Zeugnis ablegen

ZEUGNIS ABLEGEN – ERLEBNISBERICHTE SCHREIBEN

Hier haben sehr viele Menschen, seit August 2019, ÖFFENTLICH ihre Erfahrung mit der Verschickung eingetragen. Bitte geht vorsichtig mit diesen Geschichten um, denn es sind die Schicksale von Menschen, die lange überlegt haben, bevor sie sich ihre Erinnerungen von der Seele geschrieben haben. Lange haben sie gedacht, sie sind mit ihren Erinnerungen allein. Der Sinn dieser Belegsammlung ist, dass andere ohne viel Aufwand sehen können, wie viel Geschichte hier bisher zurückgehalten wurde. Wenn du deinen Teil dazu beitragen möchtest, kannst du es hier unten, in unserem Gästebuch tun, wir danken dir dafür! Eure Geschichten sind Teil unserer Selbsthilfe, denn die Erinnerungen anderer helfen uns, unsere eigenen Erlebnisse zu verarbeiten. Sie helfen außerdem, dass man uns unser Leid glaubt. Eure Geschichten dienen also der Dokumentation, als Belegsammlung.

Wir bauen außerdem ein öffentlich zugängliches digitales Dokumentationszentrum auf, dort ist es möglich seinen Bericht öffentlich, mit allen Dokumenten, Briefen und dem Heimortbild zu versehen und zusammen mit der Redaktion einen Beitrag zu erarbeiten und auf der Bundes-Webseite einzustellen, der für zukünftige Ausstellungen und Dokumentationen benutzt werden kann. Meldet euch unter: info@verschickungsheime.de, wenn ihr viele Dokumente habt und solch eine Seite hier bei uns erstellen wollt. Hier ein Beispiel

Wenn Ihr mit anderen Betroffenen kommunizieren wollt, habt ihr drei Möglichkeiten:

  1. Auf der Überblickskarte nachschauen, ob eurer Heim schon Ansprechpartner hat, wenn nicht, meldet euch bei der Buko Buko-orga-st@verschickungsheime.de, und werdet vielleicht selber einer.
  2. Mit der Bundeskoordination Kontakt aufnehmen, um gezielt einem anderen Betroffenen bei ZEUGNIS ABLEGEN einen Brief per Mail zu schicken, der nicht öffentlich sichtbar sein soll, unter: Buko-orga-st@verschickungsheime.de
  3. Ins Forum gehen, dort auch euren Bericht reinstellen und dort mit anderen selbst Kontakt aufnehmen

Beachtet auch diese PETITION. Wenn sie euch gefällt, leitet sie weiter, danke!

Hier ist der Platz für eure Erinnerungsberichte. Sie werden von sehr vielen sehr intensiv gelesen und wahrgenommen. Eure Erinnerungen sind wertvolle Zeitzeugnisse, sie helfen allen anderen bei der Recherche und dienen unser aller Glaubwürdigkeit. Bei der Fülle von Berichten, die wir hier bekommen, schaffen wir es nicht, euch hier zu antworten. Nehmt gern von euch aus mit uns Kontakt auf! Gern könnt ihr auch unseren Newsletter bestellen.

Für alle, die uns hier etwas aus ihrer Verschickungsgeschichte aufschreiben, fühlen wir uns verantwortlich, gleichzeitig sehen wir eure Erinnerungen als ein Geschenk an uns an, das uns verpflichtet, dafür zu kämpfen, dass das Unrecht, was uns als Kindern passiert ist, restlos aufgeklärt wird, den Hintergründen nachgegangen wird und Politik und Trägerlandschaft auch ihre Verantwortung erkennen.

Die auf dieser Seite öffentlich eingestellten Erinnerungs-Berichte wurden ausdrücklich der Webseite der “Initiative Verschickungskinder” (www.verschickungsheime.de) als ZEUGNISSE freigeben und nur für diese Seiten autorisiert. Wer daraus ohne Quellenangabe und unsere Genehmigung zitiert, verstößt gegen das Urheberrecht. Namen dürfen, auch nach der Genehmigung, nur initialisiert genannt werden. Genehmigung unter: aekv@verschickungsheime.de erfragen

Spenden für die „Initiative Verschickungskinder“ über den wissenschaftlichen Begleitverein: Verein Aufarbeitung und Erforschung von Kinderverschickung / AEKV e.V.:     IBAN:   DE704306 09671042049800  Postanschrift: AEKV e.V. bei Röhl, Kiehlufer 43, 12059 Berlin: aekv@verschickungsheime.de

Journalisten wenden sich für Auskünfte oder Interviews mit Betroffenen hierhin oder an: presse@verschickungsheime.de, Kontakt zu Ansprechpartnern sehr gut über die Überblickskarte oder die jeweiligen Landeskoordinator:innen


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Simone E. aus Bonn schrieb am 29.12.2020
Im Mai u. Juni 1979 wurde ich vor der Einschulung mit 6 Jahren in das Jugendkurheim St.Michael in Immenstadt / Allgäu „Bühl am Alpsee“ verschickt. Meine Gruppe hieß „Sterne“. Angeordnet wurde dies vom Gesundheitsamt Köln, da ich etwas untergewichtig war. Ich war von zierlicher Statur.

Ich habe Briefe meiner Mutter an mich gefunden, die an das Heim adressiert sind, darum kann ich genaue Angaben machen. Auch werden in den Briefen die Namen zweier Betreuerinnen/Nonnen genannt: Frau Wericke und Frau Hagemüller.
Das Heim wurde von Nonnen, sadistischen Nonnen, in Trachten geführt.

Es fällt mir sehr schwer das alles aufzuschreiben. Die Erlebnisse haben mich schwer traumatisiert und ich leide an einer schweren Posttraumatischen Belastungsstörung und Angststörung. Jahrzehnte war ich wie in einem Dämmerzustand, weil ich nicht wusste, ob es anderen auch genau so erging wie mir, OBWOHL ich genau erinnere, dass auch andere Kinder in dem Heim litten. Aber bei uns gab es keinen Zusammenhalt unter den Kindern, jeder versuchte zu überleben. Ein -Zwei Male bekam ich ein Lächeln von einem älteren Mädchen, das war zusammen mit dem Arzt, das einzige, das ich an menschlicher Wärme dort erfuhr.

Die Nonnen waren erbarmungslos, von absoluter Herzenskälte, Härte und Boshaftigkeit. Sie waren gewalttätig, sadistisch, ohne jegliche Empathie oder Menschlichkeit. Sie waren genauso, wie KZ-Aufseherinnen in Nazi-Filmen mit dem einzigen Unterschied, dass sie nicht schrien, sondern ihre seelische und körperliche Gewalt wortlos oder mit wenigen Silben ausführten. Sie schauten nicht auf uns, wie auf Kinder, sondern eher wie eine Art „Vieh“, dass es zu züchtigen galt, dass aber in ihren Augen keine menschlichen Lebewesen waren, denn mit Menschen müsste man eigentlich mitfühlen.


Ich bin Halbinderin und wurde von den Katholischen Nonnen besonders hart drangsaliert, sie nannten mich nie beim Namen, sondern immer nur „Mischlingsbrut“, „Negerkind“, „Schande“, „Teufelsbrut“, „Gesindel“ usw. Sie sagten, ich sei schmutzig und redeten untereinander, dass ich eine Schande sei.
Die 6 oder 8 Wochen, die ich dort versuchte zu überleben waren ein tägliches Horrorerleben der körperlichen und psychischen Misshandlungen, Erniedrigungen, seelischer und körperlicher Gewalt. Ich durfte keinen Kontakt zu meiner Familie haben, ich hatte nicht nur eine unendliche Traurigkeit in mir und Heimweh, sondern auch eine immense innere Verzweiflung und Todesangst.
Was mir und anderen angetan wurde:

-In der Nacht wurde ich mit harter Hand aus dem Schlaf gerissen oder an den Haaren aus dem Schlafsaal gerissen mit dem Vorwand „Du warst laut“ (Ich habe nie gesprochen, mit Niemandem, außer dem Arzt bei der Visite). Dann brachte mich die Nonne durch dunkle Flure in einen kleinen abgedunkelten Fernsehzimmerraum. Dort stand ein Ohrensessel, eine sehr kleine Couch eine Fernsehtruhe/Schrankwand mit TV und eine Stehlampe. Sie stellte mich mit den Kniekehlen vor den Sessel und sagte mit angsteinflößender, hasserfüllter Stimme „Wenn Du Dich auch nur einmal hinsetzt und ich komme rein und sehe, dass Du sitzt oder schläfst, dann Gnade Dir Gott“.
Damit waren Prügel gemeint.
In gewissen Zeitabständen kam sie oder eine andere Nonne zur Kontrolle. Ich schaffte es nie stehenzubleiben, ich war so müde, sackte immer in den Sessel. Dann preschte eine rein zog mich brutal hoch und schlug mir mit einem Stock oder Holzlöffel mehrmals in die Kniekehlen. Das wiederholte sich nachts mehrere Male. Ich litt unter ständigem Schlafmangel und Entkräftung, entweder schlief ich nicht, weil sie mich quälten oder weil ich vor Angst nicht einschlafen konnte. Im Schlaf entrissen zu werden gab mir ein noch stärkeres Gefühl von Ohnmacht.
Ich hatte auch Angst vor dem Einschlafen, weil ich dort anfing im Schlaf ins Bett zu machen.
Das wollte ich durch wachbleiben umgehen. Zuvor zu Hause habe ich nicht ins Bett gemacht.
Ich leide seitdem schon mein ganzes Leben an Schlafstörungen und vor allem an Einschlafstörungen. Ich zögere das Einschlafen noch heute heraus, bis ich vor Erschöpfung einschlafe. Seit geraumer Zeit nehme ich deshalb Schlaftabletten.
Diese Folter wurde auch tagsüber an mir vollzogen, aber dann in einem Toilettenabteil in den unteren Räumen, da musste ich mit den Kniekehlen vor einer Toilette stehen und durfte nicht auf Klo, obwohl ich musste, oder mich setzen. Wenn ich dann in die Hose machte, wurde ich als dreckiges Kind erniedrigt und beschimpft, auch vor anderen Kindern gezeigt, dass ich in die Hose gemacht hatte. Ich habe noch heute ein ausgeprägtes Schamgefühl, sei es wegen meines Körpers oder einfach wegen mir als Mensch.

-Schlafentzug, nicht auf Klo dürfen, nicht sprechen dürfen, nicht weinen dürfen, viel zu wenig zutrinken bekommen, ohne Grund bestraft werden, unter Zwang aufessen, Drohungen, stundenlanges stehen, aus der Gruppe ausgeschlossen werden (nicht mitspielen, nicht mit nach draußen dürfen), erniedrigt werden vor allen, einzelne Kinder wurden von den Nonnen schlecht gemacht und die anderen Kinder sollten diese meiden, ächten, ausstoßen usw., das alles gehörte zum täglichen Erleben.

-Bei den Mahlzeiten musste alles aufgegessen werden, egal wie sehr man weinte. Wenn ich (oder andere Kinder) mich übergab musste ich mein Erbrochenes essen, auch wenn ich alleine bis zum Abendessen im Speisesaal sitzen musste bis ich fertig war. Ich bekam meist Haferschleim und auch eine sehr fettige, sehr dicke Scheibe Speck die ich essen sollte. Dabei musste ich immer würgen und kaute so lange darauf, sie wurde einfach nicht klein. Wir durften beim Essen, aber auch sonst nirgends sprechen. Alle mussten stumm sein, nur antworten, wenn man etwas gefragt wurde. Aber eigentlich wurde nichts gefragt.
Die Nonnen sprachen nur in kurzem Befehlston „Iss auf!“, „Mundhalten!“, „Keiner geht auf die Toilette“, „Von niemandem ein Ton“ usw.

Es gab einen Jungen, der sich wehrte zu essen. Er war älter und gab anfangs Wiederworte. Vor unser aller Augen wurden der Junge von zwei Nonnen am Stuhl mit den Armen nach hinten festgehalten und die eine weitere stopfte ihm das Essen in den Mund, hielt ihm den Mund zu. Der Junge weinte, strampelte und würgte. Wir waren wie versteinert, es sah aus als ob er keine Luft bekam, ersticken könnte. Es war die pure Gewalt.

-Besonders schlimm empfand ich die wahllosen Bestrafungen, ohne dass es einen Grund gab. Man riss mich einfach aus dem heraus was gerade war und brachte mich in den Keller. Dort waren die Wände mit Kacheln versehen, Waschräume oder Kloräume, etwas in der Art. Dort wurde ich ausgezogen und auf eine Bare oder Brett gelegt, das sich bewegen ließ und festgemacht. Bei diesen Erinnerungen im Keller habe ich immer wieder große Lücken und Szenen brechen ab. Ich wurde mit so viel „Wut“ abgerieben, dass ich rote Schürfwunden am Körper hatte. Immer wieder war die Rede von „Dreck“, „verdreckt sein“, „Dreckiger Mischlingsbrut“. Ich habe damals nicht verstanden, was genau damit gemeint war, woran ich mich schuldig getan hatte. Aber ich verstand, dass es mit meinem anderen Aussehen zu tun hatte, meiner Herkunft und dass ich deshalb an etwas Schuld war.
Ich wurde mit einem Schlauch lange und eiskalt abgespritzt. Sie hielten einfach auf nur eine Stelle. Es waren Höllenschmerzen, ich durfte nicht weinen und schon gar nicht Schluchzen. Ich erinnere, dass ich bei diesen Misshandlungen im Keller immer wieder ohnmächtig wurde.
Ich habe auch Erinnerungen, dass ich dort lag auf dieser Art Bare und meine Füße festgebunden waren und da etwas gemacht wurde, aber diese Szenen brechen bei mir immer wieder an der Stelle ab.
Nach diesen Misshandlungen, aber auch jene in den Nächten im Fernsehzimmer, sagten sie mir immer „Wenn Du das erzählst, bringen wir Dich um“

-Ich empfand das von einer Nonne schweigend durch lange trostlose Gänge mit Jesuskreuzen und Christlichen dunklen Bildern geführt werden, als enorm beängstigend und erstickend. Nie wusste ich „wohin werde ich gebracht“, diese schlimme Ungewissheit. Unbedarft hatte ich anfangs noch gefragt, aber eine Nonne drückte mir den Hals zu und sagte „Du schweigst und sprichst nur wenn Du gefragt wirst“. In meinem Erwachsenenleben habe ich Panikattacken bekommen, wenn ich beruflich abgeholt wurde und einen wichtigen Termin vor mir hatte. Nicht zu Wissen „wo das hinführt“, konnte ich nicht mehr aushalten. Es waren zeitlebens Trigger die mich fühlen ließen, als ob ich zu einer Schlachtbank geführt werde. Ich konnte meinen ersten Beruf deswegen nicht mehr ausüben.


-Oft wurde ich auch an den Ohren gezogen aus einem Zimmer heraus, oder sitzend vom Klo weg, oder einfach so. Es brannte. Am Anfang habe ich so viel geweint. lautlos in mein Bett. Später war ich nur noch regungslos, das Gefühl von weinen war nur noch in mir drin.
Wir durften keinen Mux machen und so wurde aus unterdrückter Traurigkeit innere Isolation und eine schier alles ausfüllende Verzweiflung. Nach einer Misshandlungsattacke habe ich gedacht, dass sie mich zu Tode bringen. Ich hatte so viel Todesangst in diesen Wochen. Noch heute habe ich körperliche Todesangstflutungen, die mit dem älter werden immer mehr wurden, so dass ich dagegen heute ein Medikament einnehme.
Ein Therapieauftrag in meinen 20er Jahren war, dass ich lernen sollte „laut“ zu weinen, also nicht mehr geräuschlos. Bis heute fällt es mir schwer zu zeigen, wenn ich traurig bin, oft habe ich den Vorwurf gehört, dass ich unbeteiligt wirke, dabei war ich innerlich tief Traurig und konnte es nicht rausbringen.

-Ich gehörte zu den Kleinsten, die mit auf Wanderungen mussten. Wir liefen unglaubliche Strecken, Tageswanderungen in Zweierreihen und teilweise an den Händen. Trinkmangel war immer Thema. Wir haben kaum etwas zu trinken bekommen, oft war mir schwindelig in der Sonne. Ich sammelte Spucke im Mund, bis der Mund voll war und ich einen Schluck nehmen konnte. Manchmal biss ich mir in die Backen, damit sich dadurch im Mund Flüssigkeit sammelte.
Ich war körperlich völlig überfordert, entkräftet, weit über meiner Grenze, mir schmerzte der ganze Körper. Ich konzentrierte mich nur auf meine Füße und den Weg unter mir, ich blickte nicht auf, so konnte ich Energie sparen. Seit diesen Tagen habe ich Wandern und lange Spaziergänge zutiefst verabscheut. Auch Sport habe ich immer gehasst, dieses Gefühl den Schmerz des Körpers zu spüren beim Überschreiten von körperlichen Grenzen. Das löst noch heute bei mir ein Gefühl der Verzweiflung, Abwehr und Ohnmacht aus. 20 Jahre später gehörte es zu meinem Therapieauftrag zu üben beim Gehen nicht mehr auf den Boden zu schauen, sondern den Kopf zu heben und die Umgebung wahrzunehmen.

-Ich hatte auch vor den anderen Kindern Angst, denn die Gewalterfahrungen und Unterdrückung wurde nach „unten“ weitergetreten. Jüngere od. Schwächere waren Älteren oder gröberen Kindern ausgeliefert. In meinem großen Schlafsaal waren auch Babykinderbetten mit Stäben. Die Kleinkinder standen in ihren Betten und schrien so entsetzlich, sie taten mir so unendlich leid. Ich musste immer mitweinen. Niemand nahm sie auf den Arm um sie zu beruhigen, ich fühlte schon damals, dass das falsch ist und weh tut. Dann kam eine Nonne gab ihnen was in den Mund oder eine Spritze und dann waren sie still.

-Etwas Positives, an das ich mich klammerte war die Arztvisite. Es gab einen jungen Arzt (zumindest wirkte eher viel jünger als die Nonnen, vielleicht auch nur durch seine Güte),
der sehr freundlich, mild und liebevoll zugewandt war. Ich glaube, wir suchten ihn 1 Mal pro Woche im Arztzimmer auf, er kam dafür ins Heim. Er war wie ein rettender Anker, Niemand sonst sprach so lieb mit einem oder fragte „Na, wie geht es Dir denn?“
Er sprach mich sogar mit meinem Namen an, den ich sonst nicht mehr hörte.
Ich malte mir im Bett und auf dem Gang zu ihm aus, wie alles aus mir herausplatzt und ich ihm alles erzähle und mich an ihn klammere, dass er mich retten soll, mitnehmen zu meiner Mutter.
Doch auf dem Weg der langen Gänge sagte die Nonne so eindringlich böse: „Wehe Dir Du sagst was, wage es Dich...!“
Sie stand bei der Visite immer schräg hinter dem Arzt und blickte streng auf mich.
Auf die Frage des Arztes brachte ich nur ein „gut“ heraus, dann verstummte ich wieder.
Und ich verabscheute mich selbst dafür, dass ich mich nicht getraut hatte, um Rettung zu flehen.
Ich bekam bei der Visite immer mehrere Becher mit Flüssigkeiten, die ich trinken musste. Eine davon war dickflüssiger und rosa. Noch heute verspüre ich Widerwillen gegen ähnlich anmutendes.
Meine Mutter schrieb in einem ihrer Briefe an mich „Ist die Impfstelle an Deinem Arm angesehen worden?“.
Ich weiß nicht, was da geimpft wurde.
Das Highlight war, dass jedes Kind sich nach der Visite aus einem Glas so viel Bonbons mit einer Hand nehmen durfte, wie es greifen konnte. In meine Hand passten 3 und er gab mir noch eins dazu. Sie waren länglich und darauf waren die Früchte abgebildet, die die Geschmacksrichtung zeigten.
Da dort sehr Vieles von den Kindern geklaut wurde, habe ich die Bonbons, die für mich eine liebevolle Umarmung symbolisierten nicht gegessen, sondern wie Gold gehütet aufbewahrt und unter meinem Bett versteckt. Am nächsten Morgen waren sie weg, geklaut. Das hat mir sehr weh getan. Für mich war es Trost und Hoffnung, die man mir stahl.

Ich habe wochenlang nicht gesprochen, bin regelrecht verstummt.
Als ich wieder zu Hause war, bin ich ein verstummtes Kind gewesen über Jahre. Still, stumm, scheu, schüchtern, mit dem Gefühl, dass ich nicht richtig bin und schuldig, dreckig, weil ich anders bin. Zuvor hatte ich nie Rassismus erfahren. Nie, im Gegenteil, ich war exotisch und gern gesehen.
Durch die Geißelung der Nonnen nicht reden zu dürfen, habe ich darüber zu Hause nicht gesprochen.
Habe niemandem davon erzählt. Wollte meinen Eltern keinen Kummer machen.
So bin ich indoktriniert worden das perfekte Opfer zu sein, das schweigt, sich schuldig fühlt. Dieses Opferverhalten hat mich im weiteren Verlauf zu einem gefundenen Fressen für Täter gemacht.

-Eines Tages kamen meine geliebte Oma u. Opa auf der Durchreise in den Urlaub, um mich zu besuchen. Man sagte ihnen, dass ich auf einem Ausflug war, ob das stimmte, weiß ich nicht. Sie trafen mich nicht an und hinterließen mir einen riesigen Karton mit Süßigkeiten. Der Inhalt wurde mir gezeigt, aber mir nie gegeben, sondern es wurden daraus für jedes Kind EIN Weingummi verteilt, auch für mich, der Rest wurde einbehalten.
Diese Verzweiflung in mir, dass ich meine Fluchtmöglichkeit versäumt hatte, zerriss mich förmlich. Ich brannte innerlich vor Verzweiflung, stellte mir tage -und nächtelang vor, wie ich mich schreiend und weinend an meine Oma klammerte und schrie „nimm mich mit!!!“, oder wie ich auf der Straße hinter ihrem Auto her renne, um sie noch einzuholen. Zwecklos.
Das habe ich jahrzehntelang danach auch nachts immer wieder geträumt...zwecklos hinter dem Auto her rennen.
Von da an war meine Depression im Verschickungsheim noch tiefer. Mein weites Gefühl von Alleinsein auf der Welt. Verlassen, Vergessen, Verloren, Ausgeliefert.
Erst im Erwachsenenalter, als bei mir Depressionen diagnostiziert wurden, verstand ich, dass ich im Verschickungsheim meine erste Depression hatte. Nichts anderes war das.
Bei den Singspielen im Kreis auf der Wiese vor dem Heim habe ich starr gestanden, wie weggetreten und auch nicht mitgesungen. Auch erst Jahrzehnte später habe ich durch Therapie verstanden, dass ich mich dort als Traumatisierte in einem dissoziativen Zustand befand. Überfordert, „weggetreten“.
Ich erinnere die anderen Kinder bei den Singspielen ausgelassener und fröhlicher als ich es war, aber das kann auch an meinen inneren Isolationsgefühlen gelegen haben.

Erst mit 15 Jahren, als ich eine Essstörung mit Erbrechen bekam, Depressionen, Suizidgedanken und Wutanfälle, erzählte ich meiner Mutter von den Heimerfahrungen, die ich mit der Essstörung regelrecht „auskotzte“.
Ich litt in der Kindheit u. Jugendzeit und auch heute noch unter Alpträumen von den Ordensschwestern, vor allem von den besonders bösen mit diesen „Schwalbenflügeln“ auf dem Kopf. Meine Mutter war davon sehr betroffen und bereute mich dorthin geschickt zu haben, sie tat es im Glauben mir etwas Gutes zu tun. In Ihren Briefen an das Heim schrieb sie den Nonnen, dass sie Sehnsucht nach mir hätte, aber dass es wahrscheinlich besser sei, dass ich das nicht weiß.
Es gab ja vom Heim Kontaktverbot, „damit wir Kinder nicht leiden“.
Mutter schreibt in einem Brief die Frage an mich:
„Hast Du die letzten Briefe selber geschrieben?“
Was natürlich töricht war, da ich vor der Einschulung nicht schreiben konnte. Es zeigt aber, dass die Inhalte der Briefe nicht zu mir passten und das dies bei ihr Fragen aufwarf.
Natürlich wurde alles in den Briefen blendend beschrieben, z.B. auch, dass ich angeblich „so viele Freunde gefunden hätte“.

Bis heute mit fast 50 Jahren habe ich massive Probleme zu vertrauen. Die innere Isolation, das „innere Alleinsein-Gefühl“ zu anderen habe ich leider nie wirklich auflösen können, trotz Therapie. Mein Leben war durch die Misshandlungen immer eingeschränkt. Ich bin voller Trigger.
Ich kann nicht ohne Angst in Keller oder Gänge gehen. Ich habe eine Abscheu, Ekel, einen regelrechten Hass gegen alles was mit Kirche zu tun hat. Devotionalien, Nonnen, Pfarrer, Kirchen, Jesuskreuze usw.
Ich kann nicht nach Bayern fahren, weil mich ein ablehnendes und bedrohliches Gefühl in dieser Landschaft überkommt.
Wenn ich Gewalt an Kindern sehe oder Filme aus dem Nationalsozialismus, friere ich ein, werde steif und verstumme, wie gelähmt.

Erst 3 Jahrzehnte später, als ich eine Dokumentation über Foltermethoden im dritten Reich gesehen hatte, habe ich verstanden, dass auch ich in Teilen nach diesen Methoden drangsaliert und gefoltert wurde.
Alles was mit „Bett und Schlafengehen“ zu tun hat, ist für mich leider täglich schwierig.
Kaltes Wasser ist für mich unerträglich. Seit dieser Zeit erstarre ich, wenn kaltes Wasser an meinen Körper kommt oder ich werde aggressiv.
Kinderspiele wie „Nassspritzen“ kann ich bis heute nicht aushalten. Mein Kind hat nie verstanden, warum ich so extrem darauf reagierte, vieles, besonders unvorhersehbares, konnte ich mit ihm nicht unbeschwert machen.
Mein Kind durfte nie bei anderen schlafen oder mit auf Ferienfahrten, erst ab einem Alter von 12 Jahren ließ ich es bei Vertrauten unter eigener großer Anspannung übernachten.

Die seelischen Misshandlungen durch Nonnen im Jugendkurheim St.Michael in Immenstadt/Allgäu in Bühl am Alpsee, hat nicht nur mein Leben geprägt, sondern es hat mein ganzes Leben bis heute mitbestimmt und eingeschränkt. Es hat die Unbefangenheit meiner Kindheit, meines Lebens und einen großen Teil meiner Kinderseele zerstört.

Kinder wie wir, hätten im Anschluss in jungen Jahren therapiert werden MÜSSEN, damit wir eine Chance gehabt hätten, die Gräueltaten zumindest zeitnah und dadurch in Teilen zu verarbeiten.

Wer hatte und wer hat das Leid so vieler Kinder zu verantworten?
Ich will das wissen!
Wer hat mit dem Leid so vieler Kinder Geld verdient?
Wer hat sich der unterlassenen Hilfeleistung und fehlenden Kontrollen schuldig gemacht?
Wer hat diese Nazi-Nonnen sich an unschuldigen Kindern vergehen lassen?
Ich will Antworten!
Wer steht in der Verantwortung einen Teil dieser Kinderverbrechen „wieder gut zu machen“?

Wenn nicht akribisch aufgearbeitet wird, wenn so viel genommen und angetan wurde und nichts zurückfließt, dann kann nichts wirklich heilen und damit verwehrt man mir, meine Würde wiederherzustellen, die man mir genommen hat.

Ich fordere Aufklärung!! – Denn bei Trauma heilt Zeit keine Wunden!!!
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