Kinder-Kur in der Hölle: Aufsicht stopft Iris (7) mit dem Trichter – „Ich hatte Todesangst“

Medikamente, Grausamkeiten, psychischer Terror: Millionen Kinder aus NRW wurden Jahrzehnte lang zur Kur verschickt. Was sie erlebten, traumatisierte viele für ihr Leben. Ein Kind war Iris.

Es ist ein Sommertag im Jahr 1975, als die siebenjährige Iris aus einem kleinen Dorf im Rheinland im Zug nach Bayern fährt. Um den Hals ein Schild in einer Plastikhülle, um sie herum zig Kinder aus dem Ruhrgebiet mit dem gleichen Ziel: Kloster Wessobrunn in Bayern

Iris soll zur Kur, weil sie zu dünn ist. Die Eltern können in diesem Jahr nicht in den Urlaub fahren, möchten ihr etwas Gutes tun. Als Iris zurückkommt, ist sie gebrochen. Die fröhliche, aufgeweckte Klassenbeste hat sich in ein stummes Kind verwandelt, das zehn Jahre lang außerhalb der Familie nicht mehr spricht. Mutismus heißt das Wort für diese Krankheit, ein Wort, das sie erst viele Jahre später kennt. „Vorher habe ich einfach gedacht, ich sei verrückt“.

Mutismus wird oft durch ein Trauma ausgelöst. Das Trauma heißt Kinder-Kur, nicht nur bei Iris. 8 bis 12 Millionen Kinder aus Westdeutschland wurden zwischen 1950 und den 80er Jahren zur Erholung in Heime, Heilstätten, Kindersanatorien verschickt. „In 90 Prozent aller Fälle kann man sicher davon ausgehen, dass in irgendeiner Form Gewalt gegen die Kinder
ausgeübt wurde“, sagt Detlef Lichtrauter. Eine schier unfassbar hohe Zahl.

Auszug aus Artikel der Ruhrnachrichten vom 20.12.2020 Von Wiebke Karla

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