Bad Wildunger Erklärung der Verschickungskinder – 2025

Bad Wildunger Erklärung der Verschickungskinder: Auf Aufarbeitung muss Anerkennung folgen

Beschlossen auf dem 7. Kongress der Verschickungskinder, 28.11.2025

Vom 27.–30. November 2025 kamen ehemalige Verschickungskinder aus dem gesamten Bundesgebiet in Bad Wildungen zusammen – an einem Ort, an dem über Jahrzehnte viele Kinderkurheime betrieben wurden, zu denen inzwischen Fallstudien vorliegen, u.a. das Heim Reinhardshausen. Deutschlandweit wurden mindestens 8 Millionen Kinder zwischen den 1950er und 1990er Jahren zu sogenannten Kindererholungskuren verschickt. Unzählige von ihnen erlitten seelische und körperliche Misshandlungen, Zwangsmaßnahmen, Erniedrigungen, Gewalt (inklusive sexualisierter Gewalt) bis hin zu Todesfällen.

Seit 2019 engagieren sich Betroffene in der Initiative Verschickungskinder, der größten Bürgerforschungsbewegung Deutschlands, für die Aufarbeitung und Sichtbarmachung dieser Geschichte. Uns ist es gelungen, durch unsere beharrliche Arbeit unser erlittenes Leid in die Öffentlichkeit zu bringen. Wir sind sehr froh, dass die Wissenschaft unser Thema jetzt breiter aufgreift und erste Dissertations- und Habilitationsprojekte beginnen.

Aber noch immer fehlt es an klaren politischen Entscheidungen, struktureller Unterstützung und verbindlichen Maßnahmen durch die Bundesregierung.

  • Anerkennung ist überfällig: Für viele Verschickungskinder wäre eine erneute Verzögerung eine Re-Traumatisierung. Jahrzehntelang wurde unser Leid übergangen oder verleugnet – damit muss es jetzt ein Ende haben.
  • Anerkennung muss sichtbar und konkret sein, für die Betroffenen und die Öffentlichkeit: Erinnerungsorte und Mahnmale in Bad Salzdetfurth, Bad Sassendorf und Borkum sind hier ein Anfang.
  • Anerkennung muss die weitere Aufarbeitung erleichtern: Wir brauchen Strukturen zur Unterstützung unserer Bürgerforschung und ein digitales Dokumentationszentrum, denn viele Betroffene kennen ihre Heime nicht mehr, besitzen keine Unterlagen und könnten Ansprüche niemals individuell geltend machen.
  • Anerkennung braucht Struktur: Modellvorhaben zur Stärkung unserer Bürgerforschung und des zivilgesellschaftlichen Zusammenhalts sind dafür ein erster Schritt. Mittelfristig muss es einen institutionellen Rahmen für die Aufarbeitung geben, in dem die Betroffenen klare Mitspracherechte haben.
  • Anerkennung heißt auch: Unterstützung für individuelle Entschädigungen in besonderen Fällen.

Dass unser Anliegen Eingang in den Koalitionsvertrag der Bundesregierung gefunden hat, erfüllt uns mit Hoffnung. In Zeile 3212f. heißt es:

„Wir unterstützen die Aufarbeitung der Misshandlungen von Kindern bei Kuraufenthalten zwischen 1950 und 1990 durch die ‚Initiative Verschickungskinder‘.“

Dieses klare Bekenntnis ist für uns ein historischer Schritt. Wir Betroffene erleben diesen Satz als längst überfällige erste Anerkennung unseres Leids und als Signal, dass unsere Stimmen endlich gehört werden. Und wir sind den Abgeordneten des Deutschen Bundestags sehr dankbar, die sich seit Beginn der Legislatur für unsere Initiative und deren finanzielle Unterstützung einsetzen.

Die Festlegung im Koalitionsvertrag darf kein symbolisches Versprechen bleiben. Uns sind Gespräche im Bundesfamilienministerium für Anfang 2026 in Aussicht gestellt. Unsere Erwartung ist, jetzt endlich verbindliche Schritte für eine umfassende Anerkennung zu verabreden.

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