Gezeitenkinder – Roman über dunkle Aufdeckungen einer Praktikantin in einem Kindererholungsheim
Buchempfehlung: Luise Diekhoff: GEZEITENKINDER: Norderney im Jahre 1962: Die junge Hanna fängt im Kindererholungsheim Strandhafer als Pflegerin an. Sie ist voller Hoffnung, einen Beitrag zum Guten in der Welt leisten und den kranken Kindern dort helfen zu können. Doch schnell stößt sie dabei auf Widerstand: Oberschwester Margot leitet das Heim mit harter Hand, Hanna fühlt sich bald von der strengen Frau drangsaliert. Wie kann solch eine herzlose Person die Aufsicht über kranke Kinder führen? Hanna beginnt zu recherchieren. Dabei stößt sie auf immer mehr erschreckende Ungereimtheiten in der dunklen Geschichte des Heims. Sie muss sich entscheiden: wie gewohnt den Kopf einziehen oder für ihre Überzeugungen kämpfen. Und dafür alles riskieren.
Kurzrezension: Sie haben es gewusst!
Der Roman nimmt etwas in den Blick, was noch weiterer intensiverer Hintergrundforschung bedarf: Die unmittelbaren Täterpersönlichkeiten, die die Grausamkeiten in den Heimen begangen haben. Was hatten sie vor der Arbeit im Verschickungsheim gemacht, wo hatten sie da gearbeitet? Und inwieweit hat diese Vorgeschichte ihre moralischen Haltungen beeinflusst? In diesem Roman wird dieser Frage einmal fiktiv nachgegangen. Auch eine historische Forschung muss sich mit dieser Frage beschäftigen. Denn einer Frage gilt es hier und heute nachzugehen: War es Vorsatz oder Fahrlässigkeit, was Kindern in Verschickungsheimen nach 1945 angetan wurde? Dieser Frage muss in allen Verschickungsheimen nachgegangen werden, da muss auch der Heimort mit in den Blick genommen werden und seine Netzwerke. 350 mal, für jeden Heimort einzeln. Bisher sind Forschende im Auftrag von Trägern in den Akten auf sehr viel Fahrlässigkeit gestoßen, bedingt durch falsche wirtschaftliche Planung und institutionelle Bedingungen. Einen Vorsatz zur Grausamkeit, zu illegalen Arzneimittelversuchen, zu gewalttätigem Verhalten an den Kindern, den erkennt man an der akribischen und heimlichen Planung dieser Handlungen und an der starken Energie zur Vertuschung von Beschwerden und Aufdeckungsversuchen. Beides wird in diesem Roman skizziert. Es werden heimliche Strafbücher geführt, neben den offiziellen, das zeigt das Planungsmoment der Grausamkeit, deren verbotener Charakter den Tätern offenbar genau bewusst ist, und es wird gegen Aufdeckende scharf, streng und überaus bedrohlich vorgegangen. Für beides haben wir bereits auch in unserer Forschung schon Indizien ( Bad Dürrheim, Borkum, Amrum, Wyk)
Diese Aspekte sollte auch die weitere Forschung noch mehr in den Blick nehmen. Es müssen also Historiker und Juristen an dieses Thema ran, sowie Kriminologen. Danke für dieses spannende Buch, dass die Verbindung zwischen der Grausamkeit den Kindern gegenüber und einer unaufgearbeiteten NS-Inselvergangenheit an einem fiktiven, der Wirklichkeit nachempfundenen Beispiel, anschaulich aufzeigt.