ZEUGNIS ABLEGEN – ERLEBNISBERICHTE SCHREIBEN
Hier haben sehr viele Menschen, seit August 2019, ÖFFENTLICH ihre Erfahrung mit der Verschickung eingetragen. Bitte geht vorsichtig mit diesen Geschichten um, denn es sind die Schicksale von Menschen, die lange überlegt haben, bevor sie sich ihre Erinnerungen von der Seele geschrieben haben. Lange haben sie gedacht, sie sind mit ihren Erinnerungen allein. Der Sinn dieser Belegsammlung ist, dass andere ohne viel Aufwand sehen können, wie viel Geschichte hier bisher zurückgehalten wurde. Wenn du deinen Teil dazu beitragen möchtest, kannst du es hier unten, in unserem Gästebuch tun, wir danken dir dafür! Eure Geschichten sind Teil unserer Selbsthilfe, denn die Erinnerungen anderer helfen uns, unsere eigenen Erlebnisse zu verarbeiten. Sie helfen außerdem, dass man uns unser Leid glaubt. Eure Geschichten dienen also der Dokumentation, als Belegsammlung. Sie sind damit Anfang und Teil eines öffentlich zugänglichen digitalen Dokumentationszentrums. Darüber hinaus können, Einzelne, die sehr viele Materialien haben, ihre Bericht öffentlich, mit allen Dokumenten, Briefen und dem Heimortbild versehen, zusammen mit der Redaktion als Beitrag erarbeiten und auf der Bundes-Webseite einstellen. Meldet euch unter: info@verschickungsheime.de, wenn ihr viele Dokumente habt und solch eine Seite hier bei uns erstellen wollt. Hier ein Beispiel
Wir schaffen nicht mehr, auf jeden von euch von uns aus zuzugehen, d.h. Ihr müsst euch Ansprechpartner auf unserer Seite suchen. ( KONTAKTE) Wenn Ihr mit anderen Betroffenen kommunizieren wollt, habt ihr weitere Möglichkeiten:
- Auf der Überblickskarte nachschauen, ob eurer Heim schon Ansprechpartner hat, wenn nicht, meldet euch bei Buko-orga-st@verschickungsheime.de, und werdet vielleicht selbst Ansprechpartner eures eigenen Heimes, so findet ihr am schnellsten andere aus eurem Heim.
- Mit der Bundeskoordination Kontakt aufnehmen, um gezielt einem anderen Betroffenen bei ZEUGNIS ABLEGEN einen Brief per Mail zu schicken, der nicht öffentlich sichtbar sein soll, unter: Buko-orga-st@verschickungsheime.de
- Ins Forum gehen, dort auch euren Bericht reinstellen und dort mit anderen selbst Kontakt aufnehmen
Beachtet auch diese PETITION. Wenn sie euch gefällt, leitet sie weiter, danke!
Hier ist der Platz für eure Erinnerungsberichte. Sie werden von sehr vielen sehr intensiv gelesen und wahrgenommen. Eure Erinnerungen sind wertvolle Zeitzeugnisse, sie helfen allen anderen bei der Recherche und dienen unser aller Glaubwürdigkeit. Bei der Fülle von Berichten, die wir hier bekommen, schaffen wir es nicht, euch hier zu antworten. Nehmt gern von euch aus mit uns Kontakt auf! Gern könnt ihr auch unseren Newsletter bestellen.
Für alle, die uns hier etwas aus ihrer Verschickungsgeschichte aufschreiben, fühlen wir uns verantwortlich, gleichzeitig sehen wir eure Erinnerungen als ein Geschenk an uns an, das uns verpflichtet, dafür zu kämpfen, dass das Unrecht, was uns als Kindern passiert ist, restlos aufgeklärt wird, den Hintergründen nachgegangen wird und Politik und Trägerlandschaft auch ihre Verantwortung erkennen.
Die auf dieser Seite öffentlich eingestellten Erinnerungs-Berichte wurden ausdrücklich der Webseite der „Initiative Verschickungskinder“ (www.verschickungsheime.de) als ZEUGNISSE freigeben und nur für diese Seiten autorisiert. Wer daraus ohne Quellenangabe und unsere Genehmigung zitiert, verstößt gegen das Urheberrecht. Namen dürfen, auch nach der Genehmigung, nur initialisiert genannt werden. Genehmigung unter: aekv@verschickungsheime.de erfragen
Spenden für die „Initiative Verschickungskinder“ über den wissenschaftlichen Begleitverein: Verein Aufarbeitung und Erforschung von Kinderverschickung / AEKV e.V.: IBAN: DE704306 09671042049800 Postanschrift: AEKV e.V. bei Röhl, Kiehlufer 43, 12059 Berlin: aekv@verschickungsheime.de
Journalisten wenden sich für Auskünfte oder Interviews mit Betroffenen hierhin oder an: presse@verschickungsheime.de, Kontakt zu Ansprechpartnern sehr gut über die Überblickskarte oder die jeweiligen Landeskoordinator:innen
Aufenthalte: 1970 in Wiesensteig, Kinderkurheim Bläsiberg und 1972 in Brissago, Lago Maggiore, Kinderkurheim Miralago
Ich vermute, das war beide Male in den Sommerferien.
Meine Mama hat vor der Erholung Namensschilder in meine Kleidung genäht.
Die meisten Erinnerungen an die Heime habe ich wohl tief vergraben oder verdrängt.
Zu Wiesensteig:
Ich war das erste Mal alleine von zuhause weg. Ich hatte Heimweh, Kontakt nach Hause durfte ich nicht haben. In einer Postkarte habe ich meinen Eltern geschrieben „Ich bringe viele Briefmarken mit nach Hause. Evi und Micki in meinem Zimmer sind sehr frech zu mir. Uns geht es gut“. Wer Post von zuhause bekommen hat wurde im Speisesaal aufgerufen. Ich habe auch einmal ein Päckchen mit Süßigkeiten von Zuhause bekommen, ob das aufgeteilt wurde kann ich mich nicht erinnern.
Zum Frühstück gab es manchmal Schokopuddingsuppe und als Getränk Hagebuttentee.
Beim Essen musste ich solange vor meinem Teller sitzen bleiben bis er leer gegessen war, egal ob ich es nicht mochte oder satt war. Dies hat sich bei mir eingebrannt und ich habe mir geschworen niemals ein Kind zum Essen zu zwingen.
Wir mussten jeden Tag Mittagschlaf machen. Ich kann mich noch gut an die Liegen mit den Decken an der Turnhalle erinnern.
Im Garten war eine Schaukel und ein Drehkarussel. Vom Drehkarussel wurde ich runterkatapultiert und habe mir das Handgelenk verstaucht. Eine „Tante“ ist mit mir zum Arzt gefahren, dort habe ich eine Gipsschiene bekommen. Meine Eltern wurden nicht informiert. Als die Heimreise anstand wurde mir die Schiene abgenommen, damit ich „heil“ daheim ankomme. Es folgten 15 Jahre erhebliche Schmerzen im Gelenk, erst mit Homöopathie konnte ich das ausheilen.
Schön war jedenfalls, dass ein Nachbar uns Kinder mit seinem Traktor und Heuwagen mal mitgenommen hat.
Zu Brissago:
Die Anreise war mit dem Zug ab Stuttgart bis Locarno. Vermutlich von dort aus mit dem Bus bis Brissago.
In Brissago hatten wir junge, heute würde man sagen „coole“ Erzieherinnen. Wir sind oft in der Gruppe an das Ufer am Lago Maggiore gelaufen. Ich hatte dort einen Freund, Frank S. aus Sindelfingen. Wir haben uns noch eine Zeitlang geschrieben als wir wieder daheim waren. An die Namen der anderen Kinder kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber ich kann mich noch an ein Mädchen erinnern das eine Perücke trug, warum das so war weiß ich nicht mehr (sie ist auch auf meinem Gruppenbild).
Mittagschlaf machten wir auch hier, im Matratzenlager vom Pavillon.
In einer Karte an zuhause habe ich geschrieben „Jeden Montag ist Schreibtag, wir sind zu acht im Zimmer und müssen jede Woche duschen“. In den Waschsaal gingen wir in Unterhose und mit einem kleinen Handtuch, das zeigen meine Bilder.
Bei der Ankunft musste ich ein Lieblingskleidungsstück zur Seite hängen für die Heimreise. Ich habe mich für meinen nagelneuen Hosenanzug entschieden. Leider habe ich in den 6 Wochen mehr als 4 Kilo zugenommen und der Hosenanzug war zu eng.
Mein Bruder wollte mich damals besuchen (er hatte schon den Führerschein). Er hatte ein Paket mit Kleidung gebracht, das wurde mir auch gleich übergeben. Er wurde aber nicht vorgelassen zu mir. Dass ich meinen Bruder nicht sehen durfte, obwohl ich erfuhr, dass er vor der Tür stand, tat mir sehr, sehr weh. Das Argument war Heimweh.
Das Highlight war einmal abends, da wurde ein halber Raclette Käselaib im offenen Kamin vom Speisesaal erwärmt, das war sehr lecker und ich denke gerne daran.
Seit vielen Jahren leide ich unter Ängsten. Die meisten Probleme machen mir Trennungsängste, Verlustängste, Druck, Bevormundung, hilflos, ausgeliefert, alleine zu sein.
Mir wurde immer wieder empfohlen doch eine Reha zu machen, aber ich wollte nie von zuhause weg.
Durch einen emotionalen Ausnahmezustand mit einigen somatischen Beschwerden wurde ich hellhörig als im Fernseher ein Bericht über „Verschickungskinder“ kam. Vielleicht habe ich nun noch Erklärungen gefunden für Teile meiner Verhaltensweisen. Dass auch die „Erholungen“ dazu beigetragen haben.
Zum Beispiel warum ich immer für meine Kinder da sein wollte und bin! Warum ich keinen Druck, Bevormundung und Ungerechtigkeiten ertrage! Warum es mir sehr schwer fällt alleine aus meinem gesicherten Umfeld zu gehen, warum allein sein oft mit Angst verbunden ist, warum ich immer Harmonie suche.
Vielleicht findet sich jemand, der auch zu der Zeit in den beiden Heimen war, vielleicht kann ich mit deren Berichten mein Gedächtnis wecken.
Die Initiatoren dieser Seite möchte ich meinen Dank aussprechen und hoffe, dass wir Verschickungskinder gesehen werden.
An ein paar Dinge erinnere ich mich: Einmal war ich "widerspenstig" und wurde unten im Waschraum von Frau Selter geschlagen. Das war nach einer Wanderung, nach der ich einfach nicht mehr konnte. Die ging bestimmt über 20 km oder mehr.
Abends nach den Schlägen habe ich ins Bett gemacht, was ich schon lange nicht mehr getan hatte. Ich habe mich nicht getraut, etwas zu sagen und in der Pfütze weitergeschlafen, bis es irgendwann wieder trocken war.
Auch an das Gurgeln von Salzwasser erinnere ich mich. Schrecklich! Und irgendwann im Laufe des Tages gab es diesen furchtaren Brottrunk, der schmeckte wie Essigwasser. Mag ja vielleicht gesund gewesen sein für Erwachsene, aber für uns Kinder war er eine Folter. Wir haben uns alle davor geekelt. Briefe wurden kontrolliert und alle schrieben natürlich, wie toll es dort doch angeblich war. Wehe, man hätte etwas anderes geschrieben.
Frau Selter war wirklich ein furchtbarer Drachen, schon von ihrem matronenhaften Äußeren her. Ich erinnere mich noch daran, dass sie sogar einen Kinnbart hatte. Das machte sie für uns Kinder nicht sympathischer.
Während der Zeit wurde ich krank und bekam wohl Scharlach, wie man später zuhause an den Symptomen erkannte. In Brilon selbst wurde nichts dagegen getan. Ich musste weitermachen wie die anderen. Ich war erschöpft und froh, als es vorbei war. Auch meinen Eltern fiel auf, dass ich in viel schlimmerem Zustand nach Hause kam als ich abgereist war.
in diesem Punkt zum ersten Mal ernst genommen und ich habe nie gelogen in Bezug auf meine
Erinnerungen.
Und ich war nicht die Einzige.
Aber es hat mich auch erschüttert, aufgewühlt. Das Begreifen, „ich war dabei, es ist alles wahr“,
hat mich auch erst einmal sprachlos gemacht und still werden lassen. Nachdenklich, meine Gedanken
und Gefühle erst einmal ankommen lassen und überhaupt zuzulassen.
Und ich hatte plötzlich keinen Hunger mehr, nur Durst.
Die Erkenntnis, das heim- und zeitunabhängig über ganz Deutschland diese grauenhaften Taten
belegt worden sind (und hoffentlich noch weiter belegt werden), beweist: Das hatte System! Und
war nur möglich, weil alle weggeschaut habe: Familien, Ärzte, Krankenkassen, Gesundheits- und
Jugendämter, Träger, Kirchen, Lehrer, Staat… Und es bis heute weiterhin tun.
Ich war ca. ½ Jahr alt, als ich an Asthma und Neurodermitis erkrankte und mein Kinderarzt, Dr.
Götting (Paderborn), den ich als mit-leidenden, freundlichen Mann erinnere, alles versucht hat,
um mir zu helfen. Vermutlich hat er meinen Eltern zu dieser „Kur“ geraten, was damals ja offenbar
durchaus üblich war.
Aufgewachsen bin ich mit zwei Schwestern (*1966 und *1967) in einem liebevollen, fürsorglichen
Elternhaus, das katholisch geprägt war und in dem die christlichen Werte gelebt wurden. Die
Familie habe ich immer als Schutzraum empfunden gegen „Feinde“ von außen. Auch meine
Schwestern waren immer meine Verteidiger, wenn andere Kinder aufgrund meiner „kaputten“
Haut gegen mich waren. Echte Freunde / Freundinnen hatte ich aber nicht. Wir wohnten damals
außerhalb von Stadt und Dorf und Mobilität gab es nicht. Meine Mutter war zuhause und für sie
war das Mutter-Sein eine echte Berufung, die sie selbst für sich frei gewählt hatte und bis heute
lebt. Mein Vater war zwar der klassische Versorger, aber immer für uns da, liebevoll, fürsorglich
und weitblickend, fantasievoll und humorvoll. Meine Mutter war, so vermute ich heute, mit drei
Kindern, davon einem sehr kranken, trotz all ihrer Mühe oft am Ende ihrer Kräfte. Mein Vater hat
sie unterstützt, wo er konnte und immer darauf geachtet, dass sie selbst nicht zu kurz kommt.
Vor diesem Hintergrund ist wahrscheinlich auch die Entscheidung, mich in eine „Kur“ zu schicken,
damit es mir besser geht, gefällt worden.
Interessanterweise bringe ich meinen Vater überhaupt nicht mit den Erlebnissen um das Thema
Borkum in Verbindung, vermutlich, weil er bei Abfahrt und Rückkehr nicht dabei war. Was ich
erinnere, ist seine Umarmung, als ich wieder zu Hause war und das Gefühl: „Ich bin in Sicherheit!“
Meine Mutter vermutet, die „Kur“ könnte über die Barmer Ersatzkasse oder auch über die Caritas
gelaufen sein, an den Namen des Heims und ob es ein kirchlicher Träger war, erinnert sie sich
nicht.
Ich war gerade 6 Jahre alt geworden, als ich von Paderborn aus in ein Heim auf Borkum verschickt
wurde. Meine Mutter erzählt, dass sie einige Zeit vor der Abfahrt noch ein Foto hat machen lassen,
auf dem sie vermerkt hat, dass ich 6 Jahre alt war. Damit müsste es Oktober / November
1970 gewesen sein. Dazu passen auch meine Erinnerungen an Borkum: draußen kalt und grau,
es gab keine Sonne, Blumen oder grüne Bäume; drinnen immer nur spärlich beleuchtet und viele
graue Farbtöne.
Auch die Rückfahrt nach der „Kur“ passt zur diesem Zeitfenster: Meine Mutter, meine Oma und
ich sind mit dem Bahnbus gefahren, da war es schon dunkel. Meine Mutter weiß noch, dass der
letzte Bus von Paderborn in unseren Ort entweder um 16:30 oder 17:30 fuhr, damit kann es nicht
im Sommer gewesen sein. Ich erinnere mich an das Licht im Bus und die Sitze: sie waren aus
einem dunkleren roten Plastik und durchzogen mit bräunlichen Äderungen und sahen aus wie
Blut.
Zur Abfahrt hatten mich meine Mutter und meine Oma gebracht. Ich erinnere mich noch an die
Karte um den Hals und dass die Bänke im Zug aus Holz waren und der Po vom langen Sitzen
wehtat. Der Rest ist weg, ebenso die Fährfahrt und die Ankunft. Auch an das Haus habe ich keine
Erinnerung. Trotz Sichten alter Bilder und einem Besuch auf der Insel vor ein paar Jahren kam da
nichts wieder.
Die Erinnerung an den Aufenthalt auf Borkum kann ich in keine Zeitachse packen; ich kann nur
einzelne Situationen erinnern, aber nicht, was zuerst oder was zuletzt war.
Ich habe auch keine Erinnerung, dass ich je in einem riesigen Schlafsaal war, auch nicht an andere
Mädchen (außer einer) und schon gar nicht an Jungen. Daher kann ich nur die einzelnen Bruchstücke
aufschreiben, die mir aber noch absolut präsent sind:
Bruchstück 1:
Ich war allein in einem Zimmer und saß in einem Gitterbett. Gegenüber auf einem hohen Schrank
saß hoch oben mein Teddybär, den mir Pater Sonntag von der Mission Mariental in Süd-West-
Afrika (heute Namibia) extra für diese „Kur“ geschickt hatte. Der Teddy war unerreichbar für mich
und ich habe ihn danach auch nie wieder gesehen oder gar zurückbekommen. Das Bettlaken war
nass und voller Blutflecken und -streifen, weil ich mich offenbar gekratzt hatte. Jemand in weißer
Kleidung saß neben mir und zeigte mir eine Postkarte mit Teddybären darauf und hatte ein Päckchen
von meinen Eltern dabei. Was darin war, durfte ich nicht sehen und habe den Inhalt auch
nie bekommen. Nur die Karte durfte ich kurz anschauen, aber nicht anfassen oder gar behalten.
Auch sie war danach weg. Vorgelesen wurde sie nicht. Weil das Bett so schmutzig war, musste
ich es abziehen und mit der Schwester (ich vermute, es war eine wegen der weißen Kleidung) im
Waschraum waschen. Die braunen Flecken vom Blut hab ich nicht wegbekommen, deshalb
musste ich solange waschen, bis sie ganz blass waren. Der Boden war eiskalt und ich durfte keine
Schuhe tragen. Und es brannte nur ganz wenig Licht. Irgendwann waren dann viele hohe Stimmen
da, die mich ausgelacht haben, es gibt aber keine Körper oder Gesichter dazu.
Diese Prozedur musste ich immer wieder machen, weil ich oft ins Bett gemacht habe und mich
blutig gekratzt habe. Vielleicht war ich auch immer nur in diesem Einzelzimmer. An Medizin oder
Salben kann ich mich nicht erinnern, auch nicht an einen Arzt.
Bruchstück 2:
Ich erinnere mich an den Waschraum mit ganz vielen Waschbecken in einer langen Reihe mit
Spiegeln darüber, aber die waren zu hoch, ich kannte mich nie sehen. Der Raum war ganz kalt
und dunkelgrau gestrichen. Es gab kein helles Licht, nur eine einzige Leuchte unter der Decke.
Auf den Waschbecken lagen Zahnbürsten und Zahnpasta. Ganz viele Kinder hatten diese rosafarbene
Blendi-Kinderzahnpasta, die es auch heute noch unverändert gibt. Ich bin immer wieder in
diesen Waschraum geschlichen und habe diese Zahnpasta gegessen, die war lecker und
schmeckte nach Himbeeren. Ich erinnere außer mir kein einziges Kind in diesem Raum, auch kein
gemeinsames Waschen oder Zähneputzen. Auch dass ich dort hinschleichen konnte, legt die Vermutung
nahe, dass ich in einem Einzelzimmer untergebracht war, vielleicht, weil ich keinen anstecken
sollte.
Den Geruch und den Geschmack dieser Zahnpasta finde ich heute noch angenehm.
Bruchstück 3:
Ich erinnere mich an einen endlos langen, kalten und dunklen Flur, der wie alles nur spärlich
beleuchtet war. Auf beiden Seiten waren viele Türen, aber alle geschlossen. Und es war ganz still.
Am Ende des Flurs gab es kein Fenster, dafür aber eine dunkle Ecke. Die Wände waren dunkelgrau
und ganz glatt und kalt, so wie der Fußboden. In dieser Ecke musste ich immer wieder stehen,
wieso, kann ich nicht sagen. Vielleicht wegen dem verschmutzen Bett, weil es nie besser wurde
mit dem Ins-Bett-Machen und sich-blutig-kratzen. Ich war immer barfuß und hatte ein
Nachthemd an, aber keine Unterhose und keine Decke. Ich musste immer auf die Wand schauen
und durfte mich nicht umdrehen. Wie lange das jeweils gedauert hat, weiß ich nicht, es fühlte ich
an wie eine Ewigkeit. Manchmal war auch dort das Gelächter der hohen Stimmen, auch an die
Worte „kaputte Haut“ erinnere ich mich. An Schläge erinnere ich mich dagegen nicht. Aber daran,
dass ich mir in dieser Ecke immer das kleine Mädchen aus dem Märchen „Das kleine Mädchen
mit den Schwefelhölzchen“ vorgestellt habe. Es ist bis heute mein Lieblingsmärchen und wenn
ich es vorlese, wird meine Stimme immer ganz brüchig, manchmal kommen auch Tränen.
Bruchstück 4:
Ich erinnere mich, dass es eine Nachtschwester gab. Aber sie sah nicht aus wie eine Schwester
oder Nonne, sie hatte keine Haube. Sie hatte dunkelgraue Haare, ein graues Kleid an und der
Stoff war etwas rau. Sie saß auf einem Stuhl bei den Toiletten. Sie sah aus wie meine Kindergärtnerin
Tante Lisbeth. Bei ihr war ich einmal (vielleicht auch öfter) in der Nacht. Dazu musste ich
eine Treppe hoch. Mit ihr verbinde ich die Worte gütig und tröstend. Erlaubt war das nicht, wir
durften nachts nicht zur Toilette gehen. Wieso ich trotzdem da war, kann ich nicht sagen, vielleicht
auch das ein Hinweis auf das Einzelzimmer. Diese Nachtschwester war jedenfalls die einzige
Person, die so etwas wie ein Gesicht hatte.
Bruchstück 5:
Von meiner Betreuerin erinnere ich nur die Rückenansicht. Sie hieß Fräulein Niederegger (ich
denke, es wird so geschrieben), den Begriff „Tante“ erinnere ich nicht.
Sie hatte lange schwarze glatte Haare bis zur Mitte des Rückens, sie waren strähnig und fettig.
Sie hatte einen extrem breiten Hintern und dicke Oberschenkel. Sie trug immer schwarz und
hatte eine schwarze Feincord-Hose mit dem braunen Wrangler-Etikett. Wenn sie lief, gab es immer
das typische Geräusch, das Cordhosen machen, wenn die Beine aneinander reiben. Dieses
Geräusch erzeugt bei mir bis heute ein ungutes Gefühl. Ich habe nie diese Cordhosen und schon
gar nicht die Marke Wrangler getragen oder tragen wollen.
Bruchstück 6:
Der Speisesaal war ein riesiger Raum in einem vergilbten beige, aber genau wie alle Räume immer
kalt. Der Tisch war ziemlich hoch, so dass ich fast mit dem Kinn an die Platte kam. Es gab
keine Blumen oder Tischdecken. Auch kein Besteck, nur einen Löffel. Der Teller immer so voll,
dass er fast überlief. Auch hier erinnere ich keine anderen Kinder oder Stimmen. Gefühlt war es
total still.
Ich erinnere mich nicht, dass das Essen farbig war, nur an graue oder grau-beige Farben. Es gab
auch keinen Geschmack. Alles war irgendwie gleich, eher pampig und sehr fettig. Ekelig war das
Fleisch: meist zäh, mit dicken Fettbrocken, sehnig und mit viel Knorpel. „Schneiden“ musste ich
das mit dem Löffel, was nie gelang. Das Brot schmeckte immer staubig, offenbar war es alt und /
oder schimmelig. Noch heute kann ich Schimmel sofort riechen und esse nur absolut mageres
Fleisch.
Ich musste immer alles aufessen und mir war immer schlecht danach, weil es einfach zu viel war.
An einmal kann ich mich erinnern, dass ich alles wieder ausgebrochen habe. Dann hat mich jemand
ohne Gesicht in den Nacken gepackt und mir alles wieder eingelöffelt, bis endlich alles leer
war. Ich hab mich mehrmals übergeben, weil das einfach so ekelig war und so hat das ziemlich
lange gedauert, bis ich fertig war.
Bis heute kann ich es nicht haben, wenn mich jemand im Nacken packt oder durch die Haare
wuselt. Und bis heute muss ich würgen, wenn im Fleisch mal eine Sehne auftaucht, die ich übersehen
habe. Auch sobald ich sehe oder höre, dass sich jemand übergibt, löst das Würgereiz bis
hin zum tatsächlichen Erbrechen aus, selbst bei geruchs- und geräuschlosen Szenen in Filmen
muss ich rausgehen oder die Augen und Ohren schließen. Ich bin ausgebildeter Ersthelfer und
habe schon viele schlimme Verletzungen gesehen, aber wenn sich da jemand übergeben hat,
kann ich nichts mehr tun.
Einmal gab es Grießbrei mit Kirschen (da war dann doch Farbe). Der Brei war wie Beton und völlig
ohne Geschmack, aber die Kirschen waren lecker. Die Kirschkerne hab ich geschluckt, vor lauter
Angst, sie auf den Teller zu legen. Und ich hatte Angst, dass sie im Bauch werden wie die Wackersteine
und ich daran sterbe. Aber das ist zum Glück nicht passiert.
Kirschen liebe ich heute noch, Grießbrei würde ich freiwillig nie wählen, ob wohl ich auch schon
leckeren gegessen habe und nicht würgen musste.
Außerdem erinnere ich mich, dass ich ständig Durst hatte. Es gab ganz wenig zu Trinken und dann
nur roten Tee mit einem üblen Nachgeschmack, der noch mehr Durst machte. Manchmal hab ich
heute noch echte Durstattacken, in denen ich dann sofort trinken muss. Das ist wie eine Art
Zwang. Roten Tee verabscheue ich heute noch.
Bruchstück 7:
An Borkum als Insel oder an das Meer habe ich so gut wie keine Erinnerungen. Ich glaube, wir
waren so gut wie nie draußen. Aber ich erinnere mich auch drinnen an keinen Raum, wo wir
gespielt hätten oder gebastelt. Auch nicht an Gruppen mit anderen Kindern. Da ist einfach nichts.
Einmal waren wir in einem Wellenbad. Die Halle war riesig und es roch eigenartig, vielleicht nach
Salz, weil auch das Wasser salzig war. Wenn ich Wasser geschluckt hatte, musste ich würgen. Die
Wellen waren riesig und ich hatte Angst, unterzugehen. Es waren noch andere Menschen im Bad,
aber die waren immer weit weg und sahen ganz winzig aus. Meine Haut hat höllisch gebrannt,
weil das Salz in die aufgekratzten Wunden kam. Zum Abtrocknen gab es Handtücher, die ganz
steif und hart waren und nicht richtig getrocknet haben. Hinterher war meine Haut ganz trocken
und ist immer wieder aufgeplatzt. Und dann war das Bett wieder blutig und die Waschprozedur
kam. Noch heute meide ich Schwimmbäder und Meerwasser.
Bruchstück 8:
Ähnliches erinnere ich auch von den Duschräumern. Duschen kannte ich nicht, wir hatten zu
Hause nur eine Badewanne. Hier erinnere ich auch andere Kinder, vermutlich Mädchen, aber alle
ohne Gesichter. Wir mussten uns zum Duschen alle nebeneinander nackt aufstellen. Das Wasser
kam aber nicht von oben, sondern aus einem Gartenschlauch. Es war ein ganz harter Strahl und
eiskalt. Es brannte auf meiner Haut und der harte Strahl tat weh. Seife gab es nicht. Einmal hab
die Arme um mich gelegt als Schutz: Da musste ich nach vorne kommen und wurde noch mal
„abgeduscht“. Und wieder mussten alle anderen mich auslachen. Wieder diese hohen Stimmen
und die Worte „kaputte Haut“.
Bruchstück 9:
Einmal waren wir in den Dünen. Ich bin mit einem Mädchen (an weitere Kinder erinnere ich mich
nicht) zusammen eine Düne hochgelaufen. Das Mädchen hatte einen roten Hut auf, ähnlich einem
Fes, nur die Quaste war eher ein schwarzer, dickerer Faden. Kurz bevor wir oben waren,
stand oben am Rand der Düne ein Mann, der sich gegen den grauen Himmel abhob und aussah
wie Zorro: mit dem Hut und einem schwarzem wehenden Umhang, der sich aufgebläht hatte.
Alles an dem Mann war schwarz, auch er hatte kein Gesicht. Er kam auf uns zu und wir sind
umgedreht und gefühlt um unser Leben gerannt. Diese Angst kann ich sogar jetzt wieder fühlen,
während ich dies schreibe.
Nach dem „Kuraufenthalt“ bin ich in die 5. Klasse auf’s Gymnasium gekommen. Ich war die einzige
aus der Grundschule, die auf das Mädchengymnasium kam, kannte dort also niemanden. Die
erste, die mir auffiel, war Anke W.. Ich bis heute zu 100 % sicher, dass sie das Mädchen mit dem
roten Hut war. Ich fragte sie, aber sie hatte es verneint. Später, ich war 17. oder 18 Jahre alt,
habe ich sie noch einmal darauf angesprochen: auch da hat sie behauptet, nie auf Borkum gewesen
zu sein. Diesmal allerdings mit einer ziemlichen Aggressivität und Wut in ihrer Stimme. Ich
habe sie danach nie wieder gefragt. Und bis heute begegne ich ihr mit einem gewissen Argwohn,
ich traue ihr irgendwie nicht.
Interessanterweise hatte ich in der Zeit in Pädagogik das Thema „vernachlässigte Kinder“. Mein
damaliger Lehrer sagte mir später einmal: „ich war sicher, Du würdest Pädagogik oder irgendetwas
Soziales studieren.“
Bruchstück 10:
Vermutlich eher zum Ende des Aufenthaltes müssen wir in der Stadt gewesen sein. Ich hatte ein
Leporello mit Bildern von Borkum mit nach Hause gebracht. Darauf war auch ein Foto vom berühmten
Wal-Knochenzaun in der Kirchenallee zu sehen. Den Zaun habe ich beim Besuch auf der
Insel wiedererkannt. Das Leporello hatte ich lange, irgendwann ist es verschwunden. Geblieben
ist nur das Bild vom Wal-Knochenzaun, alle anderen sind verschwunden oder basieren auf den
Bildern vom Besuch auf der Insel.
Besonders mögen tue ich Borkum nicht.
Als ich wieder zu Hause war, sagte meine Mutter: „Das ist nicht mehr das Kind, das wir losgeschickt
hatten! Nie wieder gebe ich ein Kind weg !“ Ich glaube, sie leidet bis heute unter dieser
Entscheidung, obwohl sie wirklich nur das Beste wollte.
Ich war trotz meiner Erkrankung den Erzählungen nach ein fröhliches, aufgewecktes und positives
Kind. Als ich zurückkam, war ich nur noch still und unauffällig, fast unterwürfig. Vieles davon
ist geblieben: ich mag auch heute noch keine Feiern oder Ereignisse, in denen ich der Mittelpunkt
bin. Immer noch habe ich diese Angst, ich könnte nicht gut genug sein, es geht etwas schief, weil
ich nicht alles bedacht habe, oder es kommen keine Leute, weil man mich doch nicht mag.
Ganz früh nach dieser „Kur“ wusste ich sicher und klar, dass ich niemals Kinder haben will.
Obwohl meine Mutter und meine ganze Familie alles getan haben, um mich wieder aufzubauen,
hat das Verhältnis zu meiner Mutter einen Knacks bekommen, der erst seit 2016 (Herzinfarkt
meines Vaters), also nach 50 Jahren, so langsam zu heilen beginnt. Was für eine Zeitspanne!
Mein Selbstvertrauen und Selbstsicherheit waren verschwunden. Statt dessen war das Gefühl,
nicht den Anforderungen zu genügen, ein permanenter Begleiter. Selbst wenn es belegbar war,
z.B. durch gute Zeugnisnoten, habe ich es nicht geglaubt.
Auch bedingt durch meine „kaputte“ Haut hatte ich jahrelang keine echten Freunde oder Freundinnen.
Ich habe lange versucht, durch lauter Unfug Freunde zu kaufen. Das konnte natürlich
nicht gelingen. Ich war der Klassenclown, aber nicht wirklich lustig. Lustig gemacht haben sich die
anderen über mich - Geschichte wiederholt sich halt. Irgendwann war ich dann nur noch still und
angepasst. Die Erfahrung zeigt: das läuft gut, ich war nicht mehr angreifbar. Die ersten Freunde
waren eine Gruppe von Jungen, da war ich fast 17 Jahre alt. Wenn etwas nicht so lief, haben sie
es mir direkt ins Gesicht gesagt und dann war es gut. Sie haben nie nachgetreten oder nachgetragen.
Bei den Mädels war das anders, denen konnte ich nie wirklich vertrauen. Das ist bis heute
so geblieben. Frauen gegenüber bin ich sehr vorsichtig und zurückhaltend. Wenn überhaupt, erfahren
sie erst nach langer Zeit etwas über mich.
Dafür begann ich, mich zu Hause anders zu verhalten: ich habe mit meinen “Heldentaten“ draußen
geprahlt, die es aber tatsächlich nie gab. Ich behauptete, die Größte zu sein, in Wahrheit war
ich ganz klein und unsichtbar. Ich wollte einfach nur Anerkennung dafür, dass es mich gab. Hatte
ich das Gefühl, sie nicht zu bekommen, wurde ich sauer, es folgen die Türen, zu argumentieren
hatte ich nie gelernt. Dieses Verhalten habe ich nur meiner Mutter gegenüber an den Tag gelegt.
Als ich einmal beim Ladendiebstahl einer Packung Kaugummi erwischt worden wird, brach für
meine Mutter eine Welt zusammen. Die Frage nach dem Warum oder nach Hintergründen
konnte sie nicht stellen und hat mir dieses Vergehen jahrelang immer wieder vorgehalten: sie
konnte mir nicht mehr vertrauen, ich hatte wieder einmal enttäuscht. Anders mein Vater: er hat
mit mir darüber gesprochen und mir das nie wieder vorgehalten. Von ihm habe ich das Verzeihen
gelernt.
Eine wichtige Folge der Borkum-Erfahrung war, dass ich ein sehr feines Gespür für Ungerechtigkeit,
benachteiligte und ausgegrenzte Kinder und Erwachsene entwickelt habe. Auch dafür bin
und werde ich bis heute oft belächelt und ausgegrenzt: dass ich immer den Schwachen in der
Klasse geholfen habe. Bei Lehrern, die keiner mochte, habe ich Kurse belegt. Und von all diesen
Menschen bin ich belohnt wurden: mit echtem Lächeln und Dankbarkeit. Das ist wahrscheinlich
das positivste, das bei dieser „Kur“ herausgekommen ist.
Heute erkenne ich sehr schnell, wohin die modernen Forderungen aus Politik und Gesellschaft
führen werden, nämlich hin zum Missachten der Rechte der Schwachen, egal ob Kinder, Behinderte
oder alte Menschen.
Um es modern auszudrücken:
Das wird ein Borkum 2.0, all diese Forderungen zum Kinderschutz im Grundgesetz inkl. Entziehung
der Erziehungshoheit der Eltern, nach dem Abstillen in die Horte und Kitas, bloß keine enge
Bindung an die Eltern, Abschaffung der Familie als Basis der Gesellschaft und als Schutzzone,
Leihmutterschaft, Abtreibungsfreigabe inkl. der Freigabe für die Forschung an Embryonen, assistierter
Suizid. Da ist der Schritt zur Euthanasie nicht weit.
All das hatten wir in den Auswirkungen in diesem System, dem wir Verschickungskinder hilflos
ausgeliefert waren.
Auch heute bekomme ich massiven Gegenwind, wenn ich das versuche klarzumachen. Dann
werde ich in die rechte braune Ecke verortet. Und dann falle ich oft in das alte Schema zurück
und werde still. Obwohl ich weiß, dass es falsch ist, bin ich dann wie gelähmt und kann nicht
dagegen angehen.
Aber trotz allem: ich komme gut zurecht in meinem Leben, habe einen wunderbaren Ehemann
und eine tolle Familie, die zusammensteht, wenn es eng wird.
Und auch einige echte Freunde mittlerweile.
Alles in allem ist es gut gelaufen, man hat es nicht geschafft, mich komplett zu brechen. Eine
kleine Genugtuung, immerhin.
Manchmal würde ich mich gerne an mehr erinnern. Vor allem interessiert mich, wieso ich mich
an keine anderen Kinder und an keine Gesichter erinnern kann. War ich vielleicht in einer Art
Einzelhaft, überwiegend isoliert und konnte ich deshalb die nächtlichen „Ausflüge“ machen?
Aber ich habe kein Vertrauen in Psychologen und Psychiater, um es aufzuklären und eigentlich
reicht der Dreck an Erinnerungen auch so.
Ich will auch kein Entschädigungsgeld, das gibt mir nichts. Wichtig ist mir, dass das Thema öffentlich
an Fahrt gewinnt und dass niemand jemals Menschen, insbesondere Kindern so etwas wieder
antun kann!
Ich habe lange gesucht um endlich diese Seite zu finden. Wie das Heim hieß weiß ich nich , es stellte sich mit einem Lied vor. Kinder wollt ihr den ponyhof sehen Faria faria ho, müsst ihr zur Barmer Ersatz Kasse gehen.., und so weiter. Bei der Barmer hatte ich mal angefragt, aber keine Auskunft bekommen. Das Heim...
Es war der Alptraum..
Ich weiß das mein Vater mich in Wuppertal zum Bahnhof brachte. Ich war sehr klein und dünn, hatte vorher lange wegen eines komplizierten Armbruchs im Krankenhaus gelegen. Ich wurde in den Zug gesetzt und als wir ankamen war mein Koffer nicht da. Man sagte mir meine Eltern wären schuld. Er kam etwas später und endlicher etwas von zuhause!
Ich wurde beschimpft, da ich keine Schuhbürste mit hatte, die aber auf der Liste stand! Jetzt sollte ich zusehen wie ich meine Schuhe jeden Tag! putzen soll! Ich wurde Abends aus dem Bett geholt, weil die Aufpasser dachten ich hätte gesprochen, hatte ich nicht, hatte schon geschlafen, ich soll doch nicht so tuen wurde mir gesagt, musst dann im Flur auf einem Stuhl sitzen und durfte nicht zur Toilette. Als ich an zu weinen fing wurde ich in den Duschraum gesperrt! Ich musste aber mal, man sagte ich könnte ja in die Badewanne machen, das habe ich dann getan. Sooo schlimm.
Wir wurde morgens nackt hintereinander aufgestellt, mit unseren Handtüchern und mussten zum Waschen und Zähneputzen, ohne Ton!!! Zu Essen gab es fast jeden Tag Quarksuppe..,ich kann bis heute keinen Quark essen! Manche mussten sich übergeben und wurden bestraft! Wir haben immer geflüstert...Komm iss es , sie werden sonst böse.. in die Ecke stellen war an der Tagesordnung! Da ich dort Geburtstag hatte, bekam ich ein Päckchen, das ich aber nicht selber auspacken durfte. Alles wurde reglementiert. Die Süßigkeiten meiner Eltern musste ich teilen und nur wenige behalten, es war auch ein Brief dabei, er wurde vorgelesen, ich habe ihn nie bekommen. Allerdings durfte ich an diesem Tag telefonieren. Ich hatte vor alles zu erzählen, aber eine Frau stand die ganze Zeit neben mir und sagte. Du willst doch nicht das deine Mama traurig ist... ich habe gesagt das alles gut ist. Einige Tage vor der Abfahrt nach Hause bekam ein Kind die Röteln. Wir durften nur nach Hause wenn wir fieberfrei waren. Also habe ich das Thermometer immer nur ein bisschen in den Mund genommen, weil es mir schon schlecht ging ich aber keinem Tag länger dableiben wollt! Es hat funktioniert! Auf dem Nachhauseweg im Zug in der Nacht, bekam ich die Röteln. Aber ich war aus dem Heim!
Fotos waren gestellt für die Eltern und wir wurdrn unter die Höhensonne gebracht.. in einen Kreis gestellt und mit Brille auf!
Ich kann mich an einem Zauberer erinnern, ein schöner Moment.
Ich hatte nicht zugenommen, hatte die Röteln und fünf entzündete Fingernägel!
Habe meine Familie nicht erkannt und kam mir verlassen vor!
Ich muss immer noch daran denken.
Ariane
Als ich zu Hause meinen Eltern von den Zuständen erzählte, beschwerte sich mein Vater bei dem Träger. Ihm wurde gesagt, ich sei verlogen und egozentrisch und damit sind niemals Konsequenzen gezogen worden.
Als ich letztes Jahr eine Reha machen musste, kamen plötzlich Erinnerungen an diese Kur und noch einen Krankenhausaufenthalt mit zwei Jahren in mir hoch. Ich hatte rasendes Herzklopfen, Schwindel und sehr hohen Blutdruck an den ersten zwei Tagen. Ich bin mir inzwischen sicher , nach einem Gespräch mit der Psychologin, dass das mit diesen traumatischen Erfahrungen damals zu tun hat.
mein Bruder und ich wurden 1986, im Alter von 5 Jahren, ins Kinderkurheim Pausa geschickt. Wir waren zu dieser Zeit keine guten Esser und
unsere Mama war in dem Glauben, dass es uns in den 4 Wochen Kur gut gehen würde.
Mit einem Ikarusbus wurden wir in Gera abgeholt und in das Kinderkurheim gefahren.
Alle Kinder mussten in 2 Gruppen in den 2 Schlafräumen warten, während die Namen geprüft wurden.
Dann wurde jedes Kind aufgerufen, musste zuerst mitgebrachte Getränke in ein Waschbecken schütten und dann durfte es sich max. ein Kuscheltier aussuchen,
während das restliche mitgebrachte Spielzeug im Koffer bleiben musste.
Die „Erzieherinnen“ waren sehr unfreundlich. Danach wurde die Gruppe rumgeführt, in den Waschraum, Hof, Essensraum und Spielzimmer.
Als Abendbrot gab es trockenes Brot, mit winzigen Mengen an Butter, fetter Wurst und einem Eierbecher! voll Gurkensalat.
Dann durften wir noch spielen, wobei das vorhandene Spielzeug schon defekt war. Zum Waschen ging es in den Waschraum, wobei wir uns
vor dem Waschen am Waschbecken mit einer Bürste kräftig „striegeln“ mussten, zur Durchblutung.
Schlafen erfolgte unter Aufsicht, wobei die Kinder, die Keine Ruhe halten wollten angebrüllt wurden, eng mit Bettzeug eingewickelt, oder zur Strafe in der
Tür stehen mussten. Tagsüber gab es kurze Wanderungen, Spielen und Beschäftigungstherapie. Kinder, die Heimweh hatten, wurden nicht getröstet.
Eines Tage wurde ein Schaf vor den Augen der Kinder geschlachtet – dies gab es zum Mittag. Meinem Bruder und mir wurde es schlecht, aber die
Erzieherinnen haben uns das Fleisch mit der Gabel reingezwungen. Heimlich haben wir es ausgespuckt und in den Taschen der Schürze versteckt.
Nachts hat sich ein Junge eingekackt – dieser musste so dann lange zur Strafe in der Tür stehen.
Nach der Halbzeit wurde ein Brief von zuhause vorgelesen und für jedes Kind ein „vom Personal“ verfasser Brief an die Eltern geschickt.
Alles in allem war es eine schlimme Zeit in der Kur, die mir deutlich bis heute in Erinnerung geblieben ist.
Ich bin in der DDR aufgewachsen und wurde 1986 im Alter von 9Jahren in das Kinderkurheim Dahmshöhe, im Ort Altthymen geschickt. In meinem SV Ausweis ist ein Vermerk darüber. Meine Mutter hat die Postkarte aufgehoben die ich von dort geschrieben habe.
Der Hauptsatz lautete,, ich bin die Bett Nummer 18,,
Das sagt schon was aus.
Leider habe ich große Erinnerungslücken...
Wenn ich die ganzen anderen Berichte lese, dann bin ich schockiert und mir wird übel. Ich fürchte ich habe schlimmes erlebt und stark verdrängt...
Es gibt so viele Probleme in meinem Leben und so viel was ich mir nicht erklären kann, wahrscheinlich hängt es mit dieser Kur zusammen.
Meine Mutter sagte mir ich war zum zunehmen dort und als ich zurück gekommen bin habe ich sie abgewiesen, nicht mehr gesprochen und war wesensverändert.
Wer von euch war auch in Dahmshöhe und kann mir weiterhelfen was da vll. Passiert sein könnte?
Wie jeder von uns befinde ich mich in einem Bereich der Aufarbeitung und Heilung....
Vll. Hilft es ja wieder einfach glücklich werden..
Danke
Bonndorf im Schwarzwald: Dort war ich im Winter zu Beginn oder vor meiner Einschulung. Die Tanten waren Schwestern, welche ein strenges Regiment führten: Toilettengänge in Mittagspausen waren nicht gestattet, so daß die jüngeren Kinder (wozu ich auch gehörte) oft einnässten und Sanktionen folgten. Alle Bilder sind in meiner Erinnerung fetzenhaft und durchweg schwarzweiß. Ich habe nur eine einzige positive Erinnerung an den Aufenthalt (auch dieses Erinnerungsbild ist schwarzweiß): Es hatte geschneit und wir durften im Wald spazierengehen, natürlich in 2er-Reihen geordnet. Meine Eltern haben uns nach 6 Wochen in Tränen aufgelöst am Bahnhof in Empfang genommen und mussten uns versprechen, daß wir dort niemals wieder hinmüssen.
St.Peter-Ording: auch im Winter, das weiß ich nur, weil ich Geburtstag (im Januar) hatte und mein Süßigkeiten-Paket nicht behalten durfte. Ich erinnere mich sonst nur, daß wir Unterricht und viel Langeweile in Nebelkammern hatten, aufgrund des Winterwetters nicht viel draußen waren, und wenn, dann oft auf dem Ponderosa-Spielplatz (paradiesischer Ort).
Bayrisch Gmain: im Sommer, trotz all der langweiligen Anwendungen war es schön, (wir haben Skat in der Nebelkammer gespielt), wir waren sehr viel draußen, es wurde gebastelt, gespielt, getanzt, gesungen, alle waren nett.
Winterberg: im Sommer, ich war schon 14 und die Älteste. Die betreuenden Schwestern waren suuuperlieb und hatten trotzdem alles im Griff - oder gerade deswegen?. Ich sollte zunehmen, weil ich spindeldürr war. Bei den Mahlzeiten stand immer eine Schwester neben mir und hat mir noch einen Schlag Müsli oder Kartoffeln aufgetan, was ich Aufessen sollte - zwar ohne Zwang, aber solange, bis der Arzt zufrieden war. Die Freizeitaktivitäten waren eher für Jüngere - inclusive Biene Maja gucken. Wir waren sehr oft Wandern im Wald - herrlich.
Nur ein paar einzelne Ereignisse sind mir tatsächlich bis heute in Erinnerung geblieben:
Ein rot-weißer VW Scheiben-Bulli brachte mich vom Bahnhof zum Kinderheim. Es herrschte ein strenges Regiment der "Tanten". Ich hatte mindestens einmal wegen irgendwas "Stubenarrest", musste also stundenlang ganz allein im abgedunkelten Schlafraum im oder auf dem Bett bleiben während die anderen Kinder draußen in der Sonne waren. Ich habe dabei wohl auch geweint.
Als ich dort wieder das Einnässen anfing musste ich einmal einen halben Tag im nassen Bett liegen bleiben. Es wurde auch so getan, als wäre ich der einzige und so wurde ich vor den anderen Kindern bloßgestellt. Dann gab es eine Gummiunterlage.
Mittags gab‘s oft Milchreis mit Zimt und Zucker, das mochte ich gar nicht, wegen dem Zimt, aber es musste immer alles aufgegessen werden. (Wahrscheinlich kommt es daher, dass ich Zimt-Geruch und Geschmack nicht ertrage.)
Einmal hat ein etwas älteres Kind an unserem Tisch (ich glaube er hieß Ansgar) den Brei wieder auf seinen Teller erbrochen. Als er sofort ängstlich das Zeug zu löffeln begann haben wir eine Tante gerufen und die hat ihm den Teller weggenommen.
Ab und zu wurde Post von Zuhause verteilt. Meine Eltern hatten mir einmal eine große Tüte Bonbons geschickt. Es wurde dann am Abend von der Tante mit großer Geste an jedes Kind in unserem Schlafraum aus der Tüte heraus genau 1 Bonbon verteilt. Und zwei Tage später sahen wir den Sohn der Chefin mit der fast leeren Tüte draußen vor dem Haus herumsitzen.
Wenn wir zum Spielen draußen waren (auf einer Wiese am Haus oder im angrenzenden Wald) bestimmten die Größeren immer über die Kleinen wie mich und wir kamen auch nie an den Ball.
Ich war wohl froh, als nach 6 langen Wochen endlich der rot-weiße VW-Bulli wieder kam und ich einsteigen konnte. Der Rentner, der mich im Zug begleitete übergab meinen Eltern dann am heimischen Hbf aus seiner braunen Leder-Aktentasche eine Tüte mit meiner letzten eingepissten Unterhose.
Ein paar Jahre später hat mir meine Mutter mal erzählt dass sie sich erschrocken hatte, als sie mich damals wieder in Empfang nahm: Die Haare waren gewachsen, ich hatte Schatten unter den Augen und war noch dünner als vorher.
Übrigens: Im Internet lassen sich bei Alt-Ansichtskartenhändlern heute noch original Nachhause-Karten der Kinder aus dem Heim finden.
- Detmold-Berlebeck (ca. 1964, 6 Jahre alt)
- Cuxhaven-Dunen (ca. 1965, 7 Jahre alt)
- Vogelkoje Sylt (1969, 11 Jahre alt)
- Wenningstedt Sylt (1970, 12 Jahre alt)
Ansonsten erinnere ich mich an die quälend langen Mittagsschlafzeiten. Ich sehe noch eine dünne grüne Raupe vor mir, die im Hof in Dunen am Feldbett vorbeiraupte. Einmal habe aus Wut ich fast ein Kind mit mit einem Eisenhocker getötet, woraufhin man erwog, mich vorzeitig nach Hause zu schicken. Ich fand mich im Recht, denn der andere war frech geworden. Verhaltensauffälligkeiten wurden bloß als Disziplinlosigkeit wahrgenommen, nicht als Problem. 1969 durften wir nicht die Mondlandung gucken. Das hatte uns empört. Ebenfalls 1969 brannte bei der Rückkehr des Sonderzuges aus Sylt mit 1000 V-Kindern der Altonaer Bahnhof. Die Autoritäten haben trotzdem die Einfahrt des Zuges in den brennenden Bahnhof erlaubt, weil sie nicht wussten, wie sie die Sache hätten sonst abwickeln sollen, denn immerhin warteten ja vor Ort ebenso viele Eltern auf ihre Kinder, die sie seit Wochen nicht gesehen hatten. Ich erinnere mich, dass meine Mutter halb in Panik war. 1970 war dann schon voll die antiautoritäre (=darwinistische) Erziehung durchgeschlagen und auf Sylt interessierten wir uns nur noch die Nackten, die wir von unseren Verstecken in den Dünen aus beobachten konnten. Heißen Dünensand finde ich nach wie vor erregend und Sylt ist immer noch einer meiner Lieblingsorte. Alleine schon der Geruch der Dünen und die Seeluft. Herrlich.
Man musste Briefe an die Eltern schreiben einmal in der Woche. Wenn da etwas drinstand, das den Betreuerinnen, die die Briefe kontrollierten, nicht gefallen hat, musste man den Brief vollständig neu schreiben. Alles, was man erlebt hatte, musste im Brief beschönigt beschrieben werden. Keinesfalls durfte man schreiben, dass man Heimweh hatte.
Im Nachhinein beurteile ich die jungen Betreuerinnen als pädagogisch unausgebildet und mit der Menge der Kinder überfordert. Manche gaben sich Mühe mit den Kindern etwas zu unternehmen, anderen waren die zu betreuenden Kinder eher lästig. An meine Gruppenleiterin habe ich keine negativen Erinnerungen. Erfahrungen sexuellen Übergriffes habe ich nicht gemacht. Eher wurde ich psychisch unter Druck gesetzt, z.B. den Teller leer essen auch wenn ich keinen Hunger hatte. Den Zustand der Unterbringung im Seeschlösschen war meiner Erinnerung nach primitiv, sehr spartanisch, provisorisch, für Jugendliche und Kinder ungeeignet. Das ganze Haus machte auf mich einen eher baufälligen Charakter.
Als ich nach langer Bahnfahrt zurück kam, war ich froh, dass ich nach sechs Wochen wieder im Kreise meiner Familie sein konnte. Andererseits habe ich im Nachgang den Eindruck, meine Eltern hatten sich nicht so wirklich interessiert wie es mir im Heim ergangen ist. Ich weiß, dass meine Eltern mir in den Ferien mal etwas "bieten" wollten. Sie selbst hatten nicht die finanziellen Möglichkeiten mit der ganzen Familie in Urlaub zu fahren. Sie waren mit der großen Familie und beruflich stark gefordert.
Ich brauchte eine Zeit, um mich zuhause wieder in die üblichen Abläufe einzugewöhnen und den Anschluss in der Schule zu finden, die schon mehrere Wochen vor meiner Rückkehr begonnen hatte. Ich war dankbar, dass meine Mutter mir mehrmals ein Päckchen ins Heim geschickt hatte mit Essenssachen und Erinnerungsstücken ans Zuhause und ein paar Zeilen auf einer Postkarte. Telefon hatten wir damals noch nicht.Das belegen auch zwei Fotos, die ich noch besitze.
Der Heimaufenthalt im Sommer 1968 hatte eigentlich keinen weiteren Einfluss auf mein Leben. Die Gemeinschaft mit den Jungs in meiner Gruppe im Heim fand ich sehr gut. Wir hatten viel Spaß miteinander. Das hat mir gefallen. Auch hatte und habe ich gute Gefühle, wenn ich an den Ferienort zurückkomme, in dem das Ferienheim war. Aber ich wollte nie wieder in ein Heim dieser Art. Die Unfreiheit und Bevormundung, die ich dort erlebte war ich weder von Zuhause gewohnt noch von meiner weitverzweigten Familie, bei der ich als Kind und Jugendlicher meine sonstigen Ferienaufenthalte erlebte. Dies und das immense Heimweh wollte in nicht noch einmal erleben.
Ich kann mich an viele entwürdigende Situationen erinnern.
Eingehende und ausgehende Briefe wurden zensiert. Telefonate waren nicht möglich bzw kann ich mich nicht erinnern. Kinder, die nicht zugenommen haben, mussten aufessen. Ich erinnere mich an ein dünnes rothaariges Mädchen, neben der eine Erzieherin saß, als alle schon fertig waren mit Essen. Sie erbrach und musste trotzdem aufessen.
Nachmittags gab es in der Hitze fertigen Tee aus großen Gebinden, in dem manchmal Ameisen schwammen. Anderes gab es dann nicht.
Die Kinder von der Vulkan Werft kamen etwas später als die Conti Kinder an. Es wurde uns erzählt, es käme auch ein Bettnässer. Das Kind war natürlich von Anfang an stigmatisiert. Es war erst 6 Jahre alt!
Die Schlafsäle mit bei mir 11 Betten führten alle auf einen zentralen Flur, in dem die Aufseherin saß. Wer sich muckte, musste sich mit bloßen Füßen auf den Flur in die Ecke stellen mit dem Gesicht zur Wand.
Mittags mussten wir ins Bett. Es durfte nicht gelesen werden. Ich war 10 Jahre alt!
Ich habe aus Kummer abgenommen und bin krank geworden. Die entwüdigendste Situation für mich war, dass ich zum Fieber messen zur Leiterin in ihr Zimmer musste. Ich musste mich bäuchlings auf eine Liege mitten im Zimmer legen und mir wurde im Po Fieber gemessrn. Ständig gingen Leute rein und raus.
Wenn ich gekonnt hätte,wäre ich zum Bahnhof gegangen und nach Hause gefahren. Aber das Geld war uns abgenommen worden.
Ich war traumatisiert und habe mich jahrelang nicht gemuckt zuhause. Ich wollte nie wieder weggeschickt werden! Letztlich habe ich diese Erlebnisse mit 50 Jahren in einer Therapie aufgearbeitet.
Wie konnten diese "Kuren" nur den Familien empfohlen werden und warum ließen die Eltern sich darauf ein??? Ich kann sie leider nicht mehr fragen.
Ich wurde dort 4 Jahre alt und bekam von meiner Mutter ein Päckchen mit Süßigkeiten. Dieses wurde mir weggenommen und die Schokolinsen und Schokotaler unter allen Kindern verteilt bis sie alle waren. Ich bekam genauso viel wie alle anderen. Die Begründung war, es solle gerecht sein, kein Kind solle mehr haben. Ich empfand es als ungerecht, denn ich hatte Geburtstag
und wollte lange etwas davon haben was meine Mutter geschickt hatte. Dabei hätte ich durchaus von mir aus etwas abgegeben.
Meine Mutter erzählte später, als ich erwachsen war, ich sei von der Verschickung völlig verstört zurückgekommen.
Lieben Gruß
Karin
Es ging mir im besagten Heim, welches unter der Leitung eines ehemaligen SS-Offiziers stand, sehr schlecht. Ich habe das Essen nicht vertragen, so dass ich mich regelmäßig im Bett nachts übergeben musste. Andere Kinder misshandelten mich und keiner der anwesenden Erzieher schritt dagegen ein. Ich wurde im Heim geschlagen und gedemütigt. Es gab auch Übergriffe auf mich. Viele Dinge, welche passiert sind, sind in meinem Unterbewusstsein tief eingebrannt worden. Es fehlen mitunter Erinnerungen, die mein kindliches Gehirn weg blendete zum Schutz, Dafür sind diese starken Gefühle immer in mir, dass etwas schlimmes passiert war.
Meine Eltern bekamen immer positive Briefe gesendet, so dass ich keine Chance hatte, mit ihnen in Kontakt zu treten oder Hilfe zu holen. Ihnen wurde untersagt mich zu besuchen (Heinweh etc.). Statt die Kinderkur sofort abzubrechen lies man mich die vollen 5 Wochen dort "absitzen". Ich hatte oft das Gefühl dies nicht zu überleben, bzw. meine Eltern jemals wieder zu sehen. Ich rannte auf die Dünen und schrie um Hilfe. Mein Stofftier wurde daraufhin zerfetzt,
Laut Aussagen meiner Eltern bekamen diese nach 5 Wochen ein zutiefst traumatisiertes Kind zurück, abgemagert und kränklich und unendlich traurig. Lediglich der "Husten" schien gebessert, was man als Erfolg sah.
Ich habe mein Leben lang unter den Folgen der "Kinderkur" zu leiden gehabt. Ich war stets ängstlich, hatte depressive Neigungen, Angst vor dem Alleingelassen werden, Angst vor Menschen, die mich spontan anfassten.
Nach 46 Jahren habe ich endlich eine Therapie begonnen. Ein Besuch des Kinderheimes Seeschloss im Juni 2021 mit anderen Verschickungskindern war unglaublich schmerzhaft, bis hin zu einem richtigen Zusanmenbruch.
Es wird natürlich vieles von den Verantwortlichen bzw. den Nachfahren der Heimleitung dementiert. Ich hoffe, dass sich hier noch mehr Kinder melden aus dem Seeschloss, damit ich nicht mehr alleine dastehe,
Ich bin Mitglied der Ortsgruppe Verschickungskinder St. Peter-Ording.
Wir bekamen ein braunes Kärtchen mit Namen, Wohnort und Ziel um den Hals gehangen, dann ging es mit dem Zug gen Norden.
Ich erinnere mich an einen großen Jungen-Schlafsaal. Neben der Tür wurde abends ein Plattenspieler gestellt und ein Hörspiel abgespielt. Danach war Ruhe im Saal.
Briefe wurden bei den Schwestern abgegeben.
Ankommende Päckchen wurden zensiert und Schokolade kam in die Kiste für die Allgemeinheit.
Wir sind mal auf einen Baum geklettert. Zur Strafe mussten wir in der Küche Kartoffeln schälen.
Morgens ging es immer erst in die Kapelle.
Am Strand war ein Holzsteg. Da haben wir Gänge drunter her gegraben.
Wir sind viel gewandert und durften nicht vom Weg abweichen.
An das kleine, mit Ostseewasser gefüllte, kalte Schwimmbad kann ich mich erinnern. Zu dieser konnte ich noch nicht schwimmen. Ich erinnere mich auch, dort viel Salzwasser geschluckt zu haben.
Und irgendwas war mit dem Essen...
Es gab Kakao und Milch aus großen Kannen.
Es war ein langer Zeitraum und unter strenger Führung. Ich durfte anschließend in meiner 4. Schulklasse berichten. Wenn man die Räumlichkeiten betreten könnte, kämen sicherlich einige Erinnerungen wieder. Wie bereits bemerkt, aktuell sind sie sehr lückenhaft.
Mit besten Grüßen
U. Klappert
Endgültige Ruhe gab es nie. Einfach schrecklich. Das schlimmste seinerzeit war das man ja auch 6 Wochen nicht in die Schule gegangen ist. Musste daher das 5 Schuljahr 2 mal durchlaufen. Ich hatte in den 6 Wochen keinerlei Kontakt zu meinen Eltern. Wir hatten allerdings weder ein Auto geschweige den ein Telefon.Ich würde mich gerne mal mit Personen unterhalten die auch zu der Zeit im gleichem Heim waren.
Liebe Grüße
Andreas
ich bin auch Bj 1964 und war über Ostern 1968 in Bad Reichenhall und bin auf der Suche nach weiteren Informationen. Meine Eltern sind vor 30 Jahren gestorben und ich habe nur eine verschwommene Erinnerung an die Zeit. Ich habe gelesen, daß Du ein Gruppenbild von damals besitzt. Ich möchte Dich darum bitten, es einmal sehen zu dürfen, ob ich darauf abgebildet bin.
Liebe Grüße
Stephan
Wenn die Eltern anriefen, stand immer eine Erzieherin mit am Telefon, die darauf achtete, dass man nur positive Dinge sagte und nicht etwa, dass man gerne nachhause möchte.
Ich hatte jahrelang Alpträume nach dem Aufenthalt dort. Im Traum saß ich mit anderen Kindern in einem kleinen Dachzimmer. Alle Kinder wurden abgeholt, nur für mich kam Niemand. Glücklicherweise hörten diese Träume irgendwann auf, da war ich aber schon Teenager. Ich habe allerdings auch vielen Freunden und Bekannten von den Erlebnissen im Kinderheim erzählt, das half mir wahrscheinlich, diese Erlebnisse zu verarbeiten.
Um das Bettnässen zu "bekämpfen" bekamen wir fast nichts zu trinken, nur morgens und abends eine Tasse Pfefferminztee (den kann ich bis heute nicht riechen oder trinken). Vor lauter Durst habe ich mal mit einem anderen Mädchen morgens im Waschraum aus dem Wasserhahn getrunken. Wir wurden erwischt, vor versammelte Mannschaft im Speisesaal gedemütigt und bekamen zur Strafe an diesem Tag nichts zu trinken. Noch Jahrzehnte später habe ich aus dem Nichts heraus und völlig grundlos einen trockenen Mund bekommen und ein unerträgliches Durstgefühl.
Der große Dusch Raum war im Keller. Einmal in der Woche wurde geduscht, dazu mussten wir uns mit dem Gesicht zur Wand stellen, während hinter uns kochend heißes Wasser aufgedreht wurde, bis der ganze Raum so mit Wasserdampf gefüllt war, dass wir keine Luft mehr bekamen. Viele Kinder haben geweint und Panik bekommen. Erst dann wurde die Wassertemperatur reguliert und wir konnten duschen. Ich habe panische Angst vor dem Dusch-Tag gehabt.
Die Erzieherinnen habe ich als sehr streng und gefühlskalt in Erinnerung.
Besuche von den Eltern waren nicht erlaubt. Briefe an Zuhause wurden kontrolliert.
Wir mussten abends um 19 Uhr ins Bett. Zwei Stunden später wurden wir wieder geweckt und auf Toilette geschickt. Hatte ein Kind dann trotzdem bis zum nächsten Morgen eingenässt, wurde das im Speisesaal allen erzählt und man bekam dann zum Frühstück nur eine halbe Tasse Tee.
Am Tag vor meiner Heimfahrt war mein Bett bei dem "Weck-Termin" nass. Es wurde nicht frisch bezogen, weil ich ja am nächsten Tag abreiste. Ich musste in dem nassen Bett schlafen.
Als meine Eltern mich am Bahnhof abholten, waren sie erschrocken, wie blass und verhärmt ich ausgesehen habe.
Das ist das erste Mal, dass ich diese Geschichte erzähle. Und obwohl es nun schon 46 Jahre her ist und es "nur" 6 Wochen waren, kommen mir beim aufschreiben die Tränen.
Ich würde mich freuen, wenn ich hier Kontakt zu Leidensgenossen-innen bekäme, die zur selben Zeit dort waren.
C. Kieferdorf.
In den 6 Wochen mussten wir taeglich Mittagsschlaf halten, am 2 Tag nach der Ankunft das werde ich nie vergessen wie ich im Bett lag und aufeinmal die Tante mich aus dem Bett riss und wie wahnsinnig auf mich einschlug obwohl ich gar nichts gemacht hatte. Meine Schwester die im gleichen Raum schlief mit den anderen Kindern sagt heute noch wie schrecklich es war wie die Tante damals auf mich einschlug und sie war so hilflos das sie mir nicht helfen konnte. Ich kann mich gut erinnern , ich war damals so geschockt habe im Bett gelegen und gezittert die Wochen danach lag ich im Bett war wie versteinert konnte nicht schlafen aus Angst das jeden moment die Tante wieder rein kommt und mich schlägt. Die anderen Kinder hatte mitleid und fragten mich immer ob es sehr weh getan hatte.
Beim essen hatte die Tante auch immer ein Auge auf mich. Ein Tag mochte ich die schleimige Graupensuppe nicht und war am würgen, meine Schwester ging dann zur Tante und meinte das ich den Teller nicht leer essen kann daraufhin kam sie dann und schrie mich an ich muss die Suppe essen sonst.....Also versuchte ich es aus Angst , brachte es wieder hoch und da hat sich mich gezwungen mein erbrochenes zu essen. Ich habe immer noch ein Foto von der Tante und werde nie vergessen wie grausam sie mich behandelt hat. Es war schrecklich fuer uns Kinder wir durften nicht zusammen sprechen. Ich hatte damals meinen 9ten Geburtstag im Heim und meine Eltern haben mir damals ein Geschenk geschickt , das Paket war offen und drinnen war nur ein Waschbeutel und ich war enttäuscht das kein Spielzeug drin war, meine Mutter sagte dann als wir wieder zu Hause waren das sie mir Spielzeug und Schokolade mitgeschickt hatte.
Was ich bis heute nicht verstehen kann das wir damals Vitamine schlucken mussten wo wir doch so jung waren. Am vorletzten Tag hatten wir eine kleine Abschiedsfeier und die Tante sagte dann zu mir das es ihr leid tut wie schlecht sie zu mir war und sie es nicht mehr wieder tun würde. Ich glaube sie hatte Angst bekommen das ich es meinen Eltern erzähle. Auf jedenfalls kann ich sagen die Fotos und Erinnerungen die ich habe sind sehr traurig und grausam so was hätte nie passieren dürfen.
die bleibendste erinnerung ist die angst, dass ich meine eltern nie wieder sehen würde - sie erzählten uns von der großen flut, dem deichbruch in hamburg. wir erfuhren davon - und es machte die unsicherheit der ganzen situation nur noch größer. was sollte aus mir werden,, wenn es meine familie nicht mehr gab???
allein unter lauter fremden - krank und schwach, hilflos ausgeliefert.
der wildfang in mir zerbrach dort ziemlich, war absolut unerwünscht.
ich war dort krank - und hinterher, endlich wieder zuhause war ich auch wieder krank - die zeit meiner masern- und windpockenerkrankung.
es wird mich sicherlich noch weiter beschäftigen - gerade fühlt es sich an, als wären die erinnerungen hinter einer wand verborgen.
alles gute uns allen - möge so etwas nicht wieder passieren.
renate
ich habe über die Medien die aktuellen Berichte über die Kinder Verschickungen verfolgt. Durch Erzählungen meiner Mutter die auch mindestens zwei Mal Ende der 50er Jahre bzw. Anfang der 60er Jahre verschickt wurde hatte ich auch persönlich einen Hintergrund hierzu.
Jedoch fühle ich mich auch selber persönlich betroffen obwohl ich aus einer anderen Generation komme.
Meine Eltern, streng katholisch, schickten mich mit 10 Jahren auf ein Mädchen Internat in der Nähe von Bonn welches bis heute von der in der Kritik stehenden Piusbruderschaft von Nonnen geleitet wird. Ich musste dort ohne jeden Besuch meiner Eltern ein halbes Jahr dort bleiben bis ich zum Glück aufgrund meiner dann schlechter werdenden schulischen Leistungen wieder zurück nach Hause ziehen durfte. Das Gefühl als kleines Kind diesem Ort ganz alleine total ausgeliefert gewesen zu sein ist für mich bis heute immer noch schmerzhaft.
Viele Berichte von Betroffenen aus den damaligen Kinder Verschickungen erinnern mich sehr an das halbe Jahr was ich damals in diesem Internat verbringen musste.
Es gab dort eine sehr strenge Führung die schon fast an eine Kaserne oder ein strenges Klosterleben erinnert. Der Tagesablauf war geprägt durch häufiges angeleitetes Beten und vorgeschriebenen Gottesdienstbesuche. Briefe nach Hause wurden nur unter Aufsicht geschrieben. Die Freizeit war auf eine Stunde pro Tag beschränkt. Wenn man in den Augen der Erzieherinnen ungehorsam war oder nicht die gewünschten Schulischen Leistungen brachte wurde man auf ihre Weise bestraft. Einmal wurde ich von einer Erzieherin in ihr privates Schlafzimmer eingesperrt und nicht mehr heraus gelassen. Wie es dann weiterging habe ich verdrängt... Das erschreckende an der Geschichte ist, dass dieses private Internat bis auf den heutigen Tag staatlich zugelassen ist und weiter arbeiten darf.
Im Infobrief der Einrichtung, der mir auch noch vorliegt, steht ausdrücklich, dass Besuch durch die Eltern während des gesamten Aufenthaltes unerwünscht sei. Unter solchen Bedingungen wurde Übergriffigkeit fast schon gefördert.
Erinnern kann ich mich hauptsächlich an die traumatischen Teile der Aufenthalte in Scheidegg: ich wurde gezwungen Erbrochenes zu essen, das Fieberthermometer wurde mir gewaltsam in den Körper gerammt, die tägliche Blutzuckerkontrolle war eine Qual, da beim "Stechen" sehr grob vorgegangen wurde. Außerdem wurden wir bei jeder Gelegenheit von den Schwestern erniedrigt, gequält und eingeschüchtert. Ich weiß noch, dass ich oft schlaflos im Bett lag und mir völlig verloren vorgekommen bin. Auch, das Kruzifix im Schlafsaal sehe ich noch vor mir, dass in manchen Nächten mein Trostspender war. Vieles liegt aber im Dunklen, vermutlich weil es für eine Kinderseele einfach zu viel war.
Sehr groß war meine Angst vorab, als ich zum zweiten und zum dritten Mal verschickt wurde, und ich glaube, dass ich irgendwann abgeschaltet und mich dissoziiert habe.
Über St. Peter Ording kann ich nichts Schlechtes berichten, außer dass es aufgrund der Vorerfahrungen die Traumatisierung wohl verfestigt hat.
Mit den Auswirkungen dieser "Kur"-Aufenthalte habe ich heute noch zu kämpfen: chronische Schlaflosigkeit, rezidivierende schwere Depressionen, eine PTBS, die zwar diagnostiziert ist, zu der ich aber bisher keinen Zugang finde. Dazu kommen alte Bekannte wie Einsamkeits- und Verlassenheitsgefühle.
Als ich die Reportage in SWR 2 gehört habe, sind mir die Tränen gekommen, denn vieles was dort geschildert wurde kam mir so bekannt vor. Dass so viele Menschen
davon betroffen sind, war mir nicht bewusst, ich hatte mich immer für einen Einzelfall gehalten.
Vorher, so sagte man mir, war ich ein fröhliches Kind, hinterher galt ich als schwierig, aufsässig und aggressiv. Es wundert mich heute immer noch, dass damals niemand einen Zusammenhang sehen wollte.
Wenn ich daran denke, dass es für Seniorenpflegeheime die Heimaufsicht als Kontrollinstanz gibt, frage ich mich, warum uns Kinder damals niemand geschützt hat oder schützen wollte.
1959 wurde ich für als Neunjähriger von April bis Mai 6 Wochen zur Erholung in den Schwarzwald verschickt (Haus Rosenlund in Dobel bei Bad Herrenalb).
Warum? Ich war spindeldürr, zappelig, von ständigen, teils heftigen Bauchschmerzen geplagt, überängstlich und wollte einfach nicht zunehmen. Also beschlossen der Kinderarzt und meine Eltern, mich auf Kosten der Krankenkasse zum Zunehmen zu verschicken.
Ich hatte als Jüngster von 3 Brüdern ein behütetes Zuhause und war niemals alleine.
Die Verschickung alleine mit dem Zug von der Ostsee in den Schwarzwald war schon eine echte „Herausforderung“.
Jedoch fand ich mich schnell in der Gruppe zurecht und hatte wohl, wenn ich heute die Briefe lese, die ich nach Hause schickte, durchaus Spaß im Kinderheim.
Allerdings war es sicher nicht so wunderbar, wie in meinen Briefen und dem Statusbericht der Betreuerin beschrieben.
Als meine Eltern mich nach der Ankunft in der Heimat fragten, ob ich mich gut erholt habe, obwohl ich noch immer klapperdürr war, sagte ich nur: „Mutti, ich bin gar nicht mehr innervös“. Großes Gelächter! Sie fragte mich dann auch, was denn die kahle Stelle auf meinem Kopf zu bedeuten habe. Eine plausible Antwort gab ich ihr nicht, aber damit war das Thema „Erholung“ in der Familie erledigt.
Tatsächlich habe ich dermaßen unter der strengen Herrschaft der Betreuerinnen gelitten, dass ich anfing, mir die Haare auszudrehen und auszureißen. Schmerz empfand ich wohl nicht.
Und dann erinnere ich mich, dass ich bei der zweistündigen Mittagsruhe nicht auf Befehl schlafen wollte und konnte, zu laut war und deshalb auf der harten Holzbank in der Küche ohne Decke und Kissen stundenlang mucksmäuschenstill unter Aufsicht „schlafen“ musste.
Am schlimmsten aber war, dass irgendeine Kleinigkeit vermisst wurde, ich weiß nicht mehr, was es war, und dass ich in Verdacht geriet. Es wurde schlimmster Druck ausgeübt, dass ich doch zugeben solle, gestohlen zu haben. Das konnte ich natürlich nicht und wurde daraufhin vor den anderen Kindern immer wieder als Dieb hingestellt. Da habe ich gelitten.
Sogar auf der Fahrt zum Bahnhof hieß es noch „Nun gib doch endlich zu, dass du es gestohlen hast!“ Reiner Psychoterror!
War ich froh, als ich wieder zu Hause war, überhaupt nicht „erholt“, sondern traumatisiert.
Aber ich hatte ja meine Zwillingsfreunde Hanni und Christian wieder zum Fußballspielen und bald war die Welt wieder heil für den schmächtigen Armin.
Doch die Erinnerung bleibt.
Aufgezeichnet von Armin Kleinschmidt, geb. 16.3.1950
Ich wurde für 6 Wochen ins Heim nach Brilon geschickt. Die schlimmste Erinnerung beim ersten Aufenthalt war, dass ich und andere Protestanten morgens in der katholischen Kirche permanent knien mussten!
Beim 2. Aufenthalt erinnere ich mich daran, dass ein kleines Kind mehrfach gezwungen wurde das erbrochene Essen wieder aufzuessen!
Als 10jähriger war ich 6 Wochen auf Borkum. Nach wenigen Tagen erkrankte ich an einer Infektion und war mehr als 3 Wochen im Krankenzimmer im Bett!
Mit 12 kam ich ins Heim nach Rottach-Egern, geleitet von einer älteren Nonne. Zwischen 13 und 15 Uhr war Mittagsruhe. Wir mussten still im abgedunkelten Raum in unseren Betten liegen. Wenn das Bett beim umdrehen knarrte, musste der Täter für die restliche Mittagsruhe in der Ecke stehen oder knien! Oft waren Bekannte der Mitarbeiterinnen am Mittag da und aßen auch. So reichte immer wieder das Essen nicht, um alle Kinder satt zu bekommen!
Dies alles berichtete ich meinen Eltern!
Mit 14 sollte ich dann nochmals nach Rottach-Egern. Zuvor wurde ich zu einem vertraulichen Gespräch zum Chef meines Vaters gebeten! Er bat mich Augen und Ohren offen zu halten und ihm nach meiner Rückkehr zu berichten. Dies alles vertraulich und ich sollte im Heim kein Wort dazu sagen! Irgendetwas musste durchgesickert sein, denn im Heim waren sie netter zu mir als 2 Jahre zuvor! Trotzdem gab es wieder viele negative Erlebnisse in den 6 Wochen. Im Prinzip hatte sich für die anderen Kinder nichts positiv verändert!
Nach meiner Rückkehr wurde ich im Beisein meines Vaters und in Anwesenheit zweier anderer Personen über meine Erlebnisse befragt. Wie ich erfuhr, gab es das gleiche Prozedere mit dem Sohn eines Kollegen meines Vaters, der vor mir in der Verschickung war.
Fazit: Das Heim in Rottach-Egern wurde im Hebst 1963 vom Landschaftsverband Rheinland, als zuständiger Träger, geschlossen!
In den späteren Jahren, als viele der Erlebnisse, auch beruflich bedingt, mir wieder in den Sinn kamen, war dies für mich eine besondere Genugtuung!
Als junger Mann war ich mit meiner Frau nochmals in der Region des Tegernsees. Aus dem Kinderheim war ein Hotel geworden!?
Anfang der 60er Jahre wurde ich auf dringendes Anraten meines Kinderarztes zweimal zu sog. Kinderkuren verschickt, da mein Vater starker Asthmatiker war und mir dieses Schicksal unbedingt erspart bleiben sollte. Gut gedacht, aber leider nicht auch gut gemacht! Denn anders als bei heutigen Eltern-Kindkuren, bin ich damals als 3,5 und nochmals als 5-Jähriger, im wahrsten Sinne des Wortes, mutterseelen-alleine ver- bzw. weggeschickt worden. Dabei dürfte ich, als Kind diesen Alters, die jeweiligen sechs Wochen sicherlich als unübersehbaren Zeitraum, eher als endgültige und finale Trennung von meiner Familie und sämtlichem Liebgewonnen empfunden haben.
Seit jeher war ich ein durchaus quirlliges und lebensfrohes Kind und habe mir dies glücklicherweise auch während dieser Leidenszeit nicht ´nehmen lassen´! Dies allerdings mit fatalen Folgen, die meinen Lebensweg bis zum heutigen Tage grundlegend - oder sollte ich zutreffender formulieren - ´grund-nehmend´ beeinflusst und belastet haben!
So erwartete uns damals, nach der radikalen Trennung von unseren Familien vermeindlich allein gelassen, in den Kinderheimen ein rigoroses, ja gnadenloses Regime der sog. `lieben Fräuleins´. Überwiegend Damen mittleren Alters mit fragwürdigstem Hang zu unverantwortlichen, ja menschenverachtenden `Erziehungs´-Methoden.
Da ich mir meine Lebendigkeit trotz allem nicht `aberziehen` lassen wollte, kam es, wie es kommen musste: So war in dem Heim u.a. nach dem Zubettgehen absolute Bettruhe angeordnet! Als in unserem Schlafsaal dennoch einmal leises Getuschel festgestellt wurde, bin prompt ich als `Rädelsführer`ausgemacht worden, was für mich fatale Konsequenzen nach sich ziehen sollte: So wurde ich in der Nacht rigoros aus meinem Bettchen gerissen, durfte fluchtartig nur mein Kopfkissen mitnehmen und musste der `lieben Tante´ barfüßig auf einen kalten, stockdunklen Dachspeicher folgen, innerhalb dessen ich, in einen beengten Holzverschlag gesperrt, auf einer kargen Pritsche mucksmäuschenstill die Nacht verbringen musste.
Mein einziger Halt in dieser ´finsteren Hölle` war mein kleiner Löwe, den ich - streng verbotener Weise - dennoch in meinem Kopfkissen mitgeschmuggelt und an den ich mich in meiner Verzweiflung geklammert habe, so winzig klein dieser auch war. Nur wenige Zentimeter groß, war Leon für mich dennoch der Größte, mein einziger Begleiter durch diese grausame und nicht enden wollende Nacht in meinem hölzernen Verlies.
Nach Rückkehr aus der zweiten Verschickungskur habe ich jahrelang wieder eingenässt und schleichend einen Sprechfehler entwickelt, der mich - mal mehr, mal weniger - bis zum heutigen Tage durch mein gesamtes Leben begleitet.
Glücklicherweise haben meine Eltern schon damals therapeutischen Rat bei einer Familienberatung gesucht, so dass ich die Aufarbeitung meiner traumatischen Erlebnisse dieser `Erholungskuren´aufnehmen konnte. Negativste Prägungen, wie z.B. eine grds. Skepsis hinsichtlich meines Vertrauens in die `Verlässigkeit und eines Gehörtwerdens` von handelnden Personen, kann ich dennoch bis zum heutigen Tage bei mir in Tendenzen immer wieder feststellen.
Aufgrund der erfolgten Aufarbeitung meines Kindheitstraumas liegt mein primäres Augenmerk heute, anders als bei vielen anderen der Verschickungskinder-Initiative ( `www.verschickungsheime.de´ ), nicht mehr auf Selbstreflektion und Aufklärung von Verantwortlichkeiten und der menschenverachtenden Strukturen, sondern vielmehr darauf, Kindern und anderen Schutzbedürftigen eine Stimme zu geben! Darauf, mehr Achtsamkeit auf deren ganz individuellen Erlebniswelten zu lenken, da meines Erachtens nach wie vor Schutzbefohlenen, die ihren Bedürfnissen nicht den entsprechend Aus- bzw. Nachdruck verleihen können, auch heute noch viel zu wenig ´Einfühlung´-svermögen und Achtsamkeit entgegen gebracht wird. Sei es am Anfang des Lebenszylus als Kinder, oder auch an dessen Ende, als hochbetagte Senioren.
Sicherlich geprägt durch meine eigenen Erlebnisse und bestätigt auch während meiner späteren Ausbildung zum Heilpraktiker für Psychotherapie, habe ich mich schon immer vehement für die Bedürfnisse von Kindern eingesetzt, am stärksten natürlich in Bezug auf meine eigene Tochter. Dies übrigens meist belächelt und sogar gegen den Widerstand ihrer eigenen Mutter, denn ´...Kinder kriegen doch noch gar nicht so viel mit`. M.E. eine fatale Fehleinschätzung, und das noch Anfang der 90er.
Obwohl sich mittlerweile Vieles bereits zum Positiven hin ´ent-wickelt´ hat, werden allerdings weiterhin - teils zwar in subtilerer Form - Bedürfnisse von Kindern oft eher nachrangig behandelt, sondern primär das Empfinden, die Einschätzung und die eigene Zielsetzung der Erwachsenen in den Vordergrund gestellt.
Beispielhaft sei hier etwa die lapidar erscheinende Aufforderung angeführt, `...als Kind lieb zu sein und der Oma ein Küsschen zu geben´. Oder auch `....stell Dich nicht so an, andere Kinder üben auch jeden Tag Klavierspielen, gehen zum Tennisclub, lernen Einradfahren`.
Oder, wie gesagt, am anderen Ende des Lebenszyklus, `...na komm, der Opa versteht das sowieso nicht mehr`. Oft vordergründig gar gut gemeint; aber auch gut ge- bzw. bedacht?
Das für mein Empfinden einzig Richtige z.B. an der `Opa`-Aussage ist das `Verstehen`. Denn ´verstehen´ können ganz junge, oder auch hochbetagte Menschen vieles kognitiv wohl tatsächlich noch nicht, bzw. nicht mehr; erleben, empfinden und sehr wohl wahrnehmen allerdings sicherlich Vieles mehr, als uns in unserer oftmals unbedachten, vllt. sogar anmaßenden Sichtweise bewusst sein dürfte.
Zum Wohle v.a. der Kinder wäre es äußerst wünschenswert, wenn sich das Handeln von uns Erwachsenen primär an deren ganz individuellen Bedürfnissen und Erlebniswelten ausrichten würde, und nicht an unseren eigenen Sichtweisen, Einschätzungen und Interessen. Sei es bei der Begleitung während der Findung eines Hobbies, bis hin z.B. auch im Zusammenhang mit Scheidungen, wobei gerade auch in diesen, für Kinder äußerst belastenden Zeiten, viel zu oft Kinder teilweise auch als Werkzeuge der eigenen Empfindlichkeiten der Erwachsenen `missbraucht´, und viel zu wenig deren berechtigte, kindgerechten Bedürfnisse als maßgeblich berücksichtigt werden. Denn nicht nur damals bei den `lieben Tanten´, sondern oftmals auch noch in den heutigen, fraglos aufgeklärteren Zeiten, scheinen Überlegenheit, Manipulation und Macht - ob bewusst, oder unbewusst - weiterhin nicht unwesentliche Triebfedern menschlichen Handelns zu sein. Dies nach wie vor mit teils fatalen Prägungen und Auswirkungen auf so manchem Lebensweg.
Wie heißt es in einem Lied von H.Grönemeyer: ´Kinder an die Macht´. Soweit braucht man/frau ja nicht unbedingt zu gehen, aber ein Mehr an Achtsamkeit, an Verständnis und Einbeziehung, im kindgerechten und bestgemeinten Sinne, wäre meines Erachtens ´Not-wendig´, auch - und immer noch - in unserer fraglos positiv weiterentwickelten Zeit!
Ganz im Sinne der durchaus tiefgründigen Botschaft des Hollywood-Blockbuster Avatar: `Ich sehe Dich! Ich sehe Deine wahre Natur, wer Du wirklich bist`.
Jetzt bin ich bald 74 Jahre und habe das alles nicht vergessen. Schöne Grüße Elfriede
ich war etwa im Frühjahr 1970 auf der Insel Amrum im Sanatorium Dr.Ide auf Amrum. Da war ich 8 Jahre. Ich erinnere mich, das ich während der Zeit Geburtstag hatte. Es war entsetzlich. Das Heimweh, Post von den Eltern war nicht erlaubt. Eines Nachts wurde ich aus dem Bett geholt. Nachdem ich im Dunkeln Ohrfeigen bekam wurde ich mit Bettzeug in den Flur in eine Ecke gestellt und habe dort die Nacht verbringen müssen. Beim Essen musste aufgegessen werden, wenn nicht wurden wir mit dem Gesicht in den Teller gedrückt..! Auf diesem Weg möchte ich Schluss mit der Heimlichkeit machen und mir die Scham nehmen, die ich noch immer habe...! Viele Grüße, Michael
Hallo alle zusammen.
Ich war im Spätherbst 1965 auf der Insel Anrum, Heimleiterin Frau Zillas, Gruppenleiterin Frau
Handschuh, um 7 Uhr 45 war wecken, die Türen der
Schlafsääle wurden geöffnet, und es erklang Musik
eines Mädchenchores, Live oder Band das weiß ic nicht.
Nach dem Wecken mußte ich immer dringend aufs Klo
Pippi machen. Ich durfte immer nur um 8 Uhr, wenn das Gedudel zu Ende war, Dies hielt ich nicht aus und machte öfter ins Bett. Ich bekam Windel an und wurde im Speisesaal vorgeführt und mußte mich in die Ecke stellen. Da ich mich für schlau hielt, krabbelte ich am nächsten Tag unters Bett und verrichtete da meine Notdurft. Mein einziger Halt war in dieser Zeit, es war ein Nachbarsjunge von meiner Heimaf dabei, der 3 -4 Jahre alter war. Ich bin am 03.01.1961 geboren und konnte nach der Kur perfekt Hochdeutsch sprechen.
Es war eine schlimme Zeit als Kleinkind und ich wünsche Niemanden ein solches Erlebnis.
Ich bin auf der Suche nach einem Teil meiner Vergangenheit. 1971 hat man mich, mit 4 Jahren, für 6 Wochen zur Kur geschickt. Ich war in Pelzerhaken. Ich kann mich erinnern, dass mich mein Bruder zum Bahnhof brachte. Dort wurde ich von einer Nonne empfangen, die mich später im Zug anschrie und schüttelte, weil ich weinte....dann erlischt meine Erinnerung komplett.
Meine zahlreichen Psycho Therapien führen mich immer wieder zu der Kur zurück. Vielleicht ist es Zufall und dort war gar nichts. Vielleicht aber auch nicht.
War zufällig jemand auch dort und hat Erinnerungen wie man dort mit Kindern umgegangen ist?
Ich danke euch
auch ich bin ein „gebranntes „ Kind! Mit damals 10 Jahre alt ist mir leider auch nur schreckliches in Erinnerung
6 Wochen Horror in sg. Kurklinik!
Ich habe die teils schlimmen Erlebnisse bis heute nicht
vergessen.
Die Lektüre von Anja Röhls Buch „Das Elend der Verschickungskinder“ hat mich sehr schockiert. Dies lag nicht so sehr in der Kenntnisnahme dessen, was sich in den diversen Heimen abgespielt hat. Das kannte ich großenteils bereits aus eigenem Erleben, denn ich war selbst ein Verschickungskind. Und mir war immer auch sehr präsent, wie die Zustände damals waren. Allerdings war ich bis jetzt der Meinung, ich hätte sozusagen die Arschkarte gezogen und sei unglücklicherweise mit den anderen Kindern in unserem Heim besonders rigiden „Tanten“ in die Hände gefallen, während alle anderen verschickten Kinder fröhlich am Meer geplanscht hätten. Aber nein, diesem mehrwöchigen Martyrium waren unzählige Kinder republikweit und über Jahrzehnte ausgesetzt. Diese Erkenntnis hat den eigentlichen Schock ausgelöst.
Wie sehr sich die Geschichten gleichen, möchte ich gerne auch an meiner verdeutlichen. Ich war im August und September 1960 im Alter von neun Jahren zu einem sechswöchigen Kuraufenthalt in Bad Orb. „Ich war noch niemals in Bad Orb“ kann ich also nicht singen, aber mir ging es wie vielen anderen Verschickungskindern: Sie haben die Schlangengrube fortan gemieden. Es blieb auch bei mir bei dem einen Mal.
Auch bei uns in Bad Orb: Anfahrt mit dem Zug aus ganz Deutschland, nach der Ankunft im Heim Einteilung in Gruppen. In dem Haus, in welchem ich untergebracht war, gab es einen Flur mit etlichen Gruppenräumen für Jungen. In meiner Gruppe waren fünfzehn Jungen im Alter von 7 bis 13 Jahren. Ich erinnere mich noch an einige Namen, allerdings wurden wir von den „Tanten“ in Schwesterntracht mit der Nummer unseres Bettes angesprochen. Ich war die Nummer 9. Die Betten standen u-förmig mit dem Kopfende zur Wand, und in der Mitte stand ein großer Tisch, an dem man in der Freizeit spielen, lesen oder schreiben konnte.
Mehrere Begleitumstände der „Kur“ sind mir noch in unangenehmer Erinnerung, aber zwei Dinge waren besonders schlimm.
1. Unsere Intimsphäre wurde gröblichst verletzt, und zwar ständig.
2. Wir wurden häufig geschlagen bzw. verdroschen.
Und die „Tanten“ wussten auch beides geschickt zu kombinieren: Schläge gab es meist mit dem Hausschuh auf den nackten Hintern. Abends wurden wir – 15 Jungs, wie gesagt – gezwungen, uns nackt vor den Waschbecken stehend zu waschen. Und es war auch immer eine „Tante“ zugegen, die das überwacht hat. Unser Ältester, Christian aus Berlin, kam mit einem Tag Verspätung und hat einen Versuch gemacht, die Hosenbeine seiner Schlafanzugshose nur nach oben zu schlagen, er wurde aber gezwungen, diese auszuziehen. Ich habe mich selbst sehr geschämt, fand aber die Zumutung für ihn noch einmal größer. Er hatte bereits Schamhaare, und die hauptsächlich für uns zuständige „Tante“ Beate war gerade mal 19 Jahre alt, wenn ich mich recht erinnere.
Überhaupt: Entblößen war Programm, nicht nur beim abendlichen Waschen. Dreimal wöchentlich war Badekur, das hieß, wir wurden für 20 Minuten in eine lauwarme, unangenehm riechende, pissgelbe Brühe gesetzt. Wir wurden auch mehrfach (unbekleidet) in der Woche gewogen. Und schließlich wurde zweimal (oder dreimal?) täglich bei völlig gesunden Kindern Fieber gemessen. Dies geschah rektal. Ein Novum für mich. Zu Hause haben wir Fieber immer unter dem Arm gemessen.
Wann wurden wir geschlagen? Bei Regelverletzungen aller Art, und die Regeln waren strikt. Von 13 bis 15 Uhr war Mittagsruhe, ab 20 Uhr Nachtruhe. Beides wurde streng kontrolliert. Die Türen der Gruppenräume blieben geöffnet und eine „Tante“ patroullierte auf und ab, um sicherzustellen, dass absolute Ruhe herrschte. Wurde jemand beim Reden erwischt oder war erkennbar, dass er nicht schlief, konnte dies bedeuten, dass man in der beschriebenen Weise bestraft wurde. Also, auf den Bauch drehen, Hose runter…
Mir ist das tatsächlich mehrfach passiert, denn Ich war ein unruhiger Geist, aber definitiv nicht boshaft. Einmal wurde ich auch nachts allein auf den Flur gesetzt als Strafe. Wie lange ich dort saß, weiß ich nicht mehr. Irgendwann sah mich eine für die Nachtstunden zuständige „Tante“ in der Dunkelheit sitzen, erschrak und schickte mich wieder ins Bett. Ich war allerdings nicht nur unruhig, sondern wohl auch ein bisschen verträumt, denn mein Spitzname unter den Jungs meines Zimmers war „Schlafhaub“‘, und einmal fing ich eine kräftige Ohrfeige von Tante Beate, weil sie mir offenbar angesehen hatte, dass ich ihren Ausführungen nicht mit der gebotenen Aufmerksamkeit gefolgt war. Auch an diesen Schlag erinnere ich mich noch lebhaft.
Die schlimmste Erfahrung im Zusammenhang mit Prügelstrafen war aber die folgende: Ein Junge in unserem Zimmer, offenbar ein noch unruhigerer Geist als ich, war „Tante“ Beate wohl besonders unangenehm aufgefallen. Sie entschied daher, dass der betreffende Junge „Gruppendresche“ erhalten würde. Jeder durfte mal zuschlagen, natürlich auf den nackten Hintern. Sehr bildhaft steht mir vor Augen, dass mein Stubenkamerad Frieder der Aufforderung, da mitzutun, nicht Folge leistete, sondern nur den Kopf schüttelte. Ich selbst habe mich dem Gruppenzwang unterworfen und dem armen Kerl auch mit dem Hausschuh eine verpasst. Ich hätte es besser wissen können. Im Kindergottesdienst wurde durchaus vermittelt, dass man seinen Nächsten lieben und ihn nicht piesacken soll. Aber obwohl ich das Empfinden hatte, dass Frieder mit seinem Verhalten eigentlich richtig lag und ich auch selbst nur zu gut wusste, wie sich Schläge mit dem Hausschuh auf den nackten Hintern anfühlen, bin ich dennoch mit dem Strom geschwommen. Das war der unangenehmste Moment der sechswöchigen „Kur“.
Er ist mir im Lauf meines Lebens immer wieder sehr plastisch vor Augen getreten. Einmal war das während meines Studiums, als ich zum ersten Mal den Film über das Milgram-Experiment („Abraham“) sah, in welchem sich in einer Versuchsreihe ein Proband weigert, mit der Bestrafung fortzufahren, die übrigen sich aber daran kein Beispiel nehmen. Äußerst unangenehm war das für mich, hier mein eigenes Verhalten von damals gespiegelt zu bekommen.
Vor etwa zehn Jahren hatte ich die Idee, nach Frieder zu suchen, zumal er neben seinem eher ungewöhnlichen Vornamen auch einen ungewöhnlichen Nachnamen hatte. Nach wenigen Momenten legte mir meine Frau eine Telefonnummer hin, und nach einer weiteren kurzen Frist meldete sich eine Frauenstimme am anderen Ende. Ich sagte, ich wisse nicht, ob ich richtig sei, aber die von mir gesuchte Person müsse etwa 58 Jahre alt sein. „Ja, da sind Sie richtig. Ich gebe Ihnen mal meinen Mann“, antwortete die Dame am anderen Ende der Leitung. Es entwickelte sich dann ein sehr nettes Gespräch mit Frieder. Ihm waren die sechs Wochen in Bad Orb auch noch präsent, er hatte sie aber nicht so negativ in Erinnerung wie ich. Auch an die besagte Episode erinnerte er sich nicht. „Tante“ Beate habe ihm sogar mal, vermutlich wegen eines Sonnenbrands, die Schultern eingecremt. Wir haben dann vereinbart, wir sollten versuchen, auch andere Jungs aus unserer Gruppe ausfindig zu machen. Leider ist es dann dabei geblieben. Vielleicht mache ich jetzt einen Versuch.
Der malträtierte Junge hat übrigens einige Tage später noch einen „Nachschlag“ bekommen. Als wir Briefe an die Eltern schrieben, hat er berichtet, er sei verhauen worden und sein Hintern sei jetzt grün und blau. Das ging natürlich nicht durch „Tante“ Beates Zensur, wie andernorts war es bei uns streng verboten, etwas Negatives nach Hause schreiben. Sie hat den Brief vor seinen Augen zerrissen, und er durfte von vorne anfangen. Auch diesmal brach er in Tränen aus, denn er war mit seinen sieben Jahren erneut für eine Weile schreibend an den Tisch gefesselt.
Gab es auch Positives? Der Tagesablauf war ganz stark reglementiert. Mittagsschlaf, Bettruhe, Fieber messen, Wannenbäder, Gewichtskontrolle, Andachten, Spaziergänge in Zweierreihen und der Zwang, bei den Mahlzeiten den Teller leer zu essen, waren schon sehr unangenehm. Ich kann mich aber nicht erinnern, dass sich ein Kind bei Tisch übergeben hätte und dann gezwungen worden wäre, das Erbrochene aufzuessen, wie es in zahlreichen Berichten zu lesen ist. Grießbrei, Zucker und Zimt waren definitiv keine Gegner für mich. Dennoch: Es ist mir bisweilen schwergefallen, den Teller zu leeren, obwohl es auch zu Hause üblich war, zu essen, was der Herr Jesus bescheret hatte. Unangenehm in Erinnerung ist mir das Sauerkraut, damals eigentlich mein Lieblingsgemüse, was aber mit Kümmel kontaminiert war und damit für mich ungenießbar. Auch Nudeln mit Kompott fand ich sehr gewöhnungsbedürftig. Mein Wunsch, beides getrennt essen zu dürfen, wurde rundweg abgelehnt. Die beiden genannten Mahlzeiten bei mir zu behalten, stellte dann nach meiner Erinnerung schon eine Herausforderung dar. Überhaupt fällt mir jetzt nach der Lektüre der „Verschickungskinder“ auf, dass der Herr Jesus auch in Bad Orb vermehrt zucker- und weißmehlhaltige Speisen bescheret hat, damit dort ebenfalls die Rendite stimmte.
Daran, dass Toilettengänge stark reglementiert gewesen seien, kann ich mich nicht erinnern. Ich weiß noch, dass bei einigen Jungs meiner Gruppe Gummimatten auf die Matratze gelegt worden sind, aber das geschah relativ diskret und ohne die Betreffenden bloßzustellen. Nur einmal war es für mich sehr unangenehm. Nach dem Mittagsschlaf musste ich dringend auf die Toilette. Das wurde mir nicht gestattet. Denn erst musste ja – wie immer völlig sinnfrei - Fieber gemessen werden. Das Thermometer war dann sichtbar verschmutzt mit Kot, wofür ich mich sehr geschämt habe.
Welche Freizeitaktivitäten gab es? Wir sind zweimal täglich spazieren gegangen. Das konnte eine langweilige Runde im Kurpark sein, aber manchmal gab es auch längere Ausflüge. Bisweilen haben wir Rindenstücke gesammelt, aus denen wir Schiffchen gebastelt haben. Und mindestens zweimal haben wir Pilze gesucht, die dann von der Küche verarbeitet wurden. Was ich in diesem Zusammenhang über Röhrenpilze gelernt habe, hilft mir heute noch bei der Pilzsuche. Immerhin.
Noch ein Wort zur Gesangskultur, begleitet von einer „Tante“ auf dem Akkordeon. Wir Jungs haben gerne einen damals aktuellen Schlager gesungen: „Charlie Brown, der ist ein Clown!“ Er gehörte allerdings nicht zum offiziellen Repertoire. Stattdessen gab es den üblichen Singsang, oft recht martialischen Inhalts („Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord“, „Die einen wünschten ihn zu braten, die andern ihn, ihn, ihn als Frikassee, ohe ohe!“, „Das linke Auge fehlte, das rechte war poliert, aber dennoch hat sich Bolle ganz köstlich amüsiert!“).
Tante Beate hat mir einmal für einen Brief an meinen Vater zu seinem Geburtstag etwas basteln helfen, allerdings nicht ohne mich dann den Satz schreiben zu lassen: Das hat Tante Beate gebastelt! Das gute Stück existiert noch in einem Briefkonvolut unserer Familie. Tante Beate hat uns auch mal ein Foto ihres Freundes gezeigt. Es war dies ein gutaussehender junger Mann mit Namen Freddy. Eines Abends hat sie uns informiert, dass sie Freddy heimlich zu treffen wünsche und wir, wenn wir gefragt würden, sagen sollten, wir wüssten nicht, wo sie sei. Ich erinnere mich noch, wie sie ihr an unseren Gruppenraum angrenzendes Zimmer verließ, „lieblich schleichend“, wie Thomas Mann formuliert hätte. Ihren Hintern hatte sie in eine hautenge Jeans verpackt. Später dachte ich in Erinnerung dieser Szene, dass „Tante“ Beate für den feuchtfröhlichen Abend mit Freddy vielleicht mit den nackten Buben vorher ein wenig vorgeglüht hat. Aber das ist Spekulation.
Die Obertante, eine dicke Mamsell mit lautem Organ und großem Vorbau, ist „Tante“ Beate aber dann, wie wir mitbekommen haben, auf die „Schliche“ gekommen, weshalb sie am folgenden Tag ein wenig sediert gewirkt hat.
Der Kuraufenthalt fand seinen Abschluss in einer Theateraufführung für alle Anwesenden durch ältere Jungen. Es wurde der „Doktor Allwissend“ gegeben nach den Brüdern Grimm. Das war definitiv nicht schlecht gemacht, auch die Botschaft des Märchens ist ja in Ordnung. Die Jungs hatten zudem viel Text gelernt. Allerdings waren die allermeisten Jungs dem Märchenalter bereits entwachsen, so dass wir das damals doch als ein etwas kindisches Spektakel empfanden. Zur Lektüre in unserer Gruppe gehörten Fußballgeschichten und Astrid Lindgren, wie ich mich noch erinnere, Märchen waren passé. Wahrscheinlich endete unser Kuraufenthalt auch deshalb so, damit wir am nächsten Tag zu Hause was Nettes zu erzählen hatten.
Nach meiner Rückkehr habe ich aber wenig erzählt. Aus heutiger Sicht erscheint das unbegreiflich. Man muss sich aber klarmachen, dass in dieser Zeit in vielen Elternhäusern und den meisten Erziehungseinrichtungen noch geschlagen wurde und ein strenges Regiment herrschte. Sowohl in der Grundschule als auch in den ersten Jahren auf der weiterführenden Schule gab es körperliche Züchtigungen. Ich habe das so weit als normal empfunden. Aber an das Gefühl der wiedergewonnenen Freiheit nach sechs Wochen „Kur“ erinnere ich mich noch ganz deutlich.
Nachdem mein Opa an Tbc verstorben war wurde bei mir, im Rahmen einer Reihenuntersuchung, ein Schatten auf der Lunge festgestellt. Ich wurde also zu einem 6-wöchigen Aufenthalt nach Berchtesgaden geschickt (was den Namen der Einrichtung betrifft bin ich mir nicht ganz sicher wie der korrekte Name war). Aus den vorgehsehenen 6 Wochen wurden am Ende 10 Monate!! Meine Eltern bekamen in regelmäßigen Abständen kurze Notizen mit dem Wortlaut "Ihrer Tochter geht es gut aber aus gesundheitlichen Gründen ist eine Verlängerung des Aufenthaltes erforderlich.." manchmal hieß es auch "Ihrem Sohn..."
Kann mich auch dran erinnern dass, falls man das Essen mal nicht drinnen behalten hatte (mehr Fett- als Fleischbrocken im Bohneneintopf), der Tisch abgewischt wurde und man musste das Essen fortsetzen. Honig (gab es fast jeden Morgen, so verklumpt und zuckrig) kann ich bis heute nach all den Jahren weder essen noch riechen.
Was viel schlimmer war, ist, dass ich 10 Monate lang weder Mutter noch Vater (und meinen kleineren Bruder) zu Gesicht bekommen habe. Meine Mutter hat mir regelmäßig Päckchen geschickt, aber alles was an Lebensmitteln geschickt wurde, wurde unter den anderen Kindern mit aufgeteilt. Ich durfte das Paket auspacken und dann wurde es mir weggenommen und mir wurde die Hand geführt beim Schreiben der Dankeskarte. Als ich nach 10 Monaten nach Hause entlassen wurde, habe ich bei der Abholung meine Mutter nicht mehr erkannt (man hatte mir erzählt eine Tante würde mich abholen), im Zug habe ich ununterbrochen die eingetrichterten Lieder gesungen und zuhause habe ich meinem Vater ins Ohr geflüstert "Darf ich bitte mal aufs Klo gehen"..
Ich bin extrem harmoniesüchtig und versuche es jedem Recht zu machen und auf keinen Fall irgendwo anzuecken und weiß dass diese 10 Monate mich fürs Leben geprägt haben!
Meine Mutter wollte mir etwas Gutes tun und wandte sich an die Barmer Ersatzkrankenkasse, weil ich zu dünn war. Sie war selbst im Krieg mit ihrer Schwester für ein Jahr von Schleswig-Holstein nach Bayern verschickt worden und hatte daher keine Bedenken, mich für die 6 Wochen ins Sauerland zu schicken. Im Ergebnis kam ich zwar mit Pausbäckchen wieder nach Hause (heutzutage überhaupt nicht mehr erstrebenswert), der Weg dahin bestand jedoch aus Zwang und Psychoterror. Alles aufessen zu müssen, selbst wann man, wie ich, keine Milch mochte – Milchsuppen, Kakao mit dicker Haut, ekligen Quark. Vorher durfte man nicht vom Tisch aufstehen! Das war für mich wirklich schlimm. Es gab auch Kinder, die abnehmen sollten, diese durften nur hungrig zuschauen, wenn es doch mal Bratkartoffeln gab. Sehr pädagogisch. Dazu die merkwürdigen „Kuren“: Apfelessigkur, Honig aus einem Riesentopf (ich dachte wenigstens, es sei echter Honig, in den Berichten hier wurde auch schon Kunsthonig erwähnt), dazu die Algenkur mit den widerlichen Tabletten, die ich aber nicht einnahm, sondern sammelte und beim morgendlichen Zwangsdauerlauf heimlich im Wald verteilte. Überhaupt der Dauerlauf vor dem Frühstück: wenn die Luft im Frühjahr oder im Herbst feucht-kalt ist und nach Waldboden riecht, fühle ich mich immer noch sofort zurückversetzt; Proust lässt grüßen … die Erinnerung ist aber alles andere als angenehm. Hatte man im Schlafsaal geredet, so wurde man aus dem Bett geholt und musste erst mal im Nachthemd im kalten Speisesaal sitzen, bevor man irgendwann wieder nach oben durfte. Gut erinnern kann ich mich an die Heimleiterin mit dem grauen Dutt, wie sie uns zum Wassersparen auf dem Klo anhielt: “ein Tropfen Pippi, neun Liter Wasser“, wir sollten nicht ziehen. Mit dem Ergebnis, dass die Toiletten verstopften. Das alles führte dazu, dass ich einen Brief nach Hause schrieb und erzählte, wie unglücklich ich dort war. Meine Mutter hat diesen Brief übrigens lange Jahre aufbewahrt und hat ihn, glaube ich, immer noch. Im Brief hatte ich noch explizit darauf hingewiesen, dass meine Mutter sich bloß nicht an die Heimleitung wenden sollte, ich befürchtete Repressalien. Und so kam es dann leider auch, ich wurde vor allen anderen, nach meiner Erinnerung im Schlafsaal, vorgeführt. Die Heimleiterin kam wütend mit dem Brief wedelnd in den Raum und las meinen O-Ton daraus vor (meine Mutter hatte wohl eine Kopie beigefügt) und machte mich dabei total lächerlich. Keine meiner Mitleidenden hat sich natürlich für mich eingesetzt, bei diesem Drachen hätte das womöglich Konsequenzen gehabt und das verstand ich schon damals. Ich glaube wirklich, das war der schlimmste Moment in meinem Leben, bis zu dem Zeitpunkt auf jeden Fall. Irgendwann dann hatte die Heimleiterin andere Kinder im Visier und ich konnte mich erleichtert in die Anonymität zurückziehen. Das einzige schöne Erlebnis möchte ich der Vollständigkeit halber nicht unterschlagen: wir haben die Karl-May-Festspiele in Elspe besucht und ich habe Pierre Brice als Winnetou erleben dürfen. Ansonsten mussten wir unser Geld wie hier schon geschildert bei einem Basar ausgeben, wo wir unter Druck gesetzt wurden, angebliche Arbeiten aus Entwicklungsländern zu kaufen. Die Cord-Stofftiere – einen Fuchs und einen Hund, meine ich – habe ich noch jahrelang aufbewahrt.
Eigentlich dachte ich, darüber hinweg zu sein, aber nachdem ich vorhin einen Beitrag im Deutschlandfunk über eine dies betreffende Initiative und geschilderte Schicksale hörte, konnte ich erstmal eine ganze Weile nicht aufhören zu weinen.
Im Alter von neun oder zehn Jahren wurde ich wg. Atemwegserkrankungen in das "Krankenhaus Schöneberg", in Wyk auf Föhr, verschickt; das war ca. 1963/64 und hatte nachhaltigen Einfluß auf meine seelische Gesundheit. Erst eine achtjährige Psychoanalyse, vor 20 Jahren beendet, brachte einiges ans Licht und konnte mir meine Albträume von leeren, gefliesten, dunklen, kalten Räumen nehmen - allerdings bekomme ich noch heute grausende Beklemmungen, wenn ich kalte Waschräume mit aneinandergereihten Becken und Wasserhähnen sehe.
Das Ausgeliefertsein war eigentlich das Schlimmste. Die eigenen Eltern, die eigentlich dazu da sind, uns als ihre Kinder zu beschützen, konnten dies nicht tun, denn Briefe an sie wurden zensiert; ich weiß noch nicht mal, ob sie die überhaupt bekamen. Mir wurde tatsächlich mitgeteilt, daß zensiert wird und Negatives nicht hinausgelangt. Päckchen von daheim wurden nur in geöffnetem Zustand übergeben und jede Mittags- oder Nachtruhe hatte in absoluter Stille zu geschehen.
Mein erstes Aufbegehren äußerte sich darin, daß ich - keine Katholikin! - im Bett kniend vorgab zu beten (ich wollte einfach nur irgendwas machen), in der Annahme, das religiöses Verhalten respektiert würde - was ein Trugschluß war und ich angewiesen wurde, daß man auch im Liegen Beten könne.
Meine zweite Auflehnung bestand in einem Streich: jeweils Samstagabends wurden die, sich vor den Betten befindlichen, Hocker mit neuer Unterwäsche bestückt. In meinem Zimmer schliefen, glaube ich, sechs oder sieben Mädchen unterschiedlichsten Alters. Sehr früh morgens wachte ich auf und vertauschte heimlich die Wäschestapel, wurde aber von einer kleinen Kröte dabei beobachtet und - als nach dem Aufwachen das Chaos perfekt war und keine mehr sein Leibchen gefunden hatte - von ebendieser Kröte verpetzt. Schwester Luitgard hieß die knochentrockene, autoritäre und gefühllose Person, die mit ihrer Bestrafungsentscheidung für dieses schwere Vergehen, für Jahrzehnte von Albträumen verantwortlich ist: dunkle, kalte, geflieste Räume, unendlich in ihrer Ausdehnung - furchteinflößende Leere! Ich wurde verdonnert in einem Waschraum ohne Licht, auf einer Holzbank zu nächtigen; ob ich eine Decke bekam, weiß ich nicht mehr.
Weniger bedrohlich, aber ebenso erinnerungsnachhaltig, war das Frühstück dort: es gab jeden Tag Marmeladenstulle und Sonntags Stulle mit Pflaumenmus. Ich brauche nicht zu erwähnen, daß ich bis heute keine Marmeladenbrote esse.
Nach Ende des Martyriums holte mich mein Vater vom Busbahnhof ab; eigentlich habe ich kaum vollständige Erinnerung an diesen Abend, aber ich weiß, daß ich sofort im Auto heftig anfing zu weinen. Auch vom Nachhausekommen habe ich keine verläßliche Erinnerung - alles nur diffus und von Betroffenheit geprägt, so glaube ich wenigstens.
Nach dem Aufkommen des inzwischen allgemeingebräuchlichen Internets Ende der 1990er Jahre, machte ich mich auf die Suche nach Schwester Luitgard - und - ganz ehrlich - ich weiß nicht, was ich unternommen hätte, wäre ich fündig geworden - ist vermutlich auch besser so.
Ich wünsche allen von Ihnen, die ähnliches erlebten: weinen Sie es sich von der Seele. Auch wenn wir wissen, daß es etliche gibt, die diese Pein erlebten - jeder Schmerz ist neu und einzig, und es ist gut diesen mit anderen teilen zu können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herzlicher Gruß
Gabriele Diebel
Ich war als noch fünfjährige, 6 Wochen im Barmer Haus auf Wyk auf Föhr in Asthma Kur.
Die Anreise habe ich in Erinnerung, das dort Versprochen wurde, ich dürfe sofort zurück, wenn es mir nicht gefällt.es war eine lange Anreise. Zum Abend kamen wir im Haus an. Es gefiel mir nicht. ich wollte sofort wieder nach Hause. Das hat natürlich nicht geklappt, stattdessen gab es Abendessen und in Reih und Glied ein Stück Würfelzucker mit bitteren Tropfen, für jeden. Bisher bin ich von Hustenstiller (Codein) ausgegangen. Nach dem Fernsehbericht bin ich da nicht mehr so sicher. Die eventuelle Tatsache, an Medikamentenexperimenten teilgenommen zu haben, hat mich tief schockiert.
Ich bin seit 25 Jahren Schmerzpatient, ohne wirkliche Hilfe. gibt es da einen Zusammenhang?
Ich erinnere nicht die komplette Zeit. Es war über Karneval. Daran habe ich nicht teilgenommen, da ich die Windpocken von zu Hause mit ins Kurheim gebracht hatte. Ich schätze 3 Wochen war ich ziemlich alleine auf der Krankenstation isoliert. Die Zeit war auch ganz in Ordnung. Danach aber zurück, ließ man mich spüren, was sie davon gehalten haben, das ich so Viele angesteckt hatte. Meine Station und mein Zimmer war relativ leer. Ich war nicht mit am Strand, kein Karneval. Nachts durften wir nicht auf die Toilette.
Es gab eine große Treppe mit massiven, blickdichten Treppengeländer. Die bin ich Nachts zur Toilette heruntergeschlichen. Reden im Zimmer war nicht erlaubt. Eine Nacht haben die zwei Anderen gequatscht und gekichert. Ich war nicht beteiligt. Als die Aufsicht reinstürmte, wurde es mir in die Schuhe geschoben. Ich wurde äußerst unsanft aus dem Bett gezerrt. Wurde über den Flur gestoßen. Immer wenn ich versuchte wieder aufzustehen, bin ich mit Fußtritten zurück auf den Boden geschickt worden. In dieser Manier ging es bis zu einem abgelegenen Einzelzimmer weiter. Dort musste ich die Nacht alleine, körperlich misshandelt, in einem Bett voller kleiner, spitzer Legosteine verbringen.
Ich durfte die Steine nicht raus legen und auch nicht daneben liegen. Man machte mir brüllend und drohend klar, das ich zur Strafe auf den Steinen zu schlafen habe.
Eine weitere Erinnerung ist in dem Wellenbad von Wyk.
Ich konnte mit 5 Jahren schon einigermaßen gut schwimmen. Ich erinnere mich, ganz alleine und ohne Aufsicht oder Begleitung zu sein. Was sicher nur meine Wahrnehmung war. Der Hupton für die nahenden Wellen erklang, und ich schaffte es nicht schnell genug in seichteres Wasser. Ich drohte zu ertrinken, hatte Panik und schon aufgegeben, als ein nettes älteres Ehepaar mich griff und zum Beckenrand brachte. die Beiden waren sehr um mich bemüht, und mir war bewußt, das ich ohne sie ertrunken wäre. keine Ahnung wo jemand von der Kur war.
Wie ich nach Hause gekommen bin, weiß ich nicht mehr. Warum mir zu Hause keiner glaubte, weiß ich auch nicht. Danach hatte ich ein nächtliches Problem mit häufigen auf Toilette müssen. So stark, das mein Vater mir Nachts auch den "Toiletten-Gang " verbot.
Nach der Kur bin ich durch exzessives Lügen aufgefallen. Alles was Strafen hätte nach sich ziehen können, wurde mit lügen versucht, abzubiegen.
Bis zur Kur war ich ein selbstbewusstes Mädchen, kurz nach der Kur, hatte ich meine ersten Missbrauchserfahrungen, die mich seit dem mein Lebenlang begleiten. Das ist ein Puzzelteil meines Lebens, das plötzlich passt und Sinn ergibt. Ich bin überzeugt, das die Erfahrung in dieser Kur ursächlich ist, für meine Missbräuche. Wenn meine chronischen Schmerzen psychosomatischen Ursprungs sind, ist es eine weitere Erklärung ,die plötzlich passt. Oder sind meine Ärzte ratlos, weil Spätfolgen der Medikamentenexperimente keiner berücksichtigt?
Ich bin auf jeden Fall froh, durch diesen Fernsehbericht ein wenig mehr zu verstehen, warum einige Dinge in meinem Leben sind, wie sie sind.
Nun, es war eine harte und qualvolle Zeit, nichts Schlimmeres dabei, als all die anderen hier berichten.
Zweimal konnten meine Eltern zu Besuch kommen. Der muntere und aufgeweckte Knabe, den sie dort abgegeben hatten, hatte sich in ein menschliches Häufchen Elend verwandelt. Sie waren so schockiert, dass sie alle Hebel in Bewegung setzten, mich vorzeitig aus den Fängen der Heimleiterin und ihrere Truppe zu befreien.
Glücklicherweise konnte ich dann bereits nach zehn Wochen wieder zurück nach hause.
Dennoch - gezeichnet für das ganze weitere Leben.
Hier war es üblich, Kinder zu schlagen, die gegen die Hausordnung verstießen. Dazu zählte auch das Einnässen ins Bett. Ich erinnere mich daran, dass ein Zwillingspaar jeden Tag "dran" war. Wir Kinder hingen dann an der Heizung, die war so gebaut, dass man Geräusche aus anderen Zimmern deutlich hören konnte. Mittlerweile bin ich sicher, dass das Zuhören gewollt war, weil es die Angst vor dem "Herbergsvater" (der nannte sich tatsächlich so) verstärkte und wir demzufolge besser "parierten". Ich habe vor lauter Angst mal eingekotet und hatte das Glück, dass meine Betreuerin so viel Verständnis aufbrachte, dass sie mir half, alles zu reinigen und vor allem, machte sie keine Meldung. Von da an war ich weniger verängstigt.
Ich war mit einem meiner Brüder da, der Kontakt zu ihm wurde in den ersten Wochen konsequent unterbunden, "damit das Heimweh schneller weggeht". Wir durften uns nicht treffen, das fand ich richtig schrecklich.
Jeden Nachmittag wanderte der Lebertranlöffel von Mund und Mund. In der 2. Woche begann ich schon in Erwartung dieser ekligen Masse zu würgen und habe dann die Marmeladenbrote mit meiner lebertrangetränkten Spucke überzogen, da war richtig was los, ich wurde vor den Teller gesetzt und sollte alle Brote aufessen und bekam zur Strafe kein Abendessen.
Über unsere Erlebnisse haben wir unseren Eltern nach der "Kur" berichtet, auf diese Weise bliebt unserem jüngeren Bruder ein Aufenthalt erspart.
Ich war mit 9 Jahren 6 Wochen in Berchtesgaden im Marta Hübner Haus. Wir hatten für 6 Wochen nur eine Unterhose, wurden in gute und böse Kinder unterteilt, wurden nachts im Wald in einen dunklen Holzschuppen eingesperrt, Essen wurde über den Kopf geschüttet und Post wurde kontrolliert und und und. Am Ende der „Kinderkur“ war ich voller Ekszeme und krank. Körperlich und seelisch. Es war die Ruhr ausgebrochen und einige Kinder sind glaube ich sogar verstorben. Noch heute leide ich, auch nach der Psychotherapie unter diesen traumatischen Erlebnissen.
Da gibt es Gruppenfoto's, traurige Kinderblicke, und noch andere Foto's die ich jetzt erst zuordnen kann.
Ich sah nicht so aus als hätte ich zu wenig Gewicht, war auch nicht oft krank.
Vielleicht gab es auch andere Gründe, weshalb wir zur Kur geschickt wurden.
Ich hatte im Sommer 1973 einen schweren Verkehrsunfall, das ich deswegen zur "Erholung" in die Kur geschickt worden bin.
Jedenfalls war ich zusammen mit meinem Bruder da. Er war gerade 3Jahre, und ich 4Jahre alt.
Einige Bilder/Erinnerungen habe ich noch im Kopf. Wie die Hirschstatue im Park, der Kamin, die dunkle Holztreppe, und das knarksen der Dielen.
Vor der Nachtruhe mussten wir Kinder uns in Unterwäsche, alle in einer Reihe stellen, unsere Schlüpfer runter ziehen, die auf Sauberkeit kontrolliert wurden. War der Schlüpfer nicht sauber wurden wir bestraft... WIR WAREN DOCH KINDER...
Ich wollte nicht das mein Bruder bestraft wird?. Irgendwie schaffte ich es, sein Schlüpfer vorher zu wechseln, und die schmutzigen versteckte ich, hinter Schränke, unter Matratzen. Ob ich dabei vielleicht mal erwischt wurde, oder ob sie die während unseren Aufenthalt doch noch gefunden haben, das weiß ich nicht mehr.
Ich sah in den Medien wie über Kurkinder berichtet wurde, recherchierte im Internet-Monate lang.
Auf der Suche nach jemanden der/die auch in Krumke gewesen sein könnte.
Nun freue ich mich, gleich 4 Frauen gefunden zu haben?.
Vielen Dank, das es die Möglichkeit gibt sich mitzuteilen?.
für 6 Wochen im Kinderheim St.Elisabeth in Berchtesgaden-Schönau. Ich sollte zunehmen, obwohl ich durchaus normalgewichtig war. Dementsprechend hatte das Essen eine große Bedeutung. Es musste IMMER ALLES aufgegessen werden, egal, wie groß die Abneigung, der Widerwille oder der EKEL auch war. Wenn ich mich dann übergeben hatte, musste das Erbrochene eben mitgegessen werden. Schreckliche Szenen haben sich dort abgespielt, sowohl bei mir als auch bei anderen. Letztlich habe ich in den 6 Wochen abgenommen. An die Postzensur erinnere ich mich noch gut. Alles, was man schrieb, wurde kontrolliert und ggf auch zensiert, selbst leichte Kritik wurde nicht geduldet. Die "Schwestern" kannten kein Pardon. Auf diesem Weg konnte man die Verhältnisse also nicht nach draußen tragen. An eine Beschränkung der Toilettengänge kann ich mich nicht erinnern, aber ich konnte schon damals sehr gut "einhalten", weshalb ich vielleicht keine Probleme damit hatte. Die schlimmste Erinnerung betrifft einen 14-jährigen Jungen, der mich während der gesamten Zeit drangsaliert und gequält hat, auch körperlich. Er war erheblich größer und stärker als ich und ich fühlte mich ihm völlig ausgeliefert. Von den Betreuerinnen habe ich keinerlei Hilfe erhalten. Das war eine tief negative Erfahrung. Die letzte Zeit dort verbrachte ich auf der Krankenstation, weil ich mich mit Röteln infiziert hatte und isoliert werden musste. Zum Glück blieb dies meine einzige "Verschickung". Ob und wie ich meinen Eltern von meinen Erlebnissen erzählt habe, weiß ich leider nicht mehr.
Ich bin sehr froh, dass es diese Initiative gibt und die schlimmen Erfahrungen endlich öffentlich gemacht werden. Auch wenn manches schon lange zurück liegt und es keine wirkliche Wiedergutmachung geben kann, darf nichts unversucht bleiben, um diese unrühmliche Vergangenheit aufzuarbeiten und die Verantwortlichen - sofern noch möglich - zur Rechenschaft zu ziehen.
Erholungsheim und Indikationen
Ich war 4 Jahre alt und wurde im Nov/Dez 1971 für 6 Wochen von Herford (NRW) aus in ein Kindererholungsheim der Inneren Mission nach Rehe/Rennerod in den Westerwald (Rheinland-Pfalz) verschickt. Laut der Heimliste von Sepp Folberth (1964) wurden in diesem Kindererholungsheim 40 Kinder im Alter von 5-14 Jahren aufgenommen sowie 105 Jugendliche ab 14 Jahren. Die Jugendlichen wurden in einem nahegelegenen Haus auf demselben Gelände untergebracht.
Ich entsprach mit meinen 4 Jahren also altersmäßig nicht der Aufnahmeanforderung. Ich kann mich nicht daran erinnern, ein anderes Kind in meinem Alter während meines Aufenthaltes dort gesehen zu haben. Von meinem persönlichen Empfinden ausgehend, hatte ich den Eindruck, dass ich mit Abstand das jüngste und körperlich gesehen, auch das schwächste Kind war. Ich sollte zunehmen, war aber nicht bedrohlich untergewichtig. Ich hatte noch kein Zeitgefühl, konnte mich nicht verorten und auch nicht den riesigen und weit abgelegenen Heimgebäudekomplex überblicken. Ich fühlte mich von Anfang an verloren, einsam und heimatlos - von meiner Familie abrupt abgeschnitten, was für mich als Vierjährige nicht nachvollziehbarer war und einen völlig unvorhersehbaren Bindungsabbruch bedeutete.
Ich wurde zusammen mit meinem Nachbarsjungen, der damals „schon“ 5 Jahre alt war, verschickt. Ich sah ihn aber nur einmal in den ganzen 6 Wochen wieder, da wir schon im Zug getrennt wurden und er in der abgetrennten Jungenabteilung, in einen anderen Haus untergebracht wurde.
Reise:
An die weitere Hinfahrt im Zug kann ich mich nicht mehr erinnern. Wer uns begleitet hat oder ob es etwas zu Essen gab. An die Rückfahrt schon eher, weil mir diese endlos lang vorkam. Ich trug eine karierte Stoffwollhose, die sehr kratzig war und auch nicht sauber. Ich hatte mir Tage zuvor in die Hose uriniert. Gefühlt war es die einzige Hose, die ich dabei hatte. Sie scheuerte furchtbar zwischen den Beinen, es fühlte sich wund, heiß und beschämend „schmutzig“ an. Während der Rückfahrt hatte ich diffuse Gefühle von Angst , Scham und Schuld. Angst, weil ich nicht wusste, ob es wirklich nach Hause ging und Scham, weil ich meine Unbedarfheit und irgendwie auch meine Unschuld als Kind verloren hatte. Und Schuld, weil ich das Gefühl hatte, „falsch“ zu sein und deshalb Strafe erwartete. Ich erinnere mich auch daran, dass mein Koffer im Abteil stand und dass das wohl ein Zeichen dafür war, dass ich den Ort wechselte. Eine Vorstellung von nach Hause fahren, stellte sich definitiv nicht ein – ich war total entfremdet.
Ich habe einige traumatische Erlebnisse während meiner Verschickung im Erholungsheim erlitten: zahlreiche Demütigungen durch die „Tanten“, die überwiegend Diakonissinnen waren, wie Wegsperren, Ausgrenzen, Sachen/Kleidung/Pakete wegnehmen, Essenszwang, körperliche Übergriffe und Grobheiten beim Waschen und bei den Toilettengängen.
Auch die älteren Mädchen, mit denen ich in einem Schlafraum untergebracht war, haben mich ständig geärgert, mir mein einziges Kuscheltier weggenommen und dieses zerstört, mich verhöhnt und mir ständig angedroht, dass ich nie wieder nach Hause komme! Das führte in der gesamten Zeit zu massiven Schlafstörungen, sprich, ich hielt mich nachts wach, weil ich Angst vor Übergriffen meiner Zimmergenossinnen hatte. Ich erinnere mich daran, dass ich die Wand anstarrte und aus den kleinen Löchern darin den Kalk pulte und ihn aß. Das wurde eine Art stimulierendes Ritual, um mich selbst zu spüren und mich irgendwie zu verorten. Eine Art Überlebensstrategie. Heute würde ich sagen, dass ich hospitalisiert habe.
Mein schlimmstes Trauma war jedoch eine „Zuführung“! Auf diesen Begriff bin beim Hören eines Radioberichts gestoßen, in dem davon berichtet wurde, dass eine [b]„Zuführung“ eine häufig eingesetzte, institutionelle Sanktionierung in den (Verschickungs-)Heimen war. So auch in meinem Fall:
Ich hatte mir auf einer langen und kalten Schneewanderung in die Hose uriniert. Ich vermute, dass das der Grund war, um bestraft zu werden, womöglich bringe ich aber auch einzelne Szenen in der Erinnerung durcheinander! Eine Diakonisse und 2 ältere Mädchen aus meinem Schlafraum brachten mich in einen Schlafraum des Jungentrakts im Haus der Jugendlichen. Dort wurde ich mit mehreren älteren Jungen (ca. 14- 16 Jahre alt) zurück gelassen. Auch mein Nachbarsjunge befand sich in diesem Schlafraum. In meiner Erinnerung wirkte er verängstigt und wir konnten auch nicht miteinander sprechen. Er saß mit überkreuzten Armen, die seinen Intimbereich schützen, auf einem Bett. Ob er auch dort schlief oder so wie ich den älteren Jungs „zugeführt“ wurde, weiß ich nicht genau.
Ich wurde Opfer eines gewalttätigen und sexualisierten Übergriffs in diesem Raum. Es war kein Erwachsener anwesend oder irgendwer, der mir hätte helfen können. 3, 4 geschlechtsreife Jugendliche sind scheinbar zuvor veranlasst worden uns Kleinen mächtig Angst einzujagen. Ob jemand etwas davon etwas mitgekriegt hat, was sich abgespielte, weiß ich auch nicht. Aber ich vermute, dass es nicht der einzige Vorfall in der Art war.
So haben mich mehrere Jungs festgehalten, mir ein Kissen auf den Kopf gedrückt und mich sexuell missbraucht. Ich kann mich nur noch an einzelne Details erinnern, wie das Kissen, was mir fest auf den Kopf gedrückt wurde und die Beine und Arme der Jungen die meinen Bauch sowie meine Beine niederdrückten und auch auf meinen Intimbereich Druck ausübten und sich an meinem Körper zu schaffen machten. Da war kein Entkommen möglich. Ich hatte Todesangst, irgendwann blieb mir durch das Kissen, was meine Atemwege fest verschloss und durch den heftigen Druck auf meinem Körper sowie das Gezerre an mir die Luft weg. Ich dachte, ich müsse jetzt sterben und bin dann ohnmächtig geworden!
Ich habe ein schweres Erstickungstrauma erlitten, aber eben auch einen Übergriff von sexualisierter, sadistischer Gewalt von Mitverschickungskindern im Jugendalter. In meinem Gedächtnis blieb mir auch der „Spaß“, den die Jungen hatten, als sie mich quälten. Der Übergriff „artete wohl aus“ und mir wurde im Alter von vier Jahren die „Würde“ genommen. Ich war schutzlos, ausgeliefert, hatte Schmerzen und fühlte mich schmutzig. Als kleines Kind konnte ich das natürlich noch gar nicht verbalisieren, verstehen oder gar verarbeiten, was da gerade mit mir passierte, aber in meinem Körpergedächtnis hat sich diese tiefe Verletzung nachhaltig „gespeichert“. Seelisch habe ich das Erlebt viele Jahre abgespalten, ich konnte es einfach nicht zusammenbringen das körperlich Erlebte und das seelisch Erinnerte.
An den Rest dieses Übergriffes habe ich keine Erinnerung mehr, also wie ich
wieder in meinen Schlafraum zurückgekommen bin, ob mir jemand geholfen hat, ob ich gewaschen wurde oder ärztlich versorgt wurde.
[Arztkonsultation- erste Dissoziation
Die nächste übergriffige Erinnerung, die ich habe, war eine mit Angst und Scham besetzte Arztkonsultation. Ich musste allein, gefühlt stundelang in der Ecke eines sehr großen und dunklen Raumes mit heruntergelassener Hose und nacktem Po, dem Arzt und der mitanwesenden Diakonisse den Rücken zugewandt, stehen. Es war am Nikolaustag 1971 daran erinnere ich mich deshalb, weil die anderen Kinder nebenan Weihnachtslieder sangen und der Weihnachtsbaum aufgebaut war!
Wenn ich daran denke, überkommt mich auch heute noch ein Gefühl von Scham, Schande, ausgeliefert und gebrochen zu sein!
Ich wurde zum Objekt, wie ein Gegenstand der begutachtet, der „ausgepackt“, „beglotzt“ und „begrabscht“ werden konnte, wann immer wer anderes es wollte. Ich hatte keine „Hülle“, keinen Schutz aber auch keinen Willen mehr mich zu wehren oder gar aus dem Raum zu laufen. Ich habe mich in eine Art „Blase“, in einen „Zwischenraum“ zurückgezogen: um mich herum begehrten die Täter und Dämonen darauf, in diesen Raum vorzudringen. Das war wohl meine erste Dissoziation!
Seit meiner Verschickung löst alles was hinter meinem Rücken körperlich, wie auch emotional-atmosphärisch passiert, ein großes Unbehagen sowie Kontrollverlust bei mir aus.
Kindheit:
Ambivalente Erziehungmuster - gewaltätige Übergriffe, Scham u. Schuld
Die Traumata meiner Verschickung haben mich in meiner persönlichen und gesundheitlichen Entwicklung zeitlebens geprägt und auch in einigen Phasen sehr stark beeinträchtigt. Daneben war meine Kindheit geprägt von einem groben und ambivalenten Erziehungsverhalten meiner Eltern. Vor allem meine Mutter erzog mich mit ähnlichen Mustern, wie ich sie im Kindererholungsheim erleben musste. Mein Kindheitserleben und unsere Beziehung war geprägt durch ihre unberechenbaren Gefühlsausbrüche, verbale und körperliche Demütigung, zwanghafter Reinlichkeitserziehung, sadistische Wut- u. Gewaltausbrüche sowie von ihr erzwungene (Liebes-) Zuwendung. Sie wollte nur das „Beste“ für mich. Der Bindungsabbruch, den ich als Vierjährige erlebt habe durch die Verschickung, wurde durch die ambivalente und gewalttätige Erziehung nochmal mehr verstärkt. Was die Verschickungszeit angeht, so habe ich sehr lange an meiner eigenen Glaubwürdigkeit und dem Ausmaß der Erlebnisse gezweifelt, auch aufgrund des fehlenden Vertrauens vor allem zu meiner Mutter. Auf spätere Gesprächsversuche hin reagierte sie verschlossen, schambesetzt als wollte sie etwas verbergen. Ich denke, ihr war es sehr wohl bewusst, dass dort etwas Schlimmes mit mir passiert sein musste. Sie hat dann immer gesagt, dass mein Vater so erschrocken gewesen sei über meinen Zustand, als ich nach Hause kam. Sie selbst neigte zur Verharmlosung und Vertuschung: „naja, so schlimm kann es ja nicht gewesen sein, du hast es ja überlebt“, auch um aufkommende Schuldgefühle von sich zu weisen. „Wir wollten doch nur das Beste“ – Ende des Gespräches! Das hat sich sehr lange in mir verankert und mich auch „mit“ krank gemacht.
Therapie und Aufarbeitung
Ich bin seit vielen Jahren in therapeutischer Behandlung, habe 2 Klinikaufenthalte hinter mir und versuche über das Mit-Teilhaben der Aufarbeitungsbemühungen der „Initiative Verschickungskinder“ und durch meine persönliche Recherche sowie einer langjährigen Traumatherapie, eine erneute Konfrontation mit meinen „Verschickungstraumata“.
Ich möchte verstehen, welche Auswirkungen die schwerwiegenden und traumatischen Erlebnisse im Verschickungsheim, vor allem auch die sexualisierten Gewalterlebnisse auf mein Leben Einfluss hatten.
Meine beiden aktuellen therapeutischen Begleiter bestätigten mir schon lange, dass sie keinen Zweifel an meinen Schilderungen, dem Erinnerten und an meiner Glaubwürdigkeit haben. Sie haben mich auch ermutigt, das Erlebte hier zu berichten. Ich erhoffe mir auch durch das Niederlegen „meiner Geschichte“ den verlorenen Anteil an Glaubwürdigkeit und Würde wieder zurück zu erlangen. Einen Zugang zu dem Kind, was ich vor der Verschickung war, wiederzufinden.
Heute bin ich zuversichtlich, weil immer mehr Licht ins Dunkel kommt! So langsam setzt sich ein immer vollständiger werdendes Lebens-Puzzle zusammen, auch deshalb, weil es die „Initiative Verschickungskinder“ gibt. Das Gefühl, mich in dem vielen Berichteten wieder zu finden, bestätigt mich als Opfer eines schlimmen Verbrechens, aber auch als individuellen Mensch, der sich verbinden möchte.
In Verbundenheit Heike Fi-Na
Auch ich möchte Zeugnis ablegen, nachdem ich sehr dankbar bin, diesen Verein gefunden zu haben.
Ich erinnere mich daran, dass ich ekliges Fleisch mit viel Fett zu essen bekam, dass ich wieder herausgebrochen habe, weil es mich so geekelt hat. Ich sollte dass dann wieder essen, ich habe keine Erinnerung daran wie es ausgegangen ist.
Wir durften nicht auf Toilette, so passierte es dass sich Kinder eingemacht haben. Ich musste in meinen Exkrementen liegen bleiben. Frühs wurden alle Übeltäter vor versammelter Mannschaft kalt abgeduscht und massiv und sehr demütigend beschimpft...
Morgens und abends wurde sehr unsanft Fieber gemessen, dabei wurde uns die Geschichte erzählt, dass einem Jungen das Fieberthermometer im Hintern abgebrochen ist. Dadurch hatte ich panische Angst dass das bei mir auch passiert. Wahrscheinlich eine Methode, die Verhindern sollte das wir das Poloch zukneifen.... keine Ahnung.
Außerdem habe ich das Gefühl dass ich dort mal eingesperrt war, vielleicht auch öfter. Zum Geburtstag schickten mir meine Eltern eine Päckchen mit Naschen, einer Puppe und einem Plüschtier - ist nie bei mir angekommen und war auch nicht in meinen Sachen zu finden. Meine Mutter versuchte auch anzurufen, wurde aber abgewimmelt, mir ginge es gut und hier könnten nicht ständig Eltern anrufen.
Zu meinem Geburtstag wurde ich auf einen Stuhl gesetzt und von großen Kindern und Erziehern mit dem Stuhl weit hoch gehoben und dreimal hoch gesungen - ich hatte totale Angst herunterzufallen, da ich mich kaum halten konnte.
Nach dieser Kur war ich wohl mehrere Wochen total apathisch und war bis zur Einschulung nur noch 4 Stunden im Kiga.
Lange Zeit habe ich das weggedrückt, doch jetzt kamen Erinnerungen wieder und nach einigen Tagen entschied ich mich zu googeln, ob es Berichte gibt. So entdeckte ich diesen Verein. Ein großes Dankeschön für alle die sich hier zeigen und damit auch anderen helfen, das ganze aufzuarbeiten und vor allem zu wissen, dass es keine Einbildung war, sondern wirklich geschehen ist.
Die Anfahrt erfolgte ohne meine Eltern. Ich war mit mehreren Kindern auf dem Zimmer. Beim Essen kam immer der Spruch "Bitte nachnehmen". Ich musste immer zwei Portionen essen, da ich zunehmen musste, auch wenn ich nicht mehr konnte und mir schlecht war.
Ich kann mich an eine große Angst erinnern, vor allem abends. Es war still, man hörte nur leises Wimmern.
Meine Mutter erzählte mir, dass sie eine Postkarte von dort bekam (nicht von mir geschrieben) und sonst keinen Kontakt aufnehmen durfte. Ausserdem war meine Kleidung bei der Ankunft zu Hause nass und völlig durchnässt von Urin.
Ich habe leider fast keine Erinnerung, nur schlimme Körpergefühle, wenn ich an diese Zeit denke. Bei mir hat sich eine PTBS entwickelt.
Ich würde gerne wissen, ob andere auch zu dieser Zeit dort waren.
W. Meyer-Mierzwa
Ich war von September bis Oktober für 6 Wochen in Berchtesgaden - den Namen des Heimes weiß ich nicht mehr. Meine Schwester (zu diesem Zeitpunkt 4jährig) und ich (6 Jahre) wurden in Köln in einen Zug verfrachtet. Begleitet wurden wir nicht - zumindest nicht von der Familie. Wir haben beide geschrien und geweint weil wir nicht weg wollten.
In Berchtesgaden angekommen wurde meine Schwester von mir getrennt. Sie wurde anderswo untergebracht. Nach ein paar Tagen ist sie jedoch zu mir gekommen, weil sie nur geweint hat und zu mir wollte.
Ich erinnere mich nicht an viele Dinge, aber es sind sowohl negative als auch ein paar positive Erinnerungen dabei. Wir haben schöne Ausflüge gemacht und viel gesungen. Das hat mir immer viel Spaß gemacht. Negativ habe ich die Zensur der Briefe in Erinnerung, wir durften nichts negatives schreiben und mussten alles beschönigen. Briefe und Karten von daheim wurden laut vorgelesen. Der Inhalt von Päckchen oder Paketen wurde unter allen Kindern geteilt.
Bei Nachtruhe war absolute Stille zu halten, ansonsten stand man stundenlang auf dem kalten Flur nur im Nachthemd und barfuß in einer Ecke.
Ganz furchtbar habe ich in Erinnerung, dass sich (gegen Ende der Kur) viele Kinder mit Brechdurchfall infiziert hatten. Die Toiletten waren entweder besetzt oder verdreckt dadurch dass es Kinder nicht mehr rechtzeitig geschafft haben. Betten wurden dadurch beschmutzt, weil man einfach nicht mehr wusste wohin.
Als wir wieder zuhause waren, wurden Stuhlproben meiner Schwester und mir entnommen und es stellte sich heraus, dass wir die Erkrankung Ruhr hatten.
Ich habe meine Mutter mehrfach gefragt warum sie uns weg geschickt hat. Die Antwort war immer nur, dass das ein Angebot von der Krankenkasse (DAK) war.
Vielleicht findet sich ja jemand, der sich an Dinge die ich geschildert habe, ebenfalls erinnert. Es ist schön zu wissen, dass man nicht alleine damit ist.
LG Kirstin
Irgendwann später wurde mir erzählt, das Kinderheim sei wegen Kindesmissbrauch geschlossen worden. Wer weiß etwas darüber?
Ich bin durch die Fernsehsendung auf diese Initiative und diese Internetseite aufmerksam geworden. Vielen Dank für Euer Engagement und den Mut, diese Zeit immer wieder, bewusst oder unbewusst, zu durchleben.