ZEUGNIS ABLEGEN – ERLEBNISBERICHTE SCHREIBEN

Hier haben sehr viele Menschen, seit August 2019, ÖFFENTLICH ihre Erfahrung mit der Verschickung eingetragen. Bitte geht vorsichtig mit diesen Geschichten um, denn es sind die Schicksale von Menschen, die lange überlegt haben, bevor sie sich ihre Erinnerungen von der Seele geschrieben haben. Lange haben sie gedacht, sie sind mit ihren Erinnerungen allein. Der Sinn dieser Belegsammlung ist, dass andere ohne viel Aufwand sehen können, wie viel Geschichte hier bisher zurückgehalten wurde. Wenn du deinen Teil dazu beitragen möchtest, kannst du es hier unten, in unserem Gästebuch tun, wir danken dir dafür! Eure Geschichten sind Teil unserer Selbsthilfe, denn die Erinnerungen anderer helfen uns, unsere eigenen Erlebnisse zu verarbeiten. Sie helfen außerdem, dass man uns unser Leid glaubt. Eure Geschichten dienen also der Dokumentation, als Belegsammlung. Sie sind damit Anfang und Teil eines öffentlich zugänglichen digitalen Dokumentationszentrums. Darüber hinaus können, Einzelne, die sehr viele Materialien haben, ihre Bericht öffentlich, mit allen Dokumenten, Briefen und dem Heimortbild versehen, zusammen mit der Redaktion als Beitrag erarbeiten und auf der Bundes-Webseite einstellen. Meldet euch unter: info@verschickungsheime.de, wenn ihr viele Dokumente habt und solch eine Seite hier bei uns erstellen wollt. Hier ein Beispiel

Wir schaffen nicht mehr, auf jeden von euch von uns aus zuzugehen, d.h. Ihr müsst euch Ansprechpartner auf unserer Seite suchen. ( KONTAKTE) Wenn Ihr mit anderen Betroffenen kommunizieren wollt, habt ihr weitere Möglichkeiten:

  1. Auf der Überblickskarte nachschauen, ob eurer Heim schon Ansprechpartner hat, wenn nicht, meldet euch bei Buko-orga-st@verschickungsheime.de, und werdet vielleicht selbst Ansprechpartner eures eigenen Heimes, so findet ihr am schnellsten andere aus eurem Heim.
  2. Mit der Bundeskoordination Kontakt aufnehmen, um gezielt einem anderen Betroffenen bei ZEUGNIS ABLEGEN einen Brief per Mail zu schicken, der nicht öffentlich sichtbar sein soll, unter: Buko-orga-st@verschickungsheime.de
  3. Ins Forum gehen, dort auch euren Bericht reinstellen und dort mit anderen selbst Kontakt aufnehmen

Beachtet auch diese PETITION. Wenn sie euch gefällt, leitet sie weiter, danke!

Hier ist der Platz für eure Erinnerungsberichte. Sie werden von sehr vielen sehr intensiv gelesen und wahrgenommen. Eure Erinnerungen sind wertvolle Zeitzeugnisse, sie helfen allen anderen bei der Recherche und dienen unser aller Glaubwürdigkeit. Bei der Fülle von Berichten, die wir hier bekommen, schaffen wir es nicht, euch hier zu antworten. Nehmt gern von euch aus mit uns Kontakt auf! Gern könnt ihr auch unseren Newsletter bestellen.

Für alle, die uns hier etwas aus ihrer Verschickungsgeschichte aufschreiben, fühlen wir uns verantwortlich, gleichzeitig sehen wir eure Erinnerungen als ein Geschenk an uns an, das uns verpflichtet, dafür zu kämpfen, dass das Unrecht, was uns als Kindern passiert ist, restlos aufgeklärt wird, den Hintergründen nachgegangen wird und Politik und Trägerlandschaft auch ihre Verantwortung erkennen.

Die auf dieser Seite öffentlich eingestellten Erinnerungs-Berichte wurden ausdrücklich der Webseite der “Initiative Verschickungskinder” (www.verschickungsheime.de) als ZEUGNISSE freigeben und nur für diese Seiten autorisiert. Wer daraus ohne Quellenangabe und unsere Genehmigung zitiert, verstößt gegen das Urheberrecht. Namen dürfen, auch nach der Genehmigung, nur initialisiert genannt werden. Genehmigung unter: aekv@verschickungsheime.de erfragen

Spenden für die „Initiative Verschickungskinder“ über den wissenschaftlichen Begleitverein: Verein Aufarbeitung und Erforschung von Kinderverschickung / AEKV e.V.:     IBAN:   DE704306 09671042049800  Postanschrift: AEKV e.V. bei Röhl, Kiehlufer 43, 12059 Berlin: aekv@verschickungsheime.de

Journalisten wenden sich für Auskünfte oder Interviews mit Betroffenen hierhin oder an: presse@verschickungsheime.de, Kontakt zu Ansprechpartnern sehr gut über die Überblickskarte oder die jeweiligen Landeskoordinator:innen


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2741 Einträge
Maria Molavi aus Berlin schrieb am 05.02.2021
Mit 7und 9 Jahren wurde ich über den Sozialdienst des Konzerns RWE als mageres Nachkriegskind zur großen Freude meiner Eltern 2 x für 6 Wochen zur Mästung ins Kinderheim Dr. Bönner verschickt. Ich weiß nicht genau warum ich mich daran noch erinnere, weil mir Wichtigeres habe ich vergessen. Es herrschte ein strenges Regiment mit Strafen wie Arrest und Schlägen. Auch wenn ich nicht selber davon betroffen war: gegessen wurde was auf den Tisch kam und wer es erbrach, musste sitzen bleiben bis der Teller leer war! Ich fand das grausam und sehe das noch heute vor mir. Wöchentlich wurden wir gewogen und wer nicht zugenommen hatte, bekam noch mehr auf den Teller, mit dem Ergebnis wie genannt. Insgesamt war ich zufrieden, auch weil ich die Freude meiner Eltern sah, die sich für uns 4 Kinder das nie hätten leisten können. Später habe ich gehört, dass das Heim aufgrund der Kindererfahrungen geschlossen wurde.
Mit 11 Jahren, 1962, war ich nochmals zur Verschickung in Niendorfer an der Ostsee. Das war sehr schön und ich habe keine Details dazu mehr parat. Wir waren am Strand recht unaufbesichtigt und ich habe mir den schwersten großflächigen Rücken-Sonnenbrand meines Lebens zugezogen und die Verbrennungen wurden lange behandelt.
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Achim aus Berlin schrieb am 05.02.2021
Im Alter von 6 Jahren wurde ich für ca. 4 Wochen nach Clausthal-Zellerfeld in ein Kinderheim verschickt, das von einer Institution der Evangelischen Kirche betrieben wurde. Mit mir waren meine beiden Brüder (3 und 9 Jahre) dort, die ich aber in dieser Zeit so gut wie nie und wenn, dann nur von ferne, zu Gesicht bekam.
Mein älterer Bruder erzählte später, er habe meinen jüngeren Bruder dort einmal mit vertauschten Schuhen gesehen, also linker Schuh auf rechtem Fuß und rechter auf dem linken.
Ich habe diese Zeit als sehr traumatisch in Erinnerung. Das fing schon mit dem Essen an. Abends gab es immer Mehlsuppe, was zu dieser Zeit kurz nach der Währungsreform sicher eine gesunde Kost gewesen sein muss. Nun hatte der Koch das aber etwas lieblos gemacht, sodass noch nicht aufgelöste Mehlklumpen in etwa Taubeneigröße darin herumschwammen. Das führte dazu, dass die Suppe von vielen Kindern erbrochen wurde, so auch von mir. Klar, sowas wirkt natürlich auch ansteckend. Ich hatte beim ersten Mal den Fehler gemacht, in den Teller zu brechen, sodass ich das das alles wieder essen musste. Da gab es kein Pardon. Nun, das passierte mir danach nicht mehr, da landete die Bescherung auf dem Boden, was mir sicher nicht zum Wohlwollen gereichte.
Leider achteten die "Tanten" abends nicht darauf, dass die Kinder vor dem Schlafengehen noch auf der Toilette waren. Es gab ja in den Schlafräumen einen Nachttopf! Bei mir war es aber so, dass ich im Dunkeln schreckliche Angst hatte und - wie eben Kinder so sind - es häufiger vorkam, dass Kinder, die nachts auf den Topf gingen, von anderen erschreckt wurden. So kam es also, dass ich einnässte, was mir zu Hause eigentlich nie passiert war.
Und irgendwann kam es dadurch später dann auch, wie es kommen musste: Ich wurde krank mit Fieber und kam aus der Gruppe heraus auf die Krankenstation. Zwar musste ich im Bett liegen, aber es war wie eine Erlösung für mich. Diese Zeit war für mich die schönste. Ich fuhr dann auch nicht mit den anderen zurück, sondern später nach der Genesung mit einem Extratransport.
Klar, dass ich meinen Eltern sagte, dass ich dort nie wieder hin wollte. Irgendwann später erzählte mir meine Mutter, dass man sich seitens des Heimes beschwerte, dass man "einen Bettnässer geschickt habe".
Sicher gab es wohl auch schöne Momente, es wurde viel gewandert und als Gruppe gesungen, aber das Negative blieb stärker haften. Auch war das Personal noch jung und sicher sehr von der Nazizeit geprägt (sinngemäß: "nur der Starke überlebt!"), das legt man wohl nicht so schnell ab.
Ich habe meine Eltern auch gefragt, warum wir dort hinkommen sollten. Der Arzt hatte von "Luftveränderung" gesprochen. Vielleicht wollte er aber auch, als er zu der Kur riet, meiner Mutter, die damals viel krank war und auch eine Fehlgeburt hatte, etwas Entlastung verschaffen.
Jedenfalls war ich froh, dass mir weitere Verschickungen erspart blieben.
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Almuth Andres aus Berlin schrieb am 05.02.2021
Guten Tag ich war einmal mit meiner Schwester und einmal auch mit meinen beiden Brüdern im „ Kinderhof“ zur Kur. Es war traumatisch. Die Pädagogik geprägt von der Leiterin Frau Lekieß ( ob ich es richtig schreibe?) und ihren sadistischen Praktiken. Zwangsernährung ( Zunehmen war das einzig wichtige!), Prügel, eiskalte Duschen, ominöse Wurmkuren, verbale Beschimpfungen waren an der Tagesordnung. Selbstverständlich wurde ein- und ausgehende Post kontrolliert und ggfls. vorenthalten. Ich habe fast nur grauenvolle Erinnerungen .....
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Britta1963 schrieb am 04.02.2021
Hallo
ich habe vor ein paar Tagen hier schon einmal geschrieben und mittlerweile duzende Berichte von euch gelesen, insbesondere natürlich über die "Verschickungen" nach Föhr.
In einem Bericht hat jemand erwähnt, dass er/sie ebenfalls über die BEK im Schloss am Meer war, sich jedoch an ein Backsteinhaus erinnern kann.
Da ist mir irgendwie die Kinnlade runtergefallen.
Ich war vor 1,5 Jahren das erste Mal seit 1969 mit meinem Mann 1 Woche auf Föhr. Hatte eigentlich auch gar kein schlechtes Gefühl dorthin zu fahren, weil ich kaum eine Erinnerung an die Zeit habe und meine Mutter mir auch nie irgendwas Negatives erzählt hat.
Das erste beklemmende Gefühl bekam ich in Dagebüll an der Fähre.
Wir hatten eine Ferienwohnung scheinbar ziemlich in der Nähe des Schlosses am Meer, wobei ich vor 1,5 Jahren noch gar keine Ahnung hatte, dass ich dort war.
Wir sind jeden Tag an der Strandpromenade entlang gelaufen Richtung Örtchen. Da musste man an einem großen roten Backsteinhaus vorbei, was ebenfalls direkt an der Promenade war. Jedesmal, wenn ich dort vorbei bin, mochte ich gar nicht hinsehen und ich verspürte leichte Panik.
Warum? Keine Ahnung.
Ich konnte es noch nicht mal meinem Mann sagen, nur dass ich den Eindruck habe, hier schon einmal gewesen zu sein.
Ich habe vor einigen Tagen hier geschrieben, dass mich mein Vater nach 4 Wochen auf Föhr abgeholt hat, da in dem Heim Mumps ausbrach. Ich kann mich exakt ab diesem Zeitpunkt genau an alles erinnern, dass wir bei der Heimleiterin zusammen in einem großen dunklem Zimmer gesessen haben und ich dann mit meinem Vater nach Hause gefahren bin. Sogar an die Autofahrt von Dagebüll nach Düsseldorf kann ich mich erinnern. Die 4 Wochen davor sind wie ausgelöscht aus meinem Hirn.
Ich finde es merkwürdig, dass noch jemand hier sich nicht an das Schloss am Meer, jedoch an ein rotes Backsteinhaus erinnern kann. Das BEK Haus sah ja eigentlich gar nicht so furchteinflössend und dunkel aus auf den alten Bildern.
Ich habe die letzten Tage meine Mutter öfter auf diese Kur angesprochen, weil ich irgend etwas erfahren wollte. Warum man ein 6jähriges Kind so weit 6 Wochen wegschickt mit einem Zettel um den Hals usw. Ihre Antwort: das war damals so und wir haben uns gefreut, dass wir diese Kur für dich bekommen haben. Du warst doch so ein schlechter Esser.
Ich habe selber eine mittlerweile 30-jährige Tochter, aber sowas wäre mir im Traum nicht eingefallen. Kind am Bahnhof abgeben und 6 Wochen später wieder abholen. Geht gar nicht!!!

Im übrigen bin ich völlig geschockt, wie vielen Kindern damals so übel mitgespielt wurde und wie sich die Berichte 40/50/60 Jahre danach alle gleichen.
Liebe Grüße
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Hedda Peters aus Dortmund schrieb am 03.02.2021
Ich bin als Verschickungskind auch Opfer der "schwarzen Pädagogik" geworden.

September/Oktober 1955 war ich gerade 8 Jahre alt geworden und musste allein für sechs Wochen in das Oldenburger Kinderheim Nordseebad Wangerooge reisen. Postkarten und ein Gruppenbild mit Frl. Lorenscheid befinden sich in meinem Fotoalbum.
Da ich zu dünn war, sollte ich zunehmen und musste immer viel essen. Oft saß ich lange am Tisch, bis ich alles aufgegessen hatte. Wenn ich erbrechen musste, musste ich auch das wieder essen. Zusätzlich hatte ich Probleme, weil ich nur zu bestimmten Zeiten aufs Klo durfte, in der Mittagspause und nachts überhaupt nicht. Ich hatte ständig Angst und Druck, und wenn ich in die Hose gemacht hatte, musste ich zur Strafe allein im Schlafsaal bleiben und eine lange gestrickte Wollunterhose tragen. Das habe ich als große Demütigung und Blossstellung erlebt.

Anfang Juni 1960 war ich noch einmal 4 Wochen zu einer Kur im selben Kinderheim. Auch als 13jährige erlebte ich hier strenge Regeln. Eine Postkarte mit dem Satz "Wir dürfen jeden Mittwoch schreiben." und dem Stempel auf der Karte "Besuche im Kinderheim nicht gestattet" und gestellte Gruppenfotos sind ebenfalls in meinem Fotoalbum. Der Vater einer Bekannten, die mit mir in dieser Kur war, hat sich anschließend über die Zustände im Heim beschwert. Es soll kurze Zeit danach geschlossen worden sein.

Es ist gut, dass die Problematik Verschickungskinder endlich aufgearbeitet wird.
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Ulrike Trae aus Kehl schrieb am 03.02.2021
Im Januar 1968 musste ich im Alter von 7 Jahren eine sechswöchige "Kur" in Scheidegg antreten. Ich litt unter chronischer Bronchitis und Untergewicht. Meine Mutter brachte mich mit dem Zug vom damaligen Wohnort Heidenheim nach Scheidegg. Ihr wurde erlaubt, sich noch eine halbe Stunde von mir zu verabschieden, bevor ich dann auf mein 4-Bett-Zimmer gebracht wurde. Der erste Anblick, an den ich mich erinnern kann, war, dass ein Mädchen mit einer Schwester über den Gang lief, und dieses hatte einen riesigen Tintenfleck auf der Strumpfhose. Ich war damals schon etwas empfindlich, was Flecken auf Kleidung oder was Kleidungswechsel anbelangte. Meine Eltern hatten vor Antritt der Kur eine Menge Kleidung kaufen müssen, es gab eine abzuarbeitende Liste hierzu, u.a. Skihosen, Trainingsanzug, jede Menge Unterwäsche. Ich weiß noch, dass ich mich fragte, wieso das Kind keine saubere Strumpfhose tragen würde, die Antwort bekam ich dann schnell.
Von all meinen Kleidern sah ich nicht allzu viel - 6 Wochen dieselbe Trainingshose, nach drei Wochen frisches Unterhemd und Schlafanzug, 6 Wochen derselbe Trägerrock (unter diesen wurde beim "Freigang" die Trainingshose angezogen), 1x wöchentlich ein Unterhosenwechsel, Strumpfhose 6 Wochen - für mich nicht nur ungewohnt, sondern unangenehm und ekelhaft. Fragen nach frischer Kleidung stellte man in der Regel nur einmal ....Das Essen war das Grauen schlechthin, ich sollte ja nun zunehmen, also gab es täglich irgendwelche fetten gräulichen Suppen, und wehe, man aß sie nicht. Bis zum Ende der Mahlzeit in der Mitte des Speisesaals stehen, danach ab an den Tisch, eine Schwester links, eine rechts und keine Gnade, bis der Teller leer war. Mehrmals musste ich hinterher erbrechen. Da man nachts das Zimmer nicht allein verlassen durfte, es aber auch besser unterließ, nach einer Schwester zu rufen, erbrach ich mich einmal auch nachts im Zimmer, ich versuchte, die Bescherung mit Taschentüchern zu beseitigen, aber es gelang mir nicht vollständig. Zur Strafe musste ich, nach gewaltigem Donnerwetter vor allen natürlich, meinen Schlafanzug mit Spuren von Erbrochenem fast 3 Wochen weiter tragen.
Ich bekam viele Päckchen auch mit Süßigkeiten, diese wurden alle einbehalten. Sonntags mussten wir in einer Reihe an einem Schrank, in dem sich die Geschenke aller befanden, vorbeilaufen und jeder bekam ein Bonbon oder ein Stück Schokolade oder so etwas. Begründung war, dass man teilen müsse.
Post wurde zunächst einbehalten und teilweise auch geöffnet, Briefe nach Hause hatten offen in einen Postkasten geworfen zu werden - eine Zimmerkollegin von mir hatte geschrieben, man solle sie heimholen, sie wurde darauf bei unserer Schwester Wolfharda (den Namen dieser unerträglichen Person werde ich nie vergessen) einbestellt und kam mit knallrotem Gesicht und geschwollenen Wangen zurück. Sie konnte erst Tage später erzählen, was sie geschrieben hatte, und was in dem Zimmer vorgefallen war, hat sie nie erzählt. Die Briefe, die man empfing, waren im Zimmer laut vor der Schwester vorzulesen. In einem Akt der Rebellion (eines 7-jährigen Kindes....) habe ich, als ich einen tatsächlich von mir selbst geöffneten Brief vorlesen musste, den Satz "viele Grüße auch an Schwester Wolfharda" nicht mit vorgelesen, ich hatte tagelang Angst, dass der mir natürlich wieder abgenommene Brief noch einmal gelesen werden würde und ich dann auch Ohrfeigen bekommen würde. Ich war übrigens trotz meines jungen Alters aufgrund damaliger Kurzschuljahre schon in der dritten Klasse und konnte -und musste- daher vorlesen.
Zur "Erholung" wurden wir nachmittags in einen Schlafsaal verfrachtet (sofern man nicht vor seiner Suppe sitzen musste), dort hatte man schweigend auf einem Bett unter einer grauen Decke (sahen aus wie Armeedecken) zu liegen, jeden Tag natürlich unter einer anderen, die Decken wirkten nicht, als seien sie häufig gewaschen worden. Es war kein Wort erlaubt.
Von manchen Schwestern wurden alle Kinder, auch die ganz kleinen, nur mit Nachnamen angesprochen. Heimweh oder Kummer (mein kleiner Bruder war erst wenige Wochen zuvor geboren worden, ich hatte schreckliches Heimweh) waren nicht erlaubt.
Es gab im Wesentlichen nur 2 Lichtblicke: Wir durften ganz selten einmal Schlitten fahren (2-3 mal in den sechs Wochen), wobei ich einmal meine Trainingshose, die etwas feucht geworden war, in die Truhe gegeben hatte, wo ALLE Trainingshosen verwahrt wurden, und nun war diese am nächsten Tag immer noch feucht. Das gab natürlich die üblichen Schimpftiraden, aber so sah ich doch einen Tag eine meiner Skihosen wieder, aber nur einen Tag. Der zweite Lichtblick war, dass im Hause ein pensionierter Missionar wohnte, und den durften hier und da ein paar Kinder besuchen. Er erzählte uns Geschichten aus China, er hatte von dort kleine Silberkettchen mitgebracht, die er zuweilen dann verschenkte, und er hatte Stempel mit chinesischen Schriftzeichen, und da durften wir uns manchmal einen Stempelabdruck abholen. Er war immer lieb und freundlich zu uns.
Ich kam genauso dünn und krank aus der Kur wie ich angetreten war, aber zum Glück gab es keine Verlängerung. Das war die schlimmste Vorstellung! Meine Mutter holte mich ab, der Koffer war schon gepackt, ich wollte meine Sachen mitnehmen -also Briefe und Geschenke- , auf Frage meiner Mutter hieß es, alles wäre im Koffer, und es war nichts davon drin.
Die wenigen Versuche, meinen Eltern von der Kur zu berichten, wurden damit abgetan, dass es im Krieg schlimmer gewesen wäre (Vater) und dass die Verschickung meiner Mutter in ein Kinderheim noch schlimmer gewesen wäre (die Geschichte dieses Heimaufenthaltes kenne ich von hinten bis vorn). Ich habe also die Erinnerung jahrzehntelang vergraben oder als persönliches Mißgeschick angesehen, bis ich vor Jahren mal zufällig etwas von Leidensgenossen in einem Forum, das dann aber nach einiger Zeit nicht mehr im Netz zu finden war, gelesen habe. Erst dann begann ich mich mal intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen. Und ich bin jetzt überwältigt davon, wie vielen Kindern es gleich erging und wie viele heute noch darunter leiden! Ich selbst kann bis heute überhaupt keine Suppe essen, schon der Geruch verursacht mir Übelkeit - meine Eltern sahen das als Spinnerei an. Meinen Eltern erzählte ich frühzeitig (bereits als Kind) überhaupt nichts mehr, fragte sie auch nie um Rat. Meine Mutter wirft mir das heute noch vor, ebenso, dass ich ihre Nähe nicht wollte. Ich vertrage keinerlei Ungerechtigkeit und reagiere auf nicht sofort nachvollziehbare Anweisungen und Vorschriften, die mir jemand machen will, bestenfalls gar nicht, meist aber mit Zorn. Meinen ersten Beruf im öffentlichen Dienst habe ich nach wenigen Jahren aufgegeben, weil mir Hierarchien nicht liegen, stattdessen habe ich mich nach einem Studium selbständig gemacht. Bis vor wenigen Jahren sah ich keinen Zusammenhang mit den schlimmsten 6 Wochen meines Lebens, aber so allmählich denke ich, dass -natürlich neben weiteren Umständen- diese Zeit eine sehr prägende war. Und ich bin froh, dass sich jemand dieses Themas annimmt und dass ich nun sicher bin, dass ich mir nicht alles eingebildet habe, sondern dass es wirklich wirklich schlimm war.
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David aus Bonn schrieb am 03.02.2021
Gerne möchte ich ein paar Eindrücke loswerden, die ich 1968 oder 1969 in einem Heim im Schwarzwald "gewinnen" durfte. Der Grund für meine Kur war chronischer Husten. Leider ist es mir nicht gelungen, "mein" Verschickungsheim zu lokalisieren. Meine Eltern können wir nicht weiterhelfen. Ich habe den Ort "Forbach" vage in Erinnerung, aber ich habe dort in der Nähe kein Heim recherchieren können. Ein Moderator hatte anhand meiner vagen Schilderung (direkt am oder im Wald, großes altes Gebäude) in einem früheren Gästebucheintrag das Kinderkurheim Schwoerer nahegelegt, aber beim Anblick des alten Postkartenfotos hat es bei mir nicht Klick gemacht. Auch in den beiden sehr interessanten Büchern von Röhl und Lorenz bin ich nicht auf mein Heim gestoßen.
Ich habe eigentlich nur Erinnerungsfragmente an meinen Aufenthalt im Heim selbst. Viel besser kann ich mich aber an die Alpträume erinnern, die ich im Anschluss an den Aufenthalt regelmäßig hatte (dazu später mehr).
Meine Haupterinnerung bestand darin, dass das Essen für mich die reinste Quälerei war, weil mir einfach nichts schmecken wollte, ich aber deutliches Missfallen erntete, wenn ich nicht aufaß. An die Sanktionen selbst kann ich mich nicht erinnern, wahrscheinlich habe ich es wie vieles andere erfolgreich verdrängt. Im Zusammenhang mit dem Essen habe ich aber eine Anekdote in Erinnerung: Es wurde einmal angekündigt, dass es, wenn mein Teller leer war, zum Nachtisch Ananas geben würde. Ich kannte die Frucht nicht, aber ich hatte beim Klang des Wortes "Ananas" sofort einen großen Widerwillen und war sicher, dass dies etwas ganz widerlicheres und furchtbares sein musste. Es kam also nicht dazu, dass ich die Ananas geschmacklich kennenlernen konnte. Ich vermute im Nachhinein, dass ich bei Ananas irgendwas mit "nass" assoziierte, was Ekel in mir hervorrief. Vielleicht hat es etwas mit Bettnässen zu tun, aber daran erinnere ich mich nicht. Überhaupt habe ich keinerlei Erinnerung weder an die Bedingungen des Schlafens, noch des Badens oder einer ärztlichen Untersuchung. Ich kann kein Bild von einem Bad, einer Dusche, einem Bett oder einem Schlafsaal hervorrufen.
Ein anderes Erinnerungsfragment war, das ich von meinen Eltern ein Paket (wahrscheinlich zum Geburtstag im Juni) zugeschickt bekam, das aber hoch oben auf einen Schrank gelegt wurde, wobei mir wiederholt gesagt wurde, das Paket dürfe ich noch nicht haben. Das Paket auf dem Schrank war eine Art Sehnsuchtsort für mich, aber ich weiß nicht mehr, ob ich es jemals öffnen durfte oder was drin gewesen wäre.
Ein anderes Erinnerungsfragment besteht aus einer langen Wanderung durch den Wald. Ich musste mal für kleine Jungs, aber ich dufte lange Zeit nicht. Die Erlösung kam, als eine andere Schwester neben mir herwanderte und mich im Wald austreten ließ. Diese nette Schwester war die einzige, an die ich mich persönlich erinnere, alle anderen waren rückblickend nur wie nebulöse und böse Schatten. Die nette Schwester sagte zu mir, und das sind die einzigen Worte des Aufenthalts, an die ich mich erinnere, in etwa folgendes: "Die anderen Schwestern mögen dich nicht. Aber ich mag dich." Ich hatte ihre Worte zumindest auf mich bezogen, vielleicht hatte sie auch allgemein gesagt "die anderen Schwestern mögen keine Kinder". Ich weiß nur noch, dass diese Worte bestätigten, was mir eigentlich schon klar war, nämlich dass mich vier- oder fünfjähriges Kind dort keiner mochte. Über die Gründe kann ich nur spekulieren: Entweder lag allgemein ein fehlendes Gefühl für Kinder vor, oder vielleicht war ich selbst ein Außenseiter, weil ich das Essen nicht mochte, irgendwas "nass" gemacht hatte oder weil irgendein äußerliches Merkmal den Schwestern nicht gefiel. Aber wie gesagt, an mehr kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern.
An die Hinfahrt erinnere ich mich auch nicht, ich weiß nur noch, wie ich bei der Rückfahrt am Bahnhof in Dortmund ankam, und meine Eltern nach den ersten Worten sagten "du sprichst ja Schwarzwäldisch". Offenbar hatte ich in den sechs Wochen zumindest so viele Wörter seitens der Schwestern aufgesogen, dass mein Akzent sich verfärbt hatte.
Vielleicht war ja alles auch nicht so schlimm, wie man anhand der Erinnerungsfragmente vermuten könnte. Was mich aber rückblickend stutzig macht, sind die wiederkehrenden Alpträume, die im Alter von 5 Jahren einsetzten, also kurz nach meinem Kuraufenthalt. Das häufigste Traummuster war, dass ich nachts von einem garstigen Wesen entführte wurde, das durch ein Loch in der Wand neben meinem Bett kam, mich in sein Schattenreich holte und mich dort einer Art Kitzelfolter unterzog. Diesem Wesen, das eine menschenähnliche Gestalt, aber lange dunkle Borstenhaare am ganzen Körper hatte, gab ich in meinen Träumen den Namen "Der böse Papp". Ein weiterer bis heute anhaltender Alptraum ist, irgendwo in einer engen Höhle innerhalb einer Wand in einem großen Haus festzustecken und weder vor noch zurück zu können. Diese Träume können, müssen aber nicht auf meinen Kuraufenthalt zurückzuführen sein. Sonstige Alptraum-Inspirationen gab es bei mir jedoch nicht, weder familiär, noch vom Fernsehen. Ob mich der Aufenthalt irgendwie nachhaltig in meinem Wesen geprägt hat, vermag ich nicht zu sagen. Ich kann mir aber vorstellen, dass meine Fähigkeit, mich mit Schicksalsschlägen und Verlusten sehr schnell zu arrangieren, auf einen Lernprozess dahingehend zurückzuführen ist, dass ich unangenehme Erfahrungen damals erfolgreich in die Tiefen des Unterbewusstseins verdrängen konnte, so dass sie allenfalls ab und zu in Träumen Gestalt annehmen.
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JE schrieb am 02.02.2021
Ich war als Kind zwei Male zur Kur und meine Erfahrungen können sich nicht mit denen älterer Generationen messen. Ich habe weder Schläge noch Übergriffe erlebt, sondern nettes Personal, das bestrebt war, uns eine so schöne Zeit wie möglich zu ermöglichen. Lediglich die religiöse Indoktrinierung beiderorts war geschmacklos. In Oberjoch, einer alten SS-Polizeischule, waren im Speisesaal außerdem noch überall die Hakenkreuze an den Marmorsäulen vorhanden - laut Anstaltsleiter aus Denkmalschutzgründen...
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Milli aus Berlin schrieb am 02.02.2021
Hallo.

Ich war Mitte/Ende der 80er Jahre in Morgenröthe Rautenkranz im Vogtland. Habe kaum Erinnerungen, aber ein seltsames Gefühl. Gab es bereits Berichte bzw. hat jemand etwas zu berichten? Danke
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Jenny Janke schrieb am 02.02.2021
Ich bin durch Zufall auf eine Sendung zu diesem Thema gestoßen. Ich schaute sie mir an und ich kann es nicht fassen. Ich habe diese Erlebnisse mein Leben lang verdrängt, als nicht so schlimm eingestuft. Ich war halt damals ein "Sensibelchen", dachte ich immer. Ich glaube ich wurde 3 Mal zur Kur geschickt, 2x irgendwo im Gebirge und einmal an der Ostsee. Wo genau, weiß ich nicht mehr. Ich kann mich daran erinnern, dass es dort keine Freundlichkeit gab, man hatte sich unterzuordnen. Der Tagesablauf war streng durchplant. Was auf den Tisch kam, musste gegessen werden. Egal ob es einem schmeckte oder nicht. Danach Mittagsruhe und da hatte man zu schlafen, sonst gab es Ärger. Briefe durften wir schreiben aber nur was uns diktiert wurde. Also haben natürlich alle das Gleiche geschrieben. Ich kann mich nicht an viel erinnern aber dass ich mich dort überhaupt nicht gut gefühlt habe, weiß ich noch sehr genau. Aber als Kind konnte ich es nicht benennen. Habe mich nie getraut es zu Hause zu erzählen. Ich gehe auch davon aus dass man mir nicht geglaubt hätte. Und ich weiß noch, dass ich zur Kur geschickt wurde weil ich angeblich zu wenig gewogen habe. Das kranke daran ist, dass ich jedesmal mit weniger Gewicht zurück kam. Ich nehme an vor lauter Kummer. Leider hat das damals aber niemand hinterfragt.
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Ulrich Nolden aus Langerwehe schrieb am 02.02.2021
1957 waren wir fast alle dünn und das galt per se als ungesund.
Ich vermute daher, dass mein Verschickungsgrund ein allgemeiner Mangelernährungszustand war.
Ich meine mich erinnern zu können, dass die Einrichtung in Stetten am kalten Markt in der Nähe von Sigmaringen in evangelischer Trägerschaft war. Empfangen wurden wir von einer Phalanx furchteinflößender Frauen in Schwesterntracht mit riesengroßen Hauben, die fast katholisch wirkten.
Das Empfangsritual endete mit einem Massenduschen der Neuankömmlinge.
Ich war fast zehn Jahre alt und vermutlich schon vorpubertierend, weil mir die große Anzahl der jüngeren weltlichen Mitarbeiterinnen der Diakonissen ungewöhnlich vorkam, die uns dabei hilfreich zur Hand gingen.
Ich habe mich vermutlich geschämt.
Es gab auch einige positive Erinnerungen. Ich habe nie wieder in meinem bisher 73jährigen Leben so köstliche „Dampfnudeln mit Vanillesoße“ serviert bekommen. Auch habe ich zum ersten Mal in meinem Leben leibhaftige Erfahrungen mit Solidarität gemacht:
Ich fand Suppen bis dahin für eine völlig überflüssige Ernährungsvariante. In Stetten jedoch war sie absoluter Zwangsbestandteil der Mittagsmahlzeit, Meckern wurde oft mit einem Nachschlag geahndet. Das führte, nicht nur bei mir, zu einem fundamentale Problem.
Unmittelbar nach dem Mittagessen war für zwei Stunden absolute Bettruhe im Schlafsaal mit 25 Betten angesagt, die streng von einer vor der Tür sitzenden Diakonisse überwacht wurde.
Austreten war ohne Ausnahme erst nach dem Mittagsschlaf erlaubt.
Ich habe nicht ein einziges Mal schlafen können, weil ich immer dringend pinkeln musste.
Anfangs habe ich mir damit geholfen, kleine Mengen in mein zusammengeknülltes Taschentuch zu urinieren, damit der größte Druck aufhörte. Einer der älteren Jungs, die weniger Angst vor den Haubenträgerinnen hatte, löste manchmal das Problem für die, die nicht schlafen konnten.
Er ging mit lautem Gepolter vor die Türe, wo ihn die Diakonisse mit in ihr Dienstzimmer nahm um ihn zur Rechenschaft zu ziehen. In der Zwischenzeit rannten wir schnell zur Toilette.
Meist konnten wir aber nicht mehr zurück, da die Mittagsschlafwache schon wieder Stellung bezogen hatte. Dann blieben wir im Klo, was nicht so schlimm war, denn von dort konnte man die startenden oder landenden Starfighter auf dem benachbarten Militärflugplatz beobachten.
Die Post nachhause wurde kontrolliert und von den Schwestern gesammelt. Unter uns Kindern kursierten die waghalsigsten Pläne, bei Ausflügen heimlich unzensierte Post nach Hause in Briefkästen zu schmuggeln. Geklappt hat es nie. Über mein Heimweh halfen mir zwei Tüten Backpflaumen, die mir meine Mutter mit der Post schickte.
Ich habe meine „Kinderholung“ als etwas erlebt, was man durchstehen muss, so wie eine unvermeidliche gottgegebene Prüfung. Es war ja schließlich eine kirchliche Einrichtung. Es bleibt zu vermuten, dass damals die Diakonissen die martialischen Erziehungsvorstellungen der Nationalsozialisten munter weiter tradierten, die sie vorher, zumindest teilweise, kooperativ teilten.
Aber das kannte ich schon aus der heimischen evangelischen Volksschule. Geprügelt wurde dort jeden Tag und der Turnunterricht begann immer mit einer halben Stunde Marschieren im Gleichschritt und Kasernenhofübungen.

Dermaßen geübt hat das Ganze bei mir zu einer psychischen Traumatisierung vermutlich nicht gereicht. Aber mein Körper reagierte. Nach den endlosen sechs Wochen am kalten Markt kam ich mit Fieber zuhause an, was dazu führte, dass ich nochmals vier Wochen nicht zur Schule gehen durfte.
Danach war ich genauso dünn wie vorher.
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Christiane Reiners aus Düsseldorf schrieb am 01.02.2021
Mir wurde um 20 Uhr mit der Taschenlampe im Schlafsaal in die Augen geleuchtet, um festzustellen, ob wir (6 Mädchen auf Schlafpritschen auf Kindergartenniveau der 60-ger) schon schlafen. Wer das nicht tat, konnte am nächsten Tag "seine Strafe" wählen: kein Nachtisch-oder keine Teilnahme am Abschlußfest- oder kein Ausflug, raten Sie was ein Kind dann wählt.
Meine vor Heimweh-strotzenden Briefe an die Eltern wurden abgefangen, angekommen (obwohl geschrieben) sind auch keine.
Sadismus und pädagogische Inkompetenz pur. Gabs das nicht schon einmal???

An mehr kann ich mich leider nicht erinnern, da Jg 1962.
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Sabine Langohr aus Aachen schrieb am 01.02.2021
Ich bin letzten Montag durch einen Beitrag im Radio (WDR2) auf das Thema aufmerksam geworden und war wie elektrisiert! Seitdem recherchiere und beschäftige ich mich damit. Mir war nicht klar, dass so unglaublich viele Kinder betroffen waren. Es hilft mir dabei, herauszufinden, wer ich bin und vor allem, warum ich so bin wie ich bin.
Ich war acht Jahre alt. Meine Erinnerungen und Erfahrungen decken sich im wesentlichen mit dem, war ich hier in den letzten Tagen gelesen habe. Angefangen vom Transport im Zug über die Essenproblematik, der erzwungenen Mittagspause, Untersuchungen, Bestrafungen, dem Gefühl unendlicher Verlassenheit. Auch ich lag mit einer Mittelohrentzündung und Fieber tagelang völlig allein im Schlafsaal.
In einem Beitrag hatte ich von jemandem gelesen, der/die 1963 oder 64 im gleichen Heim untergebracht war und berichtete, es sei während des Aufenthalts ein fröhliches Foto auf einem Pony gemacht worden. Ein genau solches Foto besitze ich auch noch. Mein Aufenthalt war 11 Jahre später!
Ich war ein sehr schüchternes und ängstliches Kind, das Produkt einer strengen Erziehung. Eine eigene Meinung oder gar Diskussionen gab es nicht, schlechtes Benehmen wie Lügen oder Widerworte wurde mir und meinen älteren Schwestern mit Schlägen "ausgetrieben". Die sogenannte "Kur" war also nur ein Puzzleteil einer auf Angst basierenden Erziehung.
Was mich sehr nachdenklich macht, ist dass meine Erinnerung an den Aufenthalt so vage und lückenhaft ist. Es gibt nur Bruchstücke und aufflackernde Bilder, die tief vergraben zu sein scheinen. Zunächst hatte ich mir das damit erklärt, dass ich die Zeit in einer Art Schockzustand verbracht haben muss. Nach den Berichten hier wäre aber auch vorstellbar, dass uns tatsächlich Medikamtente verabreicht wurden, Beruhigungsmittel, die genau das bewirkt haben könnten.
Ich habe eine Postkarte gefunden, die ich damals an eine Verwandte geschickt hatte. Der Wortlaut ist identisch mit dem hier hundertfach geschilderten. Darüber hinaus berichte ich aber von drei Freundinnen, die ich dort gefunden hatte, Birgit, Natalie und Patrizia. Es existiert ein Foto, das zeigt mich mit einem dunkelhaarigen Mädchen auf einem großen Stein sitzend, daneben ein weiteres Mädchen, kurzhaarig in Wanderkluft, stehend. Die Aufnahme stammt von einem Ausflug auf den Jenner. Sollte sich jemand wiedererkennnen, bitte nimm Kontakt zu mir auf. Ich meine mich erinnnern zu können, dass das stehende Mädchen Patrizia war und sich bereits während der Zugfahrt um mich gekümmert hatte. Sie war 12 Jahre alt. Birgit stammte möglicherweise aus Warendorf, sie war ebenfalls älter als ich. Vielleicht kann man durch einen Austausch diffuse Erinnerungen zusammenfügen.
Ich weiß nicht, wie lange Krankenkassen Unterlagen aufbewahren. Vieles wurde in den 80er und 90er Jahren auf Mikrofilm übertragen. Ich versuche, das herauszufinden.
Was mich aber in den letzten Tagen am tiefsten getroffen hat, war das Gespräch mit meiner Mutter. Ich wollte wissen, wer diesen Aufenthalt damals initiiert hatte, welche Organisation und welche Kostenträger beteiligt waren. Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass sie sich an nichts erinnern konnte. Sie sprach sofort von ihrer eigenen Kinderlandverschickung im Krieg, von ihren Kuraufenthalten, weil sie ja immer so krank gewesen sei. An meine Verschickung konnte sie sich nicht erinnern. Meine Erklärungen, die Schilderung meiner Erinnerungen und der Berichte, die ich mittlerweile gelesen hatte, tat sie schließlich mit dem Worten ab, sie habe den Eindruck, ich würde mir da etwas einreden. Ich hätte doch nach der Kur etwas erzählt, und sie würde sich doch erinnern können, wenn es mir dort und auch danach so schlecht gegangen sei.
Ich war und bin fassungslos. Meine Eltern waren immer mehr mit ihren eigenen Dingen und Problemen beschäftigt als mit unseren. Mir wird klar, dass sie uns eigentlich gar nicht wahrgenommen haben. Wir hatten zu gehorchen, nicht aufzufallen und gute Noten nach Hause zu bringen. Alles andere wurde auf die eine oder andere Weise bestraft.
Meine Mutter ist im Krieg, getrennt von ihrem Zwillingsbruder, aufs Land geschickt worden. Kurz vor Kriegsende wurden sie zurückgeholt und verbrachten die letzten Monate des Krieges und die Zeit danach in Angst, Kälte und Entbehrung. Eine Generation, die davon und durch eine strenge, religiöse und autoritäre Erziehung geprägt und traumatisiert war. Wie um alles in der Welt kann man das an die eigenen Kinder weitergeben? Ich unterstelle gar keine böse Absicht. Aber ich unterstelle Gedankenlosigkeit und Egoismus, ohne das eigene Tun je in Frage zu stellen. Ich bin verschickt worden, meine ältere Schwester auch, aber zeitversetzt und getrennt. Wie kann man so etwas tun, wenn man selbst als Kind verschickt worden ist? Wie kann man Kinder schlagen, wenn man es selbst als furchtbar und schrecklich empfunden hat und in ständiger Angst davor gelebt hat?
Ich erwarte auf diese Frage keine Antwort mehr. Ein Anerkenntnis und eine Entschuldigung hätten mir geholfen, aber ich glaube, auch darauf werde ich vergebens warten.
Ich bin deshalb unendlich froh, hier Verständnis und so viele Leidensgefährten zu finden. Danke an Frau Röhl und alle hier, dass dieses Thema an die Öffentlichkeit geholt und so offen darüber berichtet wird!
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Mechthild Eickel aus Arnsberg schrieb am 01.02.2021
Ich bin mit 6 Jahren im Februar ehe ich in die Schule kam für 6 Wochen nach Obersdorf in ein Kinderheim geschickt worden. Ich wog 32 Pfund. Ich musste 36 Pfund wiegen um in die Schule zu kommen. Meine Eltern wurden dazu überredet. Ich hatte ein gutes Elternhaus. Sie glaubten, dass es mir gut tun würde. Ich hatte sehr oft Heimweh. Es lag in Obersdorf sehr viel Schnee. Aber wir gingen sehr viel spazieren. Mein Problem war, dass ich keinen Speck mochte, dann musste ich brechen. So habe ich versucht den Speck immer auf dem Teller zu lassen. Wenn es bemerkt wurde, musste ich an einem Schrank stehen und dort zu Ende essen, was ich dann trotzdem nicht konnte, durfte dann nicht mit spazieren gehen. Es war aber eine nette Erzieherin da, die mir nach dem Mittagessen wenn wir im Bett waren, wir mussten immer einen Mittagsschlaf machen, eine Tüte Plätzchen unter die Bettdecke geschoben hat. So habe ich die 4 Kilo zugenommen die ich brauchte um in die Schule zu kommen. Ich kann nicht sagen, dass mir diese Kur geschadet hat. Es gibt gute und schlechte Erinnerungen. Meine Mutter freute sich über das Hockerpäckchen, dass ich Abends mit meinen Kleidungsstücken immer baute. Ich hatte auch was gelernt. So nehme ich das Gute aus dieser Zeit mit in meine Erinnerungen. Meine Tochter habe ich nie in eine Kur geschickt, obwohl sie auch sehr dünn war wo sie in die Schule kam. Ich wünsche allen die so schlimme Gewalttaten erlebt haben, dass sie sie eines Tages verarbeitet haben. Danke für die Berichte in der Tina. Herzlichst Mechthild Eickel
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Ingeborg Venecek aus Ebenfurth, Österreich schrieb am 31.01.2021
Ich wurde nach Bad Sachsa verschickt, weil ich untergewichtig war. Ich habe bereits im Alter von 2 1/2 Jahren Gewalterfahrungen gemacht. Im Kindergarten durch den Leiter, es waren sexuelle Übergriffe. Seitdem war ich zu dünn. Das verstärkte sich in Bad Sachsa noch.
1. Ständiger Durst, um nicht auf die Toilette zu müssen.
2. Ständige Panik, weil eine der Erzieherinnen uns ständig beobachtete.
3. Ständige Unfreiheit, kein Eigentum mehr besitzen dürfen, keine eigenen Bedürfnisse mehr haben dürfen.
4. Ständige Kälte, kaltes Wasser, kalte Böden, auf denen man barfuß in der Ecke stehen musste.
5. Keine Wärme oder Menschichkeit, abwiegen und ärztiche Untersuchung waren entwürdigend.
6. Ständige Stigmatisierung und Zwang, wenn man ab nahm oder den Fraß nicht essen konnte.
7. Die Heimleiterin hatte 2 Schäferhunde, die im Speisesaal ihr knurrend folgten. Sie schlich sich an, stand plötzlich, von den Hunden flankiert, hinter uns.
Ich kam abgemagert und völlig von Panik gezeichnet nach Hause. Dort war alle Aufmerksamkeit auf den neugeborenen Bruder gerichtet, ichwurde als schwierig und Lügnerin abgestempelt. Ich habe später meine Familie verlassen und habe nach Österreich geheiratet. Eine innere Verbundenheit habe ich nur zu meinem Bruder, den das gleich Schicksal mit ca. 6 Jahren ereilte. Ich konnte ihn nicht mit 9 Jahren davor bewahren , das machte unbewusst Schuldgefühle. Meine Eltern wollten mit dem kleinen 3 jährigen Bruder 3 Wochen verreisen.
Auch der 6 jährige kam apathisch aus Bad Sachsa zurück, er hat die 6 Wochen nur gekotzt. Auch hier gab es keine Reaktion der Eltern. Ich weiß aber von Anderen, dass die Eltern sich beschwert haben und auch was erreicht haben. Mein langjähriger Lebensgefährte war 6 Wochen in Bayern in einem Heim mit 3 Jahren. Sie bekamen sowenig zum Essen, dass er den Kalk von den Wänden kratzte. Für mich sind diese Heime eine Weiterführung von Lagern, in denen NS Erzieher das Sagen hatten. Aber wir haben es überlebt und auf meinen inzwischen erwachsenen Sohn sowie auf meine Enkelkinder achte ich sehr. Danke, dass Ihr mir mit Euren Berichten die Erinnerung wiedergeben habt!
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Venecek aus Ebenfurth schrieb am 31.01.2021
Liebe Elisabeth! Tausend Dank für Ihre Schilderung. Ich war 1960 zur " Kur" und ich kann mich genau an die Schäferhunde erinnern und meine panische Angst. Noch heute werde ich hysterisch, wenn ein großer Hund ohne Leine in meine Nähe oder die Nähe meiner kleinen Enkel kommt. Danke, Sie haben mir und auch meinem Bruder eine Türe zu unserem geöffnet.
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Axel aus Angelbachtal schrieb am 31.01.2021
Ich wurde wegen angeblicher rezidivierender Bronchitiden ca. 1955/56 über die Innere Mission in das Kinderheim Schlichter verschickt. Herr Schlichter, ein ehemaliger Wehrmachtsoffizier (lt. eigener Angabe) führte das Heim mit harter Hand (Züchtigungen) und harten Spielregeln. Man mußte essen, was auf den Tisch kam uund dies bis der Teller leer war. Süßigkeiten und Kuchen, den die Eltern schickten gab es nur, wenn man nach Hause schrieb und sich an die Spielregeln hielt. Die Erzieherinnen, Tanten, waren noch von der nationalsozialistischen Zeit und Disziplin geprägt. So verhielten sie sich uns Kindern gegenüber. Ich hatte unheimliches Heimweh. Damals waren viele Kinder aus Berlin Neuköln dort, die aus bescheidenen Verhältnissen stammten und gerade die Mädchen unsittlich berührten. Einzig durch Skifahren, das Herrn Schlichters Hobby war, fand ich Freiräume. Ich empfand die Zeit dort, die mit militärem Zwang verbunden war, unerträglich. Das die Innere Mission dort Kinder einbrachte, ist mir heute unverständlich. Erholung war die keine!!
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Hild Günter aus Remscheid schrieb am 31.01.2021
Ich will hier neu schreiben und einiges richtigstellen entgegen dem am 17. August 20 gegebenen Bericht

Hild Günter schrieb am 17.08.2020 um 5:22:
Ich war mit fast 10 oder 11 Jahren auf Norderney es muss 1965/6 gewesen sein und wir wurden einer genauen Tagesordnung ...........

also ich war fast 12 im Jahr 67 und ich kenne nun das Heim weil ich eine Postkarte fand die das Heim zeigt und bezeichnet.
wie die eigentliche Bahnfahrt vonstatten ging weiß ich nicht mehr nur das wir in Norddeich auf die Fähre Frisia 5 geführt wurden ( Schiffchen interessierten mich schon damals sehr -- bin dann als Wehrpflichtiger zur Bundesmarine als Heizer / Maschinist ) . in geringerer Form kenne ich die hier typisch vorgebrachten Behandlungen auch. Ich muss aber anbringen das ich wohl noch gut weggekommen bin. Das Highlight der 6 Wochen war eine Seefahrt mir der "Flipper" zu einer der Nachbarinseln von Norderney und eventuell mehrere Besuche des Seewasserwellenbades in Norderney. Das Haus existiert so nicht mehr -- an seiner stelle steht der Adresse gemäß das
Hus up Dün
Viktoriastraße 1 26548 Norderney
aber noch immer von AWO westl.-Westfalen mit Zentrale in Dortmund
es ist wohl nun ein Mutter und Kind Erholungsheim. eine Bilderstrecke ist in der Fotogalerie inzw. auf der 2. Seite - Frontbild ist die Jungengruppe - man kann mich von unten in 2. Reihe rechts entdecken / mein Kennbild ist da entnommen.
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Jo Jo schrieb am 30.01.2021
Meine Kindheit war durch Missbrauch und Gewalt geprägt. Mein Vater war (bzw. ist) Alkoholiker, die Familie deckt(e) ihn. Die DDR war ein geschlossenes System, in der die Familie einen besonderen Stellenwert hatte: Sie war heilig. Ein geschlossenes System in einem geschlossenen System. Kriminalität hatte es nicht zu geben. Als Opfer war man in der DDR zum Schweigen verdonnert. Nichts durfte nach außen dringen. Ein geschlossenes System in einem geschlossenen System. Man hatte keine Chance, Gehör (geschweige denn Verständnis) zu finden. Die DDR war geprägt durch Anpassung, Disziplin und Leistung. Bis heute habe ich das Gefühl, dass ich nicht reden darf. Während ich schreibe, klopft mein Herz wie wild. Ich traue mich nicht, meinen richtigen Namen zu nennen, weil ich sonst fürchte, bedroht zu werden. Meine jüngste Tochter hat mir Mut gemacht, an die Öffentlichkeit zu gehen.

Nachdem mein stark alkoholisierter Opa sich an mir vergangen hatte als ich ca. 6 Jahre alt war, habe ich versucht, mich meiner Mutter anzuvertrauen. Sie beschimpfte mich als Lügnerin. Bis heute möchte sie nichts davon hören, unterstützt mich nicht bei der Aufarbeitung und verdrängt ihre eigene Geschichte. Nach diesem schlimmen Ereignis wurde ich verhaltensauffällig und aggressiv. Zur Besserung schickte man mich in ein „Erholungsheim“ für schwer erziehbare Kinder nach Oybin. Für mich war es eine Bestrafung für eine Sache, für die ich nichts konnte.

Wie ich in das Heim gekommen bin, weiß ich nicht mehr. Mein Zeitgefühl verschwamm. Über die Länge des Aufenthaltes hatte ich keine Transparenz. Die Erzieherinnen gaben mir das Gefühl, dass ich für immer dableiben müsse. Ich habe innerlich abgeschaltet. Jeden Morgen mussten wir im Dunkeln aufstehen und dann bis 6 Uhr drillmäßig um das Haus joggen. Wer erschöpft war, musste weiter joggen. Ich erinnere mich daran, dass viele Dinge im Heim nackt gemacht werden mussten. Wir mussten unseren Körper massieren und bürsten und wurden dabei von Erwachsenen überwacht. Während wir nackt vor der Höhensonne umherliefen, standen hinter der Lampe Erwachsene, die uns dabei beobachteten. Immer wieder Untersuchungen, nackt. Tagsüber mussten wir kilometerlang bis zur Erschöpfung wandern. Beim Essen mussten wir so lange sitzenbleiben, bis aufgegessen war. Es gab keinen Spaß, kein Lachen. Ruhe. Als ich auf eine Postkarte an meine Eltern schreiben wollte, dass ich wieder nach Hause kommen will, musste ich meine Karte neu und schön schreiben. Nach dem Motto: „Mir geht es gut. Das Wetter ist schön. Alles ist supi.“ Erst dann wurde die Karte abgeschickt. Dieses hilflose Gefühl, alleingelassen zu sein und vielleicht nie mehr nach Hause zu kommen, werde ich nicht mehr vergessen. Mein Opa hatte mir vor der Kur versprochen, mir im Anschluss ein neues Fahrrad zu kaufen.

Über Facebook habe ich einen Mann angeschrieben, der als Kind mit mir zusammen in dem Heim war. Seit ich ihn darauf ansprach, was er in Oybin erlebt hat, erhalte ich keine Antwort mehr.

Im Laufe meines Lebens wurde ich mehrfach Opfer sexueller Gewalt, ich entwickelte eine Art Opferidentität. Dass ich in der DDR nicht alleine mit meiner Geschichte war, weiß ich. Meine Freundin wurde von ihrem Stiefvater ermordet, nachdem er sie jahrelang vergewaltigt hatte, sie schwanger von ihm wurde und sie sich letztlich dagegen wehren wollte. Als ich vor zwei Jahren ein Klassentreffen organisierte, kamen viele nicht, weil sie traumatisiert waren und keine Erinnerungen mehr an damals wollten. Ich habe hart dafür gearbeitet, dass das Treffen für alle zu einer neuen, positiven Erinnerung wurde (bevor meine eigenen Erinnerungen wiederkamen).

Auch mein Körper hat die Geschehnisse über viele Jahre verdrängt mit den Mitteln, die ich am besten konnte: Disziplin, Anpassung und Leistung. Erst letztes Jahr, als ich in einem Krankenhaus war und vorher eine Gehirnerschütterung hatte, kamen meine Erinnerungen wieder. Mein Leben änderte sich schlagartig. Ich wurde aus dem Krankenhaus mit der Diagnose „Posttraumatische Belastungsstörung und Amnesie“ entlassen. Seitdem fehlt mir jegliche Identität. Meine (Angst-)Gefühle sind oft heftig, die Erinnerungen nur bruchstückhaft. Seit dem Krankenhausaufenthalt versuche ich, die Puzzleteile meiner Vergangenheit zu sortieren. Den Kontakt zu meiner Herkunftsfamilie habe ich abgebrochen, um mich zu schützen.

Das Schlimmste, was ich auf dem Weg merke, ist, dass es immer noch sehr schwer ist, Menschen zu finden, die Verständnis haben und einen auf dem Weg begleiten wollen. Dass den Tätern daran gelegen ist, dass die Dinge nicht an die Oberfläche kommen, ist klar. Das Gleiche gilt für die Opfer, die sich oft schämen. Auch der Gesellschaft ist immer noch größtenteils daran gelegen, dass am besten alle Parteien schweigen. Das ist für mich schwer zu verdauen.

Die Corona-Zeit kam mir sehr gelegen, da so niemand merkte, dass ich ungern unter fremde Menschen gehe. Vor mir liegt noch ein langer Weg. Nichtsdestotrotz kann ich sagen, dass ich froh bin, dass ich mein inneres Kind wiedergefunden habe. Im letzten Jahr habe ich sehr viel geschafft. Diesmal weniger durch Disziplin, dafür mehr durch Wahrnehmung und Achtsamkeit.

Bislang habe ich noch nicht die Kraft gefunden, intensiv nach dem Heim in Oybin zu recherchieren, weil ich Angst habe, dass ich die Gefühle nicht verkrafte. Ich habe Bilder des Heimes, von dem es vermutlich keine Unterlagen mehr gibt, im Internet gesehen.

Ich wünsche euch allen, dass ihr euren individuellen Weg findet und eure Geschichten verarbeiten könnt. Wenn man einmal merkt, dass diese schlimmen Gefühle zur Vergangenheit gehören und man Einfluss auf das Hier und Jetzt nehmen kann, dann kann man nur gestärkt da rausgehen.
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Dieter Grahnert aus 85586 Poing schrieb am 30.01.2021
Ich war 1960 mit acht Jahren sechs Wochen in Weisel, Jagdhaus Dr. Stäckel, nahe St. Goarshausen.
Morgens und abends gab es Haferflocken, entweder als Suppe oder trocken mit Kakaopulver und Zucker. Als ich krank wurde und einige Tage im Bett bleiben musste, stand die ganze Zeit meine nicht gegessene Haferschleimsuppe neben meinem Bett, kalt und mit einer dicken Haut. Mehrmals täglich wurde ich angebrüllt, ich solle sie endlich essen.
An einem Bettpfosten, hieß es, sei ein Nasenpopel gefunden worden. Alle Jungs mussten daraufhin so lange vor ihren Betten knien, bis der Schuldige sich melden würde. Das dauerte ca. zwei Stunden, vielleicht auch viel länger. Die meisten Kinder haben geweint. Ein Schuldiger hat sich nicht gemeldet, zu groß war die Angst vor einer schlimmen Strafe.
Jeden Tag mussten wir nach dem Essen zwei Stunden Mittagsschlaf halten. Es wurde kontrolliert, dass wir die Augen geschlossen hielten. Wer nicht an Gewicht zugenommen hatte, musste von 11 bis 12 Uhr in die „Liegekur“. In dieser Stunde durften wir nicht miteinander sprechen, aber lesen.
Highlight der sechs Wochen war eine Fahrt auf dem Rhein. Schön war auch der Bau einer Hütte im umgebenden Wald.
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Heidi aus Dorsten schrieb am 30.01.2021
Der Bericht über die Verschickungskinder, der Artikel in unserer Tageszeitung trägt die Überschrift „Kinder-Kur in der Hölle“, hat die damaligen Erlebnisse bei mir wieder präsent werden lassen. Ich hatte die Erfahrungen gut verschlossen aufbewahrt, und verschlossen sollten sie auch bleiben. Als meine Eltern mir vor einigen Tagen den Bericht aus der Zeitung überreichten mit dem Kommentar: „Das ist doch ´was für dich“, habe ich den Artikel zusammengefaltet mit dem Hinweis „Lese ich mir zu Hause in Ruhe durch“ in die Tasche gesteckt. Trotzdem war ich froh, dass meine Eltern mir den Artikel gaben, da ich den Artikel am Tag der Veröffentlichung aus Zeitgründen nicht gelesen habe. Obwohl ich dachte, die Erlebnisse liegen doch schon so lange zurück, setzte bei mir sofort Herzrasen ein und ich haben 2 oder 3 Tage gebraucht, bis ich mir den Artikel durchgelesen habe. War ich bis dahin der Meinung, meine Erlebnisse waren schlimm, hat der Inhalt des Artikels mir Gänsehaut gemacht. Viele Grausamkeiten, die dort beschrieben wurden, musste ich nicht ertragen und/oder habe sie auch nicht wahrgenommen. Meine Erinnerungen sind auch nicht mehr sehr detailliert, vieles ist mit den Jahren verblasst.
In den Sommerferien zwischen dem 3. und 4. Grundschuljahr ( 1972 ) durfte ich in den Schwarzwald nach Hirsau zur Kur fahren. 6 Wochen lagen vor mir, auf die ich neugierig war. Da ich Jahrgang 1963 bin, war ich zu dem Zeitpunkt 9 Jahre alt. Die Zugfahrt war spannend, wir waren als Gruppe unterwegs. Mein Vater hat damals in Hervest - Dorsten ( heute Dorsten PLZ 46284 ) auf der Zeche Fürst-Leopold gearbeitet. Da das Geld bei meinen Eltern knapp war, haben sich meine Eltern gefreut, dass die Kinder der Bergleute die Möglichkeit bekamen, zur Kur zu fahren. Da auch ich angeblich zu dünn war, passte alles.
Bei unserer Ankunft wurde uns Schwester Waltraud vorgestellt, die für uns die nächsten 6 Wochen zuständig wäre. An das weitere Personal habe ich keine Erinnerung mehr. Ab in den Schlafsaal mit unserem Gepäck und auf zum Beziehen der Betten. Wie die Betten anschließend aussehen sollten, hat sie uns genau beschrieben. Das hätte auch bei der Bundeswehr jedem Apell standgehalten. Mein Bett war schnell bezogen. Dann fielen mir einige kleinere, jüngere Mädchen auf, geschätzt Kindergartenalter, die nicht zurechtkamen. Na dann ´mal schnell geholfen, einige weinten schon wegen der strengen Zurechtweisungen und wollte nach Hause. Mein Hilfsangebot brachte mir direkt den ersten Rüffel ein, da jeder für sein Bett selbst verantwortlich war. Aber manche Arme waren noch so kurz. Also haben einige ältere Mädchen und ich gewartet, bis die Aufsicht den Schlafsaal verlassen hatte und haben schnell geholfen, immer die Angst im Nacken, erwischt zu werden. Welche Strafe uns dann erwartet hätte, wussten wir nicht. Geschafft.
Obwohl ich ja schon 9 Jahre alt war, und damit zu den Älteren gehörte, war jeden Mittag für alle Kinder eine Pause von ca. 1 ½ Stunde angesagt. Zu Hause brauchte ich keine Pause machen und haben das auch erklärt. Geholfen hat es mir nicht, also habe ich mich jeden Mittag 1 ½ Stunde gelangweilt. Schlafen konnte ich in dem Schlafsaal auf Feldbetten mit allen anderen nicht. An die genauen Abläufe der folgenden 6 Wochen erinnere ich mich nicht mehr so genau. Am schönsten waren die Ausflüge.
Einige Punkte kann ich allerdings nicht vergessen und frage mich heute noch oft, wie die Frauen von damals mit ihrem Verhalten leben können/konnten.
Am wöchentlichen Wiegetag durften wir morgens erst nach dem Wiegen zur Toilette gehen, aber ich musste immer direkt nach dem Wecken. Wenn die Schlange vor mir, es wurden ja alle gewogen, sehr lang war, hatte ich manchmal schon Angst, mir in die Hose zu machen. Mädchen, denen das passierte bekamen Ärger und mussten beim Aufwischen helfen, egal wie alt oder besser wie jung sie waren.
Die Ausgabe des Essens war auch ein Punkt, an den ich mich gewöhnen musste. Aber das Prinzip habe ich schnell durchschaut. Wenn es etwas gab, das ich besonders gerne mochte, habe ich anfangs um Nachschlag gebeten. Dieser wurde mir dann verweigert oder die Portion fiel kleiner aus als bei den Anderen. Wenn es allerdings etwas gab, was ich nicht mochte, z. Bsp. rote Beete, und ich bat darum, dieses nicht essen zu müssen, bekam ich eine extra große Portion. Nachdem ich mich einige Male durch das Essen gekämpft habe, habe ich mir das System zu Nutze gemacht. Mochte ich etwas sehr gerne, haben ich darum gebeten nur eine kleine Portion zu bekommen, mochte ich etwas nicht so gerne, habe ich um eine größere Portion gebeten. Das hat meistens geklappt und machte die Mahlzeiten für mich erträglich. Spaß hat es auch gemacht, wenn es denn geklappt hat. Am Nachbartisch saß allerdings ein Mädchen, was sehr „schlecht“ aß und auch großes Heimweh hatte. Ich schätze, dass das Mädchen im Kindergartenalter war. Sie hat sich regelmäßig erbrochen, wenn sie etwas essen musste, was ihr nicht schmeckte, und musste, am Tisch mit den anderen Kindern, das Erbrochene essen. Als es ganz schlimm wurde, musste sie mit dem Teller aufs Klo und dort „aufessen“. Wenn es eben ging, „musste“ ich dann zur Toilette, was eigentlich während des Essens nicht erlaubt war, und konnte, wenn keine Aufsicht zu sehen war, das Essen in der Toilette entsorgen und dem Mädchen so helfen. Dabei hatte ich jedes Mal Angst, erwischt zu werden. Die darauf folgende Strafe habe ich zum Glück nicht kennengelernt. Oftmals musste die arme Kleine aber auch aufessen.
Wenn eine von uns etwas Schlimmes getan hatte, was das war kann ich nicht mehr sagen, konnte schon mal als Strafe ein ganzer Tag im Bett verordnet werden. Ob es dann etwas zu Essen und Trinken gab, kann ich nicht mehr sagen. Als ich einen Tag im Bett verbringen musste, warum auch immer, habe ich die Zeit genutzt um mir „Pipi Langstrumpf “ aus der Bücherecke im Flur zu entleihen. Das war selbstverständlich nicht erlaubt oder vorgesehen. Wir sollten doch den ganzen Tag über unsere Missetat nachdenken. Wenn die Aufsicht kam, um zu kontrollieren, ob bei mir noch alles in Ordnung war, habe ich das Buch schnell unter dem Kopfkissen versteckt und gehofft, dass ich nicht auffalle. Glück gehabt, aber ich habe während des Tages immer wieder überlegt, wie ich den Tag ohne Lesestoff überstanden hätte. Diese Strafe gab es auch für die Kleinen.
Einmal pro Woche durften wir einen Brief an die Familie schreiben. In meinem ersten Brief habe ich alles geschildert, was ich in der ersten Woche erlebt und gesehen habe. Nachdem ich den Brief vorgezeigt habe, die Briefe wurden kontrolliert, wurde dieser zerrissen und ich musste unter Aufsicht einen neuen „positiven“ Brief schreiben, der dann in die Post kam. Nach der zweiten Woche und dem zweiten Brief, bekam ich die Gelegenheit, die Briefe zum Briefkasten bringen zu dürfen. Wieso entzieht sich meiner Erinnerung. Die Kontrolle beim Schreiben wurde bei mir gelockert, weil die Schwestern den Kleinen helfen mussten und nicht überall sein konnten. Diese Lockerung habe ich dazu genutzt, zwei Briefe zu schreiben, einen für die Kontrolle und einen für den Briefkasten. Immer mit der Angst, dass der „richtige“ Brief für meine Eltern entdeckt wird, habe ich die Post zum Briefkasten gebracht und meine Briefe dann ausgetauscht. Der kontrollierte Brief landete dann zerrissen im Abfalleimer auf der Straße der richtige im Postkasten. Jedes Mal habe ich aufgeatmet, dass das Täuschungsmanöver nicht aufgefallen ist. Außerdem war ich froh, dass meine Mutter mir ausreichend Porto mitgegeben hat. Obwohl ich sicher war, dass das Verschwendung von wertvollem Porto war, wusste ich, dass meine Eltern mir diese Verschwendung nachsehen würden.
Als die 6 Wochen um waren, war das Team froh einen Erfolg verbuchen zu können, ich hatte tatsächlich etwas zugenommen.
Meine Eltern waren entsetzt, als ich endlich wieder zu Hause ankam. Sie hatten es gut gemeint und konnten nicht glauben, wie sie sich getäuscht hatten. Schlimmer war für meine Eltern noch die Tatsache, dass meine jüngere Schwester, geb. 1966, in jenem Jahr zum 2. Mal zur Kur war. Sie war im Jahr davor in 6 Wochen Hirsau und zeitgleich mit meinem Kuraufenthalt 4 Wochen auf Borkum. Da sie noch im Kindergartenalter war, hatte sie meinen Eltern von ihrem Aufenthalt und den Erlebnissen in Hirsau (1971) einige Vorkommnisse erzählt aber unsere Eltern haben ihr nicht geglaubt und alles Schilderungen auf ihre lebhafte Fantasie geschoben. Deshalb durfte sie noch ein zweites Mal zur Kur.
Den Rohentwurf für meine Schilderung ins Reine zu schreiben hat einige weitere Tage gedauert. Immer mal wieder sind die alten Erinnerungen bei mir aufgetaucht, aber auch wieder abgetaucht.
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Britta schrieb am 30.01.2021
Ich wurde heute auf den Bericht über "Kinderverschickung" auf Facebook aufmerksam. Mir war immer schon bewusst, dass ich mit knapp 6 Jahren 1969 auf Wyk auf Föhr war, da meiner Mutter durch den Hausarzt gesagt wurde, dass ich zu dünn war (heute würde man das sicher anders sehen) und er meiner Mutter für mich diese "Kur" verschrieb. Ich kann mich heute nicht daran erinnern, wie ich dorthin kam und was dort passiert ist. Irgendwie ist da ein dunkles Loch in meiner Erinnerung. Durch Erzählungen meiner Mutter weiss ich, dass in dem Kinderheim, nachdem ich 3 Wochen dort, war Mums ausbrach. Scheinbar wurden die Eltern darüber informiert, denn mein Vater hat sich bei schlechtestem Wetter von Düsseldorf aus nach Föhr aufgemacht, um mich dort abzuholen. Und komischerweise kann ich mich ab dem Zeitpunkt auch wieder daran erinnern, dass ich zusammen mit meinem Vater in einem ganz dunklem großem Zimmer bei der Heimleitung gesessen habe (keine Ahnung, ob es wirklich so groß und dunkel war) und von der Heimleiterin einen klitzekleinen Seehund mit Echtfell geschenkt bekommen habe, den ich wie einen Schatz jahrelang gehütet habe. Ich kann mich auch ganz genau daran erinnern, dass ich mit meinem Vater bei übelstem Wellengang nach Dagebüll übergesetzt bin und dort mit ihm in einem kleinen Hotel übernachtet habe und am nächsten Tag weiter nach Düsseldorf nach Hause gefahren bin. Dort angekommen bin ich mit meinem 6 Jahren meiner Mutter wochenlang wie ein Hündchen hinterher gelaufen, das weiss ich auch noch und habe um ihr zu gefallen Dinge gegessen, die ich vor der "Kur" nie gegessen hätte.
Es kann nur so sein, dass dort furchtbare Dinge passiert sind, ansonsten kann ich mir nicht erklären, dass mir so gar keine Erinnerung an diesen Aufenthalt geblieben sind.
Meine Mutter, der ich heute einige Artikel über die sogenannten Verschickungsheime geschickt habe, schien völlig ahnungslos und meinte nur: du sahst damals aber gut erholt aus.
Ich frage mich heute natürlich, hat sie damals schon die Augen davor verschlossen und tut es heute noch? So richtig reden über diese Zeit wollte sie heute auch nicht wirklich mit mir und meinte nur, als ich sagte, ich habe gar keine Erinnerung daran, dass man sich ja eh nicht daran erinnern kann, was man mit 6 Jahren erlebt hat. Das wage ich stark zu bezweifeln, da ich mich ja ab dem Zeitpunkt an alles erinnern kann, als mein Vater mich dort abholte.
Vielleicht habe ich aber auch Glück, dass mich scheinbar ein Schutzmechanismus die letzten 50 Jahre vor den Erinnerungen geschützt haben.
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Klaus aus Pforzheim (heute HH) schrieb am 30.01.2021
Mich hat es 1964/65 mit 2-3 Jahren "erwischt", da durfte ich zur "Kur" nach Friedenweiler. Dort war ich, soweit ich weiß, fast 3 Monate.
Ich kann mich natürlich nur sehr brüchstückhaft erinnern:
Nachts ins Bett gemacht, dafür Ohrfeigen von diesen "Schwestern" und eine (ich glaube kalte) Dusche. Dazu Beschimpfungen, dass man aufhören solle zu heulen...
Essen war scheußlich, wurde aber aufgegessen, egal, wie lange es dauerte.
Nicht "brav" gewesen oder (zum Mittagsschlaf) nicht im Bett geblieben: Mit Geschirr im Bett fixiert. Ganz übel !
Nikolauspaket von den Eltern wurde unterschlagen. Stattdessen gabs einen alten, runzligen Apfel incl. maximaler Enttäuschung.
Sich mit 3 Jahren völlig von den Eltern verlassen und ausgeliefert zu fühlen war die eigentliche Katastrophe.

Eine große Erleichterung, dass das Thema hier nun einen Namen und ein Forum findet !
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Matthias aus Köln schrieb am 29.01.2021
Hallo,

ich war im November/Dezember 1965 im Alter von 9 Jahren in diesem Kinderheim Bergsonne in Garmisch-Partenkirchen. Ich erinnere mich noch gut an das fürchterliche Essen. Ich habe heute noch den Geruch von totgekochten und angebrannten Kartoffeln in der Nase und sehe immer noch meinen Suppenteller vor mir, der bis an den Rand mit mehligen, kalten ekelhaft riechenden Erbsen und der dazugehörigen Soße gefüllt war. Als Nachtisch gab es fast ausschließlich Vanille-Pudding mit einer ekelhaft, dicken Haut. Wir mussten selbstverständlich immer alles aufessen. Manche Kinder erbrachen das Essen, und mußten entweder ihr Erbrochenes mit einem ekelhaften Putzlappen und kaltem Wasser wegwischen, oder wenn sie in den Teller erbrachen, mussten sie ihr erbrochenes essen. Weigerten sie sich, mussten sie mehrere Stunden am Platz sitzen bleiben. Eine gütige und freundliche Küchenkraft nahm irgendwann den Teller weg und sagte: „Wir verraten nichts, Du hast alles aufgegessen......geh jetzt“. Jeden Morgen wurden wir auf die Waage gestellt und der unfreundliche Arzt horchte unsere Lungen ab. Wir mussten immer tief ein- und ausatmen. Das oberste Ziel dieser Kur war, dass wir alle zunehmen mussten, nur dicke Kinder sind gesunde Kinder.......Ich verliebte mich bei diesen Untersuchungen in eines der Mädchen und kasperte ein wenig herum, indem ich sie anlächelte und das Einatmen nachahmte. Sie lächelte zurück, dass war ein wunderschöner Moment in dieser Hölle. Eine „Tante“ sah mich beim Kaspern, ergriff meinen Arm, drückte fest zu und zog mich in ein anderes Zimmer. Ich weiss nicht mehr, was sie sagte, ich weiss nur noch, dass ich bitter enttäuscht und verzweifelt war, weil ich mich völlig unschuldig wähnte.

Wir schliefen getrennt von den Mädchen, dafür mit Jungs, die sicherlich 14 oder 15 oder noch älter waren. Wenn die „Tanten“ das Licht löschten und in ihre Zimmer gingen (sie tranken dort meist Sekt, ich hatte sie einmal beobachtet...) begann das Martyrium im Schlafsaal. Die großen Jungs zogen den Kleinen die Bettdecken über den Kopf, zogen ihnen die Pyjama-Hosen herunter und egötzten sich daran. Manche befriedigten sich dabei. Ich sah die Jungs auf mein Bett zukommen und rutsche in Windeseile unter mein Bett in den Staub. Sie verschonten mich.....hatten am anderen Abend andere verrückte Ideen. Wir Kinder konnten immer erst spät einschlafen, weil die Großen immer irgend etwas anstellten.

Am 6. Dezember hatte sich dann der Nikolaus angekündigt, er kam mit Knecht Ruprecht (oder wie wir in Köln sagen...Hans Muff), schimpfte laut und versetzte uns in Angst und Schrecken. Viele Kinder weinten und hatten Angst. Der Knecht Ruprecht wollte dann auch noch ein Mädchen in den Sack stecken, sie schrie so, dass er davon abließ. Also der Nikolaustag war auch eher eine Horrorshow, zumindest habe ich das so in Erinnerung.

Dann erkrankte ich (mal wieder eine Angina - Das war der Grund, warum ich hier war...) wurde ins Bett gesteckt und in dem relativ großen Schlafsaal alleine gelassen. Alle verließen das Haus zum täglichen Spaziergang durch die Winterwelt, ich lag mutterwindallein in diesem Haus und weinte laut. Ich weiss noch, dass ich immer wieder rief „Ich will nach Hause....Mutti hol mich ab“. Eine Tante hatte mir ein Buch ans Bett gelegt und gesagt, ich könne ja ein bischen lesen. Das tat ich, und tauchte im wahrsten Sinne des Wortes mit Hans Hass in die Ozeane der Welt. Hans Heinrich Julius Hass war ein österreichischer Zoologe und Meeresforscher, der vor allem durch seine Dokumentarfilme über Haie und seinen Einsatz für den Umweltschutz bekannt wurde. Ich verschlang die Geschichten über Haie und das Tauchen und vergaß für eine Weile mein Heimweh. (Anmerkung...Oh......ich hoffe, ich langweile Euch nicht, es sprudelt gerade einfach aus mir heraus). Komischerweise kann ich mich überhaupt nicht daran erinnern, wie und was wir spielten, wo wir uns den ganzen Tag aufhielten, wie wir unsere Zeit verbrachten. Es kann ja nichts spektakuläres gewesen sein. Ach ja, wir fuhren ein Mal ins Schwimmbad, durften ein wenig plantschen und durften uns nur am Beckenrand aufhalten. Die Tanten standen am Beckenrand und unterhielten sich angeregt. Wäre ein Kind ertrunken, sie hätten es nicht gemerkt.

Eigentlich weinte ich jede Nacht, ich tat es leise, damit mich niemand auslachte und die Tanten es nicht mitbekamen. Ich hatte Angst, dass sie schimpfen.

Wir mussten jede Woche eine Postkarte nach Hause schicken. Beim ersten Mal schrieb ich: Bitte holt mich ab, ich will nicht hier sein, ich will nach Hause, bitte (oder so ähnlich). Die Tanten schauten uns beim Schreiben über die Schulter, und diktierten uns den Text. Meine Postkarte wurde zerrissen, ich musst dann schreiben: Es geht mir gut, hier ist es schön...etc..

Diese vier Wochen haben Spuren hinterlassen. Trennungsängste, Albträume und Schreckhaftigkeit. Ich komme damit sehr gut zurecht und fühle mich nicht sonderlich eingeschränkt, trotzdem ist da etwas in mir kaputt gegangen. Vor 2 Jahren erlitt ich eine mittelschwere Depression und Panikattacken. Habe das Gott sei dank gut im Griff, auch dank meiner ganz hervorragenden Psychotherapeutin. Wir sind noch nicht so richtig dazu gekommen, diese meine Erlebnisse aufzuarbeiten, aber das wird ein wichtiger Punkt meiner Therapie sein.

Ich wünsche allen, die noch viel schlimmere, teils traumatische Erlebnisse hatten viel Kraft und Zuversicht.
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Andrea Th. aus Leipzig schrieb am 29.01.2021
Ich wurde aufgrund meiner Haltungsschwäche und wegen Untergewicht nach Bad Elster geschickt - 8 Wochen sollte ich bleiben. Es war eine Katastrophe. Es waren Diakonissinnen, die uns betreuten. Es gab Esszwang, es gab Psychoterror, ich habe oft nicht gegessen, musste dafür zur Strafe auf der hölzernen Bank in der Küche schlafen, man nahm einem das Spielzeug weg, Schlafsaal mit 20 Kindern war auch furchtbar, die Größeren quälten die Kleinen, das habe ich niemals vergessen können und wohl auch nie wirklich verarbeitet. Es war einfach die Hölle für mich. Nach 6 Wochen holte mich meine Mutter ab, ich lag mal wieder auf der Küchenbank. Sie war sehr erschrocken über meinen Gesamtzustand, ich hatte abgenommen und war psychisch total durch den Wind. Als der Arzt dann sagte, dass ich noch einmal zur Kur müsste, hat meine Mutter das zum Glück verhindert.
Ich bin froh, dass es eine Stelle gibt, an der ich das mal loswerden kann, sowas sollte niemand erleben müssen. Schon gar nicht ein Kind.
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Dieter Hermanns aus Aachen schrieb am 29.01.2021
Ich bin durch Spiegel Online auf Sie aufmerksam geworden und möchte kurz von meinen eigenen Erfahrungen berichten:
Nach der Scheidung meiner Eltern 1963, als ich mit 5 Jahren von meinem Vater und meinem älteren Bruder getrennt worden war, ergab die damals übliche Vorschuluntersuchung, dass ich 6 Pfund Untergewicht hatte. Deswegen wurde eine 6-wöchigeVerschickung (ich sage zum Mästen) in den Schwarzwald veranlasst. Ich hatte Angst davor und habe meine Mutter immer wieder gefragt, wie viele Möhren ich noch essen muss, damit ich nicht weg muss.
Ein Erlebnis dort war das Osteressen. Nach dem ohnehin opulenten Mahl sollten wir Kinder noch einen Schokoladen-Osterhasen XL in uns hineinstopfen. Als ein Kind sich übergeben musste, wurde es gezwungen, das Erbrochene vom Teller wieder aufzuessen.
Nach jedem Mittagessen mussten wir ins Bett, müde oder nicht. Aus Angst vor Bestrafung habe ich mich immer schlafend gestellt, wenn die Aufpasserin in der Nähe war. Weil mir die Fingernägel nicht geschnitten wurden, begann ich dort, die Fingernägel abzuknabbern, was ich bis in meine Zwanziger nicht aufgeben konnte und dessen ich mich immer geschämt habe.
Am schlimmsten fand ich im nachhinein, dass mir keiner der Erwachsenen, auch meine Mutter nicht,
die Geschichte mit dem Erbrochenen geglaubt hat.
Erst viel später, als ich schon über 50 war, habe ich in einem Arbeitskollegen und einem weiteren Freund, beide 2 Jahre jünger als ich,
2 Leidensgenossen gefunden, die unabhängig voneinander über ähnliche Erfahrungen berichteten, beide im Schwarzwald. Ich war seitdem nie wieder dort, auch wenn ich bei einem Ausflug auf den Feldberg den damals höchsten Schnee meines Lebens gesehen habe.
Ach ja, in den 6 Wochen habe ich 3 Pfund zugenommen, das hat dann für die Einschulung gereicht.
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Elmar Ritzenhoff aus Wuppertal schrieb am 29.01.2021
Die ARD-Reportage hat mich derart aufgewühlt, so dass ich mir doch jetzt einmal meine Erfahrungen mit dem Kinderkurheim Quisisana in St.-Peter-Ording von der Seele schreiben muss.

Als achtjähriges Kind hatte ich oft fiebrige Infekte mit Temperaturen von 39 Grad. Daraufhin wurde auf Anraten des Arztes eine Kinderkur empfohlen. Die Kur sollte vom November 1971 für fünf Wochen im Heim Qusisana in St.-Peter-Ording erfolgen.

Da mein Vater privat versichert war, wurde ich nicht in einem Kindertransport, sondern von meiner Mutter dort hin gebracht. Am späten Nachmittag kamen wir in St.-Peter-Ording an und ich wurde im Heim "abgegeben". Meine Mutter übernachtete in einem Hotel nebenan und wollte mich am nächsten Morgen noch einmal sehen. Aber das wurde sofort von der Betreuerin "Tante Herta" abgeblockt.

Die Erinnerungen an diese Zeit verfolgen mich bis heute. Es gab einen Schlafsaal mit ca. 30 Betten für die Jungen. Gespräche untereinander, Weinen aus Heimweh, Toilettengänge etc. waren streng verboten. Es hatte nachts absolute Ruhe zu herrschen. Die Mädchen hatten ihren eigenen Schlafsaal und über die ganzen Wochen gab es keinen Kontakt der Gruppen. Allenfalls sah man sich beim Gang in die unterschiedlichen Speisesäle. Ansonsten herrschte absolutes Kontaktverbot.

Einmal in der Woche wurde geduscht und zwar in einem Raum, in dem 10 Duschen an der Decke des Raumes angebracht, unter denen sich mindestens 15 unbekleidete Jungen zusammendrängten. Und alles unter Aufsicht von "Tante Herta". Ich empfand das als sehr entwürdigend.

Das Essen war mehr oder weniger immer dasselbe. Ich erinnere mich besonders an eine Obstsuppe (mehr oder weniger sirupmäßig), die es nahezu jeden Abend gab. Frisches Obst gab es über die ganzen Wochen nicht.

In diese Zeit fiel auch mein 9. Geburtstag. Meine Eltern hatten mir ein Paket mit Geburtstagsgeschenken geschickt, das ich geöffnet erhielt. Mit den Worten "Selber essen macht fett!" (ich hasse seitdem diesen Satz...) wurden sofort sämtliche Süßigkeiten konfisziert. Ich habe nie etwas davon wiedergesehen. Es blieben mir somit nur zwei Kartenquartette und ein Buch übrig.

Korrespondenz mit zu Hause wurde strengstens kontrolliert. Es hatte alles wunderschön zu sein. Kritische Anmerkungen hatten die Folge, dass der Brief zerrissen und neu geschrieben werden musste. Wenn meine Eltern im Heim angerufen haben, um mit mir ein paar kurze Sätze zu sprechen, wurden sie mit dem Hinweis abgewiesen, es ginge mir sehr gut. Und das war's dann auch.

Zu Beginn des Dezembers wurde ein Adventskalender im Speisesaal aufgehangen. Eine runde Pappplatte, an der pro Tag ein einziges Bonbon befestigt war. Das "liebste" Kind (natürlich ausgewählt von "Tante Herta") durfte sich das dann nehmen. Bedeutete also, dass jeden Abend regelmäßig ca. 29 Kinder enttäuscht waren.

Nach fünf langen Wochen war dieses Martyrium dann endlich zu Ende und meine Mutter holte mich wieder ab. Es war ein solcher Glücksmoment, dass ich bis zum heutigen Tag noch genau weiß, dass es morgens um 07.30 Uhr war und welche Kleidung sie getragen hat. Zu Hause haben mich meine Eltern nicht mehr wiederkannt. Vor der Kur war ich ein fröhlicher Junge, der gern gespielt und vor allem erzählt hat. Jetzt war ich total ruhig, schüchtern und verängstigt. Anfangs habe ich meine Eltern wegen allem um Erlaubnis gefragt, zum Beispiel, ob ich zur Toilette dürfe etc. Es hat lange gedauert, bis ich wieder "normal" wurde.

Es waren die schlimmsten fünf Wochen meines Lebens und sie wirken bis heute noch nach. Ich habe St.-Peter-Ording nie wieder gesehen und will es auch nicht, obwohl es dieses Kinderheim schon lange nicht mehr gibt. Es ist schon traurig, wenn man sich ein neunjähriges Kind schon selbst schwört, seine eigenen Kinder nie in eine Kur zu schicken (ich habe es aufgrund meiner eigenen Erfahrungen auch nie in Erwägung gezogen). Aber das war nur die Folge der schlimmen Zeit, in der viele Kinderseelen für ihr ganzes Leben geschädigt wurden.
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Tomas Kurth aus Stuttgart schrieb am 28.01.2021
Hallo zusammen!
Ich will es kurz machen:
Nachdem mein Vater unter tragischen Umständen zu Tode kam wurde ich in die Grundschule geschickt. Mein Klassenlehrer war entnazifiziert, aber uns schlagen durfte er damals noch.
Dann kam meine alleinerziehende Mutter auf die glorreiche Idee mich sechs Wochen an die See zu schicken.
Das war dann das nächste Trauma!
Die meiste Zeit dämmerte ich auf der Krankenstation, denn ich bekam alle Kinderkrankheiten auf einmal. Die restliche Zeit waren ebenfalls die Hölle.
Ich durfte nicht auf die Toilette, wenn ich abends musste, für´s Bettnässen wurde ich bestraft.
Bis heute kann ich verschiedene Dinge nicht esesn, weil ich zum essen gezwungen wurde. Es waren alles in allem sechs Wochen die blanke Hölle für mich.
Vor ein paar Jahren lief ich auf SYLT an einem ehemaligen NSDAP Heim vorbei, da kam das Grauen wieder in mir hoch!
Was für ein Scheiss!

freundliche Grüße und danke für diese Initiative!
Tomas Kurth
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dietmar pyko aus münchen schrieb am 28.01.2021
Spiegel.de 27.01.2021, »Ich hatte Todesangst. Dann verlor ich das Bewusstsein«

Was wir wohl alle mehrheitlich erlebt haben: Empathielosigkeit gepaart mit menschlicher Kälte, Demütigungen, punktuellem Sadismus ... Briefzensur. Ein Klima der Angst und des Verlorenseins. Und nach der Rückkehr: Ungläubigkeit der Eltern gegenüber den Schilderungen des Erlebten.

Mit 6 Jahren wurde ich alleine in Frankfurt am Main in den Zug auf meine Reise zur 6 –wöchigen „Erholung“ nach Borkum gesetzt. Ich erinnere überdeutlich die vielen Ermahnungen zum richtigen Verhalten und Benehmen, die mir meine Elternschaft noch haben angedeihen lassen. Darunter auch so schöne Sachen wie: Man spricht nicht von „zur Toilette gehen zu müssen“ oder gar nur „ich muss mal pinkeln“ Nein! Es heißt „austreten“. Solchermaßen kernig ausgestattet; die Klamotten natürlich komplett mit Namenschriftzügen versehen, einer mit einer Sicherheitsnadel an der Jacke befestigten filzenen, orangefarbenen Kokarde ging´s also los. Der Rest ist Geschichte. Doch nicht ganz.

Beim Durchlesen der vielen Schilderungen der Erlebnisse in diesem Forum ist mir aufgefallen, dass nur verschwindend wenige von Denunziation oder gar von ritualisierter Denunziation seitens des Heimpersonals berichten.

Ich erinnere ein bereits etabliertes Denunziationsystem, das wie folgt ablief:

1. Alle waren aufgefordert Regelverstöße zu melden
2. Für das Melden von Verstößen gab es eine Belohnung
3. Die Meldungen hatten (ausschließlich) im Speiseraum direkt vor dem Beginn des gemeinsamen Abendbrots zu erfolgen
4. Hatte ein Kind etwas zu „melden“ so musste dieses Kind vom Stuhl aufstehen und die Meldung mit dem Worten beginnen: „Ich habe etwas zu melden“
5. Das Kind durfte sich dann als „Belohnung“ direkt danach aus einer dafür bereitstehenden Schale ein Bonbon nehmen.

Ich halte diesen Teil der Unterdrückung für besonders wichtig, macht er doch die Kinder zu einem Teil des Systems der Unterdrückung. Neben allen sonstigen Erniedrigungen und Misshandlungen usw. ist dies für mich das Übelste, da sich hier nicht nur ein Individuum gegen ein anders „stellt“, sondern ein System gegen ein Individuum „stellt“.

Ich glaube, dies stark zu erinnern, aber eben auch: ich-bin-mir-nicht-wirklich-sicher, ob ich dbezgl. meinen Erinnerungen wirklich trauen kann.

Also wenn Ihr gleiche oder ähnliche Erinnerungen/ Erfahrungen habt – natürlich auch aus anderen Einrichtungen - wäre ich sehr interessiert daran, davon zu lesen.

Beste Grüße aus München

Ich glaube, dies stark zu erinnern, aber eben auch: ich-bin-mir-nicht-wirklich-sicher, ob ich dbezgl. meinen Erinnerungen wirklich trauen kann.

Also wenn Ihr gleiche oder ähnliche Erinnerungen habt – natürlich auch aus anderen Einrichtungen - wäre ich sehr interessiert daran, davon zu lesen.

Beste Grüße aus München
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Schütze, geb. Bott aus Berlin schrieb am 28.01.2021
In guter Absicht meiner Eltern, bin ich als 5 Jährige nach Storzeln in ein Kinderverschickungsheim verschickt worden. Meine Erinnerungen sind zum Glück sehr begrenzt, haben mich aber ein Leben lang sehr nachhaltig begleitet. Ich sehe mich beim Abschied von meiner Mutter weinend im Reisebus sitzend, ich konnte es gar nicht fassen, weshalb ich weg sollte. Im Heim erinnere ich mich an einen riesigen Schlafsaal, mein Bett stand ganz hinten an der Heizung und vor Heimweh habe ich mehrmals eingenäßt. Das Bett musste ich selbst neu beziehen. Die schlimmste Erinnerung habe ich an Milchnudeln. Ich musste mich erbrechen, einmal direkt in den Teller und einmal in der Toilette. Diese musste ich komplett, mit Wänden säubern, den Teller sollte ich weiter aufessen. Ich glaube ich konnte mich dem Widersetzen, aber ich trinke bis heute keine Milch und habe mit 11 Jahren zum ersten Mal Käse probiert. Die schöne Erinnerung ist eine hinter dem Haus gelegene Wiese, die mit gelben Schlüsselblumen übersäat war. Meine Mutter machte sich Jahre lang Vorwürfe, dass sie mir dies angetan hatte. Aber wenigstens glaubte sie mir und ich denke das hat meiner Seele gut getan. Bis heute trinke ich keine Milch und hasse Abschiede.
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Helga Wiesmann aus Saarbrücken schrieb am 28.01.2021
Ich war als Kind sehr dünn und hatte chronischen Husten in der Nacht und sollte in eine Kur um Gewicht zu gewinnen. So kam ich nach Spiekerog in ein Heim, es müssen 4 oder 6 Wochen gewesen sein. Eine Zeit, in der ich mich verlassen fühlte, einsam und alleine. Ich hatte so gut wie keinen Kontakt zu den anderen Kindern. Zumindest erinnere ich das nicht. Ich musste essen, vor allem Schmalz. Ich ekelte mich davor. Wir mussten nach dem Essen das Geschirr über den Hof in die Küche tragen und ich erinnere mich daran, auf dem Hof in das Geschirr erbrochen zu haben. Ich glaube, ich musste noch mehr essen. Meine Mutter schrieb mir mal eine Karte und auch einen Brief und schickte ein Päckchen, das mir nicht ausgehändigt wurde. Ich bekam von dem Päckchen eine Tafel Schokolade, das war's. Ich wurde auch nicht gefragt, mit wem ich das Päckchen gerne teilen würde, es wurde einfach verteilt. Ich war unendlich traurig. Mit dem Brief im Bett weinte ich weil ich fürchterliches Heimweh hatte. Ob ich zurückschreiben durfte, das weiss ich nicht mehr. Wir schliefen in einem großen Saal, wir mussten still sein und wurden bewacht. Wenn jemand weinte, dann wurde sie ausgeschimpft.
Ich hatte Angst, Heimweh und fand mich nicht zurecht. Dass ich essen musste - und vor allem Dinge, vor denen ich mich ekelte - hat dazu geführt, dass ich bei der Heimkehr dünner als vorher war.

Das Heim in Freudenstadt ist mir weniger in Erinnerung. Es war wohl nicht so schlimm wie auf Spiekerog. Oder noch schlimmer, sodass ich keinen Zugriff darauf habe.
Auf jeden Fall erinnere ich mich daran, dass ich einen Traum hatte, der sich wiederholte - ich mag so 8 oder 9 Jahre alt gewesen sein. Da brannte das Kinderheim. Ich war froh darüber. Dafür hatte ich ein schlechtes Gewissen.
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Elisabeth Sch. aus Marl schrieb am 28.01.2021
Da ich nach einer Tuberkuloseerkrankung viel zu dünn war, empfahl das Gesundheitsamt eine 6-wöchige Kur in Bad Sachsa. Es wurden die schrecklichsten 6 Wochen meiner Kindheit. Militärischer Ton bei der Ankunft, alle Sachen wurden abgenommen, auch die mitgebrachten Süßigkeiten. Ich kam in ein Zimmer mit sechs oder acht Mädchen, das hinten links am Ende eines langen Flures lag. Gegenüber auf der rechten Seite schliefen etwa gleichaltrige Jungen. Die Türen zum Flur blieben auch nachts auf, und zwischen ihnen saß unter einem Fenster eine Aufsicht, die aufpasste, dass wir nicht redeten oder gar aufstanden. Dabei aß sie unsere mitgebrachten Süßigkeiten auf. Gewaschen mit kaltem Wasser haben wir uns an einem Waschbecken im Zimmer.
Samstags, einmal wöchentlich, ging es zum Duschen in den Keller. Da herrschte militärischer Drill. Ich erinnere mich, dass im kalten Duschraum acht oder zehn Duschen nebeneinander ohne Abtrennung oder Vorhang angebracht waren. Zu ihm führe ein ungeheizter Vorraum mit zwei Türen. Hier musste immer eine abgezählte Gruppe sich ausziehen und warten, bis links die bereits Geduschten herauskamen. Mit der Seife und dem Waschlappen (man durfte sich nicht selbst zwischen den Beinen berühren) in der Hand ging es rechts in den Duschraum. Dann hieß es "Wasser an", man machte sich nass, "Wasser ausdrehen und einseifen", anschließend "abspülen, aber zackzack" und "Wasser aus". Dann verließen wir den Duschraum im Gänsemarsch. Wenn man nicht schnell genug war und heißes Wasser "verschwendete", wurde man zur Strafe noch mit kaltem Wasser aus einem Schlauch abgespritzt.
Unsere Kleidung, die zu Hause mit dem jeweiligen Namen versehen war, befand sich in einem riesigen großen Schrank im Flur und wurde uns zugeteilt. Als ich am zweiten Tag darauf aufmerksam machte, dass ein anderes Mädchen mein Sonntagskleid trug, wurde ich angeschrien, dass ich den Mund halten sollte. Damit war ich sofort als Störenfried gebrandmarkt.
Besonders schlimm war für mich Sechsjährige der zweistündige Mittagsschlaf. Man wurde vorher zur Toilette geschickt, die sich auf dem Flur befand, und dann musste man still im Bett liegen und sollte schlafen. Konnte ich aber nicht. Man durfte nicht sprechen oder sich anderweitig bemerkbar machen. Als ich leise die Aufsicht im Flur fragte, ob ich zur Toilette gehen könne, hieß es "du warst ja vorhin". Sie verbot es mit drastischen Worten und beschimpfte mich, dass ich die anderen Kinder im Schlaf störe, und als Folge machte ich ins Bett. Da ging es dann erst richtige los: ich wurde wieder - diesmal lautstark, so dass auch die Jungen gegenüber alles hören konnten - beschimpft. Dann wurde die Heimleiterin dazu geholt. Das war eine Frau in einem schwarzen Kleid, die nie lächelte, sondern uns mit kalten Augen musterte und mich ebenfalls anbrüllte. Dann befahl sie mir, mein Bett abzuziehen. Anschließend stand sie neben mir am Abgang zum Treppenhaus, und ich musste mein nasses Bettlaken vor mich halten. Nach dem Mittagsschlaf mussten alle Kinder an mir vorbei und wurden informiert, dass sowas nur böse Kinder wie ich machen. Ich hab misch schrecklich geschämt und geweint.
Die Folge dieser Prozedur war, dass ich vor allem abends weniger als die anderen zu trinken bekam und auch selbst wenig trank und fast immer Durst hatte. Das half oft trotzdem nichts: sobald ich im Bett lag, hatte ich Harndrang, durfte nicht zur Toilette und machte ins Bett. Ich hatte wohl einen Knacks weg und fürchtete mich vor dem Beschimpftwerden und Am-Pranger-Stehen am Trappenabgang, vor dem nächsten Tag, vor dem nächsten Essen, eigentlich vor allem. Ich weinte sehr oft (leise, damit die Aufsicht nichts merkte und wieder schimpfte) und hatte fürchterliches Heimweh. Wenn ich ganz verzweifelt war, gab mir eine Mitbewohnerin manchmal etwas Zahnpasta ab. Ihr Vater war Zahnarzt, und die Zahnpasta war rosa und schmeckte himmlisch nach Erdbeeren.

Wir aßen alle zusammen in einem großen Speisesaal und durften beim Essen nicht reden. Das wurde vor allem von der Heimleiterin kontrolliert, die unverhofft auf leisen Sohlen irgendwo im Haus auftauchte und immer - von zwei aus einer damaligen Sicht riesengroßen - Schäferhunden begleitet wurde, vor denen nicht nur ich große Angst hatte.
Ob es mein Kummer war oder ob es wirklich schlechtes Essen gab, weiß ich nicht. Aber schon den grauen Haferschleim, den man in langen Fäden wie heute Schmelzkäse auf der Pizza langziehen konnte, und den wir zum Frühstück bekamen, mochte ich nicht. Vor lauter Angst habe ich ihn immer runtergewürgt. Das Mittagessen war besonders schlimm. Es gab sehr oft Kohl, der schon immer so merkwürdig roch. Aber am Schlimmsten war Rote Beete, die es gefühlt jeden zweiten Tag gab. Die konnte ich einfach nicht essen. Aber es half nichts. Alle Kinder verließen den Speisesaal, und ich musste siteznbleiben und "den Teller leeressen", wie es hieß. Zwischendurch wurde kontrolliert, ich wurde angeschrien und beschimpft und musste weiter vor dem Teller mit dem inzwischen kalten Essen sitzen. Nach einiger Zeit kam die Heimleiterin persönlich vorbei, und ihr war natürlich schon klar, dass dieses widerspenstige Kind nur die Bettnässerin sein konnte. Das sagte sie auch und meinte, dass ich eigentlich eine Tracht Prügel brauchte. Damit ich gefügig wurde, ließ sie einen der großen Hunde zur Bewachung zurück, der mich starr ansah und knurrte, wenn ich mich nur ein bißchen bewegte. Ich hatte schreckliche Angst und verschlang das schreckliche Zeug. Aber das war ein Fehler, denn jetzt wusste man, wie man mich zum Essen brachte und wiederholte dieses Verfahren. Dass ich mich anschließend auf der Toilette übergab, merkte man zunächst nicht.
Und dann kam der schlimmste Tag. Wieder Rote Beete, die ich einfach nicht runterbekam und mich auf dem Teller erbrach. Diese Ungeheuerlichkeit brachte dann mehrere Bechäftigte auf die Beine. Unter Aufsicht der Heimleiterin - mit den Hunden - drückten zwei Frauen rechts und links unterhalb der Ohren auf meinen Kiefer, der Mund ging gegen meinen Willen auf und eine weitere Beschäftigte schaufelte das kalte Essen mit meinem Erbrochenen in meinen Mund, ich erbrach wieder, wieder kam es in meinen Mund, wieder und wieder, bis der Teller leer war. Es half kein Weinen und Flehen, und ich hatte Angst zu ersticken. Zur Strafe musste ich anschließend gleich ins Bett, während die anderen Kinder draußen spielten. Ich war sehr sehr unglücklich und wollte einfach nur nach Hause.
Aber am nächsten Tag gab es den nächsten Schrecken: wir wurden gewogen, und ich hatte nicht nur nicht zugenommen sondern sogar abgenommen. Schon wieder ich! Das Elend nahm kein Ende, und natürlich musste ich auch wieder bestraft werden. Während wir im Keller unsere Schuhe putzten, wurde immer die Post verteilt. Mir wurde als Strafe gesagt, dass ich einen Brief von meinen Eltern bekommen habe, den man mir aber nicht geben und vorlesen würde, da bösartige Kinder wie ich eben keine Post bekommen. Was hab ich da geweint! Als eine ganz junge Betreuerin, die neu in dem Haus war, mich mit Worten zu trösten versuchte, bekam dies die Heimleiterin mit und stellte sie sofort zur Rede. Ungezogene und verstockte Kinder wie ich müssten mit Härte behandelt werden. Danach gab es für mich von den Erwachsenen in diesem Haus kein gutes Wort mehr.
Ich fühlte mich ungerecht behandelt, hilflos, verlassen, und der Willkür ausgeliefert. Dieses Gefühl kann ich nicht genauer beschreiben aber heute noch fühlen. Genauso wie das Glückgefühl, als ich endlich abgemagert wieder zu Hause war und meinen Eltern alles erzählen konnte. Sie waren zwar entsetzt, haben aber nichts unternommen - sie hatten ja keine Beweise und nur meinen Bericht - aber sie versprachen mir, dass ich nie wieder von ihnen weg müsste. Dies Versprechen haben sie auch gehalten. Ins Bett habe ich nie mehr gemacht - aber auch heute noch suche ich an allen Orten, an denen ich bin, erstmal ob und wo es Toiletten gibt.
Vor vielleicht fünfzehn Jahren sah ich spät abends im Fernsehen einen Bericht über SS-Kinderheime. Da erkannte ich das Haus in Bad Sachsa wieder und bin mir ziemlich sicher, dass die damalige Heimleiterin schon währen der NS-Zeit dies Heim geleitet und die Nazi-Regeln der "richtigen" Kindererziehung auch bei mir angewandt hat.
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Dirk Cremer aus Neustadt in Holstein schrieb am 28.01.2021
Dies ist das erste mal, dass ich öffentlich über meine Verschickung etwas aufschreibe. Ich bin gespannt, wie sich das anfühlt, wenn ich damit fertig bin.

Ich war gerade 8 Jahre alt, als ich über die BEK im Sommer 1965 in ein Kinderheim in der Nähe von St. Goarshausen verschickt wurde. Als abenteuerlustiger kleiner Mann freute ich mich auf die Bahnreise und die Erwartung auf 6 schöne Ferienwochen zusammen mit vielen anderen Kindern, die hoffentlich meine Freunde werden würden.

Doch es sollte ganz anderes kommen. Gerade angekommen in dem Anwesen mitten im Wald, wurden wir alle sofort enteignet: Geld, Uhren und sonstige Gegenstände wurden konfisziert. Dennoch schafften es einige von uns, ein wenig Privatbesitz vor den "Tanten" zu verstecken. Man hatte sehr schnell das Gefühl in einem Gefangenenlager gelandet zu sein, es herrschte ein sehr strenges Regime. Auch kleinere Verfehlungen wurden bestraft, sei es mit Schimpfen, Schlägen oder Einzelhaft.

In meiner Stube war ich der älteste, die anderen Kinder, die sich sehr fürchteten, waren zwischen 5 und 7 Jahre. Also versuchte ich, als Ältester sie so weit wie möglich zu trösten und auch zu beschützen, was allerdings nur sehr eingeschränkt gelang. Aber immerhin hielten wir Kinder zusammen, was uns allen ein wenig halt gab. Der Jüngste weinte vor Heimweh sehr viel und machte regelmäßig ins Bett, da es verboten war, in der Nacht aufzustehen, um zur Toilette zu gehen. Wer es dennoch tat, wurde bestraft. Der Kleine musste zur Strafe in seinem vollgepinkelten Bett liegen bleiben und versuchte auf einer trockenen Stelle weiterzuschlafen.

Wenn Pakete von den Eltern kamen, wurden die sofort beschlagnahmt. Einmal in der Woche wurden die enthaltenen Leckereien an alle Kinder verteilt. Dann bekamen wir auch ein wenig von unserem Geld zurück, um uns im Haus noch etwas kaufen zu können.

Aufessen war oberste Pflicht, egal wie scheußlich es schmeckte. Wir sollten ja zunehmen. Wer seinen Teller nicht leer aß, durfte nicht vom Tisch aufstehen. Auch wenn jemand sich übergab, musste er weiteressen.

Wir mussten auch nach Hause schreiben. Darin musste stehen, das alles ganz toll sei. Negatives wurde zensiert und unleserlich gemacht.

Die ganze Situation dort kam mir wie ein Albtraum vor, etwas Ähnliches hatte ich noch nie erlebt. Es war für mich nicht vorstellbar, dass es real war, denn ich hatte doch so ein schönes, liebevolles Zuhause.

Da es für uns immer unerträglicher wurde, schmiedete ich mit meinen Freunden einen Fluchtplan. Wir wollten ausbrechen und Hilfe holen. In der Nähe war eine Fabrik oder sowas ähnliches, die wir auf unseren Waldspaziergängen gesehen hatten und dort wollten wir hin, um unsere Eltern anzurufen.

Als die anderen dann doch der Mut verließ - sie waren einfach noch zu jung - beschlossen wir, dass ich alleine bessere Chancen hätte durchzukommen und sie gaben mir ihre paar Mark, die sie als eiserne Reserve behalten hatten, damit ich telefonieren könnte. Während der Spielzeit nachmittags im Garten waren wir für 2 Std. weitestgehend unbeobachtet, hatte ich herausgefunden. Und dieses Zeitfenster wollte ich nutzen. In einem toten Winkel des Gartens kletterte ich über den Zaun und kam tatsächlich bei der Firma an. Dort bat ich zu telefonieren. Man war sehr freundlich zu mir aber vertröstete mich - das Telefon sei grade besetzt - und gaben mir zu trinken. Wenige Minuten später fuhr ein VW Bus vor und ich wurde von den Aufseherinnen abgeholt. Sie taten zuerst sehr freundlich, doch bereits im Wagen wurde ich verprügelt. Im Heim angekommen beteiligten sich alle anderen "Tanten" - von der Putzfrau bis zur Köchin - jeder durfte mal. Nie werde ich den Fleischklopfer vergessen, den die Köchin sehr bedrohlich und schmerzhaft einsetzte. Nur der einzige Mann im Haus, der Hausmeister, hielt sich heraus.

Ab dem Tag wurde ich wie ein Verbrecher behandelt, der alle anderen verraten hatte. Ich durfte so lange nicht mehr mit den anderen Kindern spielen, bis ich mich entschuldigte. Ich musste dann z.B. auf der Terrasse sitzen und konnte den anderen Kindern beim Spielen zusehen. Auch sonst bekam ich immer "Sonderbehandlung". Einige Tage hielt ich diese Einzelhaft aus, doch nach ca. einer Woche spielte ich den Reumütigen und ich entschuldigte mich für mein "Vergehen". Aber in Wirklichkeit war mein innerlicher Widerstand ungebrochen. Ich wusste, dass ich es wieder nach Hause schaffen würde und dann wäre wieder alles gut und das machte mich innerlich stark genug, um die restliche Zeit abzusitzen.

Irgendwann - nach einer gefühlt unendlichen Zeit - war auch diese schlimmste Zeit meines Lebens vorbei. Bevor es nach Hause ging, wurde mir mehrfach und sehr intensiv eingebläut, dass ich meinen Eltern nichts erzählen dürfe, da diese ansonsten die ganze "Kur" selbst zahlen müssten - und das sei sehr, sehr teuer.

So erzählte ich auch viele Jahre nichts davon. Nicht, weil ich meinen Eltern nicht traute, sondern um sie vor den finanziellen Folgen zu schützen.
Dass dies nur ein Bluff war, darauf kam ich erst sehr viel später. Als ich es meinen Eltern dann doch etwa 10 Jahre später erzählte, waren sie sehr entsetzt und wollten die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Dafür war es aber wohl zu spät, alles verlief irgendwie im Sande.

Eines habe ich auf dieser Reise gelernt: Es ist so wichtig Freunde zu haben, die zusammenhalten. Und das die Starken die Schwachen beschützen sollen.
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DaGa aus Köln damals Lintorf b. Ratingen schrieb am 28.01.2021
Ich habe das hier gestern erst entdeckt .... ich bin total geschockt und viele Erinnerungen haben mich wieder angefallen. Im Moment bin ich so tieftraurig das ich kaum etwas zu der schrecklichen Zeit auf Norderney schreiben kann.
Meine Kinder -fast schon erwachsen- haben ihren Vater in diesem Zustand offensichtlich noch nicht gesehen....... Aber erst einmal Danke für Eure Arbeit und einen lieben Gruß an alle, die DAS auch erleben ”durften”.....
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Claudia schrieb am 28.01.2021
Meine Schwester (6) und ich (7) wurden aus Köln in den Schwarzwald verschick. Den Ort weiß ich leider nicht mehr. Die Klinik bestand aus einem großen Hauptgebäude und mehreren barackenartigen Nebengebäuden in denen wir untergebracht waren. Nach der Ankunft mussten wir in einen großen Saal in dem jede Menge Badewannen standen. Jeder musste in eine Wanne. Beim Versuch meine langen Zöpfe hochzuhalten,damit sie nicht nass würden, wurde ich von einer der Schwestern schmerzhaft mit dem Kopf auf den Wannenrand gestoßen. Das war beispielhaft für die Behandlung die wir dort erfahren sollten.
In den Unterkünften gab es mehrere Schlafsäle. Meine Schwester und ich wurden getrennt untergebracht. Ziel der Kur war Gewichtszunahme. Wir wurden jede Woche gewogen. Wer zugenommen hatte durfte in das kleine Schwimmbad im Haupthaus, wer nicht, musste in den Saal mit den Badewannen. Wer das, was uns vorgesetzt wurde, nicht aß, bekam statt dessen Haferschleim. Der ekelte mich dermaßen, dass ich immer alles aufaß. Ich hatte auch große Angst davor, wieder in die Badewanne zu müssen. Dass Kinder Erbrochenes wieder aufessen mussten habe ich mehrfach erlebt. Ich habe noch vor Augen wie ein Mädchen vor der Oberschwester auf den Knien lag und unter Tränen bettelte: "Bitte liebe Schwester Sophie, lass mich das doch bitte, bitte nicht essen." Von meiner Schwester habe ich kaum etwas mitbekommen. Jahre später haben wir uns darüber unterhalten. Sie hatte großes Heimweh und konnte deswegen nicht essen. Sie hat dort noch viel mehr gelitten als ich.
Allgemein herrschte ein Klima von Angst und Ausgrenzung. Unsere Eltern hatten nicht viel Geld und unsere Anziehsachen waren billig, abgetragen und unmodern. Dies wurde bei der öffentlichen Durchsicht der Kofferinhalte, ausgiebig und zu allgemeinen Erheiterung, erörtert. Es gab auch eine Art Lichttherapie. Da mussten alle, natürlich nakt, mit einer Schutzbrille versehen, in einem Raum um eine Art Leuchte herum marschieren.
Rücksicht auf Schamgefühl war nicht vorgesehen. So mussten sich beim Fiebermessen alle mit blankem Po auf Ihr Bett legen und bekamen dann der Reihe nach Fieber gemessen. Ich erinnere mich, dass eine Schwester einem offenbar niedlichen, jüngeren Kind dabei mit Kugelschreiber ein Herz auf den Po gemalt hat. Je länger ich schreibe, desto mehr Bruchstücke der Erinnerung werden nach oben gespült. Z.B. der Besuch des Fastnachtsumzugs der für mich tatsächlich traumatisch war. Hatte ich als Kölnerin doch eine Vorstellung von Karneval. Der Schrecken den mir die gruseligen allemannischen Fastnachtsgestalten einjagten werde ich nicht vergessen. Die Schwestern fanden dies höchst lustig und keine kam auf die Idee mich zu trösten oder mir was zu erklären. Das beste was ich von dieser Kur zu berichten weiß, ist, dass ich gelernt habe eine Schleife zu binden. Als wir wieder nach Hause kamen, hatten wir Läuse.
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Birgit Weber-Heinrich aus Celle schrieb am 28.01.2021
Ich war als 8jährige von Mai bis Juli 1967 für ca. 8 Wochen als Verschickungskind in Niendorf an der Ostsee. Es war ein Heim der Caritas. Nach den Aussagen meiner Mutter habe ich eine Verlängerung bekommen. Ich kann mich nur an wenige Dinge erinnern, z.B. dass ich ins Bett gemacht habe, was mir sehr peinlich war, dass ich mit vielen anderen Mädchen in einem größeren Raum schlafen musste, dass ich nicht in der Ostsee baden wollte. Ich hatte Angst und fühlte mich sehr unwohl. Ich sollte an Gewicht zunehmen; das hat nicht geklappt. Nach meiner Rückkehr habe ich meiner Mutter nach deren Aussage berichtet, dass ich viel geweint hätte und dass ich noch zu klein für eine solche Kur gewesen sei. Seit der "Kur" litt ich an Blasenentzündungen. Bei mir wurde nach meinem 50. Lebensjahr ein Traumacluster diagnostiziert. Ich bringe meine PTBS schon länger mit meiner Kinderkur in Verbindung, dachte aber, dass meine negativen Erlebnisse ein Einzelfall seien. Die Berichte der anderen zu lesen, ist für mich sehr hilfreich. Ich bin dankbar für dieses "kollektive Gedächtnis". Ich komme aus einer Kleinbauernfamilie. Als ich verschickt wurde, hatte meine Mutter gerade ihr 6. Kind geboren. Eine Bekannte meiner Mutter, die für die Caritas tätig war, hatte ihr den Tipp gegeben, mich (die Älteste) zur Kur zu schicken. Ich habe in dem Verschickungsheim eine sehr große Angst entwickelt, bin meinen Mitmenschen gegenüber sehr misstrauisch. Ich lebe sehr zurückgezogen. In mir ist eine tiefe Traurigkeit. Arztbesuche verursachen bei mir Panikattacken; ich versuche diese zu vermeiden. Ich leide unter einem sehr hohen Anspannungsniveau und Schlafstörungen. Ich bin seit meinem 40. Lebensjahr chronisch erschöpft und leide unter einer Trigeminusneuralgie. Ich bin froh, dass diese grauenhaften Geschehnisse endlich ans Tageslicht kommen.
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Thomas Hölzer aus Köln / jetzt Santa Fe, Neu Mexiko USA schrieb am 27.01.2021
War ein Jahr jünger als andere (5 Jahre). Brutal v. den Nonnen? behandelt, Kuscheltiere wurden speziell vor der Nachtruhe weggenommen. Mit verschissener Lederhose stundenlang an den Pranger gestellt. Das Anwesen hatte einen Pool; konnte nicht schwimmen, wurde aber ins Wasser gestossen und kann mich erinnern, auf dem Grund gelegen zu sein. An die Rettung kann ich mich nicht erinnern. Interessanter Weise hat mein Vater mich später dann beim Versuch schwimmen zu lernen, auch ins Wasser im Müngersdorfer Stadion, Köln, geworfen. Ich bin dann total ausgerastet, Eltern keine Ahnung warum!!! Nach der Rückkehr aus dem Heim, trotzdem die Eltern mein Lieblings Konfekt zum Bahnhof mitbrachten, sprach ich wochenlang nicht mit ihnen. Ich hatte dann mit ca. 14 Jahren die Postkarten aus der `Kur` wiedergefunden und war entsetzt zu sehen, dass was ich den Schwestern diktiert hatte, Essen Scheisse, Schlafen Scheisse etc und holt mich bitte, bitte ab von hier, NICHT sondern meinen Eltern nur Nettigkeiten mitgeteilt worden waren. Was eine Schmach und Vertrauensbruch!!!
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Hans Müller schrieb am 27.01.2021
Es wäre so wichtig, daß wir die Verantwortlichen finden. An vielen Stellen leben die noch, zT über 80 Jahre alt. Es leben sogar noch Betreiber oder deren Familien. Ich möchte wissen: WARUM haben die die Kinder so gequält? Warum durfte man nur 1x am Tag aufs Klo, warum diese brutalen Schlaf- und vor allem Eßregeln?

Und wichtig wäre, daß abgerechnet wird, daß Rache geübt wird, daß diejenigen, die damals die Kinder so gequält haben, heute als alte Leute im Pflegeheim das, was sie den Kindern angetan haben, selber 100-fach durchmachen müssen, gequält werden, so daß sie von ihren brutale Taten noch in diesem Leben am eigenen Leibe eingeholt werden.

Wer spricht von Anklagen, was ist mit Entschädigungen? Wieso hört man nichts davon? Was ist mit den Pharmafirmen, die brutale Medikamentenversuche an Kindern ohne Wissen und Einverständnis der Eltern oder Kinder durchgeführt haben? Was ist mit den Krankenkassen, der Caritas? Es muß eine große Abrechnung beginnen mit den Profiteuren und Verantwortlichen!
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Noa Assmann aus Windeck schrieb am 27.01.2021
ich hatte eine einzige Bekannte, die Tochter eines Kollegen meines Vaters, die mit mir fuhr von Hagen nach Pelzerhaken an der Ostsee. Im Heim dort angekommen wurden wir sofort auseinandergerissen, auch Zwillinge nahm man sofort in verschiedene Haeuser. Wir wurden beim Duschen von aussen beobachtet und verlacht und verhöhnt. Wenn ich geweint habe, weil Post von meinen Eltern kam, nahm man mir die Post weg und sagte "wenn du weinst kriegst du das nicht". wir mussten während des Mittagsschlafes uns in eine bestimmte Richtung drehen, so dass wir uns nicht anschauen konnten. wir hörten die Ohrfeigen auf der Station gegenüber, Kinder wurden geschlagen, wenn sie etwas getan hatten, was nicht den Regeln entsprach. ich schrieb mehrfach heimlich unter der Bettdecke an meine Eltern, sie sollen mich holen, brachte die Post heimlich zum Strand zur Post. nach meiner dritten Hilferuf-post in der ich drohte, falls man mich nciht holte, würde ich alleine kommen, kam dann mein Vater nach Pelzerhaken und holte mich. Am Tag seiner Ankunft wollte er die Verantwortlichen sprechen, und es war wie zufällig niemand da, den er hätte sprechen können. ich weiss nicht, was mir passiert wäre, wenn ich dort wirklich 6 Wochen geblieben wäre, wie geplant. ich war nur eine Woche da.
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David aus Bonn schrieb am 27.01.2021
Leider kann ich meine Eltern nicht mehr fragen, wie das Verschickungsheim im Schwarzwald hieß, wo ich im Alter von 4 Jahren für eine Dauer von wahrscheinlich 6 Wochen verweilen musste. Ich bin jetzt erst über's Internet wieder daran erinnert worden. Bevor ich meine Erinnerungen schildere, würde ich aber gerne das Heim lokalisieren, und vielleicht kann mir jemand hier dabei helfen. Ich weiß nur noch: Schwarzwald, ein altehrwürdiges, mir damals sehr groß erscheinendes Gebäude am Rande des Waldes oder auch mitten im Wald. Wenn ich ein Foto sehe, würde ich es sicher identifizieren, aber im Internet bin nicht noch nicht fündig geworden.
Administrator-Antwort von: Redaktion
Hallo David,

du bist auf der Suche nach "Deinem" Verschickungsheim. Die Beschreibung
könnte passten auf das Kinderkurheim Schwoerer in Saig im Hochschwarzwald. Dazu findet sich nicht mehr wirklich was im Netz, hier
allerdings wohl ein Foto:

https://picclick.de/40807298-Saig-Schwarzwald-Saig-Kinderkurheim-Schwoerer-Saig-Schwarzwald-303547185124.html#&gid=1&pid=1

Ich hab im Nachlass meiner Eltern einen Prospekt gefunden, aber da sind eher Kinder abgebildet.

Ich selbst habe keine traumatischen Erinnerungen, auch wenn ich's nicht wirklich toll fand die 6 Wochen. Aber es gab mal auf der Seite
Verschickungsheime.de zwei Beiträge mit ziemlich üblen Erinnerungen.

Viele Grüße,
Christian Schönfelder

Links vom Admin: Zum Thema Saig
https://verschickungsheime.de/zeugnis-ablegen/?entry_id=21
https://verschickungsheime.de/zeugnis-ablegen/?entry_id=587
https://verschickungsheime.de/zeugnis-ablegen/?entry_id=1214
https://verschickungsheime.de/zeugnis-ablegen/?entry_id=1586
Im Forum (mit Login):
https://forum.verschickungsheime.org/community/topic/kinderheim-dr-schwoerer-saig-schwarzwald-1971-1972/
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Thomas Nitsche aus Berlin schrieb am 27.01.2021
Es war furchtbar. Meine Schwester (4-5 Jahre) und ich (6 Jahre) wurden gezwungen alles mögliche, was wir nicht wollten, zu essen ... 6 Wochen lang. Uns wurde dann gedroht, das Erbrochen essen zu müssen. Wir durften nur 1x pro Tag auf die Toilette, was fast unmöglich für uns Kinder war. Es war eine einzige Tortur, die mich bis heute verfolgt.
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Brigitte Horndasch aus Weyhe schrieb am 27.01.2021
Etwa 1958 oder 59 wurde ich zur "Erholung" und weil ich sehr dünn war 8- oder 9jährig nach St. Goarshausen verschickt. Ich glaube sogar für 6 Wochen.
Meine Erinnerung ist bruchstückhaft. Sehr schlimm war, dass es morgens immer Haferschleim oder Milchsuppe gab und alles aufgegessen werden musste. Ich hatte solch einen Ekel, dass ich mich immer wieder übergeben musste.
Es ging mir richtig schlecht und ich schrieb meinen Eltern einen Brief mit der Bitte, dass sie mich abholen.
Dieser Brief wurde im Heim geöffnet und ich musste zur Leiterin kommen. Sie vernichtete den Brief und zwang mich, den Eltern eine Karte zu schicken. Hier musste ich erklären, dass es mir gut gehe und dass es im Heim schön sei.
Nach den 6 Wochen kam ich abgemagert und verstört nach Hause zurück.
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Be aus Basel schrieb am 27.01.2021
Angeblich wegen einer milden Lungentuberkulose verbrachte ich mehrere Monate dort. Bettnässer mussten sich im Gang zum Speisesaal aufstellen, mit ihrem nassen Laken in den Händen: Pranger. Es wurden Grapefruits serviert, "wegen den heilsamen Vitaminen". Wer diese bitteren Früchte nicht essen konnte, wer, wie ich sie auf den Teller erbrach, wurde von einer daneben sitzenden Betreuerin so lange bewacht, bis die letzten Reste des Erbrochenen und der Grapefruit gegessen waren. Immer wieder medizinische Reihenuntersuchungen, die aus einem Fingerpick bestanden, ein Kind nach dem anderen. Körperpflege: viele Kinder in einem Kellerraum, eine Person mit einer grossen Gummischürze - wie sie die Metzger damals trugen - spritze uns mit einem Schlauch ab.
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Jens Wottke aus Hamburg schrieb am 27.01.2021
Mein Vater ist kürzlich verstorben und im Nachlass habe ich ein Fotoalbum gefunden mit Fotos, die ich nich nie zuvor gesehen hatte. Zwei Fotos zeigen mich auf dem Bahnsteig, auf der Anreise zur Verschickung. Auf dem Foto zudem eine strenge Schwester mit einer (nazi-liken) Uniform. Ich habe an die Zeit keine Erinnerungen, nur seeeeeehr abstrakt an einen Waschsaal. Fakt ist aber, dass ich einen unbändigen Widerstand gegen Käse habe und mich an meine “Ess-Strategie” bzgl Käse erinnern kann: das ging nur so, abzubeissen, ohne kauen schlucken und direkt roten Tee hinterher. Aber das passt schon sehr zu den vielen Schilderungen zum Thema “essen”. Außerdem kriege ich immer Panikanfälle wenn ich Spritzen bekommen soll - auch da vermute ich den Zusammenhang mit möglicherweise traumatischen Erlebnissen im Verschickungsheim. Ich hatte meine Mutter darauf angesprochen, die fing direkt an zu weinen und konnte nur noch stammeln, dass es der größte Fehler ihres Lebens gewesen sei, mich dorthin geschickt zu haben.
Ich glaube, ich möchte gar nicht wissen, was dort alles passiert ist. Bin froh, dass mein Hirn so effektiv verdrängen kann und diese Erinnerungen irgendwo (unerreichbar) abgelegt sind.
Mich tröstet aber schon zu wissen, dass ich nicht alleine bin damit.
Es ist schlimm, was uns Kindern angetan wurde.
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Johanna B. schrieb am 26.01.2021
Hallo,
ich habe heute einen Kurzfilm über Verschickungskinder gesehen und erinnerte mich daran, dass meine Oma mir erzählt hatte, dass sie auch einst auf Kur gewesen sei, weil sie zu dünn gewesen wäre. Sie war von März bis Mai 1954 in Glowe auf Rügen in der ehemaligen DDR als sie zehn Jahre alt war. Die Kinder waren dort in Baracken untergebracht und teilten sich ein Zimmer mit 3-8 weiteren Kindern. Postkarten durfte sie nur nach Kontrolle der Schwestern abschicken an ihre Eltern. Es gab meistens Eintopf mit fettigem Fleisch und alles musste aufgegessen werden. Wenn sie es nicht schaffte, erbrach sie und aß weiter. Die Schwestern waren "Drachen", wie meine Oma sagte, vom alten Schlag in Uniform und der Umgang glich militärischen Maßstäben. Viel mehr wollte sie nicht darüber erzählen, weil sie sich nicht gern daran erinnert.
Ich wünsche Ihnen viel Stärke, die traumatischen Erlebnisse aufzuarbeiten!
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Jungels aus Köln schrieb am 26.01.2021
Hallo,
ich will gar nicht so viel erzählen, ich suche vielmehr andere, die ebenfalls in der Kinderheilstätte für tuberkulosekranke Kinder waren zwecks Erfahrungsaustausch. Sollten sich noch ehemalige Betreuerinnen an ihre Arbeit dort erinnern, wäre ich ebenfalls froh, ein Zeichen zu bekommen.
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Matthias Kumpmann aus Wetter schrieb am 26.01.2021
Was ich im folgenden berichte , war über 50 Jahre in meinem Unterbewusstsein verschwunden. Durch die mediale Aufarbeitung bin ich sehr getriggert worden ( ich leide seit 10Jahren unter Depression) Im Alter von 5/6 Jahren wurde ich auf Anraten unserer Hausärztin für sechs Wochen nach Reinhardshausen verschickt. Mein damaliges Bettnässen sollte sich bessern, was leider aufgrund meiner traumatischen Erlebnisse ins Gegenteil schlug. Als meine Mutter mich mit einem Schild um den Hals in den Zug setzte, kam in mir Panik auf, sie nie wieder zu sehen. Dort angekommen war es für mich sehr schwierig mit so vielen fremden Kindern in einem Raum zu schlafen. Weil ich verbotenerweise nachts weinte, hat mir eine Erzieherin meinen Teddy weggenommen. Durch die Ereignisse habe ich natürlich jede Nacht eingenässt, da half auch kein abendlicher Trinkentzug. Zur Strafe wurde ich in den Keller (dort befand sich der Duschraum ) gebracht, kalt abgeduscht und nackt stehen gelassen. Mir wurde unter Androhung verboten das Licht an zumachen. Normalerweise war ich ein guter Esser, war auch eher übergewichtig. Trotzdem wurde ich, wie viele andere auch, zum aufessen gezwungen. Einmal saß ich bis zum Abendessen vor einem vollen Teller Blumenkohl. An dem Tag musste ich hungrig in's Bett gehen. Von anderen Kindern weiß ich, dass sie auch ihr Erbrochenes essen mussten.
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Anke Dickopf aus Leichlingen schrieb am 26.01.2021
Meine Erfahrungen:
Ich war damals als Neunjährige zu dünn.Ich wurde auf Anraten des Gesundheitsamtes zu Kinderkur verschickt.Nach langer Reise kamen wir dort an.
Wir hatten Zweibettzimmer. An was ich mich im Negativen erinnere:wir durften nur einmal in der Woche die Leibwäsche wechseln,es gab Spritzen mit roter Flüssigkeit,und ich musste undefinierbaren Quark mit Obst essen.Seitdem esse ich keinen Früchtequark mehr.
Ich bekam im Kinderheim die Röteln und musste auf die Krankenstation. Dort war es besser. Wir bekamen Eis,und wurden sehr lieb betreut.
Das beste war aber die Physiotherapie.
Ich hatte furchtbares Heimweh. Die Briefe meiner Mutter habe ich heute noch.
I
Fazit:Ich bin noch dünner gewesen als vorher. Gott sei Dank habe ich ein gutes Selbstbewusstsein ,so daß ich keine Schäden davon getragen habe.
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norbert schücke aus wetter/ruhr schrieb am 25.01.2021
Ich bin auf diese Seite gestoßen und weiß jetzt das ich Mitte der 60ziger in dem Heim Freudenstadt im Schwarzwald war. Ich habe nur denNamen gelesen und alles war wieder da. Ich werde nochmal schreiben, es gab Klöse, Klöse, Klöse!
Ich habe mein leben lang keinen mehr gegessen!
Als ich mit dem Zug zurück nach hause kam hatte ich eine vereiterte Mittelohrentzündung in beiden Ohren!
Es mussten als Folge mehrfach die Trommelfelle geöffnet werden damit der Eiter abfloss!
Seitdem kann ich nicht tiefer als vier/fünf Meter tauchen! Wir haben Butterbrote unter der Tischplatte versteckt, wurden es bemerkt, gab es noch eins zusätzlich.
Essen aufs Klo und leise brechen, wurde es bemerkt musste man wieder essen!
Manchmal meine ich einen dunklen Dachboden zu
sehen an dessen hinteren Ende sich eine Tür befindet bei der ich mich nicht traue sie zu öffnen!
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Krück aus Eberswalde schrieb am 24.01.2021
Heute bei FB über so genannte Verschickungsheime gelesen.. dieses wort kannte ich noch gar nicht!
Lange dachte ich "nur Ich denke,dass das alles nicht richtig lief,in dieser Kur" und habe es lange verdrängt.
Ich weiß leider nicht, wo genau ich da war. Ich weiss nur,das ich dort meine erste Strassenbahn gesehen hatte. Damals, ich war 4 jahre alt,hatte mich meine Mama zum Bahnhof nach eberswalde gebracht,wo schon ein Bus stand um die Kinder einzusammeln. Mir war gar nicht bewusst,das Sie nicht mitkommen würde...bis sie mir weinend nur nach winkte! Ich verstand die Welt nicht mehr. In diesem kalten, grosses Haus angekommen,wurden uns die Betten zugeteilt. Kalte Metalbetten.. es dürften nur Mädchen, junge,mädchen,junge liegen.. niemals zwei Mädels nebeneinander. Beim essen,musste still und leise gegessen werden. Wer nicht aufgegessen hatte,wurde bestraft. Ich mochte keine Tomaten und wenn ich sie nicht gegesseb hatte, musste ich mich in die mitte stellen,vor allen Kindern, bis ich sie aufgegessen hatte. Auch wenn ich mich übergeben musste,musste ich weiter essen!
Abends mussten wir nackt zum Duschen, hintereinander gehend,mit den Händen auf den Schultern des vordermanns. Mit einer Handbürste mussten wir uns gegenseitig den Rücken schrubben, diente der durchblutung. Nachdem duschen,wurden wir alle mit einem schlauch eiskalt abgeduscht. Auch dies sollte dem aufbau des Immunsystems dienen! Briefe von den Eltern wurden uns natürlich vorgelesen, ging ja auch nicht anders. Allerdings wurden uns diese Briefe nie ausgehändigt. Besuche gab es auch nicht! Wenn man traurig war,wurde man angeschrien. Also gab es so etwas wie traurigkeit nicht bei uns. Manchmal hörte ich nachts Kinder weinen.. aber ich versuchte immer ruhig zu sein! Lange habe ich das alles verdrängt!
Es gab eine Betreuungkraft,die heimlich nett zu mir war. Sie brachte mir Äpfel mit.aber das dürfte ich nie verraten. Sie schenkte mur ein kleines glas Reh, ganz klein,weil sie in den urlaub ging und sagte... mädchen sei stark,bald bist du wieder zuhause. Das vergesse ich nie!!!
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Anke Breuer aus Düsseldorf schrieb am 24.01.2021
Guten Abend.
Noch bevor ich eingeschult wurde, wurde ich wegen einer Lungenentzündung in Kur geschickt. Mit 5 Jahren alleine für 6 Wochen weg. Ich glaube, dass ich aus dieser Zeit und durch die Erlebnisse dort traumatisiert bin. Das zeigt auch eine Therapie, die ist kürzlich begonnen habe. Ich habe leider kaum Erinnerungen an die Kur, mir fehlen generell sehr viele Erinnerungen aus meiner Kindheit.
An zwei Dinge erinnere ich mich, die sich während der Kur zugetragen haben:
- Einmal musste ich nachts auf Toilette und weil ich erwischt wurde, musste ich den Rest der Nacht im Besenschrank stehen.
- Vor den Mahlzeiten ging eine Betreuerin mit einem großen Glas festem Honig durch die Reihen. Jeder bekam einen großen Esslöffel Honig in den Mund geschoben. Ich fand das ekelhaft.
Ich leide sehr darunter, dass ich kaum Erinnerungen an meine Kindheit habe. Leider sind auch meine Eltern nicht bereit mit mir darüber zu sprechen. Nur einmal sagte meine Mutter mir auf Nachfrage, dass ich sehr verängstigt war, als ich wieder zuhause war. Ich bin jetzt 54 Jahre alt und wie es scheint, bin ich seit meiner frühen Kindheit schwer traumatisiert. Die "Kur" spielt da eine ausschlaggebende Rolle. Ich frage mich oft, was dort wohl noch alles passiert ist, was in meinem Unterbewusstsein vergraben ist.
Ich wünsche allen Betroffenen alles Beste ❤️ Anke
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Margit Holzer aus Hochdorf schrieb am 24.01.2021
Schönen guten Abend,
vor ca. 3 Jahren wurde ich durch das Auffinden eines Poesie-Albums wieder auf meinen Aufenthalt als Kind in St.Peter Ording an der Nordsee aufmerksam.
Es gibt 22 Einträge von Mädchen, die mit mir im April 1966 in diesem Kinderheim waren. Erst letztes Jahr versuchte ich am Ende unserer Dänemark-Reise in St Peter nachzuforschen, wo ich denn wohl dort untergebracht war, es blieb erfolglos.
Heute nun durchforschte ich die Vernetzungsseite und siehe da, es tauchte der Name "Tante Gebchen" auf, eines der wenigen Erinnerungen....
Das Heim heißt "Goldene Schlüssel" und ist heute eine DRK-Rehaklinik, alles auf der Website nachzulesen. Die Kinderkur-Einrichtung wurde geschlossen.
Auch ich wurde in Stuttgart am Hauptbahnhof "abgegeben" - ich glaube auch mit einem Schild des Zielortes. Die Zugfahrt dauerte 16 Stunden. Ich kann mich an keine Mißhandlungen erinnern, vielmehr meine ich, manchmal aus Mitgefühl abends im Schlafsaal mitgeweint zu haben. Den täglichen Streuselkuchen mußte ich durch einen Apfel ersetzen, war wohl zu dick....
Ich war bereits 11,5 Jahre alt - also älter als der Durchschnitt, vlt. ersparte mir dies manches? Ich weiß es einfach nicht mehr...
Die Strandläufe nackig fand ich zwar komisch und auch die Sauna, es hat mich jedoch nicht sehr negativ belastet. Vielmehr habe ich die Liebe zur Nordsee erkannt und auch das Bernsteinsuchen. Ich war eigentlich ganz stolz, als ich wieder zuhause war und meine Eltern, Geschwister, Nachbarn usw. mich lobten, so alleine so weit gereist zu sein...
Trotzdem bin ich sehr stark interessiert, meine "Mitverschickten" erneut kennenzulernen. Wenn also jemand in der selben Zeit verschickt war und nach seinem Heim sucht oder sich vernetzen möchte, in meinem Album gibt es 22 Namen, die mit mir dort im Goldenen Schlüssel waren und einen Namen einer Betreuerin, den ich allerdings nicht lesen kann.
Und by the way, ich möchte absolut nichts herunterspielen, was ich hier gelesen habe, bin vielmehr in tiefem Mitgefühl mit allen Geschädigten...
Beste Grüße
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Heinz-Wilhelm Grote aus Marsberg schrieb am 24.01.2021
Ich war 1959 als Zwölfjähriger für 6 Wochen an der Nordsee. Soviel Negatives wie ich aus anderen Berichten gelesen habe, hatte ich nicht. Ich kann aber bestätigen, dass die Post nach hause kontrolliert und zensiert wurde. Kinder mit Rechtschreibschwächen wurden öffentlich bloßgestellt. Man wurde gezwungen, tatsächlich alles zu essen, auch wenn es nicht schmeckte. Ich habe es jedoch geschafft, aus dem Speisesaal zu laufen und den Spinat in die Büsche zu kotzen. Man durfte nur zu bestimmten Zeiten die Toilette aufsuchen. Gesundheitlich hat mir der Aufenthalt an der See viel gebracht, ich habe aber wie viele andere unter dem strengen Regiment einiger "Tanten" gelitten.
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Heinz-Günter Würpel aus Hagen-Hohenlimburg schrieb am 22.01.2021
Ich war im Frühjahr 1954 im Alter von 6 Jahren in einem Verschickungsheim in Bad Sassendorf. Meine Eltern hatten mich über die Hoesch-Krankenkasse dorthin gesandt. Das Haus lag direkt an den Salzsalinen und wurde von Schwestern mit Hauben, also denk ich mal Kirchlicher Institution, geleitet. Als ich ein Stück fettes Fleisch essen sollte bekam ich einen Brechreiz und erbrach mich in meinen Suppenteller. Als die Aufsicht die ständig zwischen den Tischen kontrollierten dies sah, bekam ich noch einen Nachschlag in mein Erbrochenes und wurde dann gezwungen diesen leer zu essen. Dies hat mich so traumatisiert dass ich bis heute immer noch einen Brechreiz bekomme wenn ich ein Stück fettes Fleisch in den Mund nehme.
Als es zum Abschied kam und wir nach Hause geschickt werden sollten mußte jeder zur Schwester Oberin und sich verabschieden. Als ich zu ihr ging sah sie mich an und sagte dann ohne Erklärung ich sollte mich setzen und warten. Als es mir zu lang wurde und ich aus dem Fenster sah, sah ich wie meine Kameraden in den Bus stiegen und dieser losfuhr, ohne mich. Nach einer Weile kam die Oberin dann wieder und sagte mir ich käme jetzt ins Lazarett. Ich hatte Mumps. Ich lag allein in einem 6 Bett Zimmer und hatte dort Fieberträume und versteckte mich unter der Bettdecke. Keiner kam mal trösten. Den ganzen Tag lag ich allein da. Meinen Eltern die mich abholen wollten wurde am Bus gesagt sie bekämen Bescheid wenn sie mich abholen könnten. Sie wußten nicht wo ich die ganze Zeit war. Viele Jahre habe ich unter Albträumen gelitten in denen mich ein riesiger Stein immer überrollen wollte. Es war die Hölle.
Danke dass ich hier mal meine geschichte erzählen darf.
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bandit 1200s aus Limburgerhof schrieb am 19.01.2021
ich war etwa 5 jahre und im haus meerstern auf speikerog bekam jeden abend von einer betreuerin den nackten hintern versohlt wenn ich im bett war
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Hoppe, Achim aus Rinteln schrieb am 19.01.2021
Ich war im Jahr 1964 in der Einrichtung Waldhaus für 6 Wochen ,,interniert‘‘. Das Essen war grauenhaft, der Tag streng geplant. Feste Essen- und Schlafenzeiten. Keine Besuche durch Angehörige. Strenge Strafen bei kleinsten Vergehen. Einzig das alle 14 Tage eintreffende ,,Care-Paket‘‘ meiner Oma (Inhalt Süßigkeiten und ein MickyMaus-Heft) halfen mir über diese 6 Wochen.
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Tina schrieb am 19.01.2021
Vor kurzem kam im Kollegenkreis das Gespräch auf Erfahrungen mit Kinderkurheimen in unserer Kindheit. Ich war geschockt über die Berichte, vor allem dass deren Brüder erzählten, sie mussten Erbrochenes wieder essen, bekamen Prügel etc., meist wurden den Jungs zuhause nicht geglaubt oder es hieß "dann hattest du es auch verdient."

Ich habe vor allem an meine erste Kur noch sehr lebendige Erinnerungen und kann berichten, dass eine mehrwöchige Kinderkur auch ohne körperliche Misshandlung Narben auf der Seele eines kleinen Kindes hinterlassen kann.
Ich kam das erste mal vor der Einschulung von einem kleinen Dorf in Unterfranken für sechs Wochen nach Oberbayern. Damals war ich extrem dünn, scheu und unselbstständig, von den Eltern auf Gehorsam getrimmt. Zur Hinfahrt wurde ich spät abends aus dem Schlaf gerissen, mit vielen Ermahnungen und der Aufgabe, mächtig an Gewicht zuzulegen, zum Bahnhof gefahren und mein Vater setzte mich in einen Zug. Dort nahm sich eine sehr nette ältere Frau meiner an und ich sollte mit den anderen Kindern im Abteil schlafen. In München angekommen setzte diese uns in einen anderen Zug und las Geschichten vor. Ich war sehr gespannt, das erste mal alleine von Zuhause weg, die erste Zugfahrt, nette große Mädchen, die mich betüttelten und mit Schokolade fütterten... Als wir im Kurheim ankamen, kam sofort eine aufgeregte Person angerannt, die nach zwei Geschwistern suchte, um diese sofort mitzunehmen. Dann sprachen verschiedene Leute mit uns in einer mir fremden Sprach, Wovon ich kein Wort verstand, da ich nur bedingt Hochdeutsch verstehen und nur unseren Dorf-Dialekt sprechen konnte, welchen die Erzieherinnen wiederum nicht verstanden. So haben die großen Mädchen mir alles erklärt und auch erzählt, dass die zwei Kinder nach Hause mussten, weil wohl deren Mama gestorben ist und sie nun in ein Kinderheim müssen. Weil ich eine der Jüngsten war, kam ich mit drei anderen in ein extra Zimmer mit kleinen Betten. Dort wurden wir bis auf die Unterwäsche ausgezogen, die Haare wohl nach Läusen durchsucht, auf ein Töpfchen gesetzt und sollten wieder schlafen. So lag ich nun mutterseelenalleine ohne Dolmetscher, in der Vorstellung, dass meine Mama sicher auch bald stirbt und ich nie wieder nach Hause komme und traute mich nicht zu weinen, da ich Angst vor den anderen Kindern hatte. Darauf folgten noch einige schlimme Erinnerungen an böse Jungs, die mich bei jeder Begegnung an die Wand drückten, eklige Haut auf dem Kakao, schämen, weil ich die Toilette nicht rechtzeitig gefunden oder beim Essen gekleckert habe, langes alleine sein mit Fieber... Auch wartete ich jeden Tag darauf, dass meine Mama stirbt und mich jemand wegholt um mich auch in ein Kinderheim zu bringen. Sicherlich haben wir auch schöne Ausflüge gemacht, wobei die großen Mädchen sich um die Kleineren kümmern mussten und die Nachtschwester hat uns Vorgelesen und nach dem Zähneputzen (wir durften sie nicht verraten) mit einem Löffel Honig verwöhnt. Insgesamt waren die Betreuer aber eher kühl und abweisend.
Ich habe schön brav alles mitgemacht und aufgegessen (aus Angst, sonst nicht genug zuzunehmen) aber ich fühlte mich unendlich einsam hatte fast kein Vertrauen zu den anderen. Ich war die ganze Zeit im Glauben, meine Familie nie wieder zu sehen, selbst die Briefe meiner Mutter hielt ich für eine Lüge, da ich dieses Briefpapier vorher zuhause noch nie gesehen hatte.
Von den hier auf der Seite berichteten körperlichen Misshandlungen habe ich zum Glück nichts mitbekommen, allerdigs würde ich heute, als Mutter von zwei erwachsenen Kindern, behaupten dass es seelische Misshandlung ist, ein so junges Kind von den Eltern getrennt ohne intensive pädagogische Betreuung auf Kur zu schicken.
Den nächsten Kuraufenthalt mit 10 Jahren fühlte ich mich wohler. Die Erzieherinnen waren meist nett und haben uns viel beigebracht. Zugegeben, die frecheren Kinder fingen sich auch mal eine Backpfeife ein und wer beim Essen aufgefallen ist, musste ein Lied vorsingen oder ein Glas Salzwasser trinken und es gab auch mal Zimmerarrest. Dies war im Rahmen der damaligen Pädagogik wohl üblich, aus heutiger Sicht allerdings unverantwortlich.
Als 14-Jährige erlebte ich dann noch eine wunderschöne Kur mit super Betreuern und vielen Freiheiten.
Ich wünsche allen, die hier auf dieser Seite mitlesen und schreiben, dass sie ihre negativen Erfahrungen des Kuraufenthaltes verarbeiten und wohlwollend in ihr Leben integrieren können.
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Andreas K. aus Berlin schrieb am 19.01.2021
Ich war dreimal im Rahmen des deutschen 'Kinderkurheim'-Projekts verschickt, das erste mal 1979 im Vorschulalter, die gesundheitliche Indikation in meinem Falle lautete fuer alle Aufenthalte wohl simplerweise 'Untergewicht'. Bei jeder dieser Verschickungen war ein Geschwisterteil von mir anwesend, was von meinen Eltern wohl bewusst so intendiert war, um uns die Angst vor diesem Aufenthalten zu nehmen, bei den ersten beiden Heimaufenthalten war ich einerseits in staendiger Naehe zu meinem um ein Jahr aelteren Bruder (wir schliefen in einem Zimmer), andererseits muss man leider sagen, dass ich mich nie in meinem Leben so fern und entfremdet von meinem Bruder gefuehlt habe.

Es war ungefaehr so wie viele andere hier schrieben und auch die deutsche Presse inzwischen antizipierte: je juenger desto machtloser das Kind und desto duesterer der Aufenthalt. Im Kinderkurheim 'Drenckhahn' in St. Peter Ording 1979 herrschte eine autoritaere und duestere Grundstimmung, es gab erniedrigende Disziplinarstrafen fuer das kleinste Vergehen, etwa fuer zu lautes Reden beim Essen oder angebliches mit Essen werfen, ich wurde mindestens einmal fuer ein Vergehen, das ich nicht beging aber fuer das ich kurzerhand von aelteren Kindern denunziert wurde, vom Essen ausgeschlossen und musste halbstundenlang draussen im Gang stehen, hungrig und weinend.

Haus Drenckhahn wurde geleitet durch, wie andere hier schrieben, das Arzt/'Paedagogen'-Ehepaar Buchwald, Peter Buchwald der 'Paedagoge' wird heute im Netz fuer sein angebliches Engagement im Kontext von Halligen und Watt gefeiert, fuer uns war er nur ein Gewalttaeter und Schlaeger. Buchwald darf sich ruehmen, der einzige brutale Gewalttaeter meiner gesamten Kindheit zu sein und seine Schlaege, ungebremst, teilweise mit Faeusten auf meinen 5 Jahre alten Kinderkoerper, abends im Bett weil ich angeblich nach Beginn der Ruhezeit gepfiffen hatte, habe ich nie vergessen. Er hatte mich foermlich aus dem Bett geschleudert, meinen Koerper wie eine Art Punchingball vor sich haltend, am Ende des Gewaltexzesses warf er mich ins Bett zurueck und ich hoerte nur noch das entsetzte Wimmern meines Bruders im Nebenbett. Buchwald hat nie dafuer zahlen muessen, meine Eltern wurden zwar von uns Kindern nach der Kur, während des Aufenthaltes hat die Heimleitung fuer uns die Briefe geschrieben, wie wir dachten im Detail informiert, es war aber wohl zu abstrakt oder zu vage und am Ende war koerperliche Gewalt gegen Schutzbefohlene im Deutschland dieser Zeit legal.

Sonst sind mir von St. Peter Ording nur Wattwanderungen im stroemenden Regen, Betreuerinnen die kotverschmierte Kinder im Waschraum anbruellten und Darda-Autos tauschende Kinder bekannt, wo es meist so war, dass der staerkere i.e. Aeltere die Schwaecheren/Juengeren zwang, ihre schicken Darda-Autos gegen seine haesslichen zu tauschen. Diese Hierarchie des Schreckens unter Kindern war ein elementares Element aller dieser Kuraufenthalte, was die Gewalt von oben nicht schaffte in den Kindern zu zerstoeren, erledigten die anderen Kinder. Buchwald war sich wohl irgendwie bewusst dass seine Gewalt falsch war, jedenfalls tauchte er Wochen nach dem Gewaltexzess, ich lag krank im Bett und hatte wohl groteskerweise auch Geburtstag, an meinem Bett auf, strich mir zu meinem Schaudern ueber den Kopf und ueberreichte mir mit feierlicher Geste irgendein kleines Geschenk, vielleicht das Darda-Auto das ich zwei Tage spaeter zwangsweise eintauschen musste. Er hielt die Sache damit offenbar fuer ausgestanden, ich habe diese erzwungene Naehe als schauderhaft empfunden und meine Kinderseele war mit 6 Jahren unfaehig zu verstehen, wie jemand nach einem sinnlosen Gewaltexzess von mir noch Zuneigung erwarten konnte.

Die beiden spaeteren Aufenthalte in Berchtesgaden und im Schwarzwald waren weitgehend frei von koerperlicher Gewalt gegen mich oder meine Geschwister, in Berchtesgaden gab es jedoch regelmaessig Schlaegereien zwischen aelteren (i.e. kraeftigeren) Heimkindern und weiblichen Betreuerinen, was in staendiger Wiederholung auftretend fuer einen achtjaehrigen auch Traumatisierungspotential hat. In Berchtesgaden gab es eine Windpockenepidemie unter den Kindern die den Aerzten und Betreuerinnen weitreichend Gelegenheit gab, an jungen nackten Kinderkoerpern herumzufummeln um angeblich notwendige braeunliche Behandlungspaste auf die WIndpocken aufzutragen, der einzige Lichtblick war das abendliche Tom&Jerry Porgramm das gross auf Leinwand projiziert wurde. Ich entwickelte in dieser Zeit das erste mal eine ausgepraegte Zwangssymptomatik, die ich mein Leben lang nicht verlieren sollte, so stand ich nachts bis zu 20 mal auf um auf die Toilette zu gehen weil ich glaubte meine Blase sei voll und schiss mir zudem regelmaessig in die Hosen, was weder davor noch danach in meinem Leben jemals aufgetreten war.

Mit etwa 10 oder 11 Jahren war ich etwa 1984, im Winter, ein drittes mal, diesmal mit meiner Schwester, in einem Kurheim im Schwarzwald (der Name des Heimes ist mir im Moment entfallen), und obwohl es dieselbe Methodik aus Einschuechterungen und Demuetigungen durch die Betreuer gab, war dieser Aufenhalt der einzige, der auch positives zu meinem Leben beigetragen hatte, es gab unter den Betreuerinnen eine zu der ich eine persoenliche Beziehung aufgebaut hatte, sie war jung, dunkelhaarig und hatte ungefaehr meinen Musikgeschmack, der sonst von niemandem geteilt wirklich wurde (Prince, Duran Duran etc.). Trotzdem lebte man in staendiger Angst vor Uebergriffen und Schikanen durch die Betreuer oder andere Kinder, die man aber nicht wahrhaben wollte, die Angst schlug sich bei mir in einem brutalen Krieg mit meiner Schwester nieder, die im Heim nicht meine Verbuendete sondern mein aergster Feind wurde. Ueberfluessig zu erwaehnen, dass sich diese Dinge nie wieder wirklich eingerenkt haben in den folgenden Jahren. Auch mit 10 oder 11 Jahren mussten wir uns zu jeder Waschung, also taeglich vor den Betreuerinnen entbloessen, diese erzwungene Entbloessung war eine Konstante ALLER Kurheime und sollte wohl den Insassen bedeuten, dass sie nichts wert seien, dass ihre Individualitaet oder Scham nicht zaehlte und dass sie auf der Stufe von Vieh formierten, bemkerkenswert vor allem, dass ich direkt zuvor und auch direkt danach mit der Schulklasse bzw. der Kirche während Klassenfahrten bzw. zur 'Erstkommunionfahrt' niemals Erfahrungen gemacht hatte, die auch nur annaehernd vergleichbar waren. Nur Kinderkurheime haben mich entwuerdigt, gedemuetigt, ein Regime der Angst etabliert, die Kinder gegeneinander aufgehetzt, koerperliche und psychische Strafen etabliert und alles was zwischendurch evtl. noch als positiv haette durchgehen koennen ('Unternehmungen an der frischen Luft') war angesichts dieses autoritaeren, gewalttaetigen Systems am Ende diskreditiert.

Ich habe mich in den Jahren danach ganz unabhaengig von dieser Seite hier oft gefragt, welche dieser Uebergriffe eigentlich justitiabel gewesen waeren, vielleicht Buchwalds Gewaltexzess, vielleicht Wattwanderungen im stroemenden Regen oder Essensentzug als Strafe, aber ingesamt muss man sagen, dass das System der Unterdrueckung, Traumatisierung und Einschuechterung in diesen Kinderheimen viel zu ausgereift war in den 70ern und 80ern um fuer irgendeines der Opfer wirklich angreifbar zu sein. Meine Eltern haben leider nie wirklich wahrhaben wollen was vor sich ging und meine spaeteren und auch damaligen Klagen offenbar als die überzogenen Geschichten eines Sensibelchens abgetan. Deshab ist diese Seite hier umso wichtiger, nur Solidaritaet und Wahrheit kann diese Gewalt, die sicherlich auch noch HEUTE existiert, stoppen.
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Sven Weiher aus Baunatal schrieb am 18.01.2021
Hallo !!!
Martina P. aus Dortmund ,war auch damals in diesem Heim untergebracht in Freudenstadt (Schwarzwald
falls du das liest melde dich mal bei mir,das war die Hölle für mich dort.
meine E-mail bambi@unity-mail.de
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Martina P. aus Dortmund schrieb am 17.01.2021
Ich schreibe diesen Beitrag aufgrund des Zeitungsartikels vom 15.Januar 2021,“Kinder Kur in der Hölle“. Ich weiß nicht mehr, wann ich verschickt wurde, noch wohin. Ich war 2 x weg, wobei ich mich an das erste mal garnicht erinnern kann, an das zweite mal habe ich nur wenig Erinnerungen. Ich habe generell kaum Kindheitserinnerungen. Beides Mal muss es vor meinem 10. oder auch 12. Lebensjahr gewesen sein. Meine Eltern, bzw. unsere Eltern haben nicht mit uns darüber gesprochen. Ich bin nun 58 Jahre alt und habe einen 2 Jahre jüngeren Bruder, der auch verschickt wurde, aber immer an einen anderen Ort als ich. Er spricht ebenfalls nicht darüber. Unser Vater hat damals in Dortmund bei Hoesch gearbeitet, von dort wurde die Verschickung wohl organisiert. Woran ich mich all die Jahre Erinnern kann ist die Zugfahrt, auf der ich schon extremes Heimweh hatte, welches sich dann den ganzen Aufenthalt über hielt. Ich glaube, dass ich im Schwarzwald war, weiß es aber nicht genau. Dann kann ich mich noch an ein oder zwei Bestrafungen erinnern,bei denen ich einmal den Tag im Zimmer bleiben musste, ohne Mahlzeiten und ich durfte nicht zu einer Veranstaltung eines Glasbläsers. Dann musste ich min. einmal abends oder nachts im Waschraum im Dunkeln in der Ecke stehen, bis ich wieder ins Bett durfte, aber da man dachte, ich würde einer Bettnachbarin etwas zuflüstern, musste ich wieder in den Waschraum. Dann mussten wir regelmäßig in die Sauna, ich auf die obere Stufe, und dort bleiben, obwohl meine Knie brannten. Anschließend wurden wir mit eiskaltem Wasser übergossen, was vielleicht üblich ist, aber für mich war es schrecklich. Bei unseren Wanderungen haben wir oft“ Im Frühtau zu Berge...“ gesungen und andere deutsche Volkslieder. Als meine Mutter vor 10 Jahren gestorben ist, habe ich eine Karte von mir gefunden, auf der ich mit Kinderschrift und einigen Fehlern geschrieben hatte, wie toll alles ist, aber das war wohl diktiert, denn so hätte ich in dem Alter nicht geschrieben. Was mir bei diesem 2. Aufenthalt wohl etwas geholfen hat, war eine Freundin aus Bremen oder Bremerhafen, wir haben uns später noch ein paar Mal geschrieben, aber diese Briefe sind ebenfalls nicht mehr zu finden, sowie auch keine Unterlagen über die Aufenthalte. Im Kindergarten und in den weiterführenden Schule hatte ich später immer starkes Heimweh und habe viel geweint, weil ich dachte, ich komme nicht mehr zurück. Heute kann ich schlecht jemanden an mich heranlassen und mag nur wenig körperliche Nähe. Ich hätte nie gedacht, das es so viele Betroffene gibt, wobei es den meisten wesentlich schlechter ging oder noch geht als mir. Gut, wenn nun darüber gesprochen wird!
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Gabriele Zenk, geb. Rauch aus Kiel schrieb am 17.01.2021
Im letzten J. habe ich die Doku im TV gesehen und es kam vieles hoch. Und doch ist noch vieles im Verschlossenen. Dann habe ich auf der Seite nach Wessobrunner Verschickungskinder gesucht.

Nun ist es Zeit Zeugnis abzulegen.
Vom 10.11.-18.11.1969 war ich im Alter von 9 Jahren für 6 Wochen in Wessobrunn. Angeregt durch die Schule, da ich immer krank war. Verschickt über die Caritas.
Oberin v. Wessobrunn könnte Schwester Clementia/Clementina/Clementine gewesen sein.

Es war eine traumatische Zeit. Ich fuhr mit 6 weiteren Kindern über Nacht (von Kiel), betreut durch eine Erzieherin (die aber sehr nett war u. sehr jung), mit dem Zug nach Wessobrunn. Ich weiß, dass ich mich sehr elend gefühlt habe und viel geweint habe. Die Erzieherin hatte sich meiner angenommen und sich mehr um mich gekümmert.
Die Erzieherin blieb die ganzen 6 Wochen für uns zuständig, an sie habe ich nur positive Erinnerungen.

Wie wir vom Bahnhof Weilheim nach Wessobrunn gekommen sind kann ich mich nicht mehr erinnern. Könnte ein kleiner Bus gewesen sein. Nur das es für mich ein imposantes, riesiges Gebäude war. Die große breite Treppe und die langen Gänge zu den Schlafsälen und weiteren Räumen.

Eine prägnante Szene, die ich noch heute vor Augen habe, ist, dass ein kleiner Junge keinen Linseneintopf? mochte und er ab Mittag vor dem Schlafsaal an einem kleinen Tisch saß und ihn dort aufessen sollte. Abends saß er immer noch da. Soweit ich mich noch erinnern kann saß er am Morgen immer noch da. Dieses Bild hat sich so bei mir eingeprägt. Es machte mich so traurig.

Das andere war zum Abendbrot. Ein Kind meldete sich und sagte, dass es keinen Quark möge. Es gab an diesem Abend Kirschquark. Dann meldete sich ein 2. und 3. Kind. Dann hatte die Oberin gefragt, alle die es nicht mögen, sollten aufstehen. Es standen einige Kinder auf, mich eingeschlossen, da ich Quark noch nie mochte.
Dann kam die Strafe, wir alle erhielten die doppelte Portion auf den Teller geklatscht. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich es geschafft habe das Zeug runter zu bekommen ohne zu erbrechen. Ich esse bis heute kein Quark, Joghurt o.ä.. Ebenso diese eklige Gelbwurst. Die es zum Abendbrot gab.

An einem Abend gab es warmen Apfelsaft. Davon bekam ich dann in der Nacht Durchfall. Ich kann mich erinnern, dass ich meine Unterhose so versteckt unter meine andere Wäsche getan habe, dass man sie ja nicht findet. Ich hatte höllische Angst davor erwischt zu werden. Ich nehme an, dass es uns irgendwie vermittelt wurde und ich mich mit Sicherheit auch geschämt hatte. Da wir unsere Wäschebeutel immer selber in die Waschküche bringen mussten, hoffte ich, dass mich keiner erwischt.

Ich kann mich nur vage daran erinnern, dass entweder die Schwestern in der Küche oder Waschküche nett waren. Eine hatte immer ein nettes Wort oder Umarmung für uns übrig.

Dann musste ich auf die Krankenstation, da ich einen Ausschlag hatte. Ich dachte immer es wären die Röteln gewesen, aber meiner Mutter meinte, dass ich diese zu Hause hatte.

Da ich in der Vorweihnachtszeit dort war, mussten wir eine Aufführung Maria und Josef einstudieren. Meine Eltern erzählten mir, dass ich wohl geschrieben habe, dass ich den Josef spielen musste und sie es ahnten, dass es mir nicht gefallen hatte. Zur Aufführung waren der Pfarrer und Gäste eingeladen.
Auch die Gottesdienste machten mir Angst. Ich mochte die Räume nicht.

In einem Paket mit Winterstiefeln hatten mir meine Eltern auch Süßigkeiten mit geschickt. Die mir weggenommen wurden und auf alle aufgeteilt wurden. (Meine Mutter sagte jetzt in einem Gespräch, dass es sogar in dem damaligen Infobrief stand, dass es verteilt wird), trotzdem haben sie es gemacht.
Ich kann mich auch daran erinnern, dass wir unsere Post und Pakete gemeinsam öffnen mussten. Jedwede Süßigkeiten wurden abgenommen und auf alle aufgeteilt. Da es von den Schwestern (Autoritätsperson) so gewollt, habe ich es hingenommen.

Viele Spaziergänge mit mind. 2 Gruppen und deren Erzieherinnen. Wir sind dann auch mal über den Bach gegangen und über ein großes Feld o.ä… Da durften wir eigentlich gar nicht hin, aber die Erzieherinnen wollten wohl aus meiner Ansicht mal raus aus der Beobachtung der Schwestern. Das war dann unser Geheimnis mit den Erzieherinnen. versprechen nichts zu sagen. Es ist auch nie raus gekommen, da wir keine Strafen bekamen.

Ich kann mich an die Bastelstunden erinnern. Wir hatten Enten, Katzen u.ä. aus blauem u. weißen Wachstuch mit Watte befüllt und zugenäht.

Sammelstunden von Eicheln und Kastanien gab es auch. Es waren immer mehr als wir verbasteln konnten. Lt. meiner Mutter nicht ausgeschlossen, dass auch wir für den Luxus der Schwestern sammeln mussten und sie diese verkauft haben.

Wenn wir vom Rodeln kamen mussten wir unsere nassen Stiefel in den Heizungskeller bringen. Da habe ich die Haare einer Schwester gesehen, da ihre Haube verrutscht war. Es war für mich, als hätte ich etwas Verbotenes gesehen und gemacht. Warum hatte ich das Angstgefühl? Wurde uns gesagt, dass die Hauben die Haare verdecken um sie nicht sichtbar zu machen und es dann etwas Schlechtes ist.

Die 2-stündige Mittagsruhe war für mich eine Strafe.

Der lange Gang zu den Schlafsälen hat mir auch immer Angst gemacht. Ich weiß auch noch, dass es dann hinten links zu den Räumlichkeiten der Ordensschwestern ging. Auch hier weiß ich, dass wir da nicht hin durften. Vor diesem Gang hatte ich auch Angst.

Keine Ordensschwester durfte es zeigen, dass sie evtl. einen Liebling hatte. Ich kann mich an Schwester Virginia erinnern, in deren Turngruppe (Erinnerung fehlt leider) ich war. Sie muss mir manchmal meine langen Haare gekämmt und getrocknet haben. Da war ich mit ihr allein. Dann hat sie mit mir gesungen.

Ich kann mich auch nicht erinnern, dass ich dort irgendeine Freundschaft geschlossen habe.
Auch ich habe so manche Nacht still geweint und hatte so starkes Heimweh.

Nach Rückkehr war ich noch stiller. Meine Mutter machte sich sorgen und mein Vater sagte zu ihr, dass ich Zeit brauche.

Aber ich habe nie über diesen Aufenthalt gesprochen, bis ich letztes Jahr die Doku gesehen habe. Und es fehlen noch sehr viele Erinnerungen.

Es sind so viele Narben geblieben.
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Rainer aus Dorsten schrieb am 17.01.2021
Als knapp 6-jähriger hatte ich im Sommer 1967 meinen ersten Aufenthalt im Kinderkurheim in Bad Rothenfelde. Bis auf ganz wenige Fragmente habe ich daran allerdings keine Erinnerungen mehr. Im April/Mai 1969 war ich für 6 Wochen im Herz-Jesu-Heim in Heimenkirch (Allgäu) und im Frühling 1971 im Kinderkurheim Sonnhalde in Kappel/Lenzkirch (Schwarzwald). Die in etlichen Berichten geschilderten Dinge kann ich bestätigen, obwohl ich selber noch einigermaßen glimpflich davon gekommen bin.

In den Kinderkurheimen wurde darauf geachtet, dass die Kinder ein "normales" Gewicht hatten. Man wurde öfters gewogen und wer zu wenig wog, bekam z.B. eine zusätzliche Banane. Es musste gegessen werden, was auf dem Tisch kam. So wurde ich genötigt, gegen meinen Willen mittags Milchreis zu essen. Mit dem Ergebnis, dass ich mich erbrach. Zu allem Überfluss gab es an demselben Abend erneut Milchreis, diesmal in angebratener Form. Bis heute habe ich nie wieder Milchreis gegessen und mir wird schon vom Geruch übel.

Wer bei der Mittagsruhe nicht ganz still im Bett lag, musste im Flur bis zum Ende der Ruhezeit in der Ecke stehen. Ich erinnere mich, dass regelmäßig Fieber in erniedrigender und unangenehmer Form im Po gemessen wurde. Der Leiter des Herz-Jesu-Heim in Heimenkirch war zu der Zeit ein "Herr Doktor", vor dem alle Kinder Angst hatten, weil er Kinder regelmäßig antreten ließ und schlug. Dieser Kelch ging zum Glück an mir vorbei, aber beim Hören des Begriffs "Herr Doktor" fürchtete mich noch Jahre später.

Die Erinnerungen an die Zeit in den Kinderkurheimen hatte ich viele Jahre ziemlich verdrängt. Erst in letzter Zeit und angeregt durch die zahlreichen Berichte zu diesem Thema kommen sie wieder hoch.
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Heinrich Schomers aus Dortmund schrieb am 17.01.2021
Ich wurde 1947 in Prüm geboren, war mit meinen sechs Jahren ein sehr kleines und dünnes Kind, das immer noch zuweilen ins Bett machte und zu dem fraglichen Zeitpunkt außerdem einen starken eitirgen Ausschlag um den Mund herum hatte. Die Nachbarkinder riefen mich darum „Fritzschen mit den Eiterklumpen“.
Meine Mutter und unser Hausarzt beschlossen, mich in Kur zu schicken. Kurz nachdem ich eingeschult worden war, bracht mein Opa mich nach Bad Dürkheim in ein Heim, das von Nonnen geleitet wurde, dessen Name mir leider nicht bekannt ist.
Ich habe an diesen Aufenthalt mehr schlechte als gute Erinnerungen.
Zu den guten Erinnerungen gehörte folgendes. Uns wurde in regelmäßigen Abständen Blut entnommen, wozu ist mir nicht bekannt. Wir Kinder mussten uns in einer Reihe aufstellen, dann kam die Ärztin mit der Spritze. Da ich der Kleinste war, stand ich ganz vorn, hielt tapfer meinen Arm hin, man musste ja da durch. Die Ärtzin selbst erinnere ich als freundlich und zugewandt. Sie nahm mich gern als ersten dran, denn wenn ich die Prozedur ohne Weinen über mich ergehen ließ, konnten die größeren sich ja keine Blöße geben und jammern.
An das Essen habe ich keine Erinnerungen, nur dass wir Kinder es gemeinsam in einem großen Saal zu uns nahmen.
Am ersten Sonntag im Heim wurde ich wegen des Kirchenbesucht gefragt, ob ich katholich oder evangelisch sei. Das wußte ich nicht. Ich ging mit meiner Mutter zwar jeden Sonntag in die Kirche, dass es verschiedene Glaubensrichtungen gab war mir nicht bewußt. Da auf einer Antwort bestanden wurde habe ich schließlich geraten und „evangelisch" gesagt. Beim Kirchbesuch dann habe ich sofort gemerkt, das läuft ganz anders als ich es gewohnt war – meine Äußerung, dass ich wohl doch katholisch sei wurde abgetan. So nahm ich für den Rest des Aufenthalts am evangelichen Gottesdienst teil, in meiner Erinnerung wurde dort viel über die Hölle und den Teufel gepredigt. So richtig gut getan hat mir das aber auch nicht.
Dann jedoch kam der Tag, der alles veänderte:
In dieser Nacht hatte ich ins Bett gemacht, der Versuch, das zu verheimlichen mißlang gründlich. Ich saß mit den andere beim Frühstück, als eine Nonne den Saal betrat, mein Bettlaken in der Hand und mich vor allen Kindern bloßstellt, beschimpfte und verbal erniedrigte. Einerseits habe ich mich total geschämt, andererseits war ich über diese Bloßstellung aufgebracht und habe das auch der Nonne gegenüber deutlich zum Ausdruck gebracht. Damit war ich natürlich aufmüpfig, frech, was weiß ich... Die Nonne nahm mich beim Arm, zerrte mich aus dem Saal un schleppte mich in den Keller, Dort sperrte sie mich in eine Verschlag ein, in dem es völlig dunkel war und verschloss die Tür.
Da stand ich, völlig verängstigt, was hatte die Nonne mit mir vor? Wann würde sie mich wieder harauslassen wenn überhaupt? Wie lange ich dort still gestanden habe weiß ich nicht zu sagen. Irgendwann machte ich einen Schritt nach vor und bekam einen schmerzhaften Schlag gegen den Kopf. Heute erkläre ich mir das so, dass ich mich in einem Verschlag mit Gatengeräten befand und versehentlich auf eine fasch abgestellte Hache oder einen Rechen getreten war und entsprechend den Stiel gegen den Kopf bekam. jedenfalls geriet ich daraufhin in Panik und begann zu brüllen. Wie lange ich geschriehen habe weiß ich nicht, mir war das Zeitgefühl abhanden gekommen. Dann, nach einer mir endlos erscheinenden Zeit ging die Tür auf und die Ärztin befreite mich aus meinem Gefängnis, sie hatte mein Schreien gehört.
Was dann passierte weiß ich nicht, ich erinnere mich noch, dass ich an einem Tag sah, dass die Nonne, die mich eingesperrt hatt, Wäsche bügelte, das Fenster darüber war geöffnet. Ich habe mir irgendwoher Dreck (Lehm oder ähnliches) besorgt, ihr auf die Wäsche geworfen und mich dann schnell erfolgreich versteckt.
Wieder zu Hause habe ich davon nichts erzählt. Zu dieser Zeit hätte mir das keiner geglaubt, zudem hätte man mir sowieso die Schuld zugesprochen, schließlich war ich ja derjehnige, der ins Bett gemacht hatte. Ich sehe hierin auch den Grund, warum die Betroffenen sich damals nicht sofort gemeldet haben.
Das ist meine Erinnerung an diesen Kuraufenthalt bei Nonnen in Bad Dürkheit. Was hat das mit mir gemacht?
Es hat mir Albträume bereitet, 10 Jahre lang! Es gab davon 3 verschieden.
Ich träumte, ich ginge ins Bett. Dazu musste ich eine Treppe hoch steigen. Oben auf dem Podest wartete der Feufel auf mich, um mich mitzunehmen. Hier konnte ich das Schlimme abwenden, indem ich einfach nicht hinaufging.
Auch im zweiten Albtraum ging es um den Teufel. Hierzu muss man wissen, dass ich bereits als kleines Kind dafür verantwortlich war, das die Öfen brannten, also Brennmaterial im Keller einlagern und aus dem Keller bedarfsgerecht zu den Öfen schaffen. Daszu musste ich natürlich in den dunklen Keller hinunter. Im Traum öffnete sich am Fuß der Kellertreppe der Boden. Es erschien der Feufel um mich zu ergreifen. Dazu enstand ein starker Sog nach unten. Um dem zu widerstehen klammerte ich mich an dem an der Wand befestigten handlauf fest, rutsche langsam nach unten. Dann begann ich zu schreien, wurde von meiner Mutter geweckt: „Sch, sch, du hast nur schlecht geträumt."
Der Dritte Albtraum war der hefftigste und wirkte auch in den nächsten Tag hinein.
Ich sitze in der Küche am Tisch, dann erklingt eine seltsame Melodie, (wie das Intro des Schlager ‚Mit Apfelsinen im Haar und an den Hüften Bananen’, wenn ich dieses Intro höre dreht sich mir bis heute der Magen um) dann kommen schwere Schritte die Kellertreppe hinauf, die Küchentür öffnet sich, ein Mann mit roter Kaputze und einer Axt mit zwei Schneiden betritt den Raum, kommt auf mich zu, legte meinen Kopf auf den Tisch, holt mit der Axt aus ... Kurz bevor der Schlag mich trifft, sitze ich wieder allein am Küchentisch, die Musik beginnt etc.
Nach diesem dritten Taum bin ich am nächsten Tag meist ziemlich neben der Spur, es fällt mir schwer, normal zu funktionieren.
Diese Albträume begleiteten mich, bis ich etwa 16 Jahre alt war, danach tauchten sie nie mehr auf, seitdem weiß ich immer genau, ob ich träume oder wach bin.
Seitdem hatte ich aber immer wieder Phasen starker depressiver Verstimmtheit, Schwierigkeiten, mich den Herausforderungen des ganz normalen Lebens zu stellen. Es gab Phasen, während derer ich morgens erst aufstehen konnte, wenn die Herzschmerzen, die sich einstellten weil ich nicht aufstand größer wurden als die Angst, mich dem Leben zu stellen. Es fehlte mir an Selbstvertruen und vor allem an Selbstwertgefühl. Sehr häufig hatte ich auch das Gefühl, es sei besser, wenn ich nicht mehr da sei.
Das ich überlebt habe und am Ende mein Leben auch erfolgreich bestanden habe verdanke ich der Frau, der ich mit 24 Jahren begegnete, die mir zeigte, dass ich ein durchaus wertvoller Mensch bin. Mit dieser Frau lebe ich seitdem zusammen, habe mit ihr zwei Kinder, mittlerweile 5 Enkelkinder. Nur selten noch verdunkelt sich mein Denken. Nur frage ich mich manchmal, wie mein Leben wohl verlaufen wäre ohne diesen Mist. Vergleiche ich das Leben mit einem Matatonlauf, so habe ich das Gefühl, ich musste diesen Lauf mit einem Rucksach mit 20 kg Gewicht absolvieren. Das hat aus mir einen sehr langsamen Menschen gemacht, was die Bewältigungen der Herausforderungen, die sich uns stellen, nicht immer einfach gemacht hat.
Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass ich diese ganzen Ergeignisse etwa mit 25 Jahren vollständig verdrängt hatte. Ich hatte es einfach vergessen, warum ich manchmal Phasen tiefer Trauer erlebte und auch Zeiten, in denen ich darüber nachdachte, ob es nicht besser sei, tot zu sein. In solchen Phasen habe ich dann Dinge getan, um mich im Leben zu verankern, mit 50 Jahren z.B. habe ich ein Haus gebaut, dafür einen Haufen Schulden gemacht weil ich eines wußte: Ich würde meine Familie nie mit Schulden allein lassen.
Als diese ganzen Berichte über Missbrauch von Kindern in Heimen oder durch Lehrer btw. Priester durch die Presse gingen, hat mich das nicht sonderlich berührt. In mir tauchte kein Echo auf. Dann sah ich eines Abends spät einen Film, der das Leben zweier Menschen beschrieb, die in der Kindheit in Heimen misshandelt worden waren. Während ich diesen Film sah, ging in meinem Kopf plötzlich eine Tür auf und alles, was mir selbst passiert war, war wieder da. Seither muss ich mich ab und an zur Raison rufen, wenn die Gedanken überhand nehmen wolle, was aus mir hätte werden können ohne diesen Ballast. Denn mir geht es heute gut, nur manchmal.....
Heinrich Schomers
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Walburga Uppenkamp aus Ahaus schrieb am 17.01.2021
Es muss vor meiner Einschulung gewesen sein, als meinen Eltern angeraten wurde, mich zur Kur zu schicken, damit ich an Gewicht zulege. Ich war fünf oder sechs Jahre alt und meine Erinnerungen sind sehr vage.

Ich sehe mich noch zu Hause hinter der Tür versteckt stehen und dem Gespräch meiner Mutter mit dem "Fräulein" vom Gesundheitsamt lauschen. Es ging um mich und ich sollte weggeschickt werden. Ich war überzeugt, irgendetwas falsch gemacht zu haben. Zur Kontrolle meines Gewichtes wurde ich vor meiner Abreise auf die Waage einer Getreidemühle bei und im Dorf gestellt. An der Hand meines Vaters ging ich dorthin und fühlte mich von aller Welt verraten und verlassen. Genauso bei der Abbreise am Bahnhof in Ahaus. Ich wusste nicht, wie mir geschah, als ich mit dem Zug zusammen mit vielen anderen Kindern und einem "Fräulein" in den Schwarzwald verbracht wurde. Alle Kinder trugen ein Schild um den Hals.

Vieles habe ich vergessen. Ich erinnere mich an die Essenszeiten und daran, dass wir Kinder zum Essen gezwungen wurden. Da mir das Essen meistens nicht schmeckte, ich aber hungrig war, probierte ich abends beim Zähneputzen von meiner Blendi Kinderzahncreme, die nach Himbeeren schmeckte. Ein Päckchen mit Süßigkeiten, das ich von zu Hause geschickt bekam, wurde mir weggenommen.

Ich erinnere mich an den Schlafsaal und an eine schlimme Situation, als ich vor ein paar Jungen flüchtete, die mir meine Puppe wegnehmen wollten. Ich versteckte mich auf einer Toilette. Hier wurde ich von einer Betreuerin gefunden und mit Schlägen bestraft, weil ich nicht im Bett war.

Positiv erinnere ich die Spaziergänge zu den Allerheiligen-Wasserfällen und den Duft der Fichtenwälder.

Weil ich während der Kur meinen Zahnputzbecher verloren hatte, war ich während der gesamten Heimfahrt mit dem Zug in großer Angst, meine Eltern würden mich gleich wieder wegschicken, wenn sie das erführen. Unglaublich froh und erleichtert war ich dann, als sie mich nach meinem "Geständnis" in die Arme schlossen und offenbar froh waren, dass ich zurück war.

Mein Gewicht wurde auf der Getreidewaage kontrolliert. Der geringfügige Erfolg war jedoch, soweit ich mich erinnere, nach ein paar Wochen wieder dahin.

Ein Jahr später wurde mein kleiner Bruder für sechs Wochen in ein Kinderkurheim nach Norderney verschickt. Ich hatte großes Mitleid mit ihm, konnte aber wieder nichts dagegen tun.
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Thomas H. aus Dortmund schrieb am 16.01.2021
Kinderheilanstalt oder Kinderkurheim in (16) Bad Soden- Salmünster, Postkarten habe ich noch! Daraus geht der Zeitraum hervor muss vom 7.2.1962 bis 21.03.1962 / 6 Wochen gewesen sein. Als ich 6 Jahre und 5 Monate alt war wurde ich zur Kur geschickt. Wegen Appetitlosigkeit und weil ich zu klein und untergewichtig war. Leberkrank soll ich auch noch gewesen sein. Von den größeren Kindern, welche die Treppen herunterrannten, wurde ich mal gestoßen und habe mir beim Fallen die Stirn aufgeschlagen mit starker Blutung, die Narbe, als Andenken, habe ich heute noch. Das Essen hat mir nicht geschmeckt, ich war gefühlt immer der letzte am Tisch und musste regelrecht bitten den Tisch zu verlassen ohne aufgegessen zu haben. Einmal musste ich mich übergeben. Daraufhin wurde ich gezwungen das Erbrochene aufzuessen, dies war für mich das schlimmste Erlebnis. Als ich das zu Hause erzählte hat man es mir nicht geglaubt. Die sogenannte Betreuung wurde von Nonnen vollzogen. Mal schlimm mal weniger schlimm. Diese kirchlichen Angestellten standen, bei meiner Mutter, für das Gute! So musste ich mit den Geschehnissen allein fertig werden (Psychische Folgen kann ich nicht beurteilen). Den Kurerfolg habe ich nie erkannt, im Gedächtnis habe ich nur das Schlechte behalten. Und mein katholischer Glaube hat sich hat sich dahingehend geändert das ich mich von der Kirche als Gottes und Jesu Vertretung abgewendet habe. Im Namen dieser Institution ist zu viel Unheil über die Menschheit hereingebrochen z.B. Kreuzzüge, Hexenverbrennung, Zwangs- Christianisierung der Naturvölker. Das was ich in diesem Forum und den Berichten gelesen habe, ist unfassbar. Da bin ich ja nochmal gut davon gekommen. Es ist wirklich gut das dieses Unrecht publik gemacht wird und somit im nach hinein Verantwortliche erkannt werden!
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Petra Elisabeth Muhlberg geb. Wilkniß aus Lünen schrieb am 16.01.2021
Ich habe den Zeitungsbericht" Kinder-Kur in der Hölle" gelesen und möchte meine diesbezüglichen Erfahrungen mitteilen.
Im Sommer1967 wurde ich als 5 jährige für 6 Wochen nach Norderney zur " Erholung" geschickt. Ich hatte häufig Bronchitis und war zu dünn und sollte vor meinem Schulbeginn an der Nordsee aufgepäppelt werden.
Ich weiß nicht wie das Haus hieß aber es war sehr düster und ungemütlich .Die Aufsichtspersonen waren Nonnen .
Obwohl es Sommer war, war es im Haus immer kalt und wir durften auch nur immer für eine halbe Stunde draußen spielen, wobei ein Kind eine Schüppe bekam und ein anderes einen Eimer.
Beim Essen wurde ich immer gezwungen den Teller leer zu machen und wenn ich das Essen nicht mochte bekam ich extra noch einmal den Teller voll gemacht. Ich mußte dann solange sitzen bleiben bis alles aufgegessen war. Während dessen wurde mir gedroht, dass ich nicht nach Hause kommen würde wenn ich nicht essen würde.
Ich erkrankte dann an Windpocken, hatte Fieber und wurde isoliert in einem großen Schlafsaal - ganz alleine. Den ganzen Tag hat sich niemand um mich gekümmert, nur das Essen wurde mir gebracht. Ich habe nur geweint und wusste nicht warum meine Mama mich dahin gegeben hat und warum meine Eltern mich nicht mehr wollten.
Meine Eltern haben wohl öfter im Heim angerufen aber man hat ihnen immer gesagt,daß es mir gut geht.
Wenn der Arzt zur Untersuchung kam mussten wir immer in Unterwäsche, Barfuß auf den kalten Fliesen im Keller in Reih und Glied stehen. Manchmal sehr lange. Andere Kinder wurden auch geschlagen ,ich nicht .
Ich weiß noch,daß wir nicht einmal an den Strand gegangen sind, obwohl es ein schöner Sommer war.
Als ich nach 6 Wochen wieder in Dortmund ankam war ich statt gut erholt und aufgepäppelt abgemagert,blass und gebrochen, so das meine Mutter mich nicht wiedererkannt hat.
Noch heute träume ich davon.
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Birgit Thiesbrummel aus Gütersloh schrieb am 16.01.2021
Das Mädchen aus dem Bus auf der Hinfahrt neben mir weinte direkt bei unserer Ankunft durch den komissmäßigen Befehlston in ein- oder zwei Wortsätzen. Ich tröstete sie und meinte, daß sei bestimmt nur am Anfang so. Am nächsten Tag war ich das Kind mit dem größten Heimweh...
In unsere Gruppe/Zimmer hatten wir eine sehr nette und liebevolle "Tante" Heidi. Bei ihr fühlten wir uns geschützt. Sie hat mit uns schöne Spiele drinnen und draußen gespielt und hat mir die Karten meiner Großmutter vorgelesen, die in sytterlin geschrieben waren. Dennoch herrschte außerhalb ihrer Dienstzeit ein strenges Regiment. Wir würden gezwungen aufzuessen, auch wenn es später erbrochen wurde. Wir mussten lange Strophen Lieder auswendig lernen. Wer sie nicht konnte wurde verhauen auf dem Boden liegend. Kinder, die ins Bett machten bekamen abends nichts mehr zu trinken. Der Ton außer unserer Heidi war komissmäßig. Mich persönlich traf es nicht, aber ich litt mit den anderen. Wir haben in unserem Zimmer mit ca. 5 Kindern zwische 7 und 13 Jahren (ich war 9) den Plan geschmiedet auszureißen. Wir bekamen 1 x pro Woche unseren Koffer vom
Dachboden zur Entnahme frischer Wäsche. Wir haben dann ein paar mehr warme Sachen rausgeholt um am Folgeabend nach dem letzten Kontrolldurchgang durch das Fenster im Erdgeschoss nach draußen zu klettern und uns auf den Weg zu Fuß nach Wittdün zum Fähranleger zu machen. Dort wollten wir mit der nächsten Fähre nach Dagebüll als blinde Passagiere ? übersetzen um dort der Polizei zu schildern wie man mit und umgeht und sie bitten uns nach Hause zu bringen. Unsere Diskussion über die Polizei Amrum hatten wir schnell beendet, da wir vermuteten, dass sie uns wieder zurückbrächten und wir dann vielleicht totgeschlagen werden. Am Tag vor der Durchführung unseres Plans kam eine Karte von meinen Eltern, die von meinem Heimweh wussten, dass sie auf Amrum nun ein Zimmer hätten, sie mich zwar nicht besuchen dürften, aber ich sie in meiner Nähe wüsste. Dadurch konnte ich nicht mehr mit weglaufen - war ja keiner zu Hause - und die anderen wollten ohne mich nicht - es wäre eine Katastrophe geworden.
Zu welchen Entscheidungen Kinder getrieben wurden ist aus heutiger Sicht unglaublich.
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Thomas aus Dortmund schrieb am 16.01.2021
Ich war 1959 und 1960 zweimal im Schwarzwald,Ort Mambach,Name des kinderheimes unbekannt.
Ich habe keine Erinnerungen an das Heim.
Kennt jemand den Ort und das Heim?
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Martina aus Dorsten schrieb am 16.01.2021
Hallo, ich schreibe für meinen verstorbenen Mann. Er hat kaum darüber geredet. Nur: Er kam wegen Untergewicht in den Norden und mit 4KG weniger Gewicht zurück. ABER: Er hat in jeder Nacht laut vor Angst geschrien. Ich habe ihn jede Nacht geweckt und beruhigt. Es hat weit über 10 Jahre gedauert bis es spürbar nachließ.
Es ist grausam was kleinen Kindern angetan wird und wurde. Wir wussten nichts von Traumata und konnten nichts anderes machen als Vertrauen aufzubauen. Vielleicht hätte ein Psychologe besser helfen können als ich.
Kurz vor seinem Tod jetzt im Alter kam alles wieder hoch.
Ich konnte ihm nicht genug helfen.
Ich hoffe, dass es ihm jetzt gut geht.
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Diehlmann Heinrich aus 48683 Ahaus schrieb am 15.01.2021
Kur in Allerheiligen
Am Ende meiner Grundschulzeit meinten meine Eltern und auch der Hausarzt, dass ich doch relativ klein und schmächtig sei und vor Beginn der Gymnasialzeit noch mal etwas für meine Gesundheit machen sollte. Damals war es üblich, gewichtsauffällige Kinder in eine Kinder-Kur zu verschicken. Da wir noch kein Auto hatten, wurde ich im Januar 1961 in den Zug gesetzt, zusammen mit etlichen anderen Kindern, und nach Allerheiligen im Schwarzwald verfrachtet. Dort wurde ich für 6 Wochen im Kinder-Kurheim untergebracht mit dem Ziel, an Kraft und Gewicht zuzulegen.
Es war eine schlimme Zeit. Ich wurde mit gleichaltrigen Jungen in einem Schlafsaal mit etwa 12 Betten untergebracht. Für alles gab es feste Zeiten, abweichendes Verhalten wurde bestraft. Am schlimmsten waren die Essenszeiten im Speisesaal. Es musste gegessen werden, was auf den Tisch kam, ob es schmeckte oder nicht. Ich erinnere mich an Teller voller Haferschleim, die ich aufessen sollte. Nach meiner Weigerung musste ich so lange vor dem Teller sitzen bleiben, bis er leer war. Auch Tränen halfen nicht. Als die Hälfte der Kinder schon gegangen war und ich immer noch vorm halbleeren Teller saß, machte ich in einem unbeaufsichtigten Moment den Mund ganz voll und rannte zum Klo, wo ich alles ausspuckte.
Wöchentlich mussten wir eine Ansichtskarte nach Hause schreiben. Die wurde vor dem Absenden vom Personal korrigiert. Auch inhaltlich. Dass ich essen musste, was ich nicht wollte, und dass mir das meiste nicht schmeckte, durfte ich nicht schreiben. Nur Positives. Wir hielten uns viel im Freien auf, dick vermummt, im hohen Schnee. Ich wurde von Stärkeren oft mit dem Gesicht in den Schnee getunkt oder mit Schneebällen abgeworfen. Schlimme Erfahrungen.
Nach dem Abendessen mussten wir schlafen gehen. Dann war Ruhepflicht, sprechen war verboten. Ein Betreuer hielt auf dem Flur vor den ganzen Schlafsälen Wache bis Mitternacht und ahndete jedes Flüstern und Reden. Ich habe da viel geweint. Ich erinnere mich, dass ich mal nach dem Silentium zum Klo musste. Die anderen schliefen teilweise schon. Der Betreuer war schlecht gelaunt und daher durfte ich nicht. Ich hielt es nicht mehr aus. Da schlich ich mich in die neben meinem Bett befindliche Klappe zur Koffer-Kammer und verrichtete da heimlich meine Notdurft. Zum Glück wurde das nicht bemerkt; dieses Not-Klo nutzte ich noch einige Male.
Samstags war Bade-Tag. Es gab einen Dusch-Raum mit 11 Duschen mit Vorhängen und einer Badewanne. Alle wurden wir nacheinander vom Betreuer eingeseift. Der Kleinste musste in die Badewanne und wurde dort „behandelt“. Die Jungen in den Duschen schauten zu und kommentierten höhnisch das Gewaschen-werden des Kleinsten und sein kleines Schwänzchen. Ich hatte immer Angst, in der Bade-Gruppe der Kleinste zu sein, was ich aber einige male war! Seit diesen traumatischen Erfahrungen habe ich Probleme, im Beisein von anderen z.B. auf einer Männer-Toilette einer Autobahn-Raststätte in ein Urinal zu pinkeln.
Zum Glück war die schlimme Zeit in Allerheiligen nach 6 Wochen endlich vorbei und ich durfte wieder nach Hause. Erst 60 Jahre später besann man sich in Deutschland auf die Zustände in hunderten von deutschen Kurheimen und fing an, über die „Kinder-Kuren in der Hölle“ zu forschen.
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Martina schrieb am 15.01.2021
Aufgrund von häufig wiederkehrender Bronchitis wurde ich als 5 Jährige für sechs Wochen allein zur Bäder Kur nach Bad Salzuflen geschickt. Ein Alptraum, der bis heute mein schlimmstes Erlebnis in meinem Leben war/ist.

Meine Puppe wurde mir weggenommen, die saß oben auf dem Schrank. Ich hatte schreckliches Heimweh, nachts im Bett durfte man nicht weinen, dann musste man in eine Art Extrazelle.
Davor hatte ich panische Angst. Ich lag in einem gemischten Schlafsaal, nachts wurde patrouilliert und eine Aufseherin setzte sich an die Bettkante, ich traute mich nicht zu atmen vor Angst, die Tränen flossen mir irgendwie geräuschlos nach innen.
Ein Nachttopf, den man aber nicht so einfach nutzen durfte stand am Ende des Schlafsaales.

Einmal wurde ich von einer Aufseherin im Badebecken so lange untergetaucht, dass ich dachte, ich muss sterben.
Erst nachdem ich kräftig zappelte, ließ sie mich endlich los.

Die gleiche Aufseherin drohte auch, mich in einen großen Kochtopf zu stecken (sie zeigte ihn mir), wenn ich nicht bald "artig" sei.

Ich hatte sechs Wochen nur Angst und Heimweh.

Viele Male musste ich mit dem Gesicht zur Wand in der Ecke stehen.

Das Essen war schrecklich: Milch gekocht mit einer dicken Hautschicht drauf, oder dicke zähe Milchhautklumpen im Milchreis.
Ich erinnere mich, dass ich die Haut mit dem Finger entfernt habe und diese unter der Tischkante abstrich. Das sah eine der Aufseherinnen und zwang mich die Haut zu essen.

Meine Großmutter war erschüttert als ich bleich und stotternd zurückkam, sie hat sofort gesehen, dass etwas Schreckliches passiert ist. Ich habe danach fast ein Jahr gestottert.

Mit neun Jahren sollte ich eine zweite Kur machen, da habe ich in der Kinderarztpraxis so laut geschrien, dass dieser Plan gleich wieder verworfen wurde.
Ich hatte jahrelang und bis heute eine riesige Wut auf diese Einrichtung, von der ich heute den Namen leider nicht mehr weiß.

Gut, dass es dieses Forum gibt, wo man Zeugnis ablegen kann!
Jahrelang habe ich gedacht, ich bin eine von wenigen, die so behandelt wurde.
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Ursula Maria Wahle aus Witten schrieb am 15.01.2021
Ich weiß nicht, wie das Heim hieß, es war aber definitiv in Pivitsheide und es wurde von Nonnen betrieben. Ich wurde als 6 jährige, vor der Einschulung dahin geschickt. Ich kann mich nicht wirklich an viele Einzelheiten erinnern, aber ein Vorfall ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben. Ich hatte beim Mittagessen erbrochen ( den Grund weiß ich nicht mehr), und eine Nonne wollte mich zwingen, das Erbrochene aufzuessen. Dabei schrie sie mich an, dass von dem Teller später auch noch die Waisenkinder essen müssten. Weil ich mich weigerte, wurde ich stundenlang in einen Raum eingesperrt, in dem große Solefässer standen. Ich habe meinen Eltern nie von diesem Vorfall erzählt. Als 1977 mein Sohn auch vor der Einschulung zu einer Kinderkur geschickt werden sollte, habe ich mich geweigert.
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Ute Rühl aus Breuberg schrieb am 15.01.2021
Ich kann mich nur an sehr wenig an diese Zeit erinnern. Ich weiß noch das es Jogurt gab ,den ich nicht kannte!! Und an Ausflüge in die Dünen.Aber das es schlimmere Vorfälle gab .Daran kann ich mich nicht Erinnern. Wir waren dieses Jahr auf Sylt und haben mal in Westerland nach dem Heim geschaut. Aber das kam mir nicht bekannt vor.
LG Ute Rühl
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Simone Strunck aus Sinzheim schrieb am 13.01.2021
Liebe Leser,
es berührt mich sehr, dass es solch eine Website gibt, die Erinnerungen und Erfahrungen von damals: Erholungsheimen, heute: Verschickungsheimen sammelt. Nach Ausmisten vom Keller (Dank Corona!) habe ich Postkarten von meiner Mutter gefunden, die sie mir an das Kinderheim "Gutermann in Oberstdorf/Bayr. Allgäu geschickt hat und da sind mir Erinnerungen gekommen, die ich doch sehr gerne teilen möchte.
Ich erinnere mich an die Abfahrt, ich glaube Bahnhof Karlsruhe mit meinem Köfferchen, und wurde im Allgäu ohne Eltern etc. mit 6 Jahren für 6 Wochen in ein Erholungsheim geschickt (Krupp-Husten, Bronchitis etc.). Ich weiß nicht mehr wie ich ankam, doch ich weiß, dass wir Kinder in einem Baderaum breitbeinig uns bücken mussten... Zähneputzen war damals schon mit Himbeergeschmack angenehm, ich habe viel Himbeerzahnpasta gegessen. Ich war im "Schneewitschen-Zimmer, 4 Schlafstätte und ein Topf in der Mitte des Zimmers zum Pippi-Machen. Ich kann mich erinnern, Fieberthermometer in meinen Popo bekommen zu haben, das sehr schmerzhaft war, und auch wurden meine Ohren gereinigt so stark, dass ich Schluckauf bekam und jeder Schluckauf hat sehr weh getan. Natürlich wurden wir zu Nachmittagsschlafen hingelegt, dabei habe ich mir die Milchzähne ausgerissen. Woran ich mich auch noch erinnern kann ist, dass wir Grießbrei und Milchbrei bis zum Erbrechen erhalten haben, auch saß ich oft an einem besonderen Tisch und was ich schon damals komisch fand war der Spaziergang auf einen der Balkone/Terrassen stundenlang im Kreis, stundenlang!
Auch weiß ich noch, dass ich meine Geschlechtsteile zeigen musste auf Wunsch meiner Zimmergesellen, vielleicht ganz normal als "Doktorspiele?". Sie wollten das einfach sehen...
Auf den Karten meiner Mutter an mich nach Oberstdorf, die bereits seit 30 Jahren verstorben ist, nennt sie eine "Tante Künzel". Doch ich kann mich auch daran erinnern, dass jemand an meinem Bett sehr liebevoll die Karten meiner Eltern vorgelesen hat.
Ich weiß nicht ob ich weiterhelfen kann, doch ich habe meine Erfahrungen weitergegeben, und das ist gut so.
Die Eltern damals standen enorm unter Druck, wir dürfen sie nicht verurteilen. Unsere Kinder heute müssen dem Klimawandel entgegenstehen, unsere Eltern/Großeltern mussten Ehemänner/Kinder dem Krieg opfern, was bedeutet "breitbeinig/bücken/u. s. w." dazu?. Dennoch unterstütze ich Ihre Aufklärungskampagne,
Liebe Grüße
Simone Strunck
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Elke Pannen aus 41065 Mönchengladbach schrieb am 11.01.2021
Hallo Zusammen ,
Ich wurde als knapp 4-jähriges Mädchen nach Norderney geschickt.
Hier sind noch Erinnerungen und Gefühle aus dieser Zeit:
Ein zugiger Bahnhof, kalt, laut, viele Kinder, fremde Menschen, Geschrei, Weinen, Abschied.
Entsetzen. Angst. Panik. Schmerzen. Starre.

Ich denke, in dieser Starre habe ich die
6-monatige Trennung von meiner Familie überlebt.

Aus dieser Zeit sind mir noch Gerüche präsent.
Holzdielen im Essbereich ekeln mich.
Essen, bis der Teller leer ist. Solange sitzen bleiben.
Die schamhafteste Erinnerung ist das abendliche Fiebermessen. Alle Kinder mussten, nebeneinander in ihren Betten auf dem Bauch liegend, mit heruntergezogenen Schlafanzughosen diese Prozedur, die auch sehr schmerzhaft war, ertragen.

Mich interessieren die Auswirkungen dieses
6-monatigen Aufenthaltes als 4-jährige auf mein Leben.

Vielleicht gibt es ja noch Einige, die im Seehospiz auf Norderney in dieser Zeit
(5-11/1961) auch dort waren. Ich habe noch einige Fotos und einen Brief an meine Eltern, von Schwester Anni geschrieben.

Ich würde mich freuen, von Euch zu hören.
Liebe Grüße
Elke
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Karsten Friedrichs schrieb am 11.01.2021
Hallo zusammen!

Ich wurde im Frühjahr 1964 als Zehnjähriger nach Bonndorf im Schwarzwald verschickt.
Es war mein zweiter Verschickungsaufenthalt, der erste war kurz vor meiner Einschulung als Sechsjähriger. An diesen Aufenthalt auf Amrum habe ich - im Gegensatz zu anderen Erinnerungen aus der Zeit, z.B. meiner Einschulung - trotz Anstrengungen keinerlei Erinnerungen.
Hier mein Text, den ich vor einiger Zeit aufgeschrieben habe:

Als ich es begriff, war es zu spät. Es war Nacht und mein Vater stand da draußen, im fahlen Licht der Neonlampen eines Bahnsteigs des Bremer Hauptbahnhofs, mit ausgebreiteten Armen, die er langsam über dem Kopf zusammenführte und wieder öffnete. Ich schaute aus dem Zugfenster, während er immer kleiner und kleiner wurde, bevor er ganz verschwunden war.

Ich wurde nach hinten gezogen in das warme, feuchte Abteil, das Fenster wurde hochgeschoben und ich befand mich in einem Nachtzug mitten zwischen einigen Kindern und Jugendlichen und einer „netten Tante“, die mir nahelegte, mich jetzt auszuruhen und zu versuchen zu schlafen.

Schon wochenlang vorher hatten die Vorbereitungen begonnen, es wurden nach einer Liste mit Anordnungen Kleidungsstücke zusammengestellt, auf die meine Mutter kurze Stücke einer eigens dafür angefertigten Endlosrolle mit meinem Namen festnähte, es wurde mit (den ersten wasserfesten) Filzstiften Koffer, Taschen, Kleiderbügel und Schuhputzbürsten beschriftet („Blankputzbürste“, „Dreckbürste“, „Braun“, „Schwarz“), immer begleitet von Mutters Kommentaren wie „Hast du es gut, mal alleine richtig in Urlaub fahren, wir können uns das nicht leisten!“, selbst die Nachbarn sprachen mich darauf an.

Ich war gerade zehn Jahre alt geworden und stand vor dem Wechsel von der Grundschule in das Gymnasium, als eine ärztliche Untersuchung feststellte, dass ich leichtes Untergewicht hatte. So stand für meine Mutter bald fest, dass ich in ein Kinderkurheim „verschickt“ werden sollte, wo man mich richtig wieder aufpäppeln sollte.

Bis auf die bedauernswerte Tatsache, dass ich dadurch vorzeitig aus meiner Grundschule entlassen wurde, wußte ich nicht so recht, was ich von alledem halte sollte, vielleicht machten mich die vielen Anpreisungen und Ausdrücke empfundenen Neids auch mißtrauisch.

Ich war fünf Jahre zuvor schon einmal zu einem Kinderkuraufenthalt auf der Insel Amrum gewesen, daran hatte ich aber keinerlei Erinnerungen mehr, was bis heute so geblieben ist; dieser Zeitraum - es mögen vier oder sechs Wochen gewesen sein - ist in dem zugänglichen Teil meines Gedächtnisses nicht abrufbar, mir ist es nie gelungen, irgendein Bruchstück zu aktualisieren, und da ich noch nicht zur Schule ging, es geschah kurz vor meiner Einschulung, gibt es auch keine schriftlichen Nachrichten außer einer von irgend einer Erzieherin geschriebenen Ansichtskarte, die ich mit krakeliger Schrift mit meinem Namen unterzeichnet hatte sowie einem kleinen Andenken-Teller mit eingeritztem Fisch und dem Schriftzzug „Insel Amrum“.

Als ich merkte, was los war, gab es kein Zurück mehr. Ich weiß nicht mehr, ob ich in der Nacht geschlafen habe, ich war wie gelähmt. Irgendwann am nächsten Tag kamen wir nach 750 km in einem Kinderheim in Bonndorf im tiefsten Südwesten Deutschlands in der Nähe der Grenze zur Schweiz an. Jetzt war mir klar, dass meine Eltern mich allein gelassen hatten. Und ich wußte auch, dass sie es wissentlich getan hatten. Und dass ich nichts dagegen tun konnte. Aber ich hatte keine Wut auf sie. Das Gefühl allein zu sein; die Angst davor, dass es sehr lange dauern würde; die Gewißheit, dass ich sehr weit von zu Hause weg war, alles das war so stark, daß ich nicht wütend sein konnte auf sie. Ich wollte nur eins, so schnell wie möglich zurück. Das weiteste, das ich bis dahin von meinem Heimatort entfernt gewesen war, waren Aufenthalte auf den Nordseeinseln, d.h. drei Stunden Fahrt. Ich war zwölf Stunden unterwegs gewesen.

Alles war neu hier, ungewohnt, roch fremd, ich hatte niemanden hier schon jemals gesehen, und alles war voller Schnee, es war der 19.Februar 1964, ich war 10 Jahre alt.
Ich war davon überzeugt, dass meine Eltern nicht wußten, wie es mir hier ging. Sie wußten wohl, daß ich allein war, weg von zu Hause, aber nicht, wie es wirklich war, wie weh das Heimweh tat. Und das bildete mein Hauptproblem: Wie sollte ich Kontakt zu Ihnen bekommen, ich konnte ihnen nichts mitteilen. Wir hatten zu Hause kein Telefon und man hatte uns gleich gesagt, daß Telefonieren sowieso verboten war, vorbehalten für Notfälle. Neidisch bekam ich einmal mit, wie ein Mädchen angerufen wurde, weil es Geburtstag hatte. Ich hatte im Oktober Geburtstag gehabt.

An diesem ersten Tag noch sollten wir nach Hause schreiben, unsere Ankunft bestätigen. Und da entstand mein zweites Problem: Es gab eine Zensur. Briefe und Karten wurden von der Betreuerin durchgelesen. Würde sie kritische Bemerkungen finden, sagte sie, würde sie einem die Post zurückgeben und man hätte sie zu ändern, erst dann sollte sie losgeschickt werden, außerdem war es mir unangenehm, solch persönliche Gefühle von irgend jemand Fremdem gelesen zu wissen. Ich kam mir wie eingesperrt vor, wußte um die isolierte Situation, die endlose, für mich unüberschaubare sechs Wochen dauern würde, und daß ich meinen Eltern nicht das schreiben könnte, was ich fühlte.

Somit beobachtete ich genau, was mit der ausgehenden Post geschah, nachdem sie zensiert worden war. Mir war klar geworden, daß ich vor dieser Kontrolle nichts ausrichten konnte, um meinen Eltern davon zu berichten, wie ich mich hier fühlte, so daß sie wenigstens wüßten, was hier los war und vielleicht in ihrer Post Trost spenden konnten oder sonst was. Es musste der Zeitraum zwischen Kontrolle und Abschicken sein. Ich sah, wohin der Stapel absendefertiger Post gelegt wurde, bevor er zum Briefkasten gebracht wurde, es war eine Anrichte neben der Tür des Aufenthaltsraums. Ich hatte eine Ansichtskarte mit der Abbildung des Heims bekommen und sie mit allerlei üblichen Nebensächlichkeiten beschrieben. Vor dem Abendessen schlich ich mit einem Bleistift in den besagten Raum und erblickte den Stapel. Auf meine Idee war anscheinend sonst niemand gekommen. Endlich fand ich meine Karte und schrieb schnell mit Bleistift an den Rand „Heimweh!“, etwas Besseres fiel mir nicht ein, legte sie schnell zurück und verließ ungesehen das Zimmer. Ich fühlte mich erleichtert, es war mir gelungen, einen Plan zu entwickeln, die Wachen zu umgehen und eine Nachricht nach draußen zu bringen. Bald würden meine Eltern über alles informiert sein und reagieren.
Tagsüber ging es noch, aber am Abend musste ich heulen, nicht nur am ersten Tag. Ich versuchte krampfhaft, mich zurecht zu finden, aber vieles war schwierig, man war fast nie allein. Als Zehnjähriger wurde ich der Gruppe der großen Jungen zugeteilt. Sie ging von 10-13, ich war einer der jüngsten. Sie versuchten, mich zu ärgern, lachten über mich beim Duschen, aber ich hatte sie einigermaßen im Griff.

Morgens saß ich ab da mit sieben oder acht dieser Jungen in einem Erker auf einer Eckbank und es gab Graupensuppe, dazu Butterbrote. Alles war darauf ausgerichtet, daß die Kinder viel zunahmen, also auf mess- und sichtbare Erfolge. Mittags mußte man 1½ Stunden im verdunkelten Zimmer in seinem Bett liegen und sollte eigentlich schlafen. Es herrschte absolute Ruhe und man konnte nicht anders als nachzudenken und traurig zu werden. Abends war es ähnlich. Manchmal kam eine Betreuerin, ich glaube sie hieß Doris, wir mußten sie Tante Doris nennen, und tröstete mich. Ich war über ihre Zärtlichkeit erstaunt.

Endlich kam der erste Brief meiner Eltern: Er war eine große Enttäuschung. Weder Vater noch Mutter hatten verstanden, was ich hatte sagen wollen, sie hatten mein Notsignal nicht empfangen. Ich las etwas von „es ist ja nicht so lange“ in einem Nebensatz, woran ich erkennen konnte, daß sie das Wort gesehen hatten. Aber dass es mit Bleistift geschrieben war, der Rest mit Kuli, dass es isoliert am Rand stand, nicht im Zusammenhang und dass es ein Notruf mit Ausrufezeichen war im Gegensatz zum sonstigen Geplänkel, all das hatten sie nicht verstanden oder verstehen wollen. Ein sehr bitteres Gefühl kroch in mir hoch: Ich konnte nicht auf Hilfe hoffen. Meine weiteren Briefe enthielten harmlose Berichte der Tagesabläufe und ihre Antwortschreiben eben solche Aufzählungen der Banalitäten, die zu Hause passierten, verbunden mit neidvollen Äußerungen, wie gut es mir doch gehen müsse.

So streckten sich die Tage dahin: Aufstehen, Frühstücken, Spazierengehen, Mittagessen, Mittagschlaf, Spazierengehen, Abendbrot, Schlafen. Einmal wurde mir klar, daß es noch schlimmer hätte kommen können. Klaus aus Stade, einer meiner Zimmermitbewohner, bekam eine Blinddarmentzündung. Mitten in der Nacht holte man ihn stöhnend aus unserem Zimmer und brachte ihn ins Krankenhaus, wo er sofort operiert wurde. Einige Male gingen wir auf unseren Spaziergängen am Krankenhaus vorbei. Es war ein großes, graues Gebäude. An einem der oberen Fenster erschien ein kleiner Kopf, ein Gesicht lächelte müde. Es war Klaus. Zwei Wochen später war er wieder da, er durfte von da an nicht mehr Schlittenfahren.

Das Wetter wurde ganz langsam besser, manchmal kam jetzt die Sonne durch und der Schnee begann zu schmelzen, es begann nach einer Vorahnung von Frühling zu riechen, auch war es jetzt endlich länger hell.

Immer öfter bemerkte ich, daß andere Kinder Andenken für Ihre Angehörigen kauften, wenn wir im nahegelegenen Ort an einschlägigen Geschäften vorbeikamen. Ich dachte mir, das mußt du auch tun und erwarb von meinem Taschengeld eine Rehfamilie in Gold: Bock, Ricke und Kitz, die man an die Wand hängen konnte. Darunter stand :“Grüße aus Bonndorf/Schwarzwald“.

Meine Rückkehr schien näher zu kommen. Ich befand mich in einer Art Starre, in der man am besten unangenehme Zustände aushält und lenkte mich mit Träumereien von zu Hause ab. Wenn wir auf einem Spaziergang waren, ging ich kurzzeitig etwas abseits, die Sonne schien mir ins Gesicht, es roch nach Kuhmist, mit dem die Landwirte begonnen hatten, die Felder zu düngen, überall lagen noch angeschmolzene und in der noch tief stehenden Sonne funkelnde Schneeinseln und dann redete ich laut mit meinen Eltern. Es war fast so, als wären sie da, nur daß sie nicht da waren.

Am meisten freute ich mich auf die Ankunft in Oldenburg. Immer wieder stellte ich mir vor, wie mein Zug in den Hauptbahnhof einlaufen würde, eine riesige Menschenmenge, ein Meer aus Menschen stand da, ich etwas erhöht im Zug an der Tür, schaute umher, versuchte meine Eltern in der Menge zu entdecken. Irgendwann beim wiederholten Durchspielen dieser Szene in meiner Phantasie war ich an dieser Stelle auf die Idee gekommen, daß es toll wirken würde, wenn ich mich bemerkbar machen könnte, denn auch meine Eltern würden ja nicht wissen, aus welcher Tür ich aus dem Zug steigen würde.
So brachte ich mir die letzten Wochen bei, auf den Fingern zu pfeifen. Ich wollte die Waggontür öffnen und meinen mit den Augen den Zug absuchenden Eltern laut zupfeifen, so dass sie mich entdecken mussten. Dann würde ich ihnen zuwinken, mich durch die Menge auf sie zu bewegen und sie umarmen und alles wäre wieder in Ordnung.

Nach etwa einer Woche kam der erste Ton, nach zwei Wochen konnte ich auf den beiden kleinen Fingern pfeifen, nach drei Wochen auf allen Fingern. Die Betreuerinnen waren schon genervt, weil andauernd Kinder zu mir kamen, um etwas vorgepfiffen zu bekommen.

Dann war die Ewigkeit vorbei. Wir mussten alle unsere Sachen wieder in die Koffer legen, die Kleidungsstücke säuberlich zusammenlegen, das Schuhputzzeug wieder in den blaukarierten Beutel, den man oben zuziehen konnte usw.
Die Zugfahrt war endlos, allerdings fuhren wir diesmal nicht über Nacht. Es ging frühmorgens los und wir würden spät abends in Oldenburg sein. Schon im Laufe des Vormittags stiegen die ersten Kinder aus, die in Süddeutschland wohnten, auch Carmen Fensterer aus Ludwigshafen, die ich zuletzt richtig toll gefunden hatte. So ging es den ganzen Tag über weiter, auch mein Abteil leerte sich mehr und mehr. Spätabends waren nur noch eine Betreuerin und ich da, das vorletzte Kind war in Bremen ausgestiegen. Endlich kamen wir in Oldenburg an, aber die Wirklichkeit unterschied sich von meinen Träumen. Niemand war mehr im Zug und auch niemand stand auf dem Bahnsteig, außer meinem Vater, der etwas müde wirkte, sich aber freute, mich wiederzusehen. Meine lange geplante Ankunftsaktion vergaß ich. Als wir zu Fuß vom Bahnhof nach Hause gingen, trug er meinen Koffer.
Immerhin habe ich gelernt, auf Fingern zu pfeifen.
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Dr. Jürgen Baumgart aus Münster schrieb am 10.01.2021
Wegen Unterernährung war ich ich 3 Mal für jeweils 6 Wochen auf der „ Milchsuppeninsel“.
Meine ekelhafteste Erinnerung ist die an die
„Tanten“,
Vor allem Tante Gesche, die mich gezwungen hat, erbrochenen Kochfisch erneut zu essen.
Ein Pfleger hat mich dabei festgehalten.
Die Mittagsruhe war die reinste Schikane.
Der Schlafsaal mit 10 Kindern hatte einen Nachttopf. Den musste ich, der Jüngste randvoll
gepinkelt ausleeren.
Da ging jedes Mal was daneben. Ich musste danach den Flur mit einer Zahnbürste schrubben.
Die endlosen Wanderungen ohne Trinken waren eine Plage.
Da half auch die Prämierung der „ Mastopfer“
Am Ende der Kur nicht. MancheKinder haben 10 Teller Milchsuppe am Abend essen müssen, um das Mastziel zu erreichen.
Ich habe nach 1962 diese Insel bewusst nicht mehr aufgesucht, obwohl ich als Hobbysegler
Eine Affinität zu Wasser habe.
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Birgit aus Oering schrieb am 09.01.2021
Mit meinen etwa vier Jahren war ich dem Arzt mit 21 kg zu dünn. Also riet er meinen Eltern zu einer 6wöchigen Verschickungkur zum Zunehmen.
Wie ich ins Heim nach Muggendorf kam weiss ich nicht mehr. Nur das ich mich verloren und verlassen fühlte. Jede Nacht denselben Albtraum ... Meine Mutti ließ mich unter einer dunklen Brücke stehen, ging um die Ecke und kam nie wieder.
Die Schwester meinte nur, meine Mutti täte mich bald besuchen und ich solle doch wieder schlafen.
Einmal machte ich sogar ins Bett vor Angst. Da wir nachts nicht auf die Toilette durften und ich grosse Angst hatte, sagte ich nichts und schlief im nassen Bett. Ärger gab es natürlich, ich hatte Stubenarrest. Echt "schlimm" für einen Stubenhocker.
Viel Kontakt hatte ich nicht. Ich erinnere mich durch ein Foto an ein Mädchen, das mit ihrem Zwillingsbruder dort war. Auch zum Zunehmen.
Gewogen wurden wir jede Woche und ich schämte mich, weil ich nie zunahm. Ich würde auch immer gescholten.
Wie woanders geschrieben saßen die dünnen und dicken Kinder getrennt. Aufgegessen werden musste. Alle durften erst aufstehen, wenn das letzte Kind den Teller geleert hatte, was jeden Tag ich war.
Morgens diesen ekligen Haferschleim mit Butter, mittags und abends erinnere ich mich nicht. Nur einmal gab es Grünkohl mit Zucker so widerlich. Für mich gab es überhaupt viel mit Zucker, nur gebracht hat es nichts.
Meine Mutti besuchte mich natürlich nicht! Von Hamburg nach Muggendorf ist es doch ziemlich weit.
Zuhause erzählte ich Mutti von meinem Albtraum, aber sie meinte nur, gegen Heimweh müsse man ankämpfen.
Dieser Albtraum hielt sich übrigens bis zum 22. Lebensjahr, zu dem Zeitpunkt zog ich von Zuhause aus.
Bis heute, Jahrgang 1958, bin ich ein sehr ängstlicher Mensch. Ich habe überhaupt diverse Angststörungen, mit denen ich leben muss.
Meine Eltern denken bis heute mir hätte dieser Aufenthalt gut gefallen und gut getan. Keine Ahnung wie sie darauf kommen ...
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Maria aus Erftstadt schrieb am 09.01.2021
Ich war mit sieben Jahren in Haus Ruhreck auf Borkum.
Zum ersten Mal war ich alleine von zuhause weg! Verschickt von der Stadt Essen - um an Gewicht zuzunehmen, wie viele von euch. Es wurden die schrecklichsten sechs Wochen meines Lebens, auch das verbindet viele von uns. Kaum hatten wir das Haus betreten, wurden uns alle persönlichen Dinge abgenommen. Ich hatte Heimweh, ich war unsicher, ich war unendlich traurig. Meine Familie lebte von wenig Geld, lange hatte meine Mutter gespart, um mir ein paar Süßigkeiten mitgeben zu können. Das war sehr besonders. Es waren mehr als nur Süßigkeiten, es war ein warmes Gefühl in dieser Fremde. Die eine Tafel Schokolade, Gummibärchen, auch meine Puppe....alles wurde abgenommen, verschwand auf Nimmerwiedersehen, später sah man manchmal die ein- oder andere "Tante", die es sich mit der Schokolade gut gehen ließ, während wir die Milchsuppe in uns reinwürgten. Aber das war später....Am ersten Abend war das der Auftakt in die sechs Wochen und die Botschaft "So läuft das hier".
Viele von uns wurden nie mit ihrem Vornamen angesprochen, sondern nach Auffälligkeiten benannt. Bei mir war es meine Frisur. Ich wurde gleich am ersten Abend im Speisesaal nach vorne zitiert: "Zopfliesel, komm' nach vorne". Ich begriff nicht sofort, dass sie mich meinten. "Geht's auch schneller!" Ich stolperte vorwärts, die anderen Kinder lachten.
Mein Brustbeutel wurde mir rüde vom Hals über den Kopf gezerrt, ich hatte ihn unter meinem Pullover versteckt. Wie konnten sie ihn gesehen haben? Ein Foto meiner Mutter war darin aufbewahrt, sonst nichts, mein Anker nach Hause. Ich fühlte mich so einsam, so gedemütigt.
Die Mahlzeiten waren geprägt von Ekel, Angst, Spannung...Erbrochenes essen zu müssen, war normal. Gerne auch noch einmal tief eingetunkt in Bratkartoffel und Essiggurken, mit dem restlichen Essen verrührt. Ich erinnere stundenlange Schweige-"Strafgänge", so wurden sie offiziell genannt. Manchmal war ich dafür "verantwortlich", weil ich bei den "Tanten" Hilfe vor den Misshandlungen durch andere Kinder gesucht hatte: Quälereien mit Sicherheitsnadeln während des stundenlangen Mittagschlafs oder nachts..... Der Schlaf war reglementiert, Sprechverbot, die Hände über der Decke, nicht bewegen. Eine kalte, gefühllose Atmosphäre. Boshafte, erniedrigende "medizinische" Untersuchungen, wenn jemandem übel war. Thermometer in den Po, eine/r nach der/m anderen standen wir ohne Unterwäsche Schlange. Alles Simulanten, das war doch klar. Unsere kindlichen Bedürfnisse und die Sehnsucht nach Aufgehoben-Sein und Verständnis interessierten nicht, wir störten - das war die Botschaft an uns, von der ersten Minute an. Wir hatten uns unterzuordnen, uns zu fügen, waren keine Individuen, wir waren eine Masse, die es zu disziplinieren galt, ohne Recht auf Persönlichkeit. An dem ein- oder anderen Abend sangen wir zusammen im Speisesaal...."Der mächtigste König im Luftrevier" - im Ersten Weltkrieg eine Art inoffizielle Hymne der deutschen U-Bootfahrer (Wikipedia) und in der NS-Zeit gerne in textlicher Abwandlung gesungen. Oder "Wildgänse rauschen durch die Nacht", Symbol für die "Wandervogel-Soldaten", gerne in der Hitlerjugend, Wehrmacht oder Waffen-SS gesungen und bis in die 70er Jahre auch im Schulunterricht, bei der Fremdenlegion und Bundeswehr...... Aber beim Singen hatte ich wenigstens das Gefühl, nicht allein zu sein. Denn das waren wir sonst: allein in unserer Not auf dieser Insel, verlassen von der Welt, einsam.
Die sechs Wochen schienen nie enden zu wollen, ich weinte heimlich jeden Abend. Heimlich, weil ich verlacht, gedemütigt worden wäre, wenn es die "Tanten" entdeckt hätten. Mein wichtigstes Ziel wurde, nicht aufzufallen, unsichtbar zu sein, durchzuhalten. Ich erinnere mich nicht an freundschaftliche Kontakte unter den Kindern. Sie waren nicht erwünscht. Auch jeglicher Kontakt nach außen wurde unterbunden. Kontrolle und Erniedrigung, emotionale Kälte und Strafen, das war unser Alltag. Ein Leben in Angst, etwas falsch zu machen und dafür büßen zu müssen. Das werde ich nie vergessen. Es hat mich nachhaltig geprägt. Ich kann mir nicht vorstellen, diese Insel jemals wieder zu betreten und war sehr froh, dass der diesjährige Kongress unserer Verschickungsheim-Initiative virtuell stattfand und nicht auf Borkum.
Was ich durch den Aufenthalt gelernt habe: Autoritäten abzulehnen, ihnen zu misstrauen, nicht aufzufallen, niemandem zu vertrauen, auch meinen Eltern nicht, die mich ja nicht geschützt hatten... Meine Gefühle behielt ich seitdem lieber für mich...Aber ich lernte auch: "NIEMALS AUFGEBEN!" Nicht die Täter:innen siegen lassen. Niemals!
Heute bin ich ein fröhlicher und glücklicher Mensch. Der Weg dorthin war anstrengend.
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Josef schrieb am 08.01.2021
Ich bin 1962 im Alter von drei Jahren zusammen mit meinen beiden Schwestern (6 und 8 Jahre) nach Roggenzell im Allgäu in ein Kinderheim zur Erholung verschickt worden. Es geschah auf Anraten unseres Hausarztes, obwohl ich ein fröhliches und gesundes Kind war, wie man auf einigen Fotos von damals sehen kann. Angeblich sollte damit meine Mutter entlastet werden. Ich kann meine Eltern bis heute nicht verstehen, dass sie mich in diesem schutzbedürftigen Alter für die Dauer von 6 Wochen in eine fremde Welt geschickt haben. Was dann in den Wochen in Roggenzell passierte, hatte allerdings noch einmal eine ganz andere Qualität.

Ich war das jüngste aller Kinder im Heim, alle anderen waren mindestens schon Schulkinder. Der Horror für mich begann am ersten Abend, als wir zum Schlafen in unsere Bettchen mußten. Ich wurde zu wildfremden Jungen im Schlafsaal gelegt, ich durfte nicht bei meiner 8 jährigen Schwester bleiben, die in der kalten Ferne für mich der Mutter-Ersatz war. Ich wurde mit Gewalt von ihr getrennt und in mein Bett zu den Jungen gelegt. So einsam wie in diesem Moment habe ich mich mein Leben lang nicht gefühlt. Meine Schwester sagt, dass ich unglaublich geschrien habe und es nicht gelang mich zu beruhigen.

Die Betreuerinnen in dem Heim waren katholische Schwestern, die für mich zuständige war die Schwester Ingrid. Sie hat mein Schreien mit einem Kissen erstickt, und das Abend für Abend. Bei den Mahlzeiten wurde ich unter Tränen gezwungen den Teller zu leeren. Meine Schwester sagt, die Schwester Ingrid hätte mich gehasst. Das ging etwa 3 Wochen lang so, danach wurde Schwester Ingrid durch eine andere ersetzt. Von da an ging es mir etwas besser, denn ich durfte im Bettchen meiner Schwester schlafen.

Ich hatte nach der Rückkehr von den “Erholungswochen” einiges an Gewicht verloren und hatte mehrere Jahre keinen Appetit, vor allem konnte ich kein Fleisch essen. Durch den Gewichtsverlust und die mangelhafte Ernährung bekam ich Rachitis, eine Krankheit, die normalerweise in Hungergebieten z.B. in Afrika auftritt. Ich hatte regelmäßig Krampfanfälle und schreckliche Fieberträume, an die ich mich heute noch mit Schrecken erinnere und die meine Eltern damals total überforderten. Ich fühlte immer eine tiefe Schuld in diesen schrecklichen Träumen.

Auch später, als Jugendlicher habe ich sporadisch immer wieder mal einen dieser Krampanfälle gehabt, die oft in einer Ohnmacht endeten. Die Ärzte konnte nicht feststellen, was die Ursache der Anfälle war.

Für eine Phase als junger Erwachsener habe ich die Erlebnisse verdrängen können, ich konnte mich auch nicht mehr daran erinnern. Nach ein paar Jahren kamen die Symptome aber zurück, schlimmer als zuvor. Panikattacken, die oft mit einem Kreislaufkollaps endeten. Ich wurde sehr klaustrophobisch, konnte in keinem Fahrstuhl fahren, in keinem Bus oder mit der Bahn. Ich hatte riesige Probleme, vor Menschen zu sprechen. Ich habe mein Studium abgebrochen, als ich es nicht mehr vermeiden konnte, ein Referat zu halten. Ich konnte niemandem in die Augen schauen. Alles das führte dazu, dass ich mich sehr zurück zog.

Ich war schon über 50 Jahre alt, da kam es durch Zufall zu einem Gespräch mit meiner Schwester zu dem Thema Erholung in Roggenzell. Sie erzählte mir, was damals alles passiert war und wie es mir ergangen war. Sie war ja damals schon 8 Jahre und konnte sich noch sehr gut an alle Details erinnern. Mit einem Schlag waren all diese Erinnerungen wieder da und mir wurde klar, woher meine Problem kommen.

Interessant ist, was meine (heute noch lebende Mutter) dazu sagt: in Telefonaten mit der besagten Schwester Ingrid, wurde ihr versichert, dass es uns allen sehr gut ging. Briefe meiner Schwester nach Hause wurden kontrolliert und ihr wurde verboten, von den Vorfällen zu berichten. Mein Eltern erfuhren davon erst nach unserer Rückkehr.

Heute ist mir klar, dass ich damals mein Grundvertrauen in die Welt verloren habe. Ich habe es bis heute nicht mehr vollständig zurück erlangt, was u.a. auch zur Folge hat, dass alle meine Beziehungen zu Frauen schief gegangen sind. Ich konnte kein Vertrauen aufbringen und habe damit meine Partnerinnen immer wieder überfordert. Langjährige Therapien haben es mir ermöglicht, halbwegs mit meinen Problem klar zu kommen. Ich bin mir sicher, wenn ich die Erfahrungen in Roggenzell nicht gemacht hätte, wäre mein Leben anders verlaufen.

Ich habe schon daran gedacht, die Schwester Ingrid einmal ausfindig zu machen und sie damit zu konfrontieren, was sie bei mir angerichtet hat. Es könnte sein, dass sie noch lebt, denn nach Auskunft meiner Schwester war sie damals eine junge Frau. Irgendetwas hält mich davon ab, vielleicht sehe ich einfach keinen Sinn darin. Es würde im Grunde nichts von alldem wieder gut machen können.
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