ZEUGNIS ABLEGEN – ERLEBNISBERICHTE SCHREIBEN
Hier haben sehr viele Menschen, seit August 2019, ÖFFENTLICH ihre Erfahrung mit der Verschickung eingetragen. Bitte geht vorsichtig mit diesen Geschichten um, denn es sind die Schicksale von Menschen, die lange überlegt haben, bevor sie sich ihre Erinnerungen von der Seele geschrieben haben. Lange haben sie gedacht, sie sind mit ihren Erinnerungen allein. Der Sinn dieser Belegsammlung ist, dass andere ohne viel Aufwand sehen können, wie viel Geschichte hier bisher zurückgehalten wurde. Wenn du deinen Teil dazu beitragen möchtest, kannst du es hier unten, in unserem Gästebuch tun, wir danken dir dafür! Eure Geschichten sind Teil unserer Selbsthilfe, denn die Erinnerungen anderer helfen uns, unsere eigenen Erlebnisse zu verarbeiten. Sie helfen außerdem, dass man uns unser Leid glaubt. Eure Geschichten dienen also der Dokumentation, als Belegsammlung. Sie sind damit Anfang und Teil eines öffentlich zugänglichen digitalen Dokumentationszentrums. Darüber hinaus können, Einzelne, die sehr viele Materialien haben, ihre Bericht öffentlich, mit allen Dokumenten, Briefen und dem Heimortbild versehen, zusammen mit der Redaktion als Beitrag erarbeiten und auf der Bundes-Webseite einstellen. Meldet euch unter: info@verschickungsheime.de, wenn ihr viele Dokumente habt und solch eine Seite hier bei uns erstellen wollt. Hier ein Beispiel
Wir schaffen nicht mehr, auf jeden von euch von uns aus zuzugehen, d.h. Ihr müsst euch Ansprechpartner auf unserer Seite suchen. ( KONTAKTE) Wenn Ihr mit anderen Betroffenen kommunizieren wollt, habt ihr weitere Möglichkeiten:
- Auf der Überblickskarte nachschauen, ob eurer Heim schon Ansprechpartner hat, wenn nicht, meldet euch bei Buko-orga-st@verschickungsheime.de, und werdet vielleicht selbst Ansprechpartner eures eigenen Heimes, so findet ihr am schnellsten andere aus eurem Heim.
- Mit der Bundeskoordination Kontakt aufnehmen, um gezielt einem anderen Betroffenen bei ZEUGNIS ABLEGEN einen Brief per Mail zu schicken, der nicht öffentlich sichtbar sein soll, unter: Buko-orga-st@verschickungsheime.de
- Ins Forum gehen, dort auch euren Bericht reinstellen und dort mit anderen selbst Kontakt aufnehmen
Beachtet auch diese PETITION. Wenn sie euch gefällt, leitet sie weiter, danke!
Hier ist der Platz für eure Erinnerungsberichte. Sie werden von sehr vielen sehr intensiv gelesen und wahrgenommen. Eure Erinnerungen sind wertvolle Zeitzeugnisse, sie helfen allen anderen bei der Recherche und dienen unser aller Glaubwürdigkeit. Bei der Fülle von Berichten, die wir hier bekommen, schaffen wir es nicht, euch hier zu antworten. Nehmt gern von euch aus mit uns Kontakt auf! Gern könnt ihr auch unseren Newsletter bestellen.
Für alle, die uns hier etwas aus ihrer Verschickungsgeschichte aufschreiben, fühlen wir uns verantwortlich, gleichzeitig sehen wir eure Erinnerungen als ein Geschenk an uns an, das uns verpflichtet, dafür zu kämpfen, dass das Unrecht, was uns als Kindern passiert ist, restlos aufgeklärt wird, den Hintergründen nachgegangen wird und Politik und Trägerlandschaft auch ihre Verantwortung erkennen.
Die auf dieser Seite öffentlich eingestellten Erinnerungs-Berichte wurden ausdrücklich der Webseite der “Initiative Verschickungskinder” (www.verschickungsheime.de) als ZEUGNISSE freigeben und nur für diese Seiten autorisiert. Wer daraus ohne Quellenangabe und unsere Genehmigung zitiert, verstößt gegen das Urheberrecht. Namen dürfen, auch nach der Genehmigung, nur initialisiert genannt werden. Genehmigung unter: aekv@verschickungsheime.de erfragen
Spenden für die „Initiative Verschickungskinder“ über den wissenschaftlichen Begleitverein: Verein Aufarbeitung und Erforschung von Kinderverschickung / AEKV e.V.: IBAN: DE704306 09671042049800 Postanschrift: AEKV e.V. bei Röhl, Kiehlufer 43, 12059 Berlin: aekv@verschickungsheime.de
Journalisten wenden sich für Auskünfte oder Interviews mit Betroffenen hierhin oder an: presse@verschickungsheime.de, Kontakt zu Ansprechpartnern sehr gut über die Überblickskarte oder die jeweiligen Landeskoordinator:innen
Wir schliefen mit mehreren Mädchen (ca. 5, genau weiß ich es nicht mehr) in einem Zimmer. Da wir im Winter verschickt wurden, war es immer sehr kalt in diesem Zimmer. An folgende einschneidende Dinge erinnere ich mich bis heute:
An einem Nachmittag hatten wir in einem Zimmer mit Bauklötzen spielen dürfen, dann ging es ans Aufräumen und ich hatte versehentlich Bauklötze, die in bestimmte Kästen verteilt werden sollten, falsch sortiert. Die Heimleiterin kam auf mich zu und schlug mir ins Gesicht.
In einer Nacht litt ich unter furchtbarem Durst, nach langem Ringen, weil ich große Angst hatte, erwischt zu werden, stieg ich doch aus meinem Bett, ich schlief oben in einem Hochbett und ging zum Waschbecken in unserem Zimmer und trank einen Schluck Wasser. Ich lag gerade wieder im Bett als die Tür aufschlug und die Heimleiterin im Zimmer stand. Sie bestand darauf, sofort zu erfahren, wer hier eben am Wasserhahn war. Da sich keiner, ich auch nicht, freiwillig meldete, zog sie meine Schwester, die unter mir schlief und am nächsten zum Wasserhahn lag aus dem Bett , schrie auf sie ein und wollte sie mitnehmen. Ich meldete mich dann und gab zu, dass ich es gewesen sei. Sie ließ von meiner Schwester ab, riss mich aus dem Bett und nahm mich mit. Sie schloss mich für Stunden in eine Besenkammer unter einer Treppe ein, besonders schlimm war diese Bestrafung, da in dieser Nacht ein Gewitter in den Bergen niederging und von überall her warfen die Berge den Schall des Donners zurück. Ich hatte schreckliche Angst. ich glaube, dass mich dort Stunden später eine Mitarbeiterin oder Praktikantin herausholte und ins Zimmer zurückbrachte. Diese junge Frau war unser einziger Lichtblick, sie war immer freundlich zu uns und versuchte uns vor der Heimleiterin zu beschützen. Da sie aber selbst in großer Angst vor ihrer Vorgesetzen lebte, funktionierte dieses Beschützen nur in geringem Maße.
Wenn wir Kinder Pakete von unseren Eltern bekamen, wurden diese geöffnet und alle Süßigkeiten herausgenommen. Es wäre ungerecht, dass einige Pakete bekämen und andere nicht, das war die Erklärung. Ich erinnere mich an ein Mädchen in unserem Zimmer, dass fürchterlich weinte, als man ihr ihr Paket wegnahm. Ich schenkte ihr dann etwas von den Süßigkeiten, die ich an dem Tag gewonnen hatte. Die Post unserer Eltern an uns war geöffnet und gelesen worden.
Wir wurden von der Heimleiterin aufs Schärfste darüber informiert, dass wir nichts Negatives in ausgehende Post schreiben dürfen, alles soll sich positiv anhören, damit sich unsere Eltern nicht beunruhigen. Ansonsten drohten Strafen, aber ich weiß nicht mehr, mit was sie uns drohte, auf jeden FAll wirkte es, denn niemand traute sich, die Wahrheit nach Hause zu schreiben. Es wäre ja auch vergeblich gewesen. Die Post musste geöffnet bei ihr abgegeben werden. Ich weiß noch, dass ich über einen Plan nachsann, wie es mir gelingen könnte, einen Brief an ihr vorbeizuschmuggeln und ihn dann evtl. Einwohnern von Hirschegg während eines Spazierganges zuzustecken mit der Bitte, diesen Brief auf den Weg zu bringen, aber das gelang leider nie. Ich war überzeugt, dass uns mein Vater sofort nach Hause geholt hätte., aber ich war einfach zu klein und hilflos.
Weiter erinnere ich einen Ausflug mit der Heimleiterin an einem sonnigen Tag im Schnee. Wir Kinder hatten keine Sonnenbrillen und so stellte sich nach einiger Zeit eine Schneeblindheit (damals wussten wir nicht, was los war) ein, wir hatten starke Schmerzen in den Augen, unsere Augen tränten und wir konnten sie gar nicht mehr öffnen. Die Heimleiterin befahl uns dann, uns alle gegenseitig an die Hand zu nehmen und sie, die eine Sonnenbrille trug, führte die Gruppe dann unter Geschimpfe zurück ins Heim. Einen Arzt haben wir nicht gesehen.
Ich bin mit etwa 6 Jahren für einige Wochen in ein Heim auf Norderney verschickt worden, weil ich untergewichtig war und aufgepäppelt werden sollte.
Das Einzige, woran ich mich erinnere, sind die täglichen Quarkbrote, die ich essen sollte, aber nicht mochte (Brechreiz), so dass ich so lange am Tisch sitzen bleiben musste, bis ich sie aufgegessen hatte. Ich bin dann schnell auf die Idee gekommen, eine dicke Schicht Zucker auf den Quark zu streuen, um ihn herunter zu bekommen.
Seit dem mag ich überhaupt keine Milchprodukte, insbesondere, wenn sie weiß sind!
Ansonsten kann ich mich nur schwach daran erinnern, dass ich immer sehr auf Post von zu Hause gewartet habe (die auch kam).
Ich vermute mal, dass meine lebenslange 'Fähigkeit', Unangenehmes in den Hintergrund zu schieben, damals seinen Ursprung hatte...
Für mich war das Schlimmste daran, dass ich dachte, ich hätte etwas verkehrt gemacht und wäre von meiner Familie weggegeben, also verstoßen worden.
Ich hatte die ganze Zeit schreckliches Heimweh und Schuldgefühle und panische Angst, dass meinen Eltern etwas Schlimmes passiert, wenn ich nicht bei ihnen bin.
An Borkum habe ich nur sehr verschwommene Erinnerungen. Die schlimmste Zeit war, als ich nachts aufwachte; ich hatte mich erbrochen, und das Erbrochene war in meinen Haaren. Darum hat sich wohl mehrere Tage lang niemand gekümmert. Ich war ab dieser Nacht lange krank, durfte nicht hinaus und lag allein in einem Bett. Da mir die Zeit endlos schien, kann ich schlecht einschätzen, ob ich eine oder zwei Wochen oder sogar noch länger allein in dem Zimmer liegen musste.
Daraus schloss ich, dass ich auch hier nicht gut genug, sondern wiederum ausgestoßen war.
Das Elendsgefühl dieser Tage ist unbeschreiblich intensiv und immer noch in mir abrufbar.
Von der sonstigen Zeit im Heim sind nur einige vage Bilder und Eindrücke geblieben, vom Muschelsammeln am Strand, dem Schreiben einer Karte an die Eltern und einem Wechselbad von einigen schönen Augenblicken beim gemeinsamen Singen zu vielen schrecklichen Momenten, die jedoch nicht mit konkreten Erinnerungen verknüpft sind.
Als ich von Eltern und Großeltern am Bahnhof abgeholt wurde, konnte ich es nicht fassen, wieder daheim sein zu dürfen. Zwei Fotos zeigen meine ungläubige Freude in diesen Augenblicken.
Ich habe es meine ganze Kindheit hindurch nicht verstanden, wofür ich eigentlich so hart bestraft worden war und was genau dazu geführt hatte, dass mir meine "Strafe" erlassen wurde. Ab da und bis ins Teenageralter habe ich immer versucht, alles richtig zu machen, was schwierig ist, wenn man den Fehler nicht herausgefunden hat.
Ich war nachhaltig eingeschüchtert und lebte immer in der Angst, neuerlich verstoßen zu werden.
Ich habe mich mein Leben lang gefragt, warum ich auf der Grundschule eine aufgeweckte, aktive Schülerin war und auf der Realschule plötzlich bockig und in mich gekehrt. Ich wäre nie darauf gekommen, dass die Verschickung und der Essenszwang die Ursache waren. Erst als ich einen Artikel gelesen habe, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich erinnere mich, dass ich wie gelähmt im Speisesaal 3 Stunden am Tisch saß und erst aufstehen durfte, als ich die gebratene Leber aufgegessen hatte, auch das Stück, was ich ausgespuckt hatte. Andere Kinder fegten um mich herum, alle anderen waren in der Mittagsruhe, nur ich saß alleine vor meinem Teller, fühlte mich hilflos und ausgeliefert. Als keiner im Raum war, habe ich mir die Leberstücke in den Mund gestopft, bin ganz schnell auf Toilette gerannt und habe es ausgespuckt. Dann habe ich mich wieder auf meinen Platz gesetzt. Bis heute ertrage ich den Geruch von Leber nicht. Um 15 Uhr kam die Tante und sagte: geht doch.
Ansonsten erinnere ich, dass wir nie gelacht haben, eher geflüstert und im Hof gab es einen hohen Bretterzaun, da konnte man nicht drübergucken. Ich erinnere nur ein einziges Mal wo wir kurz in die Dünen durften, ein wenig spazieren, unter Aufsicht. Ein Stück weiter war das Jungenheim, da war einer aus meinem Dorf, aber ich durfte ihn nicht sehen. Vielleicht habe ich Ereignisse ausgeblendet, da ich mich nicht erinnere, dass wir Spiele gespielt, gesungen oder im Meer gebadet haben.
Meine Mutter war geschockt, als ihr vor Kurzem von dem Artikel und den Dokus erzählte. Sie hat mir jetzt erst erzählt, dass sie sich damals gewundert hat, weil ich so still zurückgekommen bin und gar nicht auf ihre Fragen geantwortet habe, wie es mir gefallen hat und wie das Essen war. Sie meint, damals kam eine Frau in unser Haus und meinte vorwurfsvoll, ich wäre in der Schule untersucht worden und wäre ja völlig unterernährt, ob sie mir nicht genug zu essen geben würde. Ich war normalgewichtig. Weil meine Eltern dachten, es wäre wie Urlaub, willigten sie ein. Ich weiß jetzt, dass diese Demütigung mich mein ganzes Leben verfolgt hat, bis heute.
In Schönhagen wurden Kinder gequält, indem sie Erbrochenes wieder aufessen mussten und Bettnässer wurden vorgeführt und angeprangert.
Die Toiletten hatten keine Türen, diese Albträume verfolgen mich bis heute noch nach fast 60 Jahren.
Wir wurden fast nackt in Reihe untersucht, was endlos lange dauerte. Morgens und abends mussten wir in der Reihe stehen um Zahnpasta auf die Zahnbürsten zu bekommen.
Es gab keinerlei Zuneigung und Mitgefühl für Kinder, die unglücklich waren.
Auf Amrum wurden 2x täglich Versuche mit Sonnencreme durchgeführt. Später habe ich entdeckt, dass es ein Produkt der Firma Nivea war, da ich den Geruch wieder erkannt hatte.
Weinen wurde nicht geduldet und Freundschaften durften auch nicht aufgebaut werden.
Wir wurden gezwungen, nachts mit dem Kopf zur Wand zu schlafen und weinen wurde bestraft.
Ich kann noch 1000 Erinnerungen wiedergeben. Die Zeit hat mich für mein Leben geprägt durch Verlustängste und anderem.
ich habe gestern im TV von dieser Seite erfahren. Ich selbst war - vermutlich Mitte - Ende der 1960er in der Verschickung - auf Langeoog. Ich würde gerne wissen, welche der Erinnerungen wohl war sind, und vielleicht auch einige Dinge, welche ich wohl verdränge.
Da gibt es zum Beispiel noch eine Erinnerung daran, dass wir unsere Oberkörper mit dem kalten Meerwasser einreiben mußten. Man zum Essen gezwungen wurde, Briefe diktiert wurden.
Über einen Austausch würde ich mich freuen.
Schöne Grüße
Unsere Postkarten wurden gegengelesen, wir durften nur schreiben wie toll und schön alles ist. Aus lauter Angst und Heimweh habe ich Nachts eingenässt. Konnte es aber irgendwie die ganze Zeit über geheimhalten. Jeden Tag geweint und immer diese Ungewissheit nie wieder nach Hause zu kommen.
Es war unerträglich !
Auch weiß ich noch, wie der Speisesaal aussah und dass die meisten Kinder laut weinend an den Tischen saßen, so wie ich. Wir bekamen Suppen und Brei und mussten immer alles aufessen. Die Tanten stopften uns die Löffel in den Mund und hielten diesen dann zu, wenn wir nicht mehr konnten. Noch heute habe ich eine Abneigung gegen Suppen und Honig (wir bekamen auch täglich einen Löffel Honig in den Mund gestopft).
Was ich auch noch vor Augen habe, ist der Schlafraum mit Gitterbetten und dass es dort immer nach verpieselter Wäsche roch und sehr kalt war. Ich glaube, wir haben uns viel in dem Schlafraum aufgehalten und geweint und gespielt.
Der Waschraum mit seinem typischen Geruch, den ich auch noch förmlich in der Nase spüre und vor dem wir uns in Unterwäsche anstellen mussten, ist mir auch in Erinnerung. Jedes Mal wurde in die Unterhosen geschaut und es gab großen Ärger, wenn sich dort auch nur eine "Bremsspur" befand.
Da ich noch so klein war, habe ich sonst nicht mehr viel in Erinnerung, aber ich weiß, dass ich wochenlang einfach nur Heimweh hatte, ganz viel geweint habe, ausgeschimpft wurde, in der Ecke mit dem Gesicht zur Wand stehen musste und panische Angst vor den Tanten und dem Arzt hatte, der uns oft untersucht hat.
Durch das Buch "Das Elend der Verschickungskinder" bin ich auf diese Seite aufmerksam geworden und je mehr ich darüber lese, desto mehr kommen in mir ganz schreckliche Erinnerungen hoch.
Ich arbeite heute als Sonderpädagogin mit Kindern und der Wunsch nach einem solchen Beruf entstand bei mir bereits im Kindesalter, etwa mit 12 oder 13 Jahren. Vielleicht hat das ja mit meinen Kindheitserlebnissen zu tun...
Meine Eltern gehören leider zu der Kategorie "das war eben damals so, es kann also nicht schlimm gewesen sein". Ich bekomme von Ihnen leider nicht sehr viele Informationen, weshalb ich den Namen des Heimes nicht sicher weiß und auch der Zeitraum nicht ganz sicher ist. Es muss aber um meinen 3. Geburtstag am 15. November 1969 gewesen sein.
Kurz darauf hatte ich nochmal ein ähnlich traumatisches Erlebnis: Mir wurden kurz nach dem Heimaufenthalt die Mandeln operativ entfernt, ich war dafür für 3 Wochen in einem Berliner Krankenhaus, natürlich ohne Eltern. Sie durften mich auch nicht in direktem Kontakt besuchen, sondern mich nur durch eine Glastür sehen. Auf beiden Seiten waren je ein Telefonhörer, über die wir sprechen konnten. Da ich die ganze Zeit nur geweint habe, sollten meine Eltern lieber gar nicht mehr kommen, was sie dann auch so gemacht haben. Ich fühlte mich einfach nur verlassen und verzweifelt, so wie auch schon kurz zuvor bei der Verschickung.
3x war ich dort. Der erste Aufenthalt war der Schlimmste. 4 Jahre alt war ich wohl. Nach dem Zu Bett gehen, durfte kein Kind mehr aufstehen. Ich musste aber dringend zur Toilette.
Aber ich sagte nichts und versuchte meinen Stuhlgang einzuhalten. Das misslang. Der Geruch hat mich natürlich verraten und ich wurde beschimpft, aus dem Bett gezerrt. Meinen Schlüpfer unter Tränen ausgeleert und per Hand ausgewaschen. Danach viele Stunden im Flur stehend verharren müssen.
Bis heute habe ich mit Verstopfung zu tun. Auf Reisen ist es immer ein Thema....wann ich,vor allem ungestört, zur Toilette gehen kann.
Auch das Päckchen zum Geburtstag wurde verteilt.
Der 2. Aufenthalt nicht mehr in Erinnerung. Beim 3. Aufenthalt war ich 12. Mein Bruder war auch mit. Meine Mutter war damals schon krank und viel im Krankenhaus. Da mussten die Kinder verteilt werden.
Mein Bruder, 8 Jahre alt, hatte dermaßen viel Heimweh, dass die "Weiber " dort ein Erbarmen hatten und ihn tagsüber zu mir in die Gruppe gebracht haben.
Ich kann mit dieser Gegend und dem Ort überhaupt nichts mehr anfangen. Nie eine Reise oder ein Urlaub dort.
Doch noch eine Erinnerung....beim zweiten Aufenthalt war meine Schwester mit. Sie wurde krank mit irgendwas Ansteckendem. Kam ins Krankenhaus nach Immenstadt. Ich durfte sie nicht besuchen! 🙁
Danach hat sich sehr viel in meinem Leben verändert. Ich bekam Flashbacks, Schlafstörungen, litt oft an Lethargie und depressiven Episoden. Ich beantragte gemeinsam mit meinem Hausarzt eine psychosomatische Reha, die innerhalb weniger Tage bewilligt wurde. Daran anschließend besuchte ich die Rehanachsorgegruppe Psyrena und befinde mich zur Zeit in einer Traumatherapiebehandlung, um mit den Erlebnissen von meiner Verschickung zurecht zukommen.
Kurz vor meinem 10. Geburtstag, in den NRW Sommerferien 21.06.-29.08.1079 wurde ich gemeinsam mit meiner Schwester Heike, damals 12 Jahre alt, nach Borkum verschickt.
Unsere Reise begann in Deutz. Durch den Austausch in der Kölner Selbsthilfegruppe Verschickungskids, weiß ich heute, dass die Verschickungen von Deutz-Tief stattgefunden haben. Dort erhielten meine Schwester und ich die rosafarbenen Umhängekarten. Den Abschied von meinen Eltern habe ich als nicht so traurig in Erinnerung. Ich war neugierig und aufgeregt und fühlte mich an der Seite meiner Schwester sicher.
An die weitere Fahrt habe ich wenig Erinnerung, ich erinnere mich an einen alten Zug und Holzbänke, meine Schwester erinnert sich an furchtbare Übelkeit während der Fährfahrt.
Bei unserer Ankunft auf Borkum am Adolfinenheim, wurden meine Schwester und ich getrennt. Ich musste mit anderen Kindern und zwei Nonnen (Schwester Lina oder Schwester Ilse, trug eine weiß-graue Diakonissentracht, hatte eine Gehbehinderung und benutzte einen Stock, Schwester Johanna trug eine braune Tracht und war in ihrer ganzen Art und im Wesen viel „milder“) in einen Altbautrakt, meine Schwester ging mit einer jungen Gruppenleiterin und anderen Kindern in eine andere Richtung zu einem Neubau. Wir haben uns in der ganzen Zeit nur einmal sehen dürfen, als Belohnung für „artiges Aufessen“. Immer wurde ich hingehalten, habe viel geweint und bin vertröstet worden meine Schwester treffen zu können.
Die gesamte Essenssituation im Speiseraum erlebte ich als sehr angsteinflößend. Die Nonne mit dem Stock schlug auf Hände, wenn ich Brot nahm, bevor ich die Schokoladensuppe gegessen hatte, sie schlug auf den Rücken, wenn ich auf der Holzbank nicht gerade gesessen hatte. So erging es vielen Kindern.
Die Sammelduschen, in meiner Erinnerung im Keller, waren riesig mit Brauseköpfen an den Decken. Wir mussten uns vor mehreren Erwachsenen ausziehen und gesammelt unter den Brauseköpfen stehen, aus denen dann irgendwann eiskaltes Wasser kam. Es wurde laut kommandiert und wir wurden immer zur Eile angetrieben.
Ich erinnere mich an einen Inhalationsraum. Dort drin war es sehr nebelig. Wenn ich drin war, wurde die Tür zugeschlagen und ich musste mich vor die Wand setzen, wo aus einem Rohr Dampf austrat. Ich hatte immer Angst zu ersticken und nicht mehr rauszukommen.
Mittags mussten wir ins Bett zum Mittagsschlaf. Immer mussten wir mit dem Gesicht zur Wand schlafen. Die Betten waren aus Metall und die dünne Matratze lag auf Metallfedern. Durch Recherche weiß ich heute, dass das Adolfinenheim früher Achilleion hieß und eine Kaserne war. Es war taghell, ich erinnere mich nicht an Gardinen. Als beruhigend habe ich den Lichtkegel des nahen Leuchtturmes in der Nacht empfunden. Der hat mich abgelenkt, wenn ich zur Toilette musste, das war nicht erlaubt.
Abends, nachdem wir schon unsere Schlafsachen angezogen haben, standen wir in einer Reihe vor dem „Schwesternzimmer“. Dort hielten wir entweder die Hand auf oder sollten den Mund öffnen. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was genau wir dort einnehmen mussten.
Zusätzlich zu den Nonnen gab es eine Gruppenleiterin, die hieß Frl. Wollmann. Sie schrieb meinen Eltern einen Brief, dass ich an einer Gastritis erkrankt sei. Ich hatte immer Bauchschmerzen, ich musste mich häufig übergeben.
Wenn wir Spaziergänge gemacht haben, sind wir wie Zwerge losmarschiert. Auf der rechten Schulter lag eine Metallschaufel mit Holzgriff. Erst sind wir durch den Ort, dann zum Strand.
Wir waren auch im Wellenbad. Ich glaube das war ganz schön.
Als befreiend habe ich die Lieder empfunden die wir gesungen haben. „Wir lagen vor Madagaskar….“ „Bolle reiste jüngst zu Pfingsten“…sind mir noch in Erinnerung. Singen hat mir manchmal gegen Weinen geholfen.
42 Jahre später bin ich dankbar mit Verschickungskindern im Austausch sein zu können. Es ist sehr hilfreich zu wissen, dass ich mit dem Geschehenen nicht alleine bin.
Viele werde ich im nächsten Monat auf Borkum zum Kongress das erste Mal „live“ treffen. Ich bin aufgeregt und neugierig. Immer mehr Zusammenhänge werden klar, zwischen den Erlebnissen während der Kinderkur und meinem späteren Leben, bis heute…….
Silke
Schreiben konnte ich noch nicht. Gelegentlich wurde uns die Post, die für uns angekommen war, vorgelesen. Ich war immer so aufgeregt, etwas von zuhause zu hören. Leider konnte ich kaum etwas verstehen, da der Raum sehr voll und die Kinder laut am Reden waren. Diese Briefe wurden mir nicht ausgehändigt, ich habe sie nie gesehen.
Mittags mussten wir alle in unseren großen Schlafsälen (ich teilte mir mit sieben-acht Mädchen den Saal) "ruhen", also schlafen, mindestens liegen, auf keinen Fall durften wir reden. Wir durften nicht auf die Toilette gehen. Natürlich mussten wir alle dringend und hielten es kaum aus, bis es schmerzte. Einige nässten sich ein und wurden dafür bestraft, also gedemütigt vor den anderen Kindern. Das trieb uns alle an, es auszuhalten. Gut, wenn es geklappt hatte.
Nachts stand ein Nachttopf in der Mitte des Schlafsaals, den wir gemeinsam nutzen mussten. Morgens war der immer randvoll. Einmal haben wir ihn überlaufen lassen, das war eine heimliche Freude für uns alle. Keine hat gepetzt, sodass wir tatsächlich nicht bestraft wurden, jedenfalls erinnere ich mich nicht daran. Und ich weiß noch sehr gut, dass die verschworene Gemeinschaft viel bewegt hat. Am nächsten Abend bekamen wir zwei Nachttöpfe - immerhin.
Zu gefühlt jeder Mahlzeit gab es "Grieß mit Apfelmus". Ungesüßte Nachspeise, selbst unter leckerem Vanillepudding verbarg sich diese fiese zähe Pampe. Mit der Zeit war ich so verunsichert, dass ich nichts mehr essen wollte und mich über gar nichts gefreut habe, was irgendwie lecker aussah. Diese Pampe grinste mich ebenso an, wie die "Tanten", die uns mit Argusaugen beobachteten. Wir mussten alles aufessen. Ich erinnere mich, dass ich keine Mahlzeit mit Freude gegessen habe, dabei war ich eigentlich das, was eine "gute Esserin" genannt wurde. Von Zuhause nicht verwöhnt, aß ich erst einmal alles. Es gab wenig, wogegen ich wirklich nicht ankam und es zuhause nicht aufessen musste. - Dort in St. Peter aber musste ich essen und habe einige Male gewürgt und erbrochen. Andere Kinder mussten selbst das Erbrochene aufessen. Warum ich das nicht musste, weiß ich nicht mehr. Die Hauptsache war, ich war davongekommen.
Überhaupt ist mir irgendwann aufgefallen, dass ich besser davonkam, wenn ich mich unauffällig verhielt. Also war ich ruhig, passte mich bestmöglich an. Das fiel mir sehr schwer, denn schon immer war ich ein impulsives Kind, habe mich gern mitgeteilt. Gerechtigkeit war mir wichtig und ich habe meinen Mund aufgemacht. Offensichtlich ist es mir gut gelungen, mich "in Deckung" zu halten, denn ich kann mich an keine körperliche Strafe erinnern. Ein- oder zweimal bekam ich Arrest, musste im Bett bleiben. Das kam bei anderen Kindern viel häufiger vor. Die Jungen wurden auch geschlagen.
An keines der anderen Kinder kann ich mich erinnern, an keinen Namen, keine Geschichte, alle waren irgendwie gleich. Es gab zwei größere Mädchen, etwa 15 Jahre alt, die mir wichtig waren. Sie hatten einen Blick auf uns Kleinen, aber wirklich beschützen konnten sie uns nicht. Aber ihr Mitgefühl tat gut. Ich erinnere mich, dass ich mir überlegt hatte, sie anzusprechen und die Telefonnummer von Nachbarn, am Anfang unserer Straße für mich zu wählen. Es gab in der Nähe eine Telefonzelle. Aber ich hatte weder Geld noch eine Idee, wie ich die Telefonnummer herausbekommen sollte, also gab ich diesen Gedanken wieder auf.
Einmal bekam ich eine Karte von meinem Freund Josef. Er war damals 16 Jahre alt, und natürlich wollte ich ihn später heiraten! Er hatte mir eine Karte geschrieben und ich habe sie auch ausgehändigt bekommen! Die älteren Mädchen wurden nicht müde, sie mir immer wieder vorzulesen, bis ich den Text auswendig konnte. Die Karte hatte ich immer bei mir. Auf einem Spaziergang wurde ich von der "Tante" darauf angesprochen. Stolz erzählte ich ihr, wer Josef war. Sie nahm die Karte, las sie und sagte sehr verächtlich: "Ein Freund? Das ist aber noch nichts für ein Mädchen wie dich!" Ihren selbstgefälligen, zynischen und verächtlichen Gesichtsausdruck werde ich nie vergessen, als sie die Karte in kleine Fetzen riss und diese in den Wind warf. Noch heute kann ich Menschen, die so gucken, nicht ausstehen. Hilflos und wütend fühle ich mich heute nicht mehr.
Der Strand, die Nordsee sowie Ebbe und Flut haben mich sehr fasziniert, Ausflüge dorthin haben mir Trost gegeben. Im Sand zu buddeln bis das Wasser kam, hat mich angetrieben. Eines Tages durften wir baden. Ich konnte noch nicht schwimmen, wollte lieber im seichten Wasser bleiben. Zwei "Tanten", sie waren noch jung, kamen zu mir, nahmen mich in ihre Mitte und wollten mir das Schwimmen beibringen. Mein Magen rebellierte, aber ich hatte keine Wahl, ich musste mitgehen, ahnend, dass mich etwas Schreckliches erwartete. Sie gingen weiter mit mir ins tiefe Wasser. Die Wellen erreichten meinen Mund, wir gingen weiter. Ich konnte nicht mehr stehen, musste im Takt der Wellen hüpfen, sie ließen mich los. Die Nordsee, die mich so fasziniert hatte, war plötzlich lebensfeindlich geworden. Ich schluckte Wasser, bekam Panik, schluckte weiter Wasser, hatte keinen Einfluss mehr auf meine Bewegungen und verlor die Orientierung. Die Tanten waren zurückgeblieben, lachten laut, das hörte ich. Ich konnte nicht glauben, dass sie mich einfach so der Nordsee überlassen wollten, dachte an meine Mutter, die ich nicht mehr wiedersehen würde. Gefühlt kurz vorm Tod nahmen die Frauen mich hoch und trugen mich zurück an den Strand. Noch heute wundere ich mich, dass mir die Nordsee und das Meer allgemein nach wie vor so tröstlich erscheinen und ich das Meer so sehr liebe.
Ein anderes Mädchen hatte keinen Mantel von Zuhause mitbekommen. Also musste jedes Mädchen, das etwa ihre Größe hatte, einmal ihren Mantel ausleihen. Im Grunde eine gute Sache, fand ich schon damals. An einem meiner letzten Tage dort musste ich ihr meinen borgen. Nun hatte ich bis dahin im Auftrag meines Bruders fleißig Muscheln gesammelt und diese in jede Tasche des Mantels aufbewahrt. Zugegeben, heute weiß ich, dass Muscheln besser nicht in Manteltaschen in einem Kleiderschrank aufbewahrt werden sollten. Damals wusste ich das nicht. Nachdem meine Kleingruppe vom Spaziergang zurückgekommen war, war die Straße vor dem Heim mit weißen Splittern übersäht. Wir wunderten uns, ich sah das Mädchen in meinem Mantel, wie es weiter die Muscheln verteilte und zertrat. Mein Mantel würde stinken, rief sie. Sie hatte viel Spaß dabei, die Kinder in ihrer Nähe auch. Ich dachte an meinen Bruder, der nun keine Muscheln von mir bekommen sollte. Nicht einmal das habe ich hinbekommen, warf ich mir vor.
Es gab einen Jungen aus unserem Dorf, der gleichzeitig mit mir dort war. Er war gegen Ende unserer Zeit krank geworden, musste in Quarantäne und noch eine Woche länger bleiben. Er hat mir so leidgetan! Später sind wir gemeinsam eingeschult worden, waren in einer Klasse. Wir haben nie über unsere Erfahrungen gesprochen. Aber er hatte immer einen Bonus bei mir, obwohl er eigentlich nicht besonders nett war.
Auch ich bin am Ende meines Aufenthaltes krank geworden, hatte hohes Fieber, lag allein in meinem Bett und dachte -wie immer- an zuhause. Eine „Tante“ kam und maß Fieber. Sie sagte, dass ich meine Heimreise wohl vergessen könne, bei dem hohen Fieber müsse ich wohl noch eine Woche bleiben. Ihr ging es damit sehr gut und sie verließ den Saal. Meine Zeit dort war also wirklich begrenzt, das hatte ich gehört. Aber wie lange dauerte nochmal eine Woche? Ich schwor mir, dass ich wie vorgesehen nach Hause fahren würde und entwickelte eine irrsinnige Energie gegen das Fieber. Es musste unbedingt sinken - und das tat es auch. Am Morgen darauf kam die „Tante“ wieder zum Fiebermessen. Es war verschwunden, was bei Kindern ja auch normal sein kann. Das wusste ich bis dahin aber noch nicht. Sie glaubte mir nicht, ließ die Temperatur erneut messen und blieb bei mir stehen, damit ich nicht schummeln konnte. Das hätte ich mich sowieso nie getraut. Meine Hände musste ich auf die Bettdecke legen und ich durfte mich nicht bewegen. Nach dem Messen verließ sie den Saal, ließ mich im Ungewissen. Erst am Abend vor der Heimreise -ich weiß nicht, ob es derselbe oder der nächste oder irgendein anderer Abend war- erfuhr ich, dass es für mich „morgen“ nach Hause gehen sollte. Ich konnte es nicht erwarten, glaubte es erst, als ich im Zug saß, und auch dann befielen mich immer wieder Zweifel.
Meine Eltern waren überrascht, mich von einer Krankheit gezeichnet zu sehen. Ich war kraftlos, und meine Lippen waren aufgesprungen. Trotzdem, alle freuten sich, es gab eine kleine Wiedersehens-feier für mich. Das alles habe ich nur durch eine Nebelwolke wahrgenommen, den Kuchen nicht genießen können. Ich fühlte mich vollkommen erschöpft, aber heilfroh, wieder zuhause sein zu dürfen.
Erzählt habe ich zunächst kaum etwas, eigentlich gar nichts, obwohl ich immer wieder gefragt wurde. „Da will ich niemals wieder hin“, war das einzige, was ich antwortete.
Später hat mein Opa mich zu sich genommen und mir den Mund und das Herz für das Thema geöffnet. Dann habe ich ihm erzählt, und erzählt und erzählt. Seine Reaktion auf meine Erzählungen war es, die mir Sicherheit gegeben hat, dass mir Unrecht widerfahren war. Er nahm mich einfach, drückte mich an sich und sagte nichts. Das passte nicht zu Opa, er hatte sonst immer einen lustigen Spruch auf den Lippen und wollte damit trösten. In dieser Situation, in der er ernst und nachdenklich schaute, fühlte ich mich verstanden, das allein hat mir schon geholfen. Danach habe ich wohl auch mit meinen Eltern gesprochen. Oder Opa hat es ihnen erzählt. Auf jeden Fall hat es gut getan zu reden und mich verstanden zu fühlen.
Noch heute denke ich daran sowie darüber nach, wie gut ich trotz allem davongekommen war. Immerhin hatte ich ein intaktes Zuhause, war dort behütet und meine Seele konnte heilen. Viele Kinder hatten das nicht.
Es waren schreckliche Erlebnisse. Wir wurden durchweg unfreundlich und lieblos behandelt. Erbrochenes essen, nicht auf die Toilette gehen dürfen, beim Einnässen dann öffentliche Demütigung, ständiges Androhen von Strafen, es gab eigentlich nur Angst.
das Kindererholungsheim Stetten am kalten Mark war meines Wissens nach von der evangelischen Diakonie betrieben. Ich war 56/57 dort. Im Netz gibt es noch ein paar alte Fotos vom Haus aus der Zeit. Ich habe einen Bericht geschrieben, den man unter meinem Namen lesen kann oder ich schicke ihn Dir gerne zu.
Wir sind offenbar zu einer ähnlichen Zeit dort gewesen.
Freundliche Grüße aus dem Rheinland
Ulrich Nolden
Dann zu den Älteren verlegt worden. Dort legten sich dann 15 jährige neben die 8 Jährigen und befummelten sie.
Wer abends nicht ruhig im Bett lag, bekam einen kleinen Eimer Wasser von den Betreuerinnen ins Gesicht / Bett und lag den Rest der Nacht im Feuchten. Wie als hätte man ins Bett gemacht.
Meine Erinnerungen nach gut 70 Jahren sind verblasst und nicht mehr so detailliert wie die anderen, die zu diesem Heim geschildert werden. Haften geblieben sind die Spaziergänge oder kurze Wanderungen Hand in Hand und zu zweit in der Gruppe - wir waren ja alle unter 10 Jahre alt - sowie die Mittagsruhe, eingewickelt in Decken auf der offenen Veranda. Beides war ich von zu Hause gewohnt und somit für mich nichts besonderes.
Interessant ist die Beschreibung der Anfangszeit des Heimes (ca. 1936) und seiner Gründerin Erika Schwoerer, die sich in dem Buch "Meine Schwester starb in Auschwitz" von Richard Zahlten findet. Die Schwester war Dr. Johann Geissmar, eine jüdische Ärztin, die nach dem Berufsverbot durch die Nazis für wenige Jahre in Saig Zuflucht suchte und bei Erika Schwoerer menschlichen Trost fand. Richard Zahlten schreibt über Erika Schwoerer: "Erika Schwoerer war eine resolute Frau. Mit fester Hand führte sie die Kinder bei Spaziergängen über die Feldwege, wobei die Mädchen aus dem Dorf verwundert auf die bunten Kleider der Stadtkinder schauten ..."
Eines aber werde ich bis zu meiner letzten Stunde nicht vergessen. Es spielt in vielen, vielen schlimmen Erlebnissen in Kindererholungsheimen, die man hier lesen kann, eine zentrale Rolle: Der unerbittliche Zwang beim Essen und die nachfolgende Züchtigung, wenn man nicht den Erwartungen entsprechen konnte. Bei mir war es der unausweichliche Ekel und Brechreiz, wenn ich Fleisch mit dem damals immer vorhandenen, schwabbelnden Speckrand essen sollte. Ich konnte es einfach nicht.
Ich saß also allein als letzter am Tisch, für wie lange weiß ich nicht, denn aufstehen durfte man erst, wenn der Teller leer war. Beim ersten Mal gelang es mir, in einem unbemerkten Augenblick das Fleisch mit dem Speck in meiner Hosentasche verschwinden zu lassen. Auf der Toilette habe ich es anschließend hinunter gespült. Beim zweiten Mal wurde ich ertappt. Vielleicht hatten die Betreuerinnen auch schon Verdacht geschöpft und mich die ganze Zeit intensiv beobachtet. Ich wurde zur Heimleitung gebracht. Die Frau hörte sich alles an, erhob sich von ihrem Schreibtischstuhl und befahl mir, die Hose und Unterhose auszuziehen. Dann schlug sie mich mit einem Stock auf den nackten Hintern. Wie oft, weiß ich nicht.
Zu Hause wurde ich nie geschlagen. Das damals im Heim zu erfahren war in meiner Erinnerung aber noch nicht einmal das Schlimme. Es war vielmehr die von mir so empfundene unermessliche Demütigung, vor dieser Frau und all den anderen, die Hose herunterlassen zu müssen.
Ich habe meinen Eltern erst mehr als zwei Jahrzehnte danach davon erzählen können. Mein Vater war empört aber ohnmächtig, nach so langer Zeit das Heim noch belangen zu können.
Das Kinderkurheim Schwoerer bestand bis 1981. An seiner Stelle steht heute der "Schindelhof", der an den Stil Schwarzwälder Höfe erinnert und mehrere einzelne Wohnungen beherbergt.
Manche Erzieherinnen waren freundlich, andere sehr streng. Man wußte nie, woran man war.
Allgemeine Drohungen waren z.B. „Wenn … dann wirst du nach Hause geschickt, und deine Eltern müssen die ganze Kur bezahlen.“ Oder „Wenn ... , dann bleibst du noch den nächsten Durchgang hier.“ Letzteres bekam ich beim (Nicht-richtig-)Essen oder Wiegen öfter zu hören. Zum Wiegen habe ich mir immer Sachen in die Schlafanzugtasche gesteckt, um schwerer zu sein. Das Essen war meistens gut. Aber es gab 2 mal Frühstück, dabei einmal immer einen Brei oder Puddingsuppe. Manche Erzieherinnen achteten darauf, wirklich alles aufzuessen, auch die Milchhaut (die ekelt mich). Vor-dem Teller-sitzen-bleiben, bis alles aufgegessen, oder aber alle am Tisch mußten den gesamten Tischdienst übernehmen.
Alle Kinder, ich war 11 und manche deutlich älter, mußten Mittagsschlaf machen. Bei Nichtschlafen drohte die Verlegung in den Schlafraum der kleinen Kinder, welcher an der Flurseite ein durchgehendes Fenster hatte und gegenüber dem Erzieherzimmer lag. Wir mittleren und die größeren hatten normale 4- oder 6-Bettzimmer. Ob man in der Schlafenszeit auf die Toilette durfte hing auch von den Erzieherinnen ab. "Du bist groß genug und kannst vorher gehen oder dich jetzt zusammenreißen. Wenn nicht, dann kannst du jetzt gehen, bekommst dann aber eine Gummihose." Da ich bei Bettenmachen bemerkt hatte, daß auf der Matratze ein großes rotes Gummituch lag (ich schämte mich deswegen, aber das war sicher in allen Betten so; und ich fand es eklig) nahm ich die Drohung ernst. Ein anderer Junge hat sogar mal aus dem Fenster gepinkelt.
Insgesamt habe ich die Kur trotzdem nicht "schrecklich" in Erinnerung.“
Auf dem Fragebogen hatte meine Mutter „schlechter Esser“ angekreuzt und so etwas wie „unruhiges“ oder „zappeliges Kind“. Beides war sicher richtig, und vielleicht nahm ich deshalb an, dass „es so sein soll“ bei einer Kur.
Das Sanatorium hatte einen Teil für Erwachsene, der Seitenflügel war für Kinder. In dem Durchgang waren Kinder im Alter von etwa 6 bis 16, nur Jungen.
War deshalb das Essen besser, als ich es hier in anderen Berichten lese? Und vielleicht konnte man mit größeren Kindern auch nicht ganz so umspringen wie mit (nur) kleinen Kindern?
1974 im Kinderheim Seeschloß Vorpraktikum (Studium Sozialwesen) absolviert. Leiter war Mitglied der Waffen SS (Leibstandarte A.H.), seine Frau ehemalige BDM- Lehrerin. Gruselig.
Ich war 1957 in Duhnen
Gebe auf google auf Druidenkinderheim ein.
Das Heim ist durch mehrere Hände gegangen
und steht jetzt nicht mehr.
Aber die Seite hat auch Fotos.
Ich selbst habe nur bruchstückhafte Erinnerungen an das Heim selbst - siehe meinen Bericht vom 29.07.2021. - Ich war mit fünf Jahren zu klein oder ich habe notwendigerweise alles
verdrängen müssen.
Ich hoffe, dass Dir damit fürs erste geholfen
ist....
Ich wünsche Dir alles Gute
Liebe Grüße von Silvia
Die geschilderten Zustände in anderen Berichten kann ich bestätigen.
Gruß, Ruth Bodenmiller
Es war meine zweite Verschickung, nachdem ich im Jahr zuvor auf Borkum war. An die Zeit auf Borkum kann ich mich allerdings gar nicht mehr erinnern, außer daran, dass das Haus auf Borkum von außen sehr dunkel aussah. Die Erinnerung daran ist wohl sehr tief in meinem Kopf vergraben.
Nach Winterberg kam ich im Jahr darauf mit dem Zug, zusammen mit vielen anderen Kindern. Ich weiß noch, dass viel geweint wurde unter den anwesenden Kindern, was mich unglaublich verunsichert hatte, weil ich nicht wusste, was da jetzt gerade passiert und was uns bevorsteht. An den Abschied auf dem Bahnsteig in Krefeld erinnere ich mich auch nur noch dunkel.
Im Heim selber kam ich dann in die Gruppe von „Schwester Vita“. Sie war, nach meiner Erinnerung, recht ruppig, aber insgesamt noch die Zugänglichste von allen.
Da ich als Kind im Kindergarten immer die Kleinste und Schmächtigste von allen war, wurde ich über meine Kinderärztin und die Familienfürsorge Krefeld, bei der meine Oma damals arbeitete, in die Verschickung gelotst.
Und ab hier melden sich meine Erinnerungen sehr deutlich. An Dinge, die ich essen musste, ob ich wollte oder nicht. Auch, wenn sie schon kalt geworden waren. Und bis zum Erbrechen und dann nochmal. Es gab damals einen „Dornröschenpudding“. Irgendein warmes, rosafarbenes, extrem süsses Zeug. Der wurde mir immer und immer wieder reingezwungen. Dazu Erbsen- und Linsensuppen, die ich sowieso auch vorher schon nie runterbekommen hatte. Solche Suppen kann ich auch heute noch nicht riechen, ohne dass mich sofort eine heftige Übelkeit an diese „Zwangsernährung“ erinnert. Auch das total fette Fleisch dort mit Schwarte war und ist für mich eine absolute Horrorerinnerung.
Hatte ich nachts Heimweh und deswegen im Bett gelegen und geweint, wurde ich barfuß in das große, dunkle Gemeinschaftsbad eingeschlossen, das nachts sowieso immer abgeschlossen war, denn außer der Reihe auf die Toilette gehen war uns untersagt. Ich erinnere mich, dass ich einmal nachts, als ich dort eingeschlossen war, durch das vergitterte Fenster des Badezimmers ein Feuerwerk gesehen habe. Das hat meine Angst im Dunkeln aber auch nicht wirklich abgeschwächt. In dem kalten Badezimmer roch es nachts abgestanden und nach Zahnpasta und die teils nur halb geschlossenen Türen der einzelnen Toilettenzellen haben mich total geängstigt. Noch heute wird mir übel, wenn ich in ein kaltes Bad komme, in dem es deutlich nach Zahncreme riecht.
In unserer gemischten Gruppe gab es einen Jungen, der nachts ins Bett gemacht hat. Ich erinnere mich daran, dass es mehrere Nächte gab, in dem die Betreuerinnen bei vollem Licht den Jungen aus dem Bett holten und kontrollierten, ob er wieder eingenässt hatte. Wenn ja, war das Geschrei groß und wir anderen hatten unglaubliche Angst. Es hat uns ja auch keiner getröstet.
An den Wochenenden fand meist eine Art „Party“ statt. Da gab es zur Abwechslung dann Kuchen und Limonade für alle, außerdem lief ein Kassettenrekorder oder ein Radio mit Musik, zu der wir durch den Raum hüpfen und springen durften. Hatte der oben genannte Junge aber unter der Woche ins Bett gemacht, wurde unserer ganzen Gruppe verboten, an diesem Partynachmittag teilzunehmen und wir mussten in unserem Schlafsaal bleiben. Für den betreffenden Jungen muss das furchtbar gewesen sein. Die Scham, ins Bett gemacht zu haben und wahrscheinlich auch die Schuldgefühle, dass die ganze Gruppe wegen ihm im Kollektiv dafür bestraft wurde. Ein schlimmer Gedanke, was dem Jungen widerfahren war, dass er überhaupt ins Bett gemacht hat. Psychologisch hatte das damals ja leider keiner hinterfragt, sondern den Druck auf den Jungen nur noch viel mehr aufgebaut.
An den Wochenenden durften wir Karten nachhause schicken. Da ich noch nicht schreiben und lesen konnte, musste ich notgedrungen der Betreuerin diktieren, was ich meinen Eltern mitteilen wollte. Ich weiß noch sehr genau, dass ich in den Karten darum gebettelt habe, dass man mich heimholt, dass ich Heimweh hätte, dass es in dem Heim ganz furchtbar sei, dass meine Mama mich bitte-bitte besuchen kommen sollte. Viele Jahre später habe ich mit meiner Mutter mal über den Aufenthalt in Winterberg gesprochen. Sie erinnerte sich, dass sie die alten Postkarten tatsächlich noch hätte. Wir haben sie dann gemeinsam gelesen und gemeinsam geweint, denn auf den Karten stand drauf, „dass das Wetter schön, die Betreuer sehr nett und der Ausflug auf den Kahlen Asten mit seinen vielen leckeren Blaubeeren ganz toll gewesen war!“ Seitdem fühlt sich meine Mutter bodenlos schuldig, dass sie sich von meiner Oma, die ja bei der Familienfürsorge an der Quelle für meine Verschickung saß, hat bequatschen lassen, weil „mir so eine Kur sicher nicht schaden würde“ und sich meine Mutter „mal nicht so anstellen sollte, weil sie mal ein paar Wochen auf mich verzichten müsse“. Meine Oma gehört noch der Generation an, die sich keine Gedanken darüber gemacht hat, ob es einem Kleinkind vielleicht schaden könnte, wenn es wochenlang allein und ohne seine Eltern von seinem Zuhause weg ist, drangsaliert wird und vor Heimweh und Angst eine komplette Wesensänderung durchmacht.
Meine Mutter hatte mir in dieser Zeit, die ich dort war, mal ein Paket geschickt, mit Süßigkeiten drin. Ich weiß noch, dass mein Mund wohl ein großes O geformt hat, als der Inhalt an alle Anwesenden verteilt wurde, noch bevor ich das Paket selber aufmachen durfte. In meiner Erinnerung „schwebt“ das Paket einfach von mir weg und die Kinder um mich herum waren selig, weil es außer der Reihe Schokolade für alle gab.
Ganz fies in Erinnerung sind mir auch die Spielenachmittage geblieben. Diese waren – rückblickend – einfach nur traumatisch und entwürdigend. Wohlgemerkt: ich war rund 6 Jahre alt! Das erste Spiel hieß oder war etwas in der Art von „Stühle schnüffeln“. Alle Kinder saßen draußen auf dem Gang oder standen herum. Man (ich) wurde nacheinander in einen Raum gerufen, die Tür wurde geschlossen und man (ich) musste sich auf einen von mehreren, nebeneinanderstehenden Stühlen setzen, den man sich aussuchen durfte. Dann wurde man aufgefordert, wieder aufzustehen und sich zu den Betreuerinnen zu stellen. Danach wurde eine weitere Betreuerin von draußen reingerufen („Kannst reinkommen“), die sich vor den ersten Stuhl kniete, daran tief und intensiv schnüffelte und nach und nach jeden weiteren Stuhl mit der Nase absuchte. Am Ende stand sie auf und zeigte zielstrebig auf den Stuhl Nummer 2, auf dem ich kurz vorher gesessen war. „Hier hat sie gesessen!“ – Ich war völlig beschämt, weil ich in dem Moment wirklich panisch dachte, ich würde stinken! Wie konnte diese Frau erschnüffeln, wo ich gesessen hatte??? Erst Jahre später habe ich das System dieses Spieles durchschaut, aber ich erinnere mich immer noch mit Grausen an meine Angst, dass ich „müffeln“ könnte. Das hat bis heute Spuren hinterlassen.
Ein weiteres, für mich sehr schlimmes Spiel war das mit den Schaumküssen. Auch hier standen und saßen wir alle wieder in einem Gang vor einer verschlossenen Tür und wurden nacheinander reingerufen. Keines von uns Kindern wusste, was uns hinter der geschlossenen Tür erwartete. Jedes Mal, wenn ein Kind in den Raum gerufen und dann die Tür geschlossen wurde, erscholl umgehend ein furchtbarer Schrei. Die meisten von uns haben sich wahrscheinlich in dem Moment in die Hose gemacht, vermute ich. Als ich an der Reihe war, kam ich in einen komplett dunklen Raum und die Tür schloss sich sofort hinter mir. Im selben Moment drückte mir jemand ziemlich feste einen Schaumkuss mitten ins Gesicht und raunte mir ins Ohr: „Los, jetzt schrei mal ganz laut!“ – Natürlich habe ich das gemacht, und sicher nicht nur, um der Aufforderung nachzukommen. Ich war ja völlig überrascht und hatte immer noch die Panik von der Warterei vor der Tür in den Knochen. Der einzige positive Effekt aus diesem Spiel ist, dass ich mir das Sterben heutzutage ähnlich wünsche. Keine Ahnung zu haben, was einen erwartet, aber dann hinterher – wenn es ein „Hinterher“ gibt – denken zu können: „Wie, das war alles?“. Denn wie Sterben fühlte sich die Angst in dem Moment garantiert an. Warum tat man kleinen Kindern sowas an?
Der schlimmste Albtraum für mich persönlich war der Kinderspielplatz, links hinter dem Haus, ein bisschen abseits gelegen am Hang. Dort gab es eine Holztrommel, so ein Laufrad, in dem die Kinder wie die Hamster rennen konnten. Während meiner Zeit dort hatten sich zwei größere Kinder – ich weiß nicht mehr, ob Junge oder Mädchen – einige Finger gebrochen, weil sie mit den Fingern zwischen die einzelnen Holz-Spalten geraten waren und dann in der Rolle einen Überschlag gemacht hatten.
Ich selber hatte in der 3. oder 4. Woche meines Aufenthalts dann final auch einen sehr schweren Unfall. Es gab dort auf dem Spielplatz einen Kletterbogen aus Metall, auf dem ich eines nachmittags saß, während es geregnet hatte. Ich war ganz allein dort! Von Betreuerinnen keine Spur. Das weiß ich, weil es nach dem Unfall längere Zeit gedauert hatte, bis ich gefunden wurde und man eine Betreuerin herangeholt hatte. Als ich jedenfalls oben auf einer der höchsten Stangen saß, die Füße auf der nächsten, rutschte ich durch die Nässe ab, schlug in der Luft wohl einen Purzelbaum und landete mit dem Gesicht auf den Steinplatten darunter. Damals war man leider noch nicht so schlau, Gras unter ein Klettergerüst zu pflanzen. Jedenfalls habe ich mir mit den Schneidezähnen an 2 Stellen die Unterlippe komplett durchbissen und dabei die Schneide- und einige weitere Zähne unwiederbringlich eingebüßt. Damit war für mich zumindest diese Kur dort abrupt vorbei. Durch die komplett vernähte und verpflasterte Schnute konnte ich monatelang keine feste Nahrung mehr zu mir nehmen und hatte durch den Unfall später einen so extremen Zahn- und Kieferschiefstand, dass ich bereits zu meinen frühesten Schulzeiten ein fast komplett neues Gebiss bekommen musste, welches über die Jahre dann natürlich auch mehrfach erneuert werden musste. Für meine Mutter war es eine Tortur, mich immer wieder zum Fädenziehen und Nachoperieren zum Kinderarzt zu begleiten und mehr als einmal ist sie dabei umgefallen.
Nach dem Aufenthalt in Winterberg fingen dann die Verhaltensauffälligkeiten an. Ich stand nachts zuhause in meinem Bett und zog bahnenweise die Tapeten von der Wand. Ich konnte an keiner Vereinsfahrt vom Kinderturnen teilnehmen, ohne als heulendes Elend zu enden, weil ich so Heimweh hatte. Ich schämte mich jahrelang für meine große Narbe an der Lippe und meine teils schiefen Zähne. Vor Jahren hat mir meine Mutter erzählt, dass sie mich aus psychologischen Gründen kurz nach der Kur in einem Malkurs angemeldet hatte, um von Fachleuten einschätzen zu lassen, warum ich so „komisch düstere“ Bilder malte. Egal, wo meine Eltern mich „nach der Zeit in Winterberg“ allein lassen wollten: ich war sofort durch den Wind und wollte nicht ohne zumindest einen Elternteil sein. Auch heute ist Alleinsein für mich die schlimmste Strafe, so dass ich zwischen früheren Partnerschaften so gut wie nie einen Tag mal allein sein konnte. Und das Alleinsein auch bis heute nie genießen kann.
Da ich in meiner Jugend mit meinen Eltern nach Bayern und mit Mitte 30 wieder zurück nach NRW gezogen bin, habe ich etwa vor 15 bis 20 Jahren Winterberg wieder mal besucht, weil ich die Gelegenheit nutzen wollte, wenn schon in der Nähe zu wohnen, dann auch gleich mit der Vergangenheit abschließen, denn ich hatte bis dato immer wieder schlimme flashbacks. Also fuhr ich nach Winterberg.
Zuerst habe ich das Gebäude gar nicht gefunden. Als Kind hatte ich eine lange Zufahrt in Erinnerung. Als ich jetzt wieder dort war, war die Siedlungsbebauung schon recht nah an das Gelände der Kurklinik rangekommen. Die Klinik lag gefühlt einfach mittendrin. An den Eingangsbereich erinnerte ich mich aber sofort. Inzwischen war aus dem Kinderkurheim ein Mutter-Kind-Kurheim geworden. Ich wusste auch noch, dass sich der Eingang zur Kapelle im Eingangsbereich befand. Also bin ich ins Gebäude gegangen, auf der Suche nach jemandem, dem ich erzählen konnte, dass ich Anfang der 70er dort zur Kinderkur war und einfach mal schauen wollte, wie das alles inzwischen aussah.
In der Eingangshalle traf ich auf eine uralte Nonne, der ich von Schwester Vita erzählte. Sie sagte, ja, Schwester Vita gäbe es tatsächlich noch, aber sie läge leider aktuell im Sterben, es könne sich leider nur noch um wenige Tage handeln, deswegen wäre es leider auch nicht möglich, dass ich sie besuche. Ich war total erstaunt, dass sie immer noch lebte. Damals Anfang der 70er kam sie mir schon steinalt vor.
Als ich von dem Spielplatz erzählte, auf dem ich diesen schrecklichen Unfall hatte, hat mich die Schwester gefragt: „Wollen Sie ihn sehen?“ Und ich: „ES GIBT IHN NOCH????“ – Da meinte sie: „Ja, den gibt es noch. Sie haben Glück, er soll in der nächsten Woche komplett abgebaut werden. Wir haben ja jetzt einen schönen neuen Spielplatz hier.“ Der Moment war und ist bis heute Gänsehaut pur.
Ich war total fassungslos! Wir gingen hinten aus dem Gebäude raus in den hinteren Teil und dann leicht bergab links Richtung ehemaligem Spielplatz. Weiter unten konnte man viele Kinder mit ihren Müttern ausgelassen lachen hören und spielen sehen. Was für ein Unterschied gegenüber damals!
Als wir zu dem alten Spielplatz kamen, konnte ich sehen, dass die einstmaligen Geräte fast im hohen Gras verschwunden waren. Als Erwachsene kamen mir die Geräte so winzig vor. Auch das Klettergerüst war noch da und ich wusste nicht, ob ich Lachen oder Brechen sollte. Die alte Nonne, die mich netterweise dorthin geführt hatte, hatte dann wohl gemerkt, dass mir die Erinnerungen unglaublich zu Schaffen machen und hat mich mit meinen Emotionen allein gelassen, was ich sehr nett fand. Ich habe mir ein paar Minuten Zeit gelassen, um mich endgültig von diesem Ort zu verabschieden, der jetzt, als ein Heim, wo Kinder mit ihren Müttern ausgelassen toben können, so völlig seinen Schrecken verloren hatte. Ich dachte wirklich, das war´s jetzt, jetzt kann ich endlich mit dem Thema abschließen und loslassen.
Pustekuchen!
Vor 2 Jahren bin ich schwer krank geworden. Erst körperlich, dann psychisch. Mit der Depression kamen plötzlich, wie kleine, fiese Unkrautpflanzen, viele Erinnerungen sehr deutlich wieder in mein Gedächtnis zurück gewuchert. Meine Unsicherheit von früher vor fremden Menschen und Orten meldet sich auf einmal wieder sehr deutlich. Meine Anhänglichkeit an meinen Partner wird immer schlimmer und panischer. Für 2022 steht bei mir die erste psychosomatische Reha in meinem Leben an. Leicht vorstellbar, was es jetzt schon für ein Stress für mich ist, daran zu denken, dass ich dann 5 Wochen allein bin. Wieder in einer Einrichtung, unter völlig fremden und sicher teils auch kranken und verunsicherten Menschen, wie ich oft einer bin. Ich werde mit zunehmendem Alter empfindlicher, was Gerüche angeht, denn bestimmte Gerüche lösen sofort unglaublich beklemmende Erinnerungen an Alleinsein, Zwang, Angst und psychische Gewalt aus. Ich habe nie daran gezweifelt, ob mich meine Erinnerungen vielleicht trügen, ob ich mir vieles vielleicht eingebildet habe, das möchte ich unbedingt dazu erwähnen. Auch wenn ich vieles vergessen habe – was sicher auch gut ist – so bin ich doch davon überzeugt, dass alles so passiert ist, wie ich oben beschrieben habe. Umso wichtiger finde ich es, dass alle Betroffenen die Möglichkeit haben, ihre Erinnerungen mit anderen Betroffenen zu teilen, zu vergleichen, zu verarbeiten. Mir, in meinem Fall, tut es gut, das alles mal aufzuschreiben, denn es schmerzt wesentlich weniger, als wenn es im Kopf bleibt und vielleicht macht es bei dem einen oder anderen "klick" und längst verschüttet geglaubte Erinnerungen kommen wieder zutage, die dann hoffentlich gut zu verarbeiten sind und nicht alte Wunden wieder aufreißen.
Und danke an alle, die bei der Aufarbeitung helfen und die, die sich trauen, ihre Geschichten zu erzählen. Es ist für mich auch beruhigend zu wissen, dass es heute gang und gäbe ist, Kinder MIT ihren Müttern zusammen in Kur zu schicken, um zu vermeiden, dass die zarten Seelen dieser kleinen Kinder durch Fremde gebrochen werden! Danke für eure Geduld beim Lesen meiner Erinnerungen!
Weiß leider nur noch den Ort, finde aber bisher keinerlei Infos zu einem Kinderverschickungsheim.
War dort vor meiner Einschulung ca. zw. 1957 und 1958 als 5-6jährige zusammen mit meiner 4jährigen Schwester. Wurden mit einem Sammelzug in Hamburg eingesammelt und ohne Bezugspersonen verschickt. Meine Schwester und ich haben die ganze Zeit geweint.
Im Kinderheim angekommen wurden wir sofort getrennt. Ich habe meine Schwester nur manchmal von weitem in einem großen Saal beim Mittagessen gesehen.
An die Verpflegung kann ich mich nicht erinnern. Alle Kinder mussten immer so lange sitzen bleiben, bis der Teller leer war. Bei mir waren das manchmal gefühlte Stunden. Ich saß oft noch zusammen mit einer Betreuerin allein im Speisesaal. Selbst Erbrochenes musste ich wieder essen.
Mit meiner Schwester durfte ich nicht zusammen sein. Einmal habe ich sie nach Suchen allein im hohen Gitterbett gefunden. Ich konnte sie da nicht rausholen.
Alle meine Erinnerungen sind bruchstückhaft. Meine Schwester und meine Eltern sind inzwischen verstorben, so dass ich auch niemanden mehr fragen kann.
Deshalb meine Bitte an alle, die ähnliche Erfahrungen in Cuxhaven in dieser Zeit gemacht haben, mir ein paar Zeilen zu antworten. Danke im Voraus!
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Böcher
Angeblich um mein Asthma zu kurieren - dort angekommen stellte sich aber schnell heraus, dass ich von dem dortigen Arzt (?) für übergewichtig erklärt wurde. Dies bedeutete 4 Wochen spezielle Diät-Kost.
Davon hatte man mir und meinen Eltern vorher nichts erzählt.
Wenn ich an die Zeit dort zurück denke, habe ich überwiegend schlechte und schlimme Erinnerungen.
Die "ErzieherInnen" zensierten unsere Briefe nach Hause - wenn da etwas "falsches" drin stand, musste man den Brief nochmal schreiben. Die ganze Atmosphäre dort war von Zwang, Unterdrückung und Bevormundung geprägt.
Keine lachenden und spielenden Kinder, sondern eher "Zucht und Ordnung" der "alten Schule".
Gehorsam und Pflichterfüllung waren hier wichtiger als Individualität und Freiheit.
Ich erinnere mich an einen Vorfall beim täglichen Essensritual im Essraum: Da schon beim Frühstück das Brot dermaßen rationiert war, leckte ein Kind alle Weißbrotscheiben ab und steckte sie danach wieder in den Brotkorb (man durfte sich nur immer jeweils 1 Scheibe auf den Teller legen).
Die verantwortlichen "ErzieherInnen" ließen sie gewähren.
3 von den 4 Wochen dort goss es in Strömen und wir waren überwiegend im Haus, da wir wegen des Wetters nicht rauskonnten. Ich erinnere mich an unsympathische und unempathische "ErzieherInnen" .
Ich habe nicht mehr viele Erinnerungen an diese Zeit - was mich wundert, da ich mich an andere Ereignisse in diesem Lebensjahr noch sehr gut erinnere.
Ich befürchte, dass ich dort traumatisiert wurde und mich meine Seele durch das "Vergessen lassen" geschützt hat.
Hallo, Ihr alle,
als ich in das Buch „Die Akte Verschickungskinder“ entdeckte, bestellte ich es, wie unter Zwang. Denn mir fiel wieder ein, dass auch ich zweimal verschickt wurde. Einmal 1950 (ich bin Baujahr 1943) nach Reinhardshausen bei Wildungen, und 1959 mit 16 in den Schwarzwald, nach Todtmoos ins Haus Waldfrieden. Dass ich jedoch meine dazugehörenden Erinnerungen niederschreiben würde, hätte ich nie gedacht. Und da ich inzwischen 78 bin, gehöre ich
hier wohl zu den Oldies, denn ich habe nur wenige gefunden, die um 1950 herum verschickt wurden.
Hier das Beweisfoto:
Der zweite von rechts unterhalb der „Tante“, das bin ich.
HIER SOLLTE SICH JETZT EIGENTLICH EIN FOTO DES HEIMS UND DAS DES BUCHES BEFINDEN, ABER BEIDES WURDE NICHT ÜBERNOMMEN.
Bisher dachte ich immer, dass ich nur schöne und keine negativen Erfahrungen gemacht hätte. Ins Grübeln kam ich jedoch, als ich folgenden Satz in o.gen. Buch auf Seite 246 las. »Kinder machen Dinge immer lieber selbst mit sich allein aus. Sie ziehen andere Menschen nicht gern ins Vertrauen.« Hat doch auch mich diese Einstellung fast mein ganzes Leben begleitet. Erst Ende der 1990er begann ich, mich in diversen Selbsterfahrungsseminaren in mühsamer Kleinarbeit davon zu befreien. Zuvor vermochte ich nicht zu sagen, was mit mir los war oder wie es mir wirklich ging. Und in diesem Moment, in dem ich das schreibe, läuft es mir kalt den Rücken runter, und die Augen werden feucht.
War da doch mehr in meiner ersten Verschickung, als ich mir je eingestehen wollte oder konnte? Nur was?
Allerdings schien mir bisher alles zu meinen Verschickungen mehr oder weniger stimmig, sodass ich nie daran zweifelte. Zumal meine Mutter erzählte, dass ich, sobald ich laufen konnte, auf das Stichwort „Teita“, selbst an der Hand eines Fremden mitging, um die Welt zu erkunden. Und dazu passt auch, dass ich mit 9 oder 10 immer wieder mutterseelenallein stundenlang durch Wiesen und Wälder streifte, ohne dass ich jemandem davon erzählte.
Hinzu kommt, dass ich weder als Kind, Jugendlicher oder Erwachsener Heimweh kannte, und nie wusste, was das ist – egal wohin ich fuhr und wie lange die Reise dauerte. Und so war es kein Wunder, dass ich, als ich als 64jähriger zu meiner zweijährigen Reise per Bahn, Bus & Schiff nach Australien aufbrach, nie Heimweh verspürte. Aber da hatte ich mich ja quasi selber verschickt. Heimweh habe ich damals nur bei anderen Travellern erlebt, besonders zu Weihnachten, weiß also zumindest, wie es aussieht.
Meine Eltern haben mich insgesamt zweimal verschickt. Wobei ich beim ersten Mal 7 Jahre alt gewesen sein dürfte, denn ich ging schon eine Weile in die Volksschule, und Herrmann, ein Mitschüler, wurde ebenfalls verschickt. Seltsamerweise befindet er sich nicht auf dem Beweisfoto meines Aufenthalts.
Doch wenn ich an damals denke, habe ich sofort das Bild vor Augen, wie er und ich mit unseren Koffern, mit meinen und seinen Eltern und weiteren Familienmitgliedern neben unserer Schule und der Kirche trafen, da sie von dort aus zum nahegelegenen Bahnhof und zum Zug bringen wollten. Und ich weiß auch noch, dass ich aufgeregt zwischen den Erwachsenen herumlief, voller Vorfreude auf das Abenteuer einer Zugfahrt in die Ferien. Und so war ich weder traurig, noch hatte ich Angst. Was allerdings nicht auf Herrmann zutraf, denn er weinte und wollte nicht weg.
Wer und ob uns jemand im Zug begleitete, weiß ich nicht mehr – auch nicht, ob weitere Kinder im Laufe der Fahrt dazu kamen – nur dass Landschaften und Orte an mir vorbeizogen und stets ein neues Bild boten, schließlich hatte ich einen Fensterplatz.
Dass wir nach Reinhardshausen fahren würden, hatte ich zwar immer wieder gehört, auch dass es bei Bad Wildungen liegen sollte, doch tangierte mich das erst einmal noch nicht. Erst als man uns an der Endstation abholte, realisierte ich, dass wir jetzt zum Kinderheim Reinhardsquelle fuhren. Noch heute findet man eine Klinik Reinhardsquelle im Internet, mit dem Zusatz: »Die Klinik für Körper und Seele.«
In einer meiner ersten Erinnerungen sehe ich einen Speisesaal mit dem gleichen Bild, wie auf dem Cover des Buches, und glaubte mich selber vor Kopf des Tisches zu sehen. Aber auch der Schlafsaal fiel mir sofort wieder ein. Er erschien mir damals riesig und es standen unzählige weiße Betten aus Metall darin. Und da der Raum weiß gestrichen war, machte es eher den Eindruck eines Krankenhauses, in dem ich ein Bett zugewiesen bekam, und zwar mittendrin. Wo Herrmanns Bett war, weiß ich nicht mehr, auch nicht, ob und wie oft wir uns im Haus oder draußen gesehen oder getroffen haben. Womöglich wurden wir getrennt, wie es in den Berichten oft heißt, auch wenn wir nicht befreundet waren.
In jenem Saal hatte man immer zwei Betten der Länge nach mit dem Kopf- oder Fußende aneinander gestellt. Und dazwischen gab es schmale Kreuz- und Quergänge, in denen Laufen und Rennen verboten war, auch laut sein durften wir hier nicht.
Vom Bett aus schaute ich auf eine lange, hohe Wand und sah links hinten in der Ecke der seitlichen Wand den Durchgang zum Wasch- / Duschraum und Toiletten.
In der rechten Wand befanden sich die Fenster, so hoch angeordnet, dass ich nur den Himmel und Baumwipfel sehen konnte. Und wenn abends Licht brannte, war es trotzdem nicht hell, eher dämmerig, und nachts brannten nur einige Lampen, sodass immer eine gewisse Grundhelligkeit herrschte. Da ich als Kriegskind schon ganz andere Schlafplätze kennen gelernt hatte, fand ich es hier durchaus als angenehm, denn alles machte einen sauberen, ordentlichen Eindruck.
Ich wurde auf Anraten unseres Hausarztes Dr. Urbisch verschickt, wegen Bettnässen und weil ich ihm zu mager war. Ich erinnere mich jedoch nicht daran, jemals im Kinderheim ins Bett gemacht zu haben, gar dafür bestraft worden zu sein. Dabei war ich ein Kind, das – solange wir in unseren zwei Nachkriegszimmern hausten – jede Nacht ins Bett machte.
Dass es aber noch einen dritten Grund gab, erfuhr ich erst jetzt von meiner Schwester, die sich an ein Gespräch zwischen Dr. Urbisch und unseren Eltern erinnerte. Darin sagte er u.a., dass es gut für ihre Beziehung sei, wenn eins der Kinder – die Wahl fiel auf mich – mal eine Weile nicht da sei, damit unsere Mutter etwas mehr Ruhe bekäme, und unsere Eltern mehr für sich sein könnten. Schließlich war unser Vater 1950 noch nicht lange aus der Gefangenschaft zurück und unser Bruder, das Nesthäkchen, war erst seit kurzem auf der Welt.
Was das Essen betrifft, das oft als ungenießbar beschrieben wird, gab es für mich als besagtes Kriegskind nichts zu beklagen, schließlich hatte ich gelernt, alles zu essen. Hauptsache es füllte den Magen. Es gab nur ein Gericht, dass ich nicht mochte und kaum durch den Hals bekam: Die Graupensuppe der Nachkriegszeit. Aber die hat man uns im Kinderheim nie serviert, also dachte ich nicht einmal daran.
Aber als ich mir jetzt das o.a. Beweisfoto mal wieder anschaute, stellte ich fest, dass bis auf die Tante nur Jungens abgebildet waren, und dass wir alle einen fröhlichen Eindruck machen. Auf Befehl unter Androhung von Strafen? Und wo waren die Mädchen? Hat man von ihnen ein eigenes Gruppenfoto gemacht?
Schade, denn zu gern hätte ich mir das Mädchen mit den lockigen schwarzen Haaren angeschaut, in das ich mich damals verguckte. Ob sie mich auch mochte, weiß ich allerdings nicht, denn es gab ja kaum Gelegenheit, miteinander in Kontakt zu kommen. Wir schauten uns nur an, wenn wir uns begegneten.
Doch einmal, bei einer Veranstaltung oder Versammlung in einem Saal, saß ich direkt hinter ihr und schenkte ihr ein Stück Stoff in Postkartengröße, auf das ich – da ich damals schon gut zeichnen konnte – ein Bild mit Motiven gemalt hatte, die mich zu der Zeit begeisterten: einen Indianerkopf mit Federschmuck und ein Indianerkanu. Ob sie sich darüber freute, es womöglich als Andenken behielt, weiß ich jedoch nicht, zumal sie es eher erschrocken entgegennahm.
Auch daran, dass wir zum Blaubeersammeln in den Wald gingen, der direkt am Heim an einem Hang begann, erinnere ich mich gern. Dazu bekam jeder ein Gefäß, das voll werden sollte, wie es hieß. Man erlaubte uns aber auch, die Beeren zu essen, sodass niemand ein volles Gefäß ablieferte und die Tante scherzhaft mit uns schimpfte. Jedenfalls habe ich immer gerne Beeren gesammelt, da wir sie später auf einem Kuchen oder in einer Quarkspeise zurückbekamen.
Aber auch zwischendurch kraxelte ich immer mal wieder ein Stück weit den Hang hinauf in den Wald mit seinen Büschen und Lichtungen und dachte dabei an Hänsel und Gretel. Dabei bemühte ich mich, dass mich keine der Tanten sah, sonst hätten sie es sicher verboten.
Woran ich mich ebenfalls lebhaft erinnere, ist ein Spaziergang durch den Zauberwald mit umgestürzten Bäumen, undurchdringbaren, ineinander verwachsenen Büschen und dazwischen liegenden Felsen. Es sah wie der Urwald aus, den ich von Bildern kannte.
Von den verfaulenden Bäumen durften wir ein Stückchen mitnehmen, denn man hatte uns gesagt, dass es nachts im Dunkeln leuchtet. Doch ob es das auch wirklich tat, weiß ich nicht mehr.
Ich habe also nur schöne Erinnerungen an meinen Kurlaub, denn daran, dass wir ausgeschimpft, gar geschlagen wurden, erinnere ich mich nicht. Nur an Tanten, die freundlich mit uns umgingen, wie zuvor die im Kindergarten. Also völlig anders, als in den Berichten über Reinhardshausen in den 1980er Jahren.
Wie kann ein derartiger Absturz erfolgen? Wahrscheinlich durch Heimleiter- und Personalwechsel und übergeordnete Instanzen, wie Jugendamt, Kirche und die jeweilige Stadt, oder?
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Es gab aber noch eine weitere Ausquartierung zwischen den Verschickungen, und zwar, als meine Mutter eine Kur genehmigt bekam. Ich kam zu meiner Tante und meinem Onkel und ihren beiden Kindern, und meine Schwester zu einer anderen Tante und ihrer Familie. Diese ausgedehnten Wochen der Kur hätten für mich fast ein Sitzenbleiben in der Schule zur Folge gehabt, da ich stets behaupte, meine Schulaufgaben gemacht zu haben, was niemand kontrollierte, und ich derweil die Zeit nutzte, um durch Wiesen und Wälder zu stromern. Nur gezielter und intensiver Nachhilfeunterricht in Englisch und Mathe verschonten mich vor dem Paptus. Ob ich meinen Vater und meine Schwester in der Zeit sah, weiß ich nicht mehr. Auch nicht, ob ich mich freute, als unsere Mutter wieder da war, es schien mir eher, als wäre es mir egal.
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Meine zweite Verschickung erfolgte mit 16 in den Schwarzwald nach Todtmoos ins Kinderheim Haus Waldfrieden, das mitten in der Pampa lag.
HIER SOLLTE SICH EINE SKIZZE VON DEM HAUS WALDFRIEDEN BEFINDEN, ABER AUCH SIE WURDE NICHT ÜBERNOMMEN:
Später schrieb ich in mein Fotoalbum: „Meine Schwarzwaldfahrt 1959“. Daher habe ich das wohl mehr als Urlaub empfunden. Ich, dessen Eltern, und damit auch ich, noch nie Urlaub gemacht hatten. Aber wieso sie mich in dem Alter ein zweites Mal verschickten, entzieht sich meiner Kenntnis, schließlich pieselte ich schon lange nicht mehr ins Bett, und zu mager war auch nicht mehr. Womöglich brauchten sie einfach mal ’ne Auszeit von ihrem pubertierenden Sohn.
An die lange Zugfahrt, und wie sie ablief, die Ankunft in Todtmoos, und ob es eine Begleitperson gab, erinnere ich mich auch nicht mehr. Nur daran, dass die ganze Landschaft um das Heim aus grasbewachsenen Hügeln bestand, und dass es in der Ferne dunkel bewaldete Hügel gab. War das der Schwarzwald?
Jedenfalls musste ich, wenn ich in die Stadt wollte, gefühlte zwei Stunden hügelrauf und hügelrunter laufen, bis ich endlich im Ort war. Diese Strapazen sorgten wohl dafür, dass ich bergige Landschaften später mied und die See, das Meer bevorzugte.
Trotzdem nahm ich diesen Marsch, auch wenn ich es anstrengend fand, gerne und oft inkauf, da Todtmoos so anders aussah, als alle Städte die ich kannte. Bis man es mir verbot. Was ich ausgefressen hatte, weiß ich nicht mehr, zumal ich längst ein Autoritätsproblem hatte, das sich allerding hier eher selten zeigte. Ich war eher als Guerilla-Kämper unterwegs, der gelernt hatte, Verbote geschickt zu umgehen, statt zu provozieren. Was aber nicht bedeutete, zum Einzelgänger geworden zu sein, denn ich wollte die Mitbewohner des Kinderheims durchaus kennenlernen. Es gab kleine Kinder, nur wenige Jahre alt, bis hin zu 18jährigen. Ich lag mit meine 16 Lenzen dazwischen und gehörte weder zu den Kleinen, noch zu den Großen, die mich einfach ignorierten. Ich erinnere mich aber an den gleichaltrigen Schorsch, mit dem ich immer wieder etwas unternahm, heute würde man sagen, abhing.
Ich vergesse aber auch nicht, dass die 18jährigen im Treppenhaus einmal einen Tumult verursachten, bei dem sie eine der Helferinnen – die auch nicht älter als 18 gewesen sein dürfte – in eine Ecke drängten und unter Gegröhle betatschten, wie ich aus der Retrospektive annahm. Drumherum wimmelte es von uns Jüngeren, die ebenfalls schrien, ohne zu wissen, was da ablief.
Ob sich das Mädchen wehrte, konnte ich nicht sehen und ob sie schrie, hörte ich bei dem Radau nicht. Auf jeden Fall aber ging der Leiter der Gruppe schreiend dazwischen, und ich kriegte Schiss und sah zu, dass ich wegkam.
Einmal fuhren wir nach Freiburg, und ein andermal in die Schweiz nach Luzern, an den Vierwaldtstättersee. In Freiburg beeindruckten mich die künstlichen Bachläufe. Schmale Kanäle, die überall durch die Stadt liefen, und stellte Jahrzehnte später, bei einem erneuten Besuch der Stadt fest, dass es sie immer noch gab.
Auf der Fahrt zum Vierwaldtstättersee staunte ich über die in den Felsen gehauenen Straßen, und über die Postkarten-Idylle des Sees mit den Bergen und Luzern. Dort klauten wir in einem Devotinalienladen überlange Zigaretten, die einzeln in verschiedenen Farben in einem Korb lagen. Für uns quasi der erste Selbstbedienungsladen. Ob und wo wir sie geraucht haben, oder an die Großen verschenkten, weiß ich nicht mehr, weiß aber noch, dass mir das Herz bei unserer Diebestat so laut klopfte, dass ich annahm, jeder könne es hören.
Etwa in der Mitte meines Aufenthalts bekam ich Besuch von den Pfadfindern aus meiner Heimatstadt, zu denen auch ich damals gehörte. Sie wollten durch den Schwarzwald wandern und hatten versprochen, dass sie vorbeikämen. Und normalerweise, wenn man mich nicht verschickt hätte, wäre ich mit ihnen gefahren. Daher fand ich es schön, dass sie mich besuchten.
Und dann gingen die sechs Wochen auch schon dem Ende zu, und der Leiter unserer Gruppe lud alle, die alt genug waren, zu einem Abschlussgespräch in sein Büro ein. In diesem Gespräch sagte er, dass er von jedem einzelnen wüsste, was mit ihm los ist und dass er ihn einschätzen könne. Doch bei mir hätte er keine Ahnung, wer ich sei und wüsste es auch nach den sechs Wochen nicht. Daher bat er mich, ihm zum Schluss ein wenig von mir zu erzählen. Ich wusste jedoch nicht was und stotterte irgendwas vor mich hin, Dabei wäre ich vor Stolz fast geplatzt, weil ich es geschafft hatte, selbst einem Fachmann ein X für ein U vorgemacht zu haben. Zu gründlich hatte ich gelernt, mich keinem Erwachsenen mehr anzuvertrauen.
Erst Jahrzehnte später begriff ich in meinen Selbsterfahrungsseminaren, welche Chance ich da vertan hatte.
An den Rückweg, die Ankunft zu Hause, ob man mich am Bahnhof abholte oder ob ich allein nach Haus marschierte, und ob und was ich erzählte, erinnere ich mich nicht. Auch nicht, ob die Verschickung irgendwelche Nachwirkungen hatte – wie schon zuvor bei der ersten. Der Alltag hatte mich wieder.
In Wyk auf Föhr hab ich die anderen Kinder getröstet, da war ich schon 12. Nach dem Essen in der Liegehalle mit Pferdedecken und Staubwolken eine std schlafen. Strandspaziergänge. Aber es war auszuhalten. Sabine Bischoff hat mich in ihrem Tweed erwähnt, würde mich gerne austauschen. Bin über FB mit diesem Namen zu finden. ( Pferdefrau). Hab auch noch ein Gruppenbild von damals.
Dieser Erzieher Herr Kruppa hat auch andere, größere Jungs sexuell missbraucht was mir später von einem Jungen der selbst betroffen ist erzählt wurde.
Nach mehr als 40 Jahren ist diese Geschichte für mich nach wie vor aktuell und werde so auch mit ins Grab nehmen.
Vielen Dank für die Gelegenheit mal etwas darüber zu schreiben.
Liebe Grüße
René Schröer
Wie in meine anderen Heime auch, wurde ich nach einem KH-Aufenthalt wegen Masern und Scharlach dort "zur Erholung" hingeschickt.
Bei einer kürzlich stattgefundenen Familienfeier kam das Thema "Verschickungskinder" auf und ich wurde wieder schmerzlich an diesen Heimaufenthalt erinnert. Der Aufenthalt dort war die Hölle. Meinen Bruder hab ich in der ganzen Zeit nur auf den gemeinsamen Spielplatz- Aufenthalten gesehen, der Spielplatz befand sich hinterm Haus. Ansonsten war jeder auf sich allein gestellt.
Vergammeltes Essen, Schläge, unbegründete Bestrafungen, Postzensur, Herabwürdigungen und Demütigungen begleiteten uns quasi täglich. Ich glaube, dass ich hier nicht näher auf Details eingehen muss, weil sich die ausführlichen Zustände mit allen anderen Heimen offensichtlich decken.
Wir würden gezwungen, in unseren Briefen nach Hause alles schön zu reden, ansonsten sind die Briefe nicht rausgegangen.
Mein Bruder und ich haben das Thema ziemlich verdrängt, wir waren nur froh und glücklich wieder zu Hause zu sein. Wie sehr auch mein Bruder gelitten hat, habe ich erst Jahre später erfahren. Wir glaubten allerdings beide, dass es sich um Einzelschicksale gehandelt hat.
Nach unserer Familienfeier haben wir dann beide mal gegoogelt und waren erschrocken, wie viele Heime so "gearbeitet" haben und vieviele Schicksale da dran hängen. Unsere Eltern haben in gutem Glauben und Vertrauen gehandelt. Das Thema wurde sicherlich viele Jahre tot geschwiegen.
Ich bitte um Infos und Links, die dazu beitragen, diese Missstände öffentlichen zu machen.
Vielen Dank, mfG, Silke
ich bin heute zufällig auf das Thema "Verschickungskinder" gestoßen. Da überkam mich ein komisches Gefühl. Es berührt mich irgendwie. Denn ich war auch als Kind, ich weiß nicht, ob ich schon in der Schule war, auf der Insel Amrum. Kann mich aber leider an nichts erinnern. Nur dass eine Bahnfahrt und ein kurzer 1/2 stündiger Flug mich dort hin brachte.
Ich war oft erkältet und meine Eltern dachten, sie tun mir damit etwas Gutes. Nur, wie schon geschrieben, habe ich keine weiteren Erinnerungen daran...noch nicht. Vielleicht eröffnet sich nun die eine oder andere kleine Erinnerung. Ich gehe oft in Hypnose, vielleicht führt sie mich da hin. Bin gespannt.
Evtl. folgt ein Bericht.
Bin just hier Mitglied geworden, deshalb suche ich noch die "PN"-Taste.
Ich war damals auch da und mir geht es genauso. Nur sehr fragmentarische Errinnerungen. Da ich derzeit das haus meier eltern räume, sind mir einige alte Sachen schon in die Hände gefallen.
Über persönliche Kontaktaufnahme würde ich mich freuen. Auch von anderen Betroffenen.
Gruß an alle
Dirk
Im Zug fragte ich die Begleitung, wo denn meine Schwester und Mutter wären. Sie sagte mir, die würden nachkommen.
Nach einer stürmischen Überfahrt, bei der ich große Angst hatte, kamen wir auf Borkum im Kinderheim an. Uns wurden Nummern zugeteilt, mit denen wir auch angeredet worden sind und die sich nach der Lage im Schlafsaal richtete. Ich war Nummer 1, weil ich als erste in einem Saal mit 40 Kindern (Jungen und Mädchen) lag. Ich erinnere mich, dass Nummer 2 neben mir Claudia hieß. Wir beide haben ständig Fluchtpläne geschmiedet, konnten diese aber nicht umsetzen.
Ich muss zur Karnevalszeit dagewesene sein, da man mir auf mein wiederholtes Nachfragen erzählte, dass meine Mutter und meine Schwester zur Karnevalsfeier kämen, was natürlich nicht passierte.
Wir mussten beim Tischdecken und Tischabdecken helfen. Da ich noch nicht schreiben konnte, waren meine Briefe, geschrieben von einer Betreuerin, natürlich zensiert.
Wir durften Nachts nicht auf Toilette und Bettnässer wurden gedehmütigt.
Ich bekam Mumps und durfte in einem Einzelzimmer schlafen, das war trotz Krankheit eine Wohltat, da keiner meine Sachen stahl. Meine Lieblingspuppe wurde von anderen Kindern beschädigt.
Wir haben viele Spaziergänge am Meer gemacht und konnten Muscheln sammeln, das fand ich immer schön. Getränke wurden auf diesen Spaziergängen nicht mitgenommen und die Betreuerinnen tranken vor unsren Augen, während uns die Zunge zum Hals heraushing.
Ab und zu gingen wir in ein Hallenbad mit Wellen und Salzwasser, daran erinnere ich mich gerne.
Kurz vor Ende der „Kur“ bekam ich Röteln und kam auf die Krankenstation. Die Krankenschwester dort war eine Wohltat, sie war sehr fürsorglich. Sie hat mich trotz Fieber nach Hause geschickt, obwohl sie das nicht durfte.
Ich kam in einem erbärmlichen Zustand nach Hause und meinen Mutter wollte mir nicht recht glauben, wie es auf Borkum war. Sie war damit beschäftigt meinen Vater zu verlassen. Kurz nach meiner Rückkehr sind wir ausgezogen.
Später sagte sie mir, sie wäre froh gewesen, dass ich in der Zeit, wo sie die Trennung vorbereitet hatte, nicht da war.
Mein Vater erzählte mir später, dass ich wegen Problemen mit den Bronchien nach Borkum kam, meine Mutter konnte sich nicht mehr erinnern.
Diese Zeit kann ich nicht vergessen und sie kommt immer wieder hoch und ich muss darüber erzählen.
Ich erinnere mich, dass mich mein Opa an den Busbahnhof in Mühlhausen gebracht hat. Meine Mutter musste arbeiten. Ich habe im Bus (gefühlt) die ganze Fahrt geweint. Die Erzieherin die mitgefahren ist, war nett und tröstend zu mir. Ich habe ihr gesagt, dass ich Kopfschmerzen habe und sie hat mir erklärt, dass dies vom vielen weinen käme. Ich habe sie dann gefragt, ob sie dann auch da ist wo wir jetzt hinfahren. Sie hat es verneint und ich konnte mich kaum noch beruhigen.
Meine nächste Erinnerung ist, dass ich nachts wach werde, weil ich ins Bett gemacht habe. Ich erinnere mich an einen langen, großen, hohen Flur - ich nehme an, weil ich so klein war. Ich hatte Angst und Schamgefühle. Ich weiß, dass es nicht gut war, dass mir das passiert ist aber ich habe leider keine Bilder mehr was genau danach geschehen ist.
Eine weitere Erinnerung ist eine Art Klassenraum in dem wir, glaube ich, die Karten bemalen sollten, die die Erzieherinnen geschrieben haben. Diese Karten gab es auch noch lange Zeit bei meiner Mutter. allerdings kann sie außer der beiden Fotos keine weiteren Unterlagen mehr finden.
Ich hatte/habe in meinem Leben mit erheblichen psychischen Beeinträchtigungen zu kämpfen, wie z.B Ängste, Unsicherheiten und Depressionen. Da aber auch noch andere Faktoren in meinem Leben nicht so optimal waren, gehe ich davon aus, dass nicht alle Schwierigkeiten in meinem Leben im Zusammenhang mit der Kur stehen. Wenn ich jedoch die Berichte hier lese, denke ich, dass auch dies vermutlich keine guter Ort für mich war. Leider kann ich mich kaum erinnern. Etwas Hoffnung, dass es vielleicht nicht ganz so schlimm gewesen sein könnte, habe ich, weil ich zum einen verhältnismäßig spät (1986) dort war und ich zum anderen bisher noch keine Berichte über diese Einrichtung hier gefunden habe.
Vielleicht erkennt sich hier jemand auf dem Gruppenbild, welches ich hochgeladen habe. Ich hoffe das ist datenschutzrechtlich in Ordnung, falls nicht würde ich es natürlich sofort entfernen.
Vielen Dank und viele Grüße
Ich bin Jürgen, 46 Jahre alt und ein ehemaliges, sogenanntes „Verschickungskind“. Ich schreibe diesen Bericht, um die Erlebnisse meines Kuraufenthaltes im Jahr 1985 für mich besser aufarbeiten zu können. Gerne teile ich mit Ihnen diesen Bericht in der Hoffnung, die Schicksale der damaligen Verschickungskinder ins Blickfeld der Öffentlichkeit zu rücken, auch um zum Nachdenken anzuregen, über Recht und Unrecht – insbesondere auch im Umgang mit Kindern. Niemand wird als Täter geboren – man hat immer die Wahl. Dieser Beitrag soll wachrütteln und helfen, Kinder künftiger Generationen in einer Heimunterbringung ein traumatisierendes Schicksal zu ersparen.
Mein Kuraufenthalt im Jugendkurheim St. Michael in Bühl bei Immenstadt begann am 08. Mai 1985. Im Vorfeld konnte ich zwischen zwei verschiedenen Kurheimen wählen. Mir gefiel das Kurheim in Bühl bei Immenstadt, weil das Hauptgebäude so eine anheimelnde Ausstrahlung hatte und eine beruhigende Gemütlichkeit ausstrahlte. Außerdem mochte ich die Berge immer schon gerne.
Als meine Eltern mit mir dann also nach Bühl fuhren, wurde meine Aufregung mit jedem Kilometer, den wir uns dem Ziel näherten, größer. Ein besonders mulmiges Gefühl hatte ich bei dem Gedanken, meine Eltern wochenlang vermutlich nur ab und an sehen zu können.
Im Kurheim angekommen erfolgte als Erstes die Aufnahme im Sekretariat. Im Anschluss schickte man uns in ein anderes Gebäude, in dem die Kindergruppen untergebracht waren. Wir wurden dort sehr herzlich von einer Kindererzieherin empfangen, die uns durch die Räume führte und einiges erklärte. Von meinen Eltern auf die Besuchszeiten angesprochen meinte sie, ein persönlicher Kontakt der Eltern zum Kind sei für das Kind eher als traumatisch zu bewerten und würde Heimweh auslösen. Ebenso würde es sich bei einem Telefonkontakt verhalten. Im Beisein meiner Eltern fühlte ich mich zwar noch sicher, aber nach dem gesagten, deutlich unbehaglicher. Am liebsten wäre ich mit meinen Eltern direkt wieder gegangen.
Kurze Zeit später meinte dann die freundliche Erzieherin, dass nun der Zeitpunkt des Abschieds gekommen wäre. Meine Eltern verabschiedeten sich von mir und gingen die Treppe in Richtung Ausgang nach unten und ich ging hinter meinen Eltern her, um sie nochmals zu umarmen. Funktioniert hat das leider nicht, weil mich die Erzieherin am Handgelenk festhielt und die Treppe nach oben zog. Mir kam das schon deutlich unfreundlicher vor und ich fühlte mich elend und verlassen.
Oben angekommen bin ich dann endgültig in Tränen ausgebrochen, würde ich doch sechs lange Wochen meine Eltern weder sehen noch sprechen können, wie mir die Erzieherin deutete und wurde dann in mein zugewiesenes Zimmer gesteckt, in dem sich schon mein ebenfalls weinender Zimmernachbar Marco befand.
Marco und ich haben bestimmt zwei Stunden lang aus Heimweh und Verlustangst einfach nur geweint. Niemand kam. Wir haben dann unsere Kleidung in die Schränke geräumt. Unser Taschengeld und andere persönliche Dinge wurden uns später von einer Erzieherin abgenommen.
Nach diesen zwei Stunden habe ich mir geschworen, keine einzige Träne mehr zu vergießen.
Beim Abendessen dann durfte man nicht aufstehen, bevor alles aufgegessen war. Egal ob man das Essen mochte oder nicht, man musste aufessen. Anschließend durften wir noch etwas spielen und mussten uns dann bettfertig machen, d. h. Unterwäsche ausziehen, Pyjama anziehen, Gesicht und Arme feucht abwischen und die Zähne putzen. Zuletzt noch auf die Toilette, denn das verlassen des Zimmers zur Schlafenszeit war bei Strafe verboten und dann ab ins Bett. Anschließend musste sofort das Licht gelöscht werden.
Die Erzieherin hat uns dabei schon vor dem Gang ins Bad verabschiedet und uns zur Ruhe ermahnt.
Am folgenden Morgen die gleiche Prozedur nur umgekehrt.
Vor dem täglichen Frühstück wurde dann von der Betreuerin festgestellt, ob jemand nachts ins Bett gemacht hat. War das so, wurde die Problematik in der gesamten Gruppe besprochen, was für den „Bettnässer“ sehr peinlich war, weil die anderen Kinder oft lachten und sich lustig machten.
Am Frühstückstisch stand dann für jeweils vier Kinder eine große, sehr heiße Metallkanne mit Deckel, in der sich ein roter, ungesüßter Früchtetee befand. Zu essen gab es je eine Scheibe Vollkornbrot und das absolute Highlight für Kinder: eine Grapefruit. Weshalb ich mich so genau daran erinnere? Weil es sechs Wochen lang jeden Tag genau das gleiche Frühstück gab: Jeden Tag der gleiche rote Früchtetee, jeden Tag das gleiche schwarze, trockene Vollkornbrot und jeden Tag die saure Grapefruit! Und jeden Tag dachte ich beim aufstehen mit schaudern an das baldige Frühstück, das man aufessen musste um vom Stuhl aufstehen zu dürfen. Das Brot wurde beim kauen immer mehr, konnte aber mit dem faden, ungesüßten Tee hinuntergespült werden. Deutlich schwerer viel mir das täglich mit der Grapefruit, deren sauer-bitterer Geschmack in mir großen Ekel hervorrief.
Bei den anderen Mahlzeiten der gleiche Ablauf. Meist war etwas dabei, was zumindest nicht schmeckte oder gar Ekel hervorrief. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir da ein sauer eingelegter kalter Hering in einer warmen Tomatensauce, den ich noch nicht einmal „riechen“ konnte. Aber alles jammern half nichts: Wollte ich aufstehen, musste ich den Fisch essen, was ca. 1 ½ Stunden gedauert hat, denn ich wollte mich keinesfalls übergeben.
Sämtliche Mahlzeiten mussten von uns Kindern in der Küche im Hauptgebäude abgeholt werden. Man ging dazu im Gruppenhaus zwei Etagen in den Keller, ein dunkler, schon fast unheimlicher Vorraum mit Gruselcharakter, von dem ein hell erleuchteter Tunnel abzweigte, der ins Hauptgebäude führte. Dort befand sich die Küche im Kellergeschoss. Bei der Küche angekommen, wurde das Essen vom Küchenpersonal auf einen Metallwagen gestellt, den man dann durch den muffigen Vorraum der Küche in den Keller des Gruppenhauses zurück schieben musste, um die Speisen dann in einen Speiseaufzug zu laden.
Ungefähr in der Mitte des Tunnels führte links eine Türe in einen Bäderbereich. Dort waren Badewannen untergebracht und ebenso ein Ruheraum.
Zwei bis dreimal die Woche mussten wir baden. Beim einlaufen lassen des Badewassers wurde dabei immer nur das heiße Wasser aufgedreht. Man musste sich vor der Erzieherin nackt ausziehen und in das heiße Badewasser steigen. Mir schmerzten immer sofort die Beine bei Berührung des Badewassers. Auf meine Bitte, kaltes Wasser nachlaufen lassen zu dürfen, weil das Badewasser zu heiß sei, hieß es lapidar, das gehört so und ich solle mich nicht so anstellen und ins Wasser setzen, was ich dann für jeweils ca. 20 Minuten tun musste. Zum abschrubben musste man dann aufstehen, das Wasser wurde abgelassen und man wurde minutenlang mit dem Schlauch mit eiskaltem Wasser abgeduscht.
Anschließend ging man in den angrenzenden Ruheraum in dem Redeverbot herrschte.
Die Tage verbrachten wir vormittags mit Schulunterricht, den ich als sehr interessant und aufgrund einer freundlichen Lehrerin als angenehm empfand, nachmittags mit spielen im Spielzimmer, mit Schwimmen im hauseigenen Pool oder mit Wanderungen. War die gesamte Gruppe besonders brav, durften wir sogar zwei- bis dreimal unter Aufsicht in einen Fernsehraum im Kellergeschoss, ausgestattet mit einer Wohnwand, Tisch, Ohrensessel und Fernseher um uns eine Sendung wie zum Beispiel „Verstehen Sie Spaß“ mit Kurt Felix anzusehen. Das war ein absolutes Highlight.
Im Spielzimmer gab es eine Spielecke mit Holzklötzchen. Ich fand, um mit Holzklötzchen zu spielen, wäre ich eigentlich schon zu groß. In Ermangelung anderer Dinge baute ich dennoch einen Turm aus den Klötzchen und ließ ihn anschließend umstürzen. Sofort kam eine der Tanten und ermahnte mich energisch, indem sie lautstark durch den ganzen Raum rief, ich solle die Holzklötzchen nicht umwerfen, damit sie nicht kaputt gingen.
Ich habe dann nicht mehr mit den Klötzchen gespielt.
Im selben Raum gab es eine Leseecke mit allerlei Büchern. Ich griff nach einem Buch mit schwarzem Einband. Es handelte von einem Mord (oder ähnlichem) in einem Schlachthof. Die Handlung war in schwarzen Schattenbildern schemenhaft illustriert. Ich las gebannt und schockiert vielleicht 1 Kapitel. Das genügte. Von dieser Lektüre in der Kinderbücherecke bekam ich ca. 1 Woche Albträume, in denen ich die Handlung des Buches immer wieder im Traum durchlebte.
Ich hatte fürchterliches Heimweh und zählte jeden einzelnen Tag, bis mich meine Eltern endlich wieder abholen würden.
Einziger Trost war der wöchentliche Brief an meine Eltern, den ich auf dem Zimmer schreiben durfte, aber im unverschlossenen Umschlag der Betreuerin übergeben musste. Was nicht passte, wurde von ihr passend gemacht. So hieß es zum Beispiel auch, man solle nicht schreiben, wenn man Heimweh hat, oder es einem schlecht ging, weil sich die Eltern dann schlecht fühlen würden. War man nicht artig weil man für irgendein Vergehen bestraft wurde, weil man z.B. nach dem zu Bett gehen noch mit seinem Zimmernachbar gesprochen hat, wurden einem von den Betreuerinnen häufig Schuldgefühle eingeredet. Sie sagten beispielsweise, an der nun folgenden Strafe bist du selbst schuld. Würden die Eltern davon erfahren, müssten sie sich schämen.
Ich jedenfalls hab dann lieber nichts von Strafen in meinen Briefen erwähnt.
Manchmal waren der Antwort unserer Eltern auf unsere Schreiben auch Süßigkeiten beigepackt, die aber von den Betreuerinnen nicht an die adressierten Kinder weitergegeben wurden, sondern unter allen Kindern aufgeteilt wurden.
Ich erinnere mich an ein seltsames Gespräch mit Marco, denn mir war aufgefallen, dass er nachts immer mal wieder aus unserem Zimmer verschwunden war und erst am frühen Morgen wiederkehrte. Auf meine Frage, wo er denn immer sei, antwortete er lapidar, wenn er „zu laut“ war, durfte er im Erd- oder Kellergeschoss in einem Zimmer mit einem großen Bett schlafen. Dieses Zimmer habe ich nie gesehen. Ich weiß nicht, ob Marco tatsächlich in dem besagten Zimmer war, oder ob er eine Geschichte erfand, um mir nicht sagen zu müssen, dass er des Nachts bestraft wurde, zumal Marco nie „zu laut“ war. Der Gedanke an eine Existenz dieses Schlafzimmers treibt mir allerdings noch heute das Schaudern über den Rücken.
Ähnliches, was Marco erlebte, sollte allerdings auch mir widerfahren.
Einmal bis zweimal jede Woche lief die gesamte Gruppe mit zwei Betreuerinnen von Bühl nach Immenstadt. Die ca. 2 Kilometer lange Strecke verlief entlang einer Eisenbahntrasse. War man die Woche über brav (und auch nur dann), bekam man einmal in der Woche das von den Eltern zur Verfügung gestellte Taschengeld (entweder 2 DM oder 5 DM) ausbezahlt und konnte sich im Beisein der Tanten etwas kaufen.
Der Weg führte uns am Ortsausgang von Bühl an einer Telefonzelle vorbei. Nach etwa drei Wochen Aufenthalt in Bühl kam ich auf die Idee, die Gelegenheit zu ergreifen um meine Eltern zuhause anzurufen, was ja verboten war. Ich bekam also mein Taschengeld ausgehändigt, die Gruppe lief los in Richtung Immenstadt und ich lies mich immer weiter zurückfallen und schlich mich in einem unbeobachteten Moment in die Telefonzelle und rief meine Eltern an. Das Telefonat hat allerdings nur etwa 2 Minuten gedauert, denn es fiel auf, dass ich verschwunden war. Ich wurde beim telefonieren entdeckt und aufgefordert, das Gespräch sofort zu beenden.
In der darauffolgenden Nacht stürmte eine Nachtschwester ins Zimmer, Marco und ich lagen bereits in den Betten. Sie kam auf mein Bett zu, griff fest mein linkes Handgelenk, zerrte mich aus dem Bett und hinter sich her aus dem Zimmer hinaus. Mein erster Gedanke war: Die Tante ist echt gemein, ich hab doch nichts getan. Ich war total erschrocken und hatte fürchterliche Angst. Sie zog mich über den Flur die Treppe hinunter und ich versuchte barfuß mit ihren Schritten mithalten zu können. Ich weiß noch wie ich dachte, vielleicht müsse ich nun auch in diesem Schlafzimmer mit dem großen Bett übernachten, von dem Marco berichtete. Ich war zuerst verblüfft, als der Weg uns nicht in ein Schlafzimmer sondern nur in das Foyer im Erdgeschoss führte. Heute bin ich froh, nicht in dieses Zimmer gebracht worden zu sein, sollte es tatsächlich existiert haben. Mir wurde dadurch eventuell viel erspart. Im Foyer angekommen stellte sie mich in eine Nische an der Treppe und sagte zu mir, ich sei an allem schuld und dürfe mich deshalb nicht bewegen, müsse an genau der Stelle stehen bleiben und dürfe nicht einschlafen bis sie wieder käme, sonst würde alles noch viel schlimmer werden. Auf meine Frage, was ich denn getan hätte, sagte sie harsch, ich solle meinen Mund halten und keinen Mucks von mir geben. Da stand ich nun also, barfuß und im Pyjama auf dem eiskalten Pflaster im zugigen Foyer, fror fürchterlich und fühlte mich sehr gedemütigt und alleingelassen. Schon allein im Pyjama im Foyer zu stehen, war mir sehr peinlich. Ich hoffte, in wenigen Minuten wieder abgeholt und ins Bett gebracht zu werden, denn ich hatte meine Lektion gelernt – wenn ich auch nicht wusste, weshalb mir diese „Sonderzuneigung“ zuteil wurde.
Ich stand dann also bewegungslos auf meinem Platz, zitterte und harrte der Dinge die kommen sollten. Und sie kamen: Es gingen immer wieder Leute die ich niemals vorher gesehen hatte durch den Raum und musterten mich von Kopf bis Fuß. Sie sprachen mich nicht an, oder halfen mir gar -nein, sie ergötzten sich buchstäblich an diesem 10 jährigen Jungen, der barfuß im Schlafanzug dastand und genossen ihre „Macht“ über dieses Kind. Zum Weinen brachten sie mich allerdings nicht!
Das böse Spiel ging die ganze Nacht so weiter, bis zum Morgengrauen. Ich stand also mindestens sieben Stunden in der Nische!
Danach wurde ich geholt und konnte mich nochmals kurz ins Bett legen bevor wir dann geweckt wurden.
Doch damit war diese schreckliche Erfahrung leider noch nicht beendet: Zwei bis drei Tage nach diesem Vorfall wurde ich morgens wach mit hohem Fieber und starkem Schwindel. Ich stand auf, alles drehte sich um mich und ich sah den Fußoden wie „schräg aufgestellt“ und bekam schlecht Luft. Ich taumelte ins Bad, machte meine Morgenhygiene und ging anschließend zum Frühstück. In meiner Erinnerung höre ich noch heute einen Jungen am Frühstückstisch zu mir sagen „Jürgen, Du wirst uns doch nicht krank werden“. Kaum hatte er dies gesprochen, landete ich mit dem Gesicht ohnmächtig im Teller. Wieder zu mir gekommen „durfte“ ich aufstehen und wurde ins Bett gebracht und von den anderen Kindern isoliert.
Mir ging es schlecht, ich hatte hohes Fieber, konnte kaum schlucken, und schwitzte so sehr, dass mein Schlafanzug mehrmals am Tag komplett durchnässt war. Selten kam jemand, um nach mir zu sehen; einmal am Tag kam eine der Tanten, um den Pyjama zu wechseln. Die Bettwäsche wurde allerdings nicht gewechselt.
Zu Essen bekam ich in dieser Zeit einen sauren Apfel täglich. Nachts hatte ich Alpträume, wurde wach und halluzinierte.
Ein Arzt hat mich während dieser Zeit nicht untersucht. Die Untersuchung erfolgte durch die Tanten, die der Meinung waren, ich sei sowieso an allem selbst schuld und ich hätte sicherlich nur eine Angina. Wenn ich mich nicht ruhig verhalten würde, brächten sie mich in die Krankenstation, auf der es noch wesentlich schlimmer sei. Ich war den ganzen Tag auf meinem Zimmer alleine, nur kurz konnten mir die anderen Kinder von ihren Ausflügen berichten.
Ich bettelte, meine Eltern anrufen zu dürfen, was aber sofort abgewiegelt wurde. Im folgenden Brief an meine Eltern schrieb ich dann mit Unterstützung der Tante folgende Krankengeschichte: „Liebe Mutter, lieber Vater, mir geht es leider zur Zeit nicht so ganz gut, wie sonst. Aber macht Euch keine Sorgen. Am Sonntag, 9.6.1985 hat man mir Fieber gemessen. Aber ich habe nur eine leicht erhöhte Temperatur gehabt. Wie geht es Euch?“
Nach etwa eineinhalb Wochen ging es mir dann endlich wieder besser und ich war froh, dieses Martyrium nun bald überstanden zu haben.
Davor jedoch war da noch die Sache mit dem „Mohrenkopf“ (für alle die meinen, ich würden den Begriff rassistisch verwenden – nein, so ist es nicht gemeint, man nannte das nur damals so). Eines Abends vor dem zu Bett gehen versammelte eine Betreuerin uns, zeigte auf den Kühlschrank in der Teeküche, die jede Wohnetage hatte und sagte: In diesen Kühlschrank hätte sie einen „Mohrenkopf“ getan. Sollte dieser „Mohrenkopf“ am folgenden Tag fehlen, so würde sie die gesamte Gruppe bestrafen. Nun ja, am folgenden Tag fehlte ach Wunder der Schaumkuss und wir bekamen zur Strafe alle Fernsehverbot und mussten früher ins Bett.
Ich fand das ziemlich ungerecht, hatte ich diesen Schaumkuss noch nicht einmal gesehen. Heute bin ich mir nicht einmal sicher, ob es ihn je gab, denn das Vorhandensein derartiger Freuden war dort nicht üblich.
Kurz vor dem Ende meiner Kur machte ich Bekanntschaft mit einer der niederträchtigsten Kriegslisten, die bereits von alten Zeiten her bekannt ist: Die Burg ist belagert, die Einwohner der Burg sind ausgehungert und die Belagerer schicken leckere Essensdüfte, um die belagerten zu demoralisieren.
Im speziellen Fall „durfte“ ich, der sechs Wochen lang überwiegend nur trockenes Vollkornbrot mit Grapefruit zu essen bekommen hat, einen Botengang erledigen.
Man drückte mir einen frischgebackenen, noch warmen Nusskuchen mit Schokoladenglasur in die Hand, mit der Anweisung diesen nach unten in das schon erwähnte Kellergeschoss zu tragen und von dort durch den Tunnel ins Hauptgebäude zu gehen. Ich sollte den Kuchen dann in der 4. Etage abgeben.
Ich ging also wie mir befohlen, der Weg wurde lang und länger, duftete der Kuchen doch so verführerisch. Am liebsten hätte ich mir direkt eine Ecke abgebrochen und gegessen, wusste aber um die Strafe, die folgen würde, wenn ich es tat.
Ich brachte also den Kuchen unversehrt in die 4. Etage und klopfte an die verschlossene Tür. Es wurde geöffnet , der Kuchen wurde mir abgenommen und ich weggeschickt.
Ich hatte in meinem ganzen Leben nie mehr einen so köstlichen Kuchen in Händen.
Am Tag darauf wurden wir frühmorgens alle zur Abholung in einen Raum im Hauptgebäude gebracht, wo wir dann ohne eine Betreuerin auf uns selbst gestellt auf unsere Eltern warteten. Was ich erst viele Jahre später erfuhr: Da unsere Eltern erst auf 11 Uhr bestellt wurden, mussten wir 3 Stunden warten, bis unsere Eltern da waren.
Ich kann mich noch gut an meine Gedanken damals erinnern: Je länger ich in dem Raum saß und meine Eltern nicht kamen, je größer wurde mein Zweifel, überhaupt abgeholt zu werden. Als meine Eltern dann endlich eintrafen, war ich fix und fertig.
Meine Eltern holten mich ab und fuhren mit mir nach Hause. Bis zum Tod meiner Eltern habe ich mit ihnen nie näher über den Aufenthalt im Kurheim St. Michael gesprochen. Auch habe ich mich nie wieder in eine Kinderkur „verschicken“ lassen.
Fazit:
Für manche Erwachsene scheint es ein echtes Hochgefühl zu sein, kleine Kinder zu drangsalieren, zu demütigen und körperliche Schäden zuzufügen. Denn nur dann fühlen sie sich groß und stark.
Ja, ich habe diese 6 Wochen Martyrium und Hoffnungslosigkeit überstanden und ja, es hat mich verändert. Ich habe seither keinerlei Vertrauen mehr zu Institutionen aller Art in ihrem Umgang mit Menschen. Ich glaube erst, wenn ich sehe. Dank der Nacht im Foyer verschlimmerte sich meine Bronchitis und wurde chronisch. Der Zustand hat sich erst in den letzten Jahren gebessert. Dank der Demütigungen hat es viele Jahre gedauert, überhaupt wieder Vertrauen zu Menschen fassen zu können. Und es hat volle 30 Jahre gedauert, bis ich es mir wieder erlauben konnte, zu weinen.
Es war jedoch auch nicht alles schlecht in dieser Zeit. Ich wurde durch diese Erfahrung sehr selbstbewusst. Es waren die kleinen Dinge, die mir Hoffnung gaben, in einer vermeintlich ausweglosen Situation: Es waren die schönen Gespräche mit den anderen Kindern – wenn auch immer nur kurz,
Es war der Spielzeugwarenhändler in Immenstadt, der mir mangels Geld das begehrte Kartenspiel geschenkt hat.
Es waren die Momente, in denen ich fernsehen durfte und mich so für den Moment aus dem Heim träumte.
An eine ärztliche Untersuchung zu Beginn und Ende der Kur kann ich mich bis heute nicht erinnern. Auch zu einem notwendigen Arztzimmer fehlt jede Erinnerung.
Abschließend möchte ich mich noch an die Betreuerin wenden -sollte sie noch in der Lage sein, es zu lesen- , die mich damals aus dem Bett zerrte und mich auf das kalte Pflaster stellte:
Ich hege keinerlei Groll gegen Sie, habe aber dennoch folgende Fragen:
WARUM haben Sie mir das damals angetan?
WARUM haben Sie einen Beruf ergriffen, der Ihnen offensichtlich nicht lag und Sie überforderte?
WARUM fehlte es Ihnen grundsätzlich an Menschlichkeit?
Im Gegensatz zu mir damals haben Sie von mir nichts zu befürchten: Ihre Antwort können Sie anonym im Portal hochladen.
Es würde mir viel bedeuten.
Meinen Eltern gebe ich an den Geschehnissen keinerlei Schuld oder Mitschuld. Sie wussten schlicht nicht, was im Kinderkurheim St. Michael in Bühl bei Immenstadt vor sich ging. Kinder für mehrere Wochen vom Elternhaus getrennt in ein Heim zu „verschicken“, war bis in die 80er Jahre vollkommen normal.
Auch bin ich mir sicher, dass es Kinder gab, die solche Erfahrungen glücklicherweise nicht machen mussten und eine schöne Kurzeit hatten. Und wie heißt es so schön, Ausnahmen bestätigen die Regel.
Ich frage mich nur, waren die Übergriffe auf Kinder nun die Ausnahme oder die Regel? Die Berichte anderer Verschickungskinder lassen hier tief blicken.
Jürgen S.
Auch ich war damals zu dünn und im ersten Schuljahr häufiger krank. So wurde auch ich für 6 Wochen „verschickt“ nach Wyk auf Föhr ins Haus Sonnenschein. Als damalige Leiterin ist mir immer noch der Name "Frau Ermes" osä. in Erinnerung. Es würde mich sehr interessieren, ob sich außer mir noch jemand an den Namen erinnert.
An die Haferschleimsuppe und die allsonntägliche, dünne Schokoladensuppe kann mich gut erinnern.
Auch wir mussten bei Wind und Wetter an den Strand - dort konnte ich im Spiel mit den anderen Kindern manchmal die schweren Seiten des Verschickungsaufenthaltes (z. B. das Einsamkeitsgefühl) vergessen.
Die Post wurde kontrolliert - man sollte schreiben, dass es einem gut ging und das Essen gut schmeckt. Manchmal bekam man Post von zu Hause - ich kann mich auch an Süßigkeiten erinnern - eine Aufmunterung zum Durchhalten der "unendlich" langen 6 Wochen, die man aushalten musste. Wenn andere Kinder abgeholt wurden, war das freudig (für die Abgeholten) und traurig (für die Zurückbleibenden) zugleich.
Ein trauriges und beschämendes Kapitel war das Schlafen in den großen Sälen.
Es gab immer eine Aufsicht (Erzieherin), die vor der geöffneten Schlafsaal-Tür draußen auf dem Flur saß.
Ich war häufig nicht müde, wenn die Schlafenszeit begann. Da ich dann lange Zeit nicht einschlafen konnte, habe ich mich mit schnellstmöglichem Zählen in Trance und letztendlich müde-gezählt.
Ich lag in einer Ecke des Schlafsaals im Erdgeschoss, der Spritzputz an den Wänden hatte. Zum Ende des Aufenthaltes hin hatte ich dann deutliche Anzeichen von Hospitalismus entwickelt und meinen linken Arm durch Reiben an der Wand wundgescheuert, bis er blutete. Dann wurde ich zusätzlich krank und bekam eine Steptokokken-Infektion mit über 40°C Fieber. Nachdem meine Mutter mich mit hohem Fieber zum Ende der Zeit abgeholt hatte, hat sie als Ärztin sich bei der Heimleitung sehr beschwert. Ob dies irgendeine Folge hatte, habe ich niemals erfahren.
Zu meinen Erinnerungen an den erzwungenen Schlaf im Schlafsaal gehört auch, dass es verboten war auf Klo zu gehen. Wenn überhaupt, traute man sich maximal ein Mal - falls man ein weiteres Mal musste, wurde man ausgeschimpft. Als Folge habe ich mich sowohl eingenässt, als auch einmal in die Hose gemacht. Da ich Angst hatte, damit erwischt zu werden, habe ich den Kot leise und vorsichtig von meinem Bett weggeschoben. Die Erinnerung, mich zu so entwürdigendem Verhalten genötigt gefühlt zu haben, beschämt mich bis heute.
Im Verlaufe meines 63-jährigen Lebens habe ich in langjähriger Psychotherapie gelernt, mit klaustophobischen Panikattacken (eingesperrt-sein im Schlafsaal), sich Getrennt-fühlen von den eigenen Freunden und der Familie (abgegeben für 6 lange Wochen im Kinderheim praktisch ohne Kontakt zu Welt daheim) umzugehen, leide jedoch immer noch unter starken Verlustängsten und einer immer wieder auftretenden Mutlosigkeit und Resignation, deren Grundgefühl ich aus der damaligen Zeit kenne. Leider sind mir viele dieser Zusammenhänge auch erst in den letzten Jahren richtig klar geworden.
Ich empfinde es als entlastend und erschreckend zugleich, dass es offensichtlich so vielen Kindern damals ähnlich erging wie mir - welch überflüssige Belastung von kleinen Seelen und deren weiterem Leben, die meist nicht verstehen konnten, was mit Ihnen passierte und dieser schwarzen Pädagogik hilflos ausgeliefert waren. In diesem Zusammenhang vielen Dank an Anja Röhl für die unermüdliche Arbeit zur Aufdeckung dieser belastenden Historie und Zusammenführung der Betroffenen, die heilend wirken kann.
Mir ist bewusst, dass auch die damaligen TäterInnen nur Produkt ihrer Zeit (der NS- und Nachkriegszeit) waren. Auch deshalb halte ich es für außerordentlich wichtig, diese Dinge auch nach langer Zeit noch aufzuarbeiten - damit zukünftige Generationen sich dieser Zusammenhänge bewusst werden und bleiben und so etwas möglichst nie wieder passieren wird.
Herzliche Grüße
Karl-Heinz
Kurkliniken. Nach Buchau wurde ich geschickt, weil ich, wie man damals sagte etwas "schmächtig" war.
Aus der "Kur" kam ich zurück mit 400g weniger Gewicht und erlitt in den Armen meiner Mutter einen
Nervenzusammenbruch. In Buchau mussten wir alles essen, was uns vorgesetzt wurde. Wenn ich das nicht
tat, weil es mir nicht schmeckte oder ich mich davor ekelte, wurde ich von einer "Tante" festgehalten
wärend eine andere mir dass Essen mit Gewalt in den Mund stopfte. Wenn ich das Essen erbrach, wurde
es mir wieder eingeflößt. Das passierte in den 6 Wochen des Öfteren. Die meisten von uns gingen jeden
Tag mit Angst zum Essen. Genau wie ich saßen viele Kinder weinend vor den übervollen Tellern mit
teilweise undefiniertem Essen, dass meistens nicht schmeckte. Nach dem Essen mussten wir ins Bett (ein
Schlafsaal mit vielen Betten). In dieser Zeit durften wir nicht zur Toilette. Wer trotzdem ins Bett machte, weil
er nicht mehr einhalten konnte, wurde aus dem Bett gezerrt und mit nassen Hosen mitten in den Raum
gestellt sodass ihn alle sehen konnten. Bei kleinsten Regelverstößen wurden wir in eine dunkle
Besenkammer gesperrt. Seit dieser Zeit leide ich unter Klaustrophobie. Noch heute kann ich bestimmte
Speisen nicht essen oder ein gewisser Geruch verdirbt mir dass Essen.
In Bad Wildungen war es nicht so ganz schlimm. Dort wurde ich hingeschickt wegen einer angeblichen Blasenschwäche. Aber auch da durften wir wärend des Mittagsschlafes nicht auf die Toilette. Ich bin einmal auf meinen Nachttisch geklettert und habe aus lauter Not aus dem Dachfenster uriniert. Dafür wurde ich auch wieder in eine dunkle Kammer gesperrt. Bei Tisch bekam ich einen Weinkrampf, wenn mir etwas vorgesetzt wurde, was ich nicht mochte. In diesem Heim wurde man aber nicht zum Essen gezwungen, sondern es gab dann eben nichts anderes, und man musste dann eben bis zum Abendessen warten.
Ich hatte immer ein schwieriges Verhältnis zu meinen Eltern, aber als sie mich nach Buchau nochmal zu
einer Kur schickten, verlor ich noch mehr Vertrauen, ja ich fühlte mich verraten. Das beinhaltete, dass ich
mein Leben so selbständig wie möglich organisierte.
Als ich 18 Jahre alt war, holte mich das alles wieder ein. Ich litt unter Angstzuständen wurde depresiv und landete für 6 Monate in der Psychiatrie. Das hat mir allerdings geholfen, mein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Ich habe eine kaufmännische Ausbildung gemacht und später Sozialarbeit studiert. Aber eine Kur oder eine Reha habe ich nie gemacht auch wenn mir Ärzte oder Familie das hin und wieder empfolen haben.
Ich bin dort nicht schlecht behandelt worden, allerdings hat mich der Aufenthalt für mein Leben geprägt.
Sobald ich von zu Hause fort war, Jugengherberge etc. wollte ich spätestens 2 Tage später wieder nach Hause.
Ab meinem ca. 40 Lebensfahr bekam ich sobald ich von zu Hause weg war Magenprobleme, die sich mit zunehmenden Alter verschlimmerten, was ich mir nicht erklären konnte. Erst später erkannte ich, das es im Zusammenhang mit den Ereignissen in der Kindheit zusammen hängen muss.
ich weis nicht wann genau ich da war. Ich bin die 5te von links unterste Stufe. ggf bin ich so 7 oder 8 Jahre alt (ich bin Baujahr 79 ? also muss es so 1986/87 gewesen sein. oder vielleicht doch älter oder jünger?? Die 4te von links hieß, glaube ich Angela und Angelika. Ich kann ich noch an ihren Pony erinnern der ihr bis in die Augen hing.
Ansonsten erinnere mich nur wenig an die Zeit dort. Auch ob es 4 oder 8Wochen waren weis ich nicht. Ich weis nur das, ich in meinen Heimatort von meiner Mutter am Bahnhof einer fremden Frau übergeben wurde und diese schweigsame Zeit im Zug für mich ewig gedauert hatte. Und ich mich nicht auskannte, wohin es mit mir ging.
Von der Zeit dort kann ich mich erinnern, dass wir einmal ein Spiel im Wald machten. Eine Schnipseljagd, wo wir Kleineren von den Großen gefunden werden mussten. Die Erzieherinnen die bei uns waren, hörten etwas und wiesen uns an, uns in den Schnee zu legen um uns zu verstecken. Wir lagen ewig dort im Schnee mitten im Wald rum, gefühlte Stunden, bis wir alle durchgefroren waren. Irgendwann gaben wir oder besser gesagt die Erzieherinnen auf, da wir alle vor Kälte jammerten. als wir zurück kamen und durch den Hintereingang vom Wald reinkamen, stellten wir fest, dass die Großen bereits seit Längeren zurück sein mussten. sie saßen schon beim Essen und Tee.
Eine weitere Szene an die ich mich erinnere, ist aus dem Speisesaal. Wir sagen das Lied "wir haben Hunger, Hunger, Hunger...essen Fliegen Fliegen Fliegen usw." und ich glaube, wir mussten immer alles aufessen. Ich wurde ja dort hingeschickt weil ich so dünn war.
Eine letzte Erinnerung war von einer Nacht, wo die Großen unruhig im Flur herumliefen und ich glaube, irgendwie ein bissl rebellierten. Ich lag in meinem Bett und hatte aufgrund dieses Lärmes Angst. Ein Mädchen wollte das ich mit raus auf den Flur komme. Kurz bin ich mit raus, aber verkroch mich dann doch wieder ängstlich in das Bett.
Allerdings habe ich keine Erinnerung wie dieses Zimmer aussah oder was ich sonst noch dort erlebt habe. Nur das es Winter war und diese wenigen Szenen.
Ich weis nicht, ob ich was verdränge oder ob ich die ganze Zeit dort in eine Art Schockzustand war Schockzustand deswegen, weil ich bereits aus meiner Wochengrippenzeit ( mit 6Monaten bis zur Schule, von Mo-Fr. über Nacht in dieser Wochengrippe/Kindergarten) Verlustängste hatte. Aber wie ich aus anderen Geschichten rauslese, hat kaum jemand richtige Erinnerungen an diese Kurheime. Was glaubt ihr warum das so ist? Ich kann mich an Ferienlager und andere frühe Erlebnisse sehr gut erinnern. Nur nicht an diese Zeit. Aber an diese Wochengrippenzeit auch nicht wirklich. Nur das ich es gehasst habe und immer schrecklich weinte, wenn mich meine Mutter teils Sonntag abend dort wieder für die ganze Woche abgab.
Ich habe noch ein Bild von uns Kindern auf einer Treppe vor den Haus (Haus der Freundschaft, Lychen) Würde mich sehr freuen, wenn ihr von eurer Zeit dort etwas berichten könnt. Ggf kommen dann Erinnerungen hoch. Alles Liebe derweil und schön euch gefunden zu haben.
Sehr geehrte Frau Röhl,
aus der FAZ habe ich kürzlich von Ihrer Initiative erfahren und möchte Sie dazu beglückwünschen. Es ist ungemein wichtig, diesen schrecklichen Geschehnissen Worte zu geben, Geschehnisse, die in der grausamen Tradition tyrannischer Erziehungsmethoden und damit verbundener Exzesse in manchen Einrichtungen wie Kirchen, Internaten, Heimen, aber auch Familien stehen. Die in den Kinderverschickungsheimen erzwungene Zensur, das Schweigen, darf sich nicht bis in unsere Tage fortsetzen. Schonungslose Analyse und offene Sprache sind die richtigen Wege, um diesen Teufelskreis der von Generation zu Generation weitergegebenen Entwürdigung und Gewalt zu durchbrechen und eine friedvollere Zukunft zu gestalten.
Nun meine Geschichte im DRK Kinderkurheim in Wittdün/Amrum im August 1972.
Dieser Aufenthalt wurde mir vom Hausarzt verordnet, damit ich "kräftiger" würde. Eigentümlich, war ich doch weder kränklich noch mager. Wahrscheinlich dachten meine Eltern, mir damit etwas Gutes zu tun und es war wohl auch eine Mode der Zeit. Ich war durchaus reiseerprobt und gewohnt, ohne meine Eltern zurechtzukommen. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits gute 14 Jahre alt und hatte das 8. Schuljahr beendet. Dennoch habe ich keine Erinnerung an die Fahrt wahrscheinlich mit dem Zug zur Insel Amrum - vom damaligen südhessischen Wohnort immerhin mehr als 700 km entfernt - an Wittdün, das Haus oder an andere Kinder. Auch Namen erinnere ich nicht. Ich erinnere die mutmassliche Heimleiterin, eine relativ grosse Frau mittleren Alters im Habit der Rotkreuzschwester. Und ich erinnere eine Frau und zwei Männer um die 20, die dort ein Praktikum oder einen Ferienjob als Betreuer/-in machten. Andere Aufsichtspersonen erinnere ich nicht.
Ich erinnere mich an starkes Heimweh, Angst wegen der autoritären Umgangformen, an wenig schmackhaftes Essen und den Zwang, viel davon essen zu müssen und an angedrohte Zensur beim Briefeschreiben. Ich erinnere Einschüchterungen, aber keine Demütigungen oder Gewaltszenen.
Ich erzähle meine Geschichte, weil es mir möglich war, meinen Eltern nach etwa einer Woche Aufenthalt einen unzensierten Brief zu schicken, mit dem ich das Mitgefühl meiner Mutter wecken konnte und meine Eltern mich alsbald wieder zurückholten. Dieser Brief, möglicherweise eines der wenigen authentischen Sprachzeugnisse eines Kindes in solch einer Situation, hat interessanterweise die Zeiten überlebt, sogar (wenn auch nur) als Fotokopie. Ich möchte ihn an dieser Stelle vollständig als Abschrift einfügen:
"Wittdün 8.8.72
Meine Lieben!
Es ist furchtbar hier. Ich bin vollkommen verzweifelt. Wir werden mit Essen gemästet wie eine Schlachtsau. Alles ist so lieblos. Unsere Betreuerin ist unmöglich. Ich stinke vor Dreck. Ich kann mich nicht richtig waschen. Ich weine am laufenden Band vor Heimweh. Ihr müsst mich irgendwie hier herausholen. Nach dem Essen ist mir immer übel und ich habe überhaupt keinen Appetit. Ich habe einen Plan, wie ihr (unterstrichen) mich herausholen könnt. Einer aus der engen Familie muss schwer erkranken. Ihr müsst einen Brief an die Heimleitung schreiben. Er muss wahr (unterstrichen) klingen. Bitte, ihr müsst (unterstrichen) schreiben, ihr müsst (unterstrichen)!!! Ich kann kein Latein lernen oder Vokabeln abschreiben. Es hat auch überhaupt keinen Sinn wenn ihr Euch beschwert. Die Wut wird nur an mir abgelassen. Ihr müsst (unterstrichen) schreiben! Bitte! Ich halte es nicht mehr lange hier aus. Ich habe schon so oft zum Lieben Gott gebetet und er hat mir auch schon oft geholfen. Aber diesen Herzenswunsch hat er mir noch nicht erfüllt. Wenn ihr diesen Brief gelesen habt, schreibt bitte sofort. Ich bin am Ende. Wir schlafen und fressen mehr als etwas anderes. Holt mich hier irgendwie raus, vielleicht nach meinem Plan. Ich hoffe, dass das mein erster und letzter Brief ist. Bitte helft mir!! Ich komme krank heim sonst.
Gruss und Kuss
Christoph
P.S.: Bitte, bitte, schreibt den Brief!! Ihr müsst! Schreibt sofort! Ich bin verzweifelt!"
Bis hierher der Brief.
Als ein paar Tage später meine Eltern unerwartet vor der Tür standen, konnte ich weder Überraschung noch Begrüssung oder Freude äussern, nur ein trockenes "Holt mich hier raus". Als Baby noch im Sinne von Johanna Haarers populärer, aber grausamer Erziehungsphilosophie "erzogen", siegte zu meinem Glück diesmal der Mutterinstinkt. Die Heimleiterin versuchte zwar noch, mich mit Aussichten auf diverse Ausflüge und dem Versprechen, mich nicht mehr zu zwingen viel zu essen, umzustimmen, aber ich traute wohl dem Frieden nicht. Viel später erfuhr ich, dass mein Vater keinesfalls gewillt war, meine "Kur" vorzeitig abzubrechen, weil er Nachforderungen der Krankenkasse (HEK) befürchtete. Ob sich das bewahrheitete, weiss ich nicht. Jedenfalls setzte meine Mutter sich durch.
Den anderen entscheidenden Unterschied machten die drei jungen Menschen, die unter anderem das Briefeschreiben beaufsichtigten ohne unrechtmässig einzugreifen. Sie waren einfühlsam, respektvoll und erfüllten ihre Aufgabe ohne uns Kinder zu entwürdigen. Tausend Dank den Dreien! Aber auch deren positive Präsenz reichte zum Bleiben nicht aus.
Welche Spuren hat das bei mir hinterlassen? Ich hatte Glück, die Sache lief für mich glimpflich ab und es blieb nicht mehr als eine unangenehme Erinnerung verbunden sogar mit einem schönen Moment der Empathie meiner Mutter.
Gänzlich unverständlich ist mir, wie meine Eltern, vermutlich nur ein Jahr später, vor dem Hintergrund der mit mir gemachten negativen Erfahrung, einem solchen Aufenthalt nochmal zustimmen konnten, diesmal für einen damals 12-jährigen Bruder. Er wurde in ein (kirchlich verwaltetes?) Heim nach Bad Salzuflen verschickt. Er war zu diesem Zeitpunkt bei guter Gesundheit aber von diversen früheren langen Krankenhausaufenthalten traumatisiert und zumindest ehemals Bettnässer. Nach sechs langen Wochen kam er völlig verwahrlost, verstört und erneut schwer traumatisiert wieder nach Hause. Da hat der Mutterinstinkt versagt und wahrscheinlich die Arzthörigkeit obsiegt. Er hat heute die mutmasslichen Grauen tabuisiert, mir tun sie in der Seele weh.
Bei der grossen Zahl der verschickten Kinder mögen diese Aufenthalte für manche hoffentlich auch positiv oder wenigstens nicht traumatisierend gewesen sein. Es war aber wohl in erster Linie ein erfolgreiches Geschäftsmodell unter dem impliziten Vorwand, dem Wohl des Kindes und der Familie zu dienen, denn es darf bezweifelt werden, ob so viele Kinder wirklich eines Kuraufenthaltes bedurften. Das Geschäftsinteresse vermischte sich zuweilen dann qualvoll mit der in dieser Zeit vorherrschenden giftigen Pädagogik und deren kriminellen Auswüchsen nach der verächtlichen Devise 'mit Kindern kann man es ja machen'.
Als wir dort nach langer Zugfahrt und den Rest wohl mit einem Bus dort ankamen, stellte sich heraus, dass mein Koffer verschwunden war. Der Stress, der damit verbunden war, kam zu dem Heimweh hinzu und war für mich damals unbeschreiblich. Ich hatte keine Sachen zum Wechseln, und heulte das einzige Taschentuch welches ich ohne Koffer hatte tagsüber voll, nachdem es in der Nacht von nass auf feucht trocknete. Man schaute mit mir auf mein Drängeln hin vergebens auf dem Dachboden nach, wo alle leeren Koffer der anderen Kinder aufbewahrt wurden.
Demnach schlief ich auch ohne Schlafanzug.
Nach ca. 1 Woche tauchte mein Koffer auf und die Freude war übergroß. Man sagte mir, dass er auf der Bahn verlorengegangen sei.
Unmittelbar nach der Ankunft wurden alle übriggebliebenen Butterbrote von der Reise eingesammelt und wahllos als Abendbrot etwas später "serviert".
Man wurde dort öfter untersucht, gemessen und gewogen und auch Blutproben wurden entnommen. Es herrschte dort ein strenges, wohl aber nicht grausames Tantenregiment vor, das schon etwas gewöhnungsbedürftig war. In wie weit dort Essenszwang vorherrschte bekam ich nicht mit, da ich von klein an
zu Hause oder in der Verwandtschaft den Teller leer essen musste, was ich rückblickend als richtig empfand.
Wanderungen, Absingen von Liedern usw. bestimmten den Tagesablauf. Dieses Absingen von Liedern z. B. Drei Chinesen mit dem Kontrabas... mit allen Vokalmöglichkeiten und dann zum wiederholten Male, fand ich sehr eintönig. Z.B. wenn die Kindergruppe vor dem Mittagessen zu früh kam, mussten wir uns vor dem Esssaal aufstellen und diese Lieder absingen, bis dass es Mittagessen gab.
Bei schlechtem Wetter wurde drinnen gespielt, aber was die an wenigen Spielsachen hatten, gehörte alles auf den Sperrmüll, volumenmäßig ein Karton.. Kaputt, uralt und unvollständig und man konnte es mit wenigen Fingern abzählen.
Wahrscheinlich war dort auch eine Ausbildungsstelle für Erzieherinnen angeschlossen. So kam es vor, dass uns gelegentlich junge Mädchen oder Praktikanntinnen beaufsichtigten. Da kam es mitunter vor, dass sie uns veräppelten und sich köstlich über unsere Dummheit amüsierten. Eine von denen riss mich kräftig an den Haaren. Einige versuchten mit uns die Herrinnen zu spielen.
Eine Kindertante vielleicht so um die 40, die wohl nur für drinnen zuständig war fehlte die Nasenspitze. Der Nasenstumpf war zerfranst und sie machte einen traurigen, ernsten Eindruck. Konnte man diese arme Person nicht woanders einsetzen, da sie ja auch kleine Kinder ab ca. 4 Jahren mit betreute?
Für uns Kinder war das recht gruselig anzuschauen, die Verletzung der Nase und die Verletzung ihrer Seele.
Mitunter wurden wir nachts geweckt und wurden auf die Toilette geschickt, da der Anteil der Bettnässer recht hoch war.
Bei diesem nächtlichen Gang im Halbdunklen oder dunklen verirrte ich mich und landete dann in einem anderen Zimmer in einem Bett, was aber schon belegt war. Irgendwie kam ich dann aber in mein Bett.
Nach Ende der Kur und dem Wiegen und Messen kam ich mit 14 Tagen Verspätung zur Einschulung. Kürzlich fiel mir ein Foto von dieser Ein -Kind Einschulung in die Hand und sah alles andere als ein eingeschüchtertes oder traumatisiertes Kind, trotz dieser " Kur".
Diese Art der Kur war vielleicht eher geeignet Zöglinge heranzuziehen. Wahrscheinlich waren sich die Betreiber, denen ich noch nicht einmal eine schlechte Absicht unterstellen möchte, diese Entwicklung gar nicht bewusst?
1965 kam ich wieder in eine 6 - wöchige Kinderkur, diesmal nach Bonndorf, Haus Waldfriede und erlebte eine schöne Zeit.
Da ich mit 8 Jahren zu den älteren gehörte war ich in einem 4 Bett Zimmer untergebracht. Ganz schnell wurde ich eingewiesen. Schlafen mit dem Gesicht zur Wand, jeden Abend und am Morgen Fieber messen, Betten musste man selbst machen. Dies wurde kontrolliert während man neben dem Bett zu stehen hatte. Wer sein Bett verschmutzte, z.b durch Nasenbluten wurde bestraft und durfte bis zum nächsten Garnitur Wechsel in selbigen schlafen. Nach dem Frühstück ging man zur Liegekur. Diese dauerte Stunden. Wir lagen in einer Art Wintergarten. Die Fenster wurden geöffnet damit frische Luft herein kam.
Die Liegekur musste schweigend verbracht werden. Essen musste man alles was man vorgesetzt bekam. Auch bis zum erbrechen. Wer nicht mehr wollte oder konnte wurde bestraft. Reden war während dem Essen nicht erlaubt. Nach dem Mittagsschlaf ging es nach einer Tasse Kakao für 2 Stunden spazieren. In Reih und Glied...versteht sich. Sonntags gab es keinen Spaziergang. Da waren wir gut angezogen. Dafür gab es ein Kaffee trinken mit ein paar Süßigkeiten. Wenn es regnete mussten wir im Essensraum spielen. Die Möglichkeiten waren eher dürftig. Nach dem Abendessen durften wir nochmal zur Toilette. Die Tür war immer geöffnet. Privatsphäre ab es nicht. Nach 19.30Uhr durfte man nicht mehr auf Toilette. Wer doch ging und erwischt wurde bekam Schläge. Diese gab es auch für Kinder die nicht schlafen wollten oder konnten. Nach den Gründen wurde nicht gefragt. Ein Gürtel war das beliebteste Schlagwerkzeug. Kontakt zu den Eltern gab es nicht. Briefe wurden kontrolliert und kommentiert. Einmal bekam ein Junge Prügel weil er in der Post nach Hause von den zuständen im Heim berichtete. Mir fehlen jegliche Erinnerungen an regelmäßige Hygiene. Auch an Arztbesuche kann ich mich nicht erinnern. Während meiner Kur erkrankte ich ( Angina ). Diese wurde wohl nicht zu Ende behandelt. Kurz nach meiner Rückkehr musste ich für weitere 9 Wochen ins Krankenhaus. Der Grund war eine sehr schwere Blutvergiftung. Es dauerte sehr lange bis man heraus gefunden hatte wo diese herkam. Zum Glück kam mein damaliger Arzt irgendwann auf die Idee mich zu fragen ob ich während der Kur krank gewesen wäre. Die nötigen Unterlagen wurden dann von der Uni Klinik Mainz angefordert. Diese ganzen Erinnerungen sind erst vor kurzem in mir hoch gekommen. Grund dafür sind die Bücher: die Akte Verschickungskinder und das Elend der Verschickungskinder. Beide sind sehr zu empfehlen. Ich werde noch dieses Jahr nach Scheidegg fahren um mir das Heim anzusehen. Ich hoffe, daß dies mir helfen wird einen weiteren Schritt zu schaffen.
Meine Oma hat mir Süßigkeiten mitgegeben. Die wurden auch weggenommen. Nachts sind die älteren Kinder auf die Suche nach den Süßigkeiten gegangen. Die fanden sie dann auch: riesenmengen in irgendwelchen Abstellkammern. Aber wir Kinder haben nichts bekommen. Die älteren Kinder haben uns kleinen Kinder dann etwas mitgebracht.
Ich habe 6 Wochen die gleichen Sachen getragen, da ich nicht wußte, wo meine Sachen sind. Sie wurden mir auch weggenommen.
Ich habe gesagt, ich möchte nach Hause, aber meine Eltern kamen nicht mich holen. Ich durfte nicht telefonieren, schreiben konnte ich noch nicht.
fangen damit an, dass meine Mutter immer schon besorgt war, ich wuerde eines Tages an der „Schwindsucht“ sterben, so duenn wie ich war. Sie wuenschte sich ein rundliches Kind, mit sichtbaren Reserven, genug um etwaige Krankheiten zu ueberdauern. Da ich zuhause aber nicht zunahm, weil ich nicht „richtig as“ schickte mich meine Familie zur Erholung in das Kinderheim der Arbeiterwohlfahrt Herrlingen. Ich bin gerne dorthin gefahren, da meine Eltern sagten dort waeren ganz viele andere Kinder und ich mich darauf freute mit ihnen zu spielen. Meine Umhaengekarte habe ich beim Ausraeumen des elterlichen Hauses vor 3 Jahren gefunden und als Photos diesem Bericht beigelegt. Ich war 6 Jahre alt und es war der Fruehling bevor ich eingeschult wurde.
Ich erinnere mich an ein grosses, stattlich aussehendes Haus, in dem wir unten assen und oben im Schlafsaal mit vielen Kindern zusammen schliefen. Wir hatten Metallbetten, die in langen Reihen nebeneinander aufgestellt waren. Man konnte von einem Bett auf das andere springen, die ganze Reihe entlang! Musste nur aufpassen, dass wir nicht erwischt wurden, weil erlaubt war das nicht. Genausowenig wie jede andere Form aktiven Spielens. Das ist in meiner Erinnerung das, was mich am meisten quaelte: Wir waren ganz oft draussen im Garten und im Wald, was ich liebte, durften aber nie rennen! Wir mussten immer zu zweit aufgereit, Haende haltend langsam gehen. Gesungen haben wir meine ich auch („lustig ist das Zigeunerleben, fahria,fahria ho?!“), was ich auch mochte.
Nach dem Mittagessen wurden wir zu einem grossen, an allen Seiten offenen Unterstand im Garten gebracht. Unter dem Dach standen Feldbetten in 2 oder 3 langen Reihen. Auf diesen Betten mussten wir Mittagsruhe/-schlaf halten. Wir lagen in Schlafsaecken/Decken und mussten ganz still liegen und uns nicht bewegen und nicht sprechen. Eine Schwester ging die Reihen entlang mit Rohrstock und passte auf.
Manchmal kamen Eltern zu Besuch, nur meine kamen nie. Ich glaube wir wartetet alle bis das Tor vom Garten aufging und einige Kinder hatten - glaube ich - Besuch. Bin mir aber nicht sicher. Vielleicht hatte ich mir auch nur gewuenscht, das Tor ginge auf und meine Eltern kaemen zu mir?
Dann erinnere ich mich noch an eine Szene, in der eine meiner Freundinnen Lakriz hatte. Ich glaube ihre Eltern hatten es ihr geschickt. Wir hatten uns zu dritt oder viert im Klo versteckt und das Maedchen gab uns allen ein Stueck von ihrem Lakriz zu essen. Fuer mich war es das erste Mal, dass ich Lakriz ass und leider mochte ich es ueberhaupt nicht. So wenig, dass ich es ins Klo spuckte, weil mir davon schlecht wurde. Mir tat meine Freundin leid, weil ich ihr Lakriz nicht mochte. Erwischt wurden wir dabei nicht.
Des letzte Abendessen war fuer mich ein Highlight! Es gab Fisch, Lachsersatz, diese intensiv orangeroten Schnipsel aus dem Glas. In unserer Familie gab es nie Fisch und ich hatte auch Lachsersatz noch nie gegessen. Wir hatten frisches Brot mit Butter und Lachsersatz zum Abendessen und ich as und as und as. Mir schmeckte es so gut, dass ich fragte, ob ich noch mehr Brote haben duerfte und hoehrte erst auf zu essen, nachdem ich 11 Scheiben Lachsbrot gegessen hatte. Darauf war ich ganz stolz: 11 Scheiben!!!
Die naechste Erinnerung ist bei meiner Familie zuhause am Mittagsstisch. Normalerweise war das Mittagessen fuer mich immer eine Qual, da ich einen Teller Suppe und einen Teller Mittagessen essen musste. Ich durfte mir nicht selber nehmen, sondern bekam meinen Teller gefuellt und musste alles aufessen, vorher durfte ich nicht vom Tisch aufstehen. Dies fuehrte oft zu Traenen und langem alleine am Tisch sitzen vor dem kalten Essem. Ich hatte im Erholungsheim ordentlich an Gewicht zugelegt. Den ersten Tag als ich vom Erholungsheim zurueck war und zuhause Mittag ass, ass ich 2 Teller Suppe und 2 Teller Mittagessen! Ich wollte allen zeigen, wie gut ich essen gelernt hatte. Meine Mutter war gluecklich. Leider fing ich noch am selben Tag an mich zu erbrechen. Zunaechst dachten meine Eltern es waere, weil ich zuviel zu Mittag gegessen haette. Das Erbrechen hoerte aber auch am naechsten Tag nicht auf und Durchfall hatte ich auch. Nach einigen Tagen, an denen ich nichts in mir behalten konnte, war ich so schwach, dass ich ohnmaechtig wurde und erst im Krankenwagen wieder zu Bewusstsein kam. Die naechsten Wochen verbrachte ich im Krankenhaus mit einer Salmonellenvergiftung. Als ich entlassen wurde, wog ich weniger als vor meiner Zeit im Kindererholungsheim. Ich fuehlte Genugtuung: „Das hatten sie nun davon, mich zum Aufmaesten wegzuschicken!“ Ein weniger gesundes und duenneres Kind, das die lange Zeit der Trennung seinen Eltern lange uebel nahm.
auch ich war 1965 auf Initiative des Jugendamtes
als 6-Jährige in Melle, Sauerland in Kur.
Ich war durch den Aufenthalt im Kinderheim
1962 - 1964 so ausgemergelt, daß man mich
dort hingeschickt hat.
Der 6-wöchige Aufenthalt in der Kur
war auch nicht besser als im Kinderheim,
wurden geprügelt, bekamen Läuse, durften
nachts nicht auf die Toiletten.
Zu essen bekamen wir aber genug.
Sie waren aber lieblos und gleichgültig.
Die Kur hätte ich mir sparen können.
Aus dem Heimkinderfonds wurde ich
2014 entschädigt, weil man mich schon
als Kleinkind nervlich zerstört hat.
Bis heute leide ich darunter.
Anlass war, dass ich seit einiger Zeit immer trotziger wurde und schließlich über längere Zeit zu Essen verweigerte. Der Hausarzt empfahl meinen Eltern, mich auf Kur zu schicken.
Ich kann mich tatsächlich an die Kur kaum erinnern. Ich weiß nicht genau, wie ich dort hin gekommen bin - ja, mit dem Zug. Aber ob meine Eltern mich begleiteten oder ob ich am Bahnhof „übergeben“ wurde, kann ich nicht sagen.
Ich erinnere mich an ein Haus im Bayern-/Alpen-Stil (Es gibt ein Bilder davon - es sieht in meiner Erinnerung auch so aus). Hinter der Haustür lag ein Vorraum. Viel Holz. Nach links ging es in das Esszimmer der „kleinen Kinder“ und nach rechts in das Esszimmer der „großen Kinder“. Von diesem Vorraum aus konnte man auch auf eine kleine Toilette gehen (weiß aber nicht mehr genau, wo sie lag).
Gegenüber der Haustür führte eine breite Holztreppe nach Oben. Im 1. OG waren, glaube ich, die Zimmer der großen Kinder (und der Betreuer?).
Ich erinnere ich mich an den „Dachboden“. Es war ein großer „Saal“ mit Dachschrägen, wo wir Kleinen alle zusammen schliefen. Ich meine, es wären Matratzen-Lager gewesen, bin aber nicht sicher.
Jedenfalls …
… ich liege auf meiner Matratze, trotze und weine … ich bin alleine, die anderen Kinder sind unten.
Ich weiß nicht, ob ich nicht mit nach unten wollte, oder ob ich zur Strafe alleine oben bleiben musste.
Ich höre die anderen Kinder unten lärmen - es war Essenszeit.
Ob ich Hunger hatte, weiß ich nicht mehr.
Irgendwann gehe ich dann doch runter, im Schlafanzug. Ob ich „aufgegeben“ habe oder ob ich herunter befohlen werde, weiß ich nicht mehr.
Ich erinnere mich große Scham.
Ich gehe in das Esszimmer der Kleinen. Die anderen Kinder sitzen um die Tische und essen und schauen mich an. Sie lachen mich aus, hänseln und verspotten mich.
Ich will an meine Platz, aber da ist nicht (mehr) gedeckt.
Ich bekomme die Ansage/Strafe, mir mein Geschirr und Besteck zur Strafe selbst holen zu müssen. Allerdings ist der Schrank mit Geschirr und Besteck im Esszimmer der „großen Kinder“. Ich weigere mich im Schlafanzug dorthin zu gehen.
Ich muss in der Ecke stehen - Blick zur Wand.
Irgendwann gehe ich dann doch zu den Großen.
Ich werde von den Betreuern gehänselt und den Großen angekündigt. „Da kommt ja der Bettnässer/die Heulsuse“ - ich weiß nicht mehr genau, mit welchen Worten.
Die Tatsache, dass ich im Schlafanzug und barfuß erscheinen muss, sorgt für Gejohle, Hohn und Spott von allen.
Unter Tränen und dem Hänseln/Spotten der Großen suche ich zitternd mein Geschirr/Besteck zusammen. Da ich nicht genau weiß, wo die Sachen sind (ich war vorher noch nie im Esszimmer der Großen), ernte ich weitere Häme und Spott von den Großen und den Betreuern.
Ich bestehe nur aus Scham, Tränen und Wut.
Zurück im Esszimmer der Kleinen setze ich mich zitternd und schniefend an meinen Platz …
Die Scham erstickt mich fast.
Ich fühle mich verlassen, ausgestoßen.
Ich will mich am liebsten in Luft auflösen, weg von hier. Aber wohin. Es gibt keinen Ort an dem ich mich sicher/geborgen fühlen könnte.
Darüber hinaus erinnere ich mich an fast nichts. Nur daran, dass ich auf einem Spaziergang über Wiesen und Felder versuchte zu lernen, wie ich mit einem Grashalm zwischen den Fingern quäkende Geräusche machen kann (das kann ich noch heute).
Viele der Schilderungen im Forum kommen mir mehr oder weniger vage bekannt vor
- nicht alleine auf die Toilette dürfen/Tür immer offen
- gezwungen so lange - notfalls auch alleine - am Tisch sitzen müssen, bis alles aufgegessen ist. Oder - noch schlimmer - alle müssen warten, bis der letzte (ich) aufgegessen hat (Gruppenzwang)
- kein Kontakt zur Aussenwelt/Eltern (ich konnte ja noch nicht schreiben, und Telefon hatten meine Eltern damals noch nicht, Besuche waren verboten)
- heftiges Heimweh mit Tränen und Trotz
- Beschimpfungen, Beschämungen und Demütigungen durch das Personal und auch unter Einbeziehung der anderen Kinder (Bloßstellen Ausgrenzen, Gruppenzwang)
- Sehr rigide und strenge Methoden
Es fühlt sich so an, als hätte ich das auch erlebt, aber da ich (noch) keine weiteren, konkreten Erinnerungen daran habe, kann und will ich nicht mehr sagen, als „kommt mir sehr bekannt vor“
Meine Eltern (mittlerweile beide gestorben, kann also auch nicht mehr nachfragen) haben mir gelegentlich von dieser Kur erzählt. Sie sagten, dass ich danach sehr verändert gewesen sei. Ein „braver Bub“, der folgsam war und immer seinen Teller leer gegessen habe. Ich soll danach sogar eher zuviel gegessen haben und deutlich zugenommen haben.
Ziel also „erreicht“
Auch Schwimmen wurde für mich angstbesetzt, als mir die Schwimmflügel weggenommen wurden, weil ich nun ohne Flügel schwimmen sollte. Ich hatte Angst vor Strafe und tat so als ob ich schwimmen würde, lief aber auf den Zehenspitzen und hoffte, dass es keiner bemerkte. Vor dem Temperaturmessen hatte ich auch Angst, weil erhöhte Temperatur bedeutete, dass man allein im Bett bleiben musste. Ich kann mich erinnern, dass ich immer versucht hab, meine Hände an den kühlen Gitterbettstäben abzukühlen, weil ich hoffte, so keine Fieber zu haben. Meine Eltern durften mich nicht besuchen und auch nicht anrufen, weil ich danach immer so viel geweint habe. Nur Briefe mit vielen selbstgemalten Bildern haben sie geschrieben, jede Woche einen, so dass ich mitzählen konnte, wenn 11 Briefe da waren, dann würden sie mich bald darauf abholen. Ich weiß nicht, was oder womit wir gespielt haben. An den Winter mit Schlittenfahren kann ich mich noch erinnern, das war schön. Und einmal sind wir zum Faschingsumzug in den Ort gelaufen. Im nächsten Jahr wurde meine 1 1/2 Jahre jüngere Schwester mit ins Kinderheim geschickt, obwohl sie nicht krank war. Sie hofften wohl, dass es mir dann leichter fallen würde. Wieder waren es 3 Monate. Ich weiß nicht, ob ich mit meiner Schwester zusammen sein durfte. Eigentlich hätten meine Eltern die zweite Kur nicht mehr machen müssen, weil sie schon wegen meiner Gesundheit einen Umzug in den Schwarzwald im Sommer des Jahres 1969 geplant hatten. Aber wir waren nun schon mal angemeldet und als arzthörige Eltern, machte man was der Arzt sagte. Das ist es auch, was ich meinen Eltern vorwerfe, sie haben das zweimal mitgemacht, obwohl ich schreckliches Heimweh hatte und sie wohl auch. Angeblich hat mir der Aufenthalt gegen die Bronchitis geholfen. Aber gleichzeitig hat mich das lange Getrenntsein von meinen Eltern doch sehr verstört: ich wollte danach mehr als 10 Jahre nicht mehr von meinen Eltern weg, keine Übernachtung bei Tante, Oma Freundin usw. Es hat meine Persönlichkeit geprägt: Ich habe gelernt, mich zusammenzureißen, Gefühle zu unterdrücken weil es sowieso nichts geändert hätte, ich wollte möglichst unsichtbar und unauffällig zu sein. Ich kann mir meine emotionale Distanz zu meinen Eltern vor allem jetzt, wo sie alt sind und meine empathische Fürsorge bräuchten nur mit der Zeit im Kinderheim erklären. Laut Psychologen stört so eine lange Trennung die Bindung zu den Eltern.
An wirklich schlechte, gewaltsame Erfahrungen kann ich mich zwar nicht erinnern, aber je mehr ich darüber nachdenke, desto unverständlicher ist mir, dass man damals so eine lange Trennung von Kindern und Eltern für gut oder tolerabel gehalten hat.
Dieses Jahr bin ich in Bad Dürrheim auf dem Rückweg vom Bodensee vorbei gefahren. Es hat mir Genugtuung bereitet zu sehen, wie das DRK Kinderheim seit 17 Jahren leer steht und zunehmend verfällt! Dass der 35 jährige Bürgermeister von Bad Dürrheim Jonathan Berggötz heute um Entschuldigung bittet, für das was Kinder in diesem Ort erleiden mussten, hat mich sehr berührt.
Durch diesen Aufenthalt kam ich traumatisiert zu meinen Eltern zurück. Seit dieser Zeit bin ich Psychotiker und hatte mehrere Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis.
Das meiste, was in dieser Zeit geschehen ist, habe ich verdrängt. Ich kann mich noch erinnern, dass ich nichts zu essen bekam, weil ich mich geweigert habe zu beten. Ich habe mich nachts eingenässt, vermutlich, weil mir sexuelle Gewalt angetan wurde. Daraufhin wurde ich zu den Babys verfrachtet. Die "Tanten" haben dann behauptet, ich wäre noch nicht sauber und haben sich vor allen anderen Kindern über mich lustig gemacht.
Ich werde diese Erinnerungen einfach nicht los, trotz Psychotherapie und Gesprächen.
bin zufällig auf diese Seite gestossen.
Ich weiß bis heute nicht was sich meine Eltern dabei gedacht hatten,dass ich als Einzelkind, 4mal zur Kur musste.
Ich bin Jahrgang 1951 und war 1957 das erstemal zur Kur nach Bad Münstereifel.Leider ist mir nur noch in Erinnerung der entsetzliche Mittagsschlaf.Ich kannte dieses von zu Hause nicht und konnte auch nicht schlafen.
An meine zweite Kur erinnere ich mich nur das alle Kinder Durchfall hatten und zwar zu Ende hin.Die beschmutzten Unterhosen wurden einfach in den Koffer gesteckt und meine Mutter höre ich heute noch schimpfen.Es war eine grosse Sauerrei und es roch fürchterlich.
Und wieder der grässliche Mittagsschlaf.Ich stand öfters im Flur mit Decke über den Kopf und die Kinder aus meiner Gruppe lachten mich aus.Das war für mich der Anfang des Mobbings.
Dann fuhr ich am 5.1.1961 nach Allerheiligen mitten in der Schulzeit.Warum weiss ich bis heute nicht.
An diese Kur kann ich mich gut erinnern.
Es war Januar,überall hoher Schnee und wir gingen wenigstens einmal am Tag sparzieren es war herrlich.
Das Essen war schrecklich aber ich habe es gegessen,denn ich wollte nicht den ausgekotzten Brei nochmal einmal essen.Dann ging es wieder zum Mittagsschlaf.Für mich waren die 2 Stunden schrecklich.Ich drehte mich von eine auf die andere Seite und man merkte das ich nicht schlief. Ich entwickelte eine Schlaf-Phobi und dann kam die Angst um entdeckt zu werden.Wenn man nicht schlief bekam an dem Tag keine Post ausgehändigt.
Wenn der Schlaf dann vorbei war,dachte ich schon an den nächsten Tag.
Des Sonntags mussten die katholischen Kinder zur Messe.Es war eine kleine Kapelle die in dieser Zeit sehr kalt war. An den Wänden liefen Heizungsrohre entlang in einer Höhe von 0,80cm.
Ich war die erste die in den vorgesehenden Bänken
Platz nahm.Nach einer Weile wurde es mir komisch und als ich wieder bei Bewusstsein war hatte ich eine 0,10cm grosse Blase auf dem linken Handrücken.Während meine Ohnmacht hatte keiner gesehen das meine Hand am Heizungsrohr lag.
Ich hatte höllische Schnerzen.Im Kurheim angekommen wurde mir ein Verband angelegt mit den Worten"morgen ist Montag dann kann die Ärztin draufschauen".
Ich bekam in der Nacht zu Montag fürchterliche Schmerzen und es hatte sich eine grosse Blase gebildet.Wir wurden jeden Montagmorgen gewogen und die Ärztin war da und schaute auch auf meine Hand.Sie sagte nur"wir müssen warten bis die Blase aufgeht und schauen nächsten Montag wieder".
Ich schlug mich mehr schlecht als recht in dieser Woche.Ich durfte auch nicht nach Hause schreiben was passiert war.Es wurde auch nicht reagiert als es wieder schmerzte.Es wurde gesagt "wir schauen am Montag"
Der Montag kam und in meiner Blase war alles entzündet und es eiterte.Die Ärztin meinte ich müsste täglich die Hand in irgendeiner Flüssigkeit baden das es eilt.
Als ich nach Hause fuhr war es noch nicht verheilt.Meine Mutter bekam einen Schreck denn sie wusste immer noch nichts.Das hielt sie aber nicht ab,mich noch ein weiteres Mal in Kur zu schicken.Es war ja alles zu meiner Gesundheit.
Dann fuhr ich 1963 nach Garatshausen an den Starnbergersee.
Es war Sommer, ich war 12Jahre alt und meine Erinnerung ist als war es gestern.
Wir fuhren mit dem Zug ab Düsseldorf mit einigen Kindern dort hin.Alle hatten wir unsere Pappkarten um damit wir nicht verloren gingen.Nach ca. 8Std. waren wir an Ort und Stelle.Wir sollten unsere Taschen leeren und alles essbare wurde eigesammelt für den nächsten Tag.Furchtbar!!
Das Kindersanatorium lag auf einem Seegrundstückes war herrlich.Durch meine vorherigen Kuren wusste ich ja wie alles ablief.Wir wurden auf die Zimmer verteilt und ich bekam ein Einzelzimmer mit Fenstervergitterung.Also konnte mir nicht passieren mit anderen Kindern zu quatschen.
Das Essen schmeckte wieder nicht aber ich scheffelte
es in mich rein denn ich wollte es ja nicht auskotzen.
Ich weiss nicht mehr wie meine Gruppe hiess aber unsere Aufpasserin war Schwester Hanni.Sie war keine Schwester aber wir mussten sie so nennen.An sie kann ich mich gut erinneren.Sie war sehr lustig und drückte auch schon mal ein Auge zu.
Dann wieder dieser Mittagsschlaf der mich quälte.Da wir schon 12Jahre waren,waren wir die Grossen und durften sonntags in der Mittagsruhe lesen.Das hat mir sehr gefallen und meine Lektüre war "der Trotzkopf".
Dieses passte sehr gut in die Zeit und auch Tränen flossen wie in jeder Kur.Dieses Heimweh!!!
Da wir Mädchen uns mit Schwester Hanni gut verstanden durften wir mit ihr morgens das Frühstück
herrichten. Es wurden Graubrot mit Magarine und Marmelade geschmiert.So konnte sie länger schlafen denn wir Mädchen waren wach und halfen ihr.
Ich habe an meine letzte Kur auch schöne Erinnerungen
und machten auch eine schöne Fahrt mit dem Bus nach Kloster Ettal,Wieskiche und Oberammergau.
Diese Sehenswürdigkeiten habe ich als Erwachsener noch mal besucht und bin auch in Garatshausen gewesen aber leider steht dieses Heim nicht mehr.
Heute stehen dort Wohnhäuser.Desweiteren habe ich mich bei der Stadt Tutzing gemeldet aber dort war nichts zu erfahren.
Auch hier im Netz ist nichts zu erfahren.Man darf mich gerne anschreiben zum Austausch.
Dieses hat mich sehr geprägt und stelle mir immer die gleiche Frage: warum musste ich als Einzelkind so oft zur Kur???
Da meine Eltern nicht mehr leben werde ich es nie erfahren.
Ich habe dies lange als Strafe gedacht für mich,man wollte mich einfach los werden.
Nach meiner letzten Kur trennten sich meine Eltern und ich blieb beim Vater.
Ich war damals, Anfang 1990, mit 5 Jahren in der „Pullerburg“ Neu Hirschstein / Sachsen.
Ich verstehe nicht warum ich nicht mehr von diesem Ort lese?! War es doch keine schöne Zeit, für mich und viele andere dort.
Aber zum Anfang. Zur Wende 89 Starb mein Opa, für mich kleinen Jungen so ein Schock das ich wieder begann zu Bettnässen.
Nachdem meine Eltern mit mir offensichtlich den ein oder anderen „Facharzt“ besuchten schickte einer dieser Herren mich für 6 Wochen in diese Einrichtung.
Meine Erinnerungen waren wenige, ich habe immer versucht zu verdrängen was geschah. Jetzt wo allerdings mehr und mehr hochkommt und viele daraus resultierende psychische Probleme meinen Alltag bestimmen begab ich mich in Behandlung. Im Alltag und in der Therapie kam immer mehr hoch, so das sich das Puzzle allmählich füllt.
Schlimme Sequenzen von Gewalt, sexuellen Übergriffen, Zwangsernährung, Schlafentzug, Katastrophalen Therapieansätzen und mehr als harten Bestrafungen bestimmen mittlerweile meine Erinnerungen an diesen Ort.
Meine Eltern, streng erzogen vom System, hinterfragten auch nicht warum ihr 5 Jähriger Sohn, bei ihrem einzigen erlaubten Besuch, auf dem Fenster steht und droht herunterzuspringen wenn sie ihn nicht mit nach Hause nehmen würden. Bis heute ist es für sie nicht nachvollziehbar was damals geschah.
Ich werde wohl noch viele Jahre therapieren müssen ehe ich mit den Gedanken und den Erinnerungen umgehen kann.
Vielleicht treffe ich hier Menschen die auch da waren? Bis in die 80ger soll es wohl verhältnismäßig Human zugegangen sein?!
Also vielleicht jemanden der zur Wendezeit dort war?
Ansonsten ist es schön auf dieses Forum gestoßen zu sein. Zu wissen das man nicht allein ist mit diesem Thema, es hilft ungemein. Danke ??
Lg Daniel
Ich wurde mit einem großen Pappschild um den Hals in Ludwigshafen von meinem Vater in den Zug gesetzt und mir wurde versichert, dass mich meine Eltern dort wieder abholen würden, was ich zunächst relativ gelassen als unabdingbar so hinnahm ..
Ich lag in einem schmalen kleinen Zimmer mit 2 Betten und einen wesentlich älteren Mädchen. Ich kenne keinen Namen und auch kein Alter (etwa 8-12 ?), da wir kaum oder nichts miteinander gesprochen haben und auch sonst kein Kontakt bestand. Wir hatten aber auch keine Probleme, es war für mich einfach die bestehende Vorgabe, dass wir beide diesem Zimmer zugeteilt wurden ..
Ich hatte Probleme mit dem Essen, vor allem mit der Haferschleimsuppe, die es täglich vor der Hauptmahlzeit gab. Ich ekelte mich so sehr davor, dass ich sie von Anfang an unter den Tisch mit langer weißer Tischdecke kippte, in der Annahme, dass die Sache damit für mich erledigt sei 🙂 dem war aber leider nicht so. Nach ein paar Tagen wurde ich darauf angesprochen und ich streng daraufhin gewiesen, dass ich ohne diese Suppe, als "Medizin" bezeichnet, keine Hauptspeise bekommen würde. Ich weiß nicht mehr wie lange, einige Tage auf jeden Fall, vtl. auch länger, habe ich dennoch keine Suppe gegessen und daher auch kein Essen mehr zu dieser Mahlzeit bekommen. Abends im Bett habe ich im Dunkeln vor Hunger meine Blendi Erdbeerzahnpasta gegessen. Irgendwann musste ich nur noch einen Löffel Suppe essen, um die Hauptmahlzeit zu bekommen. Was für mich dann auch ok war ..
Schlimm war es auch für mich, dass ich mir selbst mit kaltem Wasser die Haare waschen musste. Das hatte ich zu Hause nicht gelernt. Die normale Körperpflege hat mich vor keine großen Herausforderungen gestellt.
Nach einiger Zeit mit Heimweh und Verwirrung, was der Aufenthalt denn jetzt für mich bedeutete, wurde ich zunehmend entschlossener, mich irgendwie dort durchzubringen, damit ich dann eben ohne Eltern mein weiteres Leben leben konnte. Für mich stand irgendwann fest, dass meine Eltern mich nicht mehr abholen würden, warum auch immer ..
Nachdem sie mich wieder Erwarten dann doch abgeholt hatten, war ich wie versteinert. Meine Überlebensstrategie wurde über den Haufen geworfen und ich konnte oder wollte es nicht glauben, wahrscheinlich aus Angst wieder weggeschickt zu werden. Ich hatte für eine gewisse Zeit Sprechstörungen, so eine Art Kiefersperre und musste ständig weinen.
Nachts hatte ich sehr lange Zeit, etwa einige Jahre, Alpträume und nässte fortan auch nachts ein, was mich sehr unglücklich machte.
Aber am schlimmsten quälten mich bestimmt 5 Jahre ärzlich attestierte Frostbeulen an beiden Füßen, die ich mir in dieser Zeit, ein kalter Winter mit Schnee, zugezog, da ich nur mit Gummistiefeln als Winterschuhe ausgerüstet war und mir diese auch noch ohne Strümpfe selbst angezogen hatte. Diese juckenden Schmerzen (Frühling/Herbst) kann ich heute noch spüren und mich daran erinnern, dass ich mir nur Erleichterung verschaffen konnte, indem ich auf meinen Füßen herumbiss.
Was dieser Aufenthalt mit mir als Person und meiner Entwicklung gemacht hat, kann ich nur erahnen. Mein Verhältnis zu meinen Eltern ist dadurch sicherlich erheblich belastet und mein Lebensweg gezeichnet .. ich hatte allerdings nie Schulprobleme, im Gegenteil erschien mir hinterher keine Schwierigkeit oder Problem zu groß, als dass ich es nicht hätte selbst lösen können.
Als ich dann den Artikel in der FAZ und einige der Geschichten im Forum gelesen hatte, kamen bei mir „unangenehme“ Ahnungen hoch. Ich glaube oder ahne, dass ich auch viele der Quälereien ertragen musste, kann mich aber an nichts mehr erinnern. Ich konnte lediglich einige der geschilderten Symptome nachvollziehen und stelle an mir fest, dass ich nach wie vor ein Problem mit dem Gefühl habe für längere Zeit eingesperrt zu sein und deshalb öfters das Bedürfnis habe den Ort zu wechseln – was sich jetzt während des Corona-Lockdowns noch verstärkt hat. Oder auch beim Umgang mit „unfreundlichen“ Autoritäten und ein Gefühl „Immer alles richtig und anderen Recht machen zu müssen“.
Alles das ist zwar nur eine Vermutung aber sicher ist, dass ich die Zeit im Verschickungsheim komplett verdrängt hatte und durch das Lesen der Erfahrungsberichte ein eher unangenehmes Gefühl der Ahnung entstanden ist, dass es mir während der Zeit ähnlich schlimm ergangen ist wie vielen Anderen und dass traumatische Spätfolgen übrig geblieben sind.
An dieser Stelle schon mal vielen Dank an Alle, die Ihre Geschichten erzählt haben und an alle die das Forum ins Leben gerufen haben.