SPD-Antrag zur Unterstützung der Initiative Verschickungskinder

Foto: SPD-Neukölln

Die SPD Berlin hat am Sonntag auf ihrem Landesparteitag beschlossen, die Aufarbeitung der Kinderverschickung zu fördern und die Initiative Verschickungskinder zu unterstützen.
Über den Antrag entscheidet in Kürze der Bundesparteitag der SPD.

Antrag 98/II/2021
KDV Tempelhof-Schöneberg
Der Landesparteitag möge beschließen:
Der Bundesparteitag möge beschließen:
Empfehlung der Antragskommission
Annahme (Konsens)
Aufarbeitung der Kinderverschickung fördern – Initiative Verschickungskinder unterstützen

Die Aufarbeitung und wissenschaftliche Erforschung der Kinder-Kurverschickungen in den 50-80/90er Jahren soll mit öffentlichen Mitteln des Bundes unterstützt werden. Ein zu gründender Beirat aus Betroffenen und Vertretungen von Bund, Ländern und Trägern soll über die konkrete Mittelverwendung entscheiden. Die seit 2019 ehrenamtlich tätige Initiative Verschickungskinder erhält eine Förderung zum Aufbau und Betrieb einer selbstverwalteten Anlaufstelle zur Vernetzung und Beratung der Betroffenen.
Begründung
Zwischen 1948 und 1981 wurden schätzungsweise zwischen einer und drei Millionen Kinder im Alter von 2 bis 14 Jahren für sechs bis acht Wochen meist ohne medizinische Indikation im gesamten Gebiet der ehemaligen BRD* verschickt. Während der Kuren waren viele Betroffene systematisch nicht kindgerechten Praktiken, Misshandlungen, Demütigungen und Erniedrigungen ausgesetzt. Die Heime hatten i.d.R. keine ärztliche Leitung und kaum pädagogisches Personal. Nach bisherigen Erkenntnissen waren Züchtigungen und Bestrafungen wie Isolation, Essenszwang oder das Verbot, die Toilette zu benutzen, üblich.
Bei Androhung psychischer und physischer Gewalt war es den Kindern verboten, über ihre Erfahrungen zu sprechen.
Die Verschickungen betrafen vorrangig das Vorschulalter, mutmaßlich um die Belegung der ganzjährig betriebenen Heime auch außerhalb der Ferienzeiten sicherzustellen.
Die Kinder wurden ohne Begleitung bzw. Betreuung verschickt. Die Kuren sind im gesamten Bundesgebiet von Ärzt_innen verschrieben und von der Kranken- oder Rentenversicherung finanziert worden.
Die Träger der Kinderheime, Kur- und Kinderheilstätten waren Privatpersonen, kirchliche und Wohltätigkeitsorganisationen sowie Betriebs- und Kranken-Versicherungsorganisationen. Auch das Bezirksamt Schöneberg unterhielt und finanzierte mehrere Jahrzehnte ein Heim („Haus Schöneberg“) in Wyk auf der Insel Föhr.
Die Bearbeitung der unzähligen Anfragen einer Vielzahl der Betroffenen und die Auswertung der mittlerweile vierstelligen Anzahl eingesendeter qualitativer Interview/Fragebögen von Betroffenen über die zumeist traumatischen Erfahrungen sind von den ehrenamtlichen Strukturen der Initiative kaum mehr zu bewältigen. Aufgrund der Dimension der Verschickungen und der Verantwortung von Jugendämtern, Trägern und Kassen ist daher eine öffentliche Anerkennung und Förderung der Aufarbeitung notwendig.
*Ähnliche Erfahrungsberichte von Betroffenen, die in der ehemaligen DDR auf Kuren geschickt worden sind, liegen ebenfalls vor, sind aber aufgrund der Systemunterschiede gesondert zu betrachten.

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