ZEUGNIS ABLEGEN – ERLEBNISBERICHTE SCHREIBEN

Hier haben sehr viele Menschen, seit August 2019, ÖFFENTLICH ihre Erfahrung mit der Verschickung eingetragen. Bitte geht vorsichtig mit diesen Geschichten um, denn es sind die Schicksale von Menschen, die lange überlegt haben, bevor sie sich ihre Erinnerungen von der Seele geschrieben haben. Lange haben sie gedacht, sie sind mit ihren Erinnerungen allein. Der Sinn dieser Belegsammlung ist, dass andere ohne viel Aufwand sehen können, wie viel Geschichte hier bisher zurückgehalten wurde. Wenn du deinen Teil dazu beitragen möchtest, kannst du es hier unten, in unserem Gästebuch tun, wir danken dir dafür! Eure Geschichten sind Teil unserer Selbsthilfe, denn die Erinnerungen anderer helfen uns, unsere eigenen Erlebnisse zu verarbeiten. Sie helfen außerdem, dass man uns unser Leid glaubt. Eure Geschichten dienen also der Dokumentation, als Belegsammlung. Sie sind damit Anfang und Teil eines öffentlich zugänglichen digitalen Dokumentationszentrums. Darüber hinaus können, Einzelne, die sehr viele Materialien haben, ihre Bericht öffentlich, mit allen Dokumenten, Briefen und dem Heimortbild versehen, zusammen mit der Redaktion als Beitrag erarbeiten und auf der Bundes-Webseite einstellen. Meldet euch unter: info@verschickungsheime.de, wenn ihr viele Dokumente habt und solch eine Seite hier bei uns erstellen wollt. Hier ein Beispiel

Wir schaffen nicht mehr, auf jeden von euch von uns aus zuzugehen, d.h. Ihr müsst euch Ansprechpartner auf unserer Seite suchen. ( KONTAKTE) Wenn Ihr mit anderen Betroffenen kommunizieren wollt, habt ihr weitere Möglichkeiten:

  1. Auf der Überblickskarte nachschauen, ob eurer Heim schon Ansprechpartner hat, wenn nicht, meldet euch bei Buko-orga-st@verschickungsheime.de, und werdet vielleicht selbst Ansprechpartner eures eigenen Heimes, so findet ihr am schnellsten andere aus eurem Heim.
  2. Mit der Bundeskoordination Kontakt aufnehmen, um gezielt einem anderen Betroffenen bei ZEUGNIS ABLEGEN einen Brief per Mail zu schicken, der nicht öffentlich sichtbar sein soll, unter: Buko-orga-st@verschickungsheime.de
  3. Ins Forum gehen, dort auch euren Bericht reinstellen und dort mit anderen selbst Kontakt aufnehmen

Beachtet auch diese PETITION. Wenn sie euch gefällt, leitet sie weiter, danke!

Hier ist der Platz für eure Erinnerungsberichte. Sie werden von sehr vielen sehr intensiv gelesen und wahrgenommen. Eure Erinnerungen sind wertvolle Zeitzeugnisse, sie helfen allen anderen bei der Recherche und dienen unser aller Glaubwürdigkeit. Bei der Fülle von Berichten, die wir hier bekommen, schaffen wir es nicht, euch hier zu antworten. Nehmt gern von euch aus mit uns Kontakt auf! Gern könnt ihr auch unseren Newsletter bestellen.

Für alle, die uns hier etwas aus ihrer Verschickungsgeschichte aufschreiben, fühlen wir uns verantwortlich, gleichzeitig sehen wir eure Erinnerungen als ein Geschenk an uns an, das uns verpflichtet, dafür zu kämpfen, dass das Unrecht, was uns als Kindern passiert ist, restlos aufgeklärt wird, den Hintergründen nachgegangen wird und Politik und Trägerlandschaft auch ihre Verantwortung erkennen.

Die auf dieser Seite öffentlich eingestellten Erinnerungs-Berichte wurden ausdrücklich der Webseite der “Initiative Verschickungskinder” (www.verschickungsheime.de) als ZEUGNISSE freigeben und nur für diese Seiten autorisiert. Wer daraus ohne Quellenangabe und unsere Genehmigung zitiert, verstößt gegen das Urheberrecht. Namen dürfen, auch nach der Genehmigung, nur initialisiert genannt werden. Genehmigung unter: aekv@verschickungsheime.de erfragen

Spenden für die „Initiative Verschickungskinder“ über den wissenschaftlichen Begleitverein: Verein Aufarbeitung und Erforschung von Kinderverschickung / AEKV e.V.:     IBAN:   DE704306 09671042049800  Postanschrift: AEKV e.V. bei Röhl, Kiehlufer 43, 12059 Berlin: aekv@verschickungsheime.de

Journalisten wenden sich für Auskünfte oder Interviews mit Betroffenen hierhin oder an: presse@verschickungsheime.de, Kontakt zu Ansprechpartnern sehr gut über die Überblickskarte oder die jeweiligen Landeskoordinator:innen


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Petra Vierecke schrieb am 25.09.2019
Kinderheim Cuxhaven-Duhnen – ein Trauma

Gern wurde in der Familie folgende, lustige Geschichte erzählt:

Wir wohnten nach der Flucht in Elmshorn. Dort sollte ich eingeschult werden – vermutlich Ostern 1950 (geb. Sept. 1944) –, war aber nicht erschienen. Also kam die Polizei. Denn bekanntlich waren Flüchtlinge asoziale Menschen. Wir sind Baltendeutsche aus Riga. Meine Mutter hatte selbstverständlich in der Schule am Propstenfeld Bescheid gesagt, dass ich im Kinderkurheim in Duhnen bei Cuxhaven bin. Sie hatte Arbeit beim Postsparkassenamt in Hamburg gefunden. Es war ein Posterholungsheim für Kinder.

Nur ein Bild habe ich noch vor Augen: Wie wir vor der Toilette morgens Schlange stehen und jede bekommt von der Tante ein kleines Stückchen Klopapier von der Rolle, die sie in der Hand hält.

Aber da müssen traumatische Dinge passiert sein, die ich ganz tief vergraben habe.

Vermutlich rührte nämlich meine panische Angst vor Autoritäten daher: bloß nichts falsch machen, so unauffällig wie möglich mich verhalten, mich nicht wehren. Weder verbal, geschweige denn körperlich.

Und was meine Mutter betrifft, so hatte sie mich zum zweiten Mal im Stich gelassen. Dessen war sie sich natürlich nicht bewusst, diese Verschickung zur Kur war doch ein großartiges Geschenk! Warum mein drei Jahre älterer Bruder nie verschickt wurde, weiß ich.

Auf unserer Flucht an der pommerschen Küste entlang waren wir auf einem Küstenmotorschiff. Ich war sechs Monate alt, das war im März 1945. Mit anderen Säuglingen war ich in einer Art Schublade abgelegt worden. Das Schiff fuhr auf eine Seemine und drohte zu sinken. Meine Mutter konnte sich nur um meinen Bruder kümmern, der an ihr klammerte. Sie hatte auf seine Brust einen Zettel geklebt mit seinem Namen. Sie war sportlich, 24 Jahre alt und wollte mit ihm an Land schwimmen. Aber so weit kam es nicht, mit letzter Mühe und halb abgesoffen, erreichte das Schiff Swinemünde, weil das meiste Gepäck und Sachen von Gewicht über Bord geschmissen worden waren.

Diese Geschichte hat mir mein Omachen wieder und wieder erzählt, als ich etwa vier, fünf Jahre alt war. Und jedes Mal habe ich dann gefragt: „Und ich? Was sollte aus mir werden?“
„Ist doch gutgegangen, das Schiff ist doch nicht gesunken!“, sagte sie dann.
Kurz bevor meine Mutter starb bat ich sie, mir diesen Teil unserer Fluchtgeschichte mit ihren Worten zu erzählen. Sie sagte – wir weinten zusammen –, dass es so war, dass sie sich hätte entscheiden müssen, meinen Bruder und nicht mich zu retten.
Aber niemand konnte mir je sagen, wie ich denn eigentlich vom Schiff gekommen bin – wer hat mich runtergetragen?


Nun weiß ich, warum ich immer so traurig hinterhergucke, wenn die Erstklässler mit Schultüte und Verwandten zur Einschulung gehen. Das habe ich nie erlebt.
Wenn ich Geburtstag hatte, am 16. September, wurde ich auch nicht richtig gefeiert, denn mein Bruder hatte am 15. September Geburtstag. Es wurde Pflaumenkuchen gebacken, der dann auch am nächsten Tag für mich noch reichte.


Hamburg, den 16. September 2019

Petra Vierecke, Hamburg
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