ZEUGNIS ABLEGEN – ERLEBNISBERICHTE SCHREIBEN
Hier haben sehr viele Menschen, seit August 2019, ÖFFENTLICH ihre Erfahrung mit der Verschickung eingetragen. Bitte geht vorsichtig mit diesen Geschichten um, denn es sind die Schicksale von Menschen, die lange überlegt haben, bevor sie sich ihre Erinnerungen von der Seele geschrieben haben. Lange haben sie gedacht, sie sind mit ihren Erinnerungen allein. Der Sinn dieser Belegsammlung ist, dass andere ohne viel Aufwand sehen können, wie viel Geschichte hier bisher zurückgehalten wurde. Wenn du deinen Teil dazu beitragen möchtest, kannst du es hier unten, in unserem Gästebuch tun, wir danken dir dafür! Eure Geschichten sind Teil unserer Selbsthilfe, denn die Erinnerungen anderer helfen uns, unsere eigenen Erlebnisse zu verarbeiten. Sie helfen außerdem, dass man uns unser Leid glaubt. Eure Geschichten dienen also der Dokumentation, als Belegsammlung. Sie sind damit Anfang und Teil eines öffentlich zugänglichen digitalen Dokumentationszentrums. Darüber hinaus können, Einzelne, die sehr viele Materialien haben, ihre Bericht öffentlich, mit allen Dokumenten, Briefen und dem Heimortbild versehen, zusammen mit der Redaktion als Beitrag erarbeiten und auf der Bundes-Webseite einstellen. Meldet euch unter: info@verschickungsheime.de, wenn ihr viele Dokumente habt und solch eine Seite hier bei uns erstellen wollt. Hier ein Beispiel
Wir schaffen nicht mehr, auf jeden von euch von uns aus zuzugehen, d.h. Ihr müsst euch Ansprechpartner auf unserer Seite suchen. ( KONTAKTE) Wenn Ihr mit anderen Betroffenen kommunizieren wollt, habt ihr weitere Möglichkeiten:
- Auf der Überblickskarte nachschauen, ob eurer Heim schon Ansprechpartner hat, wenn nicht, meldet euch bei Buko-orga-st@verschickungsheime.de, und werdet vielleicht selbst Ansprechpartner eures eigenen Heimes, so findet ihr am schnellsten andere aus eurem Heim.
- Mit der Bundeskoordination Kontakt aufnehmen, um gezielt einem anderen Betroffenen bei ZEUGNIS ABLEGEN einen Brief per Mail zu schicken, der nicht öffentlich sichtbar sein soll, unter: Buko-orga-st@verschickungsheime.de
- Ins Forum gehen, dort auch euren Bericht reinstellen und dort mit anderen selbst Kontakt aufnehmen
Beachtet auch diese PETITION. Wenn sie euch gefällt, leitet sie weiter, danke!
Hier ist der Platz für eure Erinnerungsberichte. Sie werden von sehr vielen sehr intensiv gelesen und wahrgenommen. Eure Erinnerungen sind wertvolle Zeitzeugnisse, sie helfen allen anderen bei der Recherche und dienen unser aller Glaubwürdigkeit. Bei der Fülle von Berichten, die wir hier bekommen, schaffen wir es nicht, euch hier zu antworten. Nehmt gern von euch aus mit uns Kontakt auf! Gern könnt ihr auch unseren Newsletter bestellen.
Für alle, die uns hier etwas aus ihrer Verschickungsgeschichte aufschreiben, fühlen wir uns verantwortlich, gleichzeitig sehen wir eure Erinnerungen als ein Geschenk an uns an, das uns verpflichtet, dafür zu kämpfen, dass das Unrecht, was uns als Kindern passiert ist, restlos aufgeklärt wird, den Hintergründen nachgegangen wird und Politik und Trägerlandschaft auch ihre Verantwortung erkennen.
Die auf dieser Seite öffentlich eingestellten Erinnerungs-Berichte wurden ausdrücklich der Webseite der „Initiative Verschickungskinder“ (www.verschickungsheime.de) als ZEUGNISSE freigeben und nur für diese Seiten autorisiert. Wer daraus ohne Quellenangabe und unsere Genehmigung zitiert, verstößt gegen das Urheberrecht. Namen dürfen, auch nach der Genehmigung, nur initialisiert genannt werden. Genehmigung unter: aekv@verschickungsheime.de erfragen
Spenden für die „Initiative Verschickungskinder“ über den wissenschaftlichen Begleitverein: Verein Aufarbeitung und Erforschung von Kinderverschickung / AEKV e.V.: IBAN: DE704306 09671042049800 Postanschrift: AEKV e.V. bei Röhl, Kiehlufer 43, 12059 Berlin: aekv@verschickungsheime.de
Journalisten wenden sich für Auskünfte oder Interviews mit Betroffenen hierhin oder an: presse@verschickungsheime.de, Kontakt zu Ansprechpartnern sehr gut über die Überblickskarte oder die jeweiligen Landeskoordinator:innen
Verstehe dieses ganze Tamtam nicht - überall gibt es schwarze Schafe!
Im Beitrag war die Rede davon, dass Gewichtszunahme an 1. Stelle stand. So war es auch bei Tante Inge. Unter allen Umständen musste das Essen aufgegessen werden, danach gab es Lebertran. In meiner Gruppe war ein Geschwisterpaar (Mädchen von 5 und 3 Jahren). Ich war Zeuge, als die 3-jährige das Erbrochene wieder aufessen musste. Da das zu lange gedauert hat, wurden wir anderen weggeschickt. Nach 6 Wochen hatte ich 1/2 kg zugenommen. Ich weiß noch, dass meine Mutter das als wenig empfand.
Nachts durften wir nicht zur Toilette gehen. 1 x ging es nicht anders, ich bin aufgestanden und über den halbdunklen Flur gelaufen. Schon stand eine der Tanten neben mir und hat mich nach einem Donnerwetter ins Zimmer zurück geschickt. An den weiteren Verlauf kann ich mich nicht mehr erinnern, aber das Bild des Flures und meine Angst habe ich immer noch deutlich vor Augen. Ich weiß, dass andere Kinder verprügelt wurden, wenn sie ins Bett gemacht hatten.
Das Geschwisterpaar wurde noch vor meinem Aussteigebahnhof Minden auf einem anderen Bahnhof von ihren Eltern abgeholt und liebevoll in den Arm genommen. Ich erinnere mich noch an die blonden Locken der Mutter und wie ich sie durch die Zugscheibe beobachtet habe. Und wie ich gedacht habe, ob sie wohl von den Gemeinheiten von Tante Inge erfahren würden.
Ich habe zu Hause davon erzählt, meine Mutter hat sich fürchterlich aufgeregt und meine jüngeren Geschwister wurden nicht verschickt. Ich glaube nicht, dass ich bleibende Schäden davon getragen habe, aber die negativen Erinnerungen und die Bilder dazu habe ich noch deutlich vor Augen. Das schrecklichste Haus in meinem ganzen Leben war das Oberlinhaus in Freudenstadt.
Es war nach meiner Erinnerung eine sehr strenges Regiment, denn ich wurde gezwungen Haferschleim Suppe zu essen, und das ich erst aufzustehen darf, wenn ich alles aufgegessen hätte, ich habe immer wieder gewürgt und gewürgt, dann kam die Aufseherin, und drohte mir, Du sitzt hier so lange bis Du das alles aufgegessen hast!!
Ich versuchte den Haferschleim runter zu schlucken, und zum Schluss kam der Brei wieder hoch und habe auf den Tisch erbrochen.
Was dann passierte, da habe ich eine Erinnerung Lücke!!
Ich weiß nicht mehr ob ich das Erbrochene wieder essen musste, das ist bei mir alles ausgeblendet!!
Ich habe seitdem ein Ekel davor
und konnte jedenfalls nie wieder Haferschleim Suppe essen!!
Ich hatte dort häufig Alpträume und habe ins Bett gemacht, dadurch aufgewacht es war stockdunkel und bin dann Nachts eine Treppe zu den Toiletten runter gelaufen und die Hinterlassenschaft bemerkte ich überhaupt nicht!
Am nächsten Morgen wurden alle irgendwie zum Appell aufgerufen, wer das war, und ich hatte große Angst, und deshalb nichts gesagt!!
Dann wurde jedes Bett durchsucht!!
Und ich wurde genötigt, als kleines Mädchen den Gang und die ganze Treppe bis unten zu reinigen, das war damals ziemlich erniedrigend.
Und das demütigende war, es wurde vor den anderen Kindern irgendwie zur Schau gestellt!
Zuhause habe ich nichts erzählt warum weiß ich bis heute nicht.
Nur wenn es hieß Du wirst bald wieder verschickt habe ich einen Aufstand gemacht!
Ich wollte nie wieder zu einer Verschickung das war für mich ein absolutes traumatisches und bleibendes Erlebnis.
War morgens diese erste Hürde genommen, ging es in den großen Speisesaal. Und da begann das Grauen. Es gab jeden Morgen Griessbrei oder Haferschleim. Beides fand ich ganz furchtbar. Ich mochte es nicht! Aber ich sollte ja zunehmen. Also rückten fast jeden Morgen zwei Betreuerinnen mit einem Teller Pampe an. Ich sagte mehrmals, dass ich es nicht mag, aber das interessierte sie nicht. Die Eine hielt meinen Kopf umklammert und drückte mir mit Gewalt den Mund auf und die Andere zwang mir wieder und wieder einen Löffel Pampe in den Mund. Ich werde nie vergessen, was sie dazu sagte: "Guck mal, Kind, wir nehmen schon nur einen Eierlöffel. Dann hast du nicht soviel davon im Mund." Wenn ich zu würgen begann, drückte man mir schnell den Mund zu. Ich kann bis heute nichts essen, das eine breiige Konsistenz hat: Keine Cremes, keinen Pudding, keine Sahne, keinen Quark, keinen Joghurt, keine Torten, keinen Kartoffelbrei.
Einmal in der Woche gab es Post von unseren Eltern. Viele schickten kleine Kuscheltiere, Püppchen oder sonstiges Spielzeug. Wir durften unsere Sendungen vor dem Essen in Empfang nehmen. Danach wurden uns alle Geschenke der Eltern wieder weggenommen und auf ein Regal verfrachtet, das so hoch war, dass wir Kinder nicht heran kamen. Lies sich eines der Kinder auch nur irgendetwas "zuschulden kommen", wurde das Geschenk vor den Augen aller Kinder von den Betreuern in einen großen Mülleimer befördert. Klappe zu, Affe tot, buchstäblich.
Mein kleiner Bruder war damals ein ziemlich aufmüpfiger, kleiner Bengel, schlau, gewitzt und trotz seiner erst vier Lebensjährchen nicht auf den Mund gefallen. Wie oft er wegen lächerlicher "Vergehen" und weil er sich nichts gefallen ließ, stundenlang mit dem Gesicht in der Ecke stehen musste, während die anderen Kinder etwas zu Essen bekamen, habe ich leider nicht gezählt.
Einmal sollte er etwas essen, was er nicht mochte. In einem winzigen, unbeobachteten Moment schleuderte er den gefüllten Teller wie eine Frisbeescheibe quer durch den Speisesaal. Daraufhin bekam er eine Tracht Prügel und für den Rest des Tages nichts mehr zu essen.
Irgendwann während meines Aufenthaltes wurde eine neue Betreuerin eingestellt, eine warmherzige, engagierte und sehr nette junge Frau, der wirklich an uns Kindern gelegen war. Sie war die erste Betreuerin, die sich um meine langen Haare kümmerte und sie tagsüber zu einem langen Zopf flechtete. Wenn sie kam, ging jedesmal die Sonne auf und wir Kinder scharten uns um sie herum. Aber die anderen Betreuer sahen es nicht gern, wenn sie sich um uns Kinder kümmerte.
Einmal haben wir einen Spaziergang durch den Wald gemacht. Links vom Wegrand ging es steil und tief hinunter. Die Betreuer schärften uns ein, ja nicht vom Weg anzukommen. Natürlich passierte es trotzdem. Eines der Kinder trat daneben und rutschte den ganzen Abhang hinunter durch den Wald, bis ein Baum die gefährliche Rutschpartie unsanft beendete. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ob das "abtrünnige" Kind bestraft wurde. Aber ich glaube, der Schrecken bei den Betreuern war zu groß.
An unserem letzten Tag vor der Rückreise lagen wir zum Mittagsschlaf in unseren Betten. Plötzlich kam eines der Kinder schreiend in den Schlafsaal gerannt. "Die haben Spritzen", brüllte es laut. "Die geben uns Spritzen!" Das total verschreckte, panische Kind kroch in sein Bett unter die Decke und hielt diese krampfhaft rundherum fest. Dann kamen sie auch schon. Ohne irgendeine Vorankündigung oder gar Erklärung wurde ein Kind nach dem anderen mit Gewalt unter der Bettdecke hervorgezerrt. Zwei Betreuer hielten es fest, der dritte jagte dem schreienden und weinenden Kind die Spritze in den Hintern. Ich hatte vor Spritzen glücklicherweise keine Angst, weil mir schon unzählige Male von der Kinderärztin zu Hause Blut abgenommen worden war. Aber die meisten Kinder waren - zum krönenden Abschluss ihres Kuraufenthaltes - in Todesangst. Als alle Kinder durch gespritzt waren, ließen die Betreuer sie völlig verstört in ihren Betten zurück.
seit Kurzem sind mir die Erlebnisse die ich während zweier Kuraufenthalte in der DDR hatte, wieder ins Bewusstsein gekommen. Vieles habe ich verdrängt, besonders von meinem ersten Kuraufenthalt mit 5 Jahren in Osterburg, woran ich nur wenig Erinnerungen habe. Aber ich weiß noch, dass dort in sehr großen Schlafsälen in Gitterbetten geschlafen wurde und ich mich nachts gefürchtet habe und nicht schlafen konnte. Auch kann ich mich noch erinnern, das man nackt unter der Höhensonne tanzen musste, gezwungen wurde aufzuessen und das es Strafen gab. Welche , kann ich mich nicht mehr erinnern. Würde es aber gern, um es besser zu verarbeiten.
An den zweiten Kuraufenthalt in Bad Muskau Nähe der polnischen Grenze kann ich mich dafür sehr gut erinnern. Zu beiden Kuren wurde ich geschickt, weil ich zierlich und zu dünn war. Gemein fand ich, dass bei der Kur gleichzeitig Kinder zum Zunehmen und zum Abnehmen waren. Auch die Essenszeiten waren gleich. Während die Kinder die Abnehmen mussten Ihr Essen in winzigen Portionen eingeteilt auf ihren Tellern hatten, mussten sie gleichzeitig mit zusehen, wie die anderen (zu denen ich auch zählte) regelrecht mit Essen vollgestopft wurden. Es gab für uns 6 Mahlzeiten am Tag. Regelmäßig mussten wir uns in Unterwäsche im Gang aufreihen zum Wiegen. Wir haben uns manchmal kleine Sachen in die Socken gestopft, um ein paar Gramm mehr zu wiegen. Aber die größte Folter war für mich folgendes: Jeden morgen musste ich um 5 Uhr aufstehen und in den Keller. Dort gab es Stachelbrause oder Wechseldusche. Die Stachelbrause bestand aus einem Aufsatz aus dem mehrere harte Wasstrahle herauskamen und damit wurde man erst kalt dann heiß abgespritzt. Dafür musste man sich nackt in eine Ecke stellen.
Wechseldusche war dasselbe, nur nicht mit so hartem Wasser. Für mich war es eine Folter. Die nächste Folter war, dass man in die Sauna eingesperrt wurde. Ich hielt es nicht so lange aus und wollte eher raus und habe darum gebettelt. Aber ich musste solange drinn bleiben, bis die Zeit um war. Danach musste sich jedes Kind in eine Badewanne mit eiskaltem Wasser legen, bis zum Kinn und nur danach durfte man gehen. Das hat definitiv ein Trauma bei mir hinterlassen. Ich ertrage keine Hitze über 30 Grad und habe das Gefühl von Panik und ersticken zu müssen und ich meide kaltes Wasser wie die Pest, gehe seit dem fast nie ins Schwimmbad oder in einen See. Nur in warmes Wasser.
Ich würde gerne meine Erinnerungen auch an die erste Kur wieder hervorholen. Da ich hoffe, wenn ich es erinnern kann, es auch besser zu bewältigen und damit umgehen zu können.
Ich bin noch neu hier und froh diese Seite gefunden zu haben. Wenn jemand einen Rat hat, wo ich mehr Hilfe bekommen kann, bin ich dankbar. Das Gefühl, damit nicht allein zu sein, tut jedenfalls gut.
LG Nadja
Meine Hände wurden mehrmals täglich mit Nivea-Crème "behandelt", wodurch sich nach und nach lange blutige Risse bildeten die sich entzündeten, was widerum zur Folge hatte, dass mir noch öfter die Hände mit der gleichen Salbe eingecremt wurden und der Zustand sich weiter verschlechterte. Als ich pünktlich zum Schuljahresbeginn (2. Klasse) wieder zuhause war, konnte ich die erste Woche gar nicht, und in der zweiten Woche nur mit immer noch komplett bandagierten Händen am Unterricht teilnehmen.
Meinen Bruder habe ich während der gesamten Zeit nur zweimal bewusst wahrgenommen. Er war dort um zuzunehmen und lag an dem Tag, an den ich mich erinnere, nach dem Zwangsmittagsschlaf zugedeckt auf einer Liege neben der Wiese, auf der die anderen Kinder nach der Mittagsruhe spielen durften. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mitgespielt habe. Vielleicht durfte oder konnte ich auch nix anfassen.
Die zweite Erinnerung habe ich an einen Ausflug. Ich weiß noch, dass ich mich für die Schieferplättchen, die überall rumlagen, begeisterte. Als wir wieder im Heim ankamen, sprach mich mein Bruder, der in Gesellschaft von zwei der älteren Jungen (ca. 15-16 Jahre) war, an, und überredete mich mitzukommen, weil sie mir etwas zeigen wollten. Ich folgte den fremden Jungs dann in einen Hühnerstall (?). Mein Bruder war glaube ich draußen geblieben. Mehr weiß ich nicht mehr, nur, dass mich diese Szene bis heute nicht loslässt.
Erübrigt sich wohl zu erwähnen, dass die Post nachhause zensiert wurde.
Die Heimleiterin hieß Frau Netz und war wohl durch den BDM geschult worden. Anders kann ich mir heute jedenfalls nicht erklären, wie es einem Menschen möglich ist, Kinder in einer permanenten Atmosphäre der Einschüchterung, Vernachlässigung und Angst, nachhaltig zu traumatisieren. Ich will nicht behaupten, dass diese "Kur" der alleinige Grund dafür ist, dass ich seit Jahrzehnten immer mal wieder wegen Depressionen in Behandlung bin, da es auch noch andere Brüche in meinem Leben gab, aber einen maßgeblichen Anteil an meinen seelischen Verwerfungen wird sie mit Sicherheit haben.
Mein Bruder und ich haben niemals miteinander über diese unendlich langen 6 Wochen gesprochen.
ich musste gleich zweimal in die Kur fahren, denn ich war zu klein und zu dünn um eingeschult zu werden. Genau kann ich nicht mehr sagen, wann ich wo gewesen bin und was ich wo genau erlebt habe. Ich war erst 5 und dann 6 Jahre alt. Bestimmt habe ich viel verdrängt oder vergessen und das ist wahrscheinlich auch besser so. Wie in der DDR so üblich, ging es sehr militärisch zu. Antreten zum Apell und in Zweierreihe, still stehen. Aber das war ja in der DDR auch an den Schulen so. Obwohl so viele Kinder da waren, habe ich mich sehr einsam gefühlt. Ich kann mich nicht daran erinnern Freundschaften geschlossen zu haben. Wahrscheinlich hatte jeder mit sich selber zu tun.
Wir durften nachts nicht auf Toilette und meine Bettnachbarin hat häufig ins Bett gemacht und nicht nur Urin, sondern Stuhlgang. Sie musste die ganze Nacht in ihrem Haufen liegen und im Schlafsaal hat es furchtbar gestunken. Morgens wurde sie dann ganz schrecklich angeschrien. Sie hat entsetzlich gelitten.
Mein Vater hat mir Süßigkeiten geschickt, die ich nie bekommen habe. Das haben hier ja viele beschrieben. Ich habe es schrecklich empfunden nackt in einer Reihe anzustehen und morgens eiskalt mit abends viel zu heiß mit einem Wasserschlach abgespritzt zu werden. Auch der Gang nackt um die Höhensonne war gruselig. Wir haben uns gefürchtet und ein Mädchen ist umgefallen.
Beim Essen musste aufgegessen werden oder man saß stundenlang vor dem Teller. Im meiner Suppe war ein Knorpel. Den konnte man gar nicht runter bekommen. Ich habe ihn mir in den Mund gestopft ihn im Klo wieder ausgespuckt und mich dabei so geekelt, dass ich mich erbrochen habe. Wenn man die viele Butter nicht aufs Brot geschmiert bekam, musste man sie im Nachgang so essen.
In meiner Erinnerung waren die Erzieher sehr unterkühlt.
Meine Eltern glaubten mir das nicht. Ich habe dann auch einfach nicht mehr darüber nachgedacht und verdrängt, bis mir ein Freund ähnliche Sachen erzählt hat. Niemals würde ich meine Kinder alleine in eine Kur schicken.
Die jetzige Miteigentümerin der Villa Didié, wie das Hau früher auch genannt wurde, hat noch gestern Recherchen zu meinen Fragen angestellt und mich angerufen.
Ich dachte immer die "Heimleiterin" sei eine Generalstochter gewesen.
So schlecht bin ich nicht gelegen.
Es war Maria Hetzel-Dedié, eine adoptiertes Dienstmädchen des kinderlosen Oberleutnants Ferdinand Dedié und seiner Gattin.
Nun bin ich mal gespannt ob es über das Landesarchiv respektive Gemeindearchiv Königsfeld noch Unterlagen dazu gibt.
meine Narbe an der rechten Handobfläch erinnert mich schon mein ganzes Leben an die Panik, Verzweiflung und Angst, mit der ich die Glasverandatür als 5-Jähriges Mädchen eingeschlagen habe, um aus dem Raum rauszukommen. Irgendwas hat der "Tanta" nicht gepasst und ich wurde in der Veranda eingesperrt.
Ebenso erinnere ich mich an Kasernenhof-Drill und erbrochenem Heidelbeerquark/Joghurt, in welchem ich liegen bleiben musste.
Nach unserer Rückkehr nach Stuttgart, so meine Mutter, hatte sie Bedenken, ob wir überhaupt ihre Kinder seine, da uns der schwäbische Dialekt wohl ausgetrieben wurde.
ich berichte mal, wie es mir 1967 im Alter von 9 Jahren in Hochried erging.
Ich war übrigens nicht krank sondern galt eher als robustes Kind. Ich freute mich im Vorfeld auf die Berge, den Schnee...Ferien während der Schulzeit...
Schon auf der Fahrt von Hannover Hauptbahnhof aus im gräßlichen Transportzug habe ich mich verletzt - ich habe mir den Finger am Klappsitz auf dem Gang blutig gequetscht. Da wurde ich grob behandelt und geschimpft.
In Hochried wurde uns der persönliche Besitz abgenommen, Geld, Süßigkeiten, mein Fotoapparat. Weil ich klein gewachsen war kam ich in den Schlafsaal zu den jüngeren Kindern . Das fand ich sehr ungerecht. Ich wurde geschimpft, wenn die Kleinen Nachts unruhig waren, da ich die älteste im Schlafsaal war. Ich war so froh, dass meine kleine Schwester 2 Tage vor Abfahrt nicht mehr mit wollte und meine Eltern sie nicht dazu zwangen. Ich hätte sie bestimmt nicht trösten können/ dürfen.
Ich war autoritäre und grobe Behandlung nicht gewöhnt. Man durfte nichts selbst entscheiden. Es gab kein freies Spiel. Ich erinnere keine Freizeitangebote. Es war wie im Gefängnis.
Es gab jeden Tag Ärger wegen des Essens. Im „ Eulenzimmer“ mussten die Kinder, die nicht alles aßen stundenlang vor ihren Tellern sitzen. Ich war immer bis nachmittags dort. Immerhin kam ich so um die verhaßte Mittagsruhe rum.
Es gab nur eine freundliche „ Tante“: die bewachte die Mittagsruhe und sang mit uns. Abends ist sie mit einer kleinen Gruppe Kinder ins Dorf zum Bäcker oder Senioren gegangen, um Adventslieder vorzusingen. Ein Junge und ich haben zweistimmig gesungen oder Solo. Wir bekamen Limonade, Gebäck und manchmal ein paar Groschen. Alles heimlich. Das war mein Lichtblick während der Kur. Bestimmt war das Image- Pflege der Einrichtung.
Morgens mussten wir uns versammeln und Kirchenlieder singen. Viele Kinder mochten das nicht. Für mich war es ein Lichtblick, wenngleich ich lieber weltliche Lieder gesungen hätte.
Eines der Lieder wurde meine Hymne:
Die Nacht ist vorgedrungen
Der Tag ist nicht mehr fern
So sei nun Lob gesungen
Dem hellen Morgenstern
Auch wer zur Nacht geweinet
Der stimme froh mit ein:
Der Morgenstern bescheinet (bescheinigt sang ich)
Auch deine Angst und Pein!
Es gab 1 Adventskalender für alle Kinder zusammen und das bravste Kind des Tages bekam etwas davon. Ich bekam nie was.
Es gab so eine Art Reihenuntersuchung bei einem groben Doktor. Ich fand, das war wie auf dem Sklavenmarkt. Wir wurden wie Vieh behandelt, gewogen, rumkommandiert ... und alles in Unterwäsche. Das war sehr beschämend. Ich sollte zunehmen, obwohl ich gar nicht zu dünn war.
Die „ Tanten“ kuschten vor ihm.
5 Wochen lang wurde ich damit erpresst, dass ich an meinem Geburtstag während der Kur nicht das in Aussicht gestellte Wunschessen bekommen würde, wenn ich nicht brav sei.
Ich durfte keine Geschenke zum Geburtstag geschickt bekommen, auch keine Süßigkeiten. Meine Eltern schickten manchmal was, das durfte ich nicht behalten.
Einmal habe ich, als ich mich unbeobachtet fühlte, alle Kinderschuhe, die sorgfältig in einer Reihe standen, durcheinander gekickt. Ich wurde dabei von einer „Tante“ erwischt, die mich übers Knie legte und schlug. Ich war zuvor noch nie geschlagen worden. Ich glaube, ich musste dann auch zur Leiterin.
Ständig wurden die Wäschefächer kontrolliert. Wenn es nicht ordentlich genug darin war, wurde alles von der„ Tante“ herausgezerrt. Ich musste oft alles neu zusammen legen, wie beim Militär. Wehe, es war etwas nicht korrekt gefaltet.
Weil ich mich in einem Brief an meine Eltern über das schlechte Essen beschwerte, durfte ich den Brief nicht abschicken. Ich war darüber sehr empört und wollte dann gar nicht mehr schreiben. Da hat man mich sehr unter Druck gesetzt. Ich sei gemein zu meiner Familie.
Ich habe mich eine Weile geweigert... leider konnte ich keine Briefmarken beschaffen, dann hätte ich heimlich geschrieben. Irgendwann habe ich dann doch geschrieben, aber nur nach der Familie gefragt, nichts über das Heim berichtet. Ich wollte nicht lügen und kam mir doch so vor als hätte ich das getan.
Ich wollte doch so gerne in die Berge ( also hatte ich mir das selber eingebrockt? ) da meine Oma dort aufgewachsen war. Sie lebte schon lange in Norddeutschland und schwärmte von der Landschaft. Ich wollte das erleben - die Berge, den Bergsee und den Schnee. Und habe nichts davon erleben dürfen. Statt dessen in Zweierreihen wandern ohne reden, ohne Schneeballschlacht... Ich finde es gruselig, dass ich mich noch nicht einmal an die anderen Kinder erinnern kann. Ich war ein kontaktfreudiges Mädchen- wie kann das sein? Ein Foto vom Kuraufenthalt habe ich nicht.
Ich kann mich überhaupt nur wenig an Details erinnern. Aber ich weiß noch genau, dass ich dort mehrmals Robinson Crusoe gelesen habe. Immer wieder von vorn. Ich habe eher innere Bilder.
1968 wechselte ich als gute Schülerin auf die weiterführende Schule, eine Mädchenschule. Auch dort waren die Strukturen autoritär bis grausam.
1969 bekam ich ein unerklärliches Fieber, über lange Zeit. Meine Leistungen verschlechterten sich.
1970 bekam ich meinen ersten Krampfanfall. Bis heute habe ich keine Epilepsie- typischen Abweichungen im EEG, ich gehe davon aus, dass es dissoziative Anfälle waren.
Ab 1971 hielt ich es immer weniger in der Schule aus. Ich konnte mich nicht mehr ducken und bin nicht mehr hin gegangen. Ich habe komplett dicht gemacht.
Erst 1974 nahmen meine Eltern mich von der Schule ... ich hatte dann einen Neustart an einer anderen.
Dort fand ich Verständnis und konnte nach einem weiteren Wechsel bis zum Abitur die Schule besuchen.
Die Kur liegt wie ein Schatten über meinen Kindheitserinnerungen. Fast alles, was vor der Kur war, ist nebulös. Vom Aufenthalt selbst weiß ich kaum Details. Die katholischen „ Tanten“ waren ohne Empathie. Kommando-Ton und Bibelsprüche ( Gott als Angstmacher) von morgens bis abends. Immer unter strenger Aufsicht. Es herrschte eine Atmosphäre der Angst. Ich spüre sie heute noch, wenn ich daran denke.
Es war die einsamste Zeit meines Lebens. Ich fühlte mich ganz auf mich allein gestellt in einer komplett anderen Welt als ich sie kannte.
Ich fuhr als neugieriges und fröhliches Kind hin und kam als ernste kleine „Erwachsene“ nach Hause. Von da an habe ich mir immer selber geholfen, vertraute mich niemandem mehr wirklich an.
Ich habe meinen Eltern nicht erzählen können, wie schlimm das alles war. Sie hatten sich im Vorfeld für mich gefreut. Wir konnten nicht in Urlaub fahren. Ich wollte Sie nicht enttäuschen oder belasten.
Ich weiß, sie hätten mich sofort abgeholt, wenn sie die Zustände dort gekannt hätten.
Die Kur hat mich traumatisiert.
Sie hat mich geprägt.
Ich bin früh ein sozial engagierter Mensch geworden, der aber leider selbst Schwierigkeiten mit Nähe hat.
Zum Glück hat die Kur bei mir nicht nur zerstört, sondern auch Ressourcen geweckt.
Ich recherchiere seit 2010.
- Langeoog -Nordsee- 1964/65
- Niendorf -Ostsee, Timmendorf- 1966
Ich habe schmerzliche Erinnerungen an diese Zeit, ein Kuraufenthalt mit vielen Zwängen, Bestrafungen und Verboten. Ich war mit 8 Jahren in Bad Sachsa und habe dort eine grauseme Tortur durchlebt. Festgebunden am Stuhl wurde ich gezwungen mein Mittagessen (Spinat) ganz aufzuessen. Danach erbrach ich alles und ich mußte dann mein Erbrochenes wieder und wieder essen bis der Teller leer war, das zog sich bis in den Nachmittag. Die Milch wurde mir eingeflöst. Ich bekomme heute noch Würgereiz bei Spinat und Milch.
Einmal bin ich nachts unerlaubt auf die Toilette und konnte im Dunkel mein Zimmer nicht finden, zur Strafe mußte ich im dunklen kalten Treppenhaus die Nacht auf der Treppe sitzend Barfuß und ohne Decke verbringen, es war Winter.
Ein anderes mal wurde ich für mehrere Stunden in eine dunkle Kammer ohne Fenster eingeschlossen. Das löst bei mir heute noch Panik in geschlosseen Räumen aus. Eine Strafe war auch, ich mußte stundenlang knieend in der Ecke im Speisesaal verbringen. Stubenarrest für zwei Tage im Bett liegend gab es auch.
Post an die Eltern wurde kontrolliert geschrieben.
Diese Geschehnisse sind ein Alptraum, quälend und traumatisch, sie belasten mich heute noch.
Hannelore
Dort angekommen,wurde mir mein Kuscheltier abgenommen,mein Bruder komplett von mir getrennt.
Die älteren Kinder waren in der unteren Etage untergebracht.Ich habe meinen Bruder die ganzen 4 Wochen nicht gesehen.
Ich sollte Gewicht zunehmen,also wurde ich gemästet.Es durfte nichts auf dem Teller zurückbleiben.
Ich habe viel geweint,aber nur heimlich - da es sonst Strafen gab.
Öfters musste ich in einem fast leeren Raum auf einem Holzstuhl sitzen - Arme hinter der Lehne verkreuzt.Ich durfte nicht aufstehen,da in unregelmäsigen Abständen kontolliert wurde.Dieses Wegsperren dauerte manchmal mehrere Stunden,auch Nachts - entweder weil ich beim weinen erwischt wurde,oder nicht schlafen konnte und mit meiner Bettnachbarin geflüstert hatte.
Wenn Duschtag war,mussten wir uns in unseren Zimmern nackt ausziehen und ohne ein Handtuch umzubinden,nach unten in die Sammeldusche gehen.Genau die Etage,wo die älteren Kinder untergebracht waren.Es war sehr demütigend.
In meinem Zimmer war ein etwas jüngeres Mädel,deren Mutter wohl kurz vorher gestorben war.Sie war fast nur am weinen.Selten,dass sie am streng geregelten Tagesablauf richtig teilnehmen konnte.Oftmals war sie für mehrere Stunden verschwunden.Sie hat nie erzählt,wo sie in dieser Zeit war.
Wir hatten uns später zu Hause noch Briefe geschickt,aber nie wieder von unseren dortigen Erlebnissen gesprochen.
Auch mein Bruder hat nie irgendetwas erzählt.
Die Mahlzeiten habe ich auch in schlechter Erinnerung: es waren riesige Portionen an Beilagen (Kartoffeln, Spinat) und dazu zum Beispiel ein Ei. Es mußte aufgegessen werden, und wer dies nicht schaffte, bekam massiven Druck. Ein Junge, der etwas älter war als ich, erbrach sich einmal in seinen Teller. Er mußte vor uns allen sein Erbrochenes wieder aufessen. Ich konnte nicht hinsehen, weil mir allein von der Vorstellung schon selber übel wurde. Ich war solche Portionen nicht gewöhnt und konnte das nicht. Darum bekam ich am Ende mehrfach die Strafe, die schon vor Beginn der Mahlzeit immer wieder erklärt wurde: wer nicht aufißt, bekommt keinen Nachtisch. Nicht der Verzicht auf den süßen, wohlschmeckenden Joghurt war daran das Schlimmste, sondern die soziale Ausgrenzung. Man wurde von der Heimmutter dann auch gesondert spöttisch vorgeführt: "Schaut her, die S. bekommt heute keinen Nachtisch, weil sie nicht aufgegessen hat!". Dies alles fand immer vor aller Augen statt. Da ich unbedingt zunehmen sollte, fühlte ich mich dann als Versagerin und war beschämt.
Merkwürdigerweise meine ich mich auch zu erinnern, daß wir einmal alle gemeinsam aufgefordert wurden, einen Brief nach Hause zu schreiben, der aber kurz und sehr allgemein ausfiel, weil er ja von der Heimfrau mitgelesen und abgeschickt wurde. Falls dies so war, muß ich doch ein Jahr älter, also 7, gewesen sein, ich bin mir einfach über mein Alter nicht ganz sicher.
Es wurde wohl irgendwie Buch geführt über unser Gewicht, jedenfalls stellte sich nachher heraus, daß ich etwas zugenommen hatte, auch wenn ich das selber nicht so empfand. Es kann auch nicht viel gewesen sein.
An körperliche Züchtigung kann ich mich nicht erinnern, mir bleibt vor allem ein Gefühl von Herzlosigkeit, fehlendem Ansprechpartner, Einsamkeitsgefühl, Übergriffigkeit und Langeweile, die ich vorher noch nie empfunden hatte. Die Zeit des Durchhaltens schien schier endlos, und ich fragte mich immer wieder, warum ich wohl in Wahrheit dort war.
Zum Glück blieb es mein einziger Aufenthalt dieser Art.
Heute habe ich Fotos sortiert und da waren sie: ich als Fünfjährige, zaghaft und bange lächelnd vorm Schönhäusl, am Königsee mit meinem Bruder (der wieder mit unserer Mutter heimfahren durfte), mit Schwester Friedel usw. Wollte sehen, ob das Erholungsheim noch existiert und so stieß ich auch auf diese Seite. Dass es so vielen wie mir ergangen ist, war mir nicht bekannt, traurig. Die Berichte der anderen sind erschütternd!
Eines gab es aber reichlich: Jede Menge Sport stand auf dem Programm - mehr Drill als Therapie. All dies war dennoch relativ leicht zu verkraften - leichter als Heimweh und die Angst vor Übergriffen größerer Kinder, die schreckliche Nachtschwester, ...Angst war da ein häufiger Begleiter. Nach all den Jahren ist mir zum Glück nicht mehr jedes Detail in Erinnerung. Geblieben sind aber einige besonders einprägsame Erlebnisse:
Nachtschwester:
Die Nachtschwester patrouillierte bewaffnet mit einer Taschenlampe alle Schlafunterkünfte. Ich war in einem großen Schlafsaal untergebracht, der durch zwei Glaswände mit offenem Durchgang eine gewisse Aufteilung bot. In meinem Bereich waren wir ca. 6 Kinder, in den anderen beiden Bereichen etwa ebenso viele. Wenn die Nachtschwester kam, musste man sich schlafend stellen - keinen Laut von sich geben. Wer wach war oder gar noch sprach musste sein Bettzeug nehmen und wurde in der Kapelle oder im Heizungskeller eingeschlossen. Sie können sich sicherlich vorstellen, wie verängstigt die Kinder waren. In einer Nacht hatte ich mal Fieber und sehr starke Kopfschmerzen - aber noch mehr Angst, die Nachtschwester anzusprechen. Ich weiß noch, dass ein Junge aus meinem Schlafbereich "todesmutig" zweimal in den Waschraum gegangen ist und mir einen mit kaltem Wasser getränkten Waschlappen zu bringen. In einer anderen Nacht bekam ein Kind aus einem anderen Schlafbereich einen schweren Asthmaanfall und drohte zu ersticken. Wir hatten schreckliche Angst - Angst, dass der Junge stirbt aber auch Angst vor der Nachtschwester. Letztlich siegte die Angst, dass der Junge sterben könnte und wir riefen die Nachtschwester. In dieser Nacht musste dann auch noch ein Arzt kommen.
Päckchen von zu Hause:
Einmal bekam ich ein kleines Päckchen von zu Hause - ein paar Kaugummis und - soweit ich mich erinnere - Salzstangen (eben das, was man einem "dicken Kind" so senden darf). Die Sachen wurden mir abgenommen - angeblich sollte es rationiert werden - ich habe davon nichts mehr gesehen.
Karten nach Hause:
Meine Mutter war damals zeitgleich selbst in einer Kur. Sie schrieb mir fast täglich und beklagte sich einmal bei mir, dass ich so gar nicht schreiben würde. Der Grund hierfür war ziemlich einfach: Die Texte an die Eltern waren bereits auf einer Tafel vorgeschrieben - weil doch die Kinder nie wüssten, was sie so schreiben sollten. Ich hatte dazu dann keine Lust mehr. Einmal schrieb ich wohl einen Brief an meine Mutter, in dem ich mich etwas über die Situation beklagte. Die Aufsicht hat diesen Brief "aus Korrekturgründen" gelesen und meinte, dass das aber kein schöner Brief sei und ich doch lieber wieder das schreiben sollte, was auf der Tafel steht.
"Wandern um die Höhensonne":
Alle Jungs mussten nur mit einem Augenschutz ausgestattet und völlig nackt um so eine Höhensonne herumlaufen um etwas gesunde Farbe zu bekommen. Ich fand das eher peinlich.
Meine Erlebnisse sind bestimmt nicht sensationell - aber vielleicht ein Baustein in Ihrer Sammlung. Inspiriert durch Ihre Artikel habe ich mich nach 47 Jahren nochmals mit der Vergangenheit auseinandergesetzt und weiß einmal mehr: Meine Kinder durften nie in so eine Anstalt - und zwar aus gutem Grund.
Es gab einige traumatische Erlebnisse, die bis heute gegenwärtig sind. Nach dieser Kur kam ich, nach den Erzählungen meiner Eltern, verändert, vor allem äußerlich verwahrlost zurück.
Ich bin in den Jahren 1955/56/57 in der TBC-Kinderheilstätte Schöneberg in Wyk auf Föhr gewesen, die hier auch schon erwähnt wurde. Die negativen Erlebnisse kann ich durchaus bestätigen, wenngleich der Aufenthalt in dieser Klinik entscheidend für mein ganzes späteres Leben war. Dazu muss ich leider kurz meine Krankheitsgeschichte erwähnen.
Die Stadt Berlin bewilligte für mich eine Erholungskur in der landeseigenen Klinik in Wyk/Föhr. Ich hatte eine TBC-Erkrankung hinter mir, in deren Folge mein linkes Hüftgelenk stark geschädigt war. 18 Monate Krankenhaus-Aufenthalt mit Gipsbett-Lagerung hatten keine Besserung bewirkt. Man hatte mich mit einer kompletten Beinschiene (steif) entlassen und meinen Eltern mitgeteilt, dass ich wohl nie ohne technische Hilfsmittel würde laufen können. Da war ich fünf und sah aus wie drei. Ein wirklich kümmerliches Würmchen! Sechs Wochen verordnete man mir, um an der frischen Luft zu regenerieren und zu Kräften zu kommen.
Am Ende waren es fast zwei Jahre. Erst 1957 kehrte ich heim, zwar auf unsicheren Beinen, aber mit der Schiene im Gepäck. Es blieb ein Handicap, dass mein Leben in mancherlei Hinsicht prägte, aber es wurde ein normales und selbstbestimmtes Leben. Und: Ärzte dieser Klinik haben mit viel Geduld und Engagement geschafft, was Fachärzte des renommierten Oskar-Helene-Heims in Berlin nicht für möglich gehalten hatten.
Was genau dort mit mir gemacht wurde, erinnere ich nicht. Offenbar gab es keinerlei Absprachen darüber mit meinen Eltern. Kommuniziert wurde nur zwischen Klinik und Kostenträger. Schriftwechsel gab es nicht. Nach sechs Wochen hieß es, ich sollte besser noch bleiben, dann sagte man, es bestünde begründete Aussicht auf Erfolg, und schließlich wollte man mich erst dann entlassen, wenn ich meine Gehfähigkeit wieder erlangt hätte. Die Ärzte waren überzeugt davon. Aber wie kommt ein Kind damit klar?
In dieser Zeit wurde ich dort auch „eingeschult“. Unterricht gab es zweimal die Woche, auch Zeugnisse. Nach Hause zurückgekehrt, kam ich in die zweite Klasse, konnte mit zusätzlicher Unterstützung den Anschluss finden und habe kein Schuljahr verloren. Folglich muss ich auch was gelernt haben. Darüber hinaus hatte ich mich in dieser Zeit körperlich auffallend gut entwickelt, ein fast normales Mädchen.
Soweit der eine Teil, was leider nicht bedeutet Ende gut, alles gut. Ich habe viel, fast alles aus dieser Zeit komplett verdrängt. Erst jetzt, wo ich die Berichte lese, lasse ich Erinnerung wieder zu. Die Sache mit dem Lebertran habe ich auch erlebt. Es hing davon ab, auf welcher Station man war. Es gab Bereiche, wo die Schwestern nett und fürsorglich waren. Da bekamen wir auch Sanostol, wenn wir den Lebertran nicht mochten. Dann wurde ich in einen anderen Bereich verlegt, wo ich den Lebertran ausgespuckt habe und danach die Suppe sprichwörtlich auslöffeln musste. Die Lebertranschwester beanstandete auch, dass ich offenbar nicht gelernt hatte, „bitte“ und „danke“ zu sagen. Als das nicht klappte wie sie wollte, packte sie mich einmal ganz dick ein und schob mein Bett zur Strafe in den Keller in einen weit abgelegenen Raum. Es könnte auch ein OP-Saal gewesen sein. Es wirkte bedrohlich und darin war es viel zu warm. Da ich mich nicht aus dem Schwitzkasten befreien konnte, war ich vielleicht sogar fixiert. Jedenfalls habe ich mir so die Seele aus dem Leib gebrüllt, dass mich gefühlte Stunden später ein Arzt dort fand und befreite. Für die Schwester gab das Ärger. Ansonsten habe ich nur einzelne Bruchstücke vor Augen, die sich noch zu keinem Bild formen wollen.
Das alles – was sich nicht ausschließlich nur auf diese Heimzeit beschränkt - habe ich seit Jahren nicht mehr reflektiert. Was mir dagegen geblieben ist, ist dieses unglückliche Kind, das sich immer dann meldet, wenn mehrere ganz bestimmte Umstände zusammentreffen; Dieses Kind ist mir vertraut, aber ich schäme mich dafür, weil es einfach nur heult und rationalen Argumenten nicht zugänglich ist. Ich halte es verborgen, nur ganz wenige Menschen in meinem Umfeld kennen es oder wissen davon. Wenn mir eine heikle Situation bevorsteht, habe ich es auch schon sediert; aber wenn es ganz unvermittelt ausbricht, ist es mir einfach nur peinlich. So eine Situation ist nicht mehr zu retten.
Gerade jetzt geht es dem Kind besser. Es bekommt viel Aufmerksamkeit und wird einmal ernst genommen. Nach drei Tagen intensiver Beschäftigung mit unserer gemeinsamen Vergangenheit hat es sich tatsächlich beruhigt, und mir ist klar geworden: Unterdrücken hilft nicht. Wer soll eigentlich dieses Kind in den Arm nehmen, wenn ich es nicht tue?
Meine Geschichte ereignete sich in den 50er Jahren, als „Schwarze Pädagogik“ auch an Schulen und in vielen Elternhäusern noch allgegenwärtig war. Aber dass derlei Dinge noch bis in die 80er systematisch praktiziert wurden, macht mich fassungslos.
Ihnen, Frau Röhl, bin ich sehr dankbar dafür, dass sie dieses Thema öffentlich machen und die Betroffenen aus ihrer Anonymität herausholen. Mir waren diese Erkenntnis und die Auseinandersetzung damit schon jetzt hilfreich.
Es würde mich sehr interessieren, ob es noch weitere Zeitzeugen dieses "Geschäftsmodells" gibt und werde unabhängig davon, die Erlebnisse aufschreiben, die übrigens fast identisch sind, mit den von vielen "Verschickten" beschriebenen. Bis gestern wußte ich gar nichts von diesem flächendeckenden Phänomen der Kleinkindermißhandlung.
Am schlimmsten war es in Wiek:
Ich hatte viele Jahre ein Trauma, da man uns fast täglich erklärt hat, dass der "böse Westen" Atombomben werfen würde und wir alle sofort tot wären. Danach hatte ich jedesmal panische Angst vor Flugzeugen am Himmel und habe lange geweint und geschrien, weil ich dachte, jetzt kommen sie und werfen die Bomben ab. Wir mussten auch jeden Morgen kalt duschen und wer nicht wollte, wurde nackt vor die Haustür gestellt (es war Herbst!), bis man "freiwillig" duschte. Jeden Tag musste man auch ein rohes Ei trinken, dies sollte zur Abhärtung des Immunsystems sein. Wenn man nicht wollte, musste man so lange vor dem Ei sitzen, bis man es getrunken hatte. Wir haben oft und lange geweint und uns total geekelt. Kinder, die der Meinung der Erzieher nach, zu zappelig waren, mussten jeden Tag eine Stunde "stillliegen". Die Nachtwache ging abends immer durch und hat jedem mit einer Taschenlampe ins Gesicht geleuchtet. Ich wurde mal erwischt, als ich noch wach war und wurde darauf hin für den Rest der Nacht in die Besenkammer gesperrt. Lange bis ins Erwachsenenalter, konnte ich nur mit einer Lichtquelle einschlafen!
Viele von uns haben geweint und wollten nur nach Hause, aber uns wurde bei Ankunft alles abgenommen was wir hatten....Taschengeld, Briefmarken etc. Ausserdem konnten wir ja noch nicht richtig schreiben mit 6 Jahren.
Das hier sind nur die Hightlights, ich könnte noch viel mehr schreiben. Aber es gibt auch eine positive Erinnerung: Ich habe damals dort die Mathe-Olympiade gewonnen!
Heute ist das damalige Kinderkurheim ein Mutter-Kind-Kurheim oder so ähnlich.
In Grünheide war es soweit ok, dass Einzige was echt widerlich war, war dass die männlichen alten Säcke von Erziehern uns Teenie-Mädels jeden Morgen beim Duschen zugeschaut haben! Es gab nur offene Gemeinschaftsduschen...
Durch die Barmer Ersatzkasse kam ich dort 6 Wochen zur Kur, da ich so ein schlechter Esser war. Dass das einen seelischen Ursprung hatte (meine Mutter starb als ich 3 war und mit 6 bekam ich eine hartherzige Stiefmutter); das hat damals keiner gesehen.
Also ich war 11 Jahre und gehörte damit schon zu den "Großen". Leider sind meine Erinnerungen nur bruchstückhaft, aber
die morgendliche Haferschleimsuppe, die an Fäden hing - muss jetzt noch würgen. Mir gegenüber saß ein kleines Mädchen, unter 6 Jahren, die immer nur geweint hat und die gezwungen wurde, die erbrochene Suppe zu essen.
Mittagsschlaf: Es wurde einem mit der Taschenlampe ins Gesicht geleuchtet, ob man auch schlief... wehe, man blinzelte (ich hab keine Ahnung mehr wie, aber dann wurde man bestraft. Die Mitarbeiterin, die für diese Kontrollen verantwortlich war, sehe ich noch vor mir: dunkler Pagenschnitt, schiefe Zähne und ein rollendes "R" und ein muffiger Geruch.
Schlimm war die Heimleitung (Korpulente, dunkelhaarige, wirklich bösartige Frau) bei jeder Gelegenheit wurden Kinder gedemütigt und sollten von uns dann gemeinschaftlich ausgelacht werden. Dabei habe ich nie mitgemacht. Auch hatte ich "die Kleine" unter meinem Schutz und habe heimlich geholfen, ihr Essen zu vernichten. Ich habe sie oft auf dem Schoß gehabt und ihr etwas vorgelesen. Das hatte immer beißenden Spott der Heimleiterin zur Folge, bin trotzdem dabei geblieben. Ich war schon sehr traurig, aber dieses kleine Mädchen, die war regelrecht gebrochen! Beim Spazierengehen hatte ich sie immer an meiner Hand. Ich hoffe, das hat ihr wenigstens ein bisschen geholfen. Ich wünschte, ich könnte ihr sagen, wie sehr ich mit ihr gefühlt habe!!
Briefe an die Eltern wurden öffentlich vorgelesen und der Lächerlichkeit preisgegeben. "Mama hol mich hier weg, hier ist es ganz schlimm" hat danach nie wieder jemand geschrieben.
Im Heim brachen die Windpocken aus. Ich bekam sie auch. Ich hatte hohes Fieber. Ich kann mich an keine liebevolle Pflegegeste erinnern. Ich bekam an einem Mittwoch die Windpocken. Der Arzt kam aber immer nur Dienstags. Also lag ich 1 Woche ohne jegliche juckreiz-stillende Salbe oder einem Fieberzäpfchen da, völlig mir selbst überlassen. Ich erinnere mich an schrecklichen Durst und dass mir niemand etwas zu trinken brachte. Darüber könnte ich jetzt noch weinen.
Als ich zurück nach Hause kam, wunderten sich meine Eltern, dass ich so verwahrlost (ich kann mich an keinmal Duschen erinnern, nur Waschen im kalten Waschraum) und magerer denn je zurück kam. Als ich alles erzählt hatte, hat meine Mutter sich vehement und schriftlich bei der BEK beschwert. Hatte das Konsequenzen? Ich glaube, es gab einen ganz laschen Entschuldigungsbrief seitens der Krankenkasse...
Zum ersten Mal innerhalb der Stadt in das Jagdschloss Glienicke. Das war mit 4 oder 5 Jahren, jedenfalls noch vor der Schulzeit. Meine Erinnerungen: Klopapier wurde knapp zugeteilt, eine Wand zwischen den Toiletten gab es nicht oder kaum. Einem Jungen, der im Bett erzählte, er würde gerne Kartoffelsalat essen, wurde der Hintern
versohlt mit den Worten „Da haste deinen Kartoffelsalat!“. Als es an die Heimfahrt ging und alle anderen Kinder schon im Bus und teilweise schon abgefahren waren, waren nur ich und noch ein Junge übrig und sie wussten nicht, wohin mit uns. Das Gefühl der Verlorenheit, dort bleiben zu müssen …
Das zweite Mal war viel schlimmer. Es wird mit 7 gewesen sein. Verschickung nach Bad Waldliesborn bei Lippstadt in ein katholisches Heim: Mir fremdes Beten vor dem Essen war da noch das Wenigste. Taschengeld und „Sonntagssachen“ waren und blieben weggeschlossen, Briefe nach Hause, wie gut doch alles sei, wurden diktiert.
Aber diese beiden Ereignisse waren die krassesten: Wir wurden für ein Kabarett-Stück missbraucht. Mit Boxhandschuhen musste ich einen Kampf mimen und dabei für mich natürlich völlig unverständlichen Text von mir geben, in dem Adenauer vorkam. Nach dem Stück konnten wir sehen, wie wir wieder aus den Boxhandschuhen kamen, niemand half. Das zweite war, dass wir in eine „Gaskammer“ (vielleicht im Kurhaus) kamen, in der ein Inhalationsgemisch aus Düsen an der Decke kam. Niemand wusste, was das ist und wofür das sein sollte.
Auch die Mitkinder taten das Ihre: Auf einer sumpfigen Wiese des Geländes schmissen sie Frösche durch die Gegend.
Und diese traumatisierenden Horrortrips bedeuteten ja schon ohne all diese Vorkommnisse eine ungewohnte, lange, völlige und teilweise weit entfernte Trennung von der Mutter und den Großeltern, lediglich durch erhaltene Post abgemildert. Bis ins Alter schleppt man diesen prägenden Mist mit sich rum,
weit davon entfernt, die Verantwortlichen und Verursacher zur Rede stellen oder anzeigen zu können, die ja längst nicht mehr leben.
nach einem Gespräch über meine Kindheit gab ich jetzt "Achatswies Kinderkur" bei Google ein und staune nun über 18 Seiten mit meist üblen Berichten von Verschickungskindern in verschiedenste .... "Einrichtungen".
"Zeugnis ablegen" wie in einem Biebelkreis wollte ich eigentlich noch nie. Ich bilde mir auch ein, ich bin mit meinen Erlebnissen aus der Kindheit zu guter Letzt gut fertig geworden, was mich zu einem Realisten machte, was auf dieser Welt nicht schaden kann.
Daher wollte ich im Grunde nicht mal lesen, was hier alles berichtet wird, ........ aber dann war die Neugierde und Verlockung doch zu groß und ich begann zu lesen und und zu lesen und zu lesen....
Ich hätte nicht erwartet, dass ich dabei immer wieder identische Erlebnisse vorfinde, die man mir bisher vielleicht nie so ganz abgeommen hatte wenn ich diese ab und zu jemandem schilderte.
Wie kam es nur dazu, dass ich mit 5 Jahren allein, weg von den Eltern, für 6 Wochen in eine sogenannte Kinderkur geschickt wurde?
Bei mir war es der Schularzt der mich wegen Untergewicht (Schwächlichkeit) bei der Einschulung 1965 "ausgemustert" hatte.
Zudem hatte ich chronische Nebenhöhlenentzündung ..... erzählte mir meine Mutter.
Meine Eltern hatten es natürlich nur gut gemeint und auf den Arzt gehört, so dass es ihr heute natürlich weh tut wenn ich aus den 6 Wochen erzähle.
Wie die Reaktionskette von der missglückten Einschulung bis zur Einweisung in Achatswies verlief kann ich nicht mehr nachvollziehen.
Auf jeden Fall war ich irgendwann im Sommer 1965 als 5 Jähriger weit weg von Zuhause und den Eltern alleine bei fremden (angeblich Barmherzige) Klosterschwestern und ein paar .... gedungene ... Erzieherinnen und wohl auch einem Arzt ab den ich mich aber nicht erinnern kann.
Natürlich waren die ersten Nächte ein tränenreiches, schlafloses Erlebnis voll Angst und Heimweh.
Seit meinem 1 monatigen Krankenhausaufenthalt durch einen Blinddarmdurchbruch mit 3 Jahren war ich schließlich noch nie von meinen Eltern getrennt.
Einen großen Schlafsaal für die Nacht, wie viele hier berichten, gab es bei uns in Achatswies übrigens nicht, aber einen prfisorischen für die Mittagsruhe. Eben so wenig gab es einen Essenssaal. Zumindest habe ich den als schlechter Esser nie zu Gesicht bekommen, falls es einen gab.
Ich bilde mir sogar ein, dass die Neuankömmlinge wie ich, die erste(n) Nächte, (bis das große Heulen überstanden war), in Einzelzimmer lagen, aber beschwören könnte ich das heute nicht mehr, dass ich in dem Zimmer der Einzige war.
Damit das Heimweh nicht von vorne begann war meinen Eltern ausdrücklich verboten worden mich in den ersten 2 Wochen zu besuchen.
Da die Erziehung damals ganz anders als heute war, habe ich meinen Eltern am WE nach der dritten Woche auch nichts erzählt, denn wenn man eine Strafe von Erwachsenen bekam dann hatte man was angestellt und das sollte mein Vater lieber nicht wissen.
Nur mal als Beispiel:
In meinem Kindergarten gabs für das Kind das als letztens mit dem Mittagessen fertig wurde, von der Schwester Edelhild (eine Nonne die wir trotzdem sehr mochten) Tazen auf die Finger und wenn es nicht gerade Spaghetti gab was das meistens ich. Auch bekam es in meiner Schulklasse mit 44 Kindern, von meinem Lehrer, aber auch vom Hausmeister dort immer wieder mal kräftige Ohrfeigen, weil ich ein aufgewecktes Kind war ;-). Ich war vor Achatswies also auch schon ein bisschen was gewohnt.
Es gab in Achatswies für Mittags nach meiner Erinnerung einen 7 Gerichte Essensplan der sich jede Woche wiederholte. Morgens und Abends gab es Brot.
Gegessen wurde auf dem Zimmer.
Und nach dem Mittagsessen wie bei den meisten hier, war Mittagsschlaf "befohlen".
Ob 1 oder 2h .. keine Ahnung, aber man musste die Augen immer geschlossen halten, wenn man keinen Ärger wollte.
Nach der ersten oder zweiten Nacht kam ich nach meiner Erinnerung dann in ein Dreibettzimmer mit einem etwas größeren Jungen der im Vergleich zu mir ein besserer Esser war.
So kam es, dass Der in meiner erste Woche an einem Tag mein Mittagessen (braune dickflüssige extrem übelriechende Ochsenschwanzsuppe) verdrückte weil es mich bei dem Geruch sofort richtig würgte.
Leider wollte er in der Zweiten Woche meine Suppe nicht mehr essen und es kam zu einen Gerangel bei dem ich mit dem Kopf an die Heizung schlug und eine Platzwunde hatte die genäht werden musste.
Das hatte zur Folge dass es aufflog dass ich mindestens meine Ochsenschwanzsuppe nicht essen wollte (konnte).
So landete ich wieder in einem Einzelzimmer mit täglicher Essens-Aufsicht durch eine weltliche Schwester mit einer zylinderförmig hochgesteckter Frisur. Da musste man wie bei meiner Mutter natürlich essen was auf den Tisch kam, was ja noch ok war, nur dass manches wirklich übel schmeckte und roch.
Und als die sogenannte Ochsenschwanzsuppe wieder an die Reihe kam würgte es mich immer wieder bis ich mich in meinem Teller und auf den Tisch übergeben habe.
Danach mussste ich den Inhalt des Tellers mit dem Erbrochenen nochmal essen und zwar so lange bis es drinnen blieb !!
Dieser Frau würde ich noch heute gerne mal begegnen .... und solche Frisuren in alten Filmen stoßen mich noch heute stark ab.
Das zweite Horrorelebnis waren die sogenannten "Aufbauspritzen". Die es nach meiner Erinnerung mindestens jeden zweiten oder dritten Tag gab. Klar hatte ich mit 5 vor Spritzen noch ziemlich Angst und musste mich dort daran gewöhnen und ich frage mich noch heute was die uns für einen Dre.. gespritzt haben.
Einmal sollten die Mädchen Sonnenschirme aufstellen die zusammengeklappt in ein Eck auf der Terrasse gelehnt standen und es viel ein kleine Federmaus zu Boden die daran wohl hängend übernachtet hatte.
Die Mädchen kreischten und eine Klosterschwester die wie ich daneben stand hatte sie gleich zertreten und ich dünner Knirps versuchte sie in dem Moment noch schnell weg zu schupsen um die Fledermaus zu retten. Ich glaub das gab auch eine Ohrfeige aber vor allem durfte ich paar Tage nicht mehr zu den anderen Kindern. Als ich das beim nächsten mal meiner Mutter dann doch erzählte, haben sie behauptet ich hätte das erfunden und würde tote Insekten unter meiner Matratze sammeln. Was natürlich völliger Quatsch war, aber mein Mut war schon wieder verflogen und hatte schon Angst wenn meine Eltern wieder weg waren.
Es gab natürlich noch Vorfälle oder üble Regelmäßigkeiten bei denen ich mir aber nicht mehr ganz sicher bin, ob es ganz genau so wie in meiner Erinnerung war, dass ich das nicht alles nicht schilden möchte.
Jedenfalls war es für mich schlimm genug, dass ich mehrmals Nachts davonlaufen wollte, wozu mir mit 5 aber dann doch jedes mal der Mut fehlte und irgendwann waren die 6 Wochen dann doch überstanden und als mich meine Eltern abholten waren sie mir sehr fremd und ich fühlte mich auch nicht mehr zu ihnen hingezogen.
im WDR 5 hörte ich gerade, 7.2.2021, 8:00, dass sich Frau Anja Röhl um die sehr schleckte Behandlung der Verschickungskinder kümmert.
Ich war als Kind, ca 9-jährig, in Obersdorf in dem dortigen Kinderheim für ca. 6 Wochen, damit ich zunehmen sollte.
Neben mir musste ein kleines Mädchen ihren erbrochenen Griesbrei unter Zwang essen.
Außerdem mussten alle kleinen Kinder an einem blaugeschlagenem Jungenpo, dem der Schlafanzug runtergezogen war, vorbeigehen, damit wir sehen, was uns passieren kann.
Uns wurden Skier angeboten, damit wir ohne je etwas gelernt zu haben, einen kleinen Berg runterfahren konnten. Ich kam zwar gut runter, finde es aber unverantwortlich. Aßerdem habe ich eher abgenommen als zugenommen bei dem angebotenen Essen. Als wir ankamen, wurde alle Butterbote eingesammelt mit Wurst, Marmelade usw., noch heute sehe ich die Wurstscheiben in der Suppe schwimmen, die wir alle essen mussten, einfach wiederlich. Dann schrieb ich nach Hause meiner Oma und wurde daraufhin ins Büro geholt, damit ich meinen Brief mit den Erlebnissenabändere und wusste gar nicht warum, denn ich habe meiner Oma ja nur geschrieben wie es mir dort geht.
Ich freue mich sehr, dass ich im WDR 5 hörte, dass sich um die damaligen Zustände gekümmert wird, ja es freut mich sehr das endlich aussprechen zu können und vorallen Dingen höre ich jetzt, dass es das tatsächlich gab, und ich mich richtig erinnere.
Ich danke Ihnen sehr für Ihr Engagement diesbezüglich. So wird klar, dass es mehreren Kindern so ging.
Mit freundlichen Grüßen
Irmtrud
Am Bahnhof angekommen erhielten wir einen Ausweis an einer Schnur umgehängt. Einmal im Zug kam ich gleich mit einem etwas älteren Jungen aus der Nachbarstadt ins Gespräch und wir freundeten uns an, was den Trennungsschmerz von meiner Mutter sehr linderte und uns gegenseitig etwas mehr Sicherheit gab bei unserer ersten größeren Reise ohne elterlicher Begleitung.
Im Haus Köhlbrand angekommen trennten sich aber unsere Wege. Mein neu gewonnener Kumpel wurde in einem anderen Haus einquartiert, weil der älter war. Wir haben uns anschließend nie mehr gesehen. Ich wurde in das Zimmer zugeteilt, wo die "Dünenzwerge" schliefen. Es gab u.a. noch die "Wildhasen" und die "Strandkrabben". Das fand ich sehr lustig und ich war stolz zu den Dünenzwergen zu gehören. Warum weiß ich nicht mehr. Bei mir im Zimmer waren noch ein paar Jungs, deren Eltern bei Osram in Berlin arbeiteten und für die die Firma den Erholungsurlaub organisierte. Die Jungs aus Berlin waren richtige Rabauken. Das gefiel mir. Wir waren für jeden Blödsinn zu haben und hatten viel Spaß miteinander, wenn wir das Zimmer verwüsteten. Leider wurde die Meute aus Berlin "aus organsatorischen Gründen" ins Wildhasenzimmer umgesiedelt, sodass wir uns nur noch im Speisesaal trafen. Schade. An die Qualität des Essens kann ich mich nicht erinnern. Es kann aber nicht soo schlecht gewesen sein, denn ich hatte nach den 6 Wochen tatsächlich 2 Kilo zugenommen. Ich habe mich besonders gefreut auf die Götterspeise, die bei uns Wackelpudding heißt. Wenn ich dann auch noch ein Schälchen mit Waldmeistergeschmack erwischte, war mein Glück perfekt. Tagüber standen je nach Wetter Spaziergänge in den Dünen oder am Strand an, was für mich immer spannend war, weil ich zum ersten Mal an der See war. Und es gab reichlich Zeit zum Spielen draußen oder drinnen oder zum Basteln unter Anleitung. Die Betreuung war einwandfrei. Jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern, dass ich oder ein anderes Kind in irgendeiner Weise schikaniert wurde. Ich erinnere mich immer noch gerne an diese Zeit zurück, die mit vielen Tränen begann, aber letztlich tatsächlich eine Erholung für mich und meine Mutter war. Als Souvenir habe ich meiner Mutter eine Halskette aus vielen kleinen Müschelchen mitgebracht. Im Laufe der Zeit wurde die Kette zwar immer kürzer, weil die Muscheln zerbrachen. Meine Mutter hatte diese Kette ihr Leben lang wie einen Schatz gehütet....
Ich erinnere mich an unfreundliche Schwestern währen der Fahrt und im Heim.
Auf der Fahrt wurden wir Kinder in die Gepäcknetze des Wagens gelegt in furchtbar kratzige Wolldecken.
Ich erinnere an einen großen Schlafsaal. Und ich weiß, dass ein anderer Junge meinen geliebten Kuschelbären kaputt gemacht hat.
Ich wurde verschickt weil ich zu dünn war. Nach der Kur habe ich aus Frust so viel gegessen, dass ich bis in die Pupertät massives Übergewicht hatte. Mit der Insel Sylt habe ich erst 40 Jahre später meinen Frieden geschlossen. Wolldecken und Wollwäsche kann ich bis heute nicht tragen bzw. mich einwickeln.
Ich war eines von 5 Kindern, mein Vater arbeitete bei Siemens. Vermutlich über die Betriebskrankenkasse wurde ich "verschickt". Als einziges von uns 5. Vermutlich habe ich ins Chema gepasst. Klein, zierlich und ein Kind aus kinderreicher Familie. Obwohl es uns sehr gut ging und wir in intaktem Umfeld und eigentlich behütet lebten. Ich kann mich vage an die Zugfahrt, den Namen der Frau, ( Frau Hase ) die uns zur Kur begleitet hat und einige für mich als Kind Horrorerlebnisse erinnern. Ich musste mit der Schürze allein am Tisch sitzen und meine trockenen geraspelten Karotten hinunterwürgen, mit Blick auf den Garten und die anderen spielenden Kinder. Meine Puppe musste ich abgeben an ein Kind einer Heimbetreuerin, die mit im Haus wohnte. Allein in der Fremde und dann wird einem noch die Puppe genommen. Ich möchte nicht behaupten, dass ich heute traumatisiert bin, doch diese Erinnerungen sind noch heute mit 57 Jahren sehr präsent.
Ich war 1968 vier Jahre alt und für sechs Wochen in der „Kinderheilanstalt Viktoriastift“ in Bad Kreuznach. Ich vermute es war während der Sommerferien. Warum meine Eltern mich dorthin geschickt haben weiß ich bis heute nicht, es hieß irgendwie wegen Heuschnupfen, sie sind mittlerweile tot.
Ich weiß noch dass ich mich von Tag zu Tag schlechter gefühlt habe, je näher der Abreisetag kam. Als es dann soweit war weckte meine Mutter mich morgens fröhlich mit den Worten die mir bis heute im Gedächtnis geblieben sind „Heute ist der große Tag, es geht los“, ich wollte nicht weg von zuhause und hatte nur Angst!
Das nächste Bild dass ich noch im Kopf habe ist, wie ich mit anderen Kindern in einem Zugabteil sitze und ich aus dem Fenster schaue, es ist schlechtes Wetter und es regnet.
Untergebracht war ich nicht in dem großen Haupthaus, dass wohl zu der Zeit umgebaut wurde, sondern in dem kleineren Nebengebäude das "Haus Rheinstahl" hieß wie ich auf der Internetseite herausgefunden habe. Es lag etwas tiefer und war über eine Art Brücke zu erreichen, es steht heute glaube ich nicht mehr. Es ist auf neueren Bildern nicht mehr zu erkennen.
Ich habe von der „Kur“ nur wenige Bilder, einige Vorfälle und ein ganz schreckliches, düsteres Gefühl in Erinnerung, ich hatte fürchterliches Heimweh.
Für mich war der Aufenthalt damals als vier jähriger und auch wenn ich heute mit den wenigen Erinnerungen zurückschaue, ein nicht enden wollender Horrortrip, der mein gesamtes Leben in gewisser Weise bis heute massiv negativ beeinflusst/geprägt hat.
Als ich zurück war und wieder in den Kindergarten ging war ich auf jeden Fall ein anderes Kind als vorher. Meine Fröhlichkeit, Freude, Zuversicht, Neugier schon morgens beim Aufstehen waren verschwunden, das war mir damals natürlich noch nicht klar, da habe ich mich nur schlecht gefühlt und massive Verlust und andere Ängste entwickelt und mich gewundert was mit mir los ist. Ich weiß noch sehr gut, dass ich von diesem Zeitpunkt an panische Angst hatte, von meiner Mutter mittags nicht aus dem Kindergarten abgeholt zu werden.
Später habe ich dann viel darüber nachgedacht was 1968 im Viktoriastift und bei einem weiteren „Kuraufenthalt“ 1974 mit 10 Jahren auf Borkum (der auch nicht besser gewesen sein muss und den ich anscheinend fast komplett aus meinem Gedächtnis verdrängt habe, bis auf die Erinnerung, dass ich ständig Hunger hatte weil es nicht genug zu essen gab) mit mir passiert ist.
Man hat in den Heimen mein Urvertrauen, Unvoreingenommenheit, Lebensfreude und meine Kindheit zerstört!
Ich erinnere mich wie das "Haus Rheinstahl", der Schlafsaal usw. aussahen, wie ich im Speiseraum saß und beim Essen immer durch ein großes Fenster auf die Brücke zum Haus schaute und dachte, irgendwann gehe ich über diese Brücke wieder in die Freiheit.
Das Personal bestand aus heutiger Sicht aus bösartigen, sadistischen Nonnen/Schwestern, die nur im Befehlston mit den Kindern sprachen oder brüllten. Ich habe nur eine Nonne in Erinnerung, ich glaube sie wurde „Schwester Ursula“ genannt, die freundlicher und emphatischer war und zu der ich, wenn sie kam ein gutes Gefühl hatte. Leider habe ich sie in den sechs Wochen nur zwei oder dreimal gesehen.
Ich erinnere mich an einen ernsten, steifen Mann mit Regenschirm, der glaube ich oft eine braune Jacke trug (bis vor ein paar Jahren wusste ich den Namen auch noch) der immer kam um mit uns in Zweierreihen, eine gefühlte Ewigkeit um das Gradierwerk zu laufen damit man die salzige Luft einatmet. An Holzbottiche in die man gesteckt wurde und ich glaube an einen gekachelten Raum indem man nachher mit einem Wasserschlauch kalt abgespritzt wurde.
Mir wurde einmal beim Essen von einer dieser Schwestern ein 1 KG Paket Zucker oder Mehl an den Kopf geschmissen, weil ich nicht still gesessen habe. Ich erinnere mich auch an einen Vorfall am Anfang der „Kur“, als ein älterer Junge beim Essen von diesen Schwestern und dem ernsten Mann regelrecht abgeführt (ich weiß nicht warum) und kurze Zeit später, weinend und mit zerrissener Kleidung zurück gebracht wurde und an Kinder, die ihr erbrochenes aufessen mussten. Das Ganze war ein absoluter Schock für mich! Ob mir ähnliches passiert ist weiß ich nicht mehr. Ich habe auch keinerlei Erinnerung an die anderen Kinder, an Namen oder wer meine Bettnachbarn waren. Ich glaube jeder war irgendwann nur noch mit sich selber und seinen Ängsten beschäftigt und damit, möglichst nicht aufzufallen.
Soweit ich noch weiß schliefen wir in einem kahlen düsteren Schlafsaal mit insgesamt 30 oder vierzig Kindern, ich kann mich bei der Zahl aber auch vertun. Angst hatte ich auch immer vor dem Fiebermessen! Jeden Morgen mussten wir uns alle nach dem Wecken auf Befehl in den Metallbetten die Hosen runterziehen, auf den Bauch legen und dann gingen die Schwestern rum und rammten jedem ohne jegliches Gefühl, Vorsicht oder Rücksichtnahme ein Glasthermometer in den Hintern. Das war jedes Mal so schmerzhaft, dass ich immer stocksteif mit zusammengekniffenen Arschbacken im Bett gelegen habe wenn die Tortur losging.
Ich werde Zeitnah nach Bad Kreuznach fahren und sehen wie ich mich fühle wenn ich das Gelände dieser Kinderheilanstalt betrete, vielleicht kommen mehr Erinnerungen zurück. Vielleicht gibt es dort mehr Informationen über diese Zeit als auf der Internetseite unter dem Punkt Historie.
Mit 11 Jahren, 1962, war ich nochmals zur Verschickung in Niendorfer an der Ostsee. Das war sehr schön und ich habe keine Details dazu mehr parat. Wir waren am Strand recht unaufbesichtigt und ich habe mir den schwersten großflächigen Rücken-Sonnenbrand meines Lebens zugezogen und die Verbrennungen wurden lange behandelt.
Mein älterer Bruder erzählte später, er habe meinen jüngeren Bruder dort einmal mit vertauschten Schuhen gesehen, also linker Schuh auf rechtem Fuß und rechter auf dem linken.
Ich habe diese Zeit als sehr traumatisch in Erinnerung. Das fing schon mit dem Essen an. Abends gab es immer Mehlsuppe, was zu dieser Zeit kurz nach der Währungsreform sicher eine gesunde Kost gewesen sein muss. Nun hatte der Koch das aber etwas lieblos gemacht, sodass noch nicht aufgelöste Mehlklumpen in etwa Taubeneigröße darin herumschwammen. Das führte dazu, dass die Suppe von vielen Kindern erbrochen wurde, so auch von mir. Klar, sowas wirkt natürlich auch ansteckend. Ich hatte beim ersten Mal den Fehler gemacht, in den Teller zu brechen, sodass ich das das alles wieder essen musste. Da gab es kein Pardon. Nun, das passierte mir danach nicht mehr, da landete die Bescherung auf dem Boden, was mir sicher nicht zum Wohlwollen gereichte.
Leider achteten die "Tanten" abends nicht darauf, dass die Kinder vor dem Schlafengehen noch auf der Toilette waren. Es gab ja in den Schlafräumen einen Nachttopf! Bei mir war es aber so, dass ich im Dunkeln schreckliche Angst hatte und - wie eben Kinder so sind - es häufiger vorkam, dass Kinder, die nachts auf den Topf gingen, von anderen erschreckt wurden. So kam es also, dass ich einnässte, was mir zu Hause eigentlich nie passiert war.
Und irgendwann kam es dadurch später dann auch, wie es kommen musste: Ich wurde krank mit Fieber und kam aus der Gruppe heraus auf die Krankenstation. Zwar musste ich im Bett liegen, aber es war wie eine Erlösung für mich. Diese Zeit war für mich die schönste. Ich fuhr dann auch nicht mit den anderen zurück, sondern später nach der Genesung mit einem Extratransport.
Klar, dass ich meinen Eltern sagte, dass ich dort nie wieder hin wollte. Irgendwann später erzählte mir meine Mutter, dass man sich seitens des Heimes beschwerte, dass man "einen Bettnässer geschickt habe".
Sicher gab es wohl auch schöne Momente, es wurde viel gewandert und als Gruppe gesungen, aber das Negative blieb stärker haften. Auch war das Personal noch jung und sicher sehr von der Nazizeit geprägt (sinngemäß: "nur der Starke überlebt!"), das legt man wohl nicht so schnell ab.
Ich habe meine Eltern auch gefragt, warum wir dort hinkommen sollten. Der Arzt hatte von "Luftveränderung" gesprochen. Vielleicht wollte er aber auch, als er zu der Kur riet, meiner Mutter, die damals viel krank war und auch eine Fehlgeburt hatte, etwas Entlastung verschaffen.
Jedenfalls war ich froh, dass mir weitere Verschickungen erspart blieben.
ich habe vor ein paar Tagen hier schon einmal geschrieben und mittlerweile duzende Berichte von euch gelesen, insbesondere natürlich über die "Verschickungen" nach Föhr.
In einem Bericht hat jemand erwähnt, dass er/sie ebenfalls über die BEK im Schloss am Meer war, sich jedoch an ein Backsteinhaus erinnern kann.
Da ist mir irgendwie die Kinnlade runtergefallen.
Ich war vor 1,5 Jahren das erste Mal seit 1969 mit meinem Mann 1 Woche auf Föhr. Hatte eigentlich auch gar kein schlechtes Gefühl dorthin zu fahren, weil ich kaum eine Erinnerung an die Zeit habe und meine Mutter mir auch nie irgendwas Negatives erzählt hat.
Das erste beklemmende Gefühl bekam ich in Dagebüll an der Fähre.
Wir hatten eine Ferienwohnung scheinbar ziemlich in der Nähe des Schlosses am Meer, wobei ich vor 1,5 Jahren noch gar keine Ahnung hatte, dass ich dort war.
Wir sind jeden Tag an der Strandpromenade entlang gelaufen Richtung Örtchen. Da musste man an einem großen roten Backsteinhaus vorbei, was ebenfalls direkt an der Promenade war. Jedesmal, wenn ich dort vorbei bin, mochte ich gar nicht hinsehen und ich verspürte leichte Panik.
Warum? Keine Ahnung.
Ich konnte es noch nicht mal meinem Mann sagen, nur dass ich den Eindruck habe, hier schon einmal gewesen zu sein.
Ich habe vor einigen Tagen hier geschrieben, dass mich mein Vater nach 4 Wochen auf Föhr abgeholt hat, da in dem Heim Mumps ausbrach. Ich kann mich exakt ab diesem Zeitpunkt genau an alles erinnern, dass wir bei der Heimleiterin zusammen in einem großen dunklem Zimmer gesessen haben und ich dann mit meinem Vater nach Hause gefahren bin. Sogar an die Autofahrt von Dagebüll nach Düsseldorf kann ich mich erinnern. Die 4 Wochen davor sind wie ausgelöscht aus meinem Hirn.
Ich finde es merkwürdig, dass noch jemand hier sich nicht an das Schloss am Meer, jedoch an ein rotes Backsteinhaus erinnern kann. Das BEK Haus sah ja eigentlich gar nicht so furchteinflössend und dunkel aus auf den alten Bildern.
Ich habe die letzten Tage meine Mutter öfter auf diese Kur angesprochen, weil ich irgend etwas erfahren wollte. Warum man ein 6jähriges Kind so weit 6 Wochen wegschickt mit einem Zettel um den Hals usw. Ihre Antwort: das war damals so und wir haben uns gefreut, dass wir diese Kur für dich bekommen haben. Du warst doch so ein schlechter Esser.
Ich habe selber eine mittlerweile 30-jährige Tochter, aber sowas wäre mir im Traum nicht eingefallen. Kind am Bahnhof abgeben und 6 Wochen später wieder abholen. Geht gar nicht!!!
Im übrigen bin ich völlig geschockt, wie vielen Kindern damals so übel mitgespielt wurde und wie sich die Berichte 40/50/60 Jahre danach alle gleichen.
Liebe Grüße
September/Oktober 1955 war ich gerade 8 Jahre alt geworden und musste allein für sechs Wochen in das Oldenburger Kinderheim Nordseebad Wangerooge reisen. Postkarten und ein Gruppenbild mit Frl. Lorenscheid befinden sich in meinem Fotoalbum.
Da ich zu dünn war, sollte ich zunehmen und musste immer viel essen. Oft saß ich lange am Tisch, bis ich alles aufgegessen hatte. Wenn ich erbrechen musste, musste ich auch das wieder essen. Zusätzlich hatte ich Probleme, weil ich nur zu bestimmten Zeiten aufs Klo durfte, in der Mittagspause und nachts überhaupt nicht. Ich hatte ständig Angst und Druck, und wenn ich in die Hose gemacht hatte, musste ich zur Strafe allein im Schlafsaal bleiben und eine lange gestrickte Wollunterhose tragen. Das habe ich als große Demütigung und Blossstellung erlebt.
Anfang Juni 1960 war ich noch einmal 4 Wochen zu einer Kur im selben Kinderheim. Auch als 13jährige erlebte ich hier strenge Regeln. Eine Postkarte mit dem Satz "Wir dürfen jeden Mittwoch schreiben." und dem Stempel auf der Karte "Besuche im Kinderheim nicht gestattet" und gestellte Gruppenfotos sind ebenfalls in meinem Fotoalbum. Der Vater einer Bekannten, die mit mir in dieser Kur war, hat sich anschließend über die Zustände im Heim beschwert. Es soll kurze Zeit danach geschlossen worden sein.
Es ist gut, dass die Problematik Verschickungskinder endlich aufgearbeitet wird.
Von all meinen Kleidern sah ich nicht allzu viel - 6 Wochen dieselbe Trainingshose, nach drei Wochen frisches Unterhemd und Schlafanzug, 6 Wochen derselbe Trägerrock (unter diesen wurde beim "Freigang" die Trainingshose angezogen), 1x wöchentlich ein Unterhosenwechsel, Strumpfhose 6 Wochen - für mich nicht nur ungewohnt, sondern unangenehm und ekelhaft. Fragen nach frischer Kleidung stellte man in der Regel nur einmal ....Das Essen war das Grauen schlechthin, ich sollte ja nun zunehmen, also gab es täglich irgendwelche fetten gräulichen Suppen, und wehe, man aß sie nicht. Bis zum Ende der Mahlzeit in der Mitte des Speisesaals stehen, danach ab an den Tisch, eine Schwester links, eine rechts und keine Gnade, bis der Teller leer war. Mehrmals musste ich hinterher erbrechen. Da man nachts das Zimmer nicht allein verlassen durfte, es aber auch besser unterließ, nach einer Schwester zu rufen, erbrach ich mich einmal auch nachts im Zimmer, ich versuchte, die Bescherung mit Taschentüchern zu beseitigen, aber es gelang mir nicht vollständig. Zur Strafe musste ich, nach gewaltigem Donnerwetter vor allen natürlich, meinen Schlafanzug mit Spuren von Erbrochenem fast 3 Wochen weiter tragen.
Ich bekam viele Päckchen auch mit Süßigkeiten, diese wurden alle einbehalten. Sonntags mussten wir in einer Reihe an einem Schrank, in dem sich die Geschenke aller befanden, vorbeilaufen und jeder bekam ein Bonbon oder ein Stück Schokolade oder so etwas. Begründung war, dass man teilen müsse.
Post wurde zunächst einbehalten und teilweise auch geöffnet, Briefe nach Hause hatten offen in einen Postkasten geworfen zu werden - eine Zimmerkollegin von mir hatte geschrieben, man solle sie heimholen, sie wurde darauf bei unserer Schwester Wolfharda (den Namen dieser unerträglichen Person werde ich nie vergessen) einbestellt und kam mit knallrotem Gesicht und geschwollenen Wangen zurück. Sie konnte erst Tage später erzählen, was sie geschrieben hatte, und was in dem Zimmer vorgefallen war, hat sie nie erzählt. Die Briefe, die man empfing, waren im Zimmer laut vor der Schwester vorzulesen. In einem Akt der Rebellion (eines 7-jährigen Kindes....) habe ich, als ich einen tatsächlich von mir selbst geöffneten Brief vorlesen musste, den Satz "viele Grüße auch an Schwester Wolfharda" nicht mit vorgelesen, ich hatte tagelang Angst, dass der mir natürlich wieder abgenommene Brief noch einmal gelesen werden würde und ich dann auch Ohrfeigen bekommen würde. Ich war übrigens trotz meines jungen Alters aufgrund damaliger Kurzschuljahre schon in der dritten Klasse und konnte -und musste- daher vorlesen.
Zur "Erholung" wurden wir nachmittags in einen Schlafsaal verfrachtet (sofern man nicht vor seiner Suppe sitzen musste), dort hatte man schweigend auf einem Bett unter einer grauen Decke (sahen aus wie Armeedecken) zu liegen, jeden Tag natürlich unter einer anderen, die Decken wirkten nicht, als seien sie häufig gewaschen worden. Es war kein Wort erlaubt.
Von manchen Schwestern wurden alle Kinder, auch die ganz kleinen, nur mit Nachnamen angesprochen. Heimweh oder Kummer (mein kleiner Bruder war erst wenige Wochen zuvor geboren worden, ich hatte schreckliches Heimweh) waren nicht erlaubt.
Es gab im Wesentlichen nur 2 Lichtblicke: Wir durften ganz selten einmal Schlitten fahren (2-3 mal in den sechs Wochen), wobei ich einmal meine Trainingshose, die etwas feucht geworden war, in die Truhe gegeben hatte, wo ALLE Trainingshosen verwahrt wurden, und nun war diese am nächsten Tag immer noch feucht. Das gab natürlich die üblichen Schimpftiraden, aber so sah ich doch einen Tag eine meiner Skihosen wieder, aber nur einen Tag. Der zweite Lichtblick war, dass im Hause ein pensionierter Missionar wohnte, und den durften hier und da ein paar Kinder besuchen. Er erzählte uns Geschichten aus China, er hatte von dort kleine Silberkettchen mitgebracht, die er zuweilen dann verschenkte, und er hatte Stempel mit chinesischen Schriftzeichen, und da durften wir uns manchmal einen Stempelabdruck abholen. Er war immer lieb und freundlich zu uns.
Ich kam genauso dünn und krank aus der Kur wie ich angetreten war, aber zum Glück gab es keine Verlängerung. Das war die schlimmste Vorstellung! Meine Mutter holte mich ab, der Koffer war schon gepackt, ich wollte meine Sachen mitnehmen -also Briefe und Geschenke- , auf Frage meiner Mutter hieß es, alles wäre im Koffer, und es war nichts davon drin.
Die wenigen Versuche, meinen Eltern von der Kur zu berichten, wurden damit abgetan, dass es im Krieg schlimmer gewesen wäre (Vater) und dass die Verschickung meiner Mutter in ein Kinderheim noch schlimmer gewesen wäre (die Geschichte dieses Heimaufenthaltes kenne ich von hinten bis vorn). Ich habe also die Erinnerung jahrzehntelang vergraben oder als persönliches Mißgeschick angesehen, bis ich vor Jahren mal zufällig etwas von Leidensgenossen in einem Forum, das dann aber nach einiger Zeit nicht mehr im Netz zu finden war, gelesen habe. Erst dann begann ich mich mal intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen. Und ich bin jetzt überwältigt davon, wie vielen Kindern es gleich erging und wie viele heute noch darunter leiden! Ich selbst kann bis heute überhaupt keine Suppe essen, schon der Geruch verursacht mir Übelkeit - meine Eltern sahen das als Spinnerei an. Meinen Eltern erzählte ich frühzeitig (bereits als Kind) überhaupt nichts mehr, fragte sie auch nie um Rat. Meine Mutter wirft mir das heute noch vor, ebenso, dass ich ihre Nähe nicht wollte. Ich vertrage keinerlei Ungerechtigkeit und reagiere auf nicht sofort nachvollziehbare Anweisungen und Vorschriften, die mir jemand machen will, bestenfalls gar nicht, meist aber mit Zorn. Meinen ersten Beruf im öffentlichen Dienst habe ich nach wenigen Jahren aufgegeben, weil mir Hierarchien nicht liegen, stattdessen habe ich mich nach einem Studium selbständig gemacht. Bis vor wenigen Jahren sah ich keinen Zusammenhang mit den schlimmsten 6 Wochen meines Lebens, aber so allmählich denke ich, dass -natürlich neben weiteren Umständen- diese Zeit eine sehr prägende war. Und ich bin froh, dass sich jemand dieses Themas annimmt und dass ich nun sicher bin, dass ich mir nicht alles eingebildet habe, sondern dass es wirklich wirklich schlimm war.
Ich habe eigentlich nur Erinnerungsfragmente an meinen Aufenthalt im Heim selbst. Viel besser kann ich mich aber an die Alpträume erinnern, die ich im Anschluss an den Aufenthalt regelmäßig hatte (dazu später mehr).
Meine Haupterinnerung bestand darin, dass das Essen für mich die reinste Quälerei war, weil mir einfach nichts schmecken wollte, ich aber deutliches Missfallen erntete, wenn ich nicht aufaß. An die Sanktionen selbst kann ich mich nicht erinnern, wahrscheinlich habe ich es wie vieles andere erfolgreich verdrängt. Im Zusammenhang mit dem Essen habe ich aber eine Anekdote in Erinnerung: Es wurde einmal angekündigt, dass es, wenn mein Teller leer war, zum Nachtisch Ananas geben würde. Ich kannte die Frucht nicht, aber ich hatte beim Klang des Wortes "Ananas" sofort einen großen Widerwillen und war sicher, dass dies etwas ganz widerlicheres und furchtbares sein musste. Es kam also nicht dazu, dass ich die Ananas geschmacklich kennenlernen konnte. Ich vermute im Nachhinein, dass ich bei Ananas irgendwas mit "nass" assoziierte, was Ekel in mir hervorrief. Vielleicht hat es etwas mit Bettnässen zu tun, aber daran erinnere ich mich nicht. Überhaupt habe ich keinerlei Erinnerung weder an die Bedingungen des Schlafens, noch des Badens oder einer ärztlichen Untersuchung. Ich kann kein Bild von einem Bad, einer Dusche, einem Bett oder einem Schlafsaal hervorrufen.
Ein anderes Erinnerungsfragment war, das ich von meinen Eltern ein Paket (wahrscheinlich zum Geburtstag im Juni) zugeschickt bekam, das aber hoch oben auf einen Schrank gelegt wurde, wobei mir wiederholt gesagt wurde, das Paket dürfe ich noch nicht haben. Das Paket auf dem Schrank war eine Art Sehnsuchtsort für mich, aber ich weiß nicht mehr, ob ich es jemals öffnen durfte oder was drin gewesen wäre.
Ein anderes Erinnerungsfragment besteht aus einer langen Wanderung durch den Wald. Ich musste mal für kleine Jungs, aber ich dufte lange Zeit nicht. Die Erlösung kam, als eine andere Schwester neben mir herwanderte und mich im Wald austreten ließ. Diese nette Schwester war die einzige, an die ich mich persönlich erinnere, alle anderen waren rückblickend nur wie nebulöse und böse Schatten. Die nette Schwester sagte zu mir, und das sind die einzigen Worte des Aufenthalts, an die ich mich erinnere, in etwa folgendes: "Die anderen Schwestern mögen dich nicht. Aber ich mag dich." Ich hatte ihre Worte zumindest auf mich bezogen, vielleicht hatte sie auch allgemein gesagt "die anderen Schwestern mögen keine Kinder". Ich weiß nur noch, dass diese Worte bestätigten, was mir eigentlich schon klar war, nämlich dass mich vier- oder fünfjähriges Kind dort keiner mochte. Über die Gründe kann ich nur spekulieren: Entweder lag allgemein ein fehlendes Gefühl für Kinder vor, oder vielleicht war ich selbst ein Außenseiter, weil ich das Essen nicht mochte, irgendwas "nass" gemacht hatte oder weil irgendein äußerliches Merkmal den Schwestern nicht gefiel. Aber wie gesagt, an mehr kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern.
An die Hinfahrt erinnere ich mich auch nicht, ich weiß nur noch, wie ich bei der Rückfahrt am Bahnhof in Dortmund ankam, und meine Eltern nach den ersten Worten sagten "du sprichst ja Schwarzwäldisch". Offenbar hatte ich in den sechs Wochen zumindest so viele Wörter seitens der Schwestern aufgesogen, dass mein Akzent sich verfärbt hatte.
Vielleicht war ja alles auch nicht so schlimm, wie man anhand der Erinnerungsfragmente vermuten könnte. Was mich aber rückblickend stutzig macht, sind die wiederkehrenden Alpträume, die im Alter von 5 Jahren einsetzten, also kurz nach meinem Kuraufenthalt. Das häufigste Traummuster war, dass ich nachts von einem garstigen Wesen entführte wurde, das durch ein Loch in der Wand neben meinem Bett kam, mich in sein Schattenreich holte und mich dort einer Art Kitzelfolter unterzog. Diesem Wesen, das eine menschenähnliche Gestalt, aber lange dunkle Borstenhaare am ganzen Körper hatte, gab ich in meinen Träumen den Namen "Der böse Papp". Ein weiterer bis heute anhaltender Alptraum ist, irgendwo in einer engen Höhle innerhalb einer Wand in einem großen Haus festzustecken und weder vor noch zurück zu können. Diese Träume können, müssen aber nicht auf meinen Kuraufenthalt zurückzuführen sein. Sonstige Alptraum-Inspirationen gab es bei mir jedoch nicht, weder familiär, noch vom Fernsehen. Ob mich der Aufenthalt irgendwie nachhaltig in meinem Wesen geprägt hat, vermag ich nicht zu sagen. Ich kann mir aber vorstellen, dass meine Fähigkeit, mich mit Schicksalsschlägen und Verlusten sehr schnell zu arrangieren, auf einen Lernprozess dahingehend zurückzuführen ist, dass ich unangenehme Erfahrungen damals erfolgreich in die Tiefen des Unterbewusstseins verdrängen konnte, so dass sie allenfalls ab und zu in Träumen Gestalt annehmen.
Ich war Mitte/Ende der 80er Jahre in Morgenröthe Rautenkranz im Vogtland. Habe kaum Erinnerungen, aber ein seltsames Gefühl. Gab es bereits Berichte bzw. hat jemand etwas zu berichten? Danke
Ich vermute daher, dass mein Verschickungsgrund ein allgemeiner Mangelernährungszustand war.
Ich meine mich erinnern zu können, dass die Einrichtung in Stetten am kalten Markt in der Nähe von Sigmaringen in evangelischer Trägerschaft war. Empfangen wurden wir von einer Phalanx furchteinflößender Frauen in Schwesterntracht mit riesengroßen Hauben, die fast katholisch wirkten.
Das Empfangsritual endete mit einem Massenduschen der Neuankömmlinge.
Ich war fast zehn Jahre alt und vermutlich schon vorpubertierend, weil mir die große Anzahl der jüngeren weltlichen Mitarbeiterinnen der Diakonissen ungewöhnlich vorkam, die uns dabei hilfreich zur Hand gingen.
Ich habe mich vermutlich geschämt.
Es gab auch einige positive Erinnerungen. Ich habe nie wieder in meinem bisher 73jährigen Leben so köstliche „Dampfnudeln mit Vanillesoße“ serviert bekommen. Auch habe ich zum ersten Mal in meinem Leben leibhaftige Erfahrungen mit Solidarität gemacht:
Ich fand Suppen bis dahin für eine völlig überflüssige Ernährungsvariante. In Stetten jedoch war sie absoluter Zwangsbestandteil der Mittagsmahlzeit, Meckern wurde oft mit einem Nachschlag geahndet. Das führte, nicht nur bei mir, zu einem fundamentale Problem.
Unmittelbar nach dem Mittagessen war für zwei Stunden absolute Bettruhe im Schlafsaal mit 25 Betten angesagt, die streng von einer vor der Tür sitzenden Diakonisse überwacht wurde.
Austreten war ohne Ausnahme erst nach dem Mittagsschlaf erlaubt.
Ich habe nicht ein einziges Mal schlafen können, weil ich immer dringend pinkeln musste.
Anfangs habe ich mir damit geholfen, kleine Mengen in mein zusammengeknülltes Taschentuch zu urinieren, damit der größte Druck aufhörte. Einer der älteren Jungs, die weniger Angst vor den Haubenträgerinnen hatte, löste manchmal das Problem für die, die nicht schlafen konnten.
Er ging mit lautem Gepolter vor die Türe, wo ihn die Diakonisse mit in ihr Dienstzimmer nahm um ihn zur Rechenschaft zu ziehen. In der Zwischenzeit rannten wir schnell zur Toilette.
Meist konnten wir aber nicht mehr zurück, da die Mittagsschlafwache schon wieder Stellung bezogen hatte. Dann blieben wir im Klo, was nicht so schlimm war, denn von dort konnte man die startenden oder landenden Starfighter auf dem benachbarten Militärflugplatz beobachten.
Die Post nachhause wurde kontrolliert und von den Schwestern gesammelt. Unter uns Kindern kursierten die waghalsigsten Pläne, bei Ausflügen heimlich unzensierte Post nach Hause in Briefkästen zu schmuggeln. Geklappt hat es nie. Über mein Heimweh halfen mir zwei Tüten Backpflaumen, die mir meine Mutter mit der Post schickte.
Ich habe meine „Kinderholung“ als etwas erlebt, was man durchstehen muss, so wie eine unvermeidliche gottgegebene Prüfung. Es war ja schließlich eine kirchliche Einrichtung. Es bleibt zu vermuten, dass damals die Diakonissen die martialischen Erziehungsvorstellungen der Nationalsozialisten munter weiter tradierten, die sie vorher, zumindest teilweise, kooperativ teilten.
Aber das kannte ich schon aus der heimischen evangelischen Volksschule. Geprügelt wurde dort jeden Tag und der Turnunterricht begann immer mit einer halben Stunde Marschieren im Gleichschritt und Kasernenhofübungen.
Dermaßen geübt hat das Ganze bei mir zu einer psychischen Traumatisierung vermutlich nicht gereicht. Aber mein Körper reagierte. Nach den endlosen sechs Wochen am kalten Markt kam ich mit Fieber zuhause an, was dazu führte, dass ich nochmals vier Wochen nicht zur Schule gehen durfte.
Danach war ich genauso dünn wie vorher.
Meine vor Heimweh-strotzenden Briefe an die Eltern wurden abgefangen, angekommen (obwohl geschrieben) sind auch keine.
Sadismus und pädagogische Inkompetenz pur. Gabs das nicht schon einmal???
An mehr kann ich mich leider nicht erinnern, da Jg 1962.
Ich war acht Jahre alt. Meine Erinnerungen und Erfahrungen decken sich im wesentlichen mit dem, war ich hier in den letzten Tagen gelesen habe. Angefangen vom Transport im Zug über die Essenproblematik, der erzwungenen Mittagspause, Untersuchungen, Bestrafungen, dem Gefühl unendlicher Verlassenheit. Auch ich lag mit einer Mittelohrentzündung und Fieber tagelang völlig allein im Schlafsaal.
In einem Beitrag hatte ich von jemandem gelesen, der/die 1963 oder 64 im gleichen Heim untergebracht war und berichtete, es sei während des Aufenthalts ein fröhliches Foto auf einem Pony gemacht worden. Ein genau solches Foto besitze ich auch noch. Mein Aufenthalt war 11 Jahre später!
Ich war ein sehr schüchternes und ängstliches Kind, das Produkt einer strengen Erziehung. Eine eigene Meinung oder gar Diskussionen gab es nicht, schlechtes Benehmen wie Lügen oder Widerworte wurde mir und meinen älteren Schwestern mit Schlägen "ausgetrieben". Die sogenannte "Kur" war also nur ein Puzzleteil einer auf Angst basierenden Erziehung.
Was mich sehr nachdenklich macht, ist dass meine Erinnerung an den Aufenthalt so vage und lückenhaft ist. Es gibt nur Bruchstücke und aufflackernde Bilder, die tief vergraben zu sein scheinen. Zunächst hatte ich mir das damit erklärt, dass ich die Zeit in einer Art Schockzustand verbracht haben muss. Nach den Berichten hier wäre aber auch vorstellbar, dass uns tatsächlich Medikamtente verabreicht wurden, Beruhigungsmittel, die genau das bewirkt haben könnten.
Ich habe eine Postkarte gefunden, die ich damals an eine Verwandte geschickt hatte. Der Wortlaut ist identisch mit dem hier hundertfach geschilderten. Darüber hinaus berichte ich aber von drei Freundinnen, die ich dort gefunden hatte, Birgit, Natalie und Patrizia. Es existiert ein Foto, das zeigt mich mit einem dunkelhaarigen Mädchen auf einem großen Stein sitzend, daneben ein weiteres Mädchen, kurzhaarig in Wanderkluft, stehend. Die Aufnahme stammt von einem Ausflug auf den Jenner. Sollte sich jemand wiedererkennnen, bitte nimm Kontakt zu mir auf. Ich meine mich erinnnern zu können, dass das stehende Mädchen Patrizia war und sich bereits während der Zugfahrt um mich gekümmert hatte. Sie war 12 Jahre alt. Birgit stammte möglicherweise aus Warendorf, sie war ebenfalls älter als ich. Vielleicht kann man durch einen Austausch diffuse Erinnerungen zusammenfügen.
Ich weiß nicht, wie lange Krankenkassen Unterlagen aufbewahren. Vieles wurde in den 80er und 90er Jahren auf Mikrofilm übertragen. Ich versuche, das herauszufinden.
Was mich aber in den letzten Tagen am tiefsten getroffen hat, war das Gespräch mit meiner Mutter. Ich wollte wissen, wer diesen Aufenthalt damals initiiert hatte, welche Organisation und welche Kostenträger beteiligt waren. Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass sie sich an nichts erinnern konnte. Sie sprach sofort von ihrer eigenen Kinderlandverschickung im Krieg, von ihren Kuraufenthalten, weil sie ja immer so krank gewesen sei. An meine Verschickung konnte sie sich nicht erinnern. Meine Erklärungen, die Schilderung meiner Erinnerungen und der Berichte, die ich mittlerweile gelesen hatte, tat sie schließlich mit dem Worten ab, sie habe den Eindruck, ich würde mir da etwas einreden. Ich hätte doch nach der Kur etwas erzählt, und sie würde sich doch erinnern können, wenn es mir dort und auch danach so schlecht gegangen sei.
Ich war und bin fassungslos. Meine Eltern waren immer mehr mit ihren eigenen Dingen und Problemen beschäftigt als mit unseren. Mir wird klar, dass sie uns eigentlich gar nicht wahrgenommen haben. Wir hatten zu gehorchen, nicht aufzufallen und gute Noten nach Hause zu bringen. Alles andere wurde auf die eine oder andere Weise bestraft.
Meine Mutter ist im Krieg, getrennt von ihrem Zwillingsbruder, aufs Land geschickt worden. Kurz vor Kriegsende wurden sie zurückgeholt und verbrachten die letzten Monate des Krieges und die Zeit danach in Angst, Kälte und Entbehrung. Eine Generation, die davon und durch eine strenge, religiöse und autoritäre Erziehung geprägt und traumatisiert war. Wie um alles in der Welt kann man das an die eigenen Kinder weitergeben? Ich unterstelle gar keine böse Absicht. Aber ich unterstelle Gedankenlosigkeit und Egoismus, ohne das eigene Tun je in Frage zu stellen. Ich bin verschickt worden, meine ältere Schwester auch, aber zeitversetzt und getrennt. Wie kann man so etwas tun, wenn man selbst als Kind verschickt worden ist? Wie kann man Kinder schlagen, wenn man es selbst als furchtbar und schrecklich empfunden hat und in ständiger Angst davor gelebt hat?
Ich erwarte auf diese Frage keine Antwort mehr. Ein Anerkenntnis und eine Entschuldigung hätten mir geholfen, aber ich glaube, auch darauf werde ich vergebens warten.
Ich bin deshalb unendlich froh, hier Verständnis und so viele Leidensgefährten zu finden. Danke an Frau Röhl und alle hier, dass dieses Thema an die Öffentlichkeit geholt und so offen darüber berichtet wird!
1. Ständiger Durst, um nicht auf die Toilette zu müssen.
2. Ständige Panik, weil eine der Erzieherinnen uns ständig beobachtete.
3. Ständige Unfreiheit, kein Eigentum mehr besitzen dürfen, keine eigenen Bedürfnisse mehr haben dürfen.
4. Ständige Kälte, kaltes Wasser, kalte Böden, auf denen man barfuß in der Ecke stehen musste.
5. Keine Wärme oder Menschichkeit, abwiegen und ärztiche Untersuchung waren entwürdigend.
6. Ständige Stigmatisierung und Zwang, wenn man ab nahm oder den Fraß nicht essen konnte.
7. Die Heimleiterin hatte 2 Schäferhunde, die im Speisesaal ihr knurrend folgten. Sie schlich sich an, stand plötzlich, von den Hunden flankiert, hinter uns.
Ich kam abgemagert und völlig von Panik gezeichnet nach Hause. Dort war alle Aufmerksamkeit auf den neugeborenen Bruder gerichtet, ichwurde als schwierig und Lügnerin abgestempelt. Ich habe später meine Familie verlassen und habe nach Österreich geheiratet. Eine innere Verbundenheit habe ich nur zu meinem Bruder, den das gleich Schicksal mit ca. 6 Jahren ereilte. Ich konnte ihn nicht mit 9 Jahren davor bewahren , das machte unbewusst Schuldgefühle. Meine Eltern wollten mit dem kleinen 3 jährigen Bruder 3 Wochen verreisen.
Auch der 6 jährige kam apathisch aus Bad Sachsa zurück, er hat die 6 Wochen nur gekotzt. Auch hier gab es keine Reaktion der Eltern. Ich weiß aber von Anderen, dass die Eltern sich beschwert haben und auch was erreicht haben. Mein langjähriger Lebensgefährte war 6 Wochen in Bayern in einem Heim mit 3 Jahren. Sie bekamen sowenig zum Essen, dass er den Kalk von den Wänden kratzte. Für mich sind diese Heime eine Weiterführung von Lagern, in denen NS Erzieher das Sagen hatten. Aber wir haben es überlebt und auf meinen inzwischen erwachsenen Sohn sowie auf meine Enkelkinder achte ich sehr. Danke, dass Ihr mir mit Euren Berichten die Erinnerung wiedergeben habt!
Hild Günter schrieb am 17.08.2020 um 5:22:
Ich war mit fast 10 oder 11 Jahren auf Norderney es muss 1965/6 gewesen sein und wir wurden einer genauen Tagesordnung ...........
also ich war fast 12 im Jahr 67 und ich kenne nun das Heim weil ich eine Postkarte fand die das Heim zeigt und bezeichnet.
wie die eigentliche Bahnfahrt vonstatten ging weiß ich nicht mehr nur das wir in Norddeich auf die Fähre Frisia 5 geführt wurden ( Schiffchen interessierten mich schon damals sehr -- bin dann als Wehrpflichtiger zur Bundesmarine als Heizer / Maschinist ) . in geringerer Form kenne ich die hier typisch vorgebrachten Behandlungen auch. Ich muss aber anbringen das ich wohl noch gut weggekommen bin. Das Highlight der 6 Wochen war eine Seefahrt mir der "Flipper" zu einer der Nachbarinseln von Norderney und eventuell mehrere Besuche des Seewasserwellenbades in Norderney. Das Haus existiert so nicht mehr -- an seiner stelle steht der Adresse gemäß das
Hus up Dün
Viktoriastraße 1 26548 Norderney
aber noch immer von AWO westl.-Westfalen mit Zentrale in Dortmund
es ist wohl nun ein Mutter und Kind Erholungsheim. eine Bilderstrecke ist in der Fotogalerie inzw. auf der 2. Seite - Frontbild ist die Jungengruppe - man kann mich von unten in 2. Reihe rechts entdecken / mein Kennbild ist da entnommen.
Nachdem mein stark alkoholisierter Opa sich an mir vergangen hatte als ich ca. 6 Jahre alt war, habe ich versucht, mich meiner Mutter anzuvertrauen. Sie beschimpfte mich als Lügnerin. Bis heute möchte sie nichts davon hören, unterstützt mich nicht bei der Aufarbeitung und verdrängt ihre eigene Geschichte. Nach diesem schlimmen Ereignis wurde ich verhaltensauffällig und aggressiv. Zur Besserung schickte man mich in ein „Erholungsheim“ für schwer erziehbare Kinder nach Oybin. Für mich war es eine Bestrafung für eine Sache, für die ich nichts konnte.
Wie ich in das Heim gekommen bin, weiß ich nicht mehr. Mein Zeitgefühl verschwamm. Über die Länge des Aufenthaltes hatte ich keine Transparenz. Die Erzieherinnen gaben mir das Gefühl, dass ich für immer dableiben müsse. Ich habe innerlich abgeschaltet. Jeden Morgen mussten wir im Dunkeln aufstehen und dann bis 6 Uhr drillmäßig um das Haus joggen. Wer erschöpft war, musste weiter joggen. Ich erinnere mich daran, dass viele Dinge im Heim nackt gemacht werden mussten. Wir mussten unseren Körper massieren und bürsten und wurden dabei von Erwachsenen überwacht. Während wir nackt vor der Höhensonne umherliefen, standen hinter der Lampe Erwachsene, die uns dabei beobachteten. Immer wieder Untersuchungen, nackt. Tagsüber mussten wir kilometerlang bis zur Erschöpfung wandern. Beim Essen mussten wir so lange sitzenbleiben, bis aufgegessen war. Es gab keinen Spaß, kein Lachen. Ruhe. Als ich auf eine Postkarte an meine Eltern schreiben wollte, dass ich wieder nach Hause kommen will, musste ich meine Karte neu und schön schreiben. Nach dem Motto: „Mir geht es gut. Das Wetter ist schön. Alles ist supi.“ Erst dann wurde die Karte abgeschickt. Dieses hilflose Gefühl, alleingelassen zu sein und vielleicht nie mehr nach Hause zu kommen, werde ich nicht mehr vergessen. Mein Opa hatte mir vor der Kur versprochen, mir im Anschluss ein neues Fahrrad zu kaufen.
Über Facebook habe ich einen Mann angeschrieben, der als Kind mit mir zusammen in dem Heim war. Seit ich ihn darauf ansprach, was er in Oybin erlebt hat, erhalte ich keine Antwort mehr.
Im Laufe meines Lebens wurde ich mehrfach Opfer sexueller Gewalt, ich entwickelte eine Art Opferidentität. Dass ich in der DDR nicht alleine mit meiner Geschichte war, weiß ich. Meine Freundin wurde von ihrem Stiefvater ermordet, nachdem er sie jahrelang vergewaltigt hatte, sie schwanger von ihm wurde und sie sich letztlich dagegen wehren wollte. Als ich vor zwei Jahren ein Klassentreffen organisierte, kamen viele nicht, weil sie traumatisiert waren und keine Erinnerungen mehr an damals wollten. Ich habe hart dafür gearbeitet, dass das Treffen für alle zu einer neuen, positiven Erinnerung wurde (bevor meine eigenen Erinnerungen wiederkamen).
Auch mein Körper hat die Geschehnisse über viele Jahre verdrängt mit den Mitteln, die ich am besten konnte: Disziplin, Anpassung und Leistung. Erst letztes Jahr, als ich in einem Krankenhaus war und vorher eine Gehirnerschütterung hatte, kamen meine Erinnerungen wieder. Mein Leben änderte sich schlagartig. Ich wurde aus dem Krankenhaus mit der Diagnose „Posttraumatische Belastungsstörung und Amnesie“ entlassen. Seitdem fehlt mir jegliche Identität. Meine (Angst-)Gefühle sind oft heftig, die Erinnerungen nur bruchstückhaft. Seit dem Krankenhausaufenthalt versuche ich, die Puzzleteile meiner Vergangenheit zu sortieren. Den Kontakt zu meiner Herkunftsfamilie habe ich abgebrochen, um mich zu schützen.
Das Schlimmste, was ich auf dem Weg merke, ist, dass es immer noch sehr schwer ist, Menschen zu finden, die Verständnis haben und einen auf dem Weg begleiten wollen. Dass den Tätern daran gelegen ist, dass die Dinge nicht an die Oberfläche kommen, ist klar. Das Gleiche gilt für die Opfer, die sich oft schämen. Auch der Gesellschaft ist immer noch größtenteils daran gelegen, dass am besten alle Parteien schweigen. Das ist für mich schwer zu verdauen.
Die Corona-Zeit kam mir sehr gelegen, da so niemand merkte, dass ich ungern unter fremde Menschen gehe. Vor mir liegt noch ein langer Weg. Nichtsdestotrotz kann ich sagen, dass ich froh bin, dass ich mein inneres Kind wiedergefunden habe. Im letzten Jahr habe ich sehr viel geschafft. Diesmal weniger durch Disziplin, dafür mehr durch Wahrnehmung und Achtsamkeit.
Bislang habe ich noch nicht die Kraft gefunden, intensiv nach dem Heim in Oybin zu recherchieren, weil ich Angst habe, dass ich die Gefühle nicht verkrafte. Ich habe Bilder des Heimes, von dem es vermutlich keine Unterlagen mehr gibt, im Internet gesehen.
Ich wünsche euch allen, dass ihr euren individuellen Weg findet und eure Geschichten verarbeiten könnt. Wenn man einmal merkt, dass diese schlimmen Gefühle zur Vergangenheit gehören und man Einfluss auf das Hier und Jetzt nehmen kann, dann kann man nur gestärkt da rausgehen.
Morgens und abends gab es Haferflocken, entweder als Suppe oder trocken mit Kakaopulver und Zucker. Als ich krank wurde und einige Tage im Bett bleiben musste, stand die ganze Zeit meine nicht gegessene Haferschleimsuppe neben meinem Bett, kalt und mit einer dicken Haut. Mehrmals täglich wurde ich angebrüllt, ich solle sie endlich essen.
An einem Bettpfosten, hieß es, sei ein Nasenpopel gefunden worden. Alle Jungs mussten daraufhin so lange vor ihren Betten knien, bis der Schuldige sich melden würde. Das dauerte ca. zwei Stunden, vielleicht auch viel länger. Die meisten Kinder haben geweint. Ein Schuldiger hat sich nicht gemeldet, zu groß war die Angst vor einer schlimmen Strafe.
Jeden Tag mussten wir nach dem Essen zwei Stunden Mittagsschlaf halten. Es wurde kontrolliert, dass wir die Augen geschlossen hielten. Wer nicht an Gewicht zugenommen hatte, musste von 11 bis 12 Uhr in die „Liegekur“. In dieser Stunde durften wir nicht miteinander sprechen, aber lesen.
Highlight der sechs Wochen war eine Fahrt auf dem Rhein. Schön war auch der Bau einer Hütte im umgebenden Wald.
In den Sommerferien zwischen dem 3. und 4. Grundschuljahr ( 1972 ) durfte ich in den Schwarzwald nach Hirsau zur Kur fahren. 6 Wochen lagen vor mir, auf die ich neugierig war. Da ich Jahrgang 1963 bin, war ich zu dem Zeitpunkt 9 Jahre alt. Die Zugfahrt war spannend, wir waren als Gruppe unterwegs. Mein Vater hat damals in Hervest - Dorsten ( heute Dorsten PLZ 46284 ) auf der Zeche Fürst-Leopold gearbeitet. Da das Geld bei meinen Eltern knapp war, haben sich meine Eltern gefreut, dass die Kinder der Bergleute die Möglichkeit bekamen, zur Kur zu fahren. Da auch ich angeblich zu dünn war, passte alles.
Bei unserer Ankunft wurde uns Schwester Waltraud vorgestellt, die für uns die nächsten 6 Wochen zuständig wäre. An das weitere Personal habe ich keine Erinnerung mehr. Ab in den Schlafsaal mit unserem Gepäck und auf zum Beziehen der Betten. Wie die Betten anschließend aussehen sollten, hat sie uns genau beschrieben. Das hätte auch bei der Bundeswehr jedem Apell standgehalten. Mein Bett war schnell bezogen. Dann fielen mir einige kleinere, jüngere Mädchen auf, geschätzt Kindergartenalter, die nicht zurechtkamen. Na dann ´mal schnell geholfen, einige weinten schon wegen der strengen Zurechtweisungen und wollte nach Hause. Mein Hilfsangebot brachte mir direkt den ersten Rüffel ein, da jeder für sein Bett selbst verantwortlich war. Aber manche Arme waren noch so kurz. Also haben einige ältere Mädchen und ich gewartet, bis die Aufsicht den Schlafsaal verlassen hatte und haben schnell geholfen, immer die Angst im Nacken, erwischt zu werden. Welche Strafe uns dann erwartet hätte, wussten wir nicht. Geschafft.
Obwohl ich ja schon 9 Jahre alt war, und damit zu den Älteren gehörte, war jeden Mittag für alle Kinder eine Pause von ca. 1 ½ Stunde angesagt. Zu Hause brauchte ich keine Pause machen und haben das auch erklärt. Geholfen hat es mir nicht, also habe ich mich jeden Mittag 1 ½ Stunde gelangweilt. Schlafen konnte ich in dem Schlafsaal auf Feldbetten mit allen anderen nicht. An die genauen Abläufe der folgenden 6 Wochen erinnere ich mich nicht mehr so genau. Am schönsten waren die Ausflüge.
Einige Punkte kann ich allerdings nicht vergessen und frage mich heute noch oft, wie die Frauen von damals mit ihrem Verhalten leben können/konnten.
Am wöchentlichen Wiegetag durften wir morgens erst nach dem Wiegen zur Toilette gehen, aber ich musste immer direkt nach dem Wecken. Wenn die Schlange vor mir, es wurden ja alle gewogen, sehr lang war, hatte ich manchmal schon Angst, mir in die Hose zu machen. Mädchen, denen das passierte bekamen Ärger und mussten beim Aufwischen helfen, egal wie alt oder besser wie jung sie waren.
Die Ausgabe des Essens war auch ein Punkt, an den ich mich gewöhnen musste. Aber das Prinzip habe ich schnell durchschaut. Wenn es etwas gab, das ich besonders gerne mochte, habe ich anfangs um Nachschlag gebeten. Dieser wurde mir dann verweigert oder die Portion fiel kleiner aus als bei den Anderen. Wenn es allerdings etwas gab, was ich nicht mochte, z. Bsp. rote Beete, und ich bat darum, dieses nicht essen zu müssen, bekam ich eine extra große Portion. Nachdem ich mich einige Male durch das Essen gekämpft habe, habe ich mir das System zu Nutze gemacht. Mochte ich etwas sehr gerne, haben ich darum gebeten nur eine kleine Portion zu bekommen, mochte ich etwas nicht so gerne, habe ich um eine größere Portion gebeten. Das hat meistens geklappt und machte die Mahlzeiten für mich erträglich. Spaß hat es auch gemacht, wenn es denn geklappt hat. Am Nachbartisch saß allerdings ein Mädchen, was sehr „schlecht“ aß und auch großes Heimweh hatte. Ich schätze, dass das Mädchen im Kindergartenalter war. Sie hat sich regelmäßig erbrochen, wenn sie etwas essen musste, was ihr nicht schmeckte, und musste, am Tisch mit den anderen Kindern, das Erbrochene essen. Als es ganz schlimm wurde, musste sie mit dem Teller aufs Klo und dort „aufessen“. Wenn es eben ging, „musste“ ich dann zur Toilette, was eigentlich während des Essens nicht erlaubt war, und konnte, wenn keine Aufsicht zu sehen war, das Essen in der Toilette entsorgen und dem Mädchen so helfen. Dabei hatte ich jedes Mal Angst, erwischt zu werden. Die darauf folgende Strafe habe ich zum Glück nicht kennengelernt. Oftmals musste die arme Kleine aber auch aufessen.
Wenn eine von uns etwas Schlimmes getan hatte, was das war kann ich nicht mehr sagen, konnte schon mal als Strafe ein ganzer Tag im Bett verordnet werden. Ob es dann etwas zu Essen und Trinken gab, kann ich nicht mehr sagen. Als ich einen Tag im Bett verbringen musste, warum auch immer, habe ich die Zeit genutzt um mir „Pipi Langstrumpf “ aus der Bücherecke im Flur zu entleihen. Das war selbstverständlich nicht erlaubt oder vorgesehen. Wir sollten doch den ganzen Tag über unsere Missetat nachdenken. Wenn die Aufsicht kam, um zu kontrollieren, ob bei mir noch alles in Ordnung war, habe ich das Buch schnell unter dem Kopfkissen versteckt und gehofft, dass ich nicht auffalle. Glück gehabt, aber ich habe während des Tages immer wieder überlegt, wie ich den Tag ohne Lesestoff überstanden hätte. Diese Strafe gab es auch für die Kleinen.
Einmal pro Woche durften wir einen Brief an die Familie schreiben. In meinem ersten Brief habe ich alles geschildert, was ich in der ersten Woche erlebt und gesehen habe. Nachdem ich den Brief vorgezeigt habe, die Briefe wurden kontrolliert, wurde dieser zerrissen und ich musste unter Aufsicht einen neuen „positiven“ Brief schreiben, der dann in die Post kam. Nach der zweiten Woche und dem zweiten Brief, bekam ich die Gelegenheit, die Briefe zum Briefkasten bringen zu dürfen. Wieso entzieht sich meiner Erinnerung. Die Kontrolle beim Schreiben wurde bei mir gelockert, weil die Schwestern den Kleinen helfen mussten und nicht überall sein konnten. Diese Lockerung habe ich dazu genutzt, zwei Briefe zu schreiben, einen für die Kontrolle und einen für den Briefkasten. Immer mit der Angst, dass der „richtige“ Brief für meine Eltern entdeckt wird, habe ich die Post zum Briefkasten gebracht und meine Briefe dann ausgetauscht. Der kontrollierte Brief landete dann zerrissen im Abfalleimer auf der Straße der richtige im Postkasten. Jedes Mal habe ich aufgeatmet, dass das Täuschungsmanöver nicht aufgefallen ist. Außerdem war ich froh, dass meine Mutter mir ausreichend Porto mitgegeben hat. Obwohl ich sicher war, dass das Verschwendung von wertvollem Porto war, wusste ich, dass meine Eltern mir diese Verschwendung nachsehen würden.
Als die 6 Wochen um waren, war das Team froh einen Erfolg verbuchen zu können, ich hatte tatsächlich etwas zugenommen.
Meine Eltern waren entsetzt, als ich endlich wieder zu Hause ankam. Sie hatten es gut gemeint und konnten nicht glauben, wie sie sich getäuscht hatten. Schlimmer war für meine Eltern noch die Tatsache, dass meine jüngere Schwester, geb. 1966, in jenem Jahr zum 2. Mal zur Kur war. Sie war im Jahr davor in 6 Wochen Hirsau und zeitgleich mit meinem Kuraufenthalt 4 Wochen auf Borkum. Da sie noch im Kindergartenalter war, hatte sie meinen Eltern von ihrem Aufenthalt und den Erlebnissen in Hirsau (1971) einige Vorkommnisse erzählt aber unsere Eltern haben ihr nicht geglaubt und alles Schilderungen auf ihre lebhafte Fantasie geschoben. Deshalb durfte sie noch ein zweites Mal zur Kur.
Den Rohentwurf für meine Schilderung ins Reine zu schreiben hat einige weitere Tage gedauert. Immer mal wieder sind die alten Erinnerungen bei mir aufgetaucht, aber auch wieder abgetaucht.
Es kann nur so sein, dass dort furchtbare Dinge passiert sind, ansonsten kann ich mir nicht erklären, dass mir so gar keine Erinnerung an diesen Aufenthalt geblieben sind.
Meine Mutter, der ich heute einige Artikel über die sogenannten Verschickungsheime geschickt habe, schien völlig ahnungslos und meinte nur: du sahst damals aber gut erholt aus.
Ich frage mich heute natürlich, hat sie damals schon die Augen davor verschlossen und tut es heute noch? So richtig reden über diese Zeit wollte sie heute auch nicht wirklich mit mir und meinte nur, als ich sagte, ich habe gar keine Erinnerung daran, dass man sich ja eh nicht daran erinnern kann, was man mit 6 Jahren erlebt hat. Das wage ich stark zu bezweifeln, da ich mich ja ab dem Zeitpunkt an alles erinnern kann, als mein Vater mich dort abholte.
Vielleicht habe ich aber auch Glück, dass mich scheinbar ein Schutzmechanismus die letzten 50 Jahre vor den Erinnerungen geschützt haben.
Ich kann mich natürlich nur sehr brüchstückhaft erinnern:
Nachts ins Bett gemacht, dafür Ohrfeigen von diesen "Schwestern" und eine (ich glaube kalte) Dusche. Dazu Beschimpfungen, dass man aufhören solle zu heulen...
Essen war scheußlich, wurde aber aufgegessen, egal, wie lange es dauerte.
Nicht "brav" gewesen oder (zum Mittagsschlaf) nicht im Bett geblieben: Mit Geschirr im Bett fixiert. Ganz übel !
Nikolauspaket von den Eltern wurde unterschlagen. Stattdessen gabs einen alten, runzligen Apfel incl. maximaler Enttäuschung.
Sich mit 3 Jahren völlig von den Eltern verlassen und ausgeliefert zu fühlen war die eigentliche Katastrophe.
Eine große Erleichterung, dass das Thema hier nun einen Namen und ein Forum findet !
ich war im November/Dezember 1965 im Alter von 9 Jahren in diesem Kinderheim Bergsonne in Garmisch-Partenkirchen. Ich erinnere mich noch gut an das fürchterliche Essen. Ich habe heute noch den Geruch von totgekochten und angebrannten Kartoffeln in der Nase und sehe immer noch meinen Suppenteller vor mir, der bis an den Rand mit mehligen, kalten ekelhaft riechenden Erbsen und der dazugehörigen Soße gefüllt war. Als Nachtisch gab es fast ausschließlich Vanille-Pudding mit einer ekelhaft, dicken Haut. Wir mussten selbstverständlich immer alles aufessen. Manche Kinder erbrachen das Essen, und mußten entweder ihr Erbrochenes mit einem ekelhaften Putzlappen und kaltem Wasser wegwischen, oder wenn sie in den Teller erbrachen, mussten sie ihr erbrochenes essen. Weigerten sie sich, mussten sie mehrere Stunden am Platz sitzen bleiben. Eine gütige und freundliche Küchenkraft nahm irgendwann den Teller weg und sagte: „Wir verraten nichts, Du hast alles aufgegessen......geh jetzt“. Jeden Morgen wurden wir auf die Waage gestellt und der unfreundliche Arzt horchte unsere Lungen ab. Wir mussten immer tief ein- und ausatmen. Das oberste Ziel dieser Kur war, dass wir alle zunehmen mussten, nur dicke Kinder sind gesunde Kinder.......Ich verliebte mich bei diesen Untersuchungen in eines der Mädchen und kasperte ein wenig herum, indem ich sie anlächelte und das Einatmen nachahmte. Sie lächelte zurück, dass war ein wunderschöner Moment in dieser Hölle. Eine „Tante“ sah mich beim Kaspern, ergriff meinen Arm, drückte fest zu und zog mich in ein anderes Zimmer. Ich weiss nicht mehr, was sie sagte, ich weiss nur noch, dass ich bitter enttäuscht und verzweifelt war, weil ich mich völlig unschuldig wähnte.
Wir schliefen getrennt von den Mädchen, dafür mit Jungs, die sicherlich 14 oder 15 oder noch älter waren. Wenn die „Tanten“ das Licht löschten und in ihre Zimmer gingen (sie tranken dort meist Sekt, ich hatte sie einmal beobachtet...) begann das Martyrium im Schlafsaal. Die großen Jungs zogen den Kleinen die Bettdecken über den Kopf, zogen ihnen die Pyjama-Hosen herunter und egötzten sich daran. Manche befriedigten sich dabei. Ich sah die Jungs auf mein Bett zukommen und rutsche in Windeseile unter mein Bett in den Staub. Sie verschonten mich.....hatten am anderen Abend andere verrückte Ideen. Wir Kinder konnten immer erst spät einschlafen, weil die Großen immer irgend etwas anstellten.
Am 6. Dezember hatte sich dann der Nikolaus angekündigt, er kam mit Knecht Ruprecht (oder wie wir in Köln sagen...Hans Muff), schimpfte laut und versetzte uns in Angst und Schrecken. Viele Kinder weinten und hatten Angst. Der Knecht Ruprecht wollte dann auch noch ein Mädchen in den Sack stecken, sie schrie so, dass er davon abließ. Also der Nikolaustag war auch eher eine Horrorshow, zumindest habe ich das so in Erinnerung.
Dann erkrankte ich (mal wieder eine Angina - Das war der Grund, warum ich hier war...) wurde ins Bett gesteckt und in dem relativ großen Schlafsaal alleine gelassen. Alle verließen das Haus zum täglichen Spaziergang durch die Winterwelt, ich lag mutterwindallein in diesem Haus und weinte laut. Ich weiss noch, dass ich immer wieder rief „Ich will nach Hause....Mutti hol mich ab“. Eine Tante hatte mir ein Buch ans Bett gelegt und gesagt, ich könne ja ein bischen lesen. Das tat ich, und tauchte im wahrsten Sinne des Wortes mit Hans Hass in die Ozeane der Welt. Hans Heinrich Julius Hass war ein österreichischer Zoologe und Meeresforscher, der vor allem durch seine Dokumentarfilme über Haie und seinen Einsatz für den Umweltschutz bekannt wurde. Ich verschlang die Geschichten über Haie und das Tauchen und vergaß für eine Weile mein Heimweh. (Anmerkung...Oh......ich hoffe, ich langweile Euch nicht, es sprudelt gerade einfach aus mir heraus). Komischerweise kann ich mich überhaupt nicht daran erinnern, wie und was wir spielten, wo wir uns den ganzen Tag aufhielten, wie wir unsere Zeit verbrachten. Es kann ja nichts spektakuläres gewesen sein. Ach ja, wir fuhren ein Mal ins Schwimmbad, durften ein wenig plantschen und durften uns nur am Beckenrand aufhalten. Die Tanten standen am Beckenrand und unterhielten sich angeregt. Wäre ein Kind ertrunken, sie hätten es nicht gemerkt.
Eigentlich weinte ich jede Nacht, ich tat es leise, damit mich niemand auslachte und die Tanten es nicht mitbekamen. Ich hatte Angst, dass sie schimpfen.
Wir mussten jede Woche eine Postkarte nach Hause schicken. Beim ersten Mal schrieb ich: Bitte holt mich ab, ich will nicht hier sein, ich will nach Hause, bitte (oder so ähnlich). Die Tanten schauten uns beim Schreiben über die Schulter, und diktierten uns den Text. Meine Postkarte wurde zerrissen, ich musst dann schreiben: Es geht mir gut, hier ist es schön...etc..
Diese vier Wochen haben Spuren hinterlassen. Trennungsängste, Albträume und Schreckhaftigkeit. Ich komme damit sehr gut zurecht und fühle mich nicht sonderlich eingeschränkt, trotzdem ist da etwas in mir kaputt gegangen. Vor 2 Jahren erlitt ich eine mittelschwere Depression und Panikattacken. Habe das Gott sei dank gut im Griff, auch dank meiner ganz hervorragenden Psychotherapeutin. Wir sind noch nicht so richtig dazu gekommen, diese meine Erlebnisse aufzuarbeiten, aber das wird ein wichtiger Punkt meiner Therapie sein.
Ich wünsche allen, die noch viel schlimmere, teils traumatische Erlebnisse hatten viel Kraft und Zuversicht.
Ich bin froh, dass es eine Stelle gibt, an der ich das mal loswerden kann, sowas sollte niemand erleben müssen. Schon gar nicht ein Kind.
Nach der Scheidung meiner Eltern 1963, als ich mit 5 Jahren von meinem Vater und meinem älteren Bruder getrennt worden war, ergab die damals übliche Vorschuluntersuchung, dass ich 6 Pfund Untergewicht hatte. Deswegen wurde eine 6-wöchigeVerschickung (ich sage zum Mästen) in den Schwarzwald veranlasst. Ich hatte Angst davor und habe meine Mutter immer wieder gefragt, wie viele Möhren ich noch essen muss, damit ich nicht weg muss.
Ein Erlebnis dort war das Osteressen. Nach dem ohnehin opulenten Mahl sollten wir Kinder noch einen Schokoladen-Osterhasen XL in uns hineinstopfen. Als ein Kind sich übergeben musste, wurde es gezwungen, das Erbrochene vom Teller wieder aufzuessen.
Nach jedem Mittagessen mussten wir ins Bett, müde oder nicht. Aus Angst vor Bestrafung habe ich mich immer schlafend gestellt, wenn die Aufpasserin in der Nähe war. Weil mir die Fingernägel nicht geschnitten wurden, begann ich dort, die Fingernägel abzuknabbern, was ich bis in meine Zwanziger nicht aufgeben konnte und dessen ich mich immer geschämt habe.
Am schlimmsten fand ich im nachhinein, dass mir keiner der Erwachsenen, auch meine Mutter nicht,
die Geschichte mit dem Erbrochenen geglaubt hat.
Erst viel später, als ich schon über 50 war, habe ich in einem Arbeitskollegen und einem weiteren Freund, beide 2 Jahre jünger als ich,
2 Leidensgenossen gefunden, die unabhängig voneinander über ähnliche Erfahrungen berichteten, beide im Schwarzwald. Ich war seitdem nie wieder dort, auch wenn ich bei einem Ausflug auf den Feldberg den damals höchsten Schnee meines Lebens gesehen habe.
Ach ja, in den 6 Wochen habe ich 3 Pfund zugenommen, das hat dann für die Einschulung gereicht.
Als achtjähriges Kind hatte ich oft fiebrige Infekte mit Temperaturen von 39 Grad. Daraufhin wurde auf Anraten des Arztes eine Kinderkur empfohlen. Die Kur sollte vom November 1971 für fünf Wochen im Heim Qusisana in St.-Peter-Ording erfolgen.
Da mein Vater privat versichert war, wurde ich nicht in einem Kindertransport, sondern von meiner Mutter dort hin gebracht. Am späten Nachmittag kamen wir in St.-Peter-Ording an und ich wurde im Heim "abgegeben". Meine Mutter übernachtete in einem Hotel nebenan und wollte mich am nächsten Morgen noch einmal sehen. Aber das wurde sofort von der Betreuerin "Tante Herta" abgeblockt.
Die Erinnerungen an diese Zeit verfolgen mich bis heute. Es gab einen Schlafsaal mit ca. 30 Betten für die Jungen. Gespräche untereinander, Weinen aus Heimweh, Toilettengänge etc. waren streng verboten. Es hatte nachts absolute Ruhe zu herrschen. Die Mädchen hatten ihren eigenen Schlafsaal und über die ganzen Wochen gab es keinen Kontakt der Gruppen. Allenfalls sah man sich beim Gang in die unterschiedlichen Speisesäle. Ansonsten herrschte absolutes Kontaktverbot.
Einmal in der Woche wurde geduscht und zwar in einem Raum, in dem 10 Duschen an der Decke des Raumes angebracht, unter denen sich mindestens 15 unbekleidete Jungen zusammendrängten. Und alles unter Aufsicht von "Tante Herta". Ich empfand das als sehr entwürdigend.
Das Essen war mehr oder weniger immer dasselbe. Ich erinnere mich besonders an eine Obstsuppe (mehr oder weniger sirupmäßig), die es nahezu jeden Abend gab. Frisches Obst gab es über die ganzen Wochen nicht.
In diese Zeit fiel auch mein 9. Geburtstag. Meine Eltern hatten mir ein Paket mit Geburtstagsgeschenken geschickt, das ich geöffnet erhielt. Mit den Worten "Selber essen macht fett!" (ich hasse seitdem diesen Satz...) wurden sofort sämtliche Süßigkeiten konfisziert. Ich habe nie etwas davon wiedergesehen. Es blieben mir somit nur zwei Kartenquartette und ein Buch übrig.
Korrespondenz mit zu Hause wurde strengstens kontrolliert. Es hatte alles wunderschön zu sein. Kritische Anmerkungen hatten die Folge, dass der Brief zerrissen und neu geschrieben werden musste. Wenn meine Eltern im Heim angerufen haben, um mit mir ein paar kurze Sätze zu sprechen, wurden sie mit dem Hinweis abgewiesen, es ginge mir sehr gut. Und das war's dann auch.
Zu Beginn des Dezembers wurde ein Adventskalender im Speisesaal aufgehangen. Eine runde Pappplatte, an der pro Tag ein einziges Bonbon befestigt war. Das "liebste" Kind (natürlich ausgewählt von "Tante Herta") durfte sich das dann nehmen. Bedeutete also, dass jeden Abend regelmäßig ca. 29 Kinder enttäuscht waren.
Nach fünf langen Wochen war dieses Martyrium dann endlich zu Ende und meine Mutter holte mich wieder ab. Es war ein solcher Glücksmoment, dass ich bis zum heutigen Tag noch genau weiß, dass es morgens um 07.30 Uhr war und welche Kleidung sie getragen hat. Zu Hause haben mich meine Eltern nicht mehr wiederkannt. Vor der Kur war ich ein fröhlicher Junge, der gern gespielt und vor allem erzählt hat. Jetzt war ich total ruhig, schüchtern und verängstigt. Anfangs habe ich meine Eltern wegen allem um Erlaubnis gefragt, zum Beispiel, ob ich zur Toilette dürfe etc. Es hat lange gedauert, bis ich wieder "normal" wurde.
Es waren die schlimmsten fünf Wochen meines Lebens und sie wirken bis heute noch nach. Ich habe St.-Peter-Ording nie wieder gesehen und will es auch nicht, obwohl es dieses Kinderheim schon lange nicht mehr gibt. Es ist schon traurig, wenn man sich ein neunjähriges Kind schon selbst schwört, seine eigenen Kinder nie in eine Kur zu schicken (ich habe es aufgrund meiner eigenen Erfahrungen auch nie in Erwägung gezogen). Aber das war nur die Folge der schlimmen Zeit, in der viele Kinderseelen für ihr ganzes Leben geschädigt wurden.
Ich will es kurz machen:
Nachdem mein Vater unter tragischen Umständen zu Tode kam wurde ich in die Grundschule geschickt. Mein Klassenlehrer war entnazifiziert, aber uns schlagen durfte er damals noch.
Dann kam meine alleinerziehende Mutter auf die glorreiche Idee mich sechs Wochen an die See zu schicken.
Das war dann das nächste Trauma!
Die meiste Zeit dämmerte ich auf der Krankenstation, denn ich bekam alle Kinderkrankheiten auf einmal. Die restliche Zeit waren ebenfalls die Hölle.
Ich durfte nicht auf die Toilette, wenn ich abends musste, für´s Bettnässen wurde ich bestraft.
Bis heute kann ich verschiedene Dinge nicht esesn, weil ich zum essen gezwungen wurde. Es waren alles in allem sechs Wochen die blanke Hölle für mich.
Vor ein paar Jahren lief ich auf SYLT an einem ehemaligen NSDAP Heim vorbei, da kam das Grauen wieder in mir hoch!
Was für ein Scheiss!
freundliche Grüße und danke für diese Initiative!
Tomas Kurth
Was wir wohl alle mehrheitlich erlebt haben: Empathielosigkeit gepaart mit menschlicher Kälte, Demütigungen, punktuellem Sadismus ... Briefzensur. Ein Klima der Angst und des Verlorenseins. Und nach der Rückkehr: Ungläubigkeit der Eltern gegenüber den Schilderungen des Erlebten.
Mit 6 Jahren wurde ich alleine in Frankfurt am Main in den Zug auf meine Reise zur 6 –wöchigen „Erholung“ nach Borkum gesetzt. Ich erinnere überdeutlich die vielen Ermahnungen zum richtigen Verhalten und Benehmen, die mir meine Elternschaft noch haben angedeihen lassen. Darunter auch so schöne Sachen wie: Man spricht nicht von „zur Toilette gehen zu müssen“ oder gar nur „ich muss mal pinkeln“ Nein! Es heißt „austreten“. Solchermaßen kernig ausgestattet; die Klamotten natürlich komplett mit Namenschriftzügen versehen, einer mit einer Sicherheitsnadel an der Jacke befestigten filzenen, orangefarbenen Kokarde ging´s also los. Der Rest ist Geschichte. Doch nicht ganz.
Beim Durchlesen der vielen Schilderungen der Erlebnisse in diesem Forum ist mir aufgefallen, dass nur verschwindend wenige von Denunziation oder gar von ritualisierter Denunziation seitens des Heimpersonals berichten.
Ich erinnere ein bereits etabliertes Denunziationsystem, das wie folgt ablief:
1. Alle waren aufgefordert Regelverstöße zu melden
2. Für das Melden von Verstößen gab es eine Belohnung
3. Die Meldungen hatten (ausschließlich) im Speiseraum direkt vor dem Beginn des gemeinsamen Abendbrots zu erfolgen
4. Hatte ein Kind etwas zu „melden“ so musste dieses Kind vom Stuhl aufstehen und die Meldung mit dem Worten beginnen: „Ich habe etwas zu melden“
5. Das Kind durfte sich dann als „Belohnung“ direkt danach aus einer dafür bereitstehenden Schale ein Bonbon nehmen.
Ich halte diesen Teil der Unterdrückung für besonders wichtig, macht er doch die Kinder zu einem Teil des Systems der Unterdrückung. Neben allen sonstigen Erniedrigungen und Misshandlungen usw. ist dies für mich das Übelste, da sich hier nicht nur ein Individuum gegen ein anders „stellt“, sondern ein System gegen ein Individuum „stellt“.
Ich glaube, dies stark zu erinnern, aber eben auch: ich-bin-mir-nicht-wirklich-sicher, ob ich dbezgl. meinen Erinnerungen wirklich trauen kann.
Also wenn Ihr gleiche oder ähnliche Erinnerungen/ Erfahrungen habt – natürlich auch aus anderen Einrichtungen - wäre ich sehr interessiert daran, davon zu lesen.
Beste Grüße aus München
Ich glaube, dies stark zu erinnern, aber eben auch: ich-bin-mir-nicht-wirklich-sicher, ob ich dbezgl. meinen Erinnerungen wirklich trauen kann.
Also wenn Ihr gleiche oder ähnliche Erinnerungen habt – natürlich auch aus anderen Einrichtungen - wäre ich sehr interessiert daran, davon zu lesen.
Beste Grüße aus München
Ich hatte Angst, Heimweh und fand mich nicht zurecht. Dass ich essen musste - und vor allem Dinge, vor denen ich mich ekelte - hat dazu geführt, dass ich bei der Heimkehr dünner als vorher war.
Das Heim in Freudenstadt ist mir weniger in Erinnerung. Es war wohl nicht so schlimm wie auf Spiekerog. Oder noch schlimmer, sodass ich keinen Zugriff darauf habe.
Auf jeden Fall erinnere ich mich daran, dass ich einen Traum hatte, der sich wiederholte - ich mag so 8 oder 9 Jahre alt gewesen sein. Da brannte das Kinderheim. Ich war froh darüber. Dafür hatte ich ein schlechtes Gewissen.
Samstags, einmal wöchentlich, ging es zum Duschen in den Keller. Da herrschte militärischer Drill. Ich erinnere mich, dass im kalten Duschraum acht oder zehn Duschen nebeneinander ohne Abtrennung oder Vorhang angebracht waren. Zu ihm führe ein ungeheizter Vorraum mit zwei Türen. Hier musste immer eine abgezählte Gruppe sich ausziehen und warten, bis links die bereits Geduschten herauskamen. Mit der Seife und dem Waschlappen (man durfte sich nicht selbst zwischen den Beinen berühren) in der Hand ging es rechts in den Duschraum. Dann hieß es "Wasser an", man machte sich nass, "Wasser ausdrehen und einseifen", anschließend "abspülen, aber zackzack" und "Wasser aus". Dann verließen wir den Duschraum im Gänsemarsch. Wenn man nicht schnell genug war und heißes Wasser "verschwendete", wurde man zur Strafe noch mit kaltem Wasser aus einem Schlauch abgespritzt.
Unsere Kleidung, die zu Hause mit dem jeweiligen Namen versehen war, befand sich in einem riesigen großen Schrank im Flur und wurde uns zugeteilt. Als ich am zweiten Tag darauf aufmerksam machte, dass ein anderes Mädchen mein Sonntagskleid trug, wurde ich angeschrien, dass ich den Mund halten sollte. Damit war ich sofort als Störenfried gebrandmarkt.
Besonders schlimm war für mich Sechsjährige der zweistündige Mittagsschlaf. Man wurde vorher zur Toilette geschickt, die sich auf dem Flur befand, und dann musste man still im Bett liegen und sollte schlafen. Konnte ich aber nicht. Man durfte nicht sprechen oder sich anderweitig bemerkbar machen. Als ich leise die Aufsicht im Flur fragte, ob ich zur Toilette gehen könne, hieß es "du warst ja vorhin". Sie verbot es mit drastischen Worten und beschimpfte mich, dass ich die anderen Kinder im Schlaf störe, und als Folge machte ich ins Bett. Da ging es dann erst richtige los: ich wurde wieder - diesmal lautstark, so dass auch die Jungen gegenüber alles hören konnten - beschimpft. Dann wurde die Heimleiterin dazu geholt. Das war eine Frau in einem schwarzen Kleid, die nie lächelte, sondern uns mit kalten Augen musterte und mich ebenfalls anbrüllte. Dann befahl sie mir, mein Bett abzuziehen. Anschließend stand sie neben mir am Abgang zum Treppenhaus, und ich musste mein nasses Bettlaken vor mich halten. Nach dem Mittagsschlaf mussten alle Kinder an mir vorbei und wurden informiert, dass sowas nur böse Kinder wie ich machen. Ich hab misch schrecklich geschämt und geweint.
Die Folge dieser Prozedur war, dass ich vor allem abends weniger als die anderen zu trinken bekam und auch selbst wenig trank und fast immer Durst hatte. Das half oft trotzdem nichts: sobald ich im Bett lag, hatte ich Harndrang, durfte nicht zur Toilette und machte ins Bett. Ich hatte wohl einen Knacks weg und fürchtete mich vor dem Beschimpftwerden und Am-Pranger-Stehen am Trappenabgang, vor dem nächsten Tag, vor dem nächsten Essen, eigentlich vor allem. Ich weinte sehr oft (leise, damit die Aufsicht nichts merkte und wieder schimpfte) und hatte fürchterliches Heimweh. Wenn ich ganz verzweifelt war, gab mir eine Mitbewohnerin manchmal etwas Zahnpasta ab. Ihr Vater war Zahnarzt, und die Zahnpasta war rosa und schmeckte himmlisch nach Erdbeeren.
Wir aßen alle zusammen in einem großen Speisesaal und durften beim Essen nicht reden. Das wurde vor allem von der Heimleiterin kontrolliert, die unverhofft auf leisen Sohlen irgendwo im Haus auftauchte und immer - von zwei aus einer damaligen Sicht riesengroßen - Schäferhunden begleitet wurde, vor denen nicht nur ich große Angst hatte.
Ob es mein Kummer war oder ob es wirklich schlechtes Essen gab, weiß ich nicht. Aber schon den grauen Haferschleim, den man in langen Fäden wie heute Schmelzkäse auf der Pizza langziehen konnte, und den wir zum Frühstück bekamen, mochte ich nicht. Vor lauter Angst habe ich ihn immer runtergewürgt. Das Mittagessen war besonders schlimm. Es gab sehr oft Kohl, der schon immer so merkwürdig roch. Aber am Schlimmsten war Rote Beete, die es gefühlt jeden zweiten Tag gab. Die konnte ich einfach nicht essen. Aber es half nichts. Alle Kinder verließen den Speisesaal, und ich musste siteznbleiben und "den Teller leeressen", wie es hieß. Zwischendurch wurde kontrolliert, ich wurde angeschrien und beschimpft und musste weiter vor dem Teller mit dem inzwischen kalten Essen sitzen. Nach einiger Zeit kam die Heimleiterin persönlich vorbei, und ihr war natürlich schon klar, dass dieses widerspenstige Kind nur die Bettnässerin sein konnte. Das sagte sie auch und meinte, dass ich eigentlich eine Tracht Prügel brauchte. Damit ich gefügig wurde, ließ sie einen der großen Hunde zur Bewachung zurück, der mich starr ansah und knurrte, wenn ich mich nur ein bißchen bewegte. Ich hatte schreckliche Angst und verschlang das schreckliche Zeug. Aber das war ein Fehler, denn jetzt wusste man, wie man mich zum Essen brachte und wiederholte dieses Verfahren. Dass ich mich anschließend auf der Toilette übergab, merkte man zunächst nicht.
Und dann kam der schlimmste Tag. Wieder Rote Beete, die ich einfach nicht runterbekam und mich auf dem Teller erbrach. Diese Ungeheuerlichkeit brachte dann mehrere Bechäftigte auf die Beine. Unter Aufsicht der Heimleiterin - mit den Hunden - drückten zwei Frauen rechts und links unterhalb der Ohren auf meinen Kiefer, der Mund ging gegen meinen Willen auf und eine weitere Beschäftigte schaufelte das kalte Essen mit meinem Erbrochenen in meinen Mund, ich erbrach wieder, wieder kam es in meinen Mund, wieder und wieder, bis der Teller leer war. Es half kein Weinen und Flehen, und ich hatte Angst zu ersticken. Zur Strafe musste ich anschließend gleich ins Bett, während die anderen Kinder draußen spielten. Ich war sehr sehr unglücklich und wollte einfach nur nach Hause.
Aber am nächsten Tag gab es den nächsten Schrecken: wir wurden gewogen, und ich hatte nicht nur nicht zugenommen sondern sogar abgenommen. Schon wieder ich! Das Elend nahm kein Ende, und natürlich musste ich auch wieder bestraft werden. Während wir im Keller unsere Schuhe putzten, wurde immer die Post verteilt. Mir wurde als Strafe gesagt, dass ich einen Brief von meinen Eltern bekommen habe, den man mir aber nicht geben und vorlesen würde, da bösartige Kinder wie ich eben keine Post bekommen. Was hab ich da geweint! Als eine ganz junge Betreuerin, die neu in dem Haus war, mich mit Worten zu trösten versuchte, bekam dies die Heimleiterin mit und stellte sie sofort zur Rede. Ungezogene und verstockte Kinder wie ich müssten mit Härte behandelt werden. Danach gab es für mich von den Erwachsenen in diesem Haus kein gutes Wort mehr.
Ich fühlte mich ungerecht behandelt, hilflos, verlassen, und der Willkür ausgeliefert. Dieses Gefühl kann ich nicht genauer beschreiben aber heute noch fühlen. Genauso wie das Glückgefühl, als ich endlich abgemagert wieder zu Hause war und meinen Eltern alles erzählen konnte. Sie waren zwar entsetzt, haben aber nichts unternommen - sie hatten ja keine Beweise und nur meinen Bericht - aber sie versprachen mir, dass ich nie wieder von ihnen weg müsste. Dies Versprechen haben sie auch gehalten. Ins Bett habe ich nie mehr gemacht - aber auch heute noch suche ich an allen Orten, an denen ich bin, erstmal ob und wo es Toiletten gibt.
Vor vielleicht fünfzehn Jahren sah ich spät abends im Fernsehen einen Bericht über SS-Kinderheime. Da erkannte ich das Haus in Bad Sachsa wieder und bin mir ziemlich sicher, dass die damalige Heimleiterin schon währen der NS-Zeit dies Heim geleitet und die Nazi-Regeln der "richtigen" Kindererziehung auch bei mir angewandt hat.
Ich war gerade 8 Jahre alt, als ich über die BEK im Sommer 1965 in ein Kinderheim in der Nähe von St. Goarshausen verschickt wurde. Als abenteuerlustiger kleiner Mann freute ich mich auf die Bahnreise und die Erwartung auf 6 schöne Ferienwochen zusammen mit vielen anderen Kindern, die hoffentlich meine Freunde werden würden.
Doch es sollte ganz anderes kommen. Gerade angekommen in dem Anwesen mitten im Wald, wurden wir alle sofort enteignet: Geld, Uhren und sonstige Gegenstände wurden konfisziert. Dennoch schafften es einige von uns, ein wenig Privatbesitz vor den "Tanten" zu verstecken. Man hatte sehr schnell das Gefühl in einem Gefangenenlager gelandet zu sein, es herrschte ein sehr strenges Regime. Auch kleinere Verfehlungen wurden bestraft, sei es mit Schimpfen, Schlägen oder Einzelhaft.
In meiner Stube war ich der älteste, die anderen Kinder, die sich sehr fürchteten, waren zwischen 5 und 7 Jahre. Also versuchte ich, als Ältester sie so weit wie möglich zu trösten und auch zu beschützen, was allerdings nur sehr eingeschränkt gelang. Aber immerhin hielten wir Kinder zusammen, was uns allen ein wenig halt gab. Der Jüngste weinte vor Heimweh sehr viel und machte regelmäßig ins Bett, da es verboten war, in der Nacht aufzustehen, um zur Toilette zu gehen. Wer es dennoch tat, wurde bestraft. Der Kleine musste zur Strafe in seinem vollgepinkelten Bett liegen bleiben und versuchte auf einer trockenen Stelle weiterzuschlafen.
Wenn Pakete von den Eltern kamen, wurden die sofort beschlagnahmt. Einmal in der Woche wurden die enthaltenen Leckereien an alle Kinder verteilt. Dann bekamen wir auch ein wenig von unserem Geld zurück, um uns im Haus noch etwas kaufen zu können.
Aufessen war oberste Pflicht, egal wie scheußlich es schmeckte. Wir sollten ja zunehmen. Wer seinen Teller nicht leer aß, durfte nicht vom Tisch aufstehen. Auch wenn jemand sich übergab, musste er weiteressen.
Wir mussten auch nach Hause schreiben. Darin musste stehen, das alles ganz toll sei. Negatives wurde zensiert und unleserlich gemacht.
Die ganze Situation dort kam mir wie ein Albtraum vor, etwas Ähnliches hatte ich noch nie erlebt. Es war für mich nicht vorstellbar, dass es real war, denn ich hatte doch so ein schönes, liebevolles Zuhause.
Da es für uns immer unerträglicher wurde, schmiedete ich mit meinen Freunden einen Fluchtplan. Wir wollten ausbrechen und Hilfe holen. In der Nähe war eine Fabrik oder sowas ähnliches, die wir auf unseren Waldspaziergängen gesehen hatten und dort wollten wir hin, um unsere Eltern anzurufen.
Als die anderen dann doch der Mut verließ - sie waren einfach noch zu jung - beschlossen wir, dass ich alleine bessere Chancen hätte durchzukommen und sie gaben mir ihre paar Mark, die sie als eiserne Reserve behalten hatten, damit ich telefonieren könnte. Während der Spielzeit nachmittags im Garten waren wir für 2 Std. weitestgehend unbeobachtet, hatte ich herausgefunden. Und dieses Zeitfenster wollte ich nutzen. In einem toten Winkel des Gartens kletterte ich über den Zaun und kam tatsächlich bei der Firma an. Dort bat ich zu telefonieren. Man war sehr freundlich zu mir aber vertröstete mich - das Telefon sei grade besetzt - und gaben mir zu trinken. Wenige Minuten später fuhr ein VW Bus vor und ich wurde von den Aufseherinnen abgeholt. Sie taten zuerst sehr freundlich, doch bereits im Wagen wurde ich verprügelt. Im Heim angekommen beteiligten sich alle anderen "Tanten" - von der Putzfrau bis zur Köchin - jeder durfte mal. Nie werde ich den Fleischklopfer vergessen, den die Köchin sehr bedrohlich und schmerzhaft einsetzte. Nur der einzige Mann im Haus, der Hausmeister, hielt sich heraus.
Ab dem Tag wurde ich wie ein Verbrecher behandelt, der alle anderen verraten hatte. Ich durfte so lange nicht mehr mit den anderen Kindern spielen, bis ich mich entschuldigte. Ich musste dann z.B. auf der Terrasse sitzen und konnte den anderen Kindern beim Spielen zusehen. Auch sonst bekam ich immer "Sonderbehandlung". Einige Tage hielt ich diese Einzelhaft aus, doch nach ca. einer Woche spielte ich den Reumütigen und ich entschuldigte mich für mein "Vergehen". Aber in Wirklichkeit war mein innerlicher Widerstand ungebrochen. Ich wusste, dass ich es wieder nach Hause schaffen würde und dann wäre wieder alles gut und das machte mich innerlich stark genug, um die restliche Zeit abzusitzen.
Irgendwann - nach einer gefühlt unendlichen Zeit - war auch diese schlimmste Zeit meines Lebens vorbei. Bevor es nach Hause ging, wurde mir mehrfach und sehr intensiv eingebläut, dass ich meinen Eltern nichts erzählen dürfe, da diese ansonsten die ganze "Kur" selbst zahlen müssten - und das sei sehr, sehr teuer.
So erzählte ich auch viele Jahre nichts davon. Nicht, weil ich meinen Eltern nicht traute, sondern um sie vor den finanziellen Folgen zu schützen.
Dass dies nur ein Bluff war, darauf kam ich erst sehr viel später. Als ich es meinen Eltern dann doch etwa 10 Jahre später erzählte, waren sie sehr entsetzt und wollten die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Dafür war es aber wohl zu spät, alles verlief irgendwie im Sande.
Eines habe ich auf dieser Reise gelernt: Es ist so wichtig Freunde zu haben, die zusammenhalten. Und das die Starken die Schwachen beschützen sollen.
Meine Kinder -fast schon erwachsen- haben ihren Vater in diesem Zustand offensichtlich noch nicht gesehen....... Aber erst einmal Danke für Eure Arbeit und einen lieben Gruß an alle, die DAS auch erleben ”durften”.....
In den Unterkünften gab es mehrere Schlafsäle. Meine Schwester und ich wurden getrennt untergebracht. Ziel der Kur war Gewichtszunahme. Wir wurden jede Woche gewogen. Wer zugenommen hatte durfte in das kleine Schwimmbad im Haupthaus, wer nicht, musste in den Saal mit den Badewannen. Wer das, was uns vorgesetzt wurde, nicht aß, bekam statt dessen Haferschleim. Der ekelte mich dermaßen, dass ich immer alles aufaß. Ich hatte auch große Angst davor, wieder in die Badewanne zu müssen. Dass Kinder Erbrochenes wieder aufessen mussten habe ich mehrfach erlebt. Ich habe noch vor Augen wie ein Mädchen vor der Oberschwester auf den Knien lag und unter Tränen bettelte: "Bitte liebe Schwester Sophie, lass mich das doch bitte, bitte nicht essen." Von meiner Schwester habe ich kaum etwas mitbekommen. Jahre später haben wir uns darüber unterhalten. Sie hatte großes Heimweh und konnte deswegen nicht essen. Sie hat dort noch viel mehr gelitten als ich.
Allgemein herrschte ein Klima von Angst und Ausgrenzung. Unsere Eltern hatten nicht viel Geld und unsere Anziehsachen waren billig, abgetragen und unmodern. Dies wurde bei der öffentlichen Durchsicht der Kofferinhalte, ausgiebig und zu allgemeinen Erheiterung, erörtert. Es gab auch eine Art Lichttherapie. Da mussten alle, natürlich nakt, mit einer Schutzbrille versehen, in einem Raum um eine Art Leuchte herum marschieren.
Rücksicht auf Schamgefühl war nicht vorgesehen. So mussten sich beim Fiebermessen alle mit blankem Po auf Ihr Bett legen und bekamen dann der Reihe nach Fieber gemessen. Ich erinnere mich, dass eine Schwester einem offenbar niedlichen, jüngeren Kind dabei mit Kugelschreiber ein Herz auf den Po gemalt hat. Je länger ich schreibe, desto mehr Bruchstücke der Erinnerung werden nach oben gespült. Z.B. der Besuch des Fastnachtsumzugs der für mich tatsächlich traumatisch war. Hatte ich als Kölnerin doch eine Vorstellung von Karneval. Der Schrecken den mir die gruseligen allemannischen Fastnachtsgestalten einjagten werde ich nicht vergessen. Die Schwestern fanden dies höchst lustig und keine kam auf die Idee mich zu trösten oder mir was zu erklären. Das beste was ich von dieser Kur zu berichten weiß, ist, dass ich gelernt habe eine Schleife zu binden. Als wir wieder nach Hause kamen, hatten wir Läuse.
Und wichtig wäre, daß abgerechnet wird, daß Rache geübt wird, daß diejenigen, die damals die Kinder so gequält haben, heute als alte Leute im Pflegeheim das, was sie den Kindern angetan haben, selber 100-fach durchmachen müssen, gequält werden, so daß sie von ihren brutale Taten noch in diesem Leben am eigenen Leibe eingeholt werden.
Wer spricht von Anklagen, was ist mit Entschädigungen? Wieso hört man nichts davon? Was ist mit den Pharmafirmen, die brutale Medikamentenversuche an Kindern ohne Wissen und Einverständnis der Eltern oder Kinder durchgeführt haben? Was ist mit den Krankenkassen, der Caritas? Es muß eine große Abrechnung beginnen mit den Profiteuren und Verantwortlichen!
Meine Erinnerung ist bruchstückhaft. Sehr schlimm war, dass es morgens immer Haferschleim oder Milchsuppe gab und alles aufgegessen werden musste. Ich hatte solch einen Ekel, dass ich mich immer wieder übergeben musste.
Es ging mir richtig schlecht und ich schrieb meinen Eltern einen Brief mit der Bitte, dass sie mich abholen.
Dieser Brief wurde im Heim geöffnet und ich musste zur Leiterin kommen. Sie vernichtete den Brief und zwang mich, den Eltern eine Karte zu schicken. Hier musste ich erklären, dass es mir gut gehe und dass es im Heim schön sei.
Nach den 6 Wochen kam ich abgemagert und verstört nach Hause zurück.
Ich glaube, ich möchte gar nicht wissen, was dort alles passiert ist. Bin froh, dass mein Hirn so effektiv verdrängen kann und diese Erinnerungen irgendwo (unerreichbar) abgelegt sind.
Mich tröstet aber schon zu wissen, dass ich nicht alleine bin damit.
Es ist schlimm, was uns Kindern angetan wurde.
ich habe heute einen Kurzfilm über Verschickungskinder gesehen und erinnerte mich daran, dass meine Oma mir erzählt hatte, dass sie auch einst auf Kur gewesen sei, weil sie zu dünn gewesen wäre. Sie war von März bis Mai 1954 in Glowe auf Rügen in der ehemaligen DDR als sie zehn Jahre alt war. Die Kinder waren dort in Baracken untergebracht und teilten sich ein Zimmer mit 3-8 weiteren Kindern. Postkarten durfte sie nur nach Kontrolle der Schwestern abschicken an ihre Eltern. Es gab meistens Eintopf mit fettigem Fleisch und alles musste aufgegessen werden. Wenn sie es nicht schaffte, erbrach sie und aß weiter. Die Schwestern waren "Drachen", wie meine Oma sagte, vom alten Schlag in Uniform und der Umgang glich militärischen Maßstäben. Viel mehr wollte sie nicht darüber erzählen, weil sie sich nicht gern daran erinnert.
Ich wünsche Ihnen viel Stärke, die traumatischen Erlebnisse aufzuarbeiten!
ich will gar nicht so viel erzählen, ich suche vielmehr andere, die ebenfalls in der Kinderheilstätte für tuberkulosekranke Kinder waren zwecks Erfahrungsaustausch. Sollten sich noch ehemalige Betreuerinnen an ihre Arbeit dort erinnern, wäre ich ebenfalls froh, ein Zeichen zu bekommen.