Eines von zahllosen bayrischen Verschickungsheimen ist das Haus Schmalensee in Mittenwald, dies wurde lange Zeit betrieben von Agnes Häußler, später weitergeführt von ihrem Sohn Edgar Häußler. Aus diesem Heim liegen uns erschütternde Berichte mehrerer Augenzeugen vor, sowohl aus der Epoche der Agnes Häußler, als auch aus der Epoche von Edgar Häußler. Eine Heimortgruppe dieses Heimes existiert bei uns unter HEIMORTKOORDINATION, Agnes Häußler besaß drei Schäferhunde, diese bekamen von der Köchin besseres Essen vorgesetzt als die Kinder. Diese Hunde liefen oft frei auf dem Gelände herum und haben mehrmals Kinder gebissen. Ein Augenzeuge erinnert sich daran, dass er am ersten Tag seiner Begegnung mit der Heimleiterin Agnes Häußler als 4-jähriges Kind nur deshalb eine heftige Ohrfeige verpasst bekommen hat, weil er wagte: „Ich will…“ zu sagen. Bei Überbelegung und Tellermangel wurden die Hundenäpfe auch mal an die Kinder ausgeteilt.

NS-Geschichte

Das Haus hat eine NS-Geschichte: ​Das Gebäude war Teil des ehemaligen Areals der NS-RAD (Reichsarbeitsdienst/nach 1945 Flüchtlingslager) durch eine Anbau-Erweiterung von 4 Zimmern und Waschraum wurde es 1958 zu einem Kinderheim (Bauherrin: Agnes Häussler) umgebaut, der Architekt war Alfred Karl Matuella (Quelle: Archiv für Baukunst, Uni Innsbruck, Internethomepage, leicht findbar). ​​Agnes Häussler war von 1960-1976 Heimleitrein, nach Aussage einer anderen Augenzeugin soll sie in der NS-Zeit Ärztin gewesen sein, geboren ist sie 1912, mit dem Geburtsnamen Koll, gestorben ist sie 1976, seit 1945 gibt sie als Beruf an: Säuglingspflegerin. Laut Recherchen der Historikerin Gabriele Bergner (Berlin-Teltow), die für die Heimortgruppe Schmalensee in der „Initiative Verschickungskinder“ recherchiert hat, hatte sie folgende NS-Funktionen: ​1933 war sie in der NS-Frauenschaft, 1940 in der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (dort Bereiche wie NS-Kinderverschickung seit 1940, arische Kindergartenbetreuung, arische Mutterkindbetreuung.

TV-Sendung in Bayrischem Rundfunk

In der kürzlich in der Abendschau im Bayrischen Rundfunk ausgestrahlten Dokumentation erinnert sich die Augenzeugin Tanja, unsere Heimortverantwortliche, eines traumatisierenden Aufenthalts. Sie hat noch Jahrzehnte nach dem Aufenthalt Herzrasen, als sie aus dem Auto steigt. Im Kinderkurheim Haus Schmalensee sollte sie zunehmen, sechs Wochen lang. Im Filmbericht kommen Tanja viele Erinnerungen: Es gab das Verbot auf die Toilette zu gehen, so passierte ihr es. Zur Strafe für das „Bettnässen“ sei sie eiskalt mit einem sehr harten Gartenschlauch abgeduscht worden. Sie erzählt: “Wir mussten uns nackt ausziehen. Man hat uns sehr weh getan, man durfte sich auch nicht wegdrehen, die haben überall hin gespritzt. Ein anderes Mädel und ich, wir lagen zusammengekrümmt auf dem Boden. Die Tanten haben dann alle Kinder gerufen und die mussten dann auf uns einschlagen.”

Die SPD in BAYERN fordert Studie zur Aufarbeitung

Die SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag fordert von der Bayerischen Staatsregierung, dass die Geschichte der Kinderkurheime in Bayern, aus dessen Bundesland uns schlimme Erinnerungsberichte auf unserer Internetseite (www.Verschickungsheime.de) vorliegen, in einer Studie systematisch aufgearbeitet werden soll. Die sozial- und familienpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion Doris Rauscher will dadurch herausfinden, wie viele Verschickungskinder damals schlechte Erfahrungen gemacht haben und welche Hilfen die Betroffenen brauchen. Das Bayerische Sozialministerium verweist auf Pläne der Jugend- und Familienministerkonferenz für eine bundesweite Lösung. Viele Unterlagen sind angeblich vernichtet, aber in bayerischen Archiven existieren laut TZV-Bericht Abendschau BR, noch Akten zu Kinderkurheimen: Über Ermittlungsverfahren gegen Heimpersonal, sowie über die Verurteilung einer Heimleitung wegen “Misshandlung Schutzbefohlener”.

Die Zeitzeugen der „Initiative Verschickungskinder“ wünschen sich nicht nur in diesem TV-Beitrag eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Kinderkurheime unter Zugrundelegung der Augenzeugenberichte der Betroffenen. Es muss für alle aufgearbeitet werden. Ohne restlose Aufklärung werden sich die Fehler aus der Vergangenheit bis in die Zukunft hinein halten.

(Zeugen-Zitate aus eigenen Recherchen und aus der Sendung)

Anja Röhl