliessen, was ein sehverbot darstellte. Ich möchte das als ersten übergriff mir gegenüber definieren. In gewissen abständen postkarten oder briefe nach hause zu schreiben war für mich als ein noch schreibenlernender schwierig. Ich war den tanten deshalb dankbar für vorformulierte sätze, selbst wenn sie meine wahrnehmungen nicht wahrheitsgemäss darstellten.
Prügelnde und ohrfeigende tanten habe ich nicht beobachtet. Die strafen waren gemeiner. Mein schlafsaal lag gegenüber der toilettentür. Neben der toilette befand sich der wohn-raum einer tante. Der lokus alten stils wirkte mit einer sehr effektiven wasserspülung, die von grosser höhe mit lautem getöse die hinterlassenschaften verschwinden liess. Die benutzung der toilette und der anschliessende wasserfall störte verständlicherweise die nachtruhe der im zimmer nebenan schlafenden tante. Wir erhielten daher striktes toiletten-benutzungsverbot. Ein eimer wurde notgedrungen als urinoir ins zimmer gestellt. Es gab zwei nächte während unserer heimzeit, in denen wir aussergewöhnlich grosse mengen urin abgaben. Der eimer war also bald vollgepisst. Um ihn nicht überlaufen zu lassen gingen wir zur toilette und benutzten danach intuitiv die wasserspülung. Die schlafgestörte tante kam wutentbrannt aus dem zimmer. Die kollektivpissenden übeltäter mussten sich nun mit dem gesicht zur gangwand aufstellen mit "hände hoch". Demjeningen, dem die erhobenen hände absackten, bekam von der tante einen schlag auf den arsch. Dadurch qualifizierte sich der pisser für eine decke, die die tante dem deliquenten, nun "hände runter", überlegen konnte, denn es war kalt im gang. Das ergebnis dieser pädagogischen massnahme war vor-programmiert. Bei der nächsten polyurie pinkelten wir den eimer voll bis zum rand und darüber hinaus. Die überlaufenden renalen exkretionen verteilte sich gelblich-grossflächig auf dem zimmerboden. Diese sauerei kritisierte indigniert am nächsten morgen die dienst-habende tante. Ich möchte dies als zweiten persönlichen übergriff definieren. Ein 8-jähriger kann rational entscheiden, hat durchaus einen begriff von ursache und wirkung. Das resultat unseres dilemmas (was wir auch tun ist falsch) konnten wir allerdings intellektuell nicht verarbeiten. Von Antigone hörten wir erst später in der schule. Der übervolle eimer und die verbotene toilette verdeutlichen das pädagogische ungeschick der tanten. Ich habe leider vergessen, wie der konflikt zwischen der zürnenden diensttante, der unausgeschlafenen latrinentante und uns jungen mit imperativem harndrang aufgearbeitet wurde. Ich frage mich heute, wie die nächtlichen faeces verschwanden. Der einzig zulässige ort war das WC, denn einen behälter für skatologische gebilde hatte man uns wohl aus olfaktorischen gründen erspart. Da die benutzung der wasserspülung verboten war, müssten sich im laufe der nacht allerlei exkremente im scheisshaus angesammelt haben, was zusammen mit dem lokuspapier sicher zu verstopfungen geführt hat. Ich kann mich aber weder an solche anrüchigen schandtaten noch an folgende bizarre strafaktionen erinnern.
Während eines ausgangs mit versteckspielen zwischen bäumen und büschen packten mich plötzlich zwei heimjungen und führten mich zu einer abgelegenen lichtung. Hier befahl mir eine grossschnauze gegen einen ausgewählten jungen zu kämpfen zur feststellung des stärksten im schloss. Ich protestiere mit dem argument, das bestimmen des stärksten interessiere mich nicht. Kampfverweigerung oder flucht war jedoch nicht möglich. Ich bekämpfte deshalb den mir angewiesenen gegner und verlor. Mit dem ablegen eines gelübdes, nichts über den mannhaft-muskulösen unsinn zu erzählen, entliess man mich aus dem kreis der starken jungs. Ich hielt leider mein versprechen. Irgendein verrückter kerl im heim hetzte andere jungs gegeneinander auf und die tanten ignorierten dieses inhaltslose männlichkeitssritual.
Einer der letzten tage im schloss begann feierlich. Vor versammelter gesellschaft betrat jedes mädchen und jeder junge die waagschale. Lautstark wurde darauf anfangs- und endgewicht des probanden proklamiert und die gewichtszunahme beurteilt, je zahlreicher die kg, desto grösser die fröhlichkeit. Das am meisten zugenommene kind erklärte man mit tösendem applaus zum sieger. Die verkündigung meiner kläglichen zunahme von 50 g[4] notierte man mit verdruss. Ich aber war begeistert. Instinktiv hatte ich mich den zwängen und vorschriften der schlosstanten verweigern können durch unbewusste beschränkung der ohnehin unschmackhaften mahlzeiten. Die öffentlich bekundete minimalzunahme war mein protest gegen das schloss, gegen arzt, eltern und krankenkasse, die mich dorthin verschickt hatten. Diese interpretation habe ich damals als 8-jähriger sicher nicht ausdrücken können. Erinnerungsfragmente lassen jedoch diese schlussfolgerung zu. Die gewichtsabnahme der anfangs zu dicken mädchen vermerkten die dicker gewordenen jungs mit geringem applaus.
Der letzte tag im schloss, die rückfahrt mit schiff und zug nach Essen, die freude zu hause zu sein, eltern und bruder zu sehen, wieder in den klassenverband aufgenommen zu werden, von alledem hat sich nichts eingeprägt. Habe ich meinen eltern, meinem bruder, den klassenkameraden von meinen bedrängnissen erzählt? Ich vermute, ich habe sehr zurückhaltend und wortkarg berichtet.
4 konklusion
Die 6-wöchige, 42 tage lange residenz im Schloss am Meer hat kein angenehmes andenken hinterlassen. Allerdings registriere ich beim nachsinnen 65 jahre später auch keine mich traumatisierenden vorfälle im Schloss am Meer.
Im nachhinein ist mir das fehlen von männern im heim aufgefallen. Wir kinder hatten nur mit frauen zu tun. Ob man sie tanten nannte oder nennen musste ist mir entfallen. Wenn es onkel gegeben haben sollte, so blieben sie unregistriert im hintergrund. Die tanten begegnen mir im rückblick als gesichts- und namenslose wesen. Sympatie oder antipatie konnte sich deshalb nicht entwickeln. Bis auf eine ausnahme: tante Siegrid war etwas älter als die anderen. Mit ihr war es angenehmer, sie zeigte uns eine gewisse zuneigung. Aber auch sie war keine verschweigungspflichtige vertrauensperson, keine ombudsfrau, der man probleme hätte mitteilen können. Hatten die jungen tanten damals eine pädagogische ausbildung? Reichte als qualifikation zum umgang mit kindern möglicherweise nur ihre fertilen fähigkeiten als künftige mütter?
Ich habe keine royale hierarchie im schloss bemerkt. Eine majestätische obertante, verantwortlich für die vorgänge, hat sich nicht offenbart.
Ich schliesse für meine periode im schloss die in anderen berichten vermuteten medikamententests aus. Solche untersuchungen erfordern genaue protokollierung. Ich konnte das nicht beobachten. Gerade das erbrechen hätte genau aufgezeichnet werden müssen als unverträglicheitsindikator eines arzneimittels.
Im rückblick hatte die verschickung einige durchaus wünschenswerte wirkungen auf mein leben. Ich habe gelernt in einer gruppe fysisch anwesend zu sein ohne psychisch dazu-zugehören. Dies hat mir später geholfen, bei langweiligen konferenzen und besprechungen mich von den rednern abzukoppeln und mich gedanklich mit interessanteren dingen zu beschäftigen. Der ringkampf zur bestimmung des stärksten jungen hat in mir eine geringschätzung jeder korporation ausgebildet. An mannschaftssportarten habe ich nie gefallen finden können. Gegen die allergrösste, seinerzeit obligatorische nationale männergemeinschaft entwickelte ich eine starke abneigung. Meine kriegsdienst-verweigerung hat wahrscheinlich zu einem teil mit der kasernierten kur auf Föhr zu tun. Ich habe vermutlich im schloss eine erste vage antwort zur frage gefunden: Ist das, was alle tun, unbedingt richtig? Ist es richtig für mich?[5]
Für den norddeutschen tourismus resultierte meine vorübergehende anwesenheit auf Föhr in einer darauffolgenden fortwährenden abwesenheit. Wenn mir freunde erzählen, sie wollen ferien auf Föhr machen, so reagiere ich instinktiv mit dem gedanken: da fahr ich nicht hin. Föhr hat mir auch die ostfriesischen inseln versperrt. Die westfriesischen inseln Texel, Vlieland und Ameland habe ich dagegen oft besucht. Mit diesen inseln verbinde ich schöne erfahrungen. Als die direktflüge von Trondheim nach Amsterdam eingeführt wurden, sass ich bevorzugt auf der rechten seite und erfreute mich im anflug auf Amsterdam bei klarem wetter im westen Schiermonnikoog, Ameland, Terschelling und etwas weiter entfernt Vlieland zu erkennen. Die direkt unter mir liegenden deutschen inseln von Wangerooge bis Borkum nahm ich nicht wahr. Bei anderen flügen nach Amsterdam, auf der linken seite des flugzeugs sitzend, schaute ich interessiert auf die dänische küste, auf die inseln Fanø und Rømø bis zum gut zu erkennenden Sylt. Meine geografischen beobachtungen waren damit abgeschlossen; Föhr und die nachbarinsel Amrum bemerkte ich nicht.
Als unangenehmer langzeitschaden des heimaufenthalts vermute ich den 6-wöchigen ausfall des rechenunterrichts. Ich habe den fehlenden stoff zwar den regeln entsprechend aufholen können. Es ist aber möglich, das mir die lange unterrichtspause einen ganzheitlichen zugang zur matematik verwehrt hat.
Mein jüngerer bruder ist 1 oder 2 jahre später ebenfalls verschickt worden, nach Bayern.
Ihm haben die 6 wochen als verschickungskind gefallen. Es ging also damals auch anders.
Wir brüder haben allerdings untereinander nie wieder unsere heimaufenthalte erwähnt.
Erstaunlicherweise habe ich, das verschickte kind, aus der unangenehmen residenz im Schloss am Meer einiges positiv prägende mitnehmen können für den darauffolgenden lebenslauf.
5 epilog
Was ist aus dem kleinen mädchen geworden, das gefasst ihre kotze verschlang? Hat sie emotionelle langzeitschäden davongetragen? Sie verhielt sich aussergewöhnlich; ich vermute, sie hat die brechreizeregende dummheit der tanten nicht in ihre seele eindringen lassen. Warum haben wir kinder unser gemeinsames leiden individualisiert? Warum habe ich als 8-jähriger nicht dem gleichaltrigen mädchen geholfen? Ich war zu unterstützender solidarität nicht fähig.
Gewalt gegen kinder hat die kinderbuchautorin Astrid Lindgren (1907-2002) unmiss-verständlich kritisiert. Warum war es eine bewohnerin aus dem vom krieg verschonten Schweden, die gewalt gegen kinder als frevel bezeichnete? Warum entsprang aus dem leidzufügenden und leidenden volk der dichter und denker nach dem krieg nicht sofort eine gewaltfreie pädagogik? Warum gaben deutsche juristen ihren kindern keine besonderen rechte? Die UN-kinderrechtskonvention trat 1990 in kraft. In Deutschland wurden körperstrafen eine generation nach mir, ab etwa 1968 verpönt, dann 2000 unzulässig und 2001 strafbar.[6]
Hätten die tanten im Schloss am Meer wegen "schwarzer pädagogig"[7] angeklagt werden können? Hätten deutsche juristen, die nach dem krieg die beihilfe zum massenmord mit milden strafen verurteilten,[8] erzwungene emetofagie als justiziabel angesehen?
Die naziführer und nazitäter nannten in den gerichten als motivation für ihre mörderischen untaten den befehlsnotstand. Man hätte nach 1970 eltern, erzieher, lehrer und pädgogen nach ihren beweggründen zur gewalt gegen ihre kinder befragen müssen. Ein befehl lag nicht vor. Eine darlegung der gründe hätte die moralische schuld der täter und tanten aufgedeckt, reue und auch die bitte um verzeihung ermöglicht.
[1] https://verschickungsheime.de/ https://anjaroehl.de/ abgerufen am 18.2.22
[2] Ich danke Nike Knoblach für diskussionen, anmerkungen und korrekturen mit einem soziologisch-
pädagogischen blickwinkel.
[3] Jürgen Kuczynski, So war es wirklich - Ein Rückblick auf 20 Jahre Bundesrepublik, Staatssekretariat für westdeutsche Fragen, Berlin 1969, p. 113
[4] Ich kann mich an die genaue gewichtszunahme nicht erinnern. Es war aber sehr wenig im vergleich zu den anderen.
[5] Die beantwortung der frage „Ist das, was alle tun, richtig für mich?“ hat mir früh ermöglicht, gruppenzwängen auszuweichen. Alle rauchten zu meiner jugendzeit. Ich nicht. Einige soffen. Ich
war nie besoffen. Alle trugen bei feierlichkeiten anzug + krawatte. Ich sah keine praktische funktion dieser textilien. Alle assen alles. Ich kaute ab einem bestimmten zeitpunkt keine kadaver mehr. Ein relikt aus dem mittelalter, die deutsche unrechtschreibung, ersetzte ich mit der reformierten, gemässigten kleinschreibung. Die ausgrenzenden konsequenzen, manchmal auch die ermutigende anerkennung als aussenseiter nahm ich in kauf. Bemerkenswert ist eine
beobachtung, die mir während des schreibens zum ersten mal deutlich wurde. Alle machten zu meiner jugendzeit möglichst schnell den führerschein und kauften ein auto. Sie erlebten die neue mobilität als zunahme der persönlichen freiheit. Ich zögerte diese wünsche hinaus, folgte dann aber doch dem trend der altersgenossen. Ich erhielt problemlos meinen führerschein. Ich kaufte ein auto. Wollte es dann aber zu meiner überraschung gar nicht fahren. Ich überwand erfolgreich den fahrwiderstand und bin dann viel gefahren. Von Essen zum studienort Fribourg (Schweiz) und zurück mehrmals im jahr; lange autofahrurlaube führten wiederholt bis Rumänien und Griechenland. Gute erinnerungen mit dem auto haben sich nicht eingeprägt; die lebensgefährlichen episoden sind jedoch präsent. Allmählich verursachte mir das fahren auch von kürzeren strecken eine ungeheuere langweiligkeit. Es erhöhten sich zunehmend die sekundenschlaf-momente. Nachdem ich 10 jahre am steuer sass, beschloss ich eine autopause einzulegen. Auf 10 gute jahre sollten nun 10 schlechte jahre kommen (in anlehnung an die alttestamentliche weisheit: nach 7
reichen jahren folgen 7 hungerjahre). Ich fuhr das fahrzeug zum schrottplatz und erlebe nun seitdem ohne auto die umweltfreundliche unabhängigkeit. Ich habe keine autofobi. Ich fahre gern mit. Doch für mich ist autofahren einfach nicht mein ding. Ich vermute, die verschickung ins Schloss am Meer hat mir den keim gegeben, unannehmlichkeiten und unverträglichkeiten zu erkennen und zu vermeiden.
[6] Bundesgesetzblatt 2000 Teil 1 nr. 48, s. 1479; § 1631 Abs. 2, Bürgerlichen Gesetzbuches 2001
[7] Unter schwarzer pädagogik wird erziehung verstanden, die gewalt, einschüchterung und
erniedrigung verwendet.
[8] Frankfurter Ausschwitzprozesse 1963-1968 und spätere vernichtungslagerprozesse
Trondheim 18.2.2022
Zur person
Hans-Richard Sliwka, deutscher und schweizer staatsbürger, verheiratet mit einer griechin, die ebenfalls schweizerin ist, lebt in Trondheim (Norwegen). Die nachnamensgebenden vorfahren stammen aus Östereich-Ungarn, aus einer gegend, die heute in Polen, Tschechien und der Slowakei liegt. Geboren am 24.10.1948 in Essen, einschulung 1955, dann 1 jahr gymnasium, 6 jahre realschule, 3 jahre ausbildung als chemielaborant (chemieindustrie, berufsschule), arbeit als chemielaborant, danach abiturklassen. Seit november 1972 studium der chemie in Fribourg (CH), abschluss als diplomchemiker, anschliessend promotion. 1984 post-doc in Trondheim (Norwegen), darauf in Trondheim industriechemiker, dann universitätsangestellter mit aufgaben in forschung, lehre und administration. Seit november 2018 rentner.
Hans-Richard Sliwka
Skansegata 26A
7014 Trondheim
Norwegen
richard.sliwka@ntnu.no
0047 73525538
Ich war nach den Osterferien 1958 als 7-jähriger für 6 Wochen auf Amrum. Organisiert wurde die Verschickung durch den damaligen Rhein-Wupper-Kreis (NRW). Viel weiß ich nicht mehr, hängen geblieben sind nur schlechte Erinnerungen. Gibt es jemand, der auch zu dieser Zeit dort war? Angeblich ist das Heim nicht lange nach meinem Aufenthalt geschlossen worden.
Verschickungsheim: DRK Kinderheim Wittdün/Amrum
Zeitraum-Jahr: Juni 1966
Kontakt: Kontakt: Über die Initiative
Hallo zusammen!
Zuerst einmal vielen Dank an Frau Röhl für ihre Initiative in Sachen Verschickungsheime. Ich bin per Zufall auf die Internetseite gestossen und war einfach nur entsetzt über die #Dinge, die ich da gelesen habe. Es hat mir aber auch gezeigt, dass meine Erlebnisse im DRK-Kinderheim auf Amrum kein Einzelfall waren und es wohl in vielen Einrichtungen so aussah.
Ich hatte als Kind häufig Bronchitis, war zu dünn und immer blass. Da schien meinen Eltern die Nordsee gerade richtig zu sein. Obwohl ich damals bereits 12 Jahr alt war, habe ich nur noch wenige Erinnerungen an diese schrecklichen 6 Wochen.
Wir wurden als Kinder zentral gesammelt und in einen Zug gesetzt. Alle hatten eine Pappkarte um den Hals mit Heimatadresse und Zielort. Ich kann mich noch daran erinnern, dass es fürchterlich warm war im Zug und wir bei Zwischenhalten oft von der Bahnhofsmission mit Tee versorgt wurden. Das DRK-Heim lag in Wittün direkt am Strand, eigentlich schön gelegen. Wie vielen anderen ist mir noch die Tortur des Essens im Gedächtnis geblieben, d.h. Teller leer essen bis zum Erbrechen. Immer roten Tee, häufig Froschaugensuppe und Zwieback mit warmem Vanillepudding. Da ich ja zunehmen sollte, war auch immer reichlich Brot auf dem Teller, was ich alles gar nicht essen konnte. Ich habe es mir dann so manches mal heimlich in die Hosentasche gesteckt und versucht es auf den Spaziergängen wieder wegzuwerfen. Als es der Tante einmal aufviel, wurde ich als "Brotmörder" beschimpft. Ich hatte selbst ein schlechtes Gewissen, da ich so erzogen wurde, dass man kein Brot wegwirft.
Abends war der Toilettengang angesagt! In Reih´und Glied aufgestellt, abgezähltes (und limitiertes) Toilettenpapier und eine ganze Reihe von nach vorne hin offenen Toilettenboxen. Eigentlich waren es keine Boxen, sondern mehr Trennwände. Alles stand unter strenger Aufsicht der Tanten. Geradezu tragisch war es , wenn man in der Nacht zur Toilette musste. Heimlich konnte man nicht dorthin gelangen, ohne entdeckt zu werden. Wir Jungens halfen uns damit, in eine Plastiktüte zu pinkeln und dann in die Dachrinne unterhalb des Fensters zu schütten.
Eine Briefzensur gab es auch bei uns. Sie wurde damit begründet, dass viele Schilderungen übertrieben würden und das den Eltern dann unnötig Angst machen würde. Manche Kinder versuchten, Kurzmitteilungen über die Art und Weise wie die Briefmarke aufgeklebt wurde, an die Eltern zu übermitteln. Briefmarke auf dem Kopf hieß "es ist schrecklich hier" oder schräg links geneigt hieß " es geht so". Diese Tricks waren bei den Tanten aber alle bekannt und funktionierten am Ende dann doch nicht.
Ich besitze noch ein Abschiedfoto, wo wir alle mit einer Matrosenmütze auf dem Foto zu sehen sind. Am 6.6.1966 habe ich einen Brief nach Hause geschrieben, wegen des besonderen Datums. Über 30 Jahre später war ich noch einmal auf Amrum. Zu einem Tagesausflug von Föhr aus. Das Haus gab es immer noch, aber es stand leer. Ich habe eine Gänsehaut bekommen und war seitdem nie wieder auf Amrum.
Verschickungsheim: Sanatorium Ide, Amrum
Zeitraum-Jahr: 1971
Kontakt: Kontakt: Erwünscht
Hallo zusammen,
auf Anraten der Gütersloher Hausärztin Frau Dr. S. wurde ich 1971 zur Abmagerungskur in das Sanatorium Ide auf Amrum verschickt. Am Tag nach der Ankunft wurde die Untersuchung durch den leitenden Arzt Dr. Ide durchgeführt. Er hatte dabei die Angewohnheit, die zu untersuchenden Kinder an der Haut unterhalb des Kinns zu greifen und zu sich heranzuziehen. Der allgemeine Umgang war militärisch streng und wir Kinder mussten zu verschiedenen Anlässen in Reihen "antreten". Als Abnehmkind wurde ich mit anderen Kindern, die "gemästet" werden sollten, an einen Tisch gesetzt. Da ich offenbar im Schlaf gesprochen hatte, wurde ich mehrfach aus dem Bett geholt und stundenlang in eine Decke gehüllt auf den Dachboden gestellt. Die verordnete "Diät" war grauenhaft - so gab es zum Frühstück sechs Wochen lang eine dünn bestrichene Vollkornbrotscheibe und ein hartgekochtes Ei, das im Inneren grün war. Ich habe diese Eier in die Tasche gesteckt und an die Möwen verfüttert. Als das herauskam, musste ich unter Aufsicht frühstücken. Meine Briefe nach Hause wurden vor Absendung gelesen, angeblich um "Lügen" vorzubeugen. Päckchen wurden gefilzt und "ungesunder" Inhalt konfisziert. Zwei Mal pro Woche mussten die Abnehmkinder im Keller antreten und aus einem Tank gefiltertes Seewasser trinken, was das Abnehmen fördern sollte. Jegliche (vermeintliche) Verstöße wurden durch die "Tanten" (Gruppenleiterinnen) der Heimleitung gemeldet, worauf wir beim Heimleiter (Bruder des Chefarztes) antreten mussten und streng zurechtgewiesen wurden. Als Abnehmkind musste ich Mittags, während die "Mastkinder" zwangsweise Mittagsschlaf hielten, alleine spazierengehen. Ich habe in dieser Zeit Grabsteininschriften auf dem Friedhof in Nebel gelesen oder auf einem großen Stein im Watt in die Ferne gestarrt. Ein Halt war mir mein Schulfreund Rupert, der mir Briefe schrieb und Päckchen mit Comic-Heften schickte. Über die Erlebnisse im Sanatorium Ide konnte ich lange nicht sprechen. Sechs Jahre später war ich mit meiner Eltern und Geschwistern auf Föhr, wo wir eine Familienfreizeit verbrachten. Gemeinsam mit meinem Ferienfreund Peer habe ich einen Ausflug nach Amrum unternommen (da war ich 16 Jahre alt) und bei der Gelegenheit auch das Sanatorium Ide aufgesucht. Wir haben das Gelände betreten und sind gleich in den großen Speisesaal vorgedrungen. Dort kam gerade eine Gruppe von Kindern an, und weil das wohl nicht so recht klappte, wurden sie von der zuständigen "Tante" im Kasernenhofton angeschriehen. Da bin ich dann ebenfalls laut geworden und gerufen "Das ist ja immer noch der reinste Kinderknast hier!". Wir wurden dann des Geländes verwiesen, aber es war mir eine echte Genugtuung, ebenso wie die Beobachtung, dass der verhasste Chefarzt inzwischen auf den mir wohlbekannten Friedhof bei der Inselkirche Nebel "verzogen" war. Bei der Rückkehr nach Föhr habe ich dann mit meiner Mutter ausführlich über meinen Kuraufenthalt und natürlich den just zurückliegenden Besuch des Sanatoriums gesprochen. Sie war entsetzt und hat beteuert, dass sie von den Zuständen nichts gewusst und "nur das Beste" für mich gewollt habe. Ich hege gegenüber meiner inzwischen verstorbenen Mutter keinen Groll, finde aber, dass ihre übersteigerte Autoritätsgläubigkeit entscheidend dazu beigetragen hat, Beschädigungen ihres Kindes durch diese Art von "Kur" schlicht zu übersehen.
Verschickungsheim: Norderney und Amrum (Wittdün)
Zeitraum-Jahr: 1968/1969 und Ende 1971
Kontakt: Kontakt: Über die Initiative
Norderney: Ende 1968 oder Anfang 1969 Alter: 5 Jahre
Amrum (Wittdün): November/Dezember 1971 Alter: (gerade) 8 Jahre
Im Alter von 5 und 8 Jahren wurde ich jeweils für 6 Wochen wegen Bronchitis zur "Kur" an die Nordsee geschickt. Das Wort "Verschickung" ist bei uns nie gefallen. Meine Mutter hatte die Angewohnheit, alles freundlich zu umschreiben. Wenn es bei uns beispielsweise Kaninchenbraten (mein Vater züchtete Kaninchen) gab wurde uns gesagt, es sei Hähnchen. Wir Kinder sollten nicht merken, dass die niedlichen Tiere aus dem Kaninchenstall auf unseren Tellern landeten...... Ansonsten war mein Elternhaus liebevoll, der Vater verdiente den Lebensunterhalt und die Mutter kümmerte sich um Kinder, Haus und Garten. Die klassische Rollenverteilung zu dieser Zeit. An den Wochenenden haben meine Eltern viel mit uns unternommen. Wir wohnen ländlich und ich würde mein Elternhaus durchaus als liebevoll bezeichnen.
An den Aufenthalt auf Norderney kann ich mich so gut wie gar nicht erinnern. Meine Mutter ist verstorben, die kann ich nicht mehr fragen. Als ich meinen 87jährigen Vater kürzlich fragte, ob er sich erinnere, meinte er: "da hattest du doch Krieg mit den Nonnen". Heißt, es muss etwas vorgefallen sein, woran ich mich nicht erinnern kann. Genaueres hätte eventuell meine Mutter gewusst. Leider wurde in all den Jahren dieses Thema, wie bei so vielen anderen auch, nicht angesprochen. Ich selbst hatte die Erfahrungen größtenteils verdrängt, bin jedoch im Besitz eines Gruppenfotos, auf dem hinten sämtliche Namen meiner Gruppe vermerkt sind, auch die von den Gruppenfräuleins: Fräulein Anita und Fräulein Regine, die ebenfalls auf dem Foto zu sehen sind.
Durch einen Artikel im Internet auf diese Seite aufmerksam geworden beschäftige ich mich momenten sehr intensiv mit dem Thema. Tatsächlich ist mir von dem Aufenthalt auf Amrum noch einiges in Erinnerung, nach und nach kommt immer mehr dazu. Ich erinnere mich an:
die Vorabuntersuchung beim Vertrauensarzt der Krankenkasse
das Einnähen der Namensetiketten in Kleidung etc.
die Zugfahrt mit einer Begleitperson,
den Schlafsaal,
Mittagsschlaf mit absoluter Ruhe, sonst Strafe,
Erniedrigung und Bestrafung von Bettnässern,
Essenszwang,
das Aufteilen eines erhaltenen Nikolauspäckchens,
zensierte Post,
Bestrafungen durch Isolation,
die insgesamt sehr kalte Atmosphäre, aber leider an nichts Schönes.
Meine Mutter meinte einmal, andere Kinder hätten meine Kleidung getragen (vielleicht habe ich das aber auch nur behauptet, um beispielsweise stark verdreckte Unterwäsche zu erklären).
Es gab eine junge Praktikantin, die sehr nett zu uns war, wenn es die Heimleitung nicht mitbekam. Sie ging mit uns zu einem Krabbenkutter, wir haben Krabben gepuhlt und diese gegessen. In meinem ganzen Leben habe ich keine Schalentiere und Meeresfrüchte mehr gegessen, ob ein Zusammenhang besteht weiß ich nicht, könnte es mir aber durchaus vorstellen.
Die schlimmste Erfahrung war jedoch folgende: die Leiterin hatte der Praktikantin hinter dem Rücken einen Vogel (vielleicht auch Scheibenwischer) gezeigt und ich hatte das gesehen. Da ich die Praktikantin angehimmelt habe, habe ich es ihr erzählt, also sozusagen "gepetzt". Kurze Zeit später mussten wir uns alle im großen Saal im Kreis aufstellen und die Leiterin wollte wissen, wer zu der Praktikantin gesagt hätte, sie habe ihr einen Vogel (o.ä.) gezeigt. Aus Angst vor Bestrafung habe ich mich nicht gemeldet. Natürlich wusste die Leiterin, wer es gewesen war, und ließ mich vortreten. Vor allen anderen wurde ich beschimpft und gedemütigt, als Lügnerin bezeichnet. Danach wurde ich für mehrere Stunden in eine kleine dunkle Kammer gesperrt. Es war einfach nur grausam. Trotzdem habe ich mich völlig verheult in die Arme der Praktikantin geworfen, als diese mich endlich befreite. Ich habe die Zusammenhänge nicht verstanden und sie weiterhin angehimmelt, obwohl ja eigentlich sie mich verraten haben musste...... Vermutlich war das so eine Art Schutzfunktion meines Gehirns, da ich sonst völlig ohne Bezugsperson gewesen wäre.
Seitdem bin ich als Kind nur ungern von Zuhause weggefahren, einige Tage bei Verwandten war okay, Urlaube mit den Eltern ebenfalls, Klassenfahrten trat ich mit ungutem Gefühl an, Ferienlager o.ä. kam für mich gar nicht in Frage. Ich habe ein extrem ausgeprägtes Bedürfnis nach Harmonie und große Probleme, mich auf fremde Personen und Situationen einzulassen, bin oft unsicher und versuche, dieses möglichst zu überspielen. Weiterhin habe ich Zeit meines Lebens mit Übergewicht zu kämpfen, mal ab- und dann aber auch wieder zugenommen........... Für meine Eltern war ich auch nie so perfekt wie meine kleine Schwester (die nicht zur Kur musste), bin immer angeeckt und habe vieles nicht recht gemacht.
Mein verstorbener Mann war als kleiner Junge ebenfalls verschickt an die Nordsee, er konnte sich nicht erinnern, weil er zu klein war. Er litt Zeit seines Lebens an Angstzuständen, traute sich als Kind nicht alleine in den Keller und hatte als Erwachsener noch extreme Platz- und Höhenangst. Die Ursachen hierfür wurden leider nie erforscht.
Bereits als Jugendliche, bevor ich selbst Kinder hatte, habe ich immer gesagt, dass ich niemals ein Kind alleine zur "Kur" schicken würde, was ich dann auch nicht getan habe.
Froh, dass dieses Thema endlich öffentlich gemacht wurde, danke ich ganz herzlich für die Möglichkeit der Erinnerung und Aufarbeitung und wünsche allen die nötige Kraft. Wie so viele andere habe ich lange an Einzelschicksale geglaubt und hätte nicht gedacht, welches Ausmaß das alles hat.
Verschickungsheim: Amrum
Zeitraum-Jahr: weiß ich nicht mehr
Kontakt: Kontakt: Erwünscht
Ich war damals auf Amrum, ich weiß nicht mehr wie alt ich war, doch an nichts kann ich mich mehr erinnern, nur das Essen musste ich aufessen. Ich war viel zu dünn. 6 Wochen sollten es sein. Ich weiß nur noch, dass ich so schreckliches Heimweh hatte. Und wieder kommen mir die Tränen. Heute bin ich 54 Jahre und habe gerade durch Zufall diese Seite entdeckt. Vielen Dank dafür. Ich weiß jetzt das ich nicht alleine bin.
Verschickungsheim: Kinderfachklinik Satteldüne
Zeitraum-Jahr: September 1993
Kontakt: Kontakt: Erwünscht
Ich war mit 7 Jahren in der Kinderfachklinik Satteldüne auf Amrum. Ich habe keine schönen Erinnerungen an diese Zeit. Ich kann mich noch genau an diese Kälte von den Betreuern erinnern. Ich war komplett auf mich alleine gestellt und hatte auch dort keine Freunde gefunden. Ich kann mich an kein Gesicht der Betreuer erinnern, sondern nur das mit mir nicht liebevoll umgegangen wurde.
Am ersten Tag habe ich ein Blatt Papier von einer Frau in die Hand gedrückt bekommen mit der Aufforderung ich soll zum Arzt gehen. Dann verschwand sie wieder. Sie hat mir nicht gesagt wohin ich gehen soll und hat mich nicht begleitet. Ich war total verloren und hatte Angst. Ich habe dann meinen Mut zusammengefasst und eine weitere Person gefragt. Diese erklärte mir kurz den Weg. Irgendwann habe ich den Behandlungsraum gefunden, kann mich aber an die Untersuchung nicht erinnern.
Wenn ich mich versuche zurück zu erinnern, dann fällt mir der Speiseraum als negative Erinnerung ein. Ich weiß, dass ich morgens nur eine Wahl zwischen Brot mit Käse oder Brot mit Schinken hatte. Das Essen hatte mir nicht geschmeckt und getrunken habe ich auch nicht viel, da mir nur Tee in Erinnerung geblieben ist.
Meine Eltern haben mich persönlich hingefahren und mir Süßigkeiten da gelassen. Die wurden aber von den Betreuern weggenommen. Ich konnte aber ein paar Süßigkeiten in meinem Bett verstecken und habe meiner Bettnachbarin ein paar geschenkt. Das verschickte Paket von meinen Eltern mit den vielen Süßigkeiten und Geschenken hat die Betreuung auch einbehalten und mich erst gar nicht darüber informiert.
Im Waschsaal hatte ein Junge Seife auf dem Boden verteilt und mich geschubst. Ich bin ausgerutscht und mit den Kopf gegen das Waschbecken gestoßen und hatte dadurch eine Beule erlitten. Die Betreuer haben meine Eltern nicht informiert.
Ich habe fast täglich Abends ins Bett gemacht. Ich verstehe nicht, wieso ich das gemacht habe. Es muss was passiert sein, dass ich nicht auf die Toilette konnte/durfte.
Was ich am schlimmsten fand, war halbnackt im Badeanzug früh morgens in der Kälte eine Runde laufen.
Ich hatte telefonischen Kontakt zu meinen Eltern. Allerdings nur unter Aufsicht der Betreuer. Ich muss wohl am Telefon viel geweint haben und habe die negativen Geschehnisse auch erzählt. Ich musste auch ständig den Betreuern den Hörer geben, weil meine Mutter nachfragte, ob das alles tatsächlich passiert ist.
Als die Betreuerin meinte, dass meine Beule ja nicht so schlimm ist und sie deswegen meine Eltern nicht angerufen hat, ist meine Mutter ausgeflippt und hatte gesagt, dass sie mich am nächsten Tag holen kommt. Ich hatte das Glück und wurde von meinen Eltern eine Woche nach Anreise wieder abgeholt. Die Zustände waren katastrophal. Ich wurde mit meinen ganzen Sachen am Eingang abgeladen und sollte dort auf meine Eltern warten. Als sie ankamen, haben sie ein verwahrlostes Kind aufgefunden. Ich war dreckig und habe gestunken. Von dem Aufenthalt Satteldüne habe ich mit 7 Jahren eine Blasenentzündung bekommen. Meine Eltern hatten danach einen Beschwerdebrief an die AOK geschickt. Es kam ein böser und uneinsichtiger Brief zurück. Den Brief sucht meine Mutter noch.
Verschickungsheim: Schönhagen/Ostsee und Satteldüne Amrum
Zeitraum-Jahr: 63 und 64
Kontakt: Kontakt: Erwünscht
Ich war 2x verschickt, mit 6 Jahren an der Ostsee in Schönhagen und mit 7 Jahren in der Satteldüne auf Amrum. An beide Verschickungen habe ich diverse Erinnerungen.
In Schönhagen wurden Kinder gequält, indem sie Erbrochenes wieder aufessen mussten und Bettnässer wurden vorgeführt und angeprangert.
Die Toiletten hatten keine Türen, diese Albträume verfolgen mich bis heute noch nach fast 60 Jahren.
Wir wurden fast nackt in Reihe untersucht, was endlos lange dauerte. Morgens und abends mussten wir in der Reihe stehen um Zahnpasta auf die Zahnbürsten zu bekommen.
Es gab keinerlei Zuneigung und Mitgefühl für Kinder, die unglücklich waren.
Auf Amrum wurden 2x täglich Versuche mit Sonnencreme durchgeführt. Später habe ich entdeckt, dass es ein Produkt der Firma Nivea war, da ich den Geruch wieder erkannt hatte.
Weinen wurde nicht geduldet und Freundschaften durften auch nicht aufgebaut werden.
Wir wurden gezwungen, nachts mit dem Kopf zur Wand zu schlafen und weinen wurde bestraft.
Ich kann noch 1000 Erinnerungen wiedergeben. Die Zeit hat mich für mein Leben geprägt durch Verlustängste und anderem.
Verschickungsheim: DRK Heim Amrum
Zeitraum-Jahr: Sommer 1965
Kontakt: Kontakt: Über die Initiative
War als 10 jähriger für 6 Wochen auf Amrum. Erinnerlich ist mir die „Froscheiersuppe“, die man immer wieder auslöffeln musste. Ich besitze noch zwei Fotos (Gruppe mit Betreuerin) und (Gruppe mit Betreuerin und DRK-Schwester im Ornat).
Die geschilderten Zustände in anderen Berichten kann ich bestätigen.
Verschickungsheim: Amrum
Zeitraum-Jahr: ca. 68 bis 70
Kontakt: Kontakt: Über die Initiative
Hallo zusammen,
ich bin heute zufällig auf das Thema "Verschickungskinder" gestoßen. Da überkam mich ein komisches Gefühl. Es berührt mich irgendwie. Denn ich war auch als Kind, ich weiß nicht, ob ich schon in der Schule war, auf der Insel Amrum. Kann mich aber leider an nichts erinnern. Nur dass eine Bahnfahrt und ein kurzer 1/2 stündiger Flug mich dort hin brachte.
Ich war oft erkältet und meine Eltern dachten, sie tun mir damit etwas Gutes. Nur, wie schon geschrieben, habe ich keine weiteren Erinnerungen daran...noch nicht. Vielleicht eröffnet sich nun die eine oder andere kleine Erinnerung. Ich gehe oft in Hypnose, vielleicht führt sie mich da hin. Bin gespannt.
Evtl. folgt ein Bericht.
Verschickungsheim: DRK Kinderkurheim Wittdün/Amrum und ein Heim in Bad Salzuflen
Zeitraum-Jahr: 1972 und 1973
Kontakt: Kontakt: Über die Initiative
20.08.2021
Sehr geehrte Frau Röhl,
aus der FAZ habe ich kürzlich von Ihrer Initiative erfahren und möchte Sie dazu beglückwünschen. Es ist ungemein wichtig, diesen schrecklichen Geschehnissen Worte zu geben, Geschehnisse, die in der grausamen Tradition tyrannischer Erziehungsmethoden und damit verbundener Exzesse in manchen Einrichtungen wie Kirchen, Internaten, Heimen, aber auch Familien stehen. Die in den Kinderverschickungsheimen erzwungene Zensur, das Schweigen, darf sich nicht bis in unsere Tage fortsetzen. Schonungslose Analyse und offene Sprache sind die richtigen Wege, um diesen Teufelskreis der von Generation zu Generation weitergegebenen Entwürdigung und Gewalt zu durchbrechen und eine friedvollere Zukunft zu gestalten.
Nun meine Geschichte im DRK Kinderkurheim in Wittdün/Amrum im August 1972.
Dieser Aufenthalt wurde mir vom Hausarzt verordnet, damit ich "kräftiger" würde. Eigentümlich, war ich doch weder kränklich noch mager. Wahrscheinlich dachten meine Eltern, mir damit etwas Gutes zu tun und es war wohl auch eine Mode der Zeit. Ich war durchaus reiseerprobt und gewohnt, ohne meine Eltern zurechtzukommen. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits gute 14 Jahre alt und hatte das 8. Schuljahr beendet. Dennoch habe ich keine Erinnerung an die Fahrt wahrscheinlich mit dem Zug zur Insel Amrum - vom damaligen südhessischen Wohnort immerhin mehr als 700 km entfernt - an Wittdün, das Haus oder an andere Kinder. Auch Namen erinnere ich nicht. Ich erinnere die mutmassliche Heimleiterin, eine relativ grosse Frau mittleren Alters im Habit der Rotkreuzschwester. Und ich erinnere eine Frau und zwei Männer um die 20, die dort ein Praktikum oder einen Ferienjob als Betreuer/-in machten. Andere Aufsichtspersonen erinnere ich nicht.
Ich erinnere mich an starkes Heimweh, Angst wegen der autoritären Umgangformen, an wenig schmackhaftes Essen und den Zwang, viel davon essen zu müssen und an angedrohte Zensur beim Briefeschreiben. Ich erinnere Einschüchterungen, aber keine Demütigungen oder Gewaltszenen.
Ich erzähle meine Geschichte, weil es mir möglich war, meinen Eltern nach etwa einer Woche Aufenthalt einen unzensierten Brief zu schicken, mit dem ich das Mitgefühl meiner Mutter wecken konnte und meine Eltern mich alsbald wieder zurückholten. Dieser Brief, möglicherweise eines der wenigen authentischen Sprachzeugnisse eines Kindes in solch einer Situation, hat interessanterweise die Zeiten überlebt, sogar (wenn auch nur) als Fotokopie. Ich möchte ihn an dieser Stelle vollständig als Abschrift einfügen:
"Wittdün 8.8.72
Meine Lieben!
Es ist furchtbar hier. Ich bin vollkommen verzweifelt. Wir werden mit Essen gemästet wie eine Schlachtsau. Alles ist so lieblos. Unsere Betreuerin ist unmöglich. Ich stinke vor Dreck. Ich kann mich nicht richtig waschen. Ich weine am laufenden Band vor Heimweh. Ihr müsst mich irgendwie hier herausholen. Nach dem Essen ist mir immer übel und ich habe überhaupt keinen Appetit. Ich habe einen Plan, wie ihr (unterstrichen) mich herausholen könnt. Einer aus der engen Familie muss schwer erkranken. Ihr müsst einen Brief an die Heimleitung schreiben. Er muss wahr (unterstrichen) klingen. Bitte, ihr müsst (unterstrichen) schreiben, ihr müsst (unterstrichen)!!! Ich kann kein Latein lernen oder Vokabeln abschreiben. Es hat auch überhaupt keinen Sinn wenn ihr Euch beschwert. Die Wut wird nur an mir abgelassen. Ihr müsst (unterstrichen) schreiben! Bitte! Ich halte es nicht mehr lange hier aus. Ich habe schon so oft zum Lieben Gott gebetet und er hat mir auch schon oft geholfen. Aber diesen Herzenswunsch hat er mir noch nicht erfüllt. Wenn ihr diesen Brief gelesen habt, schreibt bitte sofort. Ich bin am Ende. Wir schlafen und fressen mehr als etwas anderes. Holt mich hier irgendwie raus, vielleicht nach meinem Plan. Ich hoffe, dass das mein erster und letzter Brief ist. Bitte helft mir!! Ich komme krank heim sonst.
Gruss und Kuss
Christoph
P.S.: Bitte, bitte, schreibt den Brief!! Ihr müsst! Schreibt sofort! Ich bin verzweifelt!"
Bis hierher der Brief.
Als ein paar Tage später meine Eltern unerwartet vor der Tür standen, konnte ich weder Überraschung noch Begrüssung oder Freude äussern, nur ein trockenes "Holt mich hier raus". Als Baby noch im Sinne von Johanna Haarers populärer, aber grausamer Erziehungsphilosophie "erzogen", siegte zu meinem Glück diesmal der Mutterinstinkt. Die Heimleiterin versuchte zwar noch, mich mit Aussichten auf diverse Ausflüge und dem Versprechen, mich nicht mehr zu zwingen viel zu essen, umzustimmen, aber ich traute wohl dem Frieden nicht. Viel später erfuhr ich, dass mein Vater keinesfalls gewillt war, meine "Kur" vorzeitig abzubrechen, weil er Nachforderungen der Krankenkasse (HEK) befürchtete. Ob sich das bewahrheitete, weiss ich nicht. Jedenfalls setzte meine Mutter sich durch.
Den anderen entscheidenden Unterschied machten die drei jungen Menschen, die unter anderem das Briefeschreiben beaufsichtigten ohne unrechtmässig einzugreifen. Sie waren einfühlsam, respektvoll und erfüllten ihre Aufgabe ohne uns Kinder zu entwürdigen. Tausend Dank den Dreien! Aber auch deren positive Präsenz reichte zum Bleiben nicht aus.
Welche Spuren hat das bei mir hinterlassen? Ich hatte Glück, die Sache lief für mich glimpflich ab und es blieb nicht mehr als eine unangenehme Erinnerung verbunden sogar mit einem schönen Moment der Empathie meiner Mutter.
Gänzlich unverständlich ist mir, wie meine Eltern, vermutlich nur ein Jahr später, vor dem Hintergrund der mit mir gemachten negativen Erfahrung, einem solchen Aufenthalt nochmal zustimmen konnten, diesmal für einen damals 12-jährigen Bruder. Er wurde in ein (kirchlich verwaltetes?) Heim nach Bad Salzuflen verschickt. Er war zu diesem Zeitpunkt bei guter Gesundheit aber von diversen früheren langen Krankenhausaufenthalten traumatisiert und zumindest ehemals Bettnässer. Nach sechs langen Wochen kam er völlig verwahrlost, verstört und erneut schwer traumatisiert wieder nach Hause. Da hat der Mutterinstinkt versagt und wahrscheinlich die Arzthörigkeit obsiegt. Er hat heute die mutmasslichen Grauen tabuisiert, mir tun sie in der Seele weh.
Bei der grossen Zahl der verschickten Kinder mögen diese Aufenthalte für manche hoffentlich auch positiv oder wenigstens nicht traumatisierend gewesen sein. Es war aber wohl in erster Linie ein erfolgreiches Geschäftsmodell unter dem impliziten Vorwand, dem Wohl des Kindes und der Familie zu dienen, denn es darf bezweifelt werden, ob so viele Kinder wirklich eines Kuraufenthaltes bedurften. Das Geschäftsinteresse vermischte sich zuweilen dann qualvoll mit der in dieser Zeit vorherrschenden giftigen Pädagogik und deren kriminellen Auswüchsen nach der verächtlichen Devise 'mit Kindern kann man es ja machen'.
Hallo! Ich heiße Kerstin und habe erst heute von Euch erfahren. Es war für mich sehr befreiend, hier Erfahrungsberichte über das "Lenzheim" in Amrum zu lesen!
6 Wochen Hölle. Von der ersten Sekunde an.
Ich war 8 Jahre alt.
Trauma pur. Gebrochenes Kind.
Das Schlimmste war, dass sie den Kontakt zu den Eltern so erfolgreich unterbrechen konnten. Ich erinnere mich an einen Brief, den ich meinen Eltern schrieb..."Wenn ihr mich liebhabt, holt mich hier raus!" Diesen Brief haben meine Eltern nie erhalten.
Sadismus war in dieser Einrichtung normal.
Ich musste zur Strafe immer wieder nachts auf einem Stuhl sitzen. Von dort konnte ich auf den Hafen und das Meer blicken durch die Scheiben des Speiseraumes. Hatte viele Fluchtfantasien. Sonntags mussten Sonntagsschuhe getragen werden. Auch wenn die nicht eingelaufen waren und schmerzlichste Blasen verursachten. Bequeme Kinder-Gummistiefel waren verpönt bei den heiligen Tanten .
Essen wurde absichtlich so gestaltet, dass es ungenießbar war ( in meinem Fall haben sie mir kalte Butterflocken auf die Suppe gelegt, obgleich meine Mutter bei der Anmeldung extra darauf hingewiesen hatte, dass das Kind keine Butter isst), ich wurde dort geschlagen von der Heimleiterin höchstpersönlich, man hat uns gedemütigt, unsere Pakete konfisziert, den Rest an Trost (Kuscheltiere) weggenommen, man hat Schamgrenzen durchbrochen ( erinnere mich an diese Heiß-Kalt-Duschgänge im Keller. Mit den Füßen im Wasser. Wir Mädchen mussten da nackt durch und die Jungs in unserem Alter durften zugucken.
Es war wie eine einzige riesige Strafe.
Hallo,
ich war etwa im Frühjahr 1970 auf der Insel Amrum im Sanatorium Dr.Ide auf Amrum. Da war ich 8 Jahre. Ich erinnere mich, das ich während der Zeit Geburtstag hatte. Es war entsetzlich. Das Heimweh, Post von den Eltern war nicht erlaubt. Eines Nachts wurde ich aus dem Bett geholt. Nachdem ich im Dunkeln Ohrfeigen bekam wurde ich mit Bettzeug in den Flur in eine Ecke gestellt und habe dort die Nacht verbringen müssen. Beim Essen musste aufgegessen werden, wenn nicht wurden wir mit dem Gesicht in den Teller gedrückt..! Auf diesem Weg möchte ich Schluss mit der Heimlichkeit machen und mir die Scham nehmen, die ich noch immer habe...! Viele Grüße, Michael
Verschickungsheim: Kindererholungsheim auf Amrum, Nebel/Satteldüne
Zeitraum-Jahr: 1969
Da ich mit 7 Jahren zu klein und zu dünn war und zudem Neurodermitis und Asthma hatte, wurde ich im November/Dezember 1969 für sechs Wochen nach Amrum ins Kindererholungsheim in Nebel verschickt.
Empfohlen hatte meiner Mutter dies offenbar ein Schularzt.
Da das große Heim renoviert wurde, wurden wir in den ersten Wochen in der "Liegehalle" in Satteldüne untergebracht. Das war ein einstöckiger, flacher Bau, der zum Meer hin über seine ganze Länge aus Fenstern bestand. Angrenzend an unseren Schlafsaal gab es noch einen kleinen Nebenraum, der als Garderobe genutzt wurde.
Nachts habe ich mir oft erträumt, meine Eltern warten in diesem Raum auf mich, um mich abzuholen...
Ich erinnere mich an einen schweren Asthmaanfall, wegen dem ich auch tagsüber im Bett war, als einziges Kind im Schlafsaal.
Ein Mädchen aus unserer Gruppe hat regelmäßig ins Bett gepieselt und wurde dann am Morgen von den Tanten in ihrem nassen Nachthemd in den Schnee nach draußen geschubst. Nach einer Weile durfte sie wieder rein und wurde dann unter die kalte Dusche gestellt. Alle Kinder sollten zuschauen, zur Abschreckung.
Als ich beim Essen vor lauter Heimweh weinend mein Essen nicht essen konnte, musste ich so lange allein am Tisch sitzen bleiben, bis ich mein kaltes, mit Rotz und Tränen vermengtes Essen nach Ewigkeiten endlich würgend hinuntergebracht habe.
Als die Tanten meinten, ich hätte bei einer Kindertheater Vorführung zu viel geschwatzt, wurde ich nach Ende der Vorführung an meinen langen Haaren die Treppe runtergezogen und zusammengeschrien.
Es gab regelmäßige Gruppenuntersuchungen, bei denen der Arzt zum Abschluss unsere Unterhosen am Rand nach vorne zog und hineinsah. Wir wurden "entlaust", mussten unsere Köpfe über ein weißes Blatt Papier beugen und wurden dann mit einem Nissenkamm drangsaliert.
Ich habe mich während dieser Untersuchungen sehr geschämt.
Als ich nach 6 Wochen endlich wieder im Lübecker Hauptbahnhof ankam, waren meine Eltern über den Zustand meiner Haut entsetzt. So schlimm war meine Neurodermitis vorher noch nie gewesen.
Im selben Jahr, allerdings schon im Sommer, war mein Bruder, 6 Jahre alt, in Bad Sachsa zur Verschickung. Es war traumatische für ihn. Unter anderem musste er sein erbrochenes Essen aufessen.
Sehr geehrte Frau Röhl,
vielen Dank für Ihr Engagement, ohne das ich auf dieses in der Öffentlichkeit verdrängte Problem nicht aufmerksam geworden wäre. Hier folgt meine Geschichte aus der Erinnerung:
Meine Zwillingsschwester und ich wurden mit 4 Jahren, einige Monate vor unserem 5. Geburtstag, zur "Kindererholung" auf die Insel Amrum verschickt, nach Wittdün/Nebel. Wie ich später erfuhr, gehörte das Kindererholungsheim "Lenzheim" in den 60iger-Jahren der evangelischen Kirche, die einen "Lenzheim-Heimstätten-Verein" in Kurhessen-Waldeck (Sitz Kassel) gegründete hatte, der Bestandteil der Inneren Mission war (vermutlich war das Heim auch schon 1959 im Besitz der Kirche, aber das werden Sie stimmt schon recherchiert haben. Vielleicht können Sie mich mal darüber informieren. Vielen Dank.).
Das Heimweh von uns kleinen Kindern war grenzenlos und besonders meine Schwester litt besonders darunter. Sie weinte ständig und hatte Angstträume, so dass die "Tanten" sie öfter nachts zu mir ins Jungenzimmer brachten, damit sie sich mit mir zusammen im Bett schlafend beruhigen konnte. Die Schlafräume waren vollgestellt und ich hatte selbst auch Einschlafprobleme, da ich so viele Menschen auf engstem Raum nicht gewohnt war.
Dass man beim Essen so lange sitzen bleiben musste, bis alles aufgegessen war, erinnere ich auch noch und auch daran, dass eines Tages der Abfalleimer, in den die Apfelreste gegeben wurden, nochmal an uns Kinder zurück gereicht wurde, mit der Begründung, wir hätten die Äpfel nicht genug abgegessen. So mussten alle Kinder sich einen Apfelrest aus dem Eimer nehmen (der natürlich nicht ihr eigener war) und ihn abknabbern.
Die schlimmste Erinnerung für mich war das Duschen abends, wenn wir vom Spiel am Strand zurück kamen. Duschbrausen, die unter der Decke hingen, kannte ich von zuhause nicht und wurde ohne Vorwarnung darunter gestellt. Dann schoss das Wasser mit großem Druck herab, und ich hatte das Gefühl, zu ertrinken oder zu ersticken. Jedesmal, wenn ich zur Seite sprang, wurde ich mit Gewalt zurück gedrängt, festgehalten und es gab auch Schläge aufs Gesäß. Ein-oder zwei anderen Jungen erging es ähnlich und wir mussten "als Strafe" zum Schluss länger als die anderen Jungen weiter duschen. Dazu wurde wechselweise das Wasser erst heiß und dann kalt aufgedreht und sollte unserer "Abhärtung" dienen. Ich hatte jeden Tag Angst vor dem Duschen und konnte das Spiel am Strand nie richtig genießen, weil ich bereits an den Abend unter der Dusche denken musste.
Auch das Waschen morgens in den kalten Räumen, nackt, und das Zähneputzen mit Salzwasser sind noch heute in meiner Erinnerung.
Ich kam als verängstigtes Kind zurück und blieb es über viele Jahre. Dazu gesellte sich ein übergebührlicher Respekt vor "Autoritäten", denn der eigene Wille war teilweise gebrochen worden, zusammen mit einem Verlust des Vertrauens in andere Menschen. Bis heute habe ich Schwierigkeiten mit Menschenansammlungen und suche in Theater, Kino usw. zuerst den "Notausgang" als Fluchtmöglichkeit. Ich bevorzuge dort immer einen Sitzplatz an einer Seite und kann nur mit größtem Unbehagen irgendwo in der Mitte sitzen.
Soweit meine erinnerte Geschichte. Ich bin noch im Besitz von 2 persönlichen Fotografien aus der damaligen Zeit und meine Schwester besitzt ein kleines Foto-Andenken-Mäppchen zum Aufklappen vom "Lenzheim", welches uns als Souvenir zum Abschied mit gegeben wurde. Es ist ein böses Andenken.
Das Mädchen aus dem Bus auf der Hinfahrt neben mir weinte direkt bei unserer Ankunft durch den komissmäßigen Befehlston in ein- oder zwei Wortsätzen. Ich tröstete sie und meinte, daß sei bestimmt nur am Anfang so. Am nächsten Tag war ich das Kind mit dem größten Heimweh...
In unsere Gruppe/Zimmer hatten wir eine sehr nette und liebevolle "Tante" Heidi. Bei ihr fühlten wir uns geschützt. Sie hat mit uns schöne Spiele drinnen und draußen gespielt und hat mir die Karten meiner Großmutter vorgelesen, die in sytterlin geschrieben waren. Dennoch herrschte außerhalb ihrer Dienstzeit ein strenges Regiment. Wir würden gezwungen aufzuessen, auch wenn es später erbrochen wurde. Wir mussten lange Strophen Lieder auswendig lernen. Wer sie nicht konnte wurde verhauen auf dem Boden liegend. Kinder, die ins Bett machten bekamen abends nichts mehr zu trinken. Der Ton außer unserer Heidi war komissmäßig. Mich persönlich traf es nicht, aber ich litt mit den anderen. Wir haben in unserem Zimmer mit ca. 5 Kindern zwische 7 und 13 Jahren (ich war 9) den Plan geschmiedet auszureißen. Wir bekamen 1 x pro Woche unseren Koffer vom
Dachboden zur Entnahme frischer Wäsche. Wir haben dann ein paar mehr warme Sachen rausgeholt um am Folgeabend nach dem letzten Kontrolldurchgang durch das Fenster im Erdgeschoss nach draußen zu klettern und uns auf den Weg zu Fuß nach Wittdün zum Fähranleger zu machen. Dort wollten wir mit der nächsten Fähre nach Dagebüll als blinde Passagiere ? übersetzen um dort der Polizei zu schildern wie man mit und umgeht und sie bitten uns nach Hause zu bringen. Unsere Diskussion über die Polizei Amrum hatten wir schnell beendet, da wir vermuteten, dass sie uns wieder zurückbrächten und wir dann vielleicht totgeschlagen werden. Am Tag vor der Durchführung unseres Plans kam eine Karte von meinen Eltern, die von meinem Heimweh wussten, dass sie auf Amrum nun ein Zimmer hätten, sie mich zwar nicht besuchen dürften, aber ich sie in meiner Nähe wüsste. Dadurch konnte ich nicht mehr mit weglaufen - war ja keiner zu Hause - und die anderen wollten ohne mich nicht - es wäre eine Katastrophe geworden.
Zu welchen Entscheidungen Kinder getrieben wurden ist aus heutiger Sicht unglaublich.
Verschickungsheim: Kinderkurheim Johnen in 7823 Bonndorf
Zeitraum-Jahr: Frühjahr 1964
Hallo zusammen!
Ich wurde im Frühjahr 1964 als Zehnjähriger nach Bonndorf im Schwarzwald verschickt.
Es war mein zweiter Verschickungsaufenthalt, der erste war kurz vor meiner Einschulung als Sechsjähriger. An diesen Aufenthalt auf Amrum habe ich - im Gegensatz zu anderen Erinnerungen aus der Zeit, z.B. meiner Einschulung - trotz Anstrengungen keinerlei Erinnerungen.
Hier mein Text, den ich vor einiger Zeit aufgeschrieben habe:
Als ich es begriff, war es zu spät. Es war Nacht und mein Vater stand da draußen, im fahlen Licht der Neonlampen eines Bahnsteigs des Bremer Hauptbahnhofs, mit ausgebreiteten Armen, die er langsam über dem Kopf zusammenführte und wieder öffnete. Ich schaute aus dem Zugfenster, während er immer kleiner und kleiner wurde, bevor er ganz verschwunden war.
Ich wurde nach hinten gezogen in das warme, feuchte Abteil, das Fenster wurde hochgeschoben und ich befand mich in einem Nachtzug mitten zwischen einigen Kindern und Jugendlichen und einer „netten Tante“, die mir nahelegte, mich jetzt auszuruhen und zu versuchen zu schlafen.
Schon wochenlang vorher hatten die Vorbereitungen begonnen, es wurden nach einer Liste mit Anordnungen Kleidungsstücke zusammengestellt, auf die meine Mutter kurze Stücke einer eigens dafür angefertigten Endlosrolle mit meinem Namen festnähte, es wurde mit (den ersten wasserfesten) Filzstiften Koffer, Taschen, Kleiderbügel und Schuhputzbürsten beschriftet („Blankputzbürste“, „Dreckbürste“, „Braun“, „Schwarz“), immer begleitet von Mutters Kommentaren wie „Hast du es gut, mal alleine richtig in Urlaub fahren, wir können uns das nicht leisten!“, selbst die Nachbarn sprachen mich darauf an.
Ich war gerade zehn Jahre alt geworden und stand vor dem Wechsel von der Grundschule in das Gymnasium, als eine ärztliche Untersuchung feststellte, dass ich leichtes Untergewicht hatte. So stand für meine Mutter bald fest, dass ich in ein Kinderkurheim „verschickt“ werden sollte, wo man mich richtig wieder aufpäppeln sollte.
Bis auf die bedauernswerte Tatsache, dass ich dadurch vorzeitig aus meiner Grundschule entlassen wurde, wußte ich nicht so recht, was ich von alledem halte sollte, vielleicht machten mich die vielen Anpreisungen und Ausdrücke empfundenen Neids auch mißtrauisch.
Ich war fünf Jahre zuvor schon einmal zu einem Kinderkuraufenthalt auf der Insel Amrum gewesen, daran hatte ich aber keinerlei Erinnerungen mehr, was bis heute so geblieben ist; dieser Zeitraum - es mögen vier oder sechs Wochen gewesen sein - ist in dem zugänglichen Teil meines Gedächtnisses nicht abrufbar, mir ist es nie gelungen, irgendein Bruchstück zu aktualisieren, und da ich noch nicht zur Schule ging, es geschah kurz vor meiner Einschulung, gibt es auch keine schriftlichen Nachrichten außer einer von irgend einer Erzieherin geschriebenen Ansichtskarte, die ich mit krakeliger Schrift mit meinem Namen unterzeichnet hatte sowie einem kleinen Andenken-Teller mit eingeritztem Fisch und dem Schriftzzug „Insel Amrum“.
Als ich merkte, was los war, gab es kein Zurück mehr. Ich weiß nicht mehr, ob ich in der Nacht geschlafen habe, ich war wie gelähmt. Irgendwann am nächsten Tag kamen wir nach 750 km in einem Kinderheim in Bonndorf im tiefsten Südwesten Deutschlands in der Nähe der Grenze zur Schweiz an. Jetzt war mir klar, dass meine Eltern mich allein gelassen hatten. Und ich wußte auch, dass sie es wissentlich getan hatten. Und dass ich nichts dagegen tun konnte. Aber ich hatte keine Wut auf sie. Das Gefühl allein zu sein; die Angst davor, dass es sehr lange dauern würde; die Gewißheit, dass ich sehr weit von zu Hause weg war, alles das war so stark, daß ich nicht wütend sein konnte auf sie. Ich wollte nur eins, so schnell wie möglich zurück. Das weiteste, das ich bis dahin von meinem Heimatort entfernt gewesen war, waren Aufenthalte auf den Nordseeinseln, d.h. drei Stunden Fahrt. Ich war zwölf Stunden unterwegs gewesen.
Alles war neu hier, ungewohnt, roch fremd, ich hatte niemanden hier schon jemals gesehen, und alles war voller Schnee, es war der 19.Februar 1964, ich war 10 Jahre alt.
Ich war davon überzeugt, dass meine Eltern nicht wußten, wie es mir hier ging. Sie wußten wohl, daß ich allein war, weg von zu Hause, aber nicht, wie es wirklich war, wie weh das Heimweh tat. Und das bildete mein Hauptproblem: Wie sollte ich Kontakt zu Ihnen bekommen, ich konnte ihnen nichts mitteilen. Wir hatten zu Hause kein Telefon und man hatte uns gleich gesagt, daß Telefonieren sowieso verboten war, vorbehalten für Notfälle. Neidisch bekam ich einmal mit, wie ein Mädchen angerufen wurde, weil es Geburtstag hatte. Ich hatte im Oktober Geburtstag gehabt.
An diesem ersten Tag noch sollten wir nach Hause schreiben, unsere Ankunft bestätigen. Und da entstand mein zweites Problem: Es gab eine Zensur. Briefe und Karten wurden von der Betreuerin durchgelesen. Würde sie kritische Bemerkungen finden, sagte sie, würde sie einem die Post zurückgeben und man hätte sie zu ändern, erst dann sollte sie losgeschickt werden, außerdem war es mir unangenehm, solch persönliche Gefühle von irgend jemand Fremdem gelesen zu wissen. Ich kam mir wie eingesperrt vor, wußte um die isolierte Situation, die endlose, für mich unüberschaubare sechs Wochen dauern würde, und daß ich meinen Eltern nicht das schreiben könnte, was ich fühlte.
Somit beobachtete ich genau, was mit der ausgehenden Post geschah, nachdem sie zensiert worden war. Mir war klar geworden, daß ich vor dieser Kontrolle nichts ausrichten konnte, um meinen Eltern davon zu berichten, wie ich mich hier fühlte, so daß sie wenigstens wüßten, was hier los war und vielleicht in ihrer Post Trost spenden konnten oder sonst was. Es musste der Zeitraum zwischen Kontrolle und Abschicken sein. Ich sah, wohin der Stapel absendefertiger Post gelegt wurde, bevor er zum Briefkasten gebracht wurde, es war eine Anrichte neben der Tür des Aufenthaltsraums. Ich hatte eine Ansichtskarte mit der Abbildung des Heims bekommen und sie mit allerlei üblichen Nebensächlichkeiten beschrieben. Vor dem Abendessen schlich ich mit einem Bleistift in den besagten Raum und erblickte den Stapel. Auf meine Idee war anscheinend sonst niemand gekommen. Endlich fand ich meine Karte und schrieb schnell mit Bleistift an den Rand „Heimweh!“, etwas Besseres fiel mir nicht ein, legte sie schnell zurück und verließ ungesehen das Zimmer. Ich fühlte mich erleichtert, es war mir gelungen, einen Plan zu entwickeln, die Wachen zu umgehen und eine Nachricht nach draußen zu bringen. Bald würden meine Eltern über alles informiert sein und reagieren.
Tagsüber ging es noch, aber am Abend musste ich heulen, nicht nur am ersten Tag. Ich versuchte krampfhaft, mich zurecht zu finden, aber vieles war schwierig, man war fast nie allein. Als Zehnjähriger wurde ich der Gruppe der großen Jungen zugeteilt. Sie ging von 10-13, ich war einer der jüngsten. Sie versuchten, mich zu ärgern, lachten über mich beim Duschen, aber ich hatte sie einigermaßen im Griff.
Morgens saß ich ab da mit sieben oder acht dieser Jungen in einem Erker auf einer Eckbank und es gab Graupensuppe, dazu Butterbrote. Alles war darauf ausgerichtet, daß die Kinder viel zunahmen, also auf mess- und sichtbare Erfolge. Mittags mußte man 1½ Stunden im verdunkelten Zimmer in seinem Bett liegen und sollte eigentlich schlafen. Es herrschte absolute Ruhe und man konnte nicht anders als nachzudenken und traurig zu werden. Abends war es ähnlich. Manchmal kam eine Betreuerin, ich glaube sie hieß Doris, wir mußten sie Tante Doris nennen, und tröstete mich. Ich war über ihre Zärtlichkeit erstaunt.
Endlich kam der erste Brief meiner Eltern: Er war eine große Enttäuschung. Weder Vater noch Mutter hatten verstanden, was ich hatte sagen wollen, sie hatten mein Notsignal nicht empfangen. Ich las etwas von „es ist ja nicht so lange“ in einem Nebensatz, woran ich erkennen konnte, daß sie das Wort gesehen hatten. Aber dass es mit Bleistift geschrieben war, der Rest mit Kuli, dass es isoliert am Rand stand, nicht im Zusammenhang und dass es ein Notruf mit Ausrufezeichen war im Gegensatz zum sonstigen Geplänkel, all das hatten sie nicht verstanden oder verstehen wollen. Ein sehr bitteres Gefühl kroch in mir hoch: Ich konnte nicht auf Hilfe hoffen. Meine weiteren Briefe enthielten harmlose Berichte der Tagesabläufe und ihre Antwortschreiben eben solche Aufzählungen der Banalitäten, die zu Hause passierten, verbunden mit neidvollen Äußerungen, wie gut es mir doch gehen müsse.
So streckten sich die Tage dahin: Aufstehen, Frühstücken, Spazierengehen, Mittagessen, Mittagschlaf, Spazierengehen, Abendbrot, Schlafen. Einmal wurde mir klar, daß es noch schlimmer hätte kommen können. Klaus aus Stade, einer meiner Zimmermitbewohner, bekam eine Blinddarmentzündung. Mitten in der Nacht holte man ihn stöhnend aus unserem Zimmer und brachte ihn ins Krankenhaus, wo er sofort operiert wurde. Einige Male gingen wir auf unseren Spaziergängen am Krankenhaus vorbei. Es war ein großes, graues Gebäude. An einem der oberen Fenster erschien ein kleiner Kopf, ein Gesicht lächelte müde. Es war Klaus. Zwei Wochen später war er wieder da, er durfte von da an nicht mehr Schlittenfahren.
Das Wetter wurde ganz langsam besser, manchmal kam jetzt die Sonne durch und der Schnee begann zu schmelzen, es begann nach einer Vorahnung von Frühling zu riechen, auch war es jetzt endlich länger hell.
Immer öfter bemerkte ich, daß andere Kinder Andenken für Ihre Angehörigen kauften, wenn wir im nahegelegenen Ort an einschlägigen Geschäften vorbeikamen. Ich dachte mir, das mußt du auch tun und erwarb von meinem Taschengeld eine Rehfamilie in Gold: Bock, Ricke und Kitz, die man an die Wand hängen konnte. Darunter stand :“Grüße aus Bonndorf/Schwarzwald“.
Meine Rückkehr schien näher zu kommen. Ich befand mich in einer Art Starre, in der man am besten unangenehme Zustände aushält und lenkte mich mit Träumereien von zu Hause ab. Wenn wir auf einem Spaziergang waren, ging ich kurzzeitig etwas abseits, die Sonne schien mir ins Gesicht, es roch nach Kuhmist, mit dem die Landwirte begonnen hatten, die Felder zu düngen, überall lagen noch angeschmolzene und in der noch tief stehenden Sonne funkelnde Schneeinseln und dann redete ich laut mit meinen Eltern. Es war fast so, als wären sie da, nur daß sie nicht da waren.
Am meisten freute ich mich auf die Ankunft in Oldenburg. Immer wieder stellte ich mir vor, wie mein Zug in den Hauptbahnhof einlaufen würde, eine riesige Menschenmenge, ein Meer aus Menschen stand da, ich etwas erhöht im Zug an der Tür, schaute umher, versuchte meine Eltern in der Menge zu entdecken. Irgendwann beim wiederholten Durchspielen dieser Szene in meiner Phantasie war ich an dieser Stelle auf die Idee gekommen, daß es toll wirken würde, wenn ich mich bemerkbar machen könnte, denn auch meine Eltern würden ja nicht wissen, aus welcher Tür ich aus dem Zug steigen würde.
So brachte ich mir die letzten Wochen bei, auf den Fingern zu pfeifen. Ich wollte die Waggontür öffnen und meinen mit den Augen den Zug absuchenden Eltern laut zupfeifen, so dass sie mich entdecken mussten. Dann würde ich ihnen zuwinken, mich durch die Menge auf sie zu bewegen und sie umarmen und alles wäre wieder in Ordnung.
Nach etwa einer Woche kam der erste Ton, nach zwei Wochen konnte ich auf den beiden kleinen Fingern pfeifen, nach drei Wochen auf allen Fingern. Die Betreuerinnen waren schon genervt, weil andauernd Kinder zu mir kamen, um etwas vorgepfiffen zu bekommen.
Dann war die Ewigkeit vorbei. Wir mussten alle unsere Sachen wieder in die Koffer legen, die Kleidungsstücke säuberlich zusammenlegen, das Schuhputzzeug wieder in den blaukarierten Beutel, den man oben zuziehen konnte usw.
Die Zugfahrt war endlos, allerdings fuhren wir diesmal nicht über Nacht. Es ging frühmorgens los und wir würden spät abends in Oldenburg sein. Schon im Laufe des Vormittags stiegen die ersten Kinder aus, die in Süddeutschland wohnten, auch Carmen Fensterer aus Ludwigshafen, die ich zuletzt richtig toll gefunden hatte. So ging es den ganzen Tag über weiter, auch mein Abteil leerte sich mehr und mehr. Spätabends waren nur noch eine Betreuerin und ich da, das vorletzte Kind war in Bremen ausgestiegen. Endlich kamen wir in Oldenburg an, aber die Wirklichkeit unterschied sich von meinen Träumen. Niemand war mehr im Zug und auch niemand stand auf dem Bahnsteig, außer meinem Vater, der etwas müde wirkte, sich aber freute, mich wiederzusehen. Meine lange geplante Ankunftsaktion vergaß ich. Als wir zu Fuß vom Bahnhof nach Hause gingen, trug er meinen Koffer.
Immerhin habe ich gelernt, auf Fingern zu pfeifen.
Verschickungsheim: Schönsicht in Berchtesgaden, Seehospiz Norderney, Lenzheim Amrum, Seehospiz Norderney, St.Peter Ording Haus Köhlbrandt
Zeitraum-Jahr: 1985…1986…1988 oder 1989...1990, 1991
Hallo,
Ich habe mich bereits vor einem Jahr hier eingetragen, nun sind Erinnerungen dazugekommen und ich möchte meinen alten Eintrag gerne ergänzen, wenn das möglich ist.
Mit 5 Jahren,1985 kam ich für 6 Wochen in das Sanatorium Schönsicht in Oberkälberstein,ich habe noch zwei Briefe, von meiner Mutter und meiner Oma. In den Briefen werde ich ermahnt gut zu essen und zuzunehmen und nicht so ein Trotzkopf zu den Tanten zu sein. Meine Mutter wundert sich darüber, dass ich am Telefon so wenig gesagt hätte.
Zwei der Tanten werden namentlich erwähnt, es gab ein Fräulein Lehmann und eine Frau Raschke, die von meiner Mutter extra Geld erhielten für Ausflüge, die wir niemals machten.
Die Zugfahrt erinnere ich noch gut, ich wurde in ein Abteil mit anderen Kindern gesetzt, viele weinten bitterlich, auch ich. Eine Frau, sie sagte, wir sollen sie Tante nennen, sang Schlaf Kindlein Schlaf. Daraufhin bekam ich furchtbare Angst, dass meiner Mutter etwas in Pommerland zugestoßen war, und ich deshalb alleine sein mußte. Als ich die Tante fragte, wo Pommerland sei, bekam ich zur Antwort, dass ich dumm sei.
Meine Erinnerungen an das Heim sind spärlich. Es muß furchtbar gewesen sein und ich muss dort, zur Strafe, in einen dunklen Raum alleine eingesperrt gewesen sein. Bis heute habe ich schreckliche Platzangst, und meide dunkle Räume ohne Fenster.
Ich glaube auf den Postkarten die Besenkammer wiederentdeckt zu haben. Sie war an der Treppe, und immer wenn ein Kind dort eingesperrt wurde, wegen kleiner "Vergehen", klopften die anderen Kinder im vorbeigehen kurz von außen an die Türe, um dem Kind in der Besenkammer zu zeigen, dass sie an es dachten. Das gab natürlich Ärger. Erinnert sich irgendwer an die Besenkammer?
Ich erinnere mich ins Bett gemacht zu haben, und dafür schlimm bestraft und ausgeschimpft worden zu sein, dass es im Vertrag stehen, Bettnässser würden nicht aufgenommen werden. Ich wurde an den Haaren gezogen.
Ich wurde zum Essen gezwungen, ich musste so lange sitzenbleiben bis der Teller leer war. Ich weiß noch wie verzweifelt ich war. Ein größeres Mädchen half mir manchmal, und aß meinen Teller auf, sie bekam dafür meinen Nachttisch. Ich möchte mich bei diesem Mädchen bedanken, dafür, dass es mich gerettet hat, falls es hier mitliest.
Ich erinnere mich daran, dass ich oft mit Hut stundenlang Ecke stehen musste, abends im Gemeinschaftsraum, während die anderen spielten oder einen Film ansahen. Warum weiß ich nicht mehr.
Ich war nicht katholisch getauft, und ich erinnere mich, dass ich deshalb besonders ekelhaft behandelt wurde.
Ich konnte noch nicht schreiben, deshalb weiß ich nicht, wie das in diesem Kurheim mit der Post ablief, aber eine tiefe Wut über Ungerechtigkeiten bleibt als Erinnerung darüber zurück.
Ich kann mich nur an einen einzigen Ausflug erinnern. Wir mussten im Salzbergwerk eine riesige Rutsche runterrutschen und ich hatte wahnsinnige Angst davor und weigerte mich, dafür wurde ich angebrüllt, und die Rutsche runtergeschubst. Danach sollten wir Andenken für zu Hause kaufen. Ich kaufte einen kleinen Teelöffel mit dem Wappen von Berchtesgaden. Die Tante erklärte mir danach, dass nun mein Geld aufgebraucht wäre, und ich weiß noch, dass ich es ihr nicht glaubte, aber nichts tun konnte.
Als ich nach Hause kam, hatte sich meine Mutter gewundert, dass ich zugenommen hatte und dass ich sie nicht mehr aus den Augen ließ. Sie erzählte mir, dass ich sie nichteinmal alleine zur Toilette gehen ließ.
1986 kam ich für 4 Wochen in das Seehospiz.
ich besitze noch eine Postkarte meiner Oma, deshalb kann ich genau sagen wann und wo. Danach 1990 war ich nocheinmal auf Norderney, doch da habe ich keine Dokumente mehr darüber.
Im September 1986 war ich 4 Wochen im Seehospiz , Station 8 in 2982 Norderney.
Es war schrecklich dort, ich versuche meine Erinnerungen aufzuschreiben, und es werden später mehr dazu kommen.
Meine Familie besuchte mich dort, und meine Mutter holte mich dann für kleine Ausflüge manchmal ab. Sie erzählte mir, dass sie Schwierigkeiten hatte mich dort abzuholen, und dass sie runtergemacht wurde, wenn sie etwas zu spät war, beim zurückbringen.
Ich erinnere mich, dass wir zu den Schlafenszeiten nicht zur Toilette gehen durften, und nicht miteinander sprechen. Eine Tante ging den Flur auf und ab und rief dann immer : "Zimmer 12 , Ruhe!" Wenn sie etwas hörte. Ich hatte ein älteres Mädchen auf dem Zimmer, was sich irgendwie um mich kümmerte. Ich erinnere mich daran, dass ich froh war, weil sie nett war zu mir. Sie brachte mir Schuhebinden bei, und gab mir Tipps, wie ich es ertragen konnte, bei der Mittagsschlafzeit den Blasendruck auszuhalten. Sie sagte: " Wenn du ganz dolle die Beine zusammenpresst und dich nicht bewegst, und den ersten Ansturm von dem Druck der Blase überstehst, auch wenn es weh tut, dann hört es danach wieder auf, der Druck verschwindet für eine Weile, und du kannst es bis nach der Schlafenszeit durchhalten. Wenn der Druck aber ein zweites Mal wiederkommt, dann mußt du zur Toilette gehen, und hoffen, dass die Aufsichtstante dich nicht erwischt, weil du sonst keine Chance mehr hast es aufzuhalten und ins Bett machen wirst." Was eine noch viel schlimmere Strafe nach sich ziehen würde, als in der Mittagsschlafzeit beim heimlichen Gang aufs Klo erwischt zu werden.
Noch heute habe ich dieses "Training" verinnerlicht und kann lange ohne Toilette durchhalten. Ich muß mich dann immer bewußt dran erinnern, dass ich ja zur Toilette darf, wann ich möchte.
Wir bekamen zu wenig zu trinken, und hatten immer Durst. Es gab nur zum Essen diesen roten Tee, eine Tasse. Eine Tasse pro Mahlzeit. Er schmeckte schrecklich und wurde in orangen Plastikbechern serviert, die schon von den vielen Kurheimkindern ganz rauh und abgekaut waren. Wir tranken Wasser aus den Hähnen im Waschraum, wann immer wir konnten, aber die Strafen waren hart, wenn wir erwischt wurden. Außerdem war das Problem, dass ich dann zur Schlafenszeit Druck auf der Blase bekam.
Wir mussten mit dem Gesicht zur Wand schlafen. Selbst wenn ich mich im Schlaf Mal umgedreht hatte, wurde ich mit barschem Ton geweckt: "Umdrehen! " Oder "Gesicht zur Wand! "geweckt und ich musste mich wieder mit dem Gesicht zur Wand drehen.
Die Kinder, die einnässten oder sich übergeben mussten, wurden bloßgestellt, und mussten es mit ihren eigenen Sachen saubermachen.
Ich erinnere mich an lange Märsche mit Sprechverbot in 2 er Reihen ohne etwas zu trinken durch die Dünenlandschaft. Der Wind trieb uns den Regen und den Sand quer ins Gesicht, es schmerzte.
Ich erinnere mich, dass die Post nach Hause zensiert wurde. Es gab ein Schreibzimmer, in das man nur dürfte, wenn man schon schreiben konnte, sonst mußte man den Tanten einen Brief diktieren. Ich weiß noch, wie neidisch ich auf die Kinder war, die ins Schreibzimmer durften. Die Briefe von zu Hause wurden laut vor allen vorgelesen und kommentiert. Wenn wir ein Päckchen bekamen wurde der Inhalt enteignet und an alle Kinder nach dem Essen als Nachttisch verteilt. So bekam nach dem Essen dann jedes Kind ein Gummibärchen.
Da wir das ungerecht fanden, behielten wir irgendwie heimlich die Gummibärchen aus einem Päckchen, welches ich bekommen hatte, von zu Hause. Wie wir das anstellten, weiß ich nicht mehr. In der Mittagsschlafzeit schlichen wir uns in das Zimmer der Jungs, und aßen die Gummibärchen auf. Durch den plötzlichen Zuckerkick wurden wir aber übermütig und begannen auf den Betten rumzuhüpfen. Natürlich wurden wir erwischt, es gab Ohrfeigen und ich wurde in der Krankenstation isoliert, während die Anderen alle beim Essen meine restlichen Süßigkeiten bekamen.
Ich war irgendwie öfter auf dieser Krankenstation. Dort musste ich den ganzen Tag auf einer orangenen Arztliege liegen, unter einer grauen kratzigen Rot Kreuzdecke. Einmal war ein Mädchen dabei, sonst war ich dort alleine.
Ich musste zunehmen, also hatte ich immer riesen Portionen Grießbrei mit abgebrannter Milch vor mir stehen, die ich aufessen müsste. Ich saß Stunden vor diesem Teller und hatte Angst, das Essen würde mir mit Gewalt reingeschoben werden.
Das Fiebermessen war eine Qual, wir mussten auf dem Bauch liegen und die Thermometer wurden brutal und schmerzhaft in den Hintern gesteckt.
Ich erinnere mich noch frierend in langen Schlangen in Unterwäsche anzustehen, vor dem Arztzimmer, zum wiegen oder was auch immer dort gemacht wurde. Ich hatte und habe heute noch immer wahnsinnige Angst vor Ärzten.
Meine Erinnerungen an die Nordseekurheime verschwimmen miteinander. Ich war1988 oder 1989 auf Amrum im Lenzheim, da erinnere ich nicht mehr viel, nur: es gab wieder zu wenig zu trinken und lange Märsche um die ganze Insel.Die Zeit dort muss schlimm gewesen sein, ich habe noch eine sehr düstere Kinderzeichnung von mir über das Lenzheim und kaum Erinnerung.
Die nächste Erinnerung kann ich nicht klar zuordnen, ich denke, es war im Seehospiz, aber es könnte auch das Lenzheim gewesen sein. Sicher bin ich mir, dass es in einem der beiden Heime stattfand, sobald konkretere Erinnerung zurückkehrt, werde ich es zuordnen können, daran arbeite ich noch. Ein Besuch vor Ort könnte helfen.
**********"Triggerwarnung**********
Ich erinnere mich an sexuelle Gewalt von Seiten der Ärzte. Es waren mindestens 2 Täter. Sie baten mich in das Arztzimmer, sie trugen weiße Kittel. Sie sprachen über mich, einer sagte dem anderen, ich sei ja schon ganz gut "trainiert". Er sperrt die Türe ab. Danach wurde ich von ihm sexuell missbraucht.
****************************************
In St. Peter Ording, Haus Köhlbrand und wieder auf Norderney im Seehospiz war ich in den 90 ern zur Mutter Kind Kur. Die Zustände für mich hatten sich etwas gebessert.
[b]Ich war Nummer 55 [/b]
[b]Angst war das stets vorherrschende Grundgefühl[/b]
Ich wurde als 8-Jährige im Oktober 1967 für 6 Wochen in die "Kur" geschickt, auf Empfehlung des Arztes, da ich ständig unter Nebenhöhlenentzündungen litt. Auch hatte ich kurz vorher eine durch Mumps ausgelöste Gehirnhautentzündung hinter mir. Ich vermute, der Arzt wollte meine Mutter entlasten, ich war das 2. von 4 Kindern wir waren alle im Abstand von nicht einmal 2 Jahren zur Welt gekommen. Wie ich aus alten Fotoalben nun entnehmen kann, war mein Vater zur gleichen Zeit wie ich zur Kur und da dachten meine Eltern wohl, es wäre ganz gut, wenn wenigstens ein Kind weniger zuhause zu versorgen ist. Meine jüngste Schwester war damals 4 Jahre alt.
Ich freute mich auf das Meer, denn die Kur sollte auf Amrum sein und ich war schon häufiger mit den Eltern im Urlaub an der See gewesen. Auch waren wir Kinder zu viel Selbständigkeit erzogen worden und kannten Übernachtungen ohne Eltern bei Freunden oder in der Verwandtschaft. Heimweh hatte ich dabei nie. Übernachtungen woanders empfand ich immer als spannendes Abenteuer. Dieses versprach auch ein Abenteuer zu werden. Zur Vorbereitung auf die Reise half ich meiner Mutter beim Kennzeichnen meiner Kleidung und der persönlichen Gegenstände. Heute besitze ich tatsächlich noch Kleiderbügel und das Schuhputzzeug aus der Zeit. Ich war Nummer 55.
Leider weiß ich nicht mehr den Namen des Heims. Ich dachte immer, es hieße „Haus Nebel" aber ich finde bei Internetrecherchen kein solches Haus. Ich habe noch zwei Fotos, einmal im Speisesaal und ein Gruppenfoto draußen. Es könnte die "Kindererholungsstätte Lenzheim" in Wittduen sein.
Schon der erste Tag war ein Schock, dem viele gefühlte unendliche Tage mit fürchterlichem Heimweh folgten.
Ich wurde in einem Zimmer mit 3 weiteren Mädchen untergebracht, die Jüngste war 4 Jahre alt. Wir sollten unsere Betten beziehen. Damals gab es noch keine Spannbettlaken, also kämpften wir mit, für uns, riesigen Bettlaken und dem Bettzeug. Als ich sah, dass die Kleinen das Bett nicht beziehen konnten, half ich ihnen. Alle Betten waren bezogen, so gut, wie es eben kleine Kinder vermochten, als die „Tante" reinkommt. Sie kontrolliert, sieht ein paar Falten auf den Laken und - ich kann es bis heute nicht fassen - reißt alle Laken von den Betten und auch das ganze Bettzeug wieder runter. Es sei nicht ordentlich und wir hätten alles wieder neu zu machen. Schon an diesem ersten Abend weinte ich mich mit Heimweh in den Schlaf. Ich verstand nicht, wie ein Erwachsener so etwas machen konnte.
[b]Weitere Drangsalierungen folgten:[/b]
- Zum Frühstück gab es ein Stück Schwarzbrot, Pfefferminztee und unsäglich ekelhafte Milchsuppe mit entweder dicken salzigen Mehlklumpen oder Sago, das so glibberig wie Froscheier in der Suppe schwamm. Schon lange mochte ich keine warme Milch mehr. Also aß ich nur das Stück Schwarzbrot, zeigte auf und bat höflich um ein zweites Brot. Oh nein, wie konnte ich nur. Ich solle die „gute“ Milchsuppe essen. Doch mir kam jedes Mal, wenn ich nur den Löffel zum Mund führte, der Würgereiz. Nach einiger Zeit, alle Kinder waren schon aufgestanden und fertig mit dem Frühstück, saß ich alleine im Speisesaal vor meiner inzwischen erkalteten Milchsuppe. Da kommt die „Tante", setzt sich neben mich, fasst mir in den Nacken, hält meinen Kopf fest und stopft mir in Sekundenschnelle das unsägliche Essen in den Mund, so dass mir nichts anderes übrig bleibt, als zu schlucken. Nachdem der Teller leer war, überkam mich so ein Ekel, dass ich mich umdrehte und mich übergab. Ich bekam einen Lappen musste das Erbrochene aufwischen. Als ich vom Boden wieder hochkam und auf den Tisch blickte, stand erneut ein Teller mit der ekelhaften Pampe vor mir. Das ging so lange, bis ich das Essen bei mir behalten habe. Ab da entwickelte ich für morgens folgende Strategie: Luft anhalten, die Pampe so schnell es geht in mich hineinzwingen und danach ganz lange an dem Schwarzbrot kauen, damit der Geschmack neutralisiert wurde. Noch heute bekomme ich einen Würgereiz, wenn ich an warme Milch denke.
- Vor Heimweh krank, schrieb ich meiner Mutter, sie möge mir meine Babypuppe, die ich innig liebte und immer meine Trösterin war, zu schicken. Die „Tante“ kommt in das Zimmer, sagt: „Hier ist ein Päckchen für dich“, dann reißt sie es auf. Erblickt die Puppe, lacht höhnisch, reißt die Puppe an einem Bein aus dem Päckchen und schmeißt sie mit voller Kraft und verachtendem Blick auf mein Bett. Meine geliebte Puppe… Ich war doch noch ein kleines Mädchen! Ich verstand die Welt nicht mehr. Die mitgeschickten Süßigkeiten wurden von der „Tante“ konfisziert.
- Nach dem Mittagessen gab es immer eine 2-stündige Mittagsruhe, in der wir regungslos in unseren Betten liegen mussten, denn jede Bewegung wurde von den „Tanten“, die draußen im Treppenhaus auf einem Stuhl saßen und Wache hielten, registriert und sanktioniert. Jetzt war es aber so, dass ich meistens nach dem Mittagessen auf die Toilette musste. Selbständig wie ich war und auch selbstverständlich, wie ich fand, stand ich auf und ging zur Toilette. Die wachhabende „Tante“ war gerade in einem anderen Zimmer zur Kontrolle. Auf dem Rückweg von der Toilette in mein Zimmer, fing sie mich jedoch ab und fragte, was ich außerhalb des Bettes gemacht habe. Wahrheitsgemäß antwortete ich ihr. Daraufhin schlug sie mich und verbot mir, jemals wieder in der Mittagspause auf die Toilette zu gehen. Die Folgen waren Dauerverstopfung und ständige Bauchschmerzen während der 6 Wochen.
[b]Überhaupt, nach Hause schreiben ging zwar, allerdings wurden unsere Briefe und Postkarten zensiert[/b]. Während der ganzen 6 Wochen überlegte ich krampfhaft, wie ich meiner Mutter mitteilen könnte, dass sie mich abholen soll, überlegte Organisationspläne, wer in der Zeit auf meine Geschwister aufpassen kann und welcher Bus wohl bis an die Küste fährt und mit welchem Schiff meine Mutter mich abholen kommt. Aber ich wusste, eine Nachricht per Brief konnte ich ihr nicht schicken.[b] Denn folgendes Grausame ereignete sich:[/b]
Eines Tages kam der Heimleiter, vor dem alle am meisten Angst hatten, in den Speisesaal. Er ging zu einem Mädchen, das ein Jahr älter als ich war und befahl ihr, aufzustehen. Nun stand sie vor ihm, er hatte einen Brief in der Hand und las vor allen im Saal laut vor:[i] „Liebe Eltern, hier ist es ganz schlimm, bitte holt mich ab… Mir geht es schlecht..."[/i] Nachdem er den Brief zu Ende gelesen hatte, fragte er sie ob sie das geschrieben habe. Sie bejahte, daraufhin nahm er den Brief und schlug ihr damit mehrmals rechts und links ins Gesicht, dabei schrie er sie schrecklich an, wie sie nur solche Lügen verbreiten könne. Sie musste sich dann hinsetzen und vor allen Kindern einen von ihm diktierten Brief an ihre Eltern schreiben. Natürlich hat kein Kind mehr wahrheitsgemäß an seine Eltern geschrieben.
[b]Mehr Erinnerungen: [/b]
- stundenlange Gewaltmärsche durch Heidelandschaften
- die älteren Mädchen mussten den "Tanten" abends die Haare auf Lockenwickler drehen
- Morgengymnastik vor dem Frühstück, wobei die weniger sportlichen Kinder von der „Tante“ gehänselt und ausgelacht wurden
- Die Jungen wurden mehr geschlagen als die Mädchen
- Schuhe putzen und dabei auch die von den „Tanten“ und die schrecklichen schwarzen Reitstiefel von dem Heimleiter, der übrigens immer so rumlief, mit aufgeplusterter Reiterhose und diesen schwarzen Stiefeln
- Verzweifeltes Heimweh
- Fluchtpläne entwickeln, z.B. wie kann ich auf einem der Spaziergänge eine unzensierte Postkarte nach Hause auf den Weg bringen, damit man mich aus dieser Hölle abholt. Entweder einem Spaziergänger, der uns entgegenkommt, unbemerkt zustecken oder - wie bekomme ich sie unbemerkt in einen Briefkasten
- Möglichst nicht auffallen, dann haben mich die „Tanten“ nicht im Blick, ständig wachsam sein, keine Fehler machen, permanentes Angstgefühl
[b]Und die ganze Zeit dieses schreckliche Heimweh und ein Gefühl des Ausgeliefertseins[/b]
Meine Eltern erzählten, als die Kinder mit dem Bus zuhause wieder ankamen, seien alle Kinder ihren Eltern weinend in die Arme gefallen. Mein erster Satz zu meiner Mutter war: „Schick bloß Uschi (meine kleine Schwester) niemals dorthin.“ Meine Mutter erzählt auch, dass ich immer wieder gesagt habe, dass ich weglaufen wollte, mich aber das große Wasser (Meer) gehindert habe zu entkommen.
Nach dem Aufenthalt verschlechterten sich meine Schulleistungen. Ich hatte immer schwere Alpträume, bis heute träume ich von Flucht und Angstzuständen.
Lange hatte ich in meiner kindlichen Fantasie die Rache-Vorstellung, als Erwachsene dorthin zu reisen und die „Tanten“ und den Heimleiter zu erschießen. (krass, dass man mit 8 Jahren so etwas denken kann)
Mein Vater hat einmal erzählt, er hätte sich mit anderen Eltern zusammengetan und sie seien gegen das Heim und die Leitung rechtlich vorgegangen. Deshalb hätte das Haus schließen müssen. Da er leider verstorben ist, weiß ich nicht, ob er die Geschichte nur für mich als Trost erzählt hat oder ob es wirklich geschehen ist. Meine Mutter kann sich daran nicht erinnern. Sie weiß nur, dass sie und mein Vater es absolut bereut haben, eines ihrer Kinder dorthin geschickt zu haben.
Jetzt, mit 61 Jahren, im Rahmen einer Psychotherapie und einer langen psychischen Erkrankung, muss ich mich den Erinnerungen und damit verbundenen schmerzlichen Gefühlen stellen. Mir wurde erst im Rahmen der Therapie bewußt, dass ich traumatisiert wurde. Mir wird nun klarer warum ich auf bestimmte Verhaltensweisen von Menschen in manchen Situationen so und nicht anders reagiere, zum Beispiel wenn ich vor Angst erstarre, unsicher werde und sofort in Tränen ausbreche oder nur noch die Flucht ergreifen will.
Es ist gut, dass das Thema der sogenannten "Kindererholungskuren" mehr Aufmerksamtkeit und Aufarbeitung bekommt.
Nur der Vollständigkeit halber melde ich mich zu Wort. Denn ich habe nichts anderes erlebt als ihr alle. Ich war zur Verschickung auf Amrum. In Wittdün Haus Sonnenschein (so meine starke Vermutung). Ich habe ein genaues Bild von Haus und Umgebung vor mir. Ich kann mich sogar genau erinnern, welchen von meiner Mutter selbstgestrickten Pullover, welche Hose und welchen neuen Anorak ich anhatte. Aber mein Alter weiß ich nicht mehr genau. Zwischen 8 und 10 in jedem Fall. 1962/ 64. Jahre später habe ich Freunden von der Behandlung dort erzählt, glauben konnte es keiner so recht. Auch ich war zu dünn und sollte gemästet werden. Durch 2 Teller Milchsuppe mit Graupen morgens, Nachschlag beim Mittagessen und durch eine merkwürdige Maßnahme am Vormittag. Wir dünnen Kinder wurden bäuchlings ins warme Wannenbad gelegt und mussten dort eine Zeit verbringen (ich habe die Prozedur als stundenlang im Gefühl, war aber bestimmt nicht so lange). Und ich kann mich an einen kleiner schmächtigen Jungen erinnern, der alles schreckliche abbekommen hat. Das Erbrochene essen, im Speisesaal sitzen bleiben bis der Teller leer ist und sich Drohungen anhören musste. Obwohl ich im Unglück noch ein wenig Glück hatte, so hat sich mir dieser Junge ins Gedächtnis gebrannt. Heute würde man "Opfer" sagen. Auch ich habe ein Päckchen von zu hause bekommen. Zuckerschlangen mit Fingerringen
draufgesteckt. Das Kind der Erzieherin (oder vllt. war es auch die Heimleiterin, in jedem Fall beste "BDM Manier") aber hatte die Finger voller Ringe. Wir bekamen keine. Immerhin wurde die Süßigkeit an uns verteilt. An lange Schlangen vor dem Klo egal wie nötig man musste und an Kinder in Unterhosen vor der Arzt Tür kann ich mich erinnern und an Kinder in Unterhosen die um die Höhensonne liefen. Und an eine Woche, in der es nur rote Beete gab. Alle mochten die nicht, alle haben gespuckt. Ich habe erst wieder im Erwachsenenalter rote Beete essen können, so lange war das nicht möglich. Ich kann mich an das Gefühl erinnern, dass einem ewig schlecht war und man immer zu viel im Bauch hatte. Kein Wunder, musste man doch diese Mengen essen. Hat übrigens nichts gebracht. Die paar Pfunde waren schnell wieder weg. Ich bin nicht so sehr gequält worden, musste nicht immer 2 Teller verhasste Milchsuppe essen und wurde auch mal gelobt, wenn ich mehr als sonst gesessen habe. Und ich kann mich an diese wunderschöne Landschaft erinnern, wir waren ja viel draußen. Aber letztendlich war das eine unvorstellbare Zeit. Und Amrum wird bis zu meinem Lebensende mit den 6 Wochen Verschickung zusammengehören. Keiner, der das nicht selbst erlebt hat kann es sich vorstellen.
Verschickungsheim: Kindererholungsheim Thilo, Norddorf, Amrum
Zeitraum-Jahr: 1966
starrating: 2
Vom 06.Juni bis 04.Juli 1966 verbrachte ich - noch nicht einmal vierjährig - meine "Ferien" in Norddorf auf Amrum. Meine Eltern machten parallel auch auf Amrum Urlaub. Ohne mich. Das war damals nicht unüblich. Heute ist das nicht mehr vorstellbar. Sie dachten, daß sie mir damit etwas Gutes tun, daß ich dann unter Kindern bin, mit denen ich spielen kann. Ich erinnere mich an schlimmstes Heimweh, daran, daß ich Angst hatte, daß meine Eltern mich nicht mehr abholen.
Eine Begebenheit hat sich bei mir eingebrannt:
ich lag in einem Gitterbett. An einem Morgen hatte ich ins Bett gesch... Da kam die "Erzieherin" mit allen Kindern. Alle stellten sich um mein Bett und die Erzieherin zeigte auf mich: "schaut, die macht immer noch ins Bett!". Es war grausam. Ich schämte mich fürchterlich.
Ansonsten erinnere ich mich nur noch an Milchsuppe mit Rosinen, die ich gar nicht schlecht fand. Und an ein großes Mädchen, was mit mir das Zimmer teilte und sich ein bißchen meiner annahm.
Auf den wenigen Fotos, die in meinem Album kleben, sehe ich unglücklich aus.
Interessant zu lesen ist der Hausprospekt, den ich auch noch habe. Der klingt nicht unsympathisch. In derzeitigen Pandemiezeiten sehr spannend die Bemerkung, daß man die Kleinkinder mindestens 14 Tage vor der Anreise aus dem Kindergarten nehmen soll, wegen möglicher Infektionsgefahr.
Ich bin als Siebenjährige 6 Wochen ganz allein in einem sogenannten Erholungsheim auf Amrum gewesen.
Mit Erstaunen stelle ich fest, dass ich damit nicht allein bin, offenbar wurden viele in den 1960er und 1970er Jahren verschickt.
Ich wurde Zeuge von Kindesmisshandlungen durch die sogenannten Erzieherinnen, wir haben sie Hexen getauft.
Immer gab es die verhasste Milchsuppe vor dem Mittagessen, die wollten aus uns Stopfgänse machen. Wer sein Mittagessen nicht geschafft hat, wurde so lange am Tisch gelassen, bis man alles, irgendwie musste es ja gehen, aufgegessen hatte. Unterdessen waren alle anderen schon draußen. Einmal habe ich gesehen, wie ein Kind die Blaubeeren-Suppe nicht essen wollte. Da hat eine Erzieherin den kleinen Jungen auf den Schoß gesetzt und ihn gefüttert. Der Junge erbrach sich, das wurde trotzdem reingeschaufelt! Es war schlimm, das mit anzusehen. Wir waren durch solche Methoden gezwungen, auf jeden Fall alles aufzuessen, was serviert wurde.
Es gab nur eine Erzieherin, die freundlich war, an dieser hingen die Kleinen wie die Trauben. Unfassbar, dass sogar Vierjährige dort waren! Ich habe ihnen in der Mittagspause, weil ich nicht schlafen musste, Kinderbücher vorgelesen, das war der Saal der Vierjährigen, die Masern hatten. Überhaupt brachen dort verschiedene Krankheiten aus, zum Beispiel bin ich mit Windpocken nach Hause gekommen. Auch mit Alpträumen und Problemen beim Einschlafen. Diese Probleme habe ich bis heute.
Verschickungsjahr 1977
Ort: Amrum
Name der Einrichtung: keine Erinnerung
Dauer: 6 Wochen
Hallo, ich habe diese Seite und die Aktion dahinter erst kürzlich entdeckt und möchte dies mit meinem kleinen Beitrag unterstützen.
Ich war im Jahr 1977 auf Amrum, keine 7 Jahre alt. An die Zeit habe ich nur bruchstückhafte Erinnerungen - überwiegend negativer Art. Ohne dies jetzt romanartig runterzuschreiben, hier folgende Erinnerungen...
Es gab Essenszwang: wer nicht aufgegessen hat, musste sitzen bleiben, bis der Teller leer war. In Reih und Glied ging es wieder aufs Zimmer und wer nicht ordentlich in der Reihe stand, dem wurde der Kopf gegen die Wand geschlagen - dies durfte ich erfahren. Es gab eine "Betreuerin", die da besonders "intensiv" unterwegs war.
Zum Duschen wurden Mädchen und Jungs gemeinsam in den Waschraum gesteckt, mussten sich dort freimachen und duschen/waschen. Alles ziemlich ruppig und lieblos. Keine Ausnahmen.
Ich erinnere mich aber auch an eine sehr nette Heimleiterin, bei der ich mir alle paar Tage eine Glasampulle mit Vitaminen (so hieß es zumindest) abgeholt habe, die ich direkt bei ihr trinken musste.
Eine andere eher positive Erinnerung war das "Comiczimmer", in dem man sich mit Comics eindecken konnte. Bücher gab es dort wohl auch.
Weitere Erinnerungen habe ich nicht, würde mich aber über andere Leute freuen, die in der Zeit auch dort waren und sich austauschen möchten.
Liebe Grüße
Ralf
Verschickungsheim: Insel Amrum, Haus Sonnenschein
Zeitraum-Jahr: 1962 - 1963
Meine-Empfindung: es war schön dort
Amrum Haus Sonnenschein. Ich war ca. 8-9 Jahre alt und sollte dort an Gewicht zunehmen.
Täglich Milchsuppe mit Mittagsschlaf war angesagt.
Die Fenstersitzseite war zum Zunehmen und die gegenüberliegende Seite zum Abnehmen dort.
Abgenommen wurde mit Obst und Weintrauben. Ich schielte immer zur anderen Reihe rüber. Wie gerne hätte ich getauscht.
Ansonsten auch schöne Erinnerungen von dort. Ich hatte meine erste Freundin beim spielen dort kennengelernt. Der Strand war schön und die Spaziergänge über die Insel auch.
Zuhause hatte ich die Pfunde schnell wieder abgehungert.
Ich habe keine schlechten Erinnerungen an Amrum.
Verschickungsheim: Vermutlich DRK Kinderkurheim Wittdün
Zeitraum-Jahr: ca. Mai/ Juni 1970
Meine-Empfindung: es war schön dort
Ich war als 6-Jährige in 1970 auf Amrum, sehr wahrscheinlich im DRK Heim in Wittdün. Ich erinnere die Abreise ab VW Baunatal im Kleinbus nach Wolfsburg und den Moment, als meine mitreisende ältere Schwester und ich realisierten, dass wir in getrennte Zimmer und getrennte Gebäudeteile mussten. Ich glaube, dass ich in einem 6-Bett-Zimmer war. Dort mussten wir nach dem Mittagessen still und ohne Bewegung liegen, schweigen und durften nicht zur Toilette. Einmal war ich doch dort, meine Erinnerung reicht nur zu dem Schreckmoment, als jemand wutentbrannt die Toilettentür aufreist. Uns Kindern wurde gedroht, dass wir auf den Dachboden müssten, wenn wir sprechen und an irgendeinem Tag musste ich genau dorthin. Das wovor ich mich soo gefürchtet hatte, war letztlich ein guter Ort. Hier waren ein paar Kinder, die auf Liegen lagen und ohne Aufsicht miteinander sprechen konnten. Die Tanten kriegen es hier nicht mit, weil sie unten für Angst sorgten. Ich erinnere auch, dass wir am Strand waren und ins Wasser konnten und dass wir das nackt tun mussten. Das wollte ich damals um keinen Preis, ich wurde krank. Mehrfach in den Wochen konnte ich wegen Krankheit nicht mit den anderen baden. Die Post von und nach Hause wurde zensiert. Für mich war es ein Klima voller Angst und stets auf der Hut sein. Irgendwann landete ich auf der Krankenstation, das Gefühl dazu ist freundlicher. In mir entstand in dieser Zeit das Gefühl, das Krankheit Rettung sein kann. Ich erinnere mich an einen Speiseraum in den man wenige Stufen nach unten gehen musste. Dort mussten wir so lange sitzen, bis der Teller abgegessen war. Einmal saß ich dort so lange, das kein anderes Kind mehr im Raum war. Ich weiß, dass ich andauernd mit Brechreiz kämpfte und würgen musste. Irgendwann war alles runtergewürgt. Und die Tante sagte etwas wie, " Pech, jetzt hast du so lange gebraucht, dass du keinen Nachtisch mehr bekommst."
Ich war überzeugt, dass ich aus irgendeinem Grund bestraft würde mit diesen 6 Wochen. Ich erinnere mich nicht, ob ich in den Wochen nochmal meine Schwester gesehen hab oder wie ich überhaupt nach Haus gekommen bin und es mir direkt danach ging.
Ich weiß allerdings sehr sicher, dass diese Wochen für mich dramatisch waren, ich voller Heimweh war und es war so, als hätte ich dort meine Freude verloren.
Im Grunde habe ich mit viel Aufwand therapeutischer Zuwendung und einer Reise nach Amrum diese Traumaerfahrung aufgearbeitet und bin in Frieden damit gekommen. Als ich aber heute Abend im ARD in Report Mainz die Sendung über Verschickungskinder gesehen habe, war mir klar, dass es gut ist, dieses Trauma noch einmal zu berühren. Ich habe allerdings so viele Details verdrängt dass nur die schlimmsten Situationen sich in meiner Seele festgesetzt haben. Leider wurden auch alle Zeugnisse, Namen und Adresse vernichtet aber ich bin sicher dass Sie noch mehr Berichte über dieses Heim bekommen, denn es wurde vollständig abgebaut und auch nichts anderes an dieser Stelle errichtet.
Ich bin 1952 geboren und wurde wohl mit ca. 8 Jahren nach Amrum in ein Heim geschickt. Die Eisenbahnfahrt war schon schrecklich weil sich niemand um uns kümmerte. Es war ein Mädchen aus Eningen/Achalm dabei, die mir lag und so fanden wir Trost aneinander. Sie war eine fröhliche Natur, dunkle Haare, das ist alles an was ich mich erinnere.
Bei Ankunft im Heim wurden wir sofort getrennt und ich wurde allein in ein Zimmer unter dem Dach gesperrt, Begründung: man sollte sich so besser einleben. Man brachte mir das Essen ins Zimmer, ich habe so viel geweint und meinen Eltern geschrieben, Briefe, die nie ankamen. Sie wurden durchgelesen, zensiert und nie verschickt. Auch meine Eltern schickten mir eine Sandschaufel und weitere Spielsachen, die ich nie bekam.
Das Essen war grausig, wir mussten so lange sitzen bleiben, bis alles aufgegessen war. ich ging immer wieder zur Toilette um die vollen Backen auszuspucken, damit ich endlich fertig wurde.
Geduscht wurde nur kalt und mit allen Mädchen zusammen. Ich weiss noch wie die Älteren sich schämten, nackig zu sein.
Was ich am meisten verdrängt hatte, war ein AUsflug in die Pinienwäldchen, auf jeden Fall Nadelbäume, die um das Heim lagen. Zu zweit mussten wir laufen, durften nicht reden und dann wurde ich abgesondert und in die Bäume geschleppt. Es war ein fetter junger Mann (bis heute reagiere ich bei fetten Männern), er hat mir die Gurgel zugedrückt und mich vergewaltigt, ich bekam keine Luft mehr, ich weiss nur noch, dass nachher alles blutverschmiert war.
Ab da habe ich keine Erinnerung mehr, nicht einmal mehr wie ich zurück kam. Ich weiß noch wie entsetzt meine Mutter war, als sie den Koffer öffnete, dreckige und blutverschmierte Wäsche fand, aber alles hinnahm, weil das damals so üblich war. Ich weiß auch noch, dass ich mich über eine lange Zeit immer hinter dem Rücken meiner Mutter versteckte, alle haben sich gewundert, dass ich mich so seltsam verhalte. Ich habe auch nicht viel geredet. Fast gar nicht, es fühlt sich heute an, wie wenn der Kerl mir die Kehle gut zugeschnürt hatte.
Meine Eltern haben nie etwas unternommen und ich habe über viele Jahre die Nesthäkchenbände gelesen, die es mir erleichterten, dieses Traume komplett zu verdrängen. Ich lebte nur als Nesthäkchen in einer völlig heilen Welt. Es gibt da auch einen Band über ein Heim auf Amrum, das ist so positiv geschilert, dass ich es mir zu eigen machte und selbst zu Nesthäkchen wurde. Jede Nacht las ich unter dem Kopfkissen mit einer Taschenlampe. Mein Körper wurde pummelig, da ich anfing, viel zu essen, vor allem Süßzeug, der Frust muss wohl auf diese Weise rausgekommen sein. Meine Familie war glücklich über meine Zunahme, vorher war ich sehr schmächtig gewesen und schob das gute Resultat der Heimbehandlung zu. Daraufhin wurde auch meine Schwester verschickt, die Gott sei Dank im Allgäu gut behandelt wurde. Sie hat nur positive Erinnerungen daran.
Es wurde ein Verbrechen begangen, der Täter würde, wenn er zur Rechenschaft gezogen werden könnte, ins Gefängnis kommen. Dieses TRauma steckt heute noch in meinem System, ich habe nie geheiratet, war lieber allein und fühle mich dabei sehr wohl, denn in jungen Jahren passierte genau das, was bei vielen passiert, die durch Vergewaltigung traumatisiert sind: ich ging in die Sexsucht und bot mich überall an. Weil ich mich nicht spürte und wohl auf der Suche war nach mir selbst. Dieses ereignis hat also mein Leben insgesamt geprägt.
Eine Reise nach Amrum sollte KLarheit verschaffen, aber ich fand nur noch die Wäldchen vor, an der Stelle wo das Heim ungefähr gestanden hatte, war kein Haus mehr zu sehen. Es ist wohl komplett abgerissen worden, wenn ich mich nicht täusche. Aber vielleicht haben Sie ja noch andere Berichte über dieses Heim, es würde mich interessieren, denn es steht mir noch klar vor Augen. Ein Holzbau, hellblau und weiß gestrichen. Direkt am Strand.
Ich bin damals auf Amrum zu einem Pfarrer gegangen, der mir vertrauenswürdig erschien und er hat mir die Last dieser Bürde durch einige Gespräche abgenommen. Aber natürlich hatte ich vorher schon ca. 10 Jahre lang 2-wöchentliche Therapiestunden hinter mir, denn dieses Geschehen hatte ich komplett ins Unterbewusstsein verdrängt. Es musste erst wieder mit viel Mühe gehoben werden. Seither ist mir leichter.Aber immer wieder nachts kommen diese Träume zurück und ein unendlicher Ekel überfällt mich.
Ich wusste nicht mehr, dass man das Verschickungsheime nennt und wir Verschickungskinder sind. Ich bete für all die verwundeten Seelen und danke Ihnen für Ihre Mühe. Es tut mir gut, zu wissen, dass ich keine Halluzinationen hatte und so viele viele betroffen sind.
Wohl vor allem Frauen?
Es ist so furchtbar, was Sie damals erleben mußten!
So viel Schlimmes habe ich nicht erleben müssen, aber vielleicht war ich im selben Heim untergebracht.
Mit 8 oder 9 Jahren bin ich nach Wittdün auf Amrum verschickt worden. Das war 1959/1960. Das Heim lag auch direkt am Strand.
Seit Jahren beabsichtige ich auch, dorthin zu fahren, um mich meiner Erinnerungen zu stellen. Habe es noch nicht gemacht.
Jetzt, nach dem Bericht im Fernsehen, möchte ich ein paar Worte dazu schreiben.
Ich erinnere mich an schlimme Tage, die von schmerzendem Heimweh geprägt waren - ein Gefühl von Verlassensein und tiefer Traurigkeit.
Keinerlei kindgerechte, liebevolle Zuwendung, nur Zwang und Anordnung und Regeln, was man tun mußte - und nicht tun durfte.
Immer wieder kommen mir Bilder vor Augen, die mich jedes Mal aufwühlen.
Ein Bild z.B., was immer wieder auftaucht und mir noch heute Brechreiz verursacht:
Ich sitze noch am späten Nachmittag ganz alleine in dem großen Essraum. Vor mir ein Suppenteller voll mit gekochtem Schokoladenpudding mit dieser ekligen Haut darüber.
Ich konnte noch nie - von keinem Pudding dieser Welt - diese Erbrechen erzeugende Haut, die die mit Milch gekochten Speisen überzieht, essen! Hier, mutterseelenallein, wurde ich dazu gezwungen. Ich durfte nicht aufstehen, bevor ich den Teller geleert hatte.
Ich war so abgrundtief verzweifelt in dieser Situation.
Ich weiss auch noch, dass ich nicht nachgeben, mich nicht beugen - mir auch nicht die Blöße geben wollte, auf den Tisch zu erbrechen..... Ich kann mich an meinen inneren Kampf erinnern... aber nicht mehr an den Ausgang des Vorkommnisses.
Jedenfalls mußte ich mich - nachdem man mich eine Zeitlang gut zwangsgefüttert hatte - an den "Dickentisch" setzen. Das war das Schlimmste überhaupt: eine Art Pranger. Wer da saß, bekam den Spott vieler Kinder und Betreuer ab. Man konnte sich nicht dagegen wehren und mußte es ertragen.
Ich schämte mich so sehr.
Hätten meine Eltern gewußt, was man uns antat, mein Vater hätte mich sofort abgeholt. Aber das Wenige, was wir auf die Postkarten schreiben durften - und in dem Alter konnten -, wurde uns vorgegeben. Es durfte nichts Kritisches nach außen dringen....
Es war eine ganz furchtbare Zeit. Erlebnisse, die tiefe Spuren durch mein gesamtes Leben gezogen haben.
1964 wurde ich mit 12 Jahren nach Wittdün auf Amrum für 6 Wochen in ein DRK Kindererholungsheim geschickt. Im nachhinein muss ich sagen, es waren die schlimmsten 6 Wochen meines Lebens. Aber irgendwie habe ich nie oft daran gedacht. Mich ließ man ziemlich in Ruhe. Ich war mit 8 Mädchen auf einem kleinen, kalten Zimmer.(9 Betten) Strenge Regeln waren der Alltag. Wenn man erst mal im Bett lag, durfte man nicht hoch zur Toilette und die Blase platzte fast. Das Essen war miserabel. Ein Junge weinte viel und musste Erbrochenes aufwischen oder essen, genau weiß ich das nicht mehr. Spielen oder Lesen durften wir nicht. Zwischen den Mahlzeiten waren wir nur "draußen" zum Laufen. Kilometer weite Strecken wurden zurück gelegt. Wie gesagt: nur laufen war angesagt. Einmal pro Woche mussten wir uns nackt ausziehen, bekamen eine Schutzbrille auf und mussten in einem großen Raum im Kreis laufen, wo ein Arzt uns dabei beobachtete, wie wir angeblich etwas braun werden sollten durch eine aufgestellte Höhensonne. Angefasst wurde ich aber nicht. Briefe wurden zensiert. Unser Taschengeld wurde uns abgenommen und zugeteilt. Ich brauchte ja sowieso nichts, ich konnte nichts kaufen. Nur später gab es ein paar Souvenirs zu kaufen, da verdienten die wohl noch dran. Es war kalt und ungemütlich. An Duschen kann ich mich nicht erinnern. Nur am kalten Waschbecken wurde sich gewaschen. Ich möchte gerne mal wissen, warum das so lange gut ging und die Verantwortlichen davon gekommen sind. Die meisten leben wohl auch nicht mehr. Meine Eltern kümmerten sich nicht viel um mich und so wurde auch nichts gefragt oder hinterfragt. Der Alltag zu Hause ging einfach so weiter und ich verdrängte diese "Erholungskur" total. Wie gesagt, körperlich wurde mir ja nichts angetan. Wenn ich die anderen Berichte so lese, ging es mir noch relativ gut dort. Ich habe 2 Fotos von dort mit den ganzen Kindern, vielleicht erinnert sich wer und möchte die mal sehen. Da sind sogar auch noch unsere "Tanten" drauf. Eine Freundin hatte ich auch gefunden, die hieß Ingrid, aber mehr weiß ich nicht.
Meine Verschickungsgeschichte datiert aus dem Jahr 1965. Ich war unserem Pastor während des Konfirmandenunterrichts aufgefallen. Meinen Eltern gegenüber behauptete er, ich sei blass und habe einen schiefen Gang. Meine Eltern stimmten einer Verschickung nach Wittdün auf Amrum in das Lenz-Heim zu.
So wurde ich zu Beginn der Sommerferien von einer Bekannten meiner Eltern dorthin begleitet. Schon die Anfangsunteruchung war der reine Hohn, wurden doch bei allen Kindern unterschiedslos Untergewicht und schlaffe Haut diagnostiziert. Ich erinnere mich nicht mehr an alle Details, deshalb in Kurzform das, was mir nach Jahrzehnten noch lebhaft vor Augen steht:
Wir hatten vom Speisesaal aus einen schönen Blick auf das Wattenmeer, ersten vorsichtigen Wasserkontakt nach 10 Tagen, nur mit den Füßen, versteht sich. Angeblich bekam ein Kind anschließend Fieber, sodass für den Rest der sechs Wochen absolutes Badeverbot für alle Insassen verhängt wurde.
Außer den zwölf Stunden Nachtruhe gab es auch noch eine zweistündige Mittagsschlafenszeit für alle, egal welchen Alters. Eine Wache saß im Eingang zum Schlafsaal.
Nach dem Mittagsschlaf gab es eine zusätzlich Mahlzeit, also insgesamt vier Essenszeiten. Dass Kinder erbrochenes Essen erneut schlucken mussten, war auch hier Usus.
Bewegungsspiele? Fehlanzeige. Die seltenen Spaziergänge liefen so ab, dass man paarweise gemessenen Schrittes einen kurzen Weg zurücklegte, die Mädchen mit Kopftuch, die Jungen mit Kappen oder Mützen vor der Sonne geschützt.
Das Liedgut wurde in anderen Berichten genauso beschrieben, wie auch ich es erlebt habe.
Zu den Verhaltensregeln: Ich war in dieser Zeit mit knapp dreizehn Jahren die älteste und mir wurde eine besondere Vorbildfunktion zugeschrieben. Wegen des kinderfeindlichen Regiments hätte ich aber ohnehin nicht opponiert. Mir taten nur die wesentlich jüngeren Kinder sehr leid, die teilweise Hospitalismussymptome zeigten.
Zensur der Post fand auch hier statt.
Die schlimmste seelische Folter möchte ich genauer schildern:
Gegen Ende unserer Mastkur - bei allen waren Gewichtszunahme und straffe Haut als Kurerfolg festgestellt worden - wurden einige Kinder, darunter auch ich, des Diebstahls einer Geldbörse von einer der "Tanten" verdächtigt. Wir wurden in einen Nebenraum gesetzt und mussten dort warten, bis wir einzeln garufen wurden. Den Speisesaal hatte man in einen Gerichtssaal umfunktioniert mit Tischen, hinter denen die Heimleitung saß, und Stuhlreihen für alle Insassen.
Ich wurde aufgefordert, mich vor den Richtertisch zu knieen. Die drei "Richter" sprachen im Chor: Wir sind das schweigende Gericht. Gibst du zu, während des Mittagsschlafs heimlich unter der Bettdecke gelesen zu haben? Ich bekannte mich schuldig. Die Richter sprachen wieder im Chor: Wir sind das schweigende Gericht.Wir verurteilen dich dazu, ein Kleidungsstück auszuziehen.
Wohlgemerkt: Vor der versammelten Kindergruppe!!!
Diese Vorgehensweise wiederholten die Richter noch ein paarmal, die Beschuldigungen wurden immer absurder. Schließlich half mir die Idee, auf eine erneute Beschuldigung einfach gar nicht, also schweigend zu reagieren. Und damit war ich gerettet. Zum Glück hatte ich meine Kleidungsstücke schon sehr kleinteilig abgelegt, also beispielsweise nur einen Schnürsenkel etc.
Ich hatte das "schweigende Gericht" durchschaut und durfte mich nun in den Zuschauerraum setzen. Dort wurden nun auch viel jüngere Kinder dieser widerlichen Prozedur ausgesetzt und natürlich bis auf die Unterhosen ausgezogen. Hinterher nannte man diese Art der Folter "ein Spiel".
Am Ende dieser quälenden sechs Wochen hatte ich das Gefühl, dass dauernd schlechtes Wetter gewesen sein musste, denn ich war so blass wir vorher, dafür aber aufgequollen. Nordseeferien kannte ich bisher ganz anders, war ich doch jedes Jahr drei Wochen bei meiner Oma auf Juist gewesen, wo ich mich immer prächtig erholt habe. Da sie als Änderungsschneiderin den ganzen Tag an der Nähmaschine saß, konnte ich mich völlig frei bewegen, in den Wellen hüpfen, Sandburgen bauen usw.
Mir ist eine derart entsetzliche Zeit zu meinem großen Glück nur ein einziges Mal zugestoßen, und ich kann von mir sagen, dass ich keine bleibenden Traumata zurückbehalten habe. Das ist sicher auch meinem damaligen Alter geschuldet.
Meine Eltern haben gespürt, dass die Verschickung keine gut Idee gewesen war. Offen ausgesprochen habe ich es wohl nicht. Zu zwei Kindern hatte ich einen guten Kontakt aufgebaut und konnte sie noch einmal besuchen. Dafür haben meine Eltern einige hundert Kilometer Fahrt auf sich genommen. Eine kleine Wiedergutmachung.
hallo Jutta,
ich war 1964 auf Amrum, da war ich 12 Jahre. Wir mussten uns nackend ausziehen und mit Schutzbrille im Kreis laufen. Dabei schauten Leute zu, wer genau, weiß ich nicht mehr. Es war grauenvoll. Als ich wieder zu Hause war, habe ich das ganze verdrängt bzw. es hat mich nicht groß kaputt gemacht. Die Tanten waren streng, man durfte nicht auf die Toilette. Das war für mich das schlimmste. Meinen Eltern habe ich nichts erzählt. Alles war schrecklich. Hoffentlich erwischt man noch Verantwortliche.
Gruß Christa
Ich bin 1974 mit 5 Jahren in ein Kinderkurheim in Wittdün auf Amrum geschickt worden da ich laut Aussage meiner Mutter oft krank war. Es war schrecklich dort. Am schlimmsten war das Essen. Man wurde zum Essen gezwungen. Einmal musste ich stundenlang vor meinem Teller ekliger Suppe (Graupensuppe o.ä.) sitzen bleiben bis ich es mir reingewürgt habe und mich übergeben musste. Zur Strafe wurde ich dann in den dunklen Schlafsaal eingeschlossen wo ich mehrere Stunden alleine ausharren musste während die anderen Kinder an den Strand gingen. Kann mich auch noch einen Bettnässer erinnern der vor allen vorgeführt wurde. Einmal waren wir mit unserer Gruppe draußen unterwegs. Ich bekan den Reißverschluss meiner Jacke nicht zu und hab wohl etwas wütend mit dem Fuß gestampft und eine der Erzieherin gefragt ob sie mir helfen könnte. Hierfür wurde ich auch lautstark verbal beschimpft und zurechtgewiesen. Es herrschte dort eine strenge, lieblose Atmosphäre. An Kontakt mit meinen Eltern während der Zeit kann ich mich nicht erinnern, auch an die Zug - und Schiffahrt nicht. Ich hatte schlimmes Heimweh. Bis heute war mir überhaupt nicht bewusst dass es früher so weit verbreitet war in Kinderkur verschickt zu werden. Es ist echt schockierend was viele dort erleben mussten.
Hallo Christiane, ich war auch 1974 mit 5 Jahren auf Amrum; im unten erwähnten Lenz-heim in Wittdün. Ich kann mich leider nur an wenig erinnern. Bei Kindergeburtstagen - die bei so vielen Kindern ja ständig waren - mussten wir um die Wette Süßigkeiten essen. Ich erinnere mich daran dass ich mehrfach erbrochen habe und danach zum essen gezwungen wurde. Eine Erzieherin saß neben mir und wartete dass ich den Teller leer aß. Mehr brauchte es dazu auch nicht - ich war ja schließlich folgsam und hatte nicht gelernt mich zu wehren. Dementsprechend dicker kam ich zurück. Wir kamen auch kaum aus dem Haus raus. Wie streng und lieblos es war, erinner ich nicht. Das war ich ja schließlich gewohnt.
Von meiner Mutter habe ich erfahren, dass sie mich nicht kontaktieren konnte, Telefonate verboten waren.
hallo Christiane, ich war 1964 in Wittdün auf Amrum. DRK Kinderheim Ich war 12. Wie kann es angehen, dass keiner was gemerkt hat oder haben will? Wir mussten jeden Tag stundenlang am Meer spazieren gehen. Wer nicht mehr konnte, wurde einfach zurückgelassen. Meine Füße taten schrecklich weh weil ich keine Wanderschuhe hatte.
Hallo Christiane, ich bin im Februar 1959 geboren. Kurz vor der Einschulung, im März /April 1965 wollten meine Eltern wir was gutes tun, da sie mit mir in dem Jahr nicht in den Urlaub fahren konnten. Also kam ich zur Kinderverschickung nach Amrum. Bis dahin war ich ein fröhliches aufgewecktes Kind. Es fing schon mit der Zugfahrt an. Alleine weg zu müssen, war für mich schrecklich. Auch bei mir wurden wir zum Essen gezwungen. Neben mir saß immer ein Junge, der sich regelmäßig beim Essen übergeben musste. Aber nicht aufstehen durfte. Da ich mich allerdings regelmäßig entfernt habe, wurde ich in ein dunkles Schlafzimmer gesperrt. Ich weiß nicht mehr wie lange und wie oft ich darin weinend hockte. Auch nachts wurde patrouilliert. Wer nicht schlief oder sogar weinte wurde heftig beschimpft. Nach 6 Wochen kam ich stinkend,extrem stotternd und völlig verstört nach Hause. Meine Eltern waren völlig überfordert, da ich nichts zu Hause erzählt habe. Und so mehr sie mich zu Therapeuten schleppten, umso schlimmer wurde es. Erst, als ich mit Ende 20 mein 1Kind bekam, habe ich es ihnen erzählt. Mein Stottern begleitete mich trotz viele Therapien bis heute. Allerdings habe ich es durch eigene Sprachtechnik seit vielen Jahren im Griff. Meine Mutter hat die Reportage durch Zufall gesehen und hat tagelang geweint. Sie hat jetzt erst begriffen, wie schlimm der Aufenthalt für mich war und wie sehr er mein Leben beeinflusst hat. Denn durch das Stottern hatte ich in der Schule Schwierigkeiten, weil Lehrer mich für nicht zumutbar hielten und mich an eine Schule für Lernbehinderte schicken wollten. Gott sei dank gab es immer Menschen die sich für mich eingesetzt haben. Sodass ich heute ein glückliches Leben führen kann. Allerdings habe ich durch den Beitrag noch mal gemerkt, welche Chancen mir im Leben genommen worden sind. Und das es so viele Kinder gab, die über Jahre das gleiche Schicksal erleiden mussten, macht mich unendlich traurig und wütend zugleich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in den zuständigen Behörden oder Krankenkassen keiner etwas davon gewusst hat. Es ist gut, dass endlich darüber berichtet wird .
Danke
Hallo Alle zusammen,
mein Name ist Petra und ich bin 1964 geboren. Vor 2. Monaten bin ich über die Seite von Anja Röhl gestolpert und was ich lass löste ein Gefühlschaos in mir aus.
Das Thema Kinderverschickung, diese Baustelle hatte ich 2010 geschlossen. Nachdem meine Recherchen immer wieder in einer Sackgasse endeten bzw.keiner darüber reden wollte und Hilfe von Weißer Ring und VDK etc. auch nicht zu erwarten waren.
Ich habe die letzten Wochen mit Flash Backs, Angstzuständen, Schlafstörungen und Albträumen zukämpfen.Jetzt bin ich soweit alles aufzuschreiben um anderen zuzeigen das sie nicht allein sind.
Es fällt mir nicht leicht meine Erfahrung - Erinnerung an meine "Kur" Aufenhalte,1968/69 in Bad Reichenhall über Ostern (es gibt ein Gruppenbild aus dem Heim) und 1971/72 in Amrum / Nebel hier zuschreiben.
Ich erinnere mich an den Tag als meine Mutter mit mir in die nächste Stadt fuhr um einzukaufen, das kam sonst nie vor, ich war Kind Nummer 5 und wir lebten auf dem Land. Normal hat meine Ältere Schwester auf uns jüngere aufgepasst wenn Mutti einkaufen ging. Es hieß ich bekomme neue Sachen, auch das machte es zum Erlebnis,normal bekam ich immer alles Abgelegte von meinen Älteren Schwestern.
Zuerst ging Sie mit mir auf eine Art Amt oder Klinik, ich wurde gemessen und untersucht,meine Mutter sagte dem Mann immer wieder das ich immer Atemnot hätte und Husten und nicht viel sprechen würde,das war sehr unangenehm, aber die Freude auf neue Sachen überwiegte. Danach in Geschäfte und ich bekam Unterwäsche und Schlafanzüge. Dann in ein Geschäft mit vielen Taschen und Koffer. Ich bekam einen kleinen rot-schwarz karierten Kinderkoffer er war wunderschön, für mich was ganz besonderes. Sie kaufte noch einen braunen Kofferanhänger wo man Name und Adresse rein schreibt und erklärte mir, - damit er nicht verloren geht und ich muss sehr gut auf das Köfferchen achten und darf es nicht verlieren, das habe ich nicht ganz verstanden aber egal.
In den nächsten Tagen fing meine Mutter an in alle Kleidungsstücke von mir kleine Schilder zunähen. Meine Schwester sagte,da steht dein Name drauf damit sie nicht verloren gehen, jetzt bekam ich ein unangenehmes Gefühl. Immer wieder, jeden Tag bekam ich zuhören den rot-schwarz karierten Koffer darfst du nicht verlieren sonst kommst du nie wieder nachhause. Verstanden hab ich es nicht, der Koffer lag in unserem Kinderzimmer und spielen durfte ich damit auch nicht.
Eines morgens,ganz früh es war stockdunkel, kam Mutti ins Kinderzimmer und hat mich geweckt.
Meine Geschwister schliefen noch alle.Sie hat mich gewaschen und angezogen,mein Vater war auch da,normal war er immer auf der Arbeit und der kleine Koffer stand im Flur. Wieder redete Sie auf mich ein den Koffer nicht zu verlieren, sonst komme ich nie wieder nachhause.
Das nächste woran ich mich erinnere, ist das sie mich in ein Zugabteil setzen und weg sind sie.
Ich umklammere meinen kleinen Koffer und hab riesig Angst. Der Koffergriff brennt in meinen Händen ansonsten nehme ich nichts war.
Jetzt bin ich in einem großen Haus,eine große alte Holztreppe, wo ins Unendliche führt, am Boden Steinfliesen, überall Holz an den Wänden, große Holztüren, wie ich dahin komme weiß ich nicht. Eine kräftige Kath.Nonne schreit mich an, den kleinen Koffer los zulassen, ich will nicht, wenn ich ihr den Koffer gebe komme ich nie wieder nachhause, das ist das einzige was ich denken kann. Aber sagen kann ich kein Wort. Sie entreist mir den Koffer und mir wird übel alles dreht sich. Ab jetzt nehme ich alles weit weg war, wie wenn ich nicht mehr in mir bin.
In zweier Reihen aufstellen vor einer Tür und dann rein in einen Speiseraum, Holztische und Bänke, alles dunkel. Setzen! Ich nehme die anderen Kinder nicht wahr, obwohl da welche sind,-
das Essen ist ein grüner Mus mit harten Brocken, kann ich nicht definieren, kann ich nicht essen.
Jetzt zieht mich die Nonne von der Bank, wie lange ich da saß weiß ich nicht, sie zieht mich in den Flur mit der großen Treppe von vorhin und drückt mich in eine Zweierreihe von Kindern vor einer Tür, ein Kind kommt aus der Tür, das nächste rein. Jetzt bin ich dran, erst weiß ich gar nicht was passiert und bis ich begreife, das es eine Toilette ist, reißt die Nonne die Tür auf und zieht mich raus.In Zweierreihe die Treppe hoch bis unters Dach in ein Zimmer mit schrägen Wänden und einem Erker mit Fenster, sechs Betten, meins ist direkt neben der Tür. Da liegt ein Schlafanzug von mir, ich ziehe ihn an und leg mich ins Bett. Die Nonne verlässt das Zimmer und es ist sofort totenstille.
Jetzt erst merke ich das ich zur Toilette muss, was hat die Nonne gesagt, hat sie was gesagt, wann kann ich zur Toilette, wo ist die Toilette? Ein Stein löst sich in meinen Schlafanzug,- er muss da raus. In meinem Kleid war ein Taschentuch. Leise stehe ich auf und durchsuche meine Kleider die am Bettende hängen, und packe den Stein (Kot) in das Taschentuch, jetzt wohin,- ich lege es unter mein Bett in die Ecke. Schlafen kann ich nicht, irgend wann kommt jemand mit Taschenlampe ins Zimmer und leuchtet jedes Bett ab, ich erstarre und stelle mich schlafen.
Am nächsten morgen werden wir durch eine junge Nonne geweckt, Zweierreihe die Treppen runter, Kleidung unter den Armen in einen Waschraum, Waschen anziehen, Zweierreihe ein Stockwerk höher, Toilettengang und zum Speisesaal. Da war wieder die ältere kräftige Nonne und blickte mich böse an. Hinsetzen Essen und wieder Lücke bis die kräftige Nonne den Raum verlässt. Ein Fräulein (junges Mädchen so um 18 J.) kam und ich musste nach oben in den Schlafsaal.
Da stand die älter Nonne und zeigte auf mein Taschentuch, das eine jüngere Nonne in der Hand hatte, ich musste mich vor die Nonne stellen und bekam 2 Ohrfeigen das mir der Kopf anfing zu glühen und sich alles drehte, dann wurde ich an den Ohren die Treppen runter gezogen in den Speisesaal, und vor allen Kindern degradiert vom feinsten, ich schämte mich so und fühlte mich allein und heimkommen werde ich nie wieder, weil ich meinen kleine Koffer nicht mehr habe. In dieser Nacht musste ich ohne Matratze und Bettzeug schlafen, nur auf dem Bettrost.
Von nun an liefen die Tage ziemlich gleich ab. Morgens aufstehen waschen, essen, Toiletten gang, dann einmal die Woche zwei, drei Strassen weiter in eine große Klinik zur Untersuchung,
ansonsten Liedersingen, stillsitzen und warten, ab und zu Gymnastik, vorm Mittagessen Toilettengang und vorm zu Bett gehen Toilettengang (die Toiletten waren ansonsten verschlossen) und alles immer in Zweierreihen. Wenn man Glück hatte gab es Nachmittags einen Spaziergang( kann mich nur an wenige erinnern) und alles immer in Zweierreihen. Oft musste ich alleine auf der großen Treppe sitzen, weil ich ein sehr, sehr böses Kind bin und mich nicht anpassen kann, warum weiß ich bis heute nicht.
Einmal wurden im Flur Bilder gemacht und die Kinder bekamen Osterhasen aus Schokolade in die Hand (ich natürlich nicht,was mich wieder sehr traurig machte) aber die anderen mussten nach dem Foto die Schokoladenhasen auch wieder abgeben. Dieses Foto wurde nachhause geschickt mit einem Brief, wie gut es mir geht.
Aber jede Nacht wenn alle schliefen und ich sicher war das so schnell keine Taschenlampe kommt, stand ich in diesem Erker am Fenster, auf Zehenspitzen, um hinaus zusehen, auf die Strasse in die Nacht und weinte und betete, erst nach der Mutti das sie mich holen soll, auch wenn ich den Koffer nicht mehr habe, später dann zu meiner Oma und am Schluss, lieber Gott hol mich zu dir.
Dann kam ein Tag wo alle Kinder sich freuten es geht nachhause, sie bekamen ihre Rucksäcke und kleinen Koffer, nur ich nicht. Die ältere Nonne sagte zu mir, böse Kinder kommen nicht mehr nach hause. Ich kam ein paar Strassen weiter in diese Klinik, wo wir immer alle Untersucht wurden, in ein Krankenzimmer, es hieß ich muss isoliert werden. In diesem Zimmer war ich lange allein, Morgens, Mittags und Abends kam eine Krankenschwester zum waschen, essen bringen, Fieber messen, ansonsten war ich allein.
Dann kam ein älteres Mädchen (etwas 12/13 J.) zu mir aufs Zimmer. Erst freute ich mich endlich nicht allein, aber für das Mädchen war ich (4/5 J.) ein Baby und sie wollte nichts mit mir zu tun haben. Ein Junge im Alter von dem Mädchen schlich sich oft zu uns ins Zimmer, dann wurde es für mich sehr unangenehm sie haben mich als ihre Puppe benutzt, mich verspottet und körperlich gequält. Irgendwann durfte das Mädchen dann nachhause und der Junge kam auch nicht mehr.
Ich war dann noch Tage lang alleine, bis die Schwester morgens ins Zimmer kam und zu mir sagte, heute ist Abreise. Wieder wo Anderst hin, das es nachhause gehen sollte wollte ich gar nicht mehr glauben. Erst als ich angezogen war und die Schwester meinen kleinen Koffer brachte, hatte ich Hoffnung nachhause zukommen.
Jetzt saß ich wieder in einem Zug allein, ein Schaffner kam und hat sich den Kofferanhänger angesehen und gesagt er würde mich in den nächsten Zug umsetzen.
Die nächste Erinnerung ist, das ich alleine auf einem Bahnsteig stehe und Angst habe, eine Frau kommt und nimmt mich mit in ein Büro, ich bekomme mit, das meine Eltern mich vergessen haben und jetzt die Leute versuchen sie telefonisch zu erreichen. Wieder wurde es dunkel draußen und wieder hell. Dann kam mein Vater, ein paar Worte mit den Leuten und dann ohne Begrüßung ins Auto, ich glaubte das meine Familie mich gar nicht mehr haben wollte.An meine Ankunft daheim kann ich mich nicht erinnern. Meine Große Schwester sagte mal, ich wäre mehr tot als lebend zuhause angekommen, hätte nicht mehr gesprochen und Nachts nicht mehr geschlafen, auch essen wollte ich nicht.
Das hatte zu Folge das ich 1971 wieder Verschickt wurde, dies mal nach Amrum/ Nebel. Jetzt ging ich schon in die erste Klasse. Und da war er wieder, dieser rot-schwarz karierte Koffer der mich begleiten soll und wieder die Ansage meiner Mutter, wenn ich ihn verliere, komme ich nie wieder nachhause.
Diesmal ging es früh morgens ab Frankfurt Flughafen mit dem Bus los, das nächste wo ich mich erinnere ist, das der Bus mit uns Kindern auf ein Schiff fuhr und übers Meer, jetzt werde ich nie mehr nachhause kommen dachte.
An diese " Kur" habe ich die Erinnerung, das ich nur am Weinen war und wegen meiner " sinnlosen Heulerei" von vielem bastel, spielen und usw. ausgeschlossen wurde. Ich musste mich dann immer mit einem Stuhl, Gesicht zur Wand in die Ecke setzen oder wurde raus in einen Art Vorraum gesetzt wo unsere Schuhe und Jacken waren. Auch hatte ich keine Wetter gerechte Kleidung dabei und meine Eltern mussten mir Kleidung nachschicken, so durfte ich nicht an Spaziergängen teilnehmen. Als das Paket endlich kam, hatte meine Mutter mir eine Tüte meiner Lieblingsbonbons mitgeschickt, ich musste alle an die anderen Kinder verteilen, weil ich immer die letzte bei allem war und die anderen Kinder auf mich warten mussten und ich allen mit meinem Geheule nerven würde, nicht ein einziges blieb für mich. Das tat sehr weh.
In diesem Heim habe ich auch gelernt mein Erbrochenes wieder zu essen. Es gab Spinat und ich habe mich geschüttelt weil er süß schmeckte. Ich habe ihn nicht nur einmal erbrochen immer wieder und als der Teller leer war gab es nochmal Nachschlag. In der Nacht danach kam dann alles hoch der Schlafraum war grün und mein Bett auch. Ich musste zur Strafe im Duschraum übernachten nur mit Unterwäsche auf einer Bank.
Wenn der Tischnachbar sich übergab und es in meinen Teller spritzte war es besser weiter zu essen ansonsten drohte Strafe.
In diesem Heim war es nicht möglich Nachts am Fenster zustehen, es waren Schlafräume mit 8 Betten und die Tür stand immer offen. Die ganze Nacht war eine Schwester da, wo im Flur auf und ab lief. Auch waren hier keine Kath.Nonnen. Es waren Schwestern und Tanten. Liebevoll gingen diese nicht mit mir um. Schulunterricht hatte ich da keinen nur die älteren Kinder so ab 12 Jahren. Aber ich hatte das Glück, konnte nach 8 Wochen nachhause, wie die anderen. Zurück wieder mit dem Bus auf die Fähre und dann Frankfurter Flughafen. Am Flughafen wurden dann alle Kinder abgeholt und ich stand als letzte da, mit meinen kleinen Koffer. Der Busfahrer wurde schon ungeduldig und hat mich gefragt wie meine Eltern aussehen und noch einige Fragen aber ich wusste gar nicht zu antworten weil ich nur Angst hatte. Dann kam mein Vater endlich und wir fuhren ohne große Begrüßung nach hause. An diese Heimfahrt und Ankunft zuhause habe ich auch keine Erinnerung.
Heute noch habe ich Probleme mit Krankenhäuser und alles was Einrichtungen in dieser Richtung gleicht. Auch reise ich sehr ungern mit Bus und Bahn. Ich kam auch nie weider richtig zuhause an, für meine Geschwister blieb ich ein Außenseiter. Für meine Eltern ein Sorgenkind das nicht viel spricht. Es hat mich eine Menge Kraft gekostet das alles nieder zuschreiben. Das Heim in Bad Reichenhall könnte das Kinderheim Sonnenwinkel gewesen sein und in Nebel das Kinderheim Satteldüne. Bin aber nicht ganz sicher.
Liebe Iniatorin!!!!
Gestern Abend wurde durch einen NDR-Fernsehbeitrag am frühen Abend auf Euch aufmerksam!!!!!
Bin "begeistert", dass dieser Missbrauch so vieler Kinder nun Gehör findet!!!
Ich möchte unbedingt ergänzen, dass ich außerdem , zumindest in einem (meinem zweiten ) Hamburger Kindertagesheim ( der damaligen Vereinigung städtischer Kindertagesheime), welches ich vom 3./4. Lebensjahr bis zum Ende der 4. Klasse besuchen musste, unter der erlebten Praxis bei den Mahlzeiten sehr gelitten habe!!!!!!
Heute bin ich (Jahrgang 1957) 62 Jahre alt und aufgrund eines Burnout als Grundschullehrerin seit über10 Jahren frühpensioniert.
Meine 1.Verschickung war 1960 über meinen dritten Geburtstag in ein Heim nach Lüneburg.
Bis zur Einschulung 1964 würde ich mehrfach verschickt nach
Wittdün/Insel Amrum und Wyk auf Föhr.
Im Jahr 1966 musste ich dann noch in den Schwarzwald nach Schlägen bei St. Blasien....
Ich habe erstaunlich genaue und klare Erinnerungen an diese Zeiten!
Meine Schlagwörter dazu sind:
HEIMWEH
QUÄLEREIEN beim Essen
ZENSIERTE POST (würde gelesen, bzw. bevor ich selbst schreiben konnte meine Worte "gefälscht")
EKEL vor dem randvollen Nachttopf in der Schlafstube...als ich verbotenerweise deshalb die Toilette aufsuchte und brav spülte, kam die Nachtaufsicht gab mir eine Ohrfeige, zog mich am Ohr zu dem Pisspott und zwang mich ihn in der Toilette zu leeren - als 4-5 Jährige
OHNMACHT , HILFLOSIG- und EINSAMKEIT als Grundgefühl
Mit freundlichen Grüßen und Dank für das Engagement
Sabine Preger aus Büchen
Margret ( damals Wazel )
Ich, Jahrgang 1950 ) wurde 5 x verschickt., davon die ersten drei Male je 8 Wochen, die weiteren Aufenthalte dauerten nur je 3 Wochen.
Die Verschickungen wurden, von der Fürsorge gesteuert u. wohl auch veranlasst.
Soweit ich mich erinnere, fanden die ärztlichen Voruntersuchungen u. “ der Papierkram “ in Hamburg, im Besenbinder-Hof statt. ( oder Kurio-Haus ? ).
Bei mir war der Grund, dass ich zu dünn und wohl auch häufig erkältet war.
Beim ersten Aufenthalt war ich zwischen 3 u. 5 Jahre beim zweiten 5 oder 6 Jahre jung.
Das erste Heim befand sich in ( Hmb. ? ) Volksdorf, das zweite in Winsen ( Luhe ? )
Ich habe auch – mehrfach - miterlebt, dass Kinder sich über ihrem Essen erbrochen haben und es dennoch ALLES aufessen mussten. Bettnässer-Bestrafungen u. s. w. .
Im Heim Winsen, inmitten vieler schlafender Kinder, wachte ich eines nachts, bedingt durch Licht
und Stimmengewirr, auf.
Am Fußende meines Bettes standen ca. sechs Personen
( Frauen und Männer – glaube ich – ),
meine Bettdecke hatte man entfernt. Mir war kalt, und ich war sehr erschrocken.
Ich lag nur noch mit meinem kurzen Nachthemd ( ohne Slip ) in meinem Gipsbett, welches ich, wegen einer Verkrümmung der Wirbelsäule damals benötigte.
Aus den Worten der Erwachsenen verstand ich, dass die Heimleiterin ( Schwester Eva ) den Leuten, an meinem Bett, das Gipsbett zeigen und wohl erklären wollte.
( Es handelte sich um eine mit Stoff bezogene Gipsschale und Festschnall-Gurten )
Ich war zu dem Zeitpunkt 6 Jahre, aber die ganze Situation überforderte mich total.
Mir wurde gesagt, ich solle die Augen wieder zumachen und weiterschlafen.
Wer könnte das wohl, in so einem Moment ?
Was die ein-/ausgehende Post betrifft :
Ich war noch zu jung um selber schreiben und lesen zu können..
1962, mit knapp 12 Jahren, ( von Anfang April bis Ende Mai ) war ich in Wyk auf Föhr, im Hamburger Kinderheim, so hieß es damals. Direkt an der Strandpromenade, nicht sehr weit vom damaligen Ortskern.
Der Zutritt – zum Strand - blieb uns allerdings, in der gesamten Zeit, verwehrt.
Wir sahen diesen, bei unseren täglichen, bei Wind und Wetter stattfindenden, stundenlangen,
Spaziergängen, nur aus der Ferne, obwohl der doch zum Greifen nahe war.
Mittwochs ging es – bei “ schönem Wetter “ - ab ins Heidewäldchen. ( eingezäunt )
Dort gab es Sand, der immer feucht bis nass u. kalt war, Kiefern und jede Menge tote Kaninchen, “ frisch und auch schon skelettiert “.
Uns wurde vorher gesagt, dass wir damit nicht in Berührung kommen dürften, da die alle an einer Seuche gestorben waren.
Wir hatten, den ganzen Tag, tatsächlich so etwas wie Freizeit.
Jede machte was sie wollte. Miteinander reden, in die Luft starren und den Sand mit den Händen oder Schuhen etwas bewegen.
Was “ die Tanten “ in der Zeit unternahmen, weiß ich überhaupt nicht.
In diesem Heim ging es auch recht strenge zu, allerdings nicht so schlimm wie in den vorherigen.
Wir mussten uns, jeden Morgen – in einem großen Waschraum – mit Reihen-Becken
( für Körper- / und Zahnpflege ) in Richtung einer Eckdusche – alle nackend – hintereinander aufstellen, um einzeln, eine längere Zeit, mit einem Schlauch, von oben bis unten, mit sehr kaltem Wasser, abgespritzt zu werden.
Ich schaffte es – in acht Wochen – zwei oder drei Male dieser Quälerei zu entgehen.
Drei Mädchen mussten allerdings noch mehr ertragen. Sie wurden, jeden Morgen, mit frischem
Nordseewasser, aus Eimern, übergossen.
Dieses wurde immer kurz vorher von einigen Erzieherinnen / Tanten, direkt beim Strand geholt.
Es war April und Mai ! Jeder kann sich vorstellen, wie eisig dieses Wasser gewesen sein muss.
( Gerda F., aus Finkenwerder und die beiden anderen Mädchen, taten mir sehr leid.)
Die sonst üblichen “ Verordnungen “ waren, wie wohl in allen anderen Heimen auch :
Jedes Essen aufessen, tägliches Müsli – am Abend vorher schon zusammengematscht –
Walfisch-Fleisch, extrem süss-sauer, eingelegter Kürbis, viele Speisen mit Grieß und Sago,
Milchsuppen u. v. m.
Aus Mitleid halfen viele von uns größeren Mädchen ( 10 – 13 Jahre ) , den drei “ Diät-Kandidatinnen “ , beim Betreten des langen Speisesaales, im Vorbeigehen, einen vollen Löffel ihrer riesigen Quarkspeise zu verschlingen. Es durfte keiner merken.
Am Tisch - bei unseren Mahlzeiten - versuchten wir uns auch immer ähnlich, gegenseitig zu unterstützen. Gelang allerdings nicht sehr oft.
Süßigkeiten wurden am Ankunftstag eingesammelt und wer Glück hatte, so wie ich, bekam zum
Geburtstag etwas davon. Traurig für die eigentlichen Besitzer !
Päckchen ( außer mit Papiertaschentücher ) wurden beschlagnahmt, Post, ein- / und ausgehend, wurde kontrolliert.
Zwei Tages-Ausflüge fanden statt.
1 x Hallig-Hooge ( Schlechtwetter ) :
Lange Spaziergänge, mit Blick auf viele tot in Zäunen hängenden, aufgeblähten Schafen.
( Noch von der großen Sturmflut aus Februar )
1 x Amrum ( Wetter gemischt ) :
Da die größeren Mädchen, also auch ich, in der Nacht vorher “ laut “ gewesen waren, mussten wir, im Eilschritt, vom ersten Strand, bis hin zur Fähre, einen “ Straf-Marsch “ absolvieren..
Die letzten – paar Hundert Meter – mussten wir sogar noch laufen, sonst wäre das Schiff weg gewesen.
Die kleineren Kinder durften, glücklicherweise, die ganze Zeit am Strand oder in den Dünen
verbringen.
Wir " Grossen " schimpften noch bis zum ins Bett gehen, aber es wurde bestritten, dass es sich um eine Bestrafung handelte.
Mit Verschickungen hat NIEMAND - uns Kindern - etwas Gutes getan, obwohl ich ja vielleicht dabei noch “ ganz gut weggekommen “ bin ? ! ?
Viele Speisen kann ich heute noch nicht riechen geschweige denn essen und auch sonst
verfolgt und prägte mich, das Erlebte, bis zum heutigen Tag.
Eine Freundin sagte mir, nach mehreren gemeinsamen Übernachtungen, sie hätte noch niemals einen, während des Schlafens, so stark zuckenden Menschen, erlebt.
Vielleicht kann ich, mit meinem schriftlichen Beitrag, etwas zur Aufklärung beitragen.
Ich hoffe es sehr.
Hallo,
bin Jahrgang 62. Ich war vor der Schulzeit verschickt nach Amrum und Ende der 1. Klasse in Hanstedt/Lüneberger Heide - jeweils 6 oder 8 Wochen - weiß ich nicht mehr genau. Dazu war ich als Vierjähriger für 1,5 Jahre mit TBC und anschließender Gelbsucht im Krankenhaus. Zuerst Hamburg Altona, danach Wintermoor.
Ich erlebte Einsperren ins dunkle Bad, schlafen auf dem kalten Flurfußboden, anschnallen ans Bett, Gesicht in den Suppenteller drücken, Schlauch schlucken, bis ich Galle kotzte, Gruppenduschen mit lästernden Krankenschwestern und noch einiges mehr. Die gefälschten, geschönten Postkarten nach Hause kenne ich auch.
Leider (vielleicht auch Gottseidank) erinnere ich nur Fetzen und kann sie selten Zeiten und Orten zuordnen.
Das Schlimme an allen drei Orten war die Einsamkeit, das Ausgeliefertsein, die Hoffnungslosigkeit und vor allem die Angst, Angst, Angst.
Obwohl sie sicher nur einen kleinen Teil der Schuld trugen, war und ist mein Verhältnis zu meinen Eltern nicht in Ordnung und mein Sozialverhalten ist manchmal für andere etwas rätselhaft.
Ich war ewig lang Bettnässer - mit Psychotherapie, Schlägen, Spritzen und allem Schnickschnack. Es half später viel Alkohol und andere Drogen. Dann kamen Abszesse, zweimal mit OP und dann mit Mitte dreißig eine schwere Angstneurose: Gesprächstherapie, 4 Monate psychosomatische Klinik und fast ein Jahrzehnt KBT.
Danke, dass ich das in diesem recht öffentlichen Rahmen mal loswerden durfte.
Gruß T.
Moin,
ich wurde 3 x "Verschickt", wie es damals hieß. Träger war das Sozialwerk der Bahn.
1965 war ich im Frühling auf Amrum. Von dort ist mir hauptsächlich in Erinnerung geblieben, dass es eine Gruppe für Kinder bis 7 Jahre gab, in der viel gespielt und nicht gewandert wurde, und Gruppen für Kinder ab 8 Jahre, in der lange Wanderungen unternommen wurden, dafür wenig gespielt wurde. Ich war zwar gerade erst 6 Jahre alt, musste aber mit den Großen mit, da ich so groß (jedoch noch lange nicht so weit) war, weshalb ich viel traurig gewesen bin.
Weshalb ich eigentlich schreibe waren meine 2 Aufenthalte im Alter von 7 und 8 Jahren in Arosa in der Schweiz, jeweils im Winter. Das Heim wurde von Nonnen geleitet. 30 Mädchen und 30 Jungen in 2 Gruppen gab es. Jede Gruppe wurde 6 Wochen lang von 1 Nonne - auch hier Tante genannt - geleitet, wobei die Tante, die bei einem Aufenthalt die Mädchen betreut hat z.B. beim nächsten Aufenthalt die Jungen betreut hat. Ich hatte mich auf dem 1. Aufenthalt erkältet, so dass mein Auffenthalt von 6 auf 12 Wochen verlängert wurde, so dass ich nach 6 Wochen eine neue Tante bekommen habe. Die jeweilige Tante wurde an ihren freien Tagen von einer Springer-Tante vertreten.
Uns wurde viel vorgeschrieben. Unsere Kleidung haben die Tanten ausgesucht. Unsere Pakete wurden in der Gruppe aufgeteilt. Unsere Post, die wir schreiben mussten, wurde zensiert. Wer nicht das richtige geschrieben hat musste sich einen neue Karte kaufen und neu schreiben.
Ich erinnere mich an eine Tante, die sehr nett war und eine Tante, die überstreng war und auch schon mal geschlagen hat.Geschlagen wurden allerdings nur Jungen.
1x (!) bin ich auch "Skifahren" auf dem Rodelberg gewesen, mit der netten Tante. Die anderen Tanten haben es nicht gemacht.
Was mir bis heute in sehr negativer Erinnerung geblieben ist:
Im Speiseraum saßen wir an 10ner Tischen. An einem Aufenthalt saßen an meinem Tisch 2 Mädchen, die alles nicht mochten. Da sie sehr dünn waren bekamen sie Milchsuppe zum Essen (Andere durften keine Milchsuppe essen, da sie kräftig waren). Diese beiden Mädchen kotzten regelmäßig in die Suppe und mussten trotzdem alles - inclusive dem Erbrochenen -. bis auf den letzten Löffel aufessen und bekamen - je nach Tante - auch noch Bevor sie nicht fertig waren durften sie nicht aufstehen.
Wie streng das gehandhabt wurde kam auf die Tante an, die für den Tisch bei der Mahlzeit gerade zuständig war. Es wurde also nicht im ganzen Saal gleich gehandelt.
Ich erinnere einen Tag, an dem es etwas gab, was fast keiner mochte.Wer spucken musste, durfte 1x zur Toilette,musste danach jedoch weiter essen. Beim zweiten Mal blieb nur das Kotzen in den Teller, mit anschließendem aufessen. An unserem Tisch hat fast jeder mindestens 1x gespuckt und es wurde hinterher noch viel gewürgt.. Ich erinnere mich nicht daran, jemals in den Teller gespuckt zu haben.
Aber dieses Bild der Mädels, die ihr Erbrochenes essen musste vergesse ich nie.
Macht bitte bei der Recherche nicht bei den Deutschen Heimen halt. Wie gesagt, das Heim in Arosa liegt in der Schweiz, wurde von Nonnen (!) geführt und ich wurde vom Sozialwerk der Deutschen Bahn von Hamburg aus dorthin verschickt.
Hallo, ich war im Januar - Februar 1968 mit 3 Jahren irgendwo auf Amrum im Kinderheim.
Den einzigen Beweis den ich habe, ist ein Foto (habe ich eingereicht) auf dem neben mir noch 6 weitere Mädchen unterschiedlichen Alters und eine der sogenannten Tanten an dem Tisch sitzen.
Ich habe leider so gut wie gar keine Erinnerung daran, außer ein kurzer Moment des Abschieds am Bahnhof in Lübeck, viele Betten in einem Schlafsaal und irgendwie bei Zähneputzen der komische Geruch der Zahncreme.
Ich sollte damals 8 Wochen dort bleiben, wurde aber auf Grund einer schweren Erkrankung und extremen Heimwehs nach 6 Wochen zurückgeschickt. Warum ich überhaupt dort war ist mir nicht bekannt, Krankheit durch "Kur" auch nicht. In meiner Familie kann bzw. will mir auch keiner etwas sagen, haben angeblich alles vergessen, wie alles was mich betrifft.
Da ich seit 11.09.2001 auf Grund einer Angststörung und starken Panikattacken das Haus nicht mehr verlassen kann, suche ich nach dem Grund meiner Erkrankung. Ich bin jetzt 55 und lebe seit 18 Jahren mit irgendeiner Angst, die ich nicht erklären kann, in meinen 4 Wänden. Therapie, Tagesklinik, Medikamente... Nichts bringt mich weiter.
Als ich heute diesen Artikel ( Kindererholungskuren "Psychoterror und Folter" der tageschau.de ) online gelesen habe, kamen in mir sehr viele Fragen auf. Gehöre ich vielleicht auch zu den misshandelten Kindern, ist da vielleicht die Erklärung für meine Angst zu suchen? Keine Ahnung. Tatsächlich sind die Ärzte bei mir von irgendeinem Missbrauch in frühester Kindheit überzeugt. Ich habe es, wenn da was war, jedoch so sehr verdrängt... Absolut keine weitere Erinnerung, weder an die Zeit auf Amrum noch an meine Kindheit.
Vielleicht findet sich ja eine wieder auf dem Foto in der Cloud, vielleicht gibt es irgendwann wichtige Informationen über die Zeit dort...
In jedem Fall wünsche euch allen nur das Beste und ganz viel Kraft! ? ?
Der Bericht eines Fernsehformats machte mich auf das Thema der seinerzeitigen "Kinderverschickungen" aufmerksam. Nie zuvor hatte ich eine Vorstellung davon, dass die Missstände der Kinderverschickungsheime in der frühen Nachkriegszeit der Bundesrepublik Deutschland, also in den 50er und 60er Jahren, offenbar System hatten. Eher bin ich davon ausgegangen, dass es sich hier möglicherweise um Einzelfälle handelte, die ich als Sechsjähriger während einer Verschickung nach Amrum zu erleben hatte. Dass dem aber nicht so ist, beweisen mir hier die zahlreichen Kommentare.
Meine Kurverschickung erfolgte präzise vom 24.09.1963 bis zum 04.11.1963 ins "Haus Erika" in Wittdün/Amrum. Dies weiß ich so genau, weil meine Eltern über all die Jahre ein altes Schwarzweiß-Foto aufbewahrt hatten, auf dem unsere damalige Kindergruppe dieses Hauses von einer Heim-Tante auf Anweisung lachend und lächelnd abgelichtet wurde, um eben dieses Foto den Eltern der verschickten Kinder zukommen zu lassen, so dass diese sich einbilden durften, ihren Kindern gehe es dort gut.
Soweit ich mich erinnern kann, erfolgte meine Heimverschickung aus zweierlei Gründen:
1. Seit der Geburt hatte ich immer wieder erhebliche Magen-Darm-Probleme und legte damit eben auch eine nachvollziehbare Blässe an den Tag. Die "Seeluft" sollte dies richten.
2. Meine Mutter sollte in diesem Zeitraum ein Geschwisterkind gebären, wobei es sich aber leider um eine Totgeburt handelte. Eine Erholungsphase brauchte also auch sie.
Zu den Vorgängen im Haus Erika auf Amrum lässt sich Folgendes beschreiben:
1. Toilettengänge waren grundsätzlich untersagt, wenn man zuvor nicht um Erlaubnis gefragt hatte. Dies Erlaubnis aber wurde nicht jedem zu jedem Zeitpunkt zuteil, sondern eben nur dann, wenn es die fremden "Tanten" für richtig hielten. Wurde dagegen verstoßen, weil man es nicht mehr aushielt, gab es entweder einen Boxschlag in die Magenkuhle oder man wurde mit dem Gesicht zur Wandecke unter eine Waschraumdusche gestellt. Dies konnte auch mitten in der Nacht geschehen.
2. Der verhältnismäßig große und geradezu überdimensionierte Schlafsaal besaß große, hohe Fenster mit leichten durchscheinbaren Vorhängen, während das Licht eines sehr nahe gelegenen Leuchtturms den Schlaf der Kinder massiv beeinträchtigte und stets für Heimweh sorgte.
3. "Tante Isolde", deren Name sich in meinen Gehirnwindungen bis dato recht gut in Erinnerung gehalten hat, sorgte in aller Regel dafür, dass es sowohl zur Frühstücks-, wie aber auch zur Mittags- und Abendbrotzeit fast nie ausreichend zu essen gab und man tagsüber und in der Nacht mit knurrendem Magen umher lief. Für ein Kind, das wegen massiver Magen- und Darmprobleme verschickt wurde, ist ein solcher Vorgang mehr als fatal.
4. Tagsüber fanden mehrfach recht ausgiebige Spaziergänge statt, denen man aufgrund langer Wege und ungeeigneten Schuhwerks oft nicht standhalten konnte. Man wurde als aufsässig bezeichnet und es erfolgte anschließend der komplette ganztägige Entzug von Essen.
5. Mir persönlich sind während dieses Aufenthalts zudem auch sehr unappetitliche Dinge mit besagter "Tante" widerfahren. die aufgrund ihrer Jugend gefährdenden Inhalte hier nicht beschrieben werden sollen. Nur so viel: Es gab auch sogenannte, willkürliche "Belohnungen" , die da wohl mehr einer Belohnung dieser "Tante Isolde" entsprachen...
Hallo Sabrina.
Ich bin auch Jahrgang 1980 und wurde sehr oft zur Kur geschickt, und ich kann deine Schilderungen nur bestätigen.
Es begann mit einer Zugfahrt, viele Kinder weinten, die erfahreren von den Kindern empfahlen uns alle mitgebrachten Süssigkeiten schnell aufzuessen, man würde sie uns abnehmen. Eine Tante sang " Schlaf Kindlein Schlaf..."um die weinenden zu beruhigen.
Ich erinnere mich an solange alleine im Speisesaal Sitzenbleiben müssen bis der Teller aufgegessen war, meistens Griesbrei. Ich erinnere mich, dass wir irgendwelche Deals mit den Kindern hatten, die zu wenig bekamen, weil sie abnehmen sollten, ich war bei den "Zunehmern" . Wie wir das genau anstellten weiß ich nicht mehr. Es gab sehr böse Tanten, Kinder wurden wegen Erbrechen und ins Bett machen vor allen bloßgestellt.Es wurden Kopfnüsse und Backpfeifen verteilt, eine Strafe war den ganzen Abend mit Hut in der Ecke stehen, im Raum mit allen anderen, die währendessen einen Film guckten. Aber auch liebe Tanten, die einen manchal getröstet hatten. Ich erinnere mich an lange Warteschlangen in Unterhose auf dem kalten Flur, anstehen zum Wiegen oder zum Arztzimmer.
Es gab zu wenig zu Trinken, nur eine rote Plastiktasse von diesem roten Tee, wir tranken immer heimlich so viel wir konnten, aus den Wasserhähnen im Waschraum, was dann aber zu Problemen führte, weil wir während der Schlafenszeiten nicht zur Toilette gehen durften. Wir tauschten Tipps aus, wie wir das Pippi wohl am längsten in uns behalten konnten, etwa der Art: ."Wenn es ganz schlimm drückt und wehtut, und du schon nicht mehr kannst, dann press die Zähne zusammen, es geht vorbei, danach geht es wieder für eine ganze Zeit, ohne zu drücken...wenn der Druck
sich entleeren zu müssen dann ein zweites Mal zurückkommt, dann gibt es kein Halten mehr, dann ist es besser von der Aufsichtstante
ausgeschimpft zu werden, wenn sie einen
erwischt, als nach der Schlafenspause in der
langen Warteschlange vor dem Klo einzunässen
und vor allen blossgestellt zu werden."Post von
zu Hause wurde vor allen vorgelesen, die die keine Plst bekamen wurden gedemütigt: "Sarah,
keine Post, " und sie durften dann auch nicht ins
Schreibzimmer, in dem die Karten nach Hause
zensiert wurden.
Endlich bekam ich auch mal ein Päckchen von zu Hause, der Inhalt wurde einbehalten und dann an die anderen verteilt, als ich auf der
Krankenstation war , als Strafe für Fehlverhalten meinerseits...
In einem Brief von meiner Mutter werde ich ermahnt nicht so ein Trotzkopf zu den Tanten zu sein, und sie wunderte sich, dass ich bei dem Telefonat so wenig gesagt hätte..auch warum ich ihr keine Zeichnungen schicken würde..
Ich erinnere mich, dass ich wahnsinnige Angst vor den Schwestern und Ärzten hatte..Es wurde viel rumgeschrien und kommandiert. Ewiglange Spaziergänge, in zweierReihen, ich hatte immer Durst. Wenn ein Kind vom Weg abwich oder träumte, langsam war, müde wurde, wurde es angebrüllt.Der Wind trieb uns den Regen und den Sand quer ins Gesicht, wir hatten Sprechverbot und sollten nur durch die Nase atmen, weil wir vom Wind sonst Halsweh bekommen würden.
Ich war1985 im Sanatorium Schönsicht in
Berchtesgaden,1986 in Norderney, Seehospiz Station 8, dann 1988/89 in Amrum,1990 in Sankt Peter Ording, dort zum allererstenmal mit meiner Mutter im selben Zimmer, was war ich froh, und
danach nur noch zur Mutter Kind Kur, das heißt
ich musste nur noch zu den Anwendungen in das Heim ,der
Umgangston dort aber war noch derselbe
geblieben. Bei der Atemtherapie wurde ich schlimm angeschrien und der Physiotherapeut
brach mir fast die Rippen, so drückte er mir auf
den Brustkorb, er war wütend, weil ich die
Bauchatmung nicht konnte.
Es gab aber auch Bastelangebote, das hatte mich sehr überrascht.
Irgendwie waren in der Mutter Kind Kur alle
etwas freundlicher, plötzlich..
Ich lernte einen Jungen am Strand kennen, er sagte er wäre aus dem Kurheim weggelaufen und würde in den Strandkörben übernachten, und das von den Touristen weggeworfene Zeug essen..ich bewunderte ihn für seinen Mut und hoffte er würde es schaffen. Ich hätte mich das nicht getraut.
Ich habe sicher viel verdrängt aus der Zeit, es gab viel Gewalt, es waren viele Heime, aber die Methoden alle ähnlich. Kinder wurden dort gebrochen und das systematisch, bis in die 90 er hinein..Wahrscheinlich haben sie erst damit aufgehört, als diese bösen " Tanten" in Rente gingen, irgendetwas aufgearbeitet oder reflektiert wurde da nicht.
Ich habe etwas vergessen, es müsste heißen: 1988/89 (?) auf Amrum. Ich weiß nicht mehr welches Jahr.
Meine Mutter hat zum Zeitraum meiner Geburt (Februar 1971) in einem Kindererholungsheim auf Amrum „Möwenhof“ gearbeitet. Da ich die nächsten Jahre unter chronisch spastischer Bronchitis litt und zu klein und leicht war, wurde ich das erste Mal 1973 verschickt...nach Amrum in den Möwenhof.
Bevor ich in die Schule kam, wurde ich noch mind. 1 weiteres Mal verschickt...nach Birkendorf im Schwarzwald. Es kann sein, dass ich irgendwann noch mal auf Amrum war.
Ich hatte diese Verschickungen eigentlich nie mehr wirklich auf dem Schirm....auch nicht als Grund, dass ich mich nicht unter kriegen lasse im Leben und immer am kämpfen bin.
Aber ja.....bei meinen beiden Adoptivkindern merke ich, welch Auswirkungen ein Verlassenwerden und auf sich allein gestellt sein bei einem Kind haben kann. Warum hab ich da nie an meine eigenen Erfahrungen gedacht?
Habe nur bruchstück artige Erinnerungen an diese Aufenthalte.....dass ich wegen Schwätzen abends im Schlafsaal mal ins Bad auf einen Stuhl gesetzt wurde mit einer grauen kratzenden Wolldecke und dort dann vergessen wurde.
Als 7 jährige ( heute 75 Jahre alt) wurde ich zusammen mit meiner 2Jahre älteren Schwester nah Amrum verschickt. Nach 4 Tagen haben meine Eltern uns abgeholt. Ich musste auch das Erbrochene essen, dann gab es angeblich Kopfläuse, was für meine Haare ( lang bis auf die Hüfte) ein reines Vergnügen war. Meine Schwester wurde hermetisch von mir abgeschottet, war aber so pfiffig meinen Eltern eine Ansichtskarte zu schicken. Die holten uns dann umgehend ab
Schlimm war auch das spielen mit den Kaninchen die anschließend auf den Tellern landeten; natürlich wurde auch besonders betont daß das die Tiere waren mit denen wir vorher gespielt hatten. Ein einziger Albtraum.
2 Heimaufenthalte mit ca 6 und 8 Jahren, Juist und Amrum. Durch die kürzlich gesehene Report-Sendung hab ich mich überhaupt erst wieder erinnert. Es fällt mir schwer, darüber zu reden, weil es mich emotional sehr aufwühlt, was mich nach der langen Zeit wirklich überrascht. Ich schaltete den Fernseher ein und sah als Erstes den Interviewten, der Erbrochenes essen musste. Das war auch in meinem 2.Heim Praxis, bin deshalb auch nur mit Angst zu den Mahlzeiten. Strafaufenthalte im kalten Bad, Frühgymnastik in der Kälte, zur Bewegungslosigkeit im Krankenzimmer verdammt, schreiendes Heimweh... eigentlich eine Art Gefängnis....
Ich bin jetzt 54 Jahre alt und wurde vor 50 Jahren im April 1970 zusammen mit meiner Schwester (diese ist 1 Jahr älter als ich) verschickt. Wir waren vom 1. April bis zum 11. Mai auf Amrum, Norddorf, Haus Utjkiek. Ein Bericht meiner Schwester folgt noch, sie ist ebenfalls traumatisiert.
Die größte Angst und das Gefühl von Verlassenheit hatte ich während der langen Zugfahrt und nachts. Meine Schwester und ich wurden größtenteils getrennt. Nachts mußten wir regungslos im Schlafsaal liegen und durften uns nicht bewegen. Ich habe auf diese Situation mit Essensverweigerung reagiert und nicht mehr gesprochen. Zur Strafe wurde ich im Essensraum eingesperrt und musste alleine vor meinen Butterbroten den ganzen Morgen sitzenbleiben. Das war psychische Gewalt! Das war eine Zeit des Grauens!
Ich habe bis zum 14. Lebensjahr nur mit Kopfschlagen einschlafen können. Ich war ein sehr zurückgezogenes Kind. Ich kann bis heute nicht im komplett dunklen schlafen, brauche immer ein bischen Licht. Ich habe 3 mittlerweile erwachsene Kinder. Ich habe sie mit Ausnahme des Kindergartens nie von anderen betreuen lassen, habe meinen Job aufgegeben um immer bei ihnen sein zu können. Selbst die Omas der Kinder habe ich zur Betreuung nicht gewollt. Damit möchte ich verdeutlichen, welche weitreichenden Folgen in die Zukunft diese 6 Wochen in meinem Leben gehabt haben.
Meine Schwester und ich haben in späteren Jahren unsere Eltern darauf angesprochen und dass es ein schrecklicher Aufenthalt war. Wir sind auf taube Ohren gestoßen und uns wurde gesagt, dass es von "allen" empfohlen wurde und doch so toll dort sein sollte für Kinder.
Wie kann man so kleine Kinder ohne Eltern "verschicken wie Pakete"? Wieso haben das solche Massen von Eltern ohne Bedenken gemacht? Was wurde denen erzählt/vorgegaukelt? Auf diese Fragen habe ich bis heute keine Antwort.
Ich bin Jahrgang 1962 und wurde 1970 zusammen mit meiner Cousine nach Wittdün auf Amrum zur Erholung geschickt. Ich weil ich unter Neurodermitis litt und meine Mutter ins Krankenhaus musste. Wir waren 4 Kinder und ich das Jüngste. Mein Vater und sein Bruder fuhren uns nach Heidelberg zum Sonderzug und ich kann mich noch daran erinnern, dass er mich ganz fest drückte bevor ich in den Zug stieg. Meine Freude an die Nordsee zu fahren war riesengroß. Doch leider hielt die Freude nur bis zur Ankunft am Erholungsheim Nordfriesland. "Tante" Katie hat uns in Empfang genommen und die Zimmer zugewiesen (ich durfte nicht mit meiner Cousine in ein Zimmer) und wir mussten sofort unsere Betten beziehen. Weil ich es nicht richtig machte, bekam ich eine Backpfeife. Unsere persönlichen Sachen durften wir nicht behalten. Wir bekamen sehr wenig zu trinken, zu jeder Mahlzeit eine Tasse Tee oder sehr verdünnten Himbeersirup oder Buttermilch - mehr nicht. Auf einer Wanderung kamen wir an einem Haus vorbei mit einer Leuchtreklame von Union-Bier. Das U war das obere Teil von einem Pilsglas. Mit meinen 8 Jahren dachte ich immer daran wie gerne ich jetzt ein Bier trinken würde! Der erzwungene Mittagsschlaf war sehr schlimm für uns Kinder. Wenn wir beim Flüstern erwischt wurden, mussten wir den Rest der Zeit in Unterwäsche auf der Jungen-Station stehen. Sehr erniedrigend. Die Ansichtskarten oder Briefe wurden zensiert. Ich habe genau 6 Karten geschrieben, auf denen jeweils das gleiche geschrieben stand: Mir geht es gut, die Aussicht (aus dem Speisesaal) ist schön. Die Aussicht war schön, aber mir ging es nicht gut. Die Dusche war ein Gang bei dem von zwei Seiten kaltes Wasser rausspritzte und man durchlaufen musste. Das Wasser war bräunlich und stank faulig. Schläge, Erniedrigungen waren an der Tagesordnung. Vor 30 Jahren wollte ich mich mit dem Heim konfrontieren und bin nach Amrum gefahren. Das Haus wurde entkernt und neu aufgebaut mit Wohnungen. Es heißt Haus Kerrin, wie auch damals die Heimleiterin hieß. Ich kann mich leider nur noch an die grausame Tante Katie erinnern und hoffe, dass sie sehr einsam ist oder war und sehr viele Schmerzen erleiden muss oder musste. Sie hat mir meine unbeschwerte Kindheit genommen. An die Namen der anderen Tanten kann ich mich leider nicht mehr erinnern. Ich habe lange nach Leidensgenossen gesucht, wurde aber nicht fündig, da ich nicht wusste, dass wir "Verschickungskinder" sind. Durch einen Bericht in unsrer Tageszeitung bin ich auf diese Seite aufmerksam geworden. Es hat Wunden aufgebrochen und ich habe viele Tränen vergossen. Mir war nicht bewusst, dass es so viele von uns gibt. Ich dachte immer, dass es nur in diesem Erholungsheim so schlimm war!
Ich muss da mal ein wenig ausholen. Wie gesagt, 1968 kam ich nach meiner Erkrankung für 6 Wochen zur "Erholung " nach Amrum. Es war ein Haus des DRK's. Zeitgleich wurde der kleine Sohn der Nachbarn dorthin verschickt. Der war ca 2 1/2-3 Jahre alt. Eigentlich dachten unsere Eltern, dass wir zusammen bleiben würden. ... Jedenfalls stand ich mit einigen anderen Kindern und dem Kleinen an der Hand auf dem Bahnhof , jedes Kind mit einem Pappschild um den Hals und wartete auf den Sammelzug nach Amrum. Die Betreuer hatten uns in Empfang genommen und die Eltern nach Hause geschickt. Der Kleine war ganz verschreckt und hat mich die ganze Zeit nicht losgelassen. Auf Amrum angekommen, wurden wir sofort getrennt. Und ich habe ihn die ganzen 6 Wochen nicht mehr gesehen. Ich hatte dann auch genug mit mir selber zu tun. Meine Mutter hatte mir für die 6 Wochen 50 DM Taschengeld mitgegeben. Das war sehr viel Geld für die Zeit. Das haben die Betreuer sofort einkassiert ! Ich habe es nie mehr wiedergesehen. Ich kam in einen Schlafsaal mit fünf anderen Mädchen. Wir waren im Alter von 10 bis 15 Jahre. Die Jüngste kam aus Bayern und hat sechs Wochen lang eigentlich nur geweint. Ich erinnere mich , dass ich Schulaufgaben mit hatte, um den Anschluss nicht zu verpassen. Aber es gab da keine geregelte Anleitung. Nach dem Frühstück hatten wir 2 Stunden Lernzeit. Aber ohne Hilfe. Hauptsache, wir haben uns ruhig verhalten. Danach mußten wir zurück in unseren Schlafsaal. Und uns ruhig verhalten. Es war Hochsommer , die Sonne schien und es war heiß. Aber wir durften nicht nach draußen. Und wir hatten Durst ! Es gab nur morgens, mittags und am Abend was zu trinken. Für jedes Kind genau 2 Tassen Tee pro Mahlzeit ! Wir haben und heimlich in den Waschraum geschlichen und Wasser aus dem Wasserhahn getrunken. Wenn wir erwischt wurden, mussten wir für 1-2 Stunden in die Besenkammer.Das war nicht so schlimm. Schlimmer war, dass uns zur Strafe dann die Trinkmenge bei der nächsten Mahlzeit abgezogen wurde.Also wir dann nur noch ein Tasse Tee bekamen. Oder nur ein halbe Tasse..... Nachmittags wurden wir ausgeführt. Schön in Reih und Glied.... Stundenlang über die Insel geschleift, ohne was zu trinken. Und selber kaufen ging ja auch nicht. Unser Geld hatten ja die Betreuer einkassiert. Meine Mutter hatte aufgeschrieben, auf was ich allergisch reagiere. Unter anderem auf Nivea Creme. Das hat niemanden interessiert. Ich wurde dick mit Nivea eingecremt und bin dann fürchterlich verbrannt. Mein Gesicht war blasig, verschwollen und tat unheimlich weh. Die Betreuerin fand das nur lustig. Ich habe dann versucht mir selber zu helfen. Meine Mutter hatte mir Penaten Creme eingepackt. Die hab ich mir dann dick auf das Gesicht geschmiert. Das hat auch geholfen. Aber am nächsten Morgen hab ich dann Ärger bekommen, wegen dem eingesauten Kopfkissen. Habe deshalb kein Frühstück bekommen und musste im Schlafsaal bleiben. Da konnte ich wenigstens ungestört Wasser aus dem Wasserhahn trinken. Samstags mußten wir Ansichtskarten nach Hause schreiben. Die Texte waren vorgegeben. Und jede Karte wurde kontrolliert, ob wir auch ja nichts negatives geschrieben haben. Dann wurde die Karte zerrissen und wir mussten eine Neue schreiben. Die Karten und Briefmarken wurden uns von unserem konfiszierten Taschengeld abgezogen. Am letzten Samstag vor der Heimreise verkaufte uns das Heim Andenken. Im Speisesaal war ein Tisch mit Sachen aufgebaut und wir mussten uns was aussuchen. Jedenfalls wurde damit unser letztes Geld geschrottet. Bei der Heimreise habe ich dann den kleinen Sohn der Nachbarn wiedergesehen. Er war dünner und blasser als bei der Anreise. Wie sich später heraus stellte, war er während der Zeit recht schwer an Windpocken erkrankt. Man hatte es nicht für nötig gehalten, die Eltern zu informieren. Ich habe meinen Eltern alles erzählt. Und sie haben mir geglaubt. Dann kam auch noch eine Taschengeld Abrechnung. Da standen Positionen drauf, die nicht korrekt waren. Wie Eis und Limonade. Habe ich nicht einmal bekommen. Und die Ansichtskarten und Andenken waren wohl auch ziemlich überteuert. Meine Eltern und die Eltern des Kleinen haben sich dann gemeinsam bei der Krankenkasse beschwert. Und anscheinend auch noch andere Eltern. Wir haben dann irgendwann gehört, dass einige Kassen die Verträge mit dem Heim gekündigt haben und das Haus geschlossen wurde.
Liebe Karina, wahrscheinlich war ich 1967 in dem selben DRK Heim. Ich würde mich gerne mit Dir darüber austauschen. Wenn Du auch möchtest, wende Dich bitte an die Heimort Verantwortliche für Amrum. (Bea, ihre Email findest Du unter Vernetzung). Sie wird Dir meine Email weiterleiten.
6 Wochen Hölle in Wittdün auf Amrum
Wegen chronischer Bronchitis wurde ich von Mitte Mai bis Ende Juni 1967 im Alter von 8 Jahren zur Kur verschickt. Träger dieser Maßnahme war die DAK.
Vom Bahnhof Hamburg-Altona fuhr der Sonderzug. Wir Kinder bekamen vor der Abfahrt ein Pappschild mit dem Bestimmungsort um den Hals gehängt. Auf dem Bahnsteig standen auch noch unzählige Kinder mit der Aufschrift „St. Peter Ording“. Alle Kinder bestiegen den Zug. Irgendwo unterwegs mussten die Kinder nach St. Peter Ording den Zug verlassen und umsteigen. Unser Zug fuhr bis Niebüll. Mit der Fähre wurde wir nach Amrum übergesetzt.
Vom Hafen bis zum Heim war es mit dem Koffer, den wir selber tragen mussten, ein beschwerlicher Weg. Im Heim angekommen wurde ich mit 4 weiteren Mädchen einem 5-Bett-Zimmer zugeteilt. Mein Bett war an der Fensterseite. Vor mir, ebenfalls an der Fensterseite lag Ursula aus Schwaben, neben mir, in der Mitte des Zimmers hatte Anette ihr Bett und an der hinteren Wand lag Astrid. Den Namen des 5. Mädchens kann ich nicht mehr erinnern. In einem großen Holzschrank wurde unsere Bekleidung untergebracht. Als erstes wurde uns verboten, an diesen Schrank zu gehen und uns Kleidung herauszuholen. Alles im Zimmer sah sehr einfach und heruntergekommen aus. Wir mussten in gelblich-weißen, abgestoßenen Stahlrohrbetten schlafen.
Zu jeder Mahlzeit wurden wir zum Essen gezwungen. Das, was man uns da servierte, war das Billigste vom Billigsten. Die Kinder, die es nicht schafften, aufzuessen, mussten solange sitzen bleiben, bis sie es aufgegessen hatten. Schafften sie es nicht, gab es für sie keinen Mittagsschlaf und nach dem Mittagsschlaf auch kein Stück Kuchen. 2 – 3 Mal in der Woche bekamen wir zum Abendbrot mit ranzigem Schmalz bestrichene Vollkornbrotscheiben, die wir selbstverständlich auch essen mussten.
Nach dem Mittagessen mussten wir Mittagsschlaf machen, was ich nicht gewohnt war. Eines Tages lieh ich mir von Astrid ein Comic-Heft aus, setzte mich hinter die zugezogene Gardine und las, statt Mittagsschlaf zu machen. Dabei erwischte mich „Tante“ Erika. Sie riss mir das Heft aus der Hand und schlug damit schimpfend auf mich ein, so dass ich nur noch Schutz suchend unter der Bettdecke verschwinden konnte.
Ab 20:00 Uhr abends durfte keiner mehr zum WC gehen, egal, wie dringend man musste. Das brachte mir unzählige durchschwitzte und durchfrorene Nächte ein. Teilweise hatte ich es nicht mehr ausgehalten. Also schlich ich mich aus dem Bett. Schnell konnte ich mit meinen nackten und verschwitzten Füßen nicht über den mittelgrünen Linoleum-Fußboden laufen, da ich sonst schmatzende Geräusche verursacht hätte. Beim WC angekommen, durfte ich die Tür nicht schließen, da dies auch verräterische Geräusche gemacht hätte. Nun musste ich versuchen geräuschlos Wasser zu lassen. Meistens gelang mir das. Trotzdem wurde ich einmal dabei von der Nachtwache erwischt. Sie bestrafte mich damit, dass ich im eiskalten, zugigen Flur barfuß eine ¼ Stunde lang in der Ecke mit dem Gesicht zur Wand stehen musste.
Neben der Heimleiterin „Tante“ Marianne war ihre Tochter dort „Tante“ und hatte dort auch ihre beiden ca. 10 und 12 Jahre alten Kinder. Eines Tages kamen diese zu spät zum Mittagessen. Die Mutter war sauer und holte das ältere Kind in den Speisesaal, in dem wir schon alle saßen und keifte ihre Tochter an: „Wo warst Du?“ Antwort: „Am Strand.“ Daraufhin schlug die Mutter ihrer Tochter ins Gesicht. Ihre Wange färbt sich leuchtend rot. Und wieder fragte sie rechenschafts- und authoritätsheischend und geradezu schreiend:“Wo warst Du?“ Antwort: „Am Strand.“ Und wieder schlug die Mutter ihrer Tochter mitten ins Gesicht. Vor Schmerzen rannen ihr schon die Tränen runter. Das Hin und Her ging einige Male so. Dann machte „Tante“ Marianne den Vorschlag, doch mal die jüngere Tochter hereinzuholen, denn die wäre wohl eher weich zu kriegen. Also wurde die ältere, weinende Tochter vor die Tür geschoben und die jüngere Tochter gewaltsam hereingezerrt. Wieder fragte die Mutter schreiend nun die jüngere Tochter: „Wo warst Du?“ Antwort: „Am Strand.“ Auch sie kassierte eine klatschende Ohrfeige. Nach einigen weiteren Malen gab die jüngere Tochter weinend zu, dass sie nicht am Strand waren, sondern in der Stadt. Eben da, wo sie nicht spielen durften, weil dort Autos fahren. Nach diesem heraus geprügelten Geständnis wurde die ältere Tochter wieder hereingeholt. Nun schlug die Mutter auf ihre beiden Töchter äußerst brutal ein, so dass beide Kinder zu Boden gingen. Sie lagen weinend am Boden und erbrachen sich. So auf dem Boden liegend trat die Mutter auf ihre Kinder ein und beschimpfte sie extrem beleidigend.
An einem Tag, als wir am Strand spielen durften, musste ich mal wieder sehr dringen aufs Klo. Aber weit und breit gab es keines. Kinder, die dasselbe Problem hatten, verzogen sich hin und wieder mal in die Dünen. Wenn sie dabei erwischt wurden, bekamen sie Ärger. Vom kalten Wind an den Beinen wurde der Blasendrang so übermächtig, dass ich in die Hose machte. Wieder im Heim angekommen, wechselte ich sofort meine Unterhose, bekam aber einen Riesenärger, weil ich mir die eigenmächtig aus dem Schrank geholt hatte.
Der 4-jährige Ingolf hatte es eines nachts nicht geschafft, bis zum nächsten Morgen, anzuhalten und ließ unter sich, so dass am nächsten Morgen seine Matratze durchnässt war. Das war Anlass genug für die Heimleiterin „Tante“ Marianne, den kleinen Ingolf brutal zusammenzuschlagen. Außerdem wurde seine durchnässte Matratze für alle sichtbar vor die Tür gestellt und ihn vor uns allen als „Schwein“ bezeichnet. Ingolf bekam Stubenarrest. An diesem Tag war das Wetter schön und es war wieder mal Wandertag. In 2er-Reihen aufgestellt wurde an uns Kinder geschabte Möhren verteilt. Die mochte ich wohl, aber mir war nach dem Genuss einer solchen Möhre immer sehr unwohl. Außerdem ließ ich mich von der allgemein schlechten und aufgeheizten Stimmung anstecken und machte die Bemerkung: „Bäh, schon wieder Möhren.“ Darauf hin schlug mir einer der „Tanten“ eine schallende Ohrfeige mit dem Kommentar: „Hat das Frauenzimmer hier sonst noch was zu meckern?“ Als jeder seine Wegzehrung hatte gingen wir los. Während der Wanderung löste sich unsere 2er-Reihe auf und wir wanderten im lockeren Verband. Ich ließ mich langsam immer weiter zurückfallen und in einem unbeobachteten Moment flogen fortan meine Möhren in die Dünen.
Einmal in der Woche wurden wir angehalten, einen Brief nach Hause zu schreiben. Dass ich nichts von den Quälereien schreiben durfte, wusste ich instinktiv und schrieb irgendwas Unverfängliches, denn die „Tanten“ lasen unsere Post bevor sie sie abschickten.
Gegen Ende der Kur gingen wir Mädchen mit einer „Tante“ zum Souvenir-Laden und durften uns dort etwas aussuchen. Ich war als letzte dran und wurde angehalten, mir etwas aus dem schon ziemlich ausgedünnte Sortiment etwas auszuwählen und entschied mich für ein getrocknetes Seepferdchen, was ich selbstverständlich von meinem Taschengeld bezahlen durfte.
Auf einer alten Postkarte habe ich im Internet das Haus Seemöwe wiedererkannt.
Lange Zeit konnte ich nichts essen, was mit Schmalz zu tun hatte. Irgendwann sagte mir meine Mutter, dass Schmalz nicht stinken darf und nahezu geruchlos ist. Um neu zu lernen, kaufte ich ein Päckchen Schmalz und briet darin Frikadellen und Kartoffeln. Beides konnte ich ohne Ekel essen, nur keine Schmalzbrote. Schon wenn jemand das Wort „Schmalz“ ausspricht, zieht sich mir sofort der Hals zusammen. In einigen Restaurants gehört es zur Tischkultur, dass wartende Gäste ein Teller mit Messer, ein Körbchen mit kleinen Weißbrotscheiben und einem Töpfchen Schmalz kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen, um die Zeit, bis das Essen serviert wird, zu überbrücken. In einem solchem Restaurant kann ich nicht essen, denn schon der Anblick von Schmalzbroten essenden Leuten läßt mich die Flucht ergreifen.
Wegen des wochenlangen nächtlichen nicht zum WC gehen dürfen, begannen nach der Kur psychosomatische Blasenbeschwerden. Wenn beispielsweise meine Mutter mich anwies, sie zum Einkaufen zu begleiten, kam ich vom heimischen WC nicht mehr runter, weil mich ein übergroßer Blasendrang wegen extrem verkrampfter Blasenmuskulatur quälte. Eines Tages sagte sie zu mir: „Du gehst jetzt auf Klo.“ Das tat ich auch. Als ich den WC-Raum verließ, wies sie mich an, mir Mantel und Schuhe anzuziehen, weil wir jetzt zum Einkaufen müssen. Da geriet ich in Panik weil sich sofort meine Blasenmuskulatur wieder extrem schmerzhaft verkrampfte und sagte: „Ich muss mal.“ Meine Mutter: „Das kann gar nicht sein. Du warst doch eben.“ Aber ich blieb dabei und hatte Angst, unterwegs kein WC mehr rechtzeitig erreichen zu können. Als mich meine Mutter das nächste Mal anwies, zum WC zu gehen, kam ich vom WC nicht mehr runter, denn ich wusste, dass wir gleich einkaufen gehen würden. In den folgenden Jahren bin ich immer wieder vor Schmerzen wegen verkrampfter Blasenmuskulatur zu Boden gegangen. Als ich wegen Blasenbeschwerden bei meinem Urologen war, nahm ich mal meinen ganzen Mut zusammen und erzählte ihm, dass uns Kindern damals verboten wurde, zum WC zu gehen. Der Arzt wäre fast aus seinem Ledersessel gefallen, schlug seine Hand vor sein Gesicht und sagte: „Oh mein Gott, Sie sind ja gefoltert worden.“ Ein anderer Urologe fand es bemerkenswert, was für eine extrem ausgeprägte Blasenmuskulatur ich habe und sagte: „Das habe ich in meiner jahrzehnte langen Berufstätigkeit noch nie gesehen.“ Noch heute habe ich immer noch diese Beschwerden.
In den Urlaub zu fahren war für mich seit meinem „Kuraufenthalt“ ein echtes Problem. Wenn sich bei anderen Urlaubern wegen zu guten und zu reichhaltigen Essens das Hüftgold vermehrte, nahm ich genau die Menge im Urlaub ab. Lange in einer fremden Umgebung zu sein, ist für mich kaum auszuhalten. Dann habe ich den Eindruck, ich befinde mich im Feindesland und verspüre einen ständige Fluchtimpuls und habe Stress pur. Das geht inzwischen soweit, dass wenn ich mich längere Zeit in einer fremden Umgebung befinde, ich stressbedingten, teilweise großflächigen Haarausfall bekomme. Die Haare wachsen wohl immer wieder nach, nur sind die kahlen Stellen lange Zeit sichtbar.
Hallo zusammen!
Ich wurde heute durch einen Bericht im "Schwarzwälder Boten" auf dieses Forum aufmerksam und seither habe ich feuchte Augen. Auch ich war ca. 1964 so ein Verschickungskind wegen ständiger Brochitis. Ich habe wirkliche Grausamkeiten erlebt. Ich war in einem DRK-Heim in Wittdün auf der Insel Amrum. Meine Frage: Gibt es jemanden, der dort auch war? Vor ca. 15 Jahren habe ich an das DRK und die Kriminalpolizei dort geschrieben, ob weitere Fälle bekannt sind, leider ohne Ergebnis.
Anlässlich einer kardiologischen Reha im vergangenen September wurde mir dringend empfohlen, die Erlebnisse aufzuarbeiten, da das auch mein Herz beeinträchtigt. Die Psychologin hat bei mir eine PBS diagnostiziert, aber leider gibt es in meiner Nähe keine geeigneten Traumatherapeuten.
Ich würde mich gerne weiter austauschen...
Liebe Grüße aus dem Schwarzwald
Hallo.... ich bin heute durch einen "Zufall" auf diese Seite gestoßen. Ich unterhalte mich mit einer Freundin wieder einmal über meine Kindheit, keine Erinnerungen etc., da wird ihr später auf dem Laptop der Bericht über "Kinderverschickungen" angezeigt. Wir also in der Recherche...und ich nun hier gelandet....
Ich bin jetzt 56 Jahre alt, und war im Alter von 4 oder 5 Jahren (1968/69) für 6 Wochen entweder auf Sylt oder Borkum, Amrum..... Ich habe eine Erinnerung. Das Haus war direkt am Meer, bei Ankunft hatte ich in die Hose gemacht und bekam ein rote Strumpfhose irgendwie "geliehen"......
Es gibt ein Foto, wo ich in einem Kleid mit einer Nonne im "Spielzimmer" wohl stehe. Und ein Foto, wo wir alle auf den Steinen am Strand (Landzunge) sitzen . Es ist wohl kalt. wir tragen Mützen.
Evtl. haben mich die Nonnen auch Michaela genannt und ich habe geweint... Weil dies steht in meinen Papieren, jedoch wurde ich schon immer Michelle genannt.... Aber bei den Geschichten, die hier so beschrieben werden, und ich habe leider keinerlei Erinnerungen außer meiner "nassen Ankunft"...., ist ja alles möglich und vieles wurde wohl hart bestraft.
Vielleicht erinnert sich jemand.
Ich werde die nächsten Tage die Fotos suchen und einstellen. Bin leider gerade in Urlaub .
Fühlt Euch alle gedrückt.... Ich weiß gerade nicht was "schöner" ist. Keine Erinnerung, oder Erinnerung. Es ist unfassbar.
Michelle
Ihr Lieben,
ich war auch verschickt - 6 Wochen in Wittdün auf Amrum im Haus Kinderglück 1971. Wenn ich all die schlimmen Erlebnisse hier lese, hatte ich wohl wirklich Glück, außer an schlimmes Heimweh, ein an alle verteiltes Geburtstagspäckchen und eklige Blutwurstbrote erinnere ich nicht viel Negatives. Ich hab von damals ein Foto des Heims. Wenn jemand das zwecks Erinnern sehen möchte, schick ich es gern per Mail.
Hallo,
ich war in den bayerischen Sommerferien 1972 sechs Wochen zur sog. Kur auf Amrum im Lenzheim. Damals war ich acht Jahre alt. Wir wurden von Nürnberg aus in einer großen Gruppe
dorthin gebracht. Schon die Verabschiedung in Nürnberg und die Fahrt nach Amrum habe ich als traumatisch in Erinnerung. Vom Lenzheim sind bei mir nur einzelne Bilderfetzen vorhanden. Ich schlief in einem Zimmer im ersten Stockwerk. Nachts durften wir nicht zur Toilette, eine Betreuerin passte im Treppenhaus auf, dass niemand sein Zimmer verließ. So passierte es, dass ich nachts oft in meinem Kot lag. Zu jener Zeit dort fing ich an mir nachts im Bett die Haare büschelweise rauszureißen, bis ich eine kahle Stelle von 3-4 cm Durchmesser am Hinterkopf hatte. Ich litt enorm darunter und schämte mich, dass ich das tat. Dieser Drang des Haarereißens verfolgte mich mein halbes Leben.
Am Strand vor dem Haus beobachtete ich beim Spielen immer die Fähren, die in Wittdün anlegten oder wegfuhren. Ich hatte dabei schreckliches Heimweh.
Es gibt aber auch gute Erinnerungen: Uns wurde auf der Terrasse "Mio, mein Mio" von Astrid Lindgren vorgelesen, dazu gab es Milchbrötchen mit
Carokaffee. Wir besuchten Gottesdienste in der Kirche in Nebel. Mehr weiß ich nicht.
Hier jemanden zu finden, der oder die auch zu der Zeit im Lenzheim war und sich erinnert, wäre wunderbar.
Viele Grüße Michael
Liebe Ramona, ich bin 48 und war mit 6 Jahren auch auf Amrum im Haus Sonnenschein im Nebel. Ich wünscht ich könnte die Erinnerungen abschalten. Mobbing, Bestrafungen waren an der Tagesordnung. Meinen Eltern fiel auch auf daß ich vielmehr verstört al genesen ankam. Diesen Schlangen als Erzieherinnen wünsche ich die Pest und ewige Hölle. Ich kann mich einfach an alles erinnern, leider Gottes an alles. Wie ich in die Dunkle Kirche gezerrt wurde um der Messe beizuwohnen, was mich in Angst versetzte. Das Kind von türkischen Eltern. Bei der Wattwanderung ließen sie mich einfach unbeaufsichtigt zurück. Am Ufer sah ich mehrere Spaziergänger wie sie heftig zu mir winkten. Als ich mich umdrehte zum Meer sah ich eine Wasserwand auf mich zukommen. Eine Springflut. Ich habe wie wahnsinnig geschrien. Auf der Flucht fiel ich mehrmals in den Schlick. Das ging solange weiter bis eine Jugendliche Mut fasste und mich rausholte. An den Namen dieser Schlangen als Erzieherinnen kann ich mich noch gut erinnern. Margeret, Silvia und Katerina.
Hallo, ich habe auch den Bericht im Fernsehen gesehen.Seit vielen Jahren der Depression suche ich nach den möglichen Ursachen. Ich war irgendwann in den Sommerferien 1964-1970 auf Amrum im Heim Satteldüne und auf Sylt im Kurt-Pohle-Heim.Sylt kann ich nur noch die Hagebuttenwege zum Strand zuordnen, Saltos in den Sand, Nachtwanderung und irgendwie so ein Versteckspiel in den Dünen und Haferschleim, der gegessen werden musste, schrecklich schmeckte und eingetrichterter Fischtran, der noch furchtbarer war. Meine Kindheit ist zu vielen Teilen ein schwarzes Loch- da es auch zu Hause körperliche Strafen gab hab ich sowas vielleicht vergessen oder es gab sowas nicht. Vom Kurt Pohle Heim weiß ich nur noch, das es dort wohl ein Eisen-Klettergerüst als Elefant gab. Der Rüssel war die Rutsche auf der ich mir einen Schneidezahn abbrach.Der Leuchtturm leuchtete nachts ins Zimmer und bei Wind kam der Linoleumboden hoch. Ich habe versucht durch zwei Besuche an mehr Erinnerungen zu kommen.
hallo, ich war von Oster bis Pfingsten 1974 auf Amrum im Haus Wittdün. Da war ich 7 Jahre alt. Ich dachte immer, ich fand das nur ganz schrecklich und habe oft in lustiger Runde von meinen Bestrafungen erzählt.
Das das im Inneren ganz anders aussah, brauche ich an dieser Stelle wohl nicht zu erwähnen... Meine Tochter erzählte mir von dem Fernsehbericht und legte mir nahe, diesen nicht alleine zu schauen. mit meinem Partner zusammen starrte ich auf diesen Fernseher und konnte kaum glauben was ich da sah. Als wenn mir einer die Kehle zudrückte...( Mein Freund hat übrigens das gleiche Schicksal erleben müssen, nur in Soest)
Danach habe ich mit meiner Mutter gesprochen, sie gab mir die Briefe, die ich geschrieben hatte. Es waren nicht meine Worte und teilweise unfertig. Meine Mutter sagte, das ich glücklich zurückgekommen bin und erst paar Jahre später erzählt habe, das ich als Strafe in der prallen Sonne 1kg Krabben puhlen musste ( neben mir saß eine Aufpasserin die mich ständig maßregelte) Im Jugendalter konnte ich erzählen, das ich eingenässt habe und Angst vor Strafe hatte ( Die Strafe ist komplett ausgeblendet. weiß nur das ich aus dem Bett gezogen wurde) Bei einem Ausflug musste ich mal hinter einen Busch, Papier gab´s keins... Im Heim musste ich meine Unterhose waschen. Ich sehe wie ich vor der Kloschlüssel stehe und hinter mir eine Aufpasserin. Was dann passierte, keine Ahnung. Wenn wir keinen Mittagsschlaf gemacht haben, bzw. die Augen nicht zu hatten, wurden wir aus dem Bett geholt und mussten im Nebenzimmer auf einem Stuhl "schlafen". Daneben eine Aufpasserin mit einem Kleiderbügel.
An das Thema Essen kann ich mich überhaupt nicht erinnern!
Es gibt immer wieder kleine Erinnerungsfetzen, wenn ich eure Berichte lese, sind dann aber sofort wieder raus. War es wirklich so schlimm, das der Kopf das bis heute nicht nach vorne holt? Habe ich deshalb bis heute auf der Überholspur gelebt? Immer die taffe Frau gegeben und doch eigentlich nur um Anerkennung gekämpft? in späteren Jahren sind ja auch noch andere Erfahrungen dazu gekommen die einen geprägt haben.
Beruflich bin ich unter anderem gewerkschaftlich unterwegs. Das ist mir auch seit Berufsbeginn sehr wichtig gewesen. Etwas für andere zu tun.
Und was ist mit mir? Möchte ich eigentlich wissen, was damals passiert ist? Es bleibt ein mulmiges Gefühl. Was, wenn auf einmal alles hoch kommt und meine "heile" Welt zerstört?
Hallo,
mein Name ist Doris Menke, ich muss ca. 1970 auf Amrum gewesen sein, in einem Verschickungsheim.
Es war schlimm, auch weil niemand meine Erfahrungen glauben wollte.
Es berührt mich sehr, nun von anderen zu hören, die solche Dinge schildern, die auch ich erlebt habe.
Ich habe noch ein Gruppenbild von meinem Aufenthalt dort.
Hallo Zusammen mein Name ist Inga Jenkel und ich war 1972 im Kinderkurheim Satteldüne auf Amrum.Es war ganz schrecklich .Es war im Juli 1972.Vielleicht ist hier jemand der zum selben Zeitpunkt dort war?
Hallo ich war 1972 in Nebel auf Amrum im Kinderkurheim Satteldüne.In Lübeck war damals die Sammelstelle von wo aus wir mit dem Bus weitergefahren sind.Ich bin dort auf Grund meiner Stärken Neurodermitis gewesen.Gleich in den ersten Tagen kam als ich gerade eingecremt wurde eine Ärztin ins Behandlungszimmer,die als sie mich gesehen hat gefragt hst"Welches Schwein von Mutter hat dich denn auf Die Welt gebracht"Ich werde diesen Satz nie vergessen.Als nächstes hat sie Angeordnet das sie sich jetzt um mich kümmert und damit ging es los.Ich musste aus meinem Zimmer raus in ein 2Bett Zimmer meine ganze Kleidung wurde mir weggenommen.Ich musste alte Männershorts und Männerhemden tragen.Ich durfte nicht mit meiner Gruppe mit und war die meiste Zeit alleine.Oft musste ich raus und saß hinter dem Haus Stundenlang alleine auf einer Bank.Ich bekam von ihr jeden Tag Spritzen und wenn sie die Vene nicht gleich getroffen hat gabs Ohrfeigen.Einmal habe ich ohne Duschhaube geduscht als sie das gesehen hat gabs wieder Ohrfeigen.Briefe wurden kontrolliert und umgeschrieben.ich kann gar nicht alles aufschreiben.Nach 4Wochen war sie auf einmal verschwunden und ich habe sie nicht mehr gesehen.Es hieß damals ein älteres Mädchen hat es geschafft einen Brief nach Hause zu schicken.Es kam ein Arzt und ich bekam meine Sachen wieder und durfte auch mit den anderen Kindern mit zum Strand und Ausflüge mitmachen.Ich hatte alles tief in mir vergraben..bis ich von der Sendung gehört habe und jetzt ist alles wieder da.
Hallo miteinander,
ich (Hajo O.) war im Februar/März 1968 fünfjährig in einer Einrichtung auf Amrum, bin dort 6 Jahre alt geworden. Leider bin ich nicht mehr sicher, in welchem Haus dort ich war, aber Wittdün kommt mir bekannt vor. Ich erinnere mich vor allem daran, dass ich sehr viele Stunden geweint habe, vor Heimweh und Kummer, im Bett. Und an eine "Mittagspause", in der wir still im Bett liegen mussten, und in der ich es gewagt hatte, leise zu einem anderen Kind in einem benachbarten Bett etwas herüberzuflüstern, was aber auffiel, und dass ich dann die ganze restliche Pause mit dem Gesicht zur Wand in einer Ecke des Schlafsaals stehen musste (als 5-Jähriger!). Und an das Sammeln von Bernsteinen meine ich mich auch zu erinnern, in solchen Klapp-Zigarettenschachteln, die uns die "Tanten" des Heims gegeben hatten; von den Bernsteinen habe ich aber keine mit nach Hause gebracht. Als ich Geburtstag hatte, durfte ich ausnahmsweise ein Päckchen meiner Eltern bekommen, aber der Inhalt wurde von den "Tanten" "gerecht" an alle verteilt...
Leider erinnere ich sonst bisher nicht mehr viel, würde mich aber gern mit anderen Betroffenen austauschen und weitere Erinnerungen wiederfinden bzw. andere dabei unterstützen, ihre wiederzufinden. Auch Bilder oder Dokumente würden mir sehr helfen, habe selbst eben bei meiner damaligen Krankenkasse angefragt, in der Hoffnung, dass die noch Infos dazu haben und herausgeben (hier geht es mir besonders um den Namen der Einrichtung, um da sicher zu sein).
Ich habe seit Langem das Gefühl, dass ein tiefer Kummer und Schmerz, den ich schon das ganze Leben lang mit mir trage, auch etwas mit dieser "Erholungskur" auf Amrum zu tun haben könnte... Und ich freue mich sehr über die Initiative anderer Betroffener, damit jetzt an die Öffentlichkeit zu gehen- herzlichen Dank dafür!
Viele Grüße
Hajo
Martin Achterkamp, geb. 6.April 1958 -
2024-09-03
Verschickungsheim: Haus Erika, Amrum
Zeitraum-Jahr: März/April 1964
Kontakt: Kontakt: Erwünscht
Ich habe nur noch wenige Erinnerungen an diese sechs Wochen, habe aber wenige Jahre später ein Erinnerungsfoto untertitelt mit "Die hässlichste Zeit meines Lebens! "
Ich bin mir sicher, dass sich dieser "Kuraufenthalt" tief in meine Seele eingebrannt hat, ohne Genaueres zu wissen. Vielleicht einer der entscheidenden Gründe für meine lebenslangen Depressionen?!
Ich würde mich gerne mit anderen Menschen austauschen, die auch eine "Kinderlandverschickung" erleiden mussten.
Martin
Sabine Homann -
2023-10-30
Verschickungsheim: Amrum
Zeitraum-Jahr: 1967
Kontakt: Kontakt: Erwünscht
Ich habe dort furchtbare Misshandlung und Gewalt erfahren! Wurde über TK dorthin verschickt! Erbrochenes musste gegessen werden, man hat mehrere Stunden beim Essen gesessen bis der Teller leer war! Schlafen mit Gesicht zur Wand sonst gab es Schläge! Elternbriefe, ich konnte nicht mit 5 Jahren nicht schreiben, waren Fake News! Päckchen, auch zum Geburtstag wurden an alle Kinder verteilt! Ich habe einige Jahre später eine Kollegin getroffen, die dieses Martyrium ebenfalls erlebt hat, leider hat uns ja nie jemand geglaubt!
Cornelia Zenker-Werner -
2023-06-29
Verschickungsheim: Amrum Wittduen
Zeitraum-Jahr: ca. 1964
Kontakt: Kontakt: Erwünscht
Leider habe ich wenig Erinnerungen an diese Zeit. Ich wurde mit ca. 7 Jahren wegen chronischer Nebenhoehlenentzuendung dorthin von Ulm aus verschickt. Erinnere mich nicht mehr gut an diese Zeit, hatte aber furchtbares Heimweh. Ich schrieb dies auch nach Hause und habe die Briefe, die von der Heimleitung zensiert wurden noch. An den grausigen Haferschleim zum Fruehstueck erinnere ich mich und an die eingenaehten Namensetiketten in allen mitgebrachten Kleidungsstuecken.
Christine Heckmann -
2023-04-30
Verschickungsheim: Amrum
Zeitraum-Jahr: 1966
Kontakt:
Prolog : Kinderverschickung 1966 Nordsee!!
Irgendwie war eine Unruhe in unserem Haus. Immer Getuschel, aber nichts, was ich später hätte deuten können. Irgendwann ging meine Mutter, mal wieder mit mir zum Arzt, und danach ging das relativ schnell, das ich jetzt immer öfter Gesprächsfetzen mitbekam. "
Die kommt jetzt mal weg", oder " nein die muss weg". Ich bin 1960 geboren, sehr spät im Dezember. Ich wurde aber mit meinem Jahrgang 1960 eingeschult. Man nannte das,
"Kurzschuljahr". Das hieß in meinem Fall, ich wurde 5Jahre im Dezember 1965 und wurde im April 1966 eingeschult. Ich war mal gerade so 5Jahre und 4Monate alt. Ich ging noch nicht sehr lange zur Schule, konnte aber meinen Namen schon schreiben. Mein Unglück , das ich eine Linkshänderin war, hat mir dann auch in der Schule, jeden Morgen, Prügel beschert. Diese Lehrerin, eine Frau Fischer, hat sich jeden Morgen neben mich gestellt und mir mit dem langen Zeige Stock, auf meine kleinen Hände drauf geschlagen um mir immer wieder klar zu machen, das ich gefälligst mein schönes Händchen zu nehmen hätte . Ich war schon sehr verschüchtert und eher still, ich hatte nämlich auch eine sehr harte Mutter, immer Schläge für alles um dann auch noch in der Schule immer Angst haben zu müssen. Und jetzt hat es angefangen, das ich verstanden habe, das mit den Sätzen, " das die weg muss", ich gemeint war. Nur war mir das Ausmaß nicht genau klar. Ich hatte das Glück, das wunderbare Glück, das wir in einem 4 Generationen Haus gelebt haben, und ich der absolute Liebling von meinem Uropa war. Geliebt, verwöhnt und beschützt. Er hat sich, so gut er konnte, immer vor mich gestellt und mich vor meiner Mutter zu beschützen versucht.
Epilog:
Eines Morgens, sind wir alle, also, ich, meine Eltern und auch mein Uropa, mit einem Koffer nach Saarbrücken zum Hauptbahnhof gefahren. Und dort, sollte ich alleine in einen anderen Bus einsteigen. Das wollte ich aber nicht. Ich fing an zu weinen und da bekam ich dann die erste Erklärung was denn hier jetzt passieren sollte. Meine Mutter sagte mir, ich käme jetzt in ein Heim, ich solle dankbar sein, das wäre auf einer Insel. Ich wäre zu dünn und die würden mich gesund machen. Das Wort unterernährt viel ein paar mal, aber damit, konnte ich nichts anfangen. Dann ging das Drama erst los. Ich wurde gezwungen, in diesen Bus einzusteigen. Ich schrie, ich wehrte mich, ich trat um mich und mein Uropa, ist dann zu mir in den Bus gestiegen, um mich zu halten und zu beruhigen. Meine Mutter kam dazu, um ihn wegzureißen. Es war ein absolutes Chaos, mein Uropa rief immer wieder" lass das Kind in Ruhe, lasst sie bei mir". Meine Mutter schrie immer wieder, " nichts da, die kommt jetzt weg". Und jetzt kann ich mich erst wieder richtig erinnern als wir übergesetzt wurden und ich auf einem Schiff war. Mir war tot schlecht, ich hatte schreckliche Angst und war ohne meinen Uropa irgendwo allein auf einem Schiff. Die nächste Erinnerung ist, das wir in einem riesigen Speisesaal ganz viele Kinder waren und wir mussten alle still sitzen. Was genau um mich herum geschah, daran habe ich keine Erinnerung, außer, das uns morgens jemand an den Haaren riss um unseren Kopf nach hinten zu reißen. Dann wurde uns gesagt, das wir Lebertran essen müssen um gesund zu werden. Und diese Prozedur war jeden Morgen die gleiche brutale Art, uns diesen Löffel mit diesem widerlichen Lebertran, einzuflößen. Erinnerungen von Spaziergängen zum Strand und zu einem Leuchturm, von kaltem Wind und der einzigen schönen Erinnerung, ich durfte immer an die Hand, von einer dieser Betreuerinnen. Ich kann mich an Kälte, an Angst, an Verzweiflung erinnern. Ansonsten vom alltäglichen Leben ist nichts in meiner Erinnerung. Bis auf jenen Tag, der sich für immer in meine Seele geschrieben hat. Ich wurde an der Hand gezogen, man sagte zu mir, ich sei krank. Ich müsse für zwei Wochen hier weg. Warum ich mich daran erinnere weiß ich nicht, also zwei Wochen und auch dieses Wort "Quarantäne", war mir keine Begrifflichkeit, aber, das wurde mir bald klar. Ich war noch keine 6Jahre alt und man hat mich, für zwei Wochen, ganz alleine weggeschlossen. Unten an der Tür, war eine Klappe, da hat man mir mein Essen durch geschoben. Ich habe das die ersten Tage, nicht richtig verstanden, aber es wurde mit jedem Tag brutaler. Nichts war mehr wahr, ich war allein, man hat mich einfach weggeschlossen. Niemand hat mit mir geredet, niemanden habe ich gesehen, außer das Geräuch, wenn man mir das Essen durch diese Lucke geschoben hat. Ich weiß noch, das ich den ganzen Tag, neben der Tür auf dem Boden saß , weinte, klopfte, rief, bitte lasst mich hier raus, aber niemand hat darauf reagiert. Dann meine nächsten Erinnerungen, ich war wieder in dem Schlafraum, in dem ich vorher war. Jetzt konnte ich nicht mehr richtig schlafen. Ich habe meine große Zudecke benutzt, um aufrecht zu sitzen, in meinem Bett. Ich hatte Angst zu ersticken, ich konnte mich nicht mehr flach hinlegen. Mein Kopfkissen, habe ich benutzt um mich vor der Kälte zu beschützen. Und ab jetzt gab es jeden Morgen, aufs übelste Geschimpfe, weil ich ins Bett ,Pippi gemacht habe. Ab diesem Zeitpunkt, war ich eine Bettnässerin. Und das war ich danach, eine lange Zeit.
Schlusswort:
Jetzt wieder keine Erinnerung, außer das ich irgendwann, wieder Zuhause war. Und vorher, war meine Mutter schon immer bereit zu schlagen, aber jetzt hatte sie einen richtigen Grund. Jetzt habe ich für eine lange Zeit jeden Morgen Prügel und gemeine Worte bekommen, weil ich mich eingenässt hatte. Ich konnte bis fast in mein Erwachsenen Leben, nur sitzend schlafen.
Fazit: Kinderverschickung war mein Kindlicher Alptraum.
Monika Dombrink -
2022-02-17
Verschickungsheim: Amrum
Zeitraum-Jahr: 1972
Kontakt: Keine Angaben
Eigndlich liebe ich die Insel und bin Immer wieder von der Insel begeistert. Dennoch wünsche ich mir einfach das ich mich besser an die Zeit erinnern kann. Ich war mit meinem Bruder zur Erholung da. Er wohl in einem Schlafzimmer mit 8 jungen und ich war erst 5 Jahre alt mit zwei kleinen Mädchen. Speiseraum waschkeller lange Spaziergänge nonnen und Erzieher. Bestrafung gab es auch müsste in der Mittagspause in der Ecke stehen im Schlafzimmer der oberin. Nachdem ich mal eingenaesst habe wurde ich nackt auf einem Stuhl gesetzt im Flur bis mein Bett fertig war. Ich durfte erst raus zum Spielen wenn ich es geschafft habe meine Schuhe zu binden. Und da ich zunehmen sollte bekam ich Schmalz Brote zu den Mahlzeiten, die ich essen musste. Ein Päckchen von Oma mussten wir mit allen t eilen...
Peter B. -
2022-02-11
Verschickungsheim: Amrum (2mal in DRK Heim Wittdün), St. Peter-Ording, Bad Reichenhall und Berchtesgaden ("Schönhäusl")
Zeitraum-Jahr: 1961 - 1967
Kontakt: Kontakt: Über die Initiative
Hallo,
aufgrund meiner Neurodermitis und meines Asthma "durfte" ich auf Anraten der Ärzte in der Zeit von 1961 - 1967 gleich fünfmal in ein Verschickungsheim. Natürlich musste ich als kleines Kind dieselben negativen Erfahrungen machen wie alle, die im Forum ihre Erlebnisse teils detailliert schilderten. Exemplarisch seien in diesem Zusammenhang der Essenszwang, die Demütigungen durch die autoritären, lieblosen "Tanten"/Schwestern, die Postzensur und die strenge Mittagsruhe genannt, die allesamt mein Heimweh verstärkten. Selbst wenn man die Geschehnisse von damals unter dem Lichte des seinerzeitigen Zeitgeistes betrachtet, wurde an uns m.E. großes Leid verursacht. Ich denke, dass die Erlebnisse durchaus charakterprägend waren und auch noch bis heute (60 Jahre später) ihre Spuren hinterlassen haben. Wenn man rückblickend irgend etwas Positives in den damaligen traumatischen Erlebnissen finden will, vielleicht dass sie (zumindest bei mir) zu einigen positiven Eigenschaften wie stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, gutes Einfühlungsvermögen oder Verachtung von jeglicher Gewalt führten. Mit den negativen Auswirkungen auf meine persönliche Entwicklung möchte ich mich gar nicht mehr auseinandersetzen, weil es sich eh nicht mehr ändern lässt. Hoffen wir zusammen, dass künftigen Generationen ähnliche Erlebnisse erspart bleiben.
Ingrid -
2020-10-29
Verschickungsheim: Amrum Kinderheim Friedrichs, Nebel
Zeitraum-Jahr: 1968
starrating: 1
Ich wurde von meiner Mutter in den Zug gesetzt. Sie war der Meinung, dass ich zu dünn war. Die Ärztin empfahl aufgrund meiner Allergien Kinderheim Friedrichs an der Nordsee.
Wir bekamen oft seltsame Milchsuppe zu essen. Das Essen ist mir als fürchterlich in Erinnerung. Ich wurde gezwungen versalzenen Kartoffelbrei zu essen. Mir war danach schlecht, so dass ich mich erbrach. Wir wurden gezwungen zu essen, der Teller musste leer sein. Zu trinken gab es kaum etwas, wahrscheinlich, weil viele Kinder in die Stahlbetten nässten. Die meisten weinten vor lauter Heimweh abends in die Kissen. Ich erinnere mich an den ständigen Durst den ich hatte.
Auch wurde ich bestohlen: Taschengeld, dass ich von zu Hause mitbekam, Kleider, Gummistiefel. Es wurde einer nach dem anderen krank: Fieber. Auch ich würde lieblos ins Bett gesteckt und den ganzen Tag kümmerte sich niemand um mich. Auch wurden wir regelmäßig gewogen und es wurde geschimpft, wenn man nicht zugenommen hatte. Sechs lange, ewig lange Wochen war ich dort. Es war schrecklich. Eine Kinderaufseherin hieß Frauke.
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