Positive Erinnerungen an Kindererholungsheime, Kinderheilstätten und Kinderkurheime
Titelbild Elternratgeber: Mit Kindern an die See, 1987
Als wir begannen, uns dem Thema der traumatischen Erinnerungen von Verschickungskindern zu nähern, waren wir erstaunt über die zahllosen, überaus detaillierten Berichte von angsterfüllten Verschickungsaufenthalten und erlebter Gewalt. Kinder, meist unter 6 Jahren, wurden zu Hunderten allein, ohne ihre Eltern, über 6 Wochen, zwischen 1946 und 1990, in weit entfernt liegende Kindererholungsheimen und -Heilstätten aller Bundesländer verbracht.
Erlebnisschilderungen darüber wurden uns ungefragt zugesandt und sammeln sich seither öffentlich auf unserer Webseite in unserem Gästebuch, 2776 (am 27.5.25) und anonym in einem Fragebogen, wo es schon weit über 15.000 sind, die ihre Geschichte unserer selbstbestimmten Forschung zur Verfügung gestellt haben. Wir zensieren nicht, wir kürzen nicht, wir schalten nur frei und sammeln. Es sind Erinnerungs-Schilderungen von Demütigungen, körperlicher, seelischer und sexueller Gewalt und starken Angsterlebens. Diese Berichte sind zumeist von Menschen, die zum ersten Mal mit unserer Initiative in Kontakt kommen und erfahren, dass sie mit ihren schmerzlichen Erfahrungen nicht allein sind, sondern Teil einer sehr großen Gemeinschaft von Betroffenen. Oft ist dann der erste Impuls, das selbst Erlebte aufzuschreiben, Zeugnis zu geben. Es ist seit dem Beginn unserer Initiative immer deutlicher geworden, dass die Kinderverschickung System hatte und dass in ihr eine „Subkultur der Gewalt“ (Hans Walter Schmuhl (2023): Kur oder Verschickung: Die Kinderkuren der DAK zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Dölling und Galitz, München, S. 249) herrschte. Alle bisherigen wissenschaftlichen Studien bestätigen, dass es im Rahmen der Kinderkuren, systemische Gewaltbedingungen gab.
Natürlich waren die Kinderverschickungen nicht für alle Kinder und während der gesamten Zeit ihres Aufenthalts eine traumatische Erfahrung. Gerade ältere Kinder ab zehn Jahren haben auch positive Erinnerungen an die Aufenthalte. In der unmittelbaren Nachkriegszeit war schon manchmal das reichliche Essen für unterernährte Kinder aus den zerbombten Städten ein Anlass für große Freude. Auch jüngere Kinder und Kinder in den 1950-er bis 1980-er Jahren erinnern sich oftmals positiv an Sommer und Strand, Wald und Berge, Festlichkeiten, Aufführungen oder gemeinschaftliche Aktivitäten wie Singen, Spielen und Wandern. Trotzdem gibt es auch bei positiven Erinnerungen oft zusätzliche an Angst- und Gewaltsituationen. Auch Menschen mit positiven Erinnerungen schreiben uns. Aber es sind viel viel weniger positive Erinnerungen, die sich öffentlich bemerkbar machen.
Wir wollen einen umfassenden Einblick in das Geschehen während der Verschickungen erhalten. Dafür sind auch positive Erinnerungen wichtig. Denn oft können sie zeigen, durch welche Zufälle Kinder widerstandsfähiger und resilienter gegen die negativen Erfahrungen wappnen konnten und dadurch manchmal weniger durch die traumatischen Erlebnisse Schaden nahmen. Manche von uns haben gemischte Erinnerungen, erinnern sich also an Schmerzliches, aber auch an Vieles, was sie als neutral, normal oder auch schön empfanden.
50 Jahre lang war der Diskurs zu Kindererholungsaufenthalten durchgehend positiv besetzt, Heimbetreiber, Mitarbeitende deren Institutionen feierten ihre eigenen positiven Erinnerungen. In Bädermuseen und Elternratgebern war man viele Jahrzehnte lang des Lobes voll, kritische Worte, wie etwa Eltern- oder Erzieherbeschwerden oder auch kinderärztliche Kritik wurden fünf Jahrzehnte von Heimbetreibern und Behörden nur wenig beachtet, sie wurden bagatellisiert und sogar bekämpft (Röhl, A. in Sozialgeschichte offline, 2022, Heft 31/2022, S.61-100: Kindererholungsheime als Forschungsgegenstand. Erwachsene Zeitzeugenschaft am Beispiel eines Beschwerdebriefes im Adolfinenheim auf Borkum)
Nun, wo sich das erste Mal, nach 50 Jahren, die Betroffenen selbst zu Wort melden, brechen oftmals lange verdrängte Erinnerungen an Beschimpfungen, Schmerzen, Scham, Angst und Gewalt auf. Manche Menschen beschreiben dabei detaillierte Szenen in Ess- und Schlafräumen und wissen noch, wo ihr Bett stand und wie an einem bestimmten Tag das Licht durch die Vorhänge fiel. Sie beschreiben gestochen scharfe Filmszenen ihrer traumatischen Erlebnisse und erleben dabei erneut tiefe Gefühle von Angst und Bedrohung. Andere haben schwere Körpersymptome und Alpträume, die sich durch bestimmte Fakten auf Verschickungserfahrungen zurückführen lassen. Sie alle brauchen Beratung, Vernetzung und streben dazu an, mehr über diese Einrichtungen herauszufinden.
Positive Berichte aus Verschickungsheimen sind gerade deshalb wichtig. Welche Faktoren haben Kinder so bestärkt, dass sie Verschickungen unbeschadet und positiv erlebten? Wo gab es Einrichtungen, in denen kindgerechter, professioneller Umgang die Regel und Essen ein Vergnügen war, Hygieneroutinen die Kinder nicht beschämten? – und welche Faktoren führten vielleicht dazu, dass es auch solche Kinderkuren gab? Das muss sehr selten gewesen sein, denn solche Berichte haben wir bisher nicht. Menschen mit positiven Erinnerungen dürfen jederzeit ihre Erlebnisse auch bei uns schildern – aber damit kann niemand die schmerzhaften Erinnerungen von Zehntausenden abwerten. Und damit kann auch nicht der klare Befund aus der Welt geschafft werden, dass das System der Kinderverschickungen vieltausendfache Gewaltausübung ermöglichte.
Anja Röhl, Christiane Dienel, für den AEKV e.V., dem wissenschaftlichen Begleitverein der Initiative Verschickungskinder e.V.
Du hast einen sehr schlimmen Lebens- und Leidensweg dieser Dir entgegengebrachten Menschenverachtung zu ,,verdanken‘.
Ich habe einen hohen Respekt davor, wie du trotzdem nicht aufgegeben hast und gib bitte niemals auf!
Ich habe es Gottseidank schaffen dürfen, weil meine Familie sich aus dem Sumpf hat herausziehen können und mir Liebe und eine Ausbildung hat schenken können.
Was mir aber auch bis heute blieb, ist meine Konfliktscheue, diffuse Angstattacken, vor großen Gebäuden, selbst vor Frauen. Ich bin zweimal geschieden. Vielleicht habe ich das der Heimleiterin zu verdanken, ich weiss es nicht. Aber Frauen machen mir tatsächlich Angst ( eine Heimleiterin hat mich u.a. vor den Augen meiner Mutter geschlagen). Auch die Angst Entscheidungen zu treffen, weil man dann seinen Willen ja äußern finden und muss, ist mir in abgeschwächter Form, geblieben. Auch das habe ich wahrscheinlich dieser Feau zu verdanken, die der Meinung war, Kindern haben nichts Zu wollen.
Wie gesagt, ich habe Glück, dass mein Umfeld stark war und mich hat immer stärker werden lassen bis heute.
Daher meine dringliche Bitte an dich: such dir Hilfe nur bei guten Menschen, es gibt sie, und lass all diejenigen Menschen aus deinem kostbaren einzigen Leben heraus, die Dir Schäden, ob sie das bewusst tun oder auch, weil ihnen mal böses angetan wurde.
Such dir psychologische Hilfe, die Dir den Weg zu deinem wollenden Ich freischaufelt. Ich kann das nur sehr empfehlen!
Fühle dich umarmt von mir!
GLG Jürgen
Meine traumatische Erinnerung:
Mir wurde die Suppe reingelöffelt, als ich auf das Kleid der Nonne erbrochen habe, wurde mir der nackte Hintern versohlt. Ich habe mein Leben lang die Auswirkungen dieses Traumas gespürt, ich entwickelte eine Angststörung, Angst vor dem Erbrechen, atypische Anorexie. Seit meinem 20sten Lebensjahr bin ich immer wieder in therapeutischer Behandlung gewesen. Nach einer ganz schweren Krise, habe ich es geschafft das Trauma zu verarbeiten, mit vielen Befreiungsschlägen, die meine Leben wieder glücklich und zufrieden machen. Es war harte Arbeit, aber es hat sich gelohnt.
Ich freu mich, dass es nun dieses Forum gibt und ich mit meiner Geschichte anderen helfen kann und auch für mich, ist es heute noch befreiend zu erfahren, dass ich nicht die Einzige war. Diese Ungerechtigkeit, die uns wohl allen das Leben schwer gemacht hat, darf in die Öffentlichkeit gelangen, dank Anja Röhl und allen Beteiligten.
Petra
Beide sagten am Mittwoch übereinstimmend singemäß:
"Du warst traumatisiert. Aber erzählt hast Du fast nichts: Nur, dass die Post gelesen und kontrolliert wurde und dass die Päckchen an die Kinder von den Frauen "leergefressen" wurden."
In den verganenen drei Tagen neu bewußt gewordene Erinnenrungen:
Vor Abreise hatte es einen Info-Abend der Barmer Ersatzkasse gegeben. Von diesem kehrte meine Mutter mit dem bereits erwähnten und noch vorhandenen BEK-Reiserucksack nach Hause zurück. Ich erinner mich noch genau daran, wie Sie mit diesem Stück durch die Wohnungstür kommt.
In den Tagen vor meiner Abreise nähte meine Mutter kleine maschinengestickte Namensschilder in meine Kleidungsstücke, da diese in Wyk gewaschen wurden.
Einige dieser Kleidungsstücke bzw. der später in anderen Kleidungsstücken wiederverwendeten Stoffetiketten sind auch noch erhalten.
Vor der Abreise am 5.1.1970 gab es einen Bericht in den Fernsehnachrichten, dass wohl bundesweit überall Sonderzüge in den Tagen nach dem Jahreswechsel mit den Kindern zu den Heimen aufbrachen.
Der Sonderzug fuhr abends los. Einfache Abteile mit ausziehbaren Sitzen. Spätabends die Lichter Hamburgs. Am frühen Morgen dann die Fähre von Dagebüll nach Föhr.
Das erste Abendessen noch in sehr guter Erinnerung. Auch eine nette Erzieherin im Team, die aber nach einigen Tagen abgelöst wurde.
Ein regelrechter Schock für mich war dann am ersten Abend die erstamlige Benutzung der Waschräume, wo jedes Kind einen Haken und ein kleines offenes Fach hatte, wenn ich mich recht erinnere.
In den Zimmern gab es 4 oder 5 Betten, an deren Anordgnung im Raum ich mich noch exakt erinnern kann -- und auch wo mein Bett stand.
Einige Kinder hatten Geburtstag während der sechs Wochen und erhielten von zuhause Pakete. Dass diese an die jeweiligen Kinder und die Gruppe immer verteilt wurden, daran kann ich mich nicht erinnern. Höchstens ein Teil kam an. Ich erinnere mich nämlich daran, dass die Pakete im Speisesaal geöffnet wurden, und der Inhalt dann zunächst von den Damen beschlagnahmt wurden. Und ich erinnere mich auch an offene Pakete, aus denen sich die Damen im Friesenzimmer bedienten. -- Aber auch daran, dass auch der Geburtstag gefeiert wurde und die Kinder der gleichen Gruppe oder die Zimmergemeinschaft etwas abbekamen.
In den Räumen an den Fensterfronten des Anbaus, die den zentralen Speisesaal umgaben, spielten wir in Gruppen Brettspiele. Dabei waren Halma sowie Deutschlandreise, Weltreise und Malefiz, die ich dort kennelernte.
Durch den Hinweis von Kirsten Beste (ihr Kommentar) erinnere mich ich an die Strafen während des Zwangsmittagsschlafes: Stehen in den Ecken. Und das bis zu zwei Stunden lang!
Das war nicht wie in der Schule, wo ja der Unterricht weiterlief und deshalb die Zeit schneller verging. Denn es sollte in der Halle ja alles muckmäuschenstill und regungslos sein.
Da werden zwei Stunden zur endlosen Qual schon allein wegen der Langeweile. Und Kinder empfinden als ungleich länger als dies Erwachsene tun.
Am Ende des Aufenthaltes gab es einen Abschlußabend oder -nachmittag mit Aufführungen.
Ich war an zwei Dingen beteiligte, erinnere mich dunkel aber nur noch an "Wer hat die Tabakspfeife meines Bruders/Vaters(?) gesehen.
Rückreise im Dunkeln am ganz frühen Morgen, so daß der Zug nachmittags Kassel erreichte.
Was ich heute sehr bedauere: 2011 wurde alle Anbauten, auch der Anbau mit dem Speisesaal, abgerissen und das "Schloss am Meer" bis auf die Außenmauern der Fassade entkernt.
Würde es noch stehen, wäre ich nun hingefahren, um noch einmal im Speisesaal zu stehen und mich zu vergewissern.
Das geht nun nicht mehr. Aber interessieren würden mich alte Innenfotos oder Grundriss- und Raumpläne.
Meine traumatische Erinnerung:
Mir wurde die Suppe reingelöffelt,als ich auf des Kleid der Nonne erbrochen habe, wurde mir der nackte Hintern versohlt. Ich habe mein Leben lang die Auswirkungen dieses Traumas gespürt, ich entwickelte eine Angststörung, Angst vor dem Erbrechen, atypische Anorexie. Seit meinem 20sten Lebensjahr bin ich immer wieder in therapeutischer Behandlung gewesen. Nach einer ganz schweren Krise, habe ich es geschafft das Trauma zu verarbeiten, mit vielen Befreiungsschlägen, die meine Leben wieder glücklich und zufrieden machen. Es war harte Arbeit, aber es hat sich gelohnt.
Ich freu mich, dass es nun dieses Forum gibt und ich mit meiner Geschichte anderen helfen kann und auch für mich, ist es heute noch befreiend zu erfahren, dass ich nicht die einizige war.
So stelle ich die Fotos ein und vielleicht erkennt sich ja jemand wieder.
Viele Grüße an alle, die so viel Ungerechtigkeit erfahren haben und es dadurch im Leben so schwer haben.
Petra
Trotzdem mach ich meinen Eltern den Vorwurf, nicht hingehört zu haben. Bis in die achtziger Jahre hinein "schwarze Pädagogik", am System ist was nicht in Ordnung
Was damals gelaufen ist, dass viele Nationalsozialisten auf Posten gesetzt wurden, um die junge Republik ans Laufen zu bringen war mir bekannt.
Aber Kurhäuser für Kinder zu leiten ist wohl nicht "Systemrelevant" gewesen. Alte Seilschaften gepaart mit Gelddruckmaschine und das mit dem Wissen der Kirchen und Gewerkschaften, ist kriminell und gehört aufgearbeitet.
Danke, dass du mir geantwortet hast
Ich musste sehen, wie ich mit diesen Erfahrungen klar kam. Meine Eltern waren einfach obrigkeitshörig oder hatten es ja selbst nicht anders gelernt. Auf jeden Fall widerstrebt es mir bis heute, wenn ich etwas machen soll, mit dem ich nicht einverstanden bin, also gezwungen werde, etwas zu tun.
Ich war 1955 aus gesundheitlichen Gründen 3 Monate in Agra, im Frühjahr über Ostern.
Ich war damals 5 jahre alt.
War jemand damals zur gleichen Zeit dort? Ich habe viel vergessen.
Eins wußte ich damals schon und schwor es mir: nie wieder kur, und das habe ich mein Leben lang eingehalten.
Das Erholungsheim lag abgelegen am Wald. Nonnen sind für mich seither böse Hexen.
Therapien bislang erfolglos.
Bad Sooden-Allendorf, Januar/Februar 1964
Der erste Abend in Bad Sooden.
Ich komme aus der Toilette.
Das riesige Treppenhaus ist menschenleer und gespenstisch still.
Ich weiß nicht mehr, wo mein Schlafsaal ist.
Muss ich die Nacht hier verbringen? Verzweiflung.
Plötzlich taucht eine Tante auf. Ich bin so froh!
"Findest du deinen Schlafsaal nicht mehr?"
Ich nicke. Sie nimmt mich an der Hand. "Schauen wir mal, ob wir ihn zusammen finden."
Sie öffnet die erste Tür. Ein Schlafsaal mit sehr angenehmem Licht und fröhlichen Kindern. Wie schade, es ist nicht meiner.
Die nette Tante öffnet die nächste Tür. Das ist mein Schlafsaal.
Nachts wache ich auf. Es ist etwas schlimmes passiert.
Ich habe in die Hose gemacht.
Ich knülle die nasse Stelle fest in beide Hände. Bestimmt wird so nach einer Weile alles trocken.
Auf dem Balkon steht der Schrank mit unseren Kleidern. Vorsichtig schleiche ich hinaus. Kein Kind darf aufwachen.
Es ist eiskalt da draußen. Ich hole mir frische Wäsche und ziehe sie an.
Niemand ist wach geworden. Tante Edelgard hat nichts bemerkt.
Es ist ein Brief von daheim gekommen. Tante Edelgard liest ihn vor. Wenn Mama unseren zweieinhalbjährigen Bruder fragt wo seine Geschwister sind, antwortet er "schlafen noch".
Das Mädchen mit den blonden Zöpfen sitzt nicht weit von meinem Bett entfernt auf der Bettkante. Tante Edelgard schreit sie an und schlägt sie. Das Mädchen bewegt sich nicht und starrt vor sich hin.
Wir wollen wandern gehen.
Im Keller ziehen wir unsere Schuhe an.
Ich kann noch keine Schuhe binden.
Die Tante meines vierjährigen Bruders bindet ihm und allen ihren Kindern die Schuhe.
Weil ich schon sechs Jahre alt bin, traue mich nicht, Tante Edelgard zu fragen, ob sie mir die Schuhe bindet.
Ich stecke die Schnürsenkel in die Schuhe.
Wir sind zu einem Haus gelaufen, in dem es einen Nebelraum gibt.
Darin sind wir eine Weile im Kreis gelaufen und haben dabei fest geatmet.
Das Mädchen mit den langen braunen Haaren hat Windpocken.
Tante Edelgard steht mit ihm in der Tür zum Badezimmer.
In einer Hand hält sie die Haare des Mädchens.
In der anderen Hand hat sie eine Bürste und fährt dem Mädchen damit fest über den Kopf.
Das Mädchen weint furchtbar. Es tut ihm so weh.
Aber Tante Edelgard hört nicht auf.
Es ist Fasching. Der riesige Speisesaal ist mit Luftschlangen geschmückt.
Die älteste Tante kommt mit einer roten Nase im Gesicht fröhlich herein gehüpft.
Sie hat auch Luftschlangen um den Hals hängen und macht viele lustige Faxen.
Alle Kinder lachen.
Das Mädchen sitzt mir im Speisesaal gegenüber.
Seine Augen sind ganz groß hinter den Brillengläsern.
Aus einem Auge läuft ständig eine gelbgrüne Flüssigkeit.
Es mag das Essen nicht.
Tante Edelgard setzt sich neben das Mädchen und packt es mit einer Hand im Genick.
Sie häuft das Essen auf den Löffel.
Sie schreit das Mädchen an, es soll den Mund aufmachen.
Das Mädchen weint.
Das Mädchen würgt.
Das Mädchen übergibt sich in den Teller.
Tante Edelgard schaufelt ihm das Erbrochene in den Mund.
Das Mädchen übergibt sich wieder.
Tante Edelgard schaufelt es ihm in den Mund.
Das Mädchen weint noch mehr.
Ich kann das nicht verarbeiten.
Es gab oft verdorbenes Essen, ich lernte mich auf Komando zu übergeben. Dann musste ich wenigstens nichts essen. Bekam aber immer eine Flüssigkeit in den Mund gesprüht. Damit blieb mir die Schikane beim Essen erspart. Dort war ein Mädchen, die das Essen nicht schaffte oder wollte. Zur Strafe wurde sie an den Gang des Essensraums gesetzt (ich glaube sogar fixiert) und bekam immer wieder Essen nach geschöpft. Wir mussten alle an ihr vorbei gehen - und durften kein Mitleid zeigen. Ich hatte einmal eine Karte an meine Eltern geschrieben mit der Bitte mich abzuholen, den musste ich selbst zerreissen. Ich erinnere mich an Angst und das wir sehr viel heimlich machen mussten. Nach der Kur wollte ich noch nicht einmal mehr mit auf Klassenausflüge.
ich bin so froh, dass so viele hier sind, und wir uns so angeregt austauschen. Ich bin froh und dankbar, dass es diese Initiative gibt und so viele Geschichten und Meinungen zusammenkommen. Viele machen mich traurig, einige nachdenklich und an manchen reibe ich mich - so soll das sein!
Sicher gab es für alle Eltern von uns Gründe, uns kleine Wurtschels zu "verschicken": zu dick, zu dünn, mediz. Diagnosen, und die Gründe, die nichts mit dem Kind zu tun hatten. Punkt um.
Das alles lässt sich nicht rückgängig machen. Das Unverständnis, warum man von der Familie getrennt wird (sechs Wochen sind für ein Kind eine gefühlte Ewigkeit). Das Heimweh, der Schmerz, nicht bei Mama und Papa sein zu dürfen, weil...???? Ja eben, weil???? Warum??? Und warum wird dann auch noch misshandelt ? Anstatt kuriert, gesund gemacht zu werden ? Und wenn man mit fünf Jahren schon Pläne schmiedet, abzuhauen: 5!!!
Ist das wirklich nur alles Zeitgeist? Und wenn ja, entschuldigt das irgendetwas? Ich sage nein!
wir reden hier von einer Zeitspanne von 1950 bis in die späten 1980er Jahre.
Rechtfertigt die Vergangenheit der Tanten ihr Verhalten? Rechtfertig die Ideologie des Nationalsozialismus das Handeln der Tanten in all den Jahren? Klares NEIN! Spätestens hier hört bei mir jedes Verständnis auf. Soll ich jetzt noch Mitleid mit diesen Drachen haben? Ohhh, sie konnten ja nicht anders? Wie? Kein Mitgefühl? Keine Sorge? FUCK!
Auch zwischen 1933 bis 1945 gab es liebevolle Mütter und Väter, Tanten und Onkels. Die "Tanten und Onkels" und den Heimen, waren die auch nur bloße "Empfehlsempfänger" ohne jeden eigenen Verstand und Mitgefühl??? Sofern es da nachweislich Belege über die Führungsrichtlinien dieser "Kinderheime " und "Kureinrichtungen " gibt, sollte man die für die Öffentlichkeit transparent machen.
Meine Eltern glaubte sich sicher, das Beste für Ihre Lungenkranke fünfjährige Tochter zu tun und setzte sie 1970 in einen Zug. Ich fahre zu Erholung mit vielen Kindern, und ich werde Spaß haben... so sagte man mir. Fuhr weg. Nach sechs Wochen kam ein anderes Kind zurück.
Ja genau. Den "Spaß" habe ich heute noch!
Bitte entschuldigt, aber ich habe ein nur fast unsichtbar kleines Akzeptanzlevel, wenn ich lesen muss.... "das waren aber die Zeiten etc...". Egal in welchen Zeiten wir leben:
Kinder sind das Wichtigste und wie alle Menschen:
UNANTASTBAR IN IHRER WÜRDE!
(GG seit 1949!)
Lasst es euch alle gut gehen!
Bleibt gesund und sorgt für euch selbst!
sylke
Ein Kind aus Aldekerk war mit mir dort, ich wäre an einer Kontaktaufnahme interessiert.
Tﹰﹰhema Milchsuppe gab es wohl vielfach.. Mein Bruder, damals 4 Jahre, wusste noch, dass ich Milchsuppe unter den Tisch geschüttet habe, Ecke stehen musste und zumindest mittags nix mehr zu essen bekommen habe. Großer Speisesaal weiss ich auch noch und Aufpassertante dass wir uns benehmen. Zweierreihen auf dem recht kurzen Weg zum Strand ist mir auch in Erinnerung, aber viel rumtoben - davon weiß ich nichts mehr. Habe sehr viel verdrängt, geblieben ist die Isolation und die 2 Wochen über normalen Aufenthalt über Ostern. Gut dass die Verschickungen aufgerollt werden und ich allmählich eine Ahnung habe woher manche "Macken" herrühren.
LG Sabine schoenaukinder@gmx.de
vielleicht ist ja dann ein Austausch per Mail möglich.
Meine Adresse ist KiBeste@aol.com
Liebe Grüße Kirsten
ich weiß nicht, wie ich das Gefühl beschreiben soll, was ich beim Lesen Deiner Worte habe. Schmerz, Erleichterung? Wir waren vielleicht zur selben Zeit im Haus Hamburg. Ich bin Jahrgang 1975 und war Januar/Februar 1982 dort. Wie Du habe ich fast keine Erinnerungen daran und ich würde so gerne mehr wissen. Ich habe mir die Postkarten, die man im Netz findet, angeschaut und ganz kleine Erinnerungssplitter waren plötzlich da. Aber sie sind wie kleine Blitze, die ich nicht greifen kann. Vielleicht können wir uns ja im Forum mal schreiben. Die Tage werde ich dort was schreiben (Kinderheime > Nordrhein-Westfalen). Ich würde mich freuen, wenn wir dort weiterschreiben könnten. Und vielleicht gibt es ja noch andere und wir können gemeinsam unsere Erinnerungslücken etwas auffüllen.
Ich wünsche Dir auch alles Gute!
ich danke Dir von ganzem Herzen, dass Du als Vater hier geschrieben hast. Deine Worte berühren mich sehr und helfen mir.
Ich weiß auch noch, dass ich ein Päckchen mit Süßigkeiten von meinen Eltern bekam, es wurde von den Nonnen verteilt, obwohl es für mich war......
Man musste sich an die Regeln halten, ansonsten hatte man schlechte Karten bei den ehrenhaften Nonnen....
Es war gefühlt eine Lehranstalt für Disziplin und Gehorsam.... Bloß nicht ein eigenständiges Denken entwickeln, das störte die Regeln in dieser Erholungskur...
Man wurde auch untersucht und es wurde, glaube ich zumindest mich noch daran zu erinnern 2mal ein Blutbild gemacht.....
Wir standen alle vor der Türe, nur mit Unterhose gekleidet und bloß nicht rumalbern oder lachen.... Keine netten oder spaßigen Worte von den christlichen Damen..... Hauptsache diszipliniert und jedes Kind musste funktionieren nach Plan.....
Ich bekam anschließend noch Lebertran als Saft verabreicht und eben Teller wurde geschöpft und musste leer gegessen werden......
Auf jeden Fall ein dunkles Kapitel, und es tut gut sich austauschen zu können
Grüße
ärgerlich: die meisten durften keine fußball-wm schauen, da ohrfeigen gleich strafpunkte.
blöder nebeneffekt: circa die hälfte kam mit masern aus der "kur" nach hause und durfte sich ins bett zuhause legen.
die mädels hatten ein eigenes haus, was mich aber nicht interessiert hatte - ich war erst elf.
1967 war ich in der nähe von bad reichenhall, da. haben mich meine eltern hingeschickt. ort krieg ich aber leider nicht mehr gebacken. meine mutter wusste aber definitiv nicht, was mich da in beiden heimen erwartet hat, sie hat geheult, als ich ihr das jahrelang später alles detailliert erzählt habe. wir wurden 1967 nachts eingesperrt, wenn es gebrannt hätte, wären wir jämmerlich verbrannt, da die betreuerinnen außerhalb wohnten und das zimmer abgeschlossen war.
wir mussten unser erbrochenes essen, das ekelt mich bis heute. seitdem mag ich z. B. keine pfirsiche oder reisbrei
für meine beide besuche gibt es übrigens gründe (schicksalsschläge meiner eltern, sprich jeweils tod meiner großeltern).
die erlebnisse in diesen "lagern" haben mich motiviert, mit 17 aus der kirche auszutreten.
Sabine, schoenaukinder@gmx.de
ich habe meinen Eltern alles erzählt und sie haben mir auch geglaubt. Meine Mutter hat gegenüber unserer Hausärztin ihre Empörung zum Ausdruck gebracht.
dank Deiner Zeilen erinnere ich mich jetzt daran, dass auch während meines Aufenthaltes die Kinder, die beim Zwangsmittagsschlaf nicht ganz ruhig waren, zur Strafe in der Ecke stehen mußten.
An Milchreis erinnere ich mich nur dunkel. Für mich war der Nussgrießbrei der Horror. Der beherrscht meine Erinnerung. Und die rote Beete schmeckte ebenfalls nicht.
Viele Grüße
Wolfgang
An weiterem Austausch wäre ich durchaus interessiert, da ich damals nach meiner Rückkehr viele Erlebnisse verdrängt habe, die jetzt aus den Tiefen des Gedächtnisses auf einmal wieder lebendig werden. Aber bislang bin ich nicht bei Facebook, weil mir des alles andere als sympatisch ist, was der Umgang mit den Daten der Nutzer angeht..
Ich war im Jahre 1972 in Scheidegg im Allgäu auf sogenannter Erholung. Ich habe keinerlei Erinnerung mehr an das Heimgebäude von außen. Da ein Junge geflohen ist und wir uns gewundert haben wie er das geschafft hat, glaube ich, dass das Gebäude außerhalb einer Ortschaft gelegen war. Ich meine auch, dass es nicht groß war, die Räume, die Flure und das Treppenhaus erinnerten eher an ein größeres Wohnhaus, oder an eine Frühstückspension. Es war kein Bauernhof, es gab keine Tiere. Es war alles relativ eng, der Essens- und Aufenthaltsraum war in zwei Teile eingeteilt und hat nach meinem Gefühl höchstens 50 Kindern Platz geboten. Direkt daneben war eine Art kleine Teeküche oder Aufenthaltsraum für die Betreuerinnen, Es gab, glaube ich, in einem tiefer gelegenen Geschoss eine Art Sportraum mit einer Außenwiese, die geböscht war, ähnlich einem Souterainaußenbereich. Wenn schönes Wetter war haben wir dort Gymnastik o.ä. gemacht. Die Schlafräume waren nicht sehr groß, vielleicht mit 5 Betten ausgestattet. Die WCˋs, an die ich mich erinnere, befanden sich im 1. Stock direkt am Treppenaufgang. Die Waschräume waren eher im Keller. Es gab einen längeren Gang mit Holzrosten am Boden. Ansonsten erinnere ich mich daran, dass wir viel gesungen haben, im Aufenthaltsraum und bei den vielen Wanderungen. Außerdem gab es in Kleingruppen in sehr kleinen Räumen abgehaltene Stunden, in denen, glaube ich, vorgelesen wurde. Medizinische Behandlungen irgendwelcher Art habe ich nicht beobachtet.
Kennt jamand das Heim?
Liebe Grüße
Sabina
ich, Jahrgang 1976, war 1981 oder 1982, auf jeden Fall vor der Einschulung, in Bad Sassendorf, Haus Hamburg, zur Kinderkur. Organisiert wohl von der DAK.
Ich habe kaum Erinnerungen, einzig die Kälte der Betreuer, das Zensieren von Briefen, das Telefonieren in einem Kleinen Raum(Büro) am Ende einer Treppe unter Aufsicht sind mir in schlechter Erinnerung.
Auch der Essenszwang. Ich war etwas zu klein/leicht für mein Alter, ich gehörte zu denjenigen, die im EG im Speisesaal alleine sitzen mussten und den Teller aufessen. Ich esse bis heute einiges nicht, habe einen unüberwindbaren Ekel davor.
Dann im Keller diesen 'Inhalationsraum', was auch immer das war. Und irgendwelche Bade-Anwendungen in Bottichen.
Ich habe Essen auch unter dem Kopfkissen versteckt, weil ich es nicht mochte/konnte.
Es gab einzig eine Betreuerin, (Christina/Christine), die freundlich war. Ich erinnere mich, dass sie recht jung war, möglicherweise ein Praktikum. Sie trug in meiner Erinnerung recht weite Woll-Pullover.
Das sind alles Erinnerungsfetzen, ich habe diese Zeit lange verdrängt und bin gerade durch Zufall auf dieses Forum gestoßen. Bin an weiterem Austausch sehr interessiert.
Ich habe mich gefragt, warum dieses Thema erst jetzt an die Öffentlichkeit kommt. Klar, wir waren nur sechs Wochen dort und die armen Kinder, die jahrelang in Heimen ausharren mussten, hatten es viel schwerer und haben zum Teil noch viel traumatisierende Erfahrungen gemacht, daher trauten sich viele von uns womöglich gar nicht, mit ihren Erfahrungen rauszurücken. Bei mir war es aber noch etwas anderes: Ich habe damals selbst meinen Eltern nicht die Wahrheit gesagt (ich glaube, auch später nie die ganze Wahrheit). Warum? Ich glaube, einerseits wollte ich sie nicht belasten, denn sie hatten es doch nur gemeint. Andererseits fühlte ich mich auch schuldig. Schuldig daran, was mir angetan wurde, denn es hatte doch nicht ohne Grund geschehen können, dass man mich so gequält hat. Das einzige, was ich erzählte, war, dass ich große Kartoffeln und zwei Eier mit Spinat essen musste. Das verpackte ich offenbar so, dass meine Eltern sich darüber amüsierten und es als lustige Anekdote empfanden. Alles andere behielt ich für mich. Mein Vater erzählte noch später davon. Nach dem Heimaufenthalt kaute ich an den Fingernägeln und riss mir die Nagelhaut bis zum Bluten ab. Noch heute habe ich manchmal unbewusste Anwandlungen, mir Haut abzureißen, wie in Trance, ohne erklären zu können, warum ich das tue. Zum Glück ist es selten geworden. Drei, vier Jahre nach dem Heimaufenthalt spielten meine Eltern mit dem Gedanken, auch meinen kleinen Bruder nach Bad Salzuflen zur Kur zu schicken. Da tat ich alles, um dies zu verhindern, was nicht einfach war, da ich mich ja nicht traute, von meinen schlimmen Erfahrungen zu erzählen. Aber irgendwie schaffte ich es und war sehr erleichtert, dass ihm diese Erfahrung erspart blieb. Wie war es bei euch? Habt ihr freimütig alles berichten können? Und wie haben eure Eltern reagiert?
Leider habe ich nur sehr wenige bildhafte Erinnerungen an den Aufenthalt dort. Ich weiß noch, wie ich in einem kleinen Zimmer stand, den Telefonhörer in der Hand und gebenüber eine Frau und eine Sanduhr.
Mit einem Gefühl von tiefer Verzweiflung wusste ich nicht wie ich unter den gestrengen Augen der Frau meiner Mutter klar machen könnte, dass sie mich unbedingt abholen müsste.
Eine andere Erinnerung: Es ist Nacht. Ich kämpfe mit mir. Muss Pipi. Stehe dann in der Türe und blicke den langen Flur entlang. Schwaches Licht. Ich traue mich nicht.
Dann erinnere ich mich an Wackelpudding. Bis heute kann ich keinen Wackelpudding essen. Sehe ich ihn im Supermarkt stehen, habe ich immer sofort ein mulmiges Gefühl. Es sind bei mir mehr Gefühle, wie Heimweh, Angst, Enge, Ausgeliefertsein, Hilflosigkeit und Verzweiflung, an die ich mich erinnere.
Alles andere, wie andere Kinder, die Tanten, Aktivitäten und Räumlichkeiten sind wie gelöscht. Merkwürdig ist, dass ich aber viele bunte Erinnerungen aus der Zeit davor im Kindergarten habe. Woran ich mich aber genau erinnern kann, ist wie ich nach den 6 Wochen aus dem Zug/Bus stieg und meine Mutter mit meinen beiden Brüdern da stehen sah. Ich konnte mich nicht freuen. Es war so als wenn ich in einer Blase wäre. Zur Welt drumherum gehörte ich nicht mehr. Ich fühlte mich innerlich gebrochen, eingeschüchtert und taub.
Meine Mutter erzählt heute, dass ich nicht über den Aufenthalt in Bad Sassendorf reden wollte, sondern ich sei „einfach froh gewesen wieder bei meiner Familie zu sein“. Heute unvorstellbar für mich, dass ich als Mutter da nicht nachhaken würde. Aber leider war es so. Ich kann damit nicht erzählen, was mir in Bad Sassendorf genau widerfahren ist, ich kann eigentlich nur davon erzählen, was das wahrscheinlich mit mir gemacht hat.
In der Grundschule hatte ich Ängste, Konzentrationsschwierigkeiten und war verhaltensauffällig. Ich rutschte häufig auf dem Stuhl hin und her und konnte damit bis zur 2. Klasse nicht aufhören. Auch hatte ich fürchterliche Angst vor dem Schwimmunterricht und vermied diesen so oft es mir möglich war. Ich habe teilweise gestottert, hatte Angst irgendetwas falsch zu machen und konnte nicht bei Freundinnen oder woanders übernachten. Ich hatte schlimme Verlust- und Trennungsängste. In meinem weiteren Leben wechselten sich Angstphasen und gute Phasen immer wieder ab. Irgendwann bestimmten Ängste stark mein Leben. Ich habe deshalb bereits eine Verhaltenstherapie gemacht. Leider kamen die Ängste dennoch immer wieder zurück. Meine Hausärztin überwies mich dann vor kurzem an eine Trauma-Psychotherapeutin. Ich bin so froh. Wichtig war auch der Bericht im Ersten. Jetzt habe ich einen starken Ansatzpunkt, woher meine tiefen Verletzungen kommen könnten.
ich war 1964 mit meiner Schwester für sechs Wochen im Haus Hamburg in Bad Sassendorf.
Es ging schon streng zu, so wie andere das hier beschrieben
haben: Mittagsschlaf und Nachtruhe, ohne reden zu dürfen; Briefzensur, Essenszwang, wenig Getränke. Allerdings habe ich keine drastischen Strafen erlebt oder gesehen. Wohl aber geringe pädagogische Einfühlung von Seiten der „Tanten“. Sie interessierten sich kaum für uns als Individuen. Nur einige Kinder wurden bevorzugt und standen im Mittelpunkt. Mich störte am meisten, dass man keinerlei Privatsphäre hatte.
Aber kann ja schon froh sein, wenn einem nichts Schlimmeres passiert ist. Ich war heilfroh, als die Zeit rum war.
LG Kathi
Meine Großmutter, die in der Nähe urlaubte, wollte mich einmal besuchen. Ich habe mich so gefreut, als ich sie aus dem Fenster meines Zimmers, aus dem ich nicht raus durfte, gesehen habe. Kurze Zeit später wurde sie mit Schimpftiraden vom Grundstück geschickt.
Glücklicherweise gab es eine Praktikantin, die frankierte Briefe auf dem Heimweg in den Briefkasten warf. Ich übergab die Briefe unter größter Geheimhaltung und konnte so meine Eltern über die wahren Umstände aufklären. Dadurch wurde ich frühzeitig abgeholt.
Nach 6 Wochen kam ich kränker zurück als ich weg ging, erzählten meine Eltern.
Das zweite Mal war ich in der Villa Hilda, noch ne Version schlimmer, zumindest in meiner Erinnerung. Das Essen musste komplett gegessen werden. Ich weiß noch, dass ich auf einer Eckbank saß und entdeckte, dass man den Deckel öffnen konnte.
Voller Furcht kippte ich häufig den Rest in die Truhe und hatte riesige Angst dass ich erwischt werden würde. Einmal kamen meine Eltern zu Besuch. Aber da Mittagsruhe war, wurden sie wieder heim geschickt, eine Strecke von 4 Stunden ohne mich gesehen zu haben. Das Paket, das sie abgegeben hatten für mich wurde unter allen aufgeteilt, wobei ich das wenigste abbekam.
Es gab in der Villa Hilda noch ein zweites Haus, da waren die „ Augenkinder untergebracht. Was sich dahinter genau verbarg weiss ich nicht. Ich dachte allerdings, dass die es besser hatten.
Ich glaubte nicht mehr daran, dass ich jemals wieder nach Hause komme und sprach Hochdeutsch als mein Vater mich abholte.
Ich hatte immer gedacht, dass eigentlich nicht stimmen kann.
Das ist aber das Einzige an was ich mich erinnern kann. Vielleicht habe ich alles andere ja verdrängt.
Ich weiß nur, dass ich ein Riesen Problem mit Nonnen habe.
Auch ich war zu dünn und sollte aufgepäppelt werden. Heimweh, Dehmütigungen und Schläge haben mich geprägt. Sie haben mich so eingeschüchtert, dass ich mich im Wesen verändert ruhiger und mich zurückgezogen habe. Eine weitere Erholung wurde von mir abgelehnt. So dokumentierte es mein Vater nach dem Aufenthalt. Bettnässer bekamen Schläge, Erbrochenes mußte aufgegessen werden, um ein Päckchen vom Adventkalender zu bekommen. Eine Nudelsuppe kann ich heute noch nicht riechen und essen. Wenn ich diese Ereignisse damals zu Hause erzählt hätte, hätten meine Eltern mir nicht geglaubt.
Als ich vorgestern sah, wie Sie und Ihre beiden Mitstreiter über die eigenen Erfahrungen erzählten und ich dabei Ihr Leid erkannte, wurde mir bewusst, dass ich auch sehr viel Schreckliches dort erlebte. Ich habe das vollkommen verdrängt, so gut sogar, dass ich viele Jahre später in diesem Heim als Lehrerin arbeiten konnte, ohne mich groß an meine Kinderzeit dort zu erinnern. Ich dachte ohne jegliche Emotionen: ich wurde verschickt, ich hatte Heimweh, ich war eine Heulsuse und ich nahm brav zu.
Nein, es war schlimm und die Folgen trage ich wohl bis heute noch, ohne mir dessen bewusst gewesen zu sein. Mit diesem Film habe ich neue Impulse zur Aufarbeitung meiner Kindheit und Jugend bekommen, denn bisher waren die Verschickungen kein Thema. Ich spaltete damals wohl einen Großteil meiner Gefühle ab, um die schreckliche Zeit durchzustehen, so dass mir das Vergessen später leicht fiel.
Niemals habe ich daran gedacht, dass es so vielen anderen Menschen ähnlich erging. Ich dachte immer, ich hätte hätte mit meinem schlechten Benehmen mein Leid selbst verschuldet. Dabei war ich nur ein kleines, wehrloses, lebendiges Mädchen!
Wir haben alle extrem gelitten unter den diversen Quälereien und Demütigungen. Natürlich wurde die Post zensiert und wir wurden gleich zu Beginn der Kur aufgefordert nur “Gutes” nach Hause zu schreiben. Es gelang uns mit Hilfe etwas älterer Mädchen, ich war damals acht Jahre, doch heimliche Post bei einem Spaziergang in einen Briefkasten zu werfen. Als darauf eine von uns von ihren Eltern abgeholt wurde, gab es eine riesen Zirkus. Uns wurde gedroht damit, dass nun die Krankenkasse nie mehr für die Eltern und dieses Mädchen etwas bezahlen würde. Ich habe zwei Fotos. Hast Du Interesse?
Ich war davor und danach noch in anderen Kinderkuren und kann alles was hier geschrieben wird aus eigener oder beobachteter Erfahrung bestätigen. Ich hatte mit dieser ganzen Sch…… abgeschlossen, da sich aber nun doch so viele melden und berichten, möchte ich dies auch tun.
Zwei Jahre später war ich noch einmal für sechs Wochen in einem Kinderkurheim in Marktschellenberg (Bichlhof?). Daran habe ich überwiegend positive Erinnerungen, um hier auch mal was Gutes zu erwähnen. Es gab ein „modernes Konzept“ und relativ lockere Regeln. Jede Woche wurde ein besonderer Ausflug unternommen. Ich habe noch einige Zeit danach mit einer der Erzieherinnen Briefkontakt gehabt. Vermutlich haben diese positiven Eindrücke die Erlebnisse aus dem Haus Marianne überlagert, sodass ich mich zum Glück nicht traumatisiert fühle. Ich verfolge aber sehr interessiert die ganzen Beiträge hier. Irgendetwas löst das Ganze wohl doch in mir aus ...
Wir haben alle extrem gelitten unter den diversen Quälereien und Demütigungen. Natürlich wurde die Post zensiert und wir wurden gleich zu Beginn der Kur aufgefordert nur "Gutes" nach Hause zu schreiben. Es gelang uns mit Hilfe etwas älterer Mädchen, ich war damals acht Jahre, doch heimliche Post bei einem Spatziergang in einen Briefkasten zu werfen. Als darauf eine von uns von ihren Eltern abgeholt wurde, gab es eine riesen Zirkus. Uns wurde gedroht damit, dass nun die Krankenkasse nie mehr für die Eltern und dieses Mädchen etwas bezahlen würde. Ich habe zwei Fotos. Hast Du Interesse?
Ich war davor und danach noch in anderen Kinderkuren und kann alles was hier
geschrieben wird aus eigener oder beobachteter Erfahrung bestätigen. Ich hatte mit dieser ganzen Sch...... abgeschlossen, da sich aber nun doch so viele
melden und berichten, möchte ich dies auch tun.
Ich - Jahrgang 1967 - war als kleineres Kind sehr oft erkältet, und es gab auch eine Episode mit Pseudokrupp und Krankenhaus. Inzwischen glaube ich, dass auch die häufigen Erkältungen eine Traumafolge sind, aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls wurde ich mit etwa fünf Jahren für sechs Wochen von Hannover aus nach Langeoog geschickt, weil das "Reizklima" so gesund sei. Ich war noch nicht in der Schule, konnte aber mit Druckbuchstaben schreiben.
Vielleicht sind meine Erfahrungen nicht so krass wie manche anderen. Vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass vorher schon andere Sachen passiert sein müssen, vor deren Hintergrund die Erfahrungen auf Langeoog dann nicht mehr so einschneidend gewesen wären. Vielleicht ist ein Teil der Erinnerungen einfach noch in der Dissoziation verschwunden. Ganz sicher bin ich nicht auf die Idee gekommen, mich zur Wehr zu setzen, weil ich schon vorher die Ohnmacht kennengelernt habe.
Woran ich mich erinnere:
Ein großer Essenssaal. Ich wurde gezwungen, jeweils zweite Portionen zu essen. Irgendwie wurde man dort nicht herausgelassen, bevor man nicht zwei Portionen gegessen hatte.
Mittagsschlaf. Ich schlief schon lange nicht mehr mittags und war das nicht gewöhnt. Außerdem war ich eine Leseratte. Also habe ich mittags heimlich unter der Bettdecke gelesen - bis ich erwischt wurde und es Schläge gab. Ich erinnere mich daran, dass ich über diese Schläge schockiert war. Das ist etwas merkwürdig, weil in einer ziemlich krassen Traumatherapie in den letzten vier Jahren herausgekommen ist, dass es auch in meiner Familie - auch physische - Gewalt gegeben haben muss. Es ist aber auch herausgekommen, dass diese familiären Erfahrungen ganz offensichtlich der Amnesie zum Opfer gefallen sind; und wenn das so ist, dann mögen diese Schläge auf Langeoog dann trotzdem ein Schock gewesen sein - einfach weil ich die früheren vergessen hatte.
Spaziergänge o.ä.: Ordentlich in Zweierreihen.
Meerwasser-Wellenbad. Die Kinder waren oft im Wellenbad. Ich hatte Angst vor dem Wasser - Salzwasser kannte ich vorher wohl nicht - und vor allem den Wellen. Es muss eines von diesen Becken mit zunehmender Tiefe gewesen sein. Wir mussten in dem Wasser sitzen, die Wellen kamen dann periodisch. Ich habe immer wieder versucht, ins flachere Wasser zu kommen, bin unauffällig ins Flachere gerobbt, wurde aber immer wieder zurückgeschickt ins tiefere Wasser. In späteren Jahren war ich zeitweilig gerne schwimmen, aber wenn irgend möglich nicht im Salzwasser. Vielleicht deshalb?
Postkarten. Es gab kollektive Nach-Hause-Schreib-Aktionen. Ich erinnere mich, dass ich - weil ich ja schon mit Druckbuchstaben schreiben konnte - mindestens eine Karte selbst geschrieben habe. Ich habe sehr bewusst gelogen, weil die Postkarten natürlich offen waren und mir irgendwie klar war, dass die vom Personal gelesen werden. Bisher dachte ich immer, ich hätte das getan, weil ich meine Eltern schützen wollte, damit die sich keine Sorgen machen. Erst jetzt, als ich dies schreibe, wird mir aber klar: ich wollte auch die Aufmerksamkeit meiner Eltern nicht auf mich ziehen, weil ich in der Familie gelernt hatte, dass Aufmerksamkeit potentiell gefährlich ist.
Waschraum. Ein großer Waschraum, wohl mit Steinrinnen. Hier bin ich nicht sicher, ob die Erinnerung nach Langeoog gehört oder in einen anderen Kontext. Und relevant ist es letztlich auch nicht. Jedenfalls erinnere ich mich an Handtücher und Waschlappen, die auf ganz eigenartige Weise gestunken haben - vielleicht wegen des Salzwassers in diesem Wellenbad? Vielleicht, weil sie nicht oft genug ausgetauscht wurden?
Hatte der Aufenthalt Folgen für mich? Schwer zu sagen. Ich weiß, dass ich ein Jahr später, als ich wieder zur Kur sollte, gesagt habe, nach Langeoog möchte ich nicht mehr. Als Begründung habe ich mit Sicherheit eine entschärfte Version geliefert. Jedenfalls ging es dann nach Baltrum, nur für vier Wochen und in ein sehr viel angenehmeres Haus - ich erinnere mich, dass man bei den Spaziergängen nicht in Zweierreihen gehen musste und auch nicht zum Essen gezwungen wurde.
Gab es weitere Folgen? Das weiß ich nicht. Aus der oben erwähnten Traumatherapie weiß ich inzwischen, dass schon im Wickelkindalter und auch vor der Geburt entsetzliche Sachen passiert sind und ich nicht mehr leben wollte. Langeoog mag vor diesem Hintergrund dann keine so große Rolle mehr gespielt haben. Jedenfalls habe ich bisher nichts gefunden, was sich eindeutig auf den Aufenthalt dort zurückführen ließe.
Dein Gefühl, sich wie in einer Blase zu fühlen, das kenne ich nur zu gut! Das Leben hatten die anderen... eine Traumatherapie- eigtl.. aus einem anderen Grund, wie ich zunächst dachte - vor drei Jahren hat auch mir sehr geholfen "aus der Blase" wieder ins Leben zu steigen. Letztendlich ist aber diese Initiative ein wahrer Segen für alle Betroffene. Alles Gute für dich!
Weißt du in welcher Einrichtung in Stankt-Peter Ording warst?
Ich hatte 1970 das "Vergnügen" im Haus Kohlbrand, Strandweg32.
Mit diesem Kurheim nicht,aber Waldrennach ist auch Blackforrest.Bei Mir waren es auch keine Notten äh Nonnen sondern Tunten oder Tanten,jedenfalls trifft auch hier wieder zu,wie die Bilder sich gleichen also,alles mit System oder CORONA.(Ich meine selbstverständlich das Mexikanische Bier ? dieses Namens).
Gruß Theo
Ich habe vor einiger Zeit,da mein Vater während der Everkuierung in Baden-Württemberg zur Welt kam und ich dessen Geburtsort Gegoogelt habe auch mal einen Google Abstecher nach Waldrennach,meinem Kinderkurort gemacht und mich nach dem Erholungsheim über Google erkundigt.
Das hat es demnach nie gegeben.Ich habe jedenfalls keine Spur mehr davor gefunden.
Somit kann ich auch nicht sagen,wie das Haus hieß und wo die genaue Lage war.
Ich glaube es war etwas weiter vom Hauptort entfernt an einem Wald.
Gruß Theo
Ich bin aus dem Saarland und war in den 60iger Jahren in Waldrennach bei Pforzheim in einer Kinderkur.
Die Betreuerinnen wurden mit Tante angesprochen und vermutlich vorher alle in einem Frauen KZ beschäftigt.
( meine Persönliche Meinung)Von der Obersturmbann-Führein habe ich noch ein Bild,das ich gerne Senden kann.
Gruß Theo
Kopf von schlafend stellen, strenge Frauen... was ich nicht richtig zuordnen kann.... vielleicht bin ich ja hier dann richtig
Ich war 1969 im Alter von 6 Jahren für 6 Wochen in einem Heim auf Borkum. Ich war sowieso ein schüchternes Kind, der Aufenthalt da war so schlimm und furchtbar für mich. Die Trennung von meinen Eltern am Bahnhof werde ich nie vergessen. Ich wusste nicht, was man man mit mir vorhatte, dachte 6 Wochen lang, dass ich nie wieder nach Hause käme. Ich hatte nur Heimweh und Angst, weinte mich jeden Abend in den Schlaf. Auf einem Marsch machte ich in die Hose, weil ich mich nicht getraut hatte, zu sagen, dass ich zur Toilette musste. Als das entdeckt wurde, war es furchtbar. Ich musste auf dem Dachboden schlafen, habe nur noch geweint und geweint.
Den Geruch des Essens werde ich nicht vergessen, noch heute bekomme ich Beklemmungen, wenn ich Haferbrei und Pfefferminztee rieche.
Auch der Begriff "Borkum" löst immer noch Angsterinnerungen aus.
Als meine Eltern mich am Bahnhof wieder in Empfang nahmen, sagte eine Begleiterin zu meiner Mutter, so ein Kind wie mich könne man einfach nicht liebhaben. Mein Koffer war voll mit sauberer, nicht benutzter Wäsche.
Nach dieser "Kur" war ich ein angepasstes, harmoniesüchtiges Kind, immer darauf bedacht, bloß nie wieder weggeschickt zu werden. Das bereitet mir bis heute Probleme, auch beim Loslassen meiner eigenen erwachsenen Kinder, die indirekt auch an meinen traumatischen Erfahrungen leiden.
Ich war 1973 auf Borkum und habe ähnliche Erfahrungen gemacht wie alle anderen hier.
Den vielfach beschriebenen Essenszwang habe ich auch erlebt. Mir wurde ein Teller Eintopf mit Speckwürfeln mehrfach vorgesetzt, weil ich den Speck vor Ekel nicht gegessen hatte.
Zwischen den Mahlzeiten durften wir spielen. Spielen lief so ab, dass Noppenbausteine auf dem Tisch ausgeschüttet wurden und man durfte sich daran bedienen und etwas bauen, im Sitzen, am Tisch, einsam, schweigend und unter strenger Aufsicht der Betreuerinnen. Reden, lachen und weinen war verboten.
In diese Zeit fiel Ostern. Die von den Eltern geschickten Süßigkeiten wurden reihum verteilt. Anderen etwas abgeben fand und finde ich eigentlich gut. Allerdings waren meine Süßigkeiten verteilt, ehe ich an die Reihe kam, was das immerwährende Heimweh sehr verstärkte, ich habe geweint und mir wurden - wie bei jeder vermeintlichen Regelmissachtung - Strafen und Aufenthaltsverlängerungen angedroht.
Unentwegt wurde uns gesagt, wir seien "ungezogene, böse" Kinder. Von den Betreuerinnen wurden nur Drohungen und Entwertungen ausgesprochen. Ich kann mich nicht erinnern, dass eine sich auf freundliche oder tröstende Weise einem Kind zugewandt hätte.
Wir mussten Kleidung des Heims tragen, so dass wir nicht einmal mehr die eigene Kleidung als etwas Vertrautes hatten.
Dass jetzt eine Auseinandersetzung mit diesem Thema erfolgt, finde ich sehr gut!
Annette
im November 1964 war ich im Kinderheim "Sancta Maria" auf Borkum. 2 Tage habe ich gebraucht, um mich hier zu melden. Damals war ich 8 Jahre alt und die Erinnerungen erzeugen immer noch ein dumpf-trauriges Gefühl in mir.
Erst nach 46 Jahren konnte ich die Insel besuchen und stellte fest, dass das Haus noch existiert und nun für Mutter-Kind-Kuren genutzt wird.
Selbst habe ich keine körperliche Gewalt erfahren, aber der restriktiv-kaltherzige Umgang mit uns Kindern und die eingesetzten Methoden zur psychischen Unterdrückung erzeugten ein Klima der Angst. Sechs Wochen Heimweh, einmal in der Woche eine zensierte Postkarte schreiben, vorgegebene Toilettenzeiten und eingeteiltes "Klopapier", lautlose Mittagsruhe im Bett, der Zwang zum Essen, riesige Schlafsäle ......
Einige Kinder bekamen Päckchen, die sie nicht oder nur teilweise behalten durften. Das, was sie bekamen, wurde am Tisch aufgeteilt.
Ich habe nun einiges über die "Verschickungen" gelesen. Die angewandte "Pädagogik" scheint den Prinzipien der Adenauerzeit zu entsprechen....
Viele Grüße
Ingrid
Unser alter Hausarzt hatte eine Kur empfohlen, weil ich häufig an schwerer Bronchitis litt. Bei der Ankunft wurden mein Bruder und ich getrennt und durften keinen Kontakt mehr miteinander haben. Meine Eltern hatten meinen Bruder nur mit geschickt, damit ich nicht alleine war, berichtet mir meine Mutter heute.
Ich musste mittags Karottensalat essen und bekam ihn nicht herunter geschluckt, wurde aber immer weiter damit gefüttert. Ich dachte ich ersticke daran und musste mich übergeben. Dann musste ich solange vor dem Teller sitzen, bis ich das Erbrochene aufgegessen hatte. Ich weiß nur, dass ich bis zum Abendessen in diesem dunklen und großen Speisesaal ganz alleine vor meinem Teller gesessen habe und Angst hatte. Karottenrohkost konnte ich Jahrzehnte lang nicht essen.
Obwohl ich für jeden Tag der Kur frische Unterwäsche und Strümpfe dabei hatte, bekamen wir nur einmal in der Woche frische Kleidung und Unterwäsche. Ich war das nicht gewohnt, habe mich sehr geekelt und unwohl gefühlt. Zumal die Strümpfe gleich am ersten Tag vom Blaubeeren sammeln verschmutzt waren. Wir mussten regelmäßig, bei großer Hitze, im Wald Blaubeeren pflücken.
Es fanden auch Ausflüge in die Umgebung statt. Ich erinnere mich an sehr viel Hitze und viel Durst, wenn wir unterwegs waren. Die Tanten kauften sich dann gerne mal ein Eis und ließen uns zuschauen. Manche Kinder haben sich die großen Blätter vom Bärenklau als Sonnenschutz auf den Kopf gesetzt.
Zum Waschen und Duschen mussten wir uns nackt ausziehen und aufstellen. Jedes Kind bekam einen Waschlappen und wir wurden der Reihe nach vor den Augen aller geduscht. Es waren Jungen und Mädchen gemischt. Manche Kinder haben dabei Angst vor dem Wasser gehabt oder Seife in die Augen bekommen und geweint, sie bekamen extra kaltes Wasser. Es war so beschämend.
Es gab noch ein jüngeres blondes kurzhaariges Mädchen, was sehr, sehr viel geweint hat. Es hat mir sehr leid getan.
Eigentlich war ich mit meinem älteren Bruder gemeinsam in die Kur geschickt worden, doch leider haben wir uns nur einmal heimlich auf einer Wanderung gesehen und gesprochen. Ich wollte mit ihm gemeinsam weglaufen und nach Stuttgart, weil dort Freunde meiner Eltern wohnten. Mein Bruder hat sich nicht getraut.
Im Garten gab es ein Wasserbecken. Ein ängstlicher kleiner Junge wurde an den Armen und Beinen genommen und dort hinein geworfen. Das passierte allen, die sich nicht ins kalte Wasser trauten.
Ich fand die Erwachsenen sehr gemein und ungerecht, fühlte mich ausgeliefert und habe die ganze Zeit überlegt, wie ich mit meinen Eltern in Kontakt komme, um abgeholt zu werden. Ich träumte jede Nacht davon, dass mein Hund zu Hause mich dort finden und nach Hause bringen würde.
Ich bin als fröhliches aufgewecktes Mädchen dort hin gefahren und habe meinen Eltern vertraut, dass eine schöne Zeit für mich sein würde. Leider wurde ich sehr enttäuscht und musste eine solch schreckliche Pädagogig kennen lernen.
Bei der Rückkehr bin ich meiner Mutter weinend in die Arme gefallen. Meine Erzählungen erschreckten sie, da das Heim ihr doch von der Inneren Mission in Elberfeld (heute Diakonie Wuppertal)als bestes Kurheim empfohlen wurde. Sie fuhr dann mit mir in das Büro der Inneren Mission um die Rechnung für dir Verschickung zu bezahlen. Dort fragte mich dann das Fräulein Rottenhäuser, wie es mir denn gefallen hätte. Meine Mutter ermunterte mich von meinen schrecklichen Erlebnissen zu erzählen. Das Fräulein, sagte, dass das überhaupt nicht sein könne, da dieses Haus das beste Erholungsheim sei. Ich dachte später, dass ich vielleicht besonders empfindlich war. Mein Bruder bestätigte, dass es mir sehr schlecht gegangen sei. Meine erzählt mir heute, dass sie sich sich ihr Leben lang Vorwürfe gemacht hat und fragt sich, warum sie nicht selbst mit uns Kindern einen Urlaub an der See oder in den Bergen gemacht hat um die Luftveränderung herbei zu führen. Irgendwie tröstet es mich. Ich dachte, dass ich mit meinen Erfahrungen allein sei, doch die vielen Berichte klingen alle ähnlich. Danke an alle und an Anja!
ich war ungefähr ein Jahr später dort, so im Frühjahr / Frühsommer 1971 im Alter von 6 Jahren. Ich habe sehr wenig konkrete Erinnerungen an den Aufenthalt dort. Und bei manchen Bildern die ich im Kopf habe weiß ich nicht ob sie wahr sind oder sie mangels konkreter Erinnerungen der kindlichen Phantasie entsprungen sind.
An den Zwangsmittagsschlaf auf den Feldbetten mit kratzigen Wolldecken in dem Anbau vom Heim
kann ich mich noch gut erinnern. Gefühlt habe ich in den 6 Wochen meines Aufenthaltes eine ganze Wolldecke zerrupft und kleine Kugel aus den Flusen gedreht. Wer nicht ruhig war oder sich bewegt hat musste den Rest der Zeit in der Ecke stehen.
Besonders schlechte Erinnerungen habe ich an das Essen, hier besonders Milchreis, den ich bis heute nicht mal riechen kann ohne das mir schlecht wird.
Vielleicht hast du ja Interesse an einem Austausch!? ES gibt auch eine Facebook Gruppe für Verschickungskinder Wyk auf Föhr.
Liebe Grüße Kirsten
Ich war dann 1969 nochmal in Bad Bocklet das war wohl von Caritas oder Diakonie.
Nochjemand der dort war ?
Die Erinnerungen und Alpträume begleiten mich noch, ich war damals 5 bzw 6 Jahre alt und wurde verschickt da wir 1967 einem schweren Autounfall hatten, mein Vater starb sehr dramatisch und ich hatte und habe hier viele Erinnerungen an alles.was mit dem Unfall zusammenhängt. Leider kamen nach den obigen Verschickungen noch viele Trauma hinzu.
Ich habe durch die TV Reportagen zum ersten Mal festgestellt das ich nicht alleine bin.
Über 50 Jahre habe ich es als gegeben hingenommen und fand es in Ordnung das ich selbst schuld war an der schlechten Behandlung.
Ich kann mich hier noch nicht äussern, ich leide u.a. an PTSD und finde hier noch nicht die Kraft es nieder zuschreiben.
Monika
ich bin außerordentlich glücklich, dass Ihr das hier auf die Beine gestellt habt.
Ich leide seit über 40 Jahren unter dieser damals gängigen Praxis.
Muss oft weinen, insbesondere abends , wenn ich eigentlich schlafen soll, das hat meine Ehe ruiniert, etc.
Ich kann mich sehr genau an diese Zeit erinnern und träume mindestens einmal im Monat davon.
Als ich 4, 5 Jahre alt war hat das Jugendamt mich verschickt, was ich erst 35 Jahre später erst erfuhr.
Ein kleiner Junge wird in den Zug gesetzt mit einem Brustbeutel, wo man lesen konnte woher und wohin die Ware gehen soll.
Ich wusste nichts davon , obwohl ich schon lesen konnte mit 4
Ich habe überhaupt nicht kapiert , warum ich mit dem Zug fahren soll.
Die Reise endete in Neustadt im Schwarzwald.
Als ich als dem Zug aussteige, ist niemand da.
Ich weiss gar nicht , wo ich hingehen soll.
laufe und laufe, zum Busbahnhof.
stehe da und niemand kommt. 1974/75
Für etwa eine Stunde- ich konnte schon die Uhr lesen- (heute bin ich Diplom-Mathematiker)
für etwa eine Stunde stehe ich da rum und niemand kommt.
Geweint habe ich nicht, weil meine Mutter mir ja gesagt hat, dass ich in Kur müsse, weil ich Anämie habe.
Was nie der Fall war in der Nachbetrachtung.
Nach einer Stunde kommt ein Bus.Die Tür geht auf und der Fahrer fragt, wo ich den hin wolle.
Keine Ahnung...
Er liest den Brustbeutel und sagt achso das Kloster... ja dann sei das hier richtig.
nach etwa 10 min Fahrt sehe ich ein Kloster, von dem ich heute noch nachts schwer träume.
Nonnen die mich sehr nachdrücklich zwangen mein Erbrochenes wegzuwischen, mich beleidigten " Ungezogene Göre".
Zwangen mich aber Rosenkohl zu essen, weil, was auf den Tisch kommt muss gegessen werden.
Nachts mit Taschenlampen angestrahlt werden in Gitterbetten, schrecklich.
Pure Angst!
Hatte große Angst, niemand da für mich, den ich kannte und dem ich vertraute.
Ich sollte sogar nachts die Hände auf die Bettdecke legen, damit ich nicht onaniere.
Mein Gott ich war 5...
Vom 5. Januar bis 10. Februar 1970 war ich im BEK-Heim Schloß am Meer in Wyk auf Föhr.
Nach einem Besuch der Schulärztin in der Königstorschule in Kassel wurde ich als Drittklässler (8 Jahre alt) zur Erholung nach Wyk geschickt.
Die Daten habe ich nie vergessen. Mit dem Nachtzug auf ausgezogenen Sitzen schlafend (keine Liege- oder gar Schlafwagen) von Kassel über Niebüll, Dagobüll nach Wyk. Auf dem Rücken der blaue BEK-Rucksack mit weißer Aufschrift aus Plastik. Der Rucksack existiert noch. Meine Postkarten und Briefe nach Hause schrieb ich heimlich auf der Toilette und die aus dem Schloß am Meer geschmuggelten Karten/Briefe warf ich beim Spaziergang ebenso heimlich in Briefkästen, die wir passierten.
Die offiziell ausgehende Post wurde zensiert. Die eingehenden Päckchen kontrolliert und zum Teil vom Personal (ausschließlich Frauen, darunter auch junge "moderne" Post-1968er Mädchen von 1970 in Minikleidern) geplündert. Die Damen speisten im Friesenzimmer, die Kinder aßen oft bis zum Erbrechen Nussgrießbrei, der so dick war, dass sogar die schweren Schöpfkellen darin stehen blieben. .....
Ich war damals acht Jahre alt, gehörte zu den jüngsten der "großen Jungen".
Natürlich harte Rangkämpfe voller Gewalt, dennoch überwiegte die Solidarität der Kinder untereinander gegenüber den Frauen, unter denen es durchaus auch nette gab. Ich habe noch das Gruppenfoto in einem Fotoalbum, eingeklebt zusammen mit Ansichtskarte des BEK-Heimes Schloß am Meer.
Vertrauen hatten wir aber nur zu dem einzigen Mann, dem Hausmeister. Ein älterer Mann, der mit uns Korbball spielte und uns beim Schneeschippen als Persönlichkeiten ernst nahm.
Zwangsmittagsschlaf (wir waren nur nach der nächtlichen Anreise müde genug) auf Feldbetten in einer Turnhalle. Zwischen den Betten "Covid-Abstand" Sprechen und Flüstern verboten. Aus den Wolldecken zogen wir Fäden und machten Knoten, damit die zwei Stunden verstrichen.
Nachts eine Wache vor den Schlafzimmern. Bei Flüstern wurde man in den Waschraum geschickt und mußte zur Strafe die Nacht separiert auf Holzbänken im Waschraum verbringen.
Glücklicherweise traf es mich nur eine einziges Mal, auf der Holzbank vor dem Waschraum übernachten zu müssen. - Wir mussten es hinnehmen und haben es ertragen.
Das Taschengeld wurde einbehalten. Das Gruppenfoto wurde davon bezahlt und der Keramiker, der mit Vasen und Seepferdchen aus Ton ins Schloß kam. Dort durften wir die Mitbringsel für unsere Familien kaufen. Die Seepferdchen für jeweils 1,50 DM, die Vase für 3 DM. Gutes Geschäft! Und die Preise kenne ich noch nach 50 Jahren. Seepferdchen und Vase sind noch vorhanden. So verdienten auch der lokale Töpfer und der Fotograf an den Kindern.
Viel lieber hätten wir Kinder etwas im Andenkenladen gekauft. Das traf eher unseren Kindergeschmack.
Ich fragte mich oft, ob diese 6 Wochen jemals zu Ende gehen. Die Rückreise eine Erlösung - Dagobüll und Niebüll geradezu Sehnsuchtsorte. Ich kann mich auch noch gut erinnern, wie "Leidensgenossen" in Celle aus dem Zug stiegen.
Und wohl niemals in meinem Leben bin ich so auf meine lieben Eltern und meine Schwester sowie meinen Schulfreund Olaf zugestürmt wie am Nachmittag des 10. Februar 1970 auf dem Bahnsteig im HBF Kassel.
Wie habe ich die sechs Wochen überstanden?
Ich hatte das Glück, jeden Tag bei der Austeilung der Post etwas zu erhalten.
Meine Mutter, die morgen am 12.8.2020 95 Jahre alt wird, schrieb mir jeden Tag eine Postkarte des Jugendherbergswerks (es gab damals jedes Jahr eine Kartenbox mit Tiermotiven). Und auch Großeltern, Onkel und Tanten, Vater und Schwester schrieben mir. Das gab Rückhalt. Die meisten der anderen Kinder entbehrten dieser Zuwendung. Manche erhielten niemals Post, die täglich im Speisesaal ausgeteilt wurde. Ich wurde täglich aufgerufen und konnte vom Tisch nach vorne gehen, manchmal sogar mehrmals. -- Manche Kinder erhielten niemals Post.
Was ist wohl aus den anderen geworden? Uns verband eine Solidarität. Manche Namen und Anschriften notierte ich.
Aber es gab durchaus auch gute Momente mit den Erzieherinnen. Auch die am meisten Gefürchtete hatte durchaus warmherzige Momente, wenn Sie Geschichten vorlas.
Die Verbindung mit Erziehungsmethoden der NS-Zeit bzw. eine Verbindung zur SS-Karriere mancher Verantwortlicher (TV-Sendung vom 10.8.2020) greift meiner Meinung nach zu kurz. Die alles besitzt ältere Wurzeln. Man denke an Oliver Twist. Und besonders eindrücklich hat dies Michael Hanecke in seinem Spielfilm "Das weiße Band" dargestellt.

Liebe Evelyn, ich verstehe dich, aber wir, die wir in der Öffentlichkeit stehen, müssen belegen, dass es die vielen Betroffenen gibt. Dafür gibt es ja das Portal: ZEUGNIS ABLEGEN, da kann man ja sehen, dass es um viele Menschen geht, die dieselbe Erfahrung gemacht haben. Dafür gibt es unsere Fragebögen. Wir versuchen viel und kämpfen mit Argumenten. Und ein Denkmal ist ein Denkanstoß für viele Unbeteiligte und besser als in den Museen weiterhin nur Positives zu den Verschickungen zu lesen. Grüße, Anja
Ich bin sehr entrüstet darüber dass es Menschen gibt die diese vielen Tatsachenberichte betroffener Kinder/ Menschen überhaupt anzweifeln oder versuchen ins lächerliche zu ziehen indem sie gegenteiliges behaupten oder diese Verbrechen abzumildern. Ich benutze absichtlich den Begriff ,,Verbrechen „, denn nichts anderes sind diese Taten und Missbräuche an Kindern bzw. in
diesem Fall sogar schutzbefohlener Minderjähriger!!!
Ich bin selbst betroffen und ich habe nun schon mein ganzes Leben mit den Folgen zu kämpfen. Ich bin seitdem einfach noch kränker geworden.
Ich kann gar nicht nach Borkum fahren und mir Denkmäler begucken. Ich müsste mich übergeben wenn ich an den Ort zurückkehren müsste an dem die Weichen meines Lebens so verderblich gestellt worden sind.
Hier wurden systematisch Kinderseelen zerstört mit negativen Auswirkungen
für den Rest des gesamten Lebens.
Was ??? frage ich jeden Einzelnen…was soll das wieder gut machen???
Ich bewundere diejenigen die ihre Geschichte und die Geschehnisse
in die Öffentlichkeit getragen haben und ans Tageslicht gebracht haben…
Ich habe das Trauma mein ganzes Leben bis Heute nicht überwinden oder aufarbeiten können, trotz Therapien.
Und…ich verachte diese Menschen die daher kommen und meinen sie könnten diese fürchterlichen Tatsachen, Verbrechen und Leid, einfach verharmlosen oder anzweifeln.
Weiterhin bin ich der Meinung dass dieses ganze Land und dessen Regierung für diese Schande geradezustehen hat.
Nicht wir die Betroffenen müssen um Anerkennung betteln!!!