Vom 16.-19.11.2023 trafen sich schon zum fünften Mal ehemalige Verschickungskinder, in diesem Jahr in Bad Salzdetfurth, dem Ort, von dem zuerst bekannt wurde, dass dort Kinder auf so genannten Kinderkuren zu Tode kamen. Unser Kongress begann deshalb mit einer Schweigeminute zum Gedenken an den 7-jährigen Stefan, die 6-jährige Kirsten und den fast 4-jährigen André, die im Jahr 1969 in Bad Salzdetfurth auf Grund der Missstände der Kurverschickungen ihr Leben verloren.
Deutschlandweit wurden mindestens acht Millionen Kinder von den 1950er bis in die 1980er Jahre zu solchen Kindererholungskuren verschickt, unzählige von ihnen erlitten schwerwiegende körperliche und seelische Misshandlungen, ignoriert oder geduldet von Trägern und zuständigen Behörden. Über
20 Todesfälle sind inzwischen bekannt – vermutlich nur die Spitze des Eisberges.
Wir können feststellen, dass die Bemühungen unserer Initiative Verschickungskinder, der Landesvereine und Landesgruppen, der Heimortverantwortlichen und des im Juni 2023 gegründeten Bundesvereins Initiative Verschickungskinder e.V. Früchte getragen haben: Das Thema
Kinderverschickungen ist inzwischen öffentlich präsent, sowohl in den Medien als auch in künstlerischen Umsetzungen. Die wissenschaftliche Forschung ist ein Stück weit vorangekommen.

Ermutigt hat uns auch das Interesse des Bundestagsausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der aktiv das Gespräch mit der Initiative sucht, nachdem die Bundesregierung im Jahr 2022 jede Zuständigkeit für unser Anliegen schroff zurückgewiesen hatte.
Die Basis der Aufarbeitung der Misshandlungen in den Kinderverschickungen ist nach wie vor die Bürgerforschung der vielen Tausend in der Initiative engagierten Betroffenen und die sorgfältige journalistische Recherche von Menschen, die mit unserer Initiative in engem Austausch stehen.
Beispielsweise stellte die Journalistin und Autorin Lena Gilhaus in Salzdetfurth ihr neues Buch vor, in dem die grausamen Details der Misshandlungen während der Verschickungen und deren institutionelle Hintergründe in großer Genauigkeit beschrieben sind. Dieses Buch, ebenso wie die Arbeiten von Anja Röhl und vielen in der Initiative Tätigen, haben bisher zu erheblich größeren Erkenntniszuwächsen geführt als die von Heimträgern oder der deutschen Rentenversicherung
beauftragten und bezahlten Studien.
Ein Grund dafür ist: Noch immer erschweren die Träger der Einrichtungen den Zugang zu relevanten Akten und geben diese nur heraus, wenn publizistisch erheblicher Druck ausgeübt wird. Das muss sich ändern! Wir fordern freien Archivzugang, Offenlegung aller relevanten Quellen für die
Bürgerforschung und – endlich – die Unterstützung unserer Vernetzung und der Aufarbeitung der Geschehnisse durch unsere engagierte Bürgerforschung.
Wir brauchen jetzt:

  • Eine bundesweit tätige, öffentlich finanzierte Anlaufstelle zur Beratung und Vernetzung
    Betroffener, getragen von der Initiative Verschickungskinder e.V.
  • Eine öffentlich finanzierte Forschungsstelle, welche unsere Bürgerforschung durch Beratung
    und praktische Unterstützung bei Recherchen und Aktivitäten (wie z.B. die Schaffung von
    Gedenkorten und Dokumentationen über einzelne Heime) begleitet.
  • Ein Dokumentationszentrum, in dem die vielfältigen Zeugnisse der Betroffenen und die
    Rechercheergebnisse der Bürgerforschung archivgerecht aufbereitet, analysiert und der
    Öffentlichkeit (auch in digitaler Form) zugänglich gemacht werden.

Im Koalitionsvertrag vom November 2021 hat sich die Bundesregierung auf das Ziel festgelegt, den
Kinderschutz zu stärken. Erneut appellieren wir an die politisch Verantwortlichen: Schaffen Sie
endlich auf Bundesebene die Grundlagen für eine angemessene Aufarbeitung der millionenfachen
Leiden. Dies kann nur zusammen mit den vielen Forschenden der Initiative Verschickungskinder
geschehen – ohne unsere Bürgerforschung würde dieses traurige und empörende Kapitel von
Kinderrechtsverletzungen noch immer totgeschwiegen!

Hier auch als pdf

Nachbereitung KONGRESS