NRW-Medikamentenstudie

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Die Landesregierung NRW legte im September 2025 eine Studie zu Medikamentenmissbrauch an Kindern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen vor. Das medizinethische Institut an der Universität Düsseldorf und dort Herr Prof. Dr. Fangerau, sowie auch die Pharmazeutin Dr. Sylvia Wagner, waren beteiligt. Erstmalig wurde das Thema „Medikamentenmissbrauch“ in Fürsorgeheimen und Kureinrichtungen von NRW untersucht. Die Studie hat Erschreckendes ans Tageslicht gebracht: Ärzte haben massiv gegen den hippokratischen Eid verstoßen. Und was in einem Bundesland passiert ist, kann in anderen Bundesländern nicht völlig anders gewesen sein, Folgeuntersuchungen muss es in allen Bundesländern geben. Der Schwerpunkt Heimerziehung und Psychiatrie wurde schon mehrfach zu diesem Thema bedient, die medizinisch-pflegerisch ausgerichteten Kindererholungsheime, -kurkliniken und Kinderheilstätten wurden erstmalig mit in eine solche Studie hineingenommen.

Die Studie ist hier online abrufbar.

Offizielle KURZINFO zur STUDIE:

„Der Untersuchungszeitraum umfasst die Zeitspanne von der Gründung des Landes im Jahr 1946 bis zum Jahr 1980. Die Studie wurde am Mittwoch, 10. September 2025, im Düsseldorfer Landtag vorgestellt. Die Studie ist hier online abrufbar. Sozialminister Karl-Josef Laumann: „Kinder und Jugendliche haben in stationären Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen Unfassbares erlitten. Es steht ihnen zu, dass diese Gräueltaten umfassend beleuchtet und aufgearbeitet werden sowie maximale Aufmerksamkeit bekommen. Die Studie zum Medikamentenmissbrauch der Forscher und Forscherinnen um Prof. Dr. Heiner Fangerau von der Universität Düsseldorf, der Universität Hildesheim und dem Deutschen Institut für Heimerziehungsforschung tut genau das: Sie führt das bisherige Wissen zusammen und stellt die wichtigste Perspektive, die der Betroffenen, in den Fokus. In ihrer Gesamtheit führt sie uns das schreckliche Ausmaß des Missbrauchs vor Augen.“ „Über Gespräche mit Betroffenen und über systematische Literatur- und Archivstudien haben wir ein Bild über den missbräuchlichen Medikamenteneinsatz bei Kindern in Nordrhein-Westfalen machen können“, so Professor Fangerau. „Wichtig war uns dabei, die Perspektive der damaligen Kinder abzubilden. Lange wurde ihnen nicht zugehört und nicht geglaubt. Whistleblower wurden zum Schweigen gebracht. Verantwortliche schauten weg oder ermöglichten den Missbrauch, dabei war ihnen wohl bekannt, dass sie gegen Gebote der Medizinethik ihrer Zeit verstießen. Erschreckend war die Vielfalt des missbräuchlichen Medikamenteneinsatzes.“ 

In der Studie konnten bisherige Forschungsergebnisse bestätigt und zusammengeführt sowie schwerwiegende Formen des missbräuchlichen Medikamenteneinsatzes nachgewiesen werden. Hierbei handelte es sich nicht um Einzelfälle, sondern um weit verbreitete, oft institutionell verankerte Praktiken. Nach konservativen Schätzungen waren circa 20 Prozent aller in den genannten Institutionen in Nordrhein-Westfalen untergebrachten jungen Menschen von missbräuchlichem Medikamenteneinsatz betroffen. Dieser umfasst: 

  • Medikamente wurden systematisch eingesetzt, um Kinder und Jugendliche zu sedieren, zu kontrollieren und gefügig zu machen.
  • Psychopharmaka, die eigentlich der Behandlung schwerer psychischer Erkrankungen vorbehalten sein sollten, wurden routinemäßig verabreicht – nicht aus medizinischer Notwendigkeit, sondern zur „Erleichterung des Heimbetriebs“.
  • Einige Medikamente wurden zu Forschungszwecken verabreicht. Kinder und Jugendliche wurden zu medizinischen Versuchsobjekten gemacht. Ihr Einverständnis wurde nicht eingeholt, die Risiken wurden nicht erklärt, die Folgen nicht abgeschätzt.
  • Die missbräuchliche Gabe von Arzneimitteln war oft verflochten mit anderen Gewalterfahrungen. Vor allem Gewaltpraktiken und sexualisierte Gewalt sind umfassender, als bisher angenommen.

Diese Ergebnisse sind sensationell. Es bestätigt das, was auch Betroffene in Verschickungsinstitutionen erlebt haben und aus ihren Erinnerungen vielfach berichten: Da wurden Kinder mit Medikamenten vollgestopft, damit die Häuser Ruhe in ihren Routineabläufen hatten, und da wurde mit Medikamententestungen Geld verdient, die den Kindern in vulnerabler Situation (chronisch oder akut krank, zur Erholung verschickt, da zu schwach..), ohne Elterneinwilligungen verabreicht wurden, einschließlich nachfolgend schmerzhafter Blut- und Körperflüssigkeitsentnahmen (manchmal sogar Gehirnwasserpunktionen).

Dies ist nicht nur in der Heimerziehung passiert, sondern, insbesondere, was die Medikamentengaben zu Forschungszwecken betrifft, auch in den Verschickungsinstitutionen. Mit ihren dauernd wechselnden altersgleichen Probandengruppen des normalen Bevölkerungsdurchschnitts, ihrem oft vorhandenen rein ärztlichen Equiquement (Arztzimmer, Medikamentenschrank, Spritzen, Blutentnahmen, ärztliches Heimpersonal, oft sogar mit chirurgischer Abteilung) waren sie geradezu ideale Orte für Ärzte, die Probandengruppen für ihre Doktorarbeiten suchten. Hier braucht es seperate und weiterführende Studien, die bundesweit angelegt werden müssen und den seit 50 Jahren vernachlässigtem Thema der Verschickungsinstitutionen widmen.

Im Gegensatz zu den Fürsorgeheimen, betreffen die Arzneitestungen in Verschickungsinstitutionen viele Millionen. Diese waren oft, wie kürzlich Hans Walter Schmuhl für Mammolshöhe aufgedeckt und damit auch unsere Recherchen bestätigt hat, mit kurzfristig gravierenden Folgen, bis hin zu Todesfällen verbunden.

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