ZEUGNIS ABLEGEN – ERLEBNISBERICHTE SCHREIBEN

Hier haben sehr viele Menschen, seit August 2019, ÖFFENTLICH ihre Erfahrung mit der Verschickung eingetragen. Bitte geht vorsichtig mit diesen Geschichten um, denn es sind die Schicksale von Menschen, die lange überlegt haben, bevor sie sich ihre Erinnerungen von der Seele geschrieben haben. Lange haben sie gedacht, sie sind mit ihren Erinnerungen allein. Der Sinn dieser Belegsammlung ist, dass andere ohne viel Aufwand sehen können, wie viel Geschichte hier bisher zurückgehalten wurde. Wenn du deinen Teil dazu beitragen möchtest, kannst du es hier unten, in unserem Gästebuch tun, wir danken dir dafür! Eure Geschichten sind Teil unserer Selbsthilfe, denn die Erinnerungen anderer helfen uns, unsere eigenen Erlebnisse zu verarbeiten. Sie helfen außerdem, dass man uns unser Leid glaubt. Eure Geschichten dienen also der Dokumentation, als Belegsammlung. Sie sind damit Anfang und Teil eines öffentlich zugänglichen digitalen Dokumentationszentrums. Darüber hinaus können, Einzelne, die sehr viele Materialien haben, ihre Bericht öffentlich, mit allen Dokumenten, Briefen und dem Heimortbild versehen, zusammen mit der Redaktion als Beitrag erarbeiten und auf der Bundes-Webseite einstellen. Meldet euch unter: info@verschickungsheime.de, wenn ihr viele Dokumente habt und solch eine Seite hier bei uns erstellen wollt. Hier ein Beispiel

Wir schaffen nicht mehr, auf jeden von euch von uns aus zuzugehen, d.h. Ihr müsst euch Ansprechpartner auf unserer Seite suchen. ( KONTAKTE) Wenn Ihr mit anderen Betroffenen kommunizieren wollt, habt ihr weitere Möglichkeiten:

  1. Auf der Überblickskarte nachschauen, ob eurer Heim schon Ansprechpartner hat, wenn nicht, meldet euch bei Buko-orga-st@verschickungsheime.de, und werdet vielleicht selbst Ansprechpartner eures eigenen Heimes, so findet ihr am schnellsten andere aus eurem Heim.
  2. Mit der Bundeskoordination Kontakt aufnehmen, um gezielt einem anderen Betroffenen bei ZEUGNIS ABLEGEN einen Brief per Mail zu schicken, der nicht öffentlich sichtbar sein soll, unter: Buko-orga-st@verschickungsheime.de
  3. Ins Forum gehen, dort auch euren Bericht reinstellen und dort mit anderen selbst Kontakt aufnehmen

Beachtet auch diese PETITION. Wenn sie euch gefällt, leitet sie weiter, danke!

Hier ist der Platz für eure Erinnerungsberichte. Sie werden von sehr vielen sehr intensiv gelesen und wahrgenommen. Eure Erinnerungen sind wertvolle Zeitzeugnisse, sie helfen allen anderen bei der Recherche und dienen unser aller Glaubwürdigkeit. Bei der Fülle von Berichten, die wir hier bekommen, schaffen wir es nicht, euch hier zu antworten. Nehmt gern von euch aus mit uns Kontakt auf! Gern könnt ihr auch unseren Newsletter bestellen.

Für alle, die uns hier etwas aus ihrer Verschickungsgeschichte aufschreiben, fühlen wir uns verantwortlich, gleichzeitig sehen wir eure Erinnerungen als ein Geschenk an uns an, das uns verpflichtet, dafür zu kämpfen, dass das Unrecht, was uns als Kindern passiert ist, restlos aufgeklärt wird, den Hintergründen nachgegangen wird und Politik und Trägerlandschaft auch ihre Verantwortung erkennen.

Die auf dieser Seite öffentlich eingestellten Erinnerungs-Berichte wurden ausdrücklich der Webseite der „Initiative Verschickungskinder“ (www.verschickungsheime.de) als ZEUGNISSE freigeben und nur für diese Seiten autorisiert. Wer daraus ohne Quellenangabe und unsere Genehmigung zitiert, verstößt gegen das Urheberrecht. Namen dürfen, auch nach der Genehmigung, nur initialisiert genannt werden. Genehmigung unter: aekv@verschickungsheime.de erfragen

Spenden für die „Initiative Verschickungskinder“ über den wissenschaftlichen Begleitverein: Verein Aufarbeitung und Erforschung von Kinderverschickung / AEKV e.V.:     IBAN:   DE704306 09671042049800  Postanschrift: AEKV e.V. bei Röhl, Kiehlufer 43, 12059 Berlin: aekv@verschickungsheime.de

Journalisten wenden sich für Auskünfte oder Interviews mit Betroffenen hierhin oder an: presse@verschickungsheime.de, Kontakt zu Ansprechpartnern sehr gut über die Überblickskarte oder die jeweiligen Landeskoordinator:innen


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2774 Einträge
Manuela schrieb am 15.12.2019
Ich dachte lange, ich habe mir das als Kind alles nur eingebildet, aber was ich hier so lese, bestätigt meine Erinnerungen.
Ich (Bj 1957) war ca. 1964 oder 1965 auch "verschickt" worden, weil ich so mickrig war. Muss nach der ersten Klasse gewesen sein, ich konnte schon etwas schreiben.
Ich kam nach Langeoog und war dort 3 Wochen lang sehr unglücklich.

Meine (bruchstückhaften) Erinnerungen:

- wir mussten um 19 Uhr im Bett sein (grosser Saal). Vom Fenster aus sahen wir andere Kinder, die noch draussen waren und spielten.

- wer später noch geredet hatte, musste eine Zeitlang im Flur stehen. Mit dem Gesicht zur Wand, Bettdecke um die Schultern.

- einmal war ich "frech" und musste in ein Zimmer mit Spielzeug gehen, dort saß ein großer Schäferhund. Ich liebe Hunde, aber war damals ein Jahr vorher von einem Schäferhund ins Gesicht gebissen worden und schlotterte vor Angst. Das ging mehrere Stunden.

- das Essen war teilweise eklig. Ich musste zuhause zwar alles probieren, aber was ich nicht mochte, brauchte ich auch nicht zu essen. Gab es halt ein Brot.
Dort sass ich stundenlang vor einem Teller mit flüssiger Grützwurst (die ich hasste), die wurden mit einer grossen Kelle und Schmatzer in tiefe Teller gefüllt und ich hatte fast gekotzt.

Sehr unbeliebt war auch rosa Milchsuppe mit Mehlklüten drin. Die hab ich nicht runterbekommen. Nach einigen Stunden hab ich sie in einen grossen Pflanzentopf geschüttet. Was mir neue Strafen einbrachte.

- wir mussten einen kleinen Brief an unsere Eltern schreiben. Der Text wurde uns vorgegeben.
Wir waren 7 Jahre alt !
Also brav abschreiben: Liebe Mami und Papi, mir geht es hier sehr gut. Ich habe viele Freunde gefunden und alle sind sehr nett.

- Besuche der Eltern waren nicht erlaubt (kein Wunder - danach wäre die "Einrichtung wohl leer gewesen).

Ich habe das alles relativ gut überstanden, weil ich ziemlich stark bin und vieles mit meinem Humor rette.
Aber jetzt im Nachhinein wundere ich mich immer noch, dass ich bei mir keine grössere Macke nachgeblieben ist .....
Meine (jetzt 83jährige ) Mutter meint übrigens, das habe ich mir wohl nur eingebildet, weil ich immer schon sehr viel Phantasie hatte. Diskutieren zwecklos.

Danke für dieses Forum und dass man sich hier mitteilen kann !
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Wilfried schrieb am 15.12.2019
Es tut mir gut zu hören, dass ich mit den mich stark beeinflusst habenden traumatischen Erlebnissen nicht alleine bin, denn bisher erschienen die Auswirkungen, trotz aller Aufarbeitung, doch noch mit einem Rest persönlichem Versagens behaftet zu sein.
1956 oder 57 wurde ich, geb1951, nach Wangerooge verschickt. Meine alleinerziehende Mutter wollte es eigentlich nicht, doch wurde vom Jugendamt Druck ausgeübt. Es gab keinen Grund für diese Maßnahme. Mir ging es gut und ich war gesund. Das spätherbstliche ,stürmische und regnerische Wetter verstärkte das Einsamkeitsgefühl noch und alles erschien dunkel und trostlos. Die ganze Stimmung auf der Insel machte mir Angst. Ich war der Jüngste und Kleinste in der Gruppe. Ich erinnere mich außer an Wanderungen an keinerlei Aktivitäten, - nicht eine positive Erinnerung an diese sechs Wochen. Die langen Spaziergänge, ich hatte jedesmal schon Angst wenn wir uns dazu anziehen mussten, waren eine einzige Überforderung. Dies brachte mich neben dem ständigen Heimweh oft zum Weinen, was wiederum einen wesentlich älteren Jungen in der Gruppe dazu anregte mich ständig zu hänseln. und zu pisaken. Außer zu einem ebenfalls älteren Jungen hatte ich keine freundschaftlichen Beziehungen. Von den Betreuern bekam ich keinerlei Unterstützung, musste aber oft lange nachts alleine im Flur stehen, da mein Weinen als störend empfunden wurde.
Eines Abends übergab ich mich plötzlich beim Essen. Ich weiß nur noch, das ich vom Tisch weggezerrt wurde. Irgendwann wachte ich in einem Bett auf. Es war in der Krankenstation, wo ich bis zur Abreise blieb, da sich mein Zustand nicht besserte. Meine Krankheit stellte sich dann als Hepathitis B heraus.
Als völlig fröhliches Kind abgereist, kam ich schwer krank, ich litt noch lange Zeit unter den Folgen und konnte nur bestimmte Kost essen, völlig verstört und in mich gekehrt zurück. Mein Selbstbewusstsein hatte stark gelitten und als die Einschulung kam fiel es mir schwer zu den unbekannten Kindern Kontakt aufzunehmen.
Mir ist schon vor vielen Jahrenn klar geworden, dass diese Zeit stark bestimmend für meine Entwicklung und meinen weiteren Lebensweg war. Ich habe versucht mit Unterstützung die entstandenen Traumata aufzuarbeiten. In vielen Dingen ist es mir gelungen, doch gibt es immer wieder Momente, in denen damals entstandene Muster mich wieder beherrschen würden, wenn ich nicht bewusst mich dagegen wehre.
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Ingrid schrieb am 15.12.2019
Ich bin heute (15.12.) über einen Bericht von focus-online zu diesem Forum gekommen und habe den Fragebogen eben ausgefüllt.

Ich war in vor meiner Schulzeit verschickt, in ein "Erholungsheim", ja von wem? Ich muss 5 Jahre alt gewesen sein, bin Jahrgang 1955. Ich hatte davor Masern mit einem ganz heftigen Verlauf. Danach empfahl die Kinderärztin eine Verschickung zur Erhohlung. Und meine Eltern haben mich "verschickt".
Irgendwo in den Schwarzwald, ich meine der Ort hieß Wieden. Ich habe jetzt aber ein Haus im Internet gesehen, dass bei mir Erinnerungen weckt. Es war ein dunkles altes, sehr kaltes Haus. Alles war dort laut, Gebrüll - und mein Heimweh brachte mich fast um. Ich habe so viel geweint. Daran kann ich mich erinnern, an einige ganz schreckliche Wanderungen durch ganz dunklen Wald und immer wieder das Geschrei.

Mit dem Wissen von heute weiß ich, dass ich den Tanten entging, weil ich vollkommen dem arischen Mädchen entsprach - sehr blond, blauäugig. Nur meine "Empfindlichkeit" entsprach nicht dem deutschen Mädel. Deshalb haben sie nach 3 Wochen meine Eltern verständigt, dass sie mich abholen sollen. Ich hatte abgenommen, kam als Gerippe nach Hause.

Ich muss jetzt eure Schilderungen wirken lassen und auch hoffen, dass noch etwas Erinnerung einsetzt. Keine Erinnerung ist meist Zeichen für eine Traumatisierung ... Ich habe nur Erinnerungen an Gefühle.
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Detlef schrieb am 15.12.2019
Hallo, als ich heute morgen beim Bäcker meine Sonntagsbrötchen gekauft habe, fiel mein Blick auf eine Zeitung mit der Überschrift " Albtraum im Nordsee Urlaub, wie Verschickungs-Kinder " über Jahrzehnte in Heimen gequält wurden. Ich habe mit Tränen in den Augen den Bericht von Herrn Peter Krausse gelesen. Geboren 1959 wurde ich in den sechziger Jahren auch mehrfach "verschickt". Zwei für mich einschneidende Erlebnisse, es muß so ca. 1967 gewesen sein, spielten sich in einem Heim, ich glaube der Ort hieß Lemsahl, bei Hamburg ab. Zum Abendessen gab es Käse, der Geruch erzeugte bei mir Übelkeit und ich mochte nichts essen, wurde jedoch von der "Tante" und unter dem Gelächter der anderen Kinder dazu gezwungen. Irgendwann habe ich mich dann übergeben. Ich habe seitdem in meinem ganzen Leben nie wieder Käse gegessen. In der folgenden Nacht hat mir nun ein anderes Kind meinen Teddy weggenommen, welchen ich mir dann wiedergeholt habe. Ich weiß nicht ob es Abgesprochen war, jedoch ist in dem Moment die Zimmertür aufgegangen und eine der "Tanten" hat mich im Zimmer stehend vorgefunden. Ich wurde nun, nur mit einem Schlafanzug bekleidet, wieder in den großen Speisesaal geführt und musste dort die ganze Nacht im dunkeln auf einem Holzstuhl sitzend verbringen. Ich weiß noch wie bitterlich ich geweint habe und einfach nur nach Haus wollte. Postkarten welche ich geschrieben habe durften keinen Inhalt zu diesen Vorkommnissen haben.
Auch in einem Heim auf Wyk auf Föhr, in welchem ich irgendwann in den sechziger Jahren für einige Wochen zur Verschickung war, herrschten bezüglich Post an die Eltern die selben Regeln. Es wurden zum Heim, der Leitung, der Unterbringung, dem Essen usw. nur positive Kommentare zugelassen.

Es ist über fünfzig Jahre her, aber diese Erinnerungen sind Narben auf der Seele......

Detlef Tamm
Halstenbek bei Hamburg.
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Olaf schrieb am 15.12.2019
Ich war 1973 im Winter in St. Peter Ording, für 6 Wochen verschickt. Ich erinnere mich an Einschüchterung, Druck etc. Ich musste alleine in dem dunklen Speisesaal sitzen und so lange dort bleiben, bis ich den Milchreis aufgegessen hatte. Seit dem habe ich nie wieder Milchreis gegessen, und der Gedanke, Geruch erzeugt noch heute ein übelkeits Gefühl.
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Boris schrieb am 15.12.2019
Ich war als 9jähriger etwa 1977 mit meiner kleinen Schwester nach Norderney geschickt worden, ich meine, die Einrichtung hieß Kinderkurheim Upsala. Die Berichte hier kann ich auch für diese Einrichtung nur bestätigen: wir durften nur Positives schreiben (die Post wurde explizit zensiert). Dass ich unglaublich Heimweh hatte, durfte darin ebensowenig auftauchen wie die handgreifliche Nachtwache. Wer nachts (oder während der zwangsweisen Mittagspause) den Schlafsaal in Richtung Toiletten verlassen wollte, musste das ganz leise und heimlich tun, andernfalls, wenn er erwischt wurde, gab es Schläge aufs Gesäß, ebenso wenn man nach angeordneter Bettruhe noch mit offenen Augen im Bett lag. Vollständiges Aufessen und kleine Hänseleien gehörten trotz „moderner“ Erzieher selbstverständlich mit dazu. Meine Oma schrieb immer noch teilweise in Sütterlin, was die meisten Erzieherinnen aber nicht lesen konnten. Aus „Boris“ wurde dann schnell „Loris“, auch mein Nachname beginnt mit „B“, was damit quittiert wurde, dass es so ein Kind ja nicht gebe. Meine Widerworte, das sei ein (Sütterlin-)“B“ und kein „L“, machten es nur noch schlimmer. Mir wurde Postentzug angedroht: ich (als Kind) solle gefälligst dafür sorgen, dass meine Oma leserlich schreibe! Sonst bekomme ich eben gar keine Briefe mehr. Neben der nächtlichen Angst vor Schläge und dem Heimweh kam dann auch noch die Angst, keine Briefe mehr von zu Hause zu bekommen. Insgesamt kann ich nur unterstreichen, dass es schreckliche sechs Wochen waren, die mich seither begleiten. Es tut gut zu erfahren, dass ich damit nicht allein bin. danke für diese Website!
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Mara schrieb am 15.12.2019
Wie stark das Trauma ist bemerke ich immer wieder erneut bei mir Jahrgang 1960....
Ich war immer ein sehr dünnes Mädchen ,sehr blass und zudem noch lange rote Haare
In dieser Kombination wurde ich bereits im Kindesalter mit ablehnenden Verhalten/Verboten Ungerechtigkeiten konfrontiert

1969 Frühjahr in Kellenhusen zur Kur
Es gab Milchsuppe mit Nudeln wo sich schon Haut darauf gebildet hatte
Es war schon für mich ganz schrecklich dies als Essen anzusehen aber wir mußten solange sitzen bleiben bis wir auf gegessen haben
Ich hatte inständig darum gebeten die Haut entfernen zu dürfen was mir versagt wurde
Ich saß allein im Raum während alle anderen bereits im Schlafraum waren und habe mit Würgereiz den Pudding essen müssen während eine Betreuerin daneben stand
Ergebnis ...
Ich habe mich nach dem Essen so übergeben das ich bis Dato keine Milch trinke/ keinen Joghurt/Quark esse halt alle Milchprodukte meide
Am Badetag im Holzzuber wurde einem Mädchen das Wasser zu heiss eingelassen
Obwohl Sie dies mitteilte mußte Sie bis zum Schluß (30min)in dem Zuber bleiben
Ergebnis Verbrühungen 1 Grades am ganzen Körper und kam ins KH und ihre Eltern holten Sie später ab Ich weiß es noch wie heute da wir alle schnellstmöglich aus den Zubern mußten das Wasser abgelassen wurde und die Betreuer sich gegenseitig die Schuld zuwiesen
An einem Ausflugstag mußte ich noch schnell zum WC als ich zurückkam waren alle weg und ich als 9jährige allein in einem riesigem Haus Ich habe mich vor Angst hinter einem Schrank versteckt und bitterlich geweint Eine Küchenfrau entdeckte mich und tröstete mich sehr liebevoll bis zur Heimkehr der Gruppe
Für mich ein sehr prägendes Erlebnis ....das Gefühl alleingelassen zu werden hat mich sehr lange
begleitet

1971 im Albtal Haus Ballenberg zur Kur
Auch dort die Problematik des ...es wird aufgegessen oder ihr bleibt sitzen
Ich hatte einen Zitronenpudding mit Sahne und es ging einfach nicht
Ergebnis... Ich wurde gezwungen den Pudding zu essen und habe mich so sehr übergeben das ich noch 2 Tage im Bett bleiben mußte
Mittagsschlaf ob man müde war oder nicht wir mußten im Bett liegen obwohl es draußen so schön war
Für mich war es eine Kasernierung von Schutzbefohlenden die sich nicht wehren konnten

1972 mit dem DHW Hamburg nach Klingenberg
Mit meiner 1Jahr jüngeren Schwester zur Verschickung
Hier habe ich sehr intensiv erfahren was es heißt von den Betreuern abgelehnt zu werden
Meine Schwester war lieb und ich halt ein Wildfang ..und Geschwister streiten auch mal
Die Betreuerin hatte einen Sohn im gleichen Alter dabei der meine Schwester sosehr mochte das wann immer eine Kabbelei zwischen mir und meiner Schwester war er zu seiner Mutter lief
Ergebnis Boden schrubben,Küchendienst etc.für mich
Badetag am Strand
Ich war schon sehr isoliert von der Gruppe und dies wurde Tage vorher schon sehr forciert von den Betreuern Ich lag in der prallen Sonne kein Schutz /Sonnenschirm/Creme und so versuchte ich mich mit einem Handtuch zu schützen und legte mir dies ins Gesicht
Es kümmerte sich auch niemand darum wie schlecht es mir mittlerweile ging zumal auch kein Trinken vorhanden war
Ergebnis Hitzschlag 3 Tage lag ich im Bett und es ging mir hundeelend
Da wurde den Betreuern wohl etwas Bange und Sie bemühten sich mir gegenüber freundlich zu sein

Ich hätte nie gedacht das ich einmal so sehr von diesen negativen Erlebnissen geprägt sein würde und immer noch diese Wut in mir spüre
Heute selbst O-Mama und ehrenamtlich in der Kinder/Jugendarbeit tätig bin ich bis heute sehr engagiert wenn es darum geht Kinder zu schützen
Einmal mehr schauen / hinhören / hinterfragen kann nicht schaden
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Frank schrieb am 15.12.2019
Hallo Zusammen,
ich war ein Vorschulkind und war mit meinem jüngeren Bruder Ende der 60er Jahre in einem Heim Namnes "Haus Hanah" in Niederkleweetz in Schleswig Holstein. Wir Geschwister wurden sofort getrennt und in unterschiedlichen Gruppen verteilt. Wir haben uns nur auf dem Flur getroffen, wenn die einzelnen Gruppen nacheinander zum Waschraum gingen. Das lief so ab, dass man in einer Reihe ging, die rechte Hand auf die Schulter des Vordermans legen musste und ein Lied singen musste. Da habe ich dann meinen Bruder kurz gesehen.
Die Nahrungsaufnahme war heftig, man musste solange sitzen bleiben, bis alles aufgegessen war, auch Sachen die man nicht mochte. Das Kinder sich auf den Teller erbrochen haben habe ich mehrmals erlebt, die Kinder mussten dann die Reste auf dem Teller trotzdem essen.
Der Schlafsaal war ein riesiger Raum, in dem die Kinder schliefen, wer es gewagt hat auch nur ein Wort mit den anderen Kindern zu sprechen, dem wurde mit einer Taschenlampe ins Gesicht geleuchtet mit dem Satz " dreh dich auf deine Schlafseite" Wer sich nicht daran gehalten hat, wurde in ein Bettlaken geknotet und auf den Gang gesetzt. Zum WC durfte man auch nicht, es gab Nachttöpfe. Die Bekleidung musste auf einem Stuhl neben dem Bett exakt zusammen gelegt werden. Absoluter Drill.
Ich kann mich nicht erinnern, dass es dort einen Spielplatz gab oder andere für Kinder interessante Schen, eigentlich sind wir nur spazieren gegangen und haben drinnen gepielt.
Wie lange ich dort war weiß ich nicht mehr.
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Wolfgang Neff schrieb am 15.12.2019
Wolfgang

Im Jahre 1965 wurde ich, 7 Jahre alt und meine Schwester 5 Jahre alt in das Kinderheim Stieg in Unteralpfen bei Waldshut "verschickt". Wir waren beides dünne Kinder, aber ansonsten gesund. Der Aufenthalt dort war schrecklich und als wir nach 6 Wochen wieder am Bahnhof in unserer Stadt zurückkamen haben wir, und auch die anderen Kinder, welche mit dabei waren, nur noch geweint als wir unsere Eltern wiedersahen.

Zu meinen Erlebnissen:

Mittags gab es einmal Zwiebelsuppe zum Essen. Nachdem ich sie drin hatte musste ich mich übergeben und der Teller war wieder voll. Immerhin wurde mir diese dann nicht mehr rein gezwungen. Nach dem Mittagessen mussten wir 2 Stunden schlafen, was wir als Kinder überhaupt nicht kannten. Unsere Post wurde zensiert und korrigiert. Dann erkrankte meine Schwester an Windpocken und wir wurden beide in einem winzigen hässlichen Zimmer mit Löchern an den Wänden für einige Tage eingesperrt. Ich erinnere mich noch, daß an der Wand ein großes Holzkreuz hing. Wir saßen am Fenster und haben den Kindern draußen im Garten zugeschaut. Einmal wurde ich und die anderen Jungs geröntgt. Wir bekamen Bleischürzen umgehängt und dann wurde der Brustkorb geröntgt. Was der Sinn dieser Aktion war haben meine Eltern wohl nie erfahren. Dann mussten einige der anderen Jungs lange rote Gummischläuche schlucken, um Magensaft zu gewinnen. Das war für mich das schrecklichste Erlebnis, als ich sah wie sie daran würgten.

Bis vor einigen Tagen dachte ich, daß diese Erlebnisse nur mich und meine Schwester betroffen hätten. Aber nachdem ich hier auch von anderen ähnliches gelesen habe, bin ich doch geschockt, was in den sechsziger Jahren so abging.

Aber auch in der Grundschule ging es ähnlich ab. Im Rechnenunterricht wurden wir von einer sadistischen Lehrerin mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen, wenn wir das Einmaleins nicht beherrschten. Immerhin hat es "geholfen", da ich es bis zum Dipl. Wirtsch.-Ing. geschafft habe.

Bis heute verstehe ich nicht, warum unsere Eltern sich das alles haben gefallen lassen.
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xxx schrieb am 14.12.2019
ich habe mich geirrt, das Heim war wohl nicht von der Arbeiterwohlfahrt, sondern das Eisenbahner Kurheim Schulenberg. Vielleicht gab es aber auch eine Eisenbahner-Arbeiterwohlfahrt, wer weiß.
Jedenfalls habe ich hier einen Bericht von 1975 gefunden:
https://www.nw.de/lokal/bielefeld/mitte/22509174_Horror-im-Kurheim-Weitere-Bielefelder-erinnern-sich-an-schlimme-Erlebnisse.html
Die Zustände waren 1975 wohl immer noch so schlimm. Hätte ich nicht gedacht. Ich kopier den Bericht einfach mal hier rein:

Noch 1975 habe ich als 9Jähriger ähnliche Erlebnisse in einem "Eisenbahner Kurheim" in Schulenberg/Harz gehabt. Ich werde nie vergessen wie ein anderes Kind, das offensichtlich mit der dortigen Ernährung Probleme hatte sein Erbrochenes erneut essen musste. Es wurde auch massiv psychische Gewalt ausgeübt, Kinder eingesperrt usw.
Am schlimmsten war es für mich, das mir zuhause niemand geglaubt hat! Es kamen Beschwerden dass ich nicht geschrieben hätte!
Hab ich, vermutlich wurden meine Postkarten wegen der Bitte um sofortige Abholung aus dem Verkehr gezogen.
Unvorstellbare Zustände aus heutiger Sicht, in den 70ern, mit den kruden Machtansprüchen der "Erziehenden/Erwachsenen" scheinbar noch tolerierbar..
Zum Glück habe ich diese Episode ohne einen bleibenden Schaden überstanden, die Erinnerungen kamen mit der Lektüre der Artikel.
Leider sind diese Vergehen vermutlich längst verjährt, oder damals keine Straftat gewesen. Die meisten Erzieher dürften auch nicht mehr leben.
Leider kann einem Kind heute auch noch entsetzliches Grauen wiederfahren, wenn es in die Mühlen unseres Systems gerät, siehe die Pflegekinder auf dem Campingplatz in Lüchte. Nicht der Regel- aber bei weitem kein Einzelfall!

EINER_AUS_SCHILDESCHE
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Gerd schrieb am 14.12.2019
Eigentlich dachte ich dass die Zeit nach rund 50 Jahren Gras über das Thema bei mit hat wachsen lassen.
Nach dem Bericht und den Kommentaren von Betroffenen brach eine Wut aus mir heraus als sei das alles Gestern geschehen.
Ich wurde mehrere Jahre meist nach Bad Dürr heim oder Bad Buchau "zur Erholung" verschickt.
Kann mich heute noch sehr gut an meine damaligen Gefühle wie Einsamkeit, Verlassenheit, Erniedrigung, Demütigung und auch meine Wut erinnern, und das nach einem halben Jahrhundert !

Konkret kann ich mich noch an folgende Ereignisse erinnern .
Öffentliche Blosstellung bei geringen oder peinlichen Regelverstößen;
sofortige Trennung von Geschwistern und Freunden währen der sogenanten “Erholung“ ;
Zensur der ausgehenden Karten oder Briefe an die Eltern.
Keinerlei ärztlich Begleitung währen des Aufenthaltes.
Systematische Brechung des Kindeswillens.
Unterordnung wurde erzwungen und war Ziel des Aufenthalts.

War ich vor der Reportage der Ansicht dass das nur mir so ging bin ich mir jetzt über die Dimension der Kindesmisshandlungen erst bewusst geworden.
In meinem unmittelbaren Umkreis hab ich einige gefunden die ebenfalls "zur Erholung" kamen. Niemand wollte noch an das Thema erinnert werden oder gar darüber berichten.
Die spät faschistoide Erziehungsbilder in die wir Nachkriegskinder hineingepresst wurden, haben zumindest bei mir eine große Wut auf meine Elterngeneration und eine große anhaltende Skepsis gegenüber Behörden Kirchen und Ärzte hinterlassen.
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Marlis schrieb am 13.12.2019
Kinderheim Luisenhof (oder "Haus Luise"???) in Bad Wildungen, Nordhessen. Ich wurde dorthin für sechs Wochen geschickt, mit 10 Jahren, Anfang 1961. Ich gehörte schon zu den etwas Größeren, es waren auch sehr kleine Kinder dort. Es war eins der kleineren Kurheime - dorthin kamen Kinder, die chronische Blasen- oder Nierenprobleme hatten oder beides, und/oder Einnässer waren.Das Bad Wildunger Heilwasser war bekannt und anerkannt hilfreich für diese Gesundheitsprobleme.
Allerdings muss man davon ausgehen, dass sehr viele der dorthin zur Kur geschickten Kinder - aufgrund der damals in den meisten Familien üblichen Prügelmethoden bei der Sauberkeitserziehung - das Einnässen als Angststörungssymptom entwickelt hatten - das wurde damals von den Kinderärzten als physiologisches Problem gesehen. Erst wenn in der Familie alle Prügel und Beschämungen ihm die "schlechte Gewohnheit" nicht "abgewöhnen" konnten, nahm man an, dass sie nicht aus Unart und bösem Willen, sondern doch aus medizinischen Gründen in die Hose oder ins Bett machten, drum brauchte das Kind eben eine Kur in Bad Wildungen.

In diesem Heim ging es zu wie in allen Berichten beschrieben. Kotze aufessen müssen, Postkontrolle, Päckchen der Eltern klauen, kleine Kinder nachts in den kalten Waschraum stellen, wenn sie im Bett gesprochen hatten, und so weiter und so fort. Die widerlichste Kinderfolterin hieß Tante Margot, die mit Freude Kindern Erbrochenes reinfütterte. Die für mich und die anderen Mädchen im Zimmer zuständige junge dumme Göre hieß Karin Meyer , "Tante Karin", ich erinnere mich, wie sie ein kleines Mädchen im Bett schlug, als es einen Scherz gemacht hatte, weil sie die Schuhe ausgezogen hatte. Sie aß die Süßigkeiten auf, die die Eltern den Kindern schickten.

Vor lauter Angst vor der Kotze-Folter habe ich mehrmals entsetzliche Übelkeit verursachendes Überfressen praktiziert - wenn man einer "Tante" sagte, ein klein wenig zu Essen hätte man noch gerne, man wäre noch nicht satt, machten sie den Teller nochmal genauso voll wie beim ersten Mal, und das sollte unbedingt aufgegessen werden, sonst saß man stundenlang oder bekam es mit Gewalt eingefüttert

Nachtwachen"tanten" zerrten kleine Mädchen aus dem Bett, um sie in den kalten Waschraum oder direkt in die Klozellen zu stellen. Ich weinte jeden Abend im Bett vor Heimweh. Vor lauter Kinderleid bekam ich Herzrhythmusstörungen und Ohnmachtszustände, was die Heimärztin feststellte, die daraufhin schonendere Behandlung für mich durchsetzte, ich durfte mal allein ins Zimmer gehen und mich hinlegen oder lesen, u.ä.
Briefe nach Hause wurden gelesen, wenn die Tanten sie zu "jammerig" und "zimperrliesig" fanbden, musste man alles neu schreiben, bis sie zufrieden waren.

Nach einigen Wochen wagte ich einen Widerstand, für den ich mich heute noch diebisch freue. Auf einem der Spaziergänge sprang ich plötzlich aus der Reihe und steckte blitzschnell einen heimlich geschriebenen Brief an die Eltern in einen Postkasten. Die "Tanten" waren außer sich vor Wut, konnten aber nichts machen - ich sagte ihnen, dass ich heimgeschrieben hätte, wie gemein sie zu den KIndern seien und dass man nicht schreiben durfte, was man wollte an die Eltern. Kurz darauf war dann die "Kur" vorbei.Einer SChulärztin erzählte ich, was im Heim geschehen war, sie notierte essich ungläubig ("Kind Marlis behauptet:Erbrochenes essen erzwingen").
Ich erinnere mich, dass die Frauen untereinander sagten, Kuren mit Mädchen seien so blöd, diese Zimperliesen allesamt, Kuren mit Jungs seien viel besser, die heulten nicht so viel und stellten sich nicht so an, egal was man machte, da könnte man sich auch an den niedlichen Pipihänsen amüsieren, etc.
Doch eins ist klar: in sehr vielen Familien waren solche Methoden alle üblich, nicht nur in Heimen - das waren die Zeiten. Und bis in die 80er Jahre hinein wurde die Bevölkerung mit dem Buch der Nazi-Ärztin Johanna Haarer vergiftet, die der kaltherzigen, brutalen Abrichtung schon von Babys das Wort redete.Auch in meiner teilweise fortschrittlich eingestellten Familie wurde geschlagen, man wusste es nicht anders, oder meinte, es nicht besser wissen zu können - allerdings sonstige Foltermethoden nicht praktiziert.
Meine schweren Traumatisierungen gab es schon, als ich die sechs Wochen in jenem Heim verbrachte, stammten aus der Babyzeit und Kleinkindhzeit, sie wurden allerdings in dieser Zeit vertieft. Kurz danach entwickelte sich bei mir eine starke Herz-Kreislaufstörung, die mich einige Jahre an der Teilnahme am Schulsport hinderte.
Das Einzige, was in diesem Heim Kinder sozusagen nach Herzenslust frei tun durften, war - weil das ja als ihre Krankheit, also nicht ihre Schuld, akzeptiert war - ins Bett und in die Hose zu machen. Möglicherweise genau aus diesem Grunde hörte das bei mir und manchen Kindern deshalb dort auf.
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Wolfgang schrieb am 13.12.2019
Mein Name ist Wolfgang. Ich bin Jahrgang 1957. Ich bin in Wuppertal aufgewachsen, lebe aber seit 42 Jahren in Köln.
Ich war zusammen mit meinem zwei Jahre älteren Bruder drei Mal für jeweils sechs Wochen in einem Verschickungsheim. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, das erste Mal war ich fünf Jahre alt. Das erste Mal war ich in Sylt, Westerland, zwei Jahre später noch einmal im selben Heim und dann wieder zwei Jahre später im Schwarzwald.
Ich war immer zusammen mit meinem Bruder verschickt worden und deshalb im Vergleich zu den anderen Kindern zu jung.
Vor allem den ersten Aufenthalt auf Sylt als fünf-jähriges Kind habe ich als Hölle erfahren und in Erinnerung. Als ich nach meinem ersten Aufenthalt zurückkam, hatte mich meine Mutter bei der Begrüßung am Bahnsteig erst einmal gar nicht erkannt, wie sie mir später sagte, weil ich so abgemagert war und so schlecht aussah. Ich kann mich an diesen Augenblick erinnern, wie ich am Bahnsteig meine Mutter entdeckte und tränenüberströmt auf sie zu rannte und sie umarmte. Sie sagte mir später, dass sie sich erst wunderte, was da ein abgehärmter Junge auf sie zulief.
Trotzdem ist es so, dass unsere Eltern uns zwei Jahre später noch einmal in dasselbe Heim verschickten und wieder zwei Jahre später in ein Heim im Schwarzwald. Mein Bruder und ich hatten von unseren Erlebnissen erzählt und ich meine nicht, dass unsere Eltern das alles angezweifelt hätten. Mein Bruder und ich waren auch sehr verzweifelt, als uns klar wurde, dass wir noch einmal in das Heim nach Sylt sollten. Ein Grund für meine Verschickungen war, dass ich seit frühester Kindheit unter chronischem Asthma leide und gesagt wurde, solche Aufenthalte würden mir guttun. Ich glaube, die Autorität von Ärzten spielte eine Rolle. Ich denke, eine Rolle spielte aber auch, dass meine Eltern auch mal einige Wochen alleine und ohne uns sein wollten, also dass sie einfach auch von ihren beiden Söhnen überfordert waren und Entlastung suchten.

Ich kann mich an erstaunlich wenige konkrete Begebenheiten der Heimaufenthalte erinnern. Mir ist in der Hauptsache die allgemeine Atmosphäre von Angst, Gewalt, Verachtung, Demütigung in Erinnerung. Ich kann es aber schlecht in Worte fassen. Ich habe es als Hölle empfunden.
An einige Sachen kann ich mich konkret und genau erinnern. Vor allem an die Mahlzeiten. Den Mahlzeiten sah ich immer mit Bangen entgegen. Ich kann mich an die Gerüche erinnern. Gerüche, die auch permanent und zu jeder Zeit in den Aufenthaltsräumen penetrant wahrzunehmen waren. Ich habe mich auch später immer wieder gefragt, was das eigentlich war, was da so stank. Irgendetwas Salziges und Fischiges. Ich weiß es nicht. Es ekelte mich jedenfalls an. Die Mahlzeiten waren meistens ein Kampf gegen den Brechreiz. Während der Mahlzeiten kam zu den Gerüchen des Essens der Geruch von Erbrochenem hinzu. Das ist das, was ich am Deutlichsten in Erinnerung habe: Wie Kinder es nicht geschafft haben, den Brechreiz zu unterdrücken und sie sich auf ihren Teller mit dem Essen übergeben mussten. Wie sie deswegen verzweifelt waren, wie sie sich deswegen geschämt haben, wie sie ratlos waren und wie sie ausgeschimpft wurden und wie sie gezwungen wurden, alles aufzuessen, die Kotze und das Essen, bis alles weg war. Für mich war immer die Frage, ob es mir gelingt, den Brechreiz zu unterdrücken oder nicht. Ich glaube, ich selbst habe nie in meinen Teller erbrochen. Ich hatte oft meinen Mund voll Erbrochenem und konnte es unterdrücken, das alles auszuspucken und habe alles wieder runtergewürgt. Die Mahlzeiten waren ein einziger Kampf und ein einziges Gewürge.
Etwas, was mich mein Leben lang belastet hat, weil ich meine Scham deswegen nicht ablegen konnte, ist die Tatsache, dass ich mich bei beiden Sylt-Aufenthalten, also als fünf-Jähriger und als sieben-Jähriger Junge wiederholt – ich weiß nicht, wie oft – eingenässt und eingekotet habe. Die Scham deswegen war damals für mich schwer zu ertragen, aber auch mein ganzes Leben lang. Auch wenn mein Verstand mir sagte, dass das nicht meine Schuld sein konnte, ich sah die Schuld bei mir. Eine irrationale Scham, die ich schlecht in Worte fassen kann.
Ich weiß, dass schlimme Sachen passiert sind. Aber ich kann mich an kaum etwas konkret erinnern. Es ist alles weg.
Ich bin jetzt aktuell so auf dieses Thema gestoßen, dass ich vor einer Woche auf Tagesschau.de einen Bericht zu diesen „Kuren“ gelesen habe. Ich war mir zuerst nicht bewusst, worum es ging, irgendetwas von Misshandlungen von Kindern. Ich habe, wie ich es manchmal mache, erst die Überschriften übersprungen und habe direkt hier und da in den Artikel reingeguckt. Als ich dann las von „Erbrochenem essen müssen“, „in dunkle Keller sperren“, „mit Stöcken geschlagen“, „Kinder in einen Sack stecken“, „Mund zukleben“, und so weiter, da wurde mir schlagartig klar, dass von dem die Rede ist, was ich selbst erlebt habe. Dann habe ich erst den Zusammenhang in den Überschriften gelesen und bestätigt gefunden, dass es um das geht, was mir selbst widerfahren ist. Was ich damit sagen möchte: Ich kann mich konkret an das meiste nicht erinnern, aber als ich die Berichte gelesen habe, war und ist mir klar, dass sie genau das schildern, was ich auf Sylt erlebt habe. Genau so war es, auch wenn ich das meiste konkret nicht erinnere. Aber diese Berichte geben genau die Stimmung wider, die mir noch sehr gegenwärtig ist: Angst, Gewalt, Verachtung, Demütigung.
Ich habe direkt meinem Bruder gemailt, mit dem ich mich nicht sehr gut verstehe und zu dem ich nur selten Kontakt habe: „kannst du dich noch daran erinnern?“. Es kam zur Bestätigung ein längeres Mail zurück mit so Begriffen wie „Gruselkeller“.
Ich kann mich auch nicht an so konkrete Dinge erinnern wie die, dass von „Tanten“ und „Onkeln“ die Rede war. Ich kann mich auch an keine dieser „Tanten“ und „Onkeln“ erinnern und wie sie aussahen. Aber ich weiß, dass ich das, was ich empfunden habe, heute als „Psychoterror“ und „Folter“ bezeichnen würde, genau wie es im Tagesschau-Bericht genannt wird.
Konkret erinnern kann ich mich daran, dass ich einmal eine Nacht alleine in einem kleinen Raum unter dem Dach eingesperrt war, aber warum, das weiß ich nicht mehr.
Ich kann mich daran erinnern, dass kontrolliert wurde, dass wir beim Schlafen unsere Arme über der Bettdecke halten, und ich mich wunderte, warum das so wichtig sein sollte. Das wäre so richtig und anders falsch. Aber das ist ja eigentlich noch harmlos.
Also kurz zusammengefasst: Was konkrete Begebenheiten betrifft, kann ich mich im Wesentlichen an die Kotze-Mahlzeiten und daran erinnern, dass ich mich oft eingenässt und eingekotet habe. Ansonsten aber kaum an konkrete Begebenheiten. Was mir aber sehr deutlich in Erinnerung ist, sind meine Empfindungen: Ich habe die Aufenthalte als pure Hölle empfunden, vor allem der erste Aufenthalt als ungefähr fünf-jähriger Junge.

Was ich mich seit anderthalb Wochen frage, ist, warum ich nie darüber geredet habe. Vor wenigen Wochen zum Beispiel machte eine gute Freundin von mir einen Kurzurlaub auf Sylt. Ich sagte ihr, dass ich auch schon mal auf Sylt war, das aber nicht als so gut in Erinnerung habe. Mehr habe ich nicht gesagt, obwohl ich über vieles mit dieser Freundin rede und obwohl mir immer präsent war, dass ich diese Erlebnisse als Hölle empfunden habe.
Ich glaube, es ist ein Mix aus drei Gründen, warum ich nie darüber geredet habe: Erstens habe ich mich immer gefragt, ob das auch alles wirklich wahr ist oder ob ich mir das nicht zu einem großen Teil nur einbilde, weil das doch nicht wirklich wahr sein könne. Dabei wusste ich immer ganz genau, dass es wahr ist. Zweitens habe ich mich gefragt, ob alles wirklich so schlimm war oder ob ich mich einfach nur anstelle, während andere Menschen bei solchen Erlebnissen kein so großes Aufheben machen würden. Dabei habe ich ja nie deswegen ein Aufheben gemacht. Und drittens ist da eine Scham, sehe ich bei mir selbst die Schuld, obwohl ich weiß, dass das Quatsch ist. Schließlich ist es ja auch so, dass im Heim uns immer die Schuld gegeben wurde.
Es gibt in der Tat auch eine Ausnahme. Einmal habe ich gegenüber Freunden darüber gesprochen. Damals habe ich aber mein Herz darüber ausgeschüttet, dass ich mich unsäglich darüber schäme, weil ich mich als fünf- und sieben-Jähriger eingenässt und eingekotet hatte. Ich habe nicht über die Misshandlungen, sondern über meine angebliche Schande gesprochen.
Ich wusste also immer zwar, dass das alles passiert ist, dass das alles schlimm ist und dass das alles nicht meine Schuld ist, aber ich habe mich selbst nicht wirklich ernst genommen.
Was ich erschütternd finde, ist die Tatsache, dass ich das in der Presse sehen muss, um es dann schlagartig ernst zu nehmen. Also ich nehme mich selbst erst wirklich ernst, wenn ich das, was ich selbst erlebt habe, in der Presse sehe.

Wenn ich jetzt diese Berichte sehe zu diesen Menschen, die jetzt zusammenkommen, um sich darüber auszutauschen, Menschen, die alle ungefähr in meinem Alter sind und mittlerweile alle wie ich ein ganzes Leben gelebt haben und offenbar alles Menschen sind, mit denen ich vieles gemeinsam habe und sehe, wie sie darüber reden und wie nahe es ihnen geht, dann bewegt mich das sehr. Ich möchte sie alle unterstützen und ermutigen und ihnen sagen, dass ich das auch erlebt habe, dass das alles stimmt und ihnen Mut zusprechen, sich nicht einzureden, das wäre alles nicht so schlimm, so wie ich das ein Leben lang gemacht habe.
Das ist mein Hauptanliegen jetzt.
Diesen Bericht stelle ich als Kommentar auf „Zeugnis ablegen“ und ich schicke ihn an die Gruppe des Sylter Heimortes und an die NRW-Gruppe der Verschickungskinder.
Es ist mir nicht leichtgefallen, diesen Bericht zu schreiben, weil ich mich immer gefragt habe, woran ich mich den nun wirklich erinnern kann und was ich mir möglicherweise nur einbilde.
Ich habe bisher noch keine anderen Zeugnis-Berichte gelesen, weil ich meine eigenen Erinnerungen nicht mit den Erinnerungen anderer vermischen möchte, bevor ich diesen Bericht geschrieben habe. Ich möchte aber auch nicht zu viel von diesen Kommentaren lesen und mich nicht zu viel digital darüber austauschen, weil mich das emotional zu sehr berührt. Ich möchte mich lieber mit anderen austauschen, wenn ich meine Gesprächspartner wirklich vor mir habe, also in einer der Gruppen.
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doris schrieb am 13.12.2019
8.12.19-12.12.19
Ein herzliches Hallo an alle, die den Mut haben, sich hier zu zeigen

Auch ich,
1955/56, damals 4+5 Jahre alt, heute 68 Jahre habe mich mein Leben lang mit dieser „Kur“ beschäftigen müssen. Report Mainz hat sie mir wieder vor Augen geführt und so bin ich auf diese Seite geraten.

„Schloss“ Friedenweiler, einer Kinderheilstätte im Schwarzwald unter Leitung des Monsignore Klotz mit Nonnen unter dem Dach der Caritas der Erzdiözese Freiburg. Zur gleichen Zeit hielten sich ca. 500 Kinder dort auf und insgesamt haben diese „Kuren“ ca. 30000 Kinder „genossen“

Ich bin Sozialpädagogin, psychoanalytische Kunsttherapeutin u. Traumatherapeutin. Diese Qualifikationen haben mir geholfen, mein frühkindliches Trauma teilweise zu lösen und damit zu leben. Und trotzdem holt es mich aktuell wegen meines Enkelkindes ein.
Ein Mädchen, 4 Jahre alt, bedacht darauf, die Liebe derer zu gewinnen, die es nähren, die für sein Überleben sorgen. Diese kleine Analphabetin, die nicht allein von A nach B fahren kann, weder Zeit noch Raum zu erfassen mag, führt mir deutlich vor Augen, in welch einer Welt so ein kleiner Mensch noch lebt:
eine Welt voller Unsicherheiten, voller Unwissen, Ungewissheiten, voller Angewiesen sein auf Erklärung für Unerklärliches, für Ängste; voll von zärtlichen Gefühlen, voll Spürsinn „Kindermund tut Wahrheit kund“; mit eisernem Eroberungswillen, voll von Fähigkeiten und Unfähigkeiten; ein Stehaufmännchen, gebeutelt von Erfolg, von Niederlagen, bedarf es eines wohlwollenden Schutzes durch erwachsene Menschen. Wie angewiesen ist dieses kleine Wesen auf Hilfe, wie abhängig von der Kraft, dem Einfühlungsvermögen, der Intuition und den weisen Entscheidungen der Riesen um es herum?!

Aktuell
Seit einiger Zeit mache ich mir Sorgen um die Ernährung meines Kindeskindes. Die innige Beziehung, die Paralellen ihres Alters, und dem Essensthema, zu meiner Zeit in der Kur damals, haben mich extrem belastet. Ich hatte Panik. Ich war verzweifelt.
Ich spürte seit Wochen sehr deutlich, die zunehmende Sorge und Angst um mein Enkelkind, eine Todesangst, es könne verhungern, eine Verlustangst auf die Zukunft gerichtet, das Kind könne so geschädigt werden, dass es später eine Essstörung entwickeln könne.

Ich suchte meine Hausärztin auf. Mein Blutdruck, sonst normal entgleiste und ich wurde notfallmäßig ins Krankenhaus geschickt. Es gibt keine körperlichen Ursache dafür, so dass die Diagnose lautet „essentielle Hypertonie“ eine vegetative „Bereitstellungs-krankheit“ u. o. ähnlich eines Konversationssymptomes als Ausdruckskrankheit be-zeichnet. Mein Herz ist unter hohen Druck geraten.

Damals, vor genau 65 Jahren geschah Folgendes:
Für mich liegt es auf der Hand, dass mein kindliches Trauma, durch die Liebe zu meinem Enkelkind und meine eigenen Esserfahrungen damals aktualisiert wurde:
Wie die Meisten hier berichten, sehe ich mich in einem riesengroßen Speisesaal, gefühlte Stunden vor dem dicken Milchreis sitzen. Zunächst an der Längsseite, dann als alle Kinder weg waren, alle Stühlchen leer, mein Teller voll, wurde ich umgesetzt, an das Kopfende des langen Tisches, nah zu den mit Küchengeschirr klappernden Nonnen, Sie liefen dort direkt hinter meinem Rücken hin und her in eine Küche. Ich hörte sie nur, wusste, dass sie mich immer im Blick hatten. Ich versuche noch heute jedes unbekannte Geräusch zu analysieren. Ist es gefährlich oder nicht. Zunächst erlebte ich so etwas wie ein Triumphgefühl, weil ich es schaffte, so lange still zu sitzen. Ich wollte stärker sein, als die Nonnen, die mich zwingen wollten zu essen. Ich schaffte es, ich träumte vor mich hin und war stolz, dass es tatsächlich nicht schwierig war, diese lange Zeit auszuhalten. Ich habe mich stark dabei gefühlt, den Brei so hartnäckig zu verweigern. Ich weiß nicht genau, aber ich glaube, ich schaute aus den großen Fenstern. Jedenfalls sah ich keine Nonne, kein Kind, sondern hörte nur die Räumgeräusche.

Plötzlich, nach dem ewigen Stillsitzen wird es Schwarz in meinen Kopf, wie als wenn ich auf ein schwarzes rechteckiges Blatt Papier sehe. Mein ganzer Kopf war davon ausgefüllt. Was war mit mir geschehen? Ich habe absolut keine Erinnerung.
Ich nahm ein Siegesgefühl aus dieser Situation mit.
Was, wenn es eine Täuschung war?

Schon als Baby, so berichtete meine Mutter mir später, habe ich keinen Griesbrei oder dicken Milchreis gegessen, habe ihn ausgespuckt. Zu Hause wurde ich liberal erzogen, niemals gezwungen und ich durfte meine Meinung sagen.

Ich blieb die ganze Kindheit über eine Träumerin, die aus der Realität ausstieg, wenn es schwierig wurde. Die Abwertung, weil ich oft so viel vergaß oder sogar konfus wurde, Fehler machte, wenn ich bewertet wurde, folgte regelmäßig. Bewertungssituationen wurden ein riesiges Thema, immer mit der Gefahr, eines Blackouts. Ich verkroch mich in Büchern und konnte wegen der Bewertungsangst nicht so viel Kapital daraus schlagen, wie es meinem Wissensstand eigentlich entsprach. Ich bin im Leben, wenn irgend möglich, Prüfungen und jeglicher Bewertung aus dem Weg gegangen, vor Angst, im entscheidenden Moment nur noch Schwarz zu sehen.

Dieses Schwarz im Kopf ist mir als 6/7jährige zum ersten Mal aufgefallen, als ich eine Ente oder später einen Wunschzettel malen wollte. Ich dachte, ich müsste doch im Kopf sehen, wie das aussieht, aber da war nichts, nur Schwarz. Mir kam das irgendwie nicht richtig vor, es war mir auch ein bisschen unheimlich. Dann habe ich gedacht, ich muss eben alles besser anschauen, dann würde sich dieses missliche Schwarzsehen vielleicht geben.
Die Gefahr der Blackbox aber blieb.
Viel, viel später, in der Mitte meines Lebens, als ich zeichnen lernte, kehrten die Bilder zurück und heute habe ich ein ausgezeichnetes Scenen-, Bild- und Filmgedächtnis.

Es erscheint nun plötzlich logisch, was wahrscheinlich nach meiner Essensverweigerung geschah. Mir fehlte bis vor ein paar Tagen, einfach die Vorstellung, dass es so etwas wie einen Zwang zum Aufessen von Erbrochenem gab. Und nun kommt es mir vor, als hätte mir genau diese Info, dieses eine Puzzleteil zu meiner Eßscene gefehlt. Mein Kampfgeist, mein Mut, der weitgehend auf der Strecke geblieben ist, kehrt nun zurück, ich möchte wissen! Und für die Anerkennung meiner leidvollen Erfahrung kämpfen.

Herzlichen Dank Anja und allen, die hier schreiben.

In diesem „Schloss“ geschahen nach meiner Erinnerung noch mehr seltsame Dinge, so dass ich sexuelle Gewalt nicht ausschließen kann, z.B. gab es Auswahlsituationen. Man konnte als Kind „auserwählt“ werden, „auserwählt sein", von einem alten Mann. Dieses Wort „auserwählt“ hat sich mir durch beide Kuren dauerhaft eingeprägt, ohne dass ich es mir näher erklären konnte. Ich habe auch ein Bild von dem Mann im Kopf (grau und von schlanker Statur, wie ein gefühlt gütiger Opa). Ich sehe und spüre noch immer, wie ich an seiner Hand inmitten der großen Kindermenge, in dem wunderbaren „auserwählten Zustand“ umherlief. Das fühlte sich so an, als wenn alles um mich herum leuchtete, hell und freundlich.

In der 2. Kur erinnerte ich mich gleich an diese Auswahlsituation, im Jahr zuvor. Es gab mir Sicherheit, weil ich wusste, worum es ging. Anders, als beim ersten Mal musste ich mich abmühen, drängeln, um in die Nähe des Mannes zu gelangen. Mit fragendem Blick an seiner Seite, strich er mir zwar übers Haar und es war, wie eine Hoffnungsschimmer, aber ich merkte, er erkannte mich nicht wieder. Er erwählte ein anderes Kind und ich war sehr enttäuscht. Nicht wiedererkannt zu werden, bedeutete wieder ganz allein, verlassen zu sein, in einer riesigen Kindermenge zu verschwinden. Ich war 5 Jahre. Dieses „Auserwählen“ scheint mir, geschah bei der Ankunft. Schwester Cortona, die mich auf ihrem Arm mit Lügen von meinen Eltern entführte, ich schrie und war nicht zu trösten, führte mich bei der 1. Kur diesem alten Mann zu, sozusagen als Trost.
Harmlos?

Vor ein paar Jahren machte der von mir befragte Wirt der Gastwirtschaft in Friedenweiler uns gegenüber zwielichtige Andeutungen über den, er nannte ihn Monsignore und erzählte, es sollen nach seinem Tod ca. 1973 bei der Räumung der Wohnung Kinderfotos, Pornos u.... gefunden worden sein. Das machte mich stutzig und hat mich bis heute nicht mehr losgelassen.
Gerede – Gerüchte?

Meine Recherche
Dieser Monsignore war der Anstaltsdirektor Ferdinand Klotz, von 1922-1971 im „Schloss“ Friedenweiler, Geistlicher, auch Geheimkämmerer des Papstes. Besonders ausgezeichnet mit dem Bundesverdienstkreuz. Ein Bild habe ich leider noch nicht gefunden, um meine Erinnerung zu überprüfen. Ich könnte aber versuchen es zu malen.

Seltsam
Unter anderem ist mir das Mädchen, Astrid, in Erinnerung geblieben, welches ich durch einen gemeinsamen Krankenhausaufenthalt in unserer Heimatstadt kannte.
Ich beobachtete dort, Astrid lag links neben meinem Bett, wie die Eltern das Kind während eines Besuches beschimpften und ihm die Schuld an seiner Krankheit gaben. Ich hatte Astrid in mein Herz geschlossen, sie war ein besonders zartes, liebes Kind und ich war richtig empört über solche Eltern. Astrid tat mir total leid, gleich als die Eltern weg waren, lief ich auf die andere Seite ihres Bettes, dahin, wo vorher die Eltern standen und tröstete sie. Ich erklärte ihr, dass sie auf keinen Fall schuldig sein könne, und ich fände, die Eltern seien schuld und böse. Ich hatte den Eindruck, sie konnte mir nicht wirklich glauben. Ich habe ganz verzweifelt versucht, sie zu überzeugen, weil ich es ganz verkehrt fand, so beschimpft zu werden.
Astrid traf ich in der 2. Kur wieder, sie hatte Asthma, es ging ihr in der Kur nicht gut, aber wir konnten auch spielen. Eines Tages suchte ich Astrid im Heim, sie war plötzlich verschwunden, doch ich fand sie nicht mehr.

Ein paar Jahre später, ich war ca. 12Jahre, traf ich die Eltern, und fragte sie, wie es Astrid ginge. Sie sagten mir, sie sei in dem Heim gestorben. Ich war schockiert und erzählte es gleich meiner Mutter, die das gar nicht glauben konnte, dass ich die Eltern erkannt habe. Ich sah die Eltern zuletzt, als ich 4Jahre war. Aber diese Momente mit diesem Mädchen hatte ich nie vergessen. Sie wirkte mit ihren blauen Augen, den blonden, leicht gelockten Haaren, mit diesem hellen, weißen Gesicht, wie ich mir einen Engel vorstellte, wunderschön.
Auf jeden Fall würde ich gerne auch darüber genauer recherchieren.

Wir mussten die Haare über Kopf im Waschbecken waschen, die Seife brannte in den Augen „...sei nicht so zimperlich...“, ich glaube es war auch kaltes Wasser, und dann wurden meine langen Haare brutal gekämmt, egal wie es ziepte. Ich habe immer geweint. Mir waren solche Verhaltensweisen völlig fremd!

Im Schlafsaal des Heimes wagte ich nicht, mich im Bett zu bewegen, weil draußen die schwarzen Wächterinnen standen. Ich fühlte mich, wie in Gefangenschaft, alles war verschlossen. Ich wusste, ich komme hier nicht raus.
Ich weiß nicht, ob wir bedroht wurden, aber ich fühlte, die ganze Atmosphäre war total beängstigend. Ich hatte auch irrsinnige Angst, aus dem Bett zu fallen, denn die Betten standen frei im Raum in Reih und Glied. Es gab kein Entkommen und ich glaubte, ich sähe meine Eltern niemals wieder.
Ich hatte mitangehört, dass es keine Päckchen, keine Briefe und vor allem keine Besuche geben darf. Ich erlebte mich total von der Außenwelt abgeschnitten. Mit diesem Wissen lag ich da, völlig ausgeliefert und ohnmächtig, ohne jemanden, der mir helfen konnte. Es war ganz, ganz schrecklich!

Ich litt zu Hause noch lange unter Albträumen, in denen ich verfolgt wurde.
Wieder bei den Eltern, habe ich aus Angst nicht gewagt, meine Arme und Hände über die Bettkante hinauszubewegen. Trotzdem lief ich nachts schreiend auf die Straße, ein nachträglicher Fluchtversuch? Ich hatte lange Angst vor dem Soldaten unter meinem Bett. Er lag dort mit dem Gewehr im Anschlag.
Einige Zeit danach drückte ich manchmal meine Nagelbetthaut von allen Fingern so fest an die Ecken der Glasplatte des Nachttisches, bis diese sehr weh taten. Erst neuerdings kam mir die Idee, dass dieses Verhalten evtl. dazu gedient hat, mich aus einem dissoziierten Zustand in die Realität zu holen.
Noch heute betreibe ich eine Extrempflege meiner Fingernägel, wenn ich durch Umwelterfahrungen ausgelöst, in konfuse Gefühle hineinrutsche, die ich nicht in Worte fassen kann, oder die ich noch nicht verstehen und deuten kann. Ich sage dann immer, „ich bin huschig“, verlege Dinge oder bin ganz abwesend.
Ich bin dann innerlich davon getrieben, mir Wissen und Erkenntnis anzueignen, um die Situation, das Ereignis einordnen zu können oder das Verhalten des Menschen mir gegenüber zu verstehen. Es ist fast, wie ein Zwang und kostet viel Zeit, da ich es auch häufig verschriftliche. Das wundert mich jetzt gar nicht mehr, denn ich habe als Kind überhaupt nicht begriffen, was da in dem Heim alles konkret falsch lief.

Als ich mit 38 Jahren das erste Mal allein verreiste, weckte mich ein entsetzliches Angstgefühl, das Herz schlug mir bis zum Hals. Senkrecht im Bett sitzend sah ich diesen bedrohlichen Soldaten im Türrahmen stehen, das Gewehr auf mich gerichtet. Minutenlang hielt ich diesen Soldaten für Realität. Ich konnte nicht fassen, dass er keine Realität sein sollte, so klar und farbig, von Feuer umhüllt stand er da, so deutlich, wie das übrige Zimmer.
Dieses Bild dieses Soldaten hat mich immer wieder beschäftigt, weil ich es mir nicht erklären konnte. Jedenfalls nicht mit Verlustangst. Beim Schreiben wird mir erst bewusst, dass dieses Bild die reine Todesangst symbolisiert!
Vor ein paar Tagen erhielt ich nun Post von Wolfgang Schrader, der mir schrieb, er sei mit 10 Jahren in diesem „Schloss“ gewesen. Er drückte seine Wut auf dieses „Schloss“ auch in einer Bildersprache aus. Er schrieb, es habe auf ihn wie ein Gefangenenlager gewirkt.
Da ich erst 4 Jahre alt war, so erklärt es sich mir jetzt, habe ich diesen Umstand vor allem gefühlt und dafür scheint der Soldat als Ausdruck zu stehen, für Todesängste, die ich dort ausstehen musste.
Ich bin sehr dankbar für Wolfgangs Rückmeldung, da sie mir eine Gewissheit gibt, dass ich die Situation richtig erfasst habe. Eine Flucht war nicht möglich. Ich erinnere mich an den Raum in dem das Aufnahmegespräch mit der Nonne Cortona stattfand. Meinen Eltern wurde jeglicher Kontakt untersagt, weder, wie ich schon oben erwähnte, dürfe es Briefe oder Päckchen geben, noch Besuch. Meine Mutter war darüber entsetzt, aber die Nonne argumentierte, dass diese Regel zum Schutze der Kinder seien, die nichts von zu Hause bekommen würden. Beinahe hätte meine Mutter mich wieder mit nach Hause genommen. Doch dann erschlich sich die Schwester Cortona mein Vertrauen, indem sie mir versprach, meine Lieblingstiere, die Rehe im Garten zu zeigen und wieder zu meinen Eltern zurück zu bringen. Mein Vater reichte mich auf ihren Arm. Aber dann, als ich mit ihr auf der gewendelten Treppe durch ein Fenster in den Garten schauen konnte, merkte ich, dass es keine Rehe gab. Ich war völlig irritiert und durcheinander. Ein Durcheinander, dann ein riesiges Gewusel von Kindern. Das war völlig wirr. Danach war die Scene mit dem Monsignore. Ich bemerkte, dass alle Türen hinter mir ins Schloss fielen. dass die Schwester Cortona mich an den Monsignore übergab, der mich dann ja „auserwählte“. Die Nonne verschwand hinter einer Tür, die ich nicht öffnen konnte und durfte. Ich habe dann oft davor gestanden. Diese Schwester, die mich auf dem Arm mit einem falschen Versprechen entführte, sah ich nie wieder.

Meine Eltern wurden unerreichbar. Ich hielt sie dann nach und nach für gestorben, ich meine noch heute diese furchtbare Resignation darüber zu spüren. Ich habe davon ein Gefühl zurückbehalten, dass es alles immer dunkler wurde, auch in mir. Später erzählte ich, ich sei dort seelisch gestorben.

Immer wieder habe ich Schwierigkeiten zu erkennen, ob Menschen mir ehrlich und vertrauenswürdig begegnen: zum Teil blieb ein gesundes Misstrauen, zumindest Fremden gegenüber und vor allem Kirchenmenschen, aber in nahen Beziehungen werde ich erst nach und nach gewahr, wenn ich ausgenutzt, belogen oder betrogen werde. Es fällt mir schwer, Schein, manipulatives Verhalten, Verschleierung, und Halbwahrheiten eindeutig zu identifizieren. Spontan erfasst mich eher eine naive Glaubwürdigkeit oder ein diffuses Gefühl, von Unstimmigkeit. Das hat zu tragischen Weichenstellungen in meinem Leben geführt. Dieses darzustellen, wäre hier nicht der geeignete Ort, aber der wird sich sicher auch noch ergeben.

Unerklärliches, konfusen Erleben in Worte zu fassen, zu begreifen oder eine Aufklärung dafür zu finden, hat mich bis heute viel Zeit und Energie gekostet. Sehr oft haben sich diese diffusen Zustände auf Verlust- und Todesängste bezogen, die sich in Träumen und in Tagebüchern konkret ausdrücken.
Ich habe aber auch ganz unbewusst, ohne dass ich es mir vorgenommen hätte wichtige Bilder gemalt. Sie beziehen sich z.B. auch auf sexuelle Gewalt und nackte Nonnen, für mich bisher nicht erklärbar. Einen Sinn könnten sie im Zusammenhang mit meiner Kur machen, ich weiß es aber noch nicht.

Ich kam als eingeschüchtertes mucksmäuschenstilles, fügsames Kind nach Hause, voller Ängste davor, Fehlern zu machen und negativ bewertet zu werden. Ungefähr bis zum 16. Lebensjahr war ich wie mundtot. Ich sei wie ausgewechselt gewesen, sagte meine Mutter und sei krank nach Hause gekommen.
Ich habe zwar überlebt, konnte mich aber nie mehr meiner Mutter vertrauensvoll anschließen. Unser seit der Kur gestörtes Verhältnis, denn sie hat ebenso unter den Folgen gelitten wie ich, hat uns ein Leben lang begleitet. Sie glaubte mir damals, da sie meine Reaktionen ja auch erlebte und war der Meinung, dass es ein großen Fehler gewesen sei, mich wegzuschicken. Diese Schuldgefühle haben sie bis zu ihrem Tod 1996 begleitet. Sie konnte sich als Laie aber nicht konkret vorstellen, wie lebensbestimmend, verhaltensprägend derartige Gewalterfahrungen in der frühen Kindheit auf den Lebensverlauf wirken würden und wie schwer es ist, die daraus resultierenden Schlussfolgerungen, Einstellungen und Einschränkungen zu korrigieren oder ganz zu überwinden. Das war vielleicht auch gut für sie.

Traumatisierte Kinder erleiden nicht nur ihr Trauma, was schon schlimm genug wäre, sondern müssen mit den folgenden Ängsten und Beeinträchtigungen lernen, umzugehen, entwickeln daraus Notverhaltensweisen, „ernten“ von der Umwelt im weiteren Lebenslauf, oft viel Unverständnis und Kritik oder werden abgewertet. Das zeigt sich z.B. in solchen Äußerungen, wie : „...wenn man nur will, ...dann kann man auch...“ oder „...was wühlen sie denn nur immer in der Vergangenheit rum...“ „...das sind doch alles alte Kamellen...“ „...muss das sein, dass du dich so aufregst...“ usw.

Ich musste mich mit diesem Vergangenen auseinandersetzen, sonst hätten meine Gefühle mich in Panik und Schrecken versetzt. Ich habe viel Energie dafür einsetzen müssen, damit diese Vergangenheit mir mein Leben nicht verdirbt, verdunkelt, mich total kaputt macht, damit ich meine Ängste im Griff behalte und steuern kann, damit ich nicht krank werde und niemand anders, z.B. meine Kinder darunter leiden müssen.

Ich hoffe, es wird deutlich, in welchem Zusammenhang meine Todes- und Verlustängste bezüglich meiner Enkelin aktualisiert wurden. Ich musste leidvoll erfahren und weiß darum, wie nachhaltig frühkindliche Erfahrungen das Leben prägen können. Ich habe versucht, das Beste daraus zu machen, indem ich lernte, das Kind, was jeder einmal war, zu verstehen, mich einzufühlen und ihm zur Seite zu stehen. Und das hat mich ebenso bei meinen Kindern geleitet, wie bei meiner Enkelin.

Nun versuche ich, Informationen zu bekommen, weil ich noch sehr klein war und vor allem das Meiste als Gefühl gespeichert habe. Ich habe zwar bildliche Erinnerungen, Scenen, Worte, aber es sind Bruchstücke. Ich möchte Gewissheit, recherchieren, möchte wissen, ob ich mit meiner Wahrnehmung als kleines Kind die Realität erfasst habe, wie unmenschlich sie durch die Nonnen und den Monsignore gestaltet wurde. Einfach zerstörerisch!

Ich würde gerne ein Zwillingspärchen finden, die mit mir bei der 2. Kur ein Zimmer bewohnt haben. Ich würde gerne so etwas wie einen Aufruf starten. Weiß aber noch nicht genau wie. Es wäre ein Geschenk, sie zu finden.
Und ich habe den Weihnachtswunsch, dass mir ein Buch mit Bildern und Dokumenten gelingen möge.
Und vielleicht kann mein Bericht auch ein bisschen helfen oder anregen.

Liebe Grüsse an alle,
von den Eltern gerufen Mäuschen, von den Nonnen geändert in Dorle
Doris
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Monika Winter schrieb am 13.12.2019
Ich wurde 1962 mit fünf Jahren in ein Kindererholungsheim in Westherbede verschickt weil ich nicht essen konnte. Das Haus wurde von Nonnen geführt. Die Methoden waren grausam. Nach meiner Rückkehr habe ich kaum gesprochen.

Es müsste das "Kindererholungsheim der Stadt Bochum in Westherbede" gewesen sein. Leider hat hier noch niemand von diesem Haus berichtet. Es gibt ein altes Foto im Internet. Kann sich jemand erinnern dort gewesen zu sein?
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Karin Diestel schrieb am 13.12.2019
Hallo Roswitha, ich bin eine Leidensgenossin aus Bad Sachsa. Ich wurde 1951 geboren und man verschickte mich kurz vor der Einschulung, weil ich angeblich zu dünn und zart war. So verbrachte ich drei Jahre nach Dir, sechs Wochen in Bad Sachsa. Diese Zeit hat mich geprägt, doch das weiß ich jetzt erst, denn nach und nach tauchen Erinnerungen auf und runden mein Bild ab. Ich habe nie über diese Zeit gesprochen und traue mich noch sehr vorsichtig an das Erlebte heran. Vieles von Deiner Erzählung erinnere ich klar, einiges noch vage. Ich lebe in Schleswig-Holstein, bin vor vier Jahren noch mal in Bad Sachsa gewesen, um das Heim zu suchen. Ich habe davor gestanden, mit Tränen in den Augen und vieles wiedererkannt. Warum hat man uns Kindern das angetan?
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Rainer W. schrieb am 12.12.2019
Hallo zusammen,

ich war 1973 kurz vor der Einschulung 6 Wochen zusammen mit meinem Bruder in einen Heim auf der Insel Langeoog.

Organisiert war der Aufenthalt über die Caritas und das Heim wurde von Ordensschwestern geführt. Begleitet wurden wir damals auf der Zugfahrt ab Titisee-Neustadt von einer äußerst strengen, älteren Frau.
Was für mich als Abenteuer begann, stellte sich als eindrückliche Erfahrung heraus, welche mich bis heute begleitet.

Mein Bruder und ich wurde in verschiedene Gruppen getrennt und wir durften uns nur selten kurz sehen. Meinen Eltern berichtete ich hinterher, dass ich neun Mal Heimweh hatte.

Obwohl ich Schläge seitens Elternhaus gewohnt war, hatte ich vor der Brutalität und den Strafen in dem Heim richtig Angst.
Wenn es in dem großen Schlafsaal abends nicht ruhig wurde, konnten schon mal mehrere Schwestern reindonnern und wahllos auf die Kindern draufschlagen.
Auch bei kleineren Vergehen waren die Betreuer nicht zimperlich.

Besonders schlimm fand ich die Bestrafung, bei der man die Nacht in einem dunklen Speicher bei abgeschlossener Türe auf einer einfachen Matratze auf dem Boden verbringen musste.
Ich selbst musste das nicht erleben, aber ich „durfte“ mehrmals morgens die Türe aufschließen und sah jedes Mal ein völlig verstörtes Kind.
Diese Strafe gab es z.B. dann, wenn auch nach Erbrechen das Essen nicht vollständig aufgegessen wurde.
Man musste immer alles aufessen.
Ansonsten gingen sie mit einem in ein Nebenzimmer und dann gab es kein Entrinnen mehr.
Aufgrund dieses Erlebnisses hab ich noch bis vor wenigen Jahren keine Linsen mehr angeschaut.

Es gab immer wieder Gerüchte, dass Kinder versucht haben sollen, von der Insel zu flüchten.
Das fand ich wiederum spannend und weckte in mir die Abenteuerlust.
Versucht habe ich es nicht, aber der Gedanke daran hat mir sicher über die schlimme Zeit hinweggeholfen.
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Alexandra schrieb am 12.12.2019
Guten Abend zusammen,
soeben habe ich im SWR den Beitrag über die Verschickungskinder gesehen. Gleich sind wieder alte Erinnerungen an die Kinderlandverschickung in mir hochgekommen.

Es muss im Herbst 1964 gewesen sein, als ich mit 9 Jahren zwecks Gewichtszunahme und Stabilisierung der Gesundheit in das Erholungsheim nach Adenau in der Eifel geschickt wurde. Das Erholungsheim wurde von Nonnen geführt. Unter unserem Schlafsaal befand sich die Kapelle. Das hatte zur Folge, dass wir Kinder ab 4.30 Uhr nicht mehr zur Toilette gehen durften und bis zum Aufstehen einhalten mussten, weil ansonsten die betenden Nonnen gestört worden wären. Wer das nicht geschafft hat, musste später mit einer entsprechenden Bestrafung rechnen.

Auch ich habe erlebt, dass nicht aufgegessenes Mittagessen, anstatt des Teilchens oder des Abendessens, nachmittags bzw abends wieder auf dem Tisch stand. Und bevorzugt wurde seinerzeit "Himmel und Äd" und dazu gebratene Blutwurst oder Sülze serviert. An den widerlichen Geruch erinnere ich mich bis heute.
Vor der Mittagsruhe haben wir alle eine Apfel bekommen, der dann im Ruheraum mit Stiel und Gehäuse gegessen werden musste. Wehe dem, es blieb ein Apfelrest übrig.

Es gab ein paar Mädchen, mit wunderschönen langen Haaren, die von Kopfläusen betroffen gewesen sein sollen. Denen wurde der Kopf kahl geschoren. Ein Schock.

Briefe an meine Eltern, in denen ich von meinem Heimweh geschrieben und berichtet hatte, dass ich jede Nacht vor Heimweh weine und die gesammelten Tränen in meinem Kulturbeutel sammeln wollte um meinen Eltern zu zeigen wie unglücklich ich gewesen war, wurden meinen Eltern gar nicht zugeschickt oder mussten umgeschrieben werden. Allerdings wurde ich im Glauben gelassen, dass die Briefe natürlich verschickt wurden. Das hat dann später teils dazu geführt, dass ich das Vertrauen zu meinen Eltern verloren hatte und mich von ihnen nicht beschützt fühlte.
Jeder spätere Schullandheimaufenthalt aber auch Urlaube mit meinen Eltern zusammen waren lange für mich eine Tortur weil ich extrem unter Heimweh litt und nur nach Hause wollte.

Am 6.12. kam der Nikolaus mit dem Knecht Ruprecht in das Erholungsheim. Ich erinnere mich daran, dass Knecht Ruprecht dazu benutzt wurde, uns Kinder in Angst zu versetzen. U.a. sind 2 Kinder, die wohl als unartig auffällig geworden waren, von ihm schreiend und weinend in seinen Jutesack gesteckt und darin aus dem Raum geschleppt worden. Wir waren sehr erschrocken und hatten große Angst weil wir ja nicht wussten, wer der nächste sein würde und was mit den Kindern passiert.

Natürlich hat der Aufenthalt meine Kinderseele beschädigt und mich lange belastet und anstatt zuzunehmen, bin ich mit erheblich weniger Gewicht als vorher nach Hause gekommen bin.

Vor ein paar Jahren habe ich mir das Gebäude des damaligen Erholungsheimes wieder angesehen. Es ist inzwischen an Privatleute verkauft worden und befand sich im Umbau. Das hat mir etwas geholfen, Erinnerungen an den damaligen Aufenthalt zu verarbeiten. Zumindest kann ich heute leichter darüber reden und endlich finde ich Menschen, denen ähnliches oder schlimmeres widerfahren ist.
Lange dachte ich, ich bin vielleicht übersensibel und nahezu die Einzige, die unter einem Erholungsaufenthalt gelitten hat und gleich kommt der Gedanke oder die Stimme : ....ach stell Dich nicht so an.
Gut, dass das mal thematisiert wird und Betroffene sich endlich mal Luft machen und sich ggf. austauschen können.
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Gabriele Abbühl-Herzsprung schrieb am 12.12.2019
Ich war 1955 auch in Westerland / Sylt, kann mich aber an den Namen des Heimes nicht erinnern. Ich weiß nur, dass der Haupteingang zu einer Art Promenade wies, denn dort auf den Treppen des Eingangs musste ich immer mal wieder mein Erbrochenes essen. Da ich aus dem Allgäu stamme, aß ich keinen Fisch - den gab es aber häufig. Makrelen. Nie mehr im Leben habe ich Makrele angerührt.
In dem Heim gab es in meiner Aufenthaltszeit auch einen schweren Unfall. Folgen unbekannt. An den Heizkörpern (ich war im Spätherbst dort) ragten nur die Vierkantventile heraus und ein Mädchen aus Bamberg (ich betrachtete sie als meine Freundin) wurde wegen Schwätzens geschlagen und prallte mir ihrer Schläfe auf den Vierkannt. Ich habe sie nie wieder gesehen und habe dieses Bild nie vergessen.
Meine Eltern glaubten mir meine Erzählungen vom Aufenthalt nicht. Ich bekam danach Mutismus, der in sehr abegschwächter Form auch heute noch bei Verletzungen (seelisch) eintritt.
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Regina Koch schrieb am 12.12.2019
Nachdem ich den Beitrag von Monitor gesehen habe, musste ich fürchrterlich weinen. Ich glaubte, die zweimalige Verschickung nach Bad Wildungen in den 50er Jahren als nicht so bedeutungsvoll abhaken zu können. Wann ich genau da war, kann ich nicht mehr nachvollziehen, es muss vor und nach der Einschulung gewesen sein. Beim 2. Mal hatte ich nach Hause geschrieben, dass ich Erbrochenes essen musste, aber dieser Brief erreichte meine Eltern nie. Seit diesen Aufenthalten habe ich bis zum 15. Lebensjahr das Bett genässt und mir die Fingernägel blutig gerissen. Lang geduldete Erniederungen brachten jahrelang in plötzlichen explosiven, aggressiven Verhaltensweisen scheinbar vorübergehende Erleichterung, gefolgt von schlechtem Gewissen. Mehrfache Psychotherapien gingen dem nicht auf den Grund. Bis heute habe ich panische Angst vor dem Verlassenwerden. Ich bin entsetzt und zugleich erleichtert, dass ich nicht "gesponnen" habe, wie mir früher vielfach unterstellt wurde.
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Claudia Kämper schrieb am 12.12.2019
Hallo Katma, ich war 1969 mit 5 Jahren in diesem Kurheim. Es war die schlimmste Zeit meines Lebens. Zu einer Seite einschlafen, keinen Blickkontakt, kein sprechen, einen Eimer als Toilette im Schlafraum, wobei die Toiletten direkt auf dem Gang waren. Wer weinte , musste barfuß auf dem dunklen Flur stehen ( da stand ich leider oft). Zum Essen gezwungen, Strafe, wenn die Haare auch nur minimal nass waren vom Baden in der braunen Wanne mit Salzwasser. Leider waren diese viel zu groß für so kleine Kinder.
Nicht eine gute Erinnerung und die schlimmsten Erinnerungen hat mein Gehirn wohl woanders hin platziert . Ich bin so froh, dass das jetzt alles ans Licht kommt , nur leider glaubt der Teil meiner Familie immer noch nicht , dass uns Kindern das passiert ist. Jetzt bin ich 55 Jahre und ich brauche endlich nicht mehr deren „ Einsicht“ über diese Zeit. Ich habe hier viele andere Menschen, mit denen ich dieses Schicksal teile und natürlich mit Ihnen, da wir das selbe Heim besucht haben. Alles Gute für Sie- Claudia
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Rainer Pörzgen schrieb am 12.12.2019
Im Sommer 1956 bin ich von der BEK nach Wüstensachsen in der Rhön verschickt worden; ich war damals acht Jahre alt. Das Heim lag oben lag an einer Straße, dahinter befand sich eine abfallende große Wiese bis zu einem Bach. Wir sind geschlagen worden und auch zur Strafe (z.B. für Reden im Schlafraum nach Löschen des Lichts) in den dunklen Keller gesperrt worden. Dass ein Kind sein Erbrochenes essen musste, daran kann ich mich allerdings nicht erinnern. Einmal in der Woche mussten wir nach Hause schreiben, unser Alltag im Heim war positiv zu beschreiben; das Geschriebene wurde zensiert, fand es nicht die Zustimmung des Personals, wurde es zerrissen und musste neu geschrieben werden.
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Claudia Kämper schrieb am 12.12.2019
Liebe Gaby, ich habe ganz Ähnliches in Bad Salzuflen erlebt 1969 mit 5 Jahren. Ich war dort zur Gewichtszunahme. Großer Schlafsaal, einen Eimer als Toilette , da es verboten war, Nachts auf die Toilette im Gang zu gehen.
Wir durften nur mit dem Gesicht zum Fenster einschlafen, damit jeder Blickkontakt oder Sprechen zum Nachbarn vermieden werden konnte. Da ich unglaubliches Heimweh hatte, habe ich sooft geweint, wurde dann aus dem Raum gezerrt und verbrachte eine lange Zeit barfuß im kalten Flur, stehend.
Die Wannen waren braun mit dem Salzwasser und die machten mir schon beim Anblick Angst. Da sie so groß waren , konnte ich mich nicht halten darin und bekam immer eine Strafe, wenn meine Haare nass wurden. An die Strafe erinnere ich mich nicht mehr, aber sie war schlimm. Das hat wohl mein Gehirn ausgegrenzt. Auch ich musste lauwarme Milch mit Haut jeden morgen trinken, was natürlich immer zu einem Desaster wurde. In der Küche jedoch gab es eine Dame, die mir ab und zu ohne Wissen der Erzieherinnen ein klein wenig Kakao in die Milch gaben oder zumindest die Haut vorher entfernte.
Ich bin so froh, dass es dieses Forum gibt und ich nicht mehr alleine bin. Ich habe tatsächlich bisher immer gedacht, ich wäre alleine mit dieser Erfahrung. Wenn ich früher jemanden mal erzählt habe von dieser Kur, hat man das wohl nicht ganz ernst genommen. Selbst meine Schwester glaubt mir das nicht wirklich. Ich habe ihr einen Link von Report Mainz geschickt, auf den sie aber gar nicht reagiert hat. Aber damit kann ich leben, da ich froh bin, nicht allein mit diesem Schicksal zu sein.
Alles Gute, liebe Gaby!
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Beate Schrader schrieb am 12.12.2019
Im Frühsommer 1967 verbrachte ich im Alter von 6 Jahren 8 schreckliche Wochen im Hamburger Kinderheim "Köhlbrand" in St. Peter Ording (6 Wochen reguläre "Kur" und 2 Wochen Verlängerung, weil ich gegen Ende die Windpocken bekam und unter Quarantäne gestellt wurde). Sicher habe ich Vieles verdrängt. An Einiges erinnerte ich mich immer, nämlich dass ich zum Essen gezwungen wurde und man mir mitteilte, mein Vater hätte geschrieben, sie sollten mich in den Schweinestall stecken. Anderes hielt ich lange Zeit für einen Albtraum, z.B. dass ich immer wieder gezwungen wurde, mein Erbrochenes aufzuessen, und dass im nächtlichen Schlafsaal Kinder geschlagen wurden. Erst durch den jüngsten Bericht von report Mainz wurde mir klar, dass all dies wirklich passiert ist, dass es mir passiert ist, aber auch Hunderten oder wahrscheinlich sogar Tausenden anderer Kinder. Seitdem kreisen meine Gedanken immer wieder um die damaligen Erlebnisse, die ich doch eigentlich schon längst verarbeitet glaubte.
Natürlich hatte mein Vater nichts dergleichen geschrieben. Im Gegenteil: Da ich damals noch nicht zur Schule ging und nicht schreiben konnte, hatte ich mit meinen Eltern einen Code vereinbart, wie ich durch in einer Zeichnung versteckte Striche mitteilen könnte, wie es mir geht. Die Zeichnung, die von mir nach Hause geschickt wurde, enthielt die maximale Anzahl von Strichen (schlechtmöglichste Bewertung), versteckt in einer Rauchfahne aus dem Schornstein eines Häuschens. Daraufhin schrieb mein Vater das Heim an und erhielt einen beruhigenden Brief. Ich sei anfangs ein "außerordentlich nervöses Kind" gewesen, hätte mich aber gut eingelebt, fühle mich wohl und "gebe mir große Mühe". Diesen Brief besitze ich noch und stelle ihn gerne zur Verfügung.
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Thomas C. schrieb am 12.12.2019
Hallo,
jetzt kommt doch noch alles ans Tageslicht!
Jahrzehnte lang habe ich mich immer mal wieder gefragt, hatte nur ich diese Erebnisse und Gefühle?
Ich wurde mehrfach im Alter von vier bis sechs Jahren in Erholung und Kur geschickt, da ich angeblich zu dünn gewesen sei.
Die Fahrten allein ohne Freunde im Zug, waren für mich der Beginn der "Hölle".
Wo das war, weiß ich im Einzelnen nicht mehr. Mindestens ein Mal war ich im Schwarzwald. Noch heute habe ich die Tannen vor Augen, an denen wir auf Wanderungen vorbei kamen. Das löst immernoch Beklemmungen in mir aus, wenn ich solchen Bäumen begegne.
Ich erinnere mich auch an die langen Nächte, in denen man nicht zur einzigen auf der Etage befindlichen Toilette gehen durfte. Diese wurde nur während bestimmter Zeiten aufgeschlossen. Ansonsten gab es keine Möglichkeit sich zu entledigen. Hatte man nachts doch mal ins Bett gemacht, wurde man körperlich gemaßregelt und vor der gesamten Gruppe gedemütigt.
Einmal war ich über Weihnachten dort. Geschenke wurden nur ausgegeben, wenn abends vor der Gruppe, vor der ich morgens noch gedemütigt wurde, ein Gedicht aufgesagt wurde. Die Päckchen und der Brief meiner Mutter blieben unter Verschluss.
Aus Angst ausgelacht zu werden, habe ich mein Studium abgebrochen, weil ich dort vor den ganzen Studenten Vorträge halten musste. Diese Streßsituationen waren einfach nicht mehr zu ertragen, da sich auch schon gesundheitliche Beschwerden bemerkbar machten. Man kann sagen, dort wurde ich gebrochen.
Mein Heimweh war unerträglich.
Immer wenn ich darüber in der Familie oder im Freundeskreis erzählt habe, wurde ich nur mitleidvoll angesehen, aber wirklich verstanden hat das wohl niemand, vielleicht nicht einmal geglaubt.

Zum Glück wurde diese Art der Erholung/Kur abgeschafft. Dass die sich bis in die 90er-Jahre gehalten haben finde ich erschreckend.
Etwas Gutes hatte es dann auch, ich weiß heute, wie wichtig ein belastbares Fundament für einen Menschen ist - die Kindheit. Das Wissen darüber, dass meine Kinder eine behütete, sichere und stets respektierte Kindheit hatten, erfüllt mich mich Zufriedenheit.
Kein Kind auf der Welt hat es verdient von Erwachsenen - in welcher Form auch immer - mißhandelt zu werden.

Thomas
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Randalf schrieb am 12.12.2019
Ich war entweder auch 1967 oder ein Jahr früher dort, auf jeden Fall kurz vor der Einschulung mit 6 im Sommer. Es gab zwei große Gebäude mit einem Innenhof, eins für Jungs und eins für Mädchen und man achtete streng auf Trennung der Geschlechter. Bei den Jungs habe ich zumindest diese Salzwasserbottiche nicht erlebt, aber ansonsten war allles wie beschrieben. Ich versuche mich gerade an den Namen der Schwester Oberin zu erinnern, aber es gelingt mir nicht wirklich. Erika, Elisabeth, irgendwas mit E?
Wie funktioniert das mit der Vernetzung?
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Sarah schrieb am 11.12.2019
Ich habe etwas vergessen, es müsste heißen: 1988/89 (?) auf Amrum. Ich weiß nicht mehr welches Jahr.
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Peter K. schrieb am 11.12.2019
Ich war Ende 1970 in Königsfeld im Kindersanatorium der Schwester-Frieda-Klimsch-Stiftung (siehe oben). Es gab noch weitere Kinderheime in Königsfeld, laut der Königsfelder Webseite im Jahr 1950 acht Heime. Genannt wird neben dem oben genannten Kindersanatorium die "Kinderweide". Letztere schloss 1960, das Kindersanatorium der Schwester-Frieda-Klimsch-Stiftung ging 1982 in Konkurs.
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Thomas Hagen schrieb am 11.12.2019
Mich springt das Thema an, da ich es eigentlich für mich als verarbeitet betrachtet hatte.
Ich musste drei Mal zur Kindererholung - jeweils für 6 (!) Wochen.
Das erste Mal mit 3 Jahren, 1963, nach Ruhpolding. Da habe ich sogar noch Erinnerungen - sehr liebevolle Nonnen, Mittagsschlaf auf einer Sonnenterasse, "Mithelfen" in der Küche. Tatsächlich eine schöne Erinnerung.

Das zweite Mal in Bad Soden Salmünster. Mit 6. Heimweh ohne Ende.

Und dann:
Mit 7 wieder in Bad Soden Salmünster. Absoluter Horror.
Ich war gemeinsam mit meinem 9-jährigen Bruder dort. Der wurde sofort nach Ankunft von mir getrennt. Sich zu treffen war streng verboten - zwei oder dreimal haben wir das doch heimlich geschafft, voller Angst, erwischt zu werden.
Wir bekamen nur rationiert zu trinken. drei Mal am Tag ein Glas Tee, morgens eine Art Kakao. Begründung: damit niemand ins Bett macht. Wer ins Bett gemacht hatte, wurde vor allen bloßgestellt und angebrüllt. Ich kann mich heute noch an den tierischen Durst erinnern. Habe dann abends beim Waschen heimlich den Waschlappen ausgesaugt.
Ich habe mit eigenen Augen beobachten müssen, wie ein Tischgenosse sein Erbrochenes aufessen musste. Das Essen habe ich wässerig, zerkocht, in schalen Farben in Erinnerung.
Unsere "Betreuerin" his "Tante Marga" - jahrzehntelang habe ich ihr Höllenqualen gewünscht, wenn ich an sie denken musste. Streng, unerbittlich und gemein habe ich sie in Erinnerung.
Ein Erinnerungsfetzen: meine (zu der Zeit schwerkranke) Mutter - eine grundordentliche Frau - hatte mir eine kurze Lederhose nachgeschickt. An der fehlte ein Knopf. Tante Marga nahm die Lederhose, ich musste mich vor allen Kindern (Stuhlkreis) in die Mitte stellen - und Marga hielt eine Rede, dass man ja hier sehe, wie das ist, wenn Kinder aus verlotterten Elternhäusern hier her geschickt würden. Absolut demütigend undentwürdigend.
Einige mal durften wir eine Postkarte nach Hause schicken: vorher Linien auf die freie Fläche ziehen, dann schreiben - unter Aufsicht der Marga. Und unter deren Zensur. Sie hat jede Karte gelesen, zum teil laut vorgelesen - und da durfte nichts drinstehen von dem, was uns da angetan wurde.
Ich erinnere mich an die Langeweile beim aufgezwungenen Mittagsschlaf: und an die selbe Doppelseite aus einem Fix-und Foxiheft, die ich irgenwo gefunden hatte. Das war die Lektüre für 6 Wochen.
Was mich tatsächlich noch heute fassungslos macht: dass meine Eltern, als wir ihnen nach unserer Rückkehr von alledem berichtet haben, das hingenommen haben, ohne auf die Barrikaden zu gehen.
Unseren Kindern hätte ich niemals "Kindererholung" angetan.
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Jörg schrieb am 11.12.2019
Hallo Hanne, ich war 1970 mit 3 Jahren im Kinderheim Frisia in St. Peter-Ording.
Leider kann ich mich an so gut wie nichts erinnern. Es gibt nur einige Karten von den Tanten, in denen alles wunderbar ist. Warst Du auch im Frisia? LG Jörg
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Brigitte schrieb am 11.12.2019
Liebe Rosi, warst Du auch im Haus Meerstern auf Spiekeroog? Liebe Grüße, Brigitte
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Gabriele Bodesohn schrieb am 11.12.2019
Auch ich war 1967 auf Wangerooge. Mein Beitrag ist schon 2 Monate alt und steht ganz unten. Wir können uns gerne vernetzen.LG
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Gabriele Bodesohn schrieb am 11.12.2019
Ich kenne dieses Haus. Dort war ich 1967 im Herbst im Alter von 7 Jahren. Wir können uns gerne vernetzen!
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Tina schrieb am 10.12.2019
Diese Missstände hatten sogar bis Anfang der 90er Jahre leider System....
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Annegret schrieb am 10.12.2019
Hallo Birgit,
ich habe soeben erst Deine Frage gelesen.
Auf irgendeiner Seite hier im Netz hatte ich eine Auflistung der „Erholungsheime“ gesehen.
Gruß Annegret
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Siebert, Elke schrieb am 10.12.2019
Hallo
ich war im Alter von 5 Jahren (1963) in einem " Kurheim" in Schwarzwald zum Aufpäppeln. Ich wurde als einjähriges Kind adoptiert und war immer sehr dünn. Deshalb wurde beschlossen, mich zur Kur zu versenden. Schon die lange Bahnfahrt, die ich hockend im überfüllten Abteil aushalten musste, hat mich total erschüttert, ich hatte extreme Angst vor den Erwachsenen, aber auch vor den anderen Kindern. Im Kurheim selbst musste ich in einem Gitterbett schlafen, mit mindestens 20 anderen Kindern in einem großen Schlafsaal. Vor dem Frühstück mussten wir uns ausziehen und wurden kalt abbgeduscht, danach gab es Brei, den ich nicht aufgegessen habe. Darum habe ich solange sitzenbleiben müssen, bis ich ihn dann doch gegessen habe. Bei den Spaziergängen bin ich gerne alleine gegangen, dann wurde ich von den Erwachsenen an meinen Zöpfen hinterhergezogen. Einmal habe ich Quellwasseer getrunken, daraufhin wurde ich geohrfeigt und musste sofort ins Bett gehen, es gab kein Essen und Tinken. Nach 2 Wochen Aufenthalt bin ich schwer krank geworden. Ich hatte eine komplizierte Masernerkrankung. Meine Adoptiveltern haben mich in dieser Zeit nicht besuchen können. Nach 4 Wochen Krankheit bin ich von wildfremdem Menschen zum Bahnhof gebracht worden und musste alleine zurückreisen. Diese Erlebnisse verfolgen mich noch heute.
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Christine schrieb am 10.12.2019
Es muss um 1964 gewesen sein, da wurde ich als 6 jährige vor dem Schulbeginn zusammen mit meinem 4 jährigen Bruder „verschickt“. Meine Mutter war geschieden und gerade in 2. Ehe wieder verheiratet. Meine kleine Schwester war unterwegs oder schon geboren? Ich weiß es nicht mehr. Bestimmt hatte meine Großmutter die Finger im Spiel, denn sie war der Meinung ich sei zu schmächtig und blutarm. Tatsächlich bekamen wir immer „Rotbäckchen“ und „Sanostol“ von ihr und die Teller so voll gepackt, dass man schon beim Anblick satt war. Sie meinte es bestimmt gut, denn sie war im Krieg mit ihren Kindern von Ostpreußen geflohen und musste sich in Oldenburg wieder eine Existenz aufbauen. Meine Großmutter kurte leidenschaftlich gerne. Sie fuhr wann immer es ging zur Kur.
Zur damaligen Zeit gab es nur wenig Menschen, die das Rückgrat hatten und Autoritäten wie dem Jugendamt, der Polizei oder dem Kinderarzt widersprechen. Meine Mutter gehörte nicht zu denen. Eigentlich eine starke Frau, hat die Sozialisation und Indoktrination im 3. Reich bezüglich ihrer Erziehungsmethoden ganze Arbeit geleistet. Die Traumatisierung durch den Krieg und die Flucht nahmen ihr die Fähigkeit für die Menschen in ihrem nahen Umfeld Empathie zu entwickeln. Als „Flüchtling“ und „Geschiedene“ waren sie und wir bis zu ihrer Wiederverheiratung stigmatisiert. Ich bin davon überzeugt, dass sie glaubte uns etwas Gutes zu tun.
Meine Mutter und ich haben seit Beginn der 1990er Jahre keinen Kontakt mehr. Ein Gespräch über die Verhältnisse im „Kurheim“ ist leider nicht möglich. Ich bin sicher, dass noch Fotos existieren aber darauf habe ich keinen Zugriff.
Ich möchte anmerken, dass zu der Zeit in Institutionen und Behörden Menschen das Sagen hatten, die schon im 3. Reich ihr Unwesen trieben. Das Ende des Krieges war nicht das Ende der barbarischen Erziehungsmethoden. Die kranken Ideologien lebten weiter in den Köpfen der Ärzt*innen, Pfleger*innen, Lehrer*innen, Erzieher*innen, Behördenmitarbeiter*innen, etc.
All dies rechtfertigt aber in keiner Weise den Umgang mit den Kindern dieser Zeit. Hier hat die Politik der neuen Republik kläglich versagt und ich hoffe es fliegt ihnen endlich um die Ohren. Heimkinder, Internatskinder, Kindergartenkinder, Schulkinder, Kinder in klinischen Einrichtungen, somatisch wie psychiatrisch, alle haben oder machen noch Erfahrungen mit dem Erziehungssystem nach dem Krieg. Und auch heute noch würde der eine oder andere gerne mal „Hart durchgreifen“.
Mein Bruder und ich wurden zusammen mit anderen Kindern in einen Zug gesetzt. Für uns war es wie eine Weltreise, in Wirklichkeit ging es an einen nur 10 Km entfernten Ort namens Sandkrug. Noch waren wir guter Dinge. Ich versprach meiner Mutter, dass ich meinen Bruder trösten würde, wenn er Heimweh hätte. Es lag Schnee.
Dort angekommen wurde uns unser Gepäck abgenommen. Mein Bruder und ich wurden sofort getrennt. Ab da sorgte man dafür, dass wir nicht mehr miteinander sprechen konnten. Ich sah meinen Bruder nur selten von Weitem beim Spazieren gehen, eher zufällig. Es brach mir das Herz, er sah so traurig aus. Mein kleiner zerbrechlicher Bruder versuchte die Zeit in diesem Heim zu überleben. Ich dachte nur, wenn es für mich so schrecklich ist, wie muss es dann für meinen kleinen Bruder sein? Ich fühlte mich machtlos und ausgeliefert. Es sind ganze Passagen ausgeblendet. Ich erinnere mich nicht mehr an die Namen der „Tanten“. Bis ich vor ein paar Jahren mit meiner Freundin aus früher Kindheit gesprochen habe, wusste ich nicht, dass auch sie dabei war.
Ich habe nicht eine gute Erinnerung an den Aufenthalt in diesem „Kurheim“. Meistens habe ich mich „weggeträumt“. Es gibt einige, wie soll ich sagen, kleine Filme in meinem Gedächtnis:
Wir mussten bei jedem Wetter nach draußen. Es war kalt und man hatte mir meine Handschuhe nicht gegeben. Die Schmerzen in meinen Händen waren unerträglich. Im Vorbeigehen sah ich meinen kleinen Bruder in seiner Gruppe mit gesenktem Kopf durch den Schnee stapfen. Er nahm mich gar nicht wahr. Schnee war in meine Stiefel gedrungen und ich hatte nasse Socken. Trotzdem durfte ich nicht rein. Die Stiefel trockneten nicht über Nacht, so musste ich am nächsten Tag wieder in die nassen Stiefel steigen und endlos spazieren gehen.
Ich sehe mich im leeren Speisesaal vor einem vollen Teller mit irgendeinem süßen Brei, den ich nicht herunter bringe.
Ich hatte vor Heimweh im Schlaf geweint. Man zerrte mich aus dem Bett und ich musste auf der Schuhbank vor unserem Schlafsaal schlafen.
Wir durften nachts nicht auf die Toilette, wie es tagsüber war, weiß ich nicht mehr. Ich hatte eingenässt und musste bis zum Morgen in dem nassen Bett ausharren. Was morgens geschah, daran erinnere ich mich nicht mehr.
Wir stehen in langen Schlangen nur mit einem Hemdchen und einem Höschen bekleidet in der Kälte vor dem Raum in dem der Arzt uns untersucht. An das was drin geschah erinnere ich mich nicht mehr.
Und dann wird alles wieder ganz klar, als sei es gestern gewesen: Ich war krank und wurde in das Zimmer der Heimleiterin gebracht. Ich sollte vom Arzt untersucht werden. Ich erinnere mich an einen dunklen Schreibtisch auf dem ein Bakelit-Telefon stand. Es klingelte und ich bekam mit, dass meine Mutter am anderen Ende des Telefons war. Meine Begleiterin sprach sie nahezu flüsternd mit ihrem Namen an. Sie war gebeten worden einen Krankenschein zu schicken weil ich krank sei und sie wollte wissen, was da los ist. Meine Begleiterin war in einem Dilemma. Sie durfte meiner Mutter keine Auskunft geben, sondern musste die Heimleiterin holen, ich aber durfte ja nicht mit meiner Mutter telefonieren. Ich wusste, dass dies meine einzige Chance ist meiner Mutter zu sagen wie es uns in dieser Einrichtung geht. Zu der Zeit hatte nicht jeder Haushalt ein Telefon und so war es auch bei uns. Meine Mutter telefonierte entweder von einer Zelle oder aus der Gaststätte in der Nähe unseres Zuhauses. Ich verhielt mich so als ob ich gar nicht mitbekommen hätte, wer da am Telefon ist und beschäftigte mich indem ich auf meine Hände guckte und uninteressiert tat. Meine Begleiterin verließ den Raum und ich nutzte die Gelegenheit meine Mutter anzuflehen uns abzuholen. Der Telefonhörer war höllenschwer in meiner kleinen Hand. Ich sagte meiner Mutter, dass ich streng bestraft würde, würde sie verraten, dass ich mit ihr gesprochen habe. Danach bricht meine Erinnerung wieder ab. Meine Mutter holte uns aus dem „Kinderkurheim“ frühzeitig unter Androhung finanzieller Konsequenzen durch die Heimleitung ab. Wir wurden nie wieder „verschickt“.
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Jens Rothfuss schrieb am 10.12.2019
Der Link funktioniert leider nicht mehr: deshalb hier nochmals:

Hallo Jens Rothfuss,

>Ihr Kommentar wurde genehmigt.

http://verschickungsheime.org/regionalgruppen/#comment-553

Sehr geehrte Damen und Herren, im baden-württembergischen Herrlingen bei Ulm gab's auch so ein Heim. Ich (Jg. Nov. 1959) war dort im Nov. + Dez 1966, mit meinen beiden Brüdern (Jg. 1957+1961) verschickt worden. Unsere Mutter hatte seinerzeit schwere Gelbsucht. Das ganze lief irgendwie über das Müttergenesungswerk.Gleich nach Ankunft wurden wir getrennt. Meinen kleinen Bruder sah ich in dieser Zeit fast nie. Meinen älteren Bruder recht regelmäßig, da die Gruppen (mittleres und älteres "Alter) manchmal zusammengelegt wurden. Gegessen haben wir jedoch stets getrennt. Die jetzt geschilderten Grausamkeiten kann ich 100%ig bestätigen und habe noch sehr intensive, niemals verarbeitete Erinnerungen an das Heim in Herrlingen wie * nachts das Verbot aufs WC zu gehen incl. entsprechender Erniedrigungen am nächsten Morgen, wenn eingenässt wurde * Erbrochenes musste so oft wieder gegessen werden, bis der Teller leer war. Dies musste zum Teil auch unter dem Tisch erfolgen... * "Wiederholungstäter" erhielten zu den anschliessenden Mahlzeiten ausschließlich Schmalzbrot * regelmäßige Schläge und Brutalitäten von den "Tanten" bei nichtigsten Anlässen usw... Ich hatte das "Glück", in dieser Zeit an Windpocken zu erkranken und war während dieser Zeit, übrigens auch an meinem 7. Geburtstag, in einem Einzelzimmer auf der Bühne untergebracht. Bekam dort KEINE Schläge und KEIN Schmalzbot... Auch mir wurde nach dieser Zeit NIX davon geglaubt, auch nicht von meinen Eltern. Mein ganzes Leben wurde von diesen knapp 2 Monaten sehr nachhaltig negativ geprägt: * ich kann auch heute noch nicht in einem Mehrbettzimmer schlafen * ich kann ein Schmalzbot bis heute nicht mal ansatzweise ansehen (bzw. essen) *mein Selbstbewusstsein war (und ist bis heute) empfindlich gestört * sobald sich jemand übergeben muss, geht's mir fast immer ebenso usw. Während ich das gerade schildere, laufen mir die Tränen übers Gesicht. Durch die Berichterstattung kommt die ganze, halbwegs verdrängte Sch... wieder hoch. Und vorbeifahrenden Züge entwickeln wieder - wie schon damals vor über 50Jahren - einen gewissen Charme, nämlich das Gewitter im Kopf zuverlässig zu beenden.
Mit freundlichen Grüssen
Jens Rothfuss
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Detlef Eberlei schrieb am 10.12.2019
Detlef
Mein Zwillingsbruder und ich waren Mitte der 60er Jahre im Kinderkurheim,Oldenburg-Sandkrug.Was wir dort erlebt haben,ist nicht in Worte zu fassen,Mißhandlungen,Strafen.Ich durfte eine Karte an meine Eltern schreiben,unter Aufsicht,diese Karte habe ich noch datiert auf den 08.7.1965.Ich wurde auch mißhandelt.
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Wilfried schrieb am 10.12.2019
Guten Tag,
ich lebe seit 1987 in Berlin.
Ich komme aber aus Neumünster in Schlewig-Holstein.
Ich bin mir nach Recherche sicher, dass ich Ende der 60er-Jahre im Sommer für mindestens 6 Wochen in Bad Sooden war.
Ich habe furchtbare Erinnerungen, die mir meine Eltern leider nie geglaubt haben.
Ich habe erst letzte Woche von den ganzen Vorgängen erfahren.
Ich befinde mich gerade in psychotherapeutischer Behandlung und es scheint ganz so, dass ich den Schlüssel zu vielen Problemen gefunden haben.
Alles war verschüttet und ist plötzlich präsent - wie beklemmend.
Ich habe momentan so gar keinen Plan, was ich jetzt machen soll.
Herzlicher Gruß
Wilfried
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Sarah schrieb am 09.12.2019
Hallo Sabrina.
Ich bin auch Jahrgang 1980 und wurde sehr oft zur Kur geschickt, und ich kann deine Schilderungen nur bestätigen.
Es begann mit einer Zugfahrt, viele Kinder weinten, die erfahreren von den Kindern empfahlen uns alle mitgebrachten Süssigkeiten schnell aufzuessen, man würde sie uns abnehmen. Eine Tante sang " Schlaf Kindlein Schlaf..."um die weinenden zu beruhigen.
Ich erinnere mich an solange alleine im Speisesaal Sitzenbleiben müssen bis der Teller aufgegessen war, meistens Griesbrei. Ich erinnere mich, dass wir irgendwelche Deals mit den Kindern hatten, die zu wenig bekamen, weil sie abnehmen sollten, ich war bei den "Zunehmern" . Wie wir das genau anstellten weiß ich nicht mehr. Es gab sehr böse Tanten, Kinder wurden wegen Erbrechen und ins Bett machen vor allen bloßgestellt.Es wurden Kopfnüsse und Backpfeifen verteilt, eine Strafe war den ganzen Abend mit Hut in der Ecke stehen, im Raum mit allen anderen, die währendessen einen Film guckten. Aber auch liebe Tanten, die einen manchal getröstet hatten. Ich erinnere mich an lange Warteschlangen in Unterhose auf dem kalten Flur, anstehen zum Wiegen oder zum Arztzimmer.
Es gab zu wenig zu Trinken, nur eine rote Plastiktasse von diesem roten Tee, wir tranken immer heimlich so viel wir konnten, aus den Wasserhähnen im Waschraum, was dann aber zu Problemen führte, weil wir während der Schlafenszeiten nicht zur Toilette gehen durften. Wir tauschten Tipps aus, wie wir das Pippi wohl am längsten in uns behalten konnten, etwa der Art: ."Wenn es ganz schlimm drückt und wehtut, und du schon nicht mehr kannst, dann press die Zähne zusammen, es geht vorbei, danach geht es wieder für eine ganze Zeit, ohne zu drücken...wenn der Druck
sich entleeren zu müssen dann ein zweites Mal zurückkommt, dann gibt es kein Halten mehr, dann ist es besser von der Aufsichtstante
ausgeschimpft zu werden, wenn sie einen
erwischt, als nach der Schlafenspause in der
langen Warteschlange vor dem Klo einzunässen
und vor allen blossgestellt zu werden."Post von
zu Hause wurde vor allen vorgelesen, die die keine Plst bekamen wurden gedemütigt: "Sarah,
keine Post, " und sie durften dann auch nicht ins
Schreibzimmer, in dem die Karten nach Hause
zensiert wurden.
Endlich bekam ich auch mal ein Päckchen von zu Hause, der Inhalt wurde einbehalten und dann an die anderen verteilt, als ich auf der
Krankenstation war , als Strafe für Fehlverhalten meinerseits...
In einem Brief von meiner Mutter werde ich ermahnt nicht so ein Trotzkopf zu den Tanten zu sein, und sie wunderte sich, dass ich bei dem Telefonat so wenig gesagt hätte..auch warum ich ihr keine Zeichnungen schicken würde..

Ich erinnere mich, dass ich wahnsinnige Angst vor den Schwestern und Ärzten hatte..Es wurde viel rumgeschrien und kommandiert. Ewiglange Spaziergänge, in zweierReihen, ich hatte immer Durst. Wenn ein Kind vom Weg abwich oder träumte, langsam war, müde wurde, wurde es angebrüllt.Der Wind trieb uns den Regen und den Sand quer ins Gesicht, wir hatten Sprechverbot und sollten nur durch die Nase atmen, weil wir vom Wind sonst Halsweh bekommen würden.

Ich war1985 im Sanatorium Schönsicht in
Berchtesgaden,1986 in Norderney, Seehospiz Station 8, dann 1988/89 in Amrum,1990 in Sankt Peter Ording, dort zum allererstenmal mit meiner Mutter im selben Zimmer, was war ich froh, und
danach nur noch zur Mutter Kind Kur, das heißt
ich musste nur noch zu den Anwendungen in das Heim ,der
Umgangston dort aber war noch derselbe
geblieben. Bei der Atemtherapie wurde ich schlimm angeschrien und der Physiotherapeut
brach mir fast die Rippen, so drückte er mir auf
den Brustkorb, er war wütend, weil ich die
Bauchatmung nicht konnte.
Es gab aber auch Bastelangebote, das hatte mich sehr überrascht.
Irgendwie waren in der Mutter Kind Kur alle
etwas freundlicher, plötzlich..
Ich lernte einen Jungen am Strand kennen, er sagte er wäre aus dem Kurheim weggelaufen und würde in den Strandkörben übernachten, und das von den Touristen weggeworfene Zeug essen..ich bewunderte ihn für seinen Mut und hoffte er würde es schaffen. Ich hätte mich das nicht getraut.

Ich habe sicher viel verdrängt aus der Zeit, es gab viel Gewalt, es waren viele Heime, aber die Methoden alle ähnlich. Kinder wurden dort gebrochen und das systematisch, bis in die 90 er hinein..Wahrscheinlich haben sie erst damit aufgehört, als diese bösen " Tanten" in Rente gingen, irgendetwas aufgearbeitet oder reflektiert wurde da nicht.
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Peter K. schrieb am 09.12.2019
Ich bin am Wochenende auf den Bericht und die Webseite aufmerksam geworden, habe die Berichte gelesen und bin erschüttert, aufgewühlt und fassungslos.

Ich wurde wegen Asthma und Neurodermitis 4x verschickt. Das erste Mal mit knapp 2 Jahren von Juni - September 1963 auf den Kniebis im Schwarzwald. Meinen 2. Geburtstag "feierte" ich nicht mit meiner Familie. Weitere Stationen waren März - Mai 1965 (Kniebis), April - Mai 1968 (Luisenheim, Bad Dürrheim), November - Dezember 1970 (Kindersanatorium in Königsfeld). Alle Orte liegen im Schwarzwald und ich komme aus dem Schwarzwald.

Ich habe keine bewussten Erinnerungen an Schläge, Essen von Erbrochenem, Bettnässen oder vorsätzliche Demütigungen. Vielleicht hatte ich Glück, vielleicht kann oder will ich mich nicht erinnern. Beim Lesen der anderen Berichte kommt mir aber das eine oder andere wieder in Erinnerung. Die Sole-Bäder und die Badewannen, in denen man auch nach dem Ablassen des Wassers sitzen bleiben musste (immerhin mit Unterhose bekleidet), die Plastikröhren um die Arme, damit ich mich nicht kratzen konnte (gejuckt hat es trotzdem), die Vorwürfe wenn ich an einem Tag keinen Stuhlgang hatte (irgendwann habe ich dazu einfach die Schwestern angelogen), die Briefe nach Hause mit Formulierungen eines erwachsenen Schreibers und nicht mit den Formulierungen eines Kindes usw. Es könnte sein, dass beim weiteren Lesen und dem Vernetzen mit den Heimorten noch einiges dazu kommt...

Als ich die Berichte las, habe ich geweint.

Das Übelste ist für mich persönlich aber die Rahmenbedingung, dass Kinder ab zwei Jahren für Monate oder ein Vierteljahr von den Eltern weg sind (Besuchsverbot). Meine Eltern sind schon gestorben, aber mein älterer Bruder erzählte mir mal, dass ich nach dem ersten Heimaufenthalt sehr verändert war und unsere Mutter mit Tante angesprochen habe.

Haben die Leute damals wirklich geglaubt, dass Kinder sich gleich verhalten, egal ob sie bei den Eltern sind oder monatelang getrennt von ihren Eltern? Auch in den 60er Jahren müsste man das doch gewusst haben. Geschockt hat mich, dass es in den 70ern und teilweise in den 80er Jahren auch noch so war.

Ich habe mein Leben in den Griff bekommen, aber manche persönliche Entwicklung hat deutlich länger gedauert als bei vielen Altersgenossen und einiges als Jugendlicher und Erwachsener hätte so nicht sein müssen.

Als meine Tochter mit knapp zwei Jahren für eine Woche ins Krankenhaus musste, habe ich sofort einen Teil des Rooming-Ins übernommen. Meiner Tochter hat das gut getan - mir auch.

Ich bin mal gespannt, ob andere etwas vom Kniebis, Bad Dürrheim oder Königsfeld erzählen können.

Liebe Grüße

Peter
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Alois Nitsche schrieb am 09.12.2019
Hallo, ich bin Jahrgang 1947 und durch Zufall auf diese Seite gekommen.
Auch ich wurde VERSCHICKT weil ich doch so dünn war. Meine Erinnerungen sind sehr schwach
aber nicht schön. Fragen kann ich keinen mehr. Ich bin einmal in Berchtesgaden am Untersalzbrg
gewesen und dann in Leste bei Grömiz an der Ostsee. Kann es sein, das dieses Haus noch
als Schullandheim exestiert? Würde mich interessieren .
MfG Alois Nitsche
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Heidi S. schrieb am 09.12.2019
Wie erleichtert bin ich, dass wir Verschickungskinder nun endlich, nach so langer Zeit gehört werden.Ich war mit 7Jahren im Sommer 1956 in einem "Kinderheim" (von der Kirche)? auf Wyk auf Föhr sechs Wochen untergebracht. Ich war damals sehr schmächtig (war eine Frühgeburt), und litt sehr häufig an schweren Lungenentzündungen. Die Seeluft und das "gute" Kurheim sollten mir helfen, meine Traumata zu verarbeiten.
Mein geliebter Bruder starb 1953 mit 12 Jahren an Muskeldystrophie. Mein Vater war in russischer Kriegsgefangenschaft und kam mit dem ersten Krankentransport des Roten Kreuzes zurück. Er starb mit 48 Jahren direkt vor Weihnachten, als ich 7 Jahre alt war.
Im Heim herrschte ein strenges Regiment. Wir saßen an langen Tischen. Erbrach sich ein Kind, musste das Erbrochene wieder aufgegessen werden. Die Tanten machten einen eiskalten Eindruck und setzten diese Forderung immer durch. Als der Junge neben mir auch auf seinen Teller erbrach, geschah mir das ebenfalls. Es war so eklig und widerwärtig!
Glücklicherweise erkannte die Tante mein hohes Fieber, sodass ich davon verschont blieb. Der Arzt stellte bei mir Windpocken fest, sodass ich dann isoliert in einer kleinen Holzhütte, oder einem Pavillon, mit zwei Etagenbetten und mit einem kleinen Fenster, untergebracht wurde. Ich war dort allein, bis auf das Essen, was mir gebracht wurde. Der Arzt war sehr freundklich und schaute gelegentlich alle ein-zwei Tage nach mir. Ich vertrieb mir die lange Zeit damit, dass ich wenigstens von meinem Bett aus durch das Fenster nach draußen schauen konnte. Spielsachen gab es nicht!
Zu meinem Krankenzimmer gab es keinen Vorraum. Die Außentür war meistens geöffnet und wurde mit einem langen Haken an der Außenwand fixiert. Ich hatte viel Angst und es brauchte eine große Überwindung, abends nach draußen zu gehen, den Haken zu lösen, um die Tür dann schließen zu können. Abschließen konnte ich nicht, es gab keinen Schlüssel.
Ich kann mich erinnern, dass wir den Text der Karten für die Eltern von einer Tafel abschreiben mussten. Jede Karte wurde von den Tanten kontrolliert. Die Briefe meiner Mutter habe ich nie bekommen!
Obwohl mir das sonst nie mehr passierte, machte ich dort in meine Hose. Die Tante hielt mir den eingekoteten Slip dicht unter meine Nase. Alle Kinder durften zusehen. Ich war einem großen Gelächter ausgesetzt. Ich habe mich unendlich geschämt und mich gedemütigt gefühlt..
Meiner Mutter habe ich von den Missständen erzählt, aber sie hat sich nicht darum gekümmert. Die Trauerarbeit um meinen Bruder und meinem Vater war zu schwer..
Als Kind hatte ich schon einen tiefen Glauben und fühlte eine starke Verbindung zu Gott. Das hat mich durch alle Widrigkeiten getragen.
Dafür bin ich sehr dankbar. Ich habe mich zur Krankenschwester ausbilden lassen, um notleidenden Menschen helfen zu können.
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Anke schrieb am 09.12.2019
Hallo Kerstin, ich war 1970 in Haffkrug (das Haus erinnere ich nicht mehr)und habe meinen 6. Geburtstag dort (nicht) gefeiert. Mir geht es ähnlich wie dir, es sind nur Sequenzen, die ich erinnere. Die großen Schlafsäle, die unsäglichen Puddingsuppen, die nie zu Pudding wurden. Persönliche Dinge, die eingezogen wurden. Geöffnete Briefe (was ich, da ich nicht lesen konnte, okay fand) und Postkarten von mir, die vermutlich eine Tante geschrieben hatte, fand ich im Nachlass meiner Mutter auch.

Dann wurden Kinder krank – die einen hatten Windpocken, die anderen Masern. Ein anderer Junge und ich hatten beides.

Sonst streng in Mädchen und Jungs getrennt, wurde ich mit diesem, vielleicht 2 Jahre älteren, Jungen über Tage in ein abgedunkeltes Zimmer gesperrt. Essen wurde gereicht, gelegentlich kam jemand zum Fiebermessen. Ich war zu krank, um mich wirklich vor dem Jungen zu schämen, denke ich. Meine Eltern wurden informiert, warum sie nicht kamen und mich abholten, habe ich nie verstanden.

Ich kam dünner und blasser zurück und habe wochenlang nicht mehr gelacht und wenig gesprochen.

Ich habe lange nicht mehr an diese Zeit gedacht, aber bei den Berichten hier merke ich, dass einige Erinnerungen hochkommen.
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Tom schrieb am 09.12.2019
Hallo, ich war grob zwischen 1973 und 1976 zur "Kur" irgendwo im Schwarzwald, ich war dort zwischen 4 und 6 Jahre alt.

Ich habe nur wenige vage, aber aus meiner Sicht eben schlimmste Erinnerungen:

Personal, dass mich einsperrt, dass mich zwingt, alleine im Essensraum zu sitzen, bis ich meinen Teller samt Abfällen(!) restlos leergegessen hatte, egal ob ich würgte oder mich erbrach. Ich erinnere mich jetzt in diesem Moment erstmans an einen Eimer für mein Erbrochenes neben meinem Essplatz ...

Strenge und Härte, jedwedes kindliche Verhalten wurde nicht toleriert, nur Gehorsam zählte. Mir wurde Prügel angedroht, ob es dazu kam, weiß ich nicht mehr, ich hatte so viel Angst, ich zeigte sicher absolutes Gehorsam, bis heute wehre ich mich zu wenig in mich bedrängenden Situationen.

Zur Strafe wegen angeblichen Ungehorsams wurde mir mein Kuschelteddy abgenommen oder ich musste ewig lang alleine im verdunkelten Zimmer sitzen.

Es gab feste Toilettenzeiten, bei denen ich beobachtet wurde - ich kann seither nicht "frei" zur Toilette gehen, in öffentlichen Toiletten darf beispielsweise niemand im Raum zugegen sein und schon als Kind/Jugendlicher konnte ich mich nicht draußen erleichtern, wenn wir beim Zelten etc. unterwegs waren. Auf meiner ersten Klassenfahrt war ich fünf Tage lang nicht "gross" zur Toilette, weil ich dort nicht alleine sein konnte - voller Bauchschmerzen wartete ich auf die Erlösung zuhause.

Ein Erfahrungsbericht hier in diesem Forum brachte etwas Licht in mein Dunkel: Rektales und sehr schmerzhaftes Fiebermessen war an der Tagesordnung - ich habe mich gewehrt, geschrien und geweint, musste dabei fixiert werden und bin dann anschließend weinend eingeschlafen, denn es passierte spät abends ... ich weiß -noch- nicht, was mir sonst noch alles geschehen ist, aber es muss mehr sein als ich befürchte.

Natürlich blieben auch die Misshandlungen der anderen "Kurkinder", die größer, älter und stärker waren als ich, nicht ohne Folgen: Sie ließen -ich mache ihnen keine Vorwürfe- ihre Erfahrungen in gemeiner Aggressivität an mir aus, ich war einer der kleinsten und jüngsten dort. Andere Jungs haben mir beispielsweise die Unterhose ausgezogen und unerreichbar versteckt, die ich dann unten herum nackt und weinend unter den Hänseleien und Quälereien der Größeren suchen musste - mit Sicherheit unter den Augen des belustigten Personals.

Dies hier heute ist meiner erster Anlauf!

Das Schlimmste ist, dass mir (außer meiner lieben Frau) niemand zuhört:
Ich habe versucht über meine Eltern zu erfahren, wann ich genau in welchem Heim war, aber es weiß niemand mehr genau (oder will es nicht wissen). Die damals zuständige Krankenkasse AOK habe angeblich keine Unterlagen mehr und mein Versuch, einen Therapeuten zu finden schlägt seit langer Zeit fehl - es gibt keine.

Ich werde mehr schreiben, wenn ich mehr weiß - endlich gibt es einen Ort, an dem ich das Gefühl habe, nicht alleine damit zu stehen (meine liebe Frau unterstützt mich zum Glück auch). Sicherlich muss ich alles aufarbeiten, aber am Meisten ärgert mich, dass niemand Verantwortung übernehmen will. Verantwortung darüber, dass niemand hingeschaut hat und niemand die Methoden der Heime ernsthaft überprüft und beendet hat. Krankenkassen, Jugendämter, Politiker, Eltern.

So viele Jahre / Jahrzehnte konnten perverse Männer und Frauen ihren pädophilen und/oder perfiden Gelüsten freien Lauf lassen und alle haben weggeschaut. Das darf nicht einfach so im Sande verlaufen! Vielen ist noch Schlimmeres als mir widerfahren und sicherlich wählten leider viele von uns Betroffenen den Suizid, was sich nie nachweisen lassen wird.

Aber wir alle haben Aufklärung und Antworten verdient. Diese Entschädigung ist wichtiger als jede Materielle, vor Allem darf sich so etwas nie wiederholen.

Danke für diese Plattform, vielleicht hat ja jemand Tipps, wie ich an Ort und Zeit des grausamsten Aufenthaltes meines Lebens kommen kann; das würde mir das Aufarbeiten sicher sehr erleichtern.

Liebe Grüße Tom
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Hartmut Schnall schrieb am 09.12.2019
Mein Name ist Hartmut Schnall,geboren 1951. Ich wurde Ende der fünfziger Jahre mit 7 Jahren für 6 Wochen zur Erholung nach Allerheiligen im Schwarzwald geschickt.
Es gab vor jedem Mittagessen für jeden mit dem gleichen Löffel Lebertran aus einem großen Glas. Ich erinnere mich, daß ich einmal den Lebertran in die Suppe erbrochen habe. Ich sollte die Suppe essen und mußte über zwei Stunden vor dem Teller sitzen bleiben. Ich bin bis heute stolz, daß ich mich geweigert habe.
Weiterhin ist mir in Erinnerung, daß ich bei der Rückkehr nachhause meine Mutter mit Tante angeredet habe.
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Sascha schrieb am 09.12.2019
Guten morgen,
Ich habe durch Spiegel-Online von dieser Seite erfahren. Ich bin 1969 geboren und wurde von 1974 bis 1977 jeweils zwei Mal im Jahr "verschickt" weil ich so "schmächtig" war. Zu dieser Zeit lebten wir in Unna.
Angeblich litt ich auch unter "Eisenmangel" und habe jeden Tag ein in Wasser aufgelöstes Pulver trinken müssen sowie Tubenweise das berühmte Multi-Sanostol löffeln (das war aber ganz lecker).
1974 und 1975 wurde ich jeweils abwechselnd nach Marktredwitz und Scheidegg (jeweils 6 Wochen im Sommer und Winter) verschickt. 1977 nach Tirol (ich kann mich an den Ort nicht mehr erinnern....oder will es nicht)
All diese Beschreibungen haben so viele Erinnerungen hervorgeholt.
Es mag wie eine Wiederholung klingen doch leider ist mir Vieles selbst widerfahren.
Stundenlanges im Essensaal sitzen vor diversen Sachen bis sie aufgegessen waren (selbst mit eigenem Erbrochenem) die ich bis heute nicht einmal riechen kann ohne würgen zu müssen. Bis heute kann ich keinen Zimt ertragen (Griessbrei mit Zimt überstreut). Eingemachtes Obst (diese dicken weichen eingemachten Pflaumen). Und besonders schlimm waren Nudeln mit eingekochtem Dörrobst als Soße (ekelhaft süß).
Ich erinnere mich an die großen Speisesäle in denen wir "Dünnen" und die "Dicken" getrennt sitzen mussten. Während die Einen gezwungen wurden jede Mahlzeit aufzuessen bekamen die Anderen Magerkost.
Beschwerden wurden mit "Backpfeifen" und stundenlangem Sitzen (selbstverständlich ohne zu reden) bestraft.
Bettnässer (zu denen ich Gottsseidank nicht gehörte) wurden in der Nacht unter eiskalte Duschen gestellt und mussten anschließend im Flur auf ihrer nassen Matratze schlafen.
Briefe wurden kontrolliert und "umgedichtet" wobei einem teilweise die Hand geführt wurde.
April 1975 "feierte" ich meinen 6. Geburtstag in Marktredwitz. Mein Geburtstags-Paket wurde vor allen Kindern geöffnet und einige Dinge (Süßigkeiten) einbehalten.
Es herrschte immer eine Atmosphäre der Angst. Selbst Kleinigkeiten welche in den Augen der "Betreuerinnen" Verfehlungen darstellten wurden mit Isolation und stundenlangem auf dem Boden knien oder in Unterwäsche/nackt auf Holzstühlen sitzen bestraft.

Ich habe immer wieder meinen Eltern davon erzählt und verstehe bis heute nicht wie sie mich immer wieder dorthin schicken konnten.
Ich bin dankbar für diese Seite und fühle mich nicht mehr so alleine mit diesen Erinnerungen. 45 Jahre lang hatte ich immer das Gefühl das mir nicht geglaubt wurde wenn ich davon erzählte. Danke.
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Gaby schrieb am 08.12.2019
Guten Abend, Jürgen;
was für eine grausame Geschichte Du hast erdulden müssen!

Ich war 1966 oder 1967, auf jeden Fall vor der Einschulung 1967 in der "Kur" in Bad Rothenfelde. Meine Eltern hatten es gut gemeint, der Kindergarten hatte darauf verwiesen und ich war voller Vorfreude aufs Unbekannte.

Meine Erinnerungen sind nicht in dieser unendlichen Grausamkeit, die Du erlebt hast, aber auch schlimm: Riesige Wannen mit den Solebädern, in denen wir wortlos und mit nach vorne ausgestreckten Armen sitzen mussten, das machte mir Angst. Wir saßen auch noch da drin, wenn das Wasser bereits abgelaufen war... Die Wannen waren sehr hoch, man hätte gar nicht alleine daraus gekonnt.

Schlafsäle: kein Wort durfte gesagt werden, ich hatte Angst und Heimweh - ein anderes Kind weinte regelmäßig und wurde jedesmal deswegen ausgeschimpft und uns als schlechtes Beispiel vorgeführt. Ich habe gezittert vor Angst.

Essen: Ich mochte nie Milch und ekelte mich vor dem Schmand / der Haut - und habe das auch gesagt, natürlich vergeblich. So trank ich die Milch mit (wortlosem) Luft-Anhalten, und musste dies ausgeschimpft und dann ganz alleine in dem riesigen Speisesaal tun. Ich erinnere mich an die bedrohliche Atmosphäre. Ich war ganz still und weinte auch nicht. Dann wartete ich auf die Abholung aus dem Saal... Die Frau hieß JEANETTE - ich weiß das ganz, ganz genau!
Sie holte mich ab, langer Flur (ich stumm) und herrschte mich an, dass ich meine Schnürsenkel binden sollte. Ich konnte das nicht und sagte das - und ZACK - öffnete sie eine Tür, schob mich darein und schloss hinter mir ab. Ich habe keine Vorstellung, WIE LANGE ich dadrin war. Ich blieb stumm. Setzte mich auf den Boden aber sagte nichts, klopfte nicht an die Tür, rief nicht um Hilfe (war wahrscheinlich auch besser so) IRGENDWANN zog sie mich da raus und herrschte mich an, wenn ich die Schleife nicht bald könnte, würde ich wieder eingesperrt... Es ist aber nur einmal passiert und ich lebte Tag und Nacht in Angst, dass sie mich wieder einsperrt.

Meine Eltern erzählten mir, dass sie dreimal da waren, aber nicht zu mir durften, dass ich todunglücklich wiederkam - und nichts erzählte, nie. Vor drei Jahren endete mein Schweigen, weil auf einmal die Erinnerung hochkam - ich hatte es komplett verdrängt. Erstaunlich.
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Katja Plettenberg schrieb am 08.12.2019
Hallo,

ich war als 5 jährige im Jahr 1976, im Seehospiz Kaiserin Friedrich auf Norderney, für 8 Wochen zur "Erholung". Für meine Eltern galt Kontaktverbot.

Ich hatte Asthma und Allergien, die dort behandelt werden sollten und was von der Krankenkasse (Barmer) (gut) bezahlt wurde.

Es wurde der gepackte Koffer mit meiner Kleidung mir nicht zur Verfügung gestellt, sondern ich bekam Anstaltskleidung. Dieses nahm mir direkt kurz nach der Ankunft schon einen Identitätsaspekt. Ich war eher wie ein Junge und hatte früher nur Hosen an, nun wurde ich in Kleider gesteckt und in Strumpfhosen die kratzten....und nicht mir gehörten.

Es gab übermäßig strenge Regeln und Strafen:

Mahlzeiten: Eagl was und ob man es mochte oder vertrug, ich musste das Essen aufessen. Wenn ich mich weigerte, nicht mehr konnte, mich übergab,-egal, ich musste es aufessen.

Toilettengang: Ich durfte nur zu bestimmten Zeiten auf die Toilette. Egal ob ich musste oder nicht. Bzw. wenn ich musste und nicht diese bestimmte Zeit war, so durfte ich nicht auf die Toilette. Als 5 jährige sah ich nur den Ausweg, mich in Ecke des Zimmers zu kauern und heimlich in die Ecke zu machen. Zur Strafe durfte ich nicht auf Ausflüge (ständiges Laufen am Strand/ über die Insel, kein freies Spiel) oder musste im Zimmer bleiben.
Als diese Strafen nicht wirkten, bekam ich in meinem Alter Windeln an. Diese zog ich mir aus und machte erneut in die Ecke des Zimmers. Darauf hin wurde ich mit meinem eigenen Kot, am ganzen Körper eingerieben. Ich solle mich doch bitte an die Toilettenzeiten halten.

Post: Es war Ostern zu der Zeit, als ich da war. Das Päckchen, was meine Familie mir schicke, wurde von einer Schwester geöffnet, der Teddy der darin war herumgereicht bevor ich ihn haben durfte, der Brief von meiner Schwester vor allen vorgelesen und belacht, da sie Schreibfehler darin hatte. Auch hier hatte ich das Gefühl nichts Eigenes mehr zu haben, die kleine Verbindung zu meiner Familie wurde mir "weggenommen" und lächerlich gemacht.
Der letzte Anker war von Ihnen gelichtet. Ich glaubte nun, meine Familie wolle mich nicht mehr haben. Das Päckchen änderte nichts daran.

Hilflosigkeit/ kein Entrinnen: Einmal bin ich auf einem Ausflug weggelaufen und war bis zum Meer gekommen. Da verstand ich, dass ich nicht alleine hier wegkonnte, ich war auf einer Insel, die von Wasser umgeben war. Das machte die Hilflosigkeit noch stärker. Ich konnte ja noch niciht schreiben oder telefonieren.
Ich bekam als Strafe ein paar Backpfeifen und musste wieder im Haus, im Zimmer bleiben.
Nachts hörte ich auch anderen Kinder weinen, traute mich genausowenig wie sie selbst zu trösten.

sex. Übergriff: Morgens war das Fiebermessen pflichtritual. Wobei ich erinnere, dass es einmal definitiv zu einer sexuell motivierten Handlung kam. Ich sagte noch " Das ist doch nicht der Po". Meine Vagina wurde stimuliert. Ich drehte mich aus Angst nicht um und ließ es geschehen.

Eine Sprache finden/ nicht wirklich Gehörfinden: Eine Freundin meiner Mutter besuchte mich einen Tag und ich bettelte , dass sie mich wieder mitnahm. Sie dachte ich hätte Nur Heimweh und würde mir die Dinge, die ich Ihr schilderte, ausdenken.
Diese Freundin war selbst auf Norderney aufgewachsen und hatte einen Bruder, der dort arbeitete. Als ich sie später als Erwachsene fragte, ob Ihr Bruder davon etwas erzählt habe, verneinte Sie.

Zu Hause: Als ich nach Hause kam war ich hospitalisiert, wackelte mit meinem Oberkörper entsprechend hin und her, und wich meiner Mutter nicht mehr von der Seite. Sogar mit auf die Toilette begleitete ich sie ein halbes Jahr. Jegliche Trennung von ihr war für mich eine Katastrophe.
Ein Jahr später erst erzählte ich einen kleinen Teil von den Erlebnissen. Sie machte sich große Vorwürfe.

Die Folgen: Ich hatte ursprünglich Asthma und 2 Allergien. Die Jahre nach diesem Aufenthalt bekam ich Neurodermitis. Dieses ist im Rückblick und mit Fachwissen nicht verwunderlich. Haut ist ein Grenzorgan. Grenzen wurden mehrmals massiv überschritten. Das ich mit Kot auf der Haut eingerieben wurde, und nun diese Haut aufkratzte, ist für mich ein unmittelbarer Zusammenhang.
Mein Asthma wurd nicht besser, sondern schnell schlimmer. Jahrelang hatte ich Nachts Asthmaanfälle, die psychogen und nicht mehr allergisch ausgelöst waren.
Wenn mein Arzt und meine Eltern damals mich baten wieder zur Kur zu fahren, ging ich in massiven Wiederstand. Ich sagte ganz deutlich im Jugendalter: Wenn ich jemanden von den damals Verantwortliche treffen würde,ich würde für nichts garantieren können,- so groß war meine Wut. Erst mit 18 Jahren traute ich mich in eine Kur in Davos durchzuführen.

Durch mehrere Therapien und anderen Erfahrungen weiß ich, das auch meine Autoritätsakzeptanz-probleme mit der damaligen Situation zusammenhängen. Meine Krisen in Trennungssituationen sind davon geprägt und die Art Beziehungen zu gestalten. Mein Urvertrauen wurde damals komplett zerstört. Schließlich bin ich einmal an einer reaktiven Depression erkrankt.

Mittlerweile habe ich gelernt damit umzugehen. Ich bin nicht mehr überwältigt von den Gefühlen, Erinnerungen und Gedanken zu dem Kurheim.
Jedoch bin ich sehr daran interessiert, das Verantwortung für damalige Strukturen und Verfahrensweisen übernommen wird.
Ich frage mich, ob die Barmer nicht mehr hätte unternehmen können. Denn meine Eltern haben durch aus damals ihre Irritation geäußert.
Warum konnte das so lange Jahre und in so vielen Kurheimen so gehandhabt werden???
Das schlicht Geld (auf Heimseite) wahrscheinlich ein Grund und ein anderer das "nicht glauben können" (alle anderen Beteiligten, die davon hörten) war, frustriert immernoch.
Es hätte der Barmer viel Geld in Folge gespart, wenn sie mich nicht dorthin zur Kur geschickt hätten.

Hinweis auf die Internetseite der Betroffenen, des Kurheimes Seehospiz Kaiserin Friedrich auf Norderney: forumromanum.com
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Torsten schrieb am 08.12.2019
Schon viele Jahre, in unregelmäßigen Abständen, recherchiere ich im Internet nach Bildern und Berichten in Bezug auf meine zwei Kuraufenthalte.
Alleine diese Tatsache dass man nach fast 50 Jahren immer noch auf der „Suche“ ist halte ich für sehr bedenklich. Jetzt weiß ich dass es ein Trauma sein muss
Vor ein paar Wochen stieß ich schließlich auf diese Seite und ich konnte es kaum glauben. Endlich eine Plattform wo man halbwegs Antworten und Informationen zu diesem Kapitel findet. An dieser Stelle möchte ich mich bei der Initiatorin Frau Röhl sehr herzlich bedanken. Etwas vergleichbares hat bisher echt gefehlt.

Nun zu mir und meinen noch immer präsenten Erinnerungen an die damalige Zeit.
Ich hatte als Kind starkes Asthma und auch schon mehrere Krankenhausaufenthalte hinter mir. Irgendwann bekamen meine Eltern auf Empfehlung des Hausarztes mich auf eine Erholungskur zu schicken zwecks Luftveränderung wie es damals hieß.
Im Sommer 1971 war es dann soweit dass ich mit vier Jahren für sechs Wochen an die Nordsee nach Büsum/Deichhausen in das Kinderheim „Seeschlösschen“ geschickt wurde.
Ich erinnere mich dunkel an eine nicht enden wollende Zugfahrt ins Ungewisse und aufkommende Angst.
Das schlimmste für mich war jedoch das Heimweh und das ständige Gefühl meine Eltern nie wieder sehen zu können. Ich meine nur geweint zu haben.
Die Erzieherinnen sind mir in Ihrem Verhalten als sehr streng und völlig empathielos in Erinnerung.
Es gab niemanden der einen getröstet hat oder dem man sich anvertrauen konnte.
Ich fühlte mich völlig allein und allem und jedem hilflos ausgeliefert.
Ich weiß noch dass es unter uns Kindern keinen Zusammenhalt gab sondern nur Aggression und Hänseleien.
Besonders eingeprägt haben sich mir folgende Ereignisse:

Eines Nachts wachte ich auf und bemerkte dass ich mich komplett eingenässt hatte.
Ich stieg aus dem Bett auf und ging weinend in den dunklen Flur wo sich am Ende ein Tisch mit Lampe befand wo eine der Erzieherinnen Nachtwache hielt.
Diese kam auf mich zu und befahl mir in rüdem Ton still zu sein und schickte mich wieder in mein nasses Bett. Ich fing an unerträglich zu frieren.
Ab diesem Zeitpunkt musste ich nachts gegen meinen Willen wieder Windeln und Windelhosen tragen. Zudemst bekam ich ein Gummilaken ins Bett eingelegt.
Das alles empfand ich als äußerst demütigend und ich schämte mich.
Auch haben die anderen Kinder mein Dilemma mitbekommen und hatten mich daraufhin gehänselt und geärgert. Ich fühlte mich völlig bloßgestellt.

Des Weiteren kam es irgendwann am Eingang des Heimes, wo sich links und rechts Schuhregale befanden, zu einem Streit mit einem Jungen weil der versuchte mir meine Schuhe wegzunehmen. Deshalb wehrte ich mich, worauf der Junge mir in die Augenbraue biss. Eine Narbe ist heute noch sichtbar.
Eine der Erzieherinnen bekam die Situation mit und schnappte sich den Jungen der daraufhin fürchterliche Schläge erhielt.

An was ich mich auch noch sehr gut erinnere war, als uns Kindern die Ohren sauber gemacht werden sollten.
Wir standen in Reih und Glied hintereinander. Als ich dran war passierte folgendes:
Eine der Erzieherinnen saß auf einem Stuhl, neben Ihr ein Eimer mit vielen braunen Wattefetzen.
Auf dem Tisch vor Ihr befand sich ein großer Watteklumpen, Sie hatte eine Haarklammer in der Hand und nahm ein Stück Watte aus dem Klumpen, befestigte es an der Haarklammer und ging mir damit in beide Ohren, um diese zu säubern, was sehr schmerzhaft war.

Im Sommer 1975 mit acht Jahren wurde ich wegen meines Asthmas wiederum in eine sechswöchige Kur geschickt. Ich weiß noch dass ich auf gar keinen Fall dahin wollte. Doch es nütze nichts, ich musste.
Diesmal ging es nach Bad Reichenhall in die Kurfürstenstraße 26 in eine sogenannte „Asthma Kinderheilstätte“. Auch dort ging es sehr streng und kaltherzig zu.
Und auch dort hatte ich sehr starkes Heimweh.
Als nach der Ankunft unsere Koffer ausgepackt wurden, nahm man mir meine Asthma Medikamente ab mit der Begründung, dass ich diese hier nicht brauche.
Ich reagierte völlig unverständlich und flehte, dass ich die aber benötige.
Es wurde nicht nachgegeben und ich bekam Sie nicht wieder.
Irgendwann bekam ich mit, dass mein Koffer in den Keller verfrachtet wurde. Ich fragte die Erzieherin warum mein Koffer in den Keller kommt und bekam gesagt, dass ich den nach meinem Aufenthalt wiederbekomme.
Auf die Frage wann dies denn sei, bekam ich als Antwort „Das weiß ich nicht“
Ich wurde völlig panisch und bekam furchtbares Heimweh.

Irgendwann wurden in einem Raum unter uns Kindern Ansichtskarten verteilt um den
Eltern zu schreiben.
Ich weiß noch genau dass ein von den Erzieherinnen vorgegebener Text an eine Art Schultafel geschrieben wurde. Nur das durften wir schreiben, wir durften nichts eigenes verfassen. Das empfand ich als äußerst demütigend.
Die Briefe meiner Eltern an mich bekam ich in geöffnetem Zustand überreicht was ich auch nie verstanden habe. Zumindest damals nicht.

Was mich auch gestört hat, war der angeordnete Mittagsschlaf.
Draußen war es warm und die Sonne schien hell in den Schlafsaal, trotzdem sollten wir alle Ruhe halten. Das habe ich nie nachvollziehen können.
Des Weiteren erinnere ich mich an einen Spaziergang in der Gruppe.
Ich musste ziemlich dringend auf die Toilette weil ich „groß“ musste, wusste aber nicht wo.
Ich traute mich auch nicht eine der Erzieherinnen zu fragen, vielleicht weil Sie ja so streng und unverständig waren.
Das Resultat war letztendlich, dass ich mir in die Hose machte.
Wieder im Heim angekommen, erzählte ich verängstigt, dass ich mir in die Hose gemacht habe.
Ich wurde allein in ein Bad geschickt und sollte mich nackt ausziehen und in eine Badewanne steigen. Kurz darauf kam dann die Erzieherin und duschte mich mit hartem Wasserstrahl eiskalt ab währenddessen Sie mich aufs übelste beschimpfte. Zur Strafe musste ich mir schon nachmittags den Schlafanzug anziehen und durfte nicht mehr vor die Tür.
Das bekamen andere Kinder mit und hänselten und lachten über mich. Ich schämte mich total.

Rückblickend muss ich heute sagen, dass mich diese zwei „Kuren“ doch sehr für mein weiteres Leben geprägt haben. Vieles ist für mich heute erklärbar und nachvollziehbar.
Meinen Eltern kann und will ich keine Vorwürfe machen da Sie den Empfehlungen der Ärzte vertraut haben.
Ich würde mich freuen wenn es zu Kontakten mit Mitmenschen käme die ebenfalls in Büsum im „Seeschlösschen“ sowie in Bad Reichenhall, Kurfürstenstraße 26, waren.

Vielen Dank fürs Lesen!
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Jürgen Weichselbaum schrieb am 08.12.2019
Habe mich mit der Jahreszahl vertan, das war natürlich 1968.....
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Jürgen Weichselbaum schrieb am 08.12.2019
Nachtrag...

zum Glück habe ich davon nichts zurück behalten und meine beiden Söhne, einer ist 31 Jahre alt und der andere 25, haben so denke ich, eine Kindheit wie im Paradies gehabt. Durch all meine Erlebnisse hatte ich mir geschworen, niemals meine Hand zu erheben gegen meine Kinder.
ZUm Glück habe ich es geschafft. Es gab noch niemals auch nur einen KLaps oder ich wurde in Bezug auf die beiden wütend oder laut.
Da bin ich sehr stolz drauf und habe ein unfassbar tolles Verhältnis zu meinen Kindern.
Also hat es in meinem Falle auch was Gutes gehabt.
KInderseelen kann man so schnell verletzten oder zerstören...darum hat jeder, der sich egal in welcher Form an Kindern vergreift, ob seelisch oder körperlich, nur das aller Schlimmste verdient und für mich keinen Platz in der Gesellschaft.
Ich wünsche allen, die seelische Grausamkeit in iher Kindheit erfahren haben, daß sie damit umgehen können und um so mehr sich für den Schutz aller Kinder einsetzten..
Alles Liebe und viel Kraft wünsche ich euch....
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Eberhard H. schrieb am 08.12.2019
Der Bericht eines Fernsehformats machte mich auf das Thema der seinerzeitigen "Kinderverschickungen" aufmerksam. Nie zuvor hatte ich eine Vorstellung davon, dass die Missstände der Kinderverschickungsheime in der frühen Nachkriegszeit der Bundesrepublik Deutschland, also in den 50er und 60er Jahren, offenbar System hatten. Eher bin ich davon ausgegangen, dass es sich hier möglicherweise um Einzelfälle handelte, die ich als Sechsjähriger während einer Verschickung nach Amrum zu erleben hatte. Dass dem aber nicht so ist, beweisen mir hier die zahlreichen Kommentare.

Meine Kurverschickung erfolgte präzise vom 24.09.1963 bis zum 04.11.1963 ins "Haus Erika" in Wittdün/Amrum. Dies weiß ich so genau, weil meine Eltern über all die Jahre ein altes Schwarzweiß-Foto aufbewahrt hatten, auf dem unsere damalige Kindergruppe dieses Hauses von einer Heim-Tante auf Anweisung lachend und lächelnd abgelichtet wurde, um eben dieses Foto den Eltern der verschickten Kinder zukommen zu lassen, so dass diese sich einbilden durften, ihren Kindern gehe es dort gut.

Soweit ich mich erinnern kann, erfolgte meine Heimverschickung aus zweierlei Gründen:

1. Seit der Geburt hatte ich immer wieder erhebliche Magen-Darm-Probleme und legte damit eben auch eine nachvollziehbare Blässe an den Tag. Die "Seeluft" sollte dies richten.

2. Meine Mutter sollte in diesem Zeitraum ein Geschwisterkind gebären, wobei es sich aber leider um eine Totgeburt handelte. Eine Erholungsphase brauchte also auch sie.

Zu den Vorgängen im Haus Erika auf Amrum lässt sich Folgendes beschreiben:

1. Toilettengänge waren grundsätzlich untersagt, wenn man zuvor nicht um Erlaubnis gefragt hatte. Dies Erlaubnis aber wurde nicht jedem zu jedem Zeitpunkt zuteil, sondern eben nur dann, wenn es die fremden "Tanten" für richtig hielten. Wurde dagegen verstoßen, weil man es nicht mehr aushielt, gab es entweder einen Boxschlag in die Magenkuhle oder man wurde mit dem Gesicht zur Wandecke unter eine Waschraumdusche gestellt. Dies konnte auch mitten in der Nacht geschehen.

2. Der verhältnismäßig große und geradezu überdimensionierte Schlafsaal besaß große, hohe Fenster mit leichten durchscheinbaren Vorhängen, während das Licht eines sehr nahe gelegenen Leuchtturms den Schlaf der Kinder massiv beeinträchtigte und stets für Heimweh sorgte.

3. "Tante Isolde", deren Name sich in meinen Gehirnwindungen bis dato recht gut in Erinnerung gehalten hat, sorgte in aller Regel dafür, dass es sowohl zur Frühstücks-, wie aber auch zur Mittags- und Abendbrotzeit fast nie ausreichend zu essen gab und man tagsüber und in der Nacht mit knurrendem Magen umher lief. Für ein Kind, das wegen massiver Magen- und Darmprobleme verschickt wurde, ist ein solcher Vorgang mehr als fatal.

4. Tagsüber fanden mehrfach recht ausgiebige Spaziergänge statt, denen man aufgrund langer Wege und ungeeigneten Schuhwerks oft nicht standhalten konnte. Man wurde als aufsässig bezeichnet und es erfolgte anschließend der komplette ganztägige Entzug von Essen.

5. Mir persönlich sind während dieses Aufenthalts zudem auch sehr unappetitliche Dinge mit besagter "Tante" widerfahren. die aufgrund ihrer Jugend gefährdenden Inhalte hier nicht beschrieben werden sollen. Nur so viel: Es gab auch sogenannte, willkürliche "Belohnungen" , die da wohl mehr einer Belohnung dieser "Tante Isolde" entsprachen...
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Jürgen Weichselbaum schrieb am 08.12.2019
Es gib Einige hier bei der Diskussion, die den Terror in den Verschickungsheimen herunter spielen. Das kann ich nicht verstehen.Vielleicht ist denen zum Glück nichts passiert, aber ich kenne eine ganz andere Geschichte.
Vor genau 51 Jahren ,1969 von Anfang November bis kurz vor Weihnachten wurde ich nach Bad Rothenfelde für sechs Wochen verschickt, Kaum zu glauben, ich kann mich an jeden einzelnen Tag erinnern, obwohl ich damals erst fünf Jahre alt war.
Wir wurden geschlagen, bekamen zwischendurch einen ganzen Tag lang nichts zu essen, ich wurde in den Sack vom Nikolaus gesteckt und dachte, ich muss sterben und der Hausmeister versuchte abends immer wieder, sich uns unsittlich zu nähern, wenn wir im Bett lagen oder schon schliefen, was er dann auch schaffte. Jeden Abend kam die Heimleiterin mit einem Rohrstock, hob unsere Bettdecken hoch und schlug immer wieder wie eine Furie unkontrolliert und heftigst zu, was zum Ende meines Aufenthaltes wesentlich weniger wurde, wahrscheinlich, damit, wenn man dann nach Hause kam, die blauen Flecken und Verletzungen abgeklungen waren. Dafür gab es dann mehr Psychterror.
Jeder Tag war die Hölle ,ich kann gar nicht alles aufzählen, weil das den Rahmen sprengen würde.
Meine Mutter sagte mir später, ich hätte monate lang kein Wort gesprochen und wäre ihr nicht einen Moment von der Seite gewichen. Daran zum Beispiel kann ich mich überhaupt nicht mehr erinnern.
Freue mich für jeden, der damals das Glück hatte, dort nicht misshandelt worden zu sein, jedoch meine Geschichte sieht ganz anders aus
Meine Brüder und ich sind wahrlich damals zuhause nicht mit Samthandschuhen angefasst worden und ich war auch selbst mit fünf Jahren viel gewohnt.
Aber das war wirklich die Hölle.....
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Christian schrieb am 08.12.2019
Ich wurde 1972 oder 1973 für 6 Wochen nach Boffzen zum aufpäppeln geschickt, weil ich so ein Hering war. Ein von Nonnen geführtes Heim. Der Umgang mit uns Kindern war der gleiche wie andere hier auch schilderten. Harte Strafen fürs Bettnässen und nicht aufessen. ich sass stundenlang alleine in einem Zimmer auf einem Stuhl als Strafe für ich weiß nicht was. Uns wurden alle persönlichen Sachen und Lieblingsbücher, Teddies u.s.w. abgenommen. angeblich war eine Infektion ausgebochen und alle Dinge verseucht waren. Andere Kinder bekamen Ohrfeigen, dass sie durchs Zimmer flogen. In Boffzen waren die Strassen mit Glassplitt aus den Glashütten belegt und wir sammelten schöne Steinchen, die uns im Heim sofort wieder abgenommen wurden. Postkarten wurden nur mit Kontrolle der Betreuer geschrieben. Damals habe ich mir als Kind eine Selbstkontrolle angeeignet, die mich vor den meisten Strafen geschützt hat, dieses ÜberIch hat mich damals beschützt und sitzt jetzt noch so tief, dass ich heute in meinem Leben große Probleme mit meinen inneren Konflikten habe, mit meinem Perfektionismus. Ich bin seit 10 Jahren in Therapie, ADHS, Depressionen, Suchterkrankung. Vor einigen Jahren fuhr ich noch einmal zu dem Heim, um zu testen was es in mir auslösen würde, damals war ich nicht nüchtern und ich spürte nix, allerdings beim Lesen der anderen Berichte hier gehts mir echt schlecht.
Zum Glück ahnten meine Eltern das etwas in dem Heim nicht gut für mich war und holten mich eher wieder ab. Sie schämen sich dafür auf anraten eines Arztes mich weggegeben zu haben.
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Peter schrieb am 08.12.2019
Hallo Beate, heute bin ich auf diese Seite aufmerksam geworden. Meine erste Verschickung ging ebenfalls nach Vossloch. Ich kann mich nur bruchstückhaft daran erinnern. Es war Winter und ich bin auf dem Bahnsteig bei Glatteis ausgerutscht. Die Folge eine heftige Gehirnerschütterung. Es war eine Villa, der Garten und Brunnen waren verschneit. Ob es dieses Gebäude heute noch gibt ?? Die ganze Zeit begleitete mich jedenfalls Heimweh, warum wohl ?? In meiner Erinnerung eine gruselige Zeit dort.
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Carsten Palm schrieb am 08.12.2019
1977 war ich wegen Lungenschwäche in Bad Reichenhall . Insgesamt war die Teit sehr schön ,aber man durfte nachts nicht zur Toilette. Nur direkt gegenüber dem Schlafsaal war die Toilette ,doch mich hat die Nachtwache abgefangen und in den Waschraum gesperrt.Niergends eine Möglichkeit so fanden mich alle morgens eingeschissen .Ein anderes Mal sollte ich so lange sitzen bleiben bus ich den Nachtisch aufgegessen hatte.Etwas ekligeres habe ich bis dahin noch nicht gegessen. ES war ein Berg von gebratenen Haferflocken .Die Hälfte konnte ich in den Backen ausfüllen und dann in derToilette entleeren.Einmal hat man mir heftigst das Ohr umgedreht ,für eine kleine Schandtat. Also ich war 5 .Und die böse Frau Braun hat nicht mal bach dem Grund gefragt.Aber es waren 6 Wochen und drei schreckliche Erlebnisse ,die Zeit dazwischen war schon schön.
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Anonym schrieb am 08.12.2019
Ich war auch 1992 dort - und einer von den Kleinen.
Dein Bericht hat einige Erinnerungen zurückgebracht. Immer durch diese Kellergänge. Ich war in der jüngsten Gruppe (Seestern?).
Und eigene Kleidung gabs zeitweilig wohl nicht, weil nicht gewaschen wurde. Weiß noch wie die Betreuerin uns fragte ob es nicht schön wäre, wieder eigene Sachen zu tragen.
Ja das mit dem Geld haben wir auch gehört.
.Es gab zwei Betreuerinnen die sich abwechselten und ich weiß noch, man musste beim Essen bei einer die linke Hand immer unter dem Tisch haben und bei der anderen auf dem Tisch - was ich mir bis heute nur als Sadismus erklären kann.
Schläge gabs bei uns nicht, aber in die Ecke stellen, wobei ein Kind solange stehen musste bis es sich einnässte. Auch musste man die eigene Wäsche wechseln, wenn man ins Bett machte (ich zum Glück nicht).
Mittagsschlaf gab es auch wobei man zwingend Augen zuhaben musste und die Deck über dem Körper. Egal wie.
Und manchmal mussten wir als Gruppe stundenlang stillsitzen. (Angeblich als Übung, weil wir ja bald eingschult werden sollten).
Ich erinnere mich aber auch an Gutes. Da gab es einen Spielplatz im Wald, bei dem wir öfter waren. Und Ausflüge am Strand und Wattwanderung.
Post von Zuhause haben wir aber bekommen, Süßigkeiten wurden einkassiert.
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Stefan schrieb am 08.12.2019
Guten Tag,
auch ich war 1970 als siebenjähriger für 6 Wochen auf der Insel Wangerooge, weil ich angeblich zu dünn war. Es waren die längsten Wochen meines Lebens. Meine Geschichte gleicht den vielen Schilderungen hier, daher verzichte ich auf weitere Details.
Ich habe keine genauen Erinnerungen, an das Haus oder die Betreuerinnen.
Ich wüsste gerne wer noch auf Wangerooge war und was er dort erlebt hat.
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xxxx schrieb am 08.12.2019
Ich wurde 1967 für 6 Wochen in den Harz verschickt. Die Trennung von meiner Schwester und meinem Bruder habe ich als sehr problematisch erlebt. Besonders die von meiner jüngeren Schwester. Wir waren sehr verbunden. Einerseits war ich tatsächlich auch froh, mal auf mich alleine gestellt zu sein, andererseits brach es mir das Herz, da ich meine Schwester nicht beschützen konnte. Sie erzählte in den wenigen Momenten, die ich sie treffen konnte, Grauenhaftes: An die Wand geschmierte Scheiße, Toilettenverbot, Bloßsstellungen u.ä. Ich selbst erinnere einen Moment, in dem ich abends die anderen Kinder anstiftete, Bremer Stadtmusikanten zu spielen: Wir machten die Tierlaute nach. Da kam eine Tante herein, wir waren alle sofort muksmäuschen still. Nur ein Kind machte noch Laute und wurde erwischt. Sie musste ihre Decke nehmen und in die Nacht in der Fußrinne im Badesaal schlafen. Als sie ihre Puppe mitnehmen wollte, wurde ihr dies verweigert, weil die Puppe ja nichts verbrochen hätte. Das fand ich so schrecklich grausam. Ich habe lange darunter gelitten, dass ich nicht die Zivilcourage aufgebracht habe, mich an ihre Stelle zu setzen, da ich ja die Kinder angestiftet hatte. Das Essen war so weit in Ordnung, nur Milchreis mochte ich nicht. Wir mussten den aber essen. Darum streute ich Zimt drauf und Zimt drauf, bis ich plötzlich auch keinen Zimt mehr mochte. Erst seit Kurzem mag ich wieder Zimt. Ich hörte davon, dass andere Kinder ihr Erbrochenes essen mussten, ich glaube, das hat mein Bruder später erzählt. Es gab wie gesagt drakonische Strafen, wie in der Rinne schlafen und stundenlang in einer Liege still liegen, aber ich bin nie so bestraft worden. Es gab auch die peinliche Situation, dass die Tanten meine von meiner Großmutter selbstgestrickten Strümpfe nicht mochten und ich Strümpfe von anderen Kindern ausgeliehen bekam. Das war für mich zwiespältig, meine Sachen wurden abgewertet, aber ich war natürlich auch neugierig auf weiche Farbrikstrümpfe. Frau Süselberg war nett und tröstete mich über Heimweh. Sie war von Akne übersäht und ich hätte erst lieber eine Tante gehabt, die ich schöner fand. Diese wurde die Tante meiner Schwester: Sie hieß Frau Peter. Als meine Schwester sie mit Frau Petra anredetet, da sie nicht verstehen konnte, dass Frau Peter, einen Jungennamen zum Nachnamen hatte, hatte sie schon verloren. Frau Peter war sehr streng und kalt mit meiner Schwester. Die Erkenntnis, dass die Hässliche lieb, die Schöne aber unbarmherzig war, ist die sehr positive Lehre, die ich für mich aus all dem gezogen habe.
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Heide Wruck schrieb am 08.12.2019
Kinderkurheim Sinnershausen bei Hümpfershausen in der Nähe von Meinungen, damals in der DDR

Mein Name ist Heide, geb. 1952, und ich kam etwa 1960/61 in oben genanntes Kurheim, zusammen mit meinem 1 Jahr jüngeren Bruder. Wir wurden auch getrennt und kamen in verschiedene Gruppen. Wir waren beide sehr dünn und sollten zunehmen. Die ganze Atmosphäre gefiel mir nicht, wir wurden schikaniert und zum Essen gezwungen. Frühs standen wir in einer Schlange, um uns vom Direktor des Heimes persönlich den Löffel mit Lebertran pur in den Mund schieben zu lassen. Davor hatte jeder das Grausen. Ich konnte nicht essen, musste mich bei jeder Mahlzeit übergeben und man ließ mich lange allein vor dem Teller sitzen, beschimpfte mich und wenn ich auf den Fußboden kotzte, musste ich selber Eimer und Lappen holen und es aufwischen. Es gab noch andere Kinder, die waren in der gleichen Lage wie ich, aber bei mir war es am Schlimmsten, da ich sehr sensibel bin. Mit meiner Gesundheit ging es steil bergab, ohne dass es jemanden interessierte. Ich wurde immer dünner und schwächer, jeder Spaziergang war für mich eine Qual, da ich kaum noch laufen konnte. Ich trank nur noch Wasser aus den Wasserhähnen im Waschraum. Es wurde so schlimm, dass ich aus dem Bett nicht mehr aufstehen konnte und die dann mal einen Arzt holten, der sich an das Fußende meines Bettes stellte und mich ebenso beschimpfte wie die Erzieherinnen, dass wenn ich nicht esse, sie mich ins Krankenhaus stecken wollen. Ich war schon total apathisch vor Schwäche. Mein kleiner Bruder hat mir das Leben gerettet. Er schrieb auf seine Ansichtskarte, die wir mal schreiben sollten, dass es ihm in der Kur gefallen würde, nur der Heide ginge es so schlecht. Darauf rief mein Vater im Heim an, hörte nichts Gutes aus dem Gespräch heraus und setzte sich durch, mich abzuholen. Da war ich schon so schwach, dass ich nur noch liegen konnte. Ich selbst habe nicht mehr registriert, wie schlecht es mir ging. Er setzte sich mit dem Direktor auseinander, dass sie mir nicht geholfen haben, nicht die Eltern benachrichtigt haben. Er legte mich in eine Taxe, es ging zum Bahnhof, dort musste ich im Abteil liegen und auch zu Hause im Bett bleiben. Auch dort konnte ich nichts essen, stand immer noch unter Schock. Mein Vater redete mir immer wieder zu, sie brachten mir frische Kirschen aus dem Garten ans Bett und da begann ich in Zeitlupe eine Kirsche zu essen, nachdem ich sie erst zerlegt und von allen Seiten angeschaut habe. Ab da konnte ich wieder langsam was essen. Also, ich habe etwa 3 Monate gebraucht,um wieder auf die Beine zu kommen und um wieder in die Schule gehen zu können. Mein Bruder hat die restliche Zeit noch in der Kur ausgehalten, ich weiß nicht, wie er das gemacht hat. Er war es, der mich auf euch aufmerksam gemacht hat!!!! Eine der schlimmsten Frauen dort war die Frau Domke und der Direktor mit seiner Frau.
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Aufgewühlt schrieb am 08.12.2019
Ich war ca. 1967/68 als ca. 4 oder 5-jährige im Schwarzwald in einem "Erholungsheim" für 4 Wochen. Es war Winter, Schnee, kalt. Die Zustände dort waren eine einzige Katastrophe. Wir wurden geschlagen, blosgestellt, mussten nachts im Flur stehen. Nikolaus und die Voradventszeit musste ich dort aushalten. Wenn nur ein kleines Geräusch im Schlafsaal zu hören war, kam eine Betreuerin, riß willkürlich ein Kind aus dem Bett und es musste im kalten Flur stehen, manchmal auch die ganze Nacht oder es wurde willkürlich ein Kind verprügelt.

Auch mich hat das getroffen. Mir wurde eine Decke zum Umhängen gegeben und ich musste die ganze Nacht in einer Ecke im Flur stehen. Es war nicht auszuhalten. Ich musste dann trotzdem am nächsten Tag alles bewältigen, obwohl ich kaum die Augen offen halten konnte und mich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Es wurde am nächsten Tag eine Wanderung unternommen, ich machte mir unterwegs in die Hose, da ich dick angezogen war und die Betreuerin keine Lust hatte, mit mir hinter eine Hecke zu gehen und musste dann die ganze Wanderung mit den nassen Sachen durchhalten.

Ein Kind hatte abends im Bett gepubst. Daraufhin stürmte die Betreuerin, die wohl vor der Tür gelauscht hatte, in den Schlafraum geschossen und riss meine Bettdecke weg, drehte mich um, zog mir die Schlafanzughose herunter und verprügelte meinen kleinen nackten Po. Es war einfach nur grauenhaft.

Auch im Waschraum spielten sich immer schreckliche Szenen ab, wenn ein Kind sich nicht so wusch, wie die Betreuerinnen sich das vorstellten. Der Waschraum war mit großen Steinwaschbecken.

Die Nikolauspäckchen, die wir Kinder von zuhause geschickt bekamen, wurden uns gezeigt, der Inhalt wurde uns gezeigt, dann verschwanden die Päckchen auf Nimmerwiedersehen. Der Nikolaus kam auch am 6.12. er hatte einen Sack dabei und auch eine Rute. Er las aus einem Buch über jedes Kind etwas vor. Viele Kinder wurden einfach nur blosgestellt und wurden mit der Rute verprügelt vor allen anderen. Ich durfte in den Sack greifen (was hatte ich eine Angst vor diesem Nikolaus), zum Vorschein kam ein alter, verschrumpelter Apfel, den ich dann aufessen musste. Ich war so enttäuscht, dachte ich doch, ich bekäme aus diesem Nikolaussack etwas von meinen Süssigkeiten, die meine Eltern mir geschickt hatten, aber Fehlanzeige. Die Sachen haben wohl die Betreuerinnnen für sich verwertet.

Es gab auch Kinder, die bevorzugt behandelt wurden. Es gab eine Tante Helga, die war recht beliebt, aber sie war nur nett zu ihren "Lieblingskindern".

Einmal gab es einen Besuchstag um die Nikolauszeit. Es war schon abends, als einige Eltern auftauchten. Die Betreuerinnen zeigten sich da von ihrer besten Seite. Ein Drama für die Kinder, die keinen Besuch bekamen, sie mussten sich alles mitansehen, wie ein paar Kinder Besuch bekamen und wir mussten alle da sitzen, mit den Augen suchend, ob nicht doch jemand Vertrautes die Tür hereinkommt, weinend und ertrinkend in unserem schlimmen Heimweh. Und wie die Betreuerinnen sich bei diesen Eltern anbiederten, einfach nur widerlich. Das Schauspiel ging über 1 - 2 Stunden, danach wurde wieder agiert wie auf einem Kasernenhof mit den Kindern.
Die Betreuerinnen hatten auch ein paar Kinder als Sündenböcke auserkoren. Es war ein Mädchen dabei, das etwas übergewichtig war, was sie mit diesem Mädchen alles machten ging auf keine Kuhhaut mehr. Sie haben die Kleine bloßgestellt, verprügelt, lächerlich gemacht, herumkommandiert, wo sie nur konnten. Es war furchtbar. Insgeheim waren wir Kinder froh, dass es Sündenböcke gab, denn dann war das Augenmerk der Peinigerinnen zeitweise nicht so sehr auf uns gelenkt. Aber ich hatte als kleines Kind schon tiefes Mitleid mit diesem Mädchen, das traute sich überhaupt nichts mehr, sich zu bewegen oder sonstiges, schaute nur noch ängstlich um sich, wie erstarrt. Aber die Betreuerinnen fanden immer etwas, womit sie die Kleine malträtieren konnten, auch auf den nackten Po vor allen anderen verprügelt, herumgerissen usw. gedehmütigt. Einfach nur schrecklich. Ich sehe das Vorgehen heute als vorgelebtes Fundament für Mobbing-Verhalten, das war brutalstes Mobbing an Kindern übelster Sorte.

Mich wühlt das Ganze hier seit ein paar Tagen sehr auf, ich bin auf der Suche nach dem Haus im Schwarzwald, wo sich das alles zugetragen hat, konnte aber bisher nichts konkretes finden, wo ich sagen könnte: Das war das Haus, in dem sich alles zutrug. Hat jemand Fotos, es wurden auch zum "Abschied" noch Gruppenfotos gemacht, das weiß ich noch, habe aber leider kein Foto mehr.

Ich wurde, soweit ich noch weiß, über die Barmer Ersatzkasse da hin verschickt, war als Kind vorher schon oft im Krankenhaus usw.

Ich muss aber auch sagen, dass meine Schwester, 2 Jahre älter als ich, auch in Erholung geschickt wurde, sie kam immer begeistert zurück und freute sich immer, wenn sie wieder in Erholung durfte.
Ich dachte damals oft, dass es ja an mir liegen muss, dass ich so schlimm in der Erholung behandelt wurde, also dass ich eben ein schlechtes Kind bin, denn das haben diese Personen so kleinen Kindern vermittelt: Du bist schlecht, Du bist nicht in Ordnung, auf Dir können wir herumtrampeln, wie wir wollen, Du darfst nicht Lachen, Du sollst leiden, Du bist schutzlos!

Heute würde ich sagen, dass diese Zeit viel kaputt gemacht hat und auf mein ganzes Leben sehr negative Auswirkungen hatte und hat. Denn die Gefühle trage ich immer noch in mir.
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gerhard schrieb am 08.12.2019
Hallo Dieter,
es geht nicht um Rache und auch nicht darum, die Täter an den Pranger zu stellen.
Sie müssen aber für Ihre Handlungen zur Verantwortung gezogen werden. Ähnlich wie bei sexuell motivierten Gewalttaten ist es für die Opfer oft ein Stückchen Balsam, wenn die Täter Rechenschaft ablegen müssen. Es gibt keinen Grund, so sie noch leben, sie nicht mit Ihrem Verhalten damals zu konfrontieren.

Daneben ist es für die Opfer sehr wichtig, von diesen "Zeitzeugen" Näheres über die Motive und die Umstände Ihrer sadistischen Handlungen zu erfahren.

Was die Träger der Heime und die anderen hinter dem System stehenden Institutionen betrifft (in meinem Fall die AWO Bayern), so ist eine öffentliche Entschuldigung überfällig.
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Viola Prasse, geb. Eichhorn schrieb am 08.12.2019
Hallo, ich war im Januar - Februar 1968 mit 3 Jahren irgendwo auf Amrum im Kinderheim.
Den einzigen Beweis den ich habe, ist ein Foto (habe ich eingereicht) auf dem neben mir noch 6 weitere Mädchen unterschiedlichen Alters und eine der sogenannten Tanten an dem Tisch sitzen.
Ich habe leider so gut wie gar keine Erinnerung daran, außer ein kurzer Moment des Abschieds am Bahnhof in Lübeck, viele Betten in einem Schlafsaal und irgendwie bei Zähneputzen der komische Geruch der Zahncreme.
Ich sollte damals 8 Wochen dort bleiben, wurde aber auf Grund einer schweren Erkrankung und extremen Heimwehs nach 6 Wochen zurückgeschickt. Warum ich überhaupt dort war ist mir nicht bekannt, Krankheit durch "Kur" auch nicht. In meiner Familie kann bzw. will mir auch keiner etwas sagen, haben angeblich alles vergessen, wie alles was mich betrifft.
Da ich seit 11.09.2001 auf Grund einer Angststörung und starken Panikattacken das Haus nicht mehr verlassen kann, suche ich nach dem Grund meiner Erkrankung. Ich bin jetzt 55 und lebe seit 18 Jahren mit irgendeiner Angst, die ich nicht erklären kann, in meinen 4 Wänden. Therapie, Tagesklinik, Medikamente... Nichts bringt mich weiter.
Als ich heute diesen Artikel ( Kindererholungskuren "Psychoterror und Folter" der tageschau.de ) online gelesen habe, kamen in mir sehr viele Fragen auf. Gehöre ich vielleicht auch zu den misshandelten Kindern, ist da vielleicht die Erklärung für meine Angst zu suchen? Keine Ahnung. Tatsächlich sind die Ärzte bei mir von irgendeinem Missbrauch in frühester Kindheit überzeugt. Ich habe es, wenn da was war, jedoch so sehr verdrängt... Absolut keine weitere Erinnerung, weder an die Zeit auf Amrum noch an meine Kindheit.
Vielleicht findet sich ja eine wieder auf dem Foto in der Cloud, vielleicht gibt es irgendwann wichtige Informationen über die Zeit dort...
In jedem Fall wünsche euch allen nur das Beste und ganz viel Kraft! ? ?
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Annegret schrieb am 08.12.2019
Moin,
ich wurde 3 x "Verschickt", wie es damals hieß. Träger war das Sozialwerk der Bahn.
1965 war ich im Frühling auf Amrum. Von dort ist mir hauptsächlich in Erinnerung geblieben, dass es eine Gruppe für Kinder bis 7 Jahre gab, in der viel gespielt und nicht gewandert wurde, und Gruppen für Kinder ab 8 Jahre, in der lange Wanderungen unternommen wurden, dafür wenig gespielt wurde. Ich war zwar gerade erst 6 Jahre alt, musste aber mit den Großen mit, da ich so groß (jedoch noch lange nicht so weit) war, weshalb ich viel traurig gewesen bin.
Weshalb ich eigentlich schreibe waren meine 2 Aufenthalte im Alter von 7 und 8 Jahren in Arosa in der Schweiz, jeweils im Winter. Das Heim wurde von Nonnen geleitet. 30 Mädchen und 30 Jungen in 2 Gruppen gab es. Jede Gruppe wurde 6 Wochen lang von 1 Nonne - auch hier Tante genannt - geleitet, wobei die Tante, die bei einem Aufenthalt die Mädchen betreut hat z.B. beim nächsten Aufenthalt die Jungen betreut hat. Ich hatte mich auf dem 1. Aufenthalt erkältet, so dass mein Auffenthalt von 6 auf 12 Wochen verlängert wurde, so dass ich nach 6 Wochen eine neue Tante bekommen habe. Die jeweilige Tante wurde an ihren freien Tagen von einer Springer-Tante vertreten.
Uns wurde viel vorgeschrieben. Unsere Kleidung haben die Tanten ausgesucht. Unsere Pakete wurden in der Gruppe aufgeteilt. Unsere Post, die wir schreiben mussten, wurde zensiert. Wer nicht das richtige geschrieben hat musste sich einen neue Karte kaufen und neu schreiben.
Ich erinnere mich an eine Tante, die sehr nett war und eine Tante, die überstreng war und auch schon mal geschlagen hat.Geschlagen wurden allerdings nur Jungen.
1x (!) bin ich auch "Skifahren" auf dem Rodelberg gewesen, mit der netten Tante. Die anderen Tanten haben es nicht gemacht.
Was mir bis heute in sehr negativer Erinnerung geblieben ist:
Im Speiseraum saßen wir an 10ner Tischen. An einem Aufenthalt saßen an meinem Tisch 2 Mädchen, die alles nicht mochten. Da sie sehr dünn waren bekamen sie Milchsuppe zum Essen (Andere durften keine Milchsuppe essen, da sie kräftig waren). Diese beiden Mädchen kotzten regelmäßig in die Suppe und mussten trotzdem alles - inclusive dem Erbrochenen -. bis auf den letzten Löffel aufessen und bekamen - je nach Tante - auch noch Bevor sie nicht fertig waren durften sie nicht aufstehen.
Wie streng das gehandhabt wurde kam auf die Tante an, die für den Tisch bei der Mahlzeit gerade zuständig war. Es wurde also nicht im ganzen Saal gleich gehandelt.
Ich erinnere einen Tag, an dem es etwas gab, was fast keiner mochte.Wer spucken musste, durfte 1x zur Toilette,musste danach jedoch weiter essen. Beim zweiten Mal blieb nur das Kotzen in den Teller, mit anschließendem aufessen. An unserem Tisch hat fast jeder mindestens 1x gespuckt und es wurde hinterher noch viel gewürgt.. Ich erinnere mich nicht daran, jemals in den Teller gespuckt zu haben.
Aber dieses Bild der Mädels, die ihr Erbrochenes essen musste vergesse ich nie.
Macht bitte bei der Recherche nicht bei den Deutschen Heimen halt. Wie gesagt, das Heim in Arosa liegt in der Schweiz, wurde von Nonnen (!) geführt und ich wurde vom Sozialwerk der Deutschen Bahn von Hamburg aus dorthin verschickt.
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Randalf schrieb am 08.12.2019
Ich kam 1967 mit 6 Jahren für 6 Wochen nach Wangerooge in ein städtisches "Erholungsheim", welches von Nonnen geführt und betreut wurde. Ich selbst war nicht krank aber mein Vater war städtischer Angestellter und wollte mich wohl überraschen bzw. für die Zeit aus dem Haus haben, weil wir umgezogen sind, in eine größere Wohnung mit eigenem Kindezimmer, was wirklich toll war, als ich zurück kam. In den 6 Wochen habe ich alles erlebt, was in den einschlägigen Berichten erzählt wird, die Kontrolle, die z. B. Pakete von den Eltern beinhaltete, die dann eingezogen wurden, die Briefe, die von der Äbtissin verfasst wurden und völlig anderen Inhalt hatten, als den man selbst vorgetragen hatte, Kuscheltierentzug, Erbrochenes essen, Salzwasser trinken bis zum Erbrechen, Prügelstrafe und vieles mehr. Dabei wurden gezielt die Schwachen ausgesucht und quasi eine Hirarchie erzeugt, wer von den Erziehern bevorzugt wurde und wer mit Strafe zu rechnen hatte. Ich habe die Nonnen gehasst, obwohl nicht alle sich so verhalten haben, einige waren auch lieb und nett, aber alle wussten mit Sicherheit über die Methoden. Meine Eltern haben mir meinen Bericht allerdings geglaubt und mein Vater hat bei entsprechenden Stellen Eingaben gemacht woraufhin das Vetragsverhältnis zwischen Stadt und Heim aufgekündigt worden ist. Ob es allerdings jemals eine Untersuchung gegeben hat weiss ich nicht und glaube ich auch nicht. Diese Methoden waren damals noch recht verbreitet und anerkannt.
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Heike schrieb am 08.12.2019
Hallo, ich freue mich sehr, dass es nun endlich eine Möglichkeit gibt, diese Dinge öffentlich zu machen, bin aber gleichzeitig schockiert zu erfahren, dass so vielen Kindern so schlimme Dinge passiert sind und JEDER Erwachsene einfach weggeschaut hat!!!

Ich wurde 1974 im Alter von gerade so sechs Jahren „verschickt“, nach Bonndorf im Schwarzwald. Soweit ich mich erinnere war ich in einem „Schwalbennest“ untergebracht. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob das komplette Heim diesen Namen hatte, oder ob jedes Haus, das zu dieser Einrichtung gehörte, jeweils einen eigenen Namen hatte und der Name des Heimes selbst ein anderer war. Die Einrichtung bestand jedenfalls aus verschiedenen größeren Häusern und mir wurde damals gesagt, dass ich im „Schwalbennest“ wohnen würde.

Leider habe ich nur schlechte Erinnerungen an diese Zeit, die für mich allerschlimmsten Erlebnisse möchte ich gerne hier schildern:
Abends, nach Beginn der Bettruhe war es jedem Kind verboten, das Bett zu verlassen. Zur Überwachung saß eine Betreuerin in einem Raum in der Nähe der Schlafsäle. Eines Tages hatte ich Durchfall, wurde von heftigen Bauchkrämpfen und Stuhldrang geplagt. Ich habe damals zunächst versucht alles auszuhalten, denn ich hatte große Angst vor der Aufpasserin, die damals auf mich sehr böse gewirkt hat. Einige Kinder sind wegen meinem schmerzvollen Weinen wach geworden und hatten auch große Angst, weil sie befürchteten, wegen mir bestraft zu werden, falls man mich erwischen würde. Irgendwann konnte ich aber nicht mehr, ich musste schnellstens zur Toilette. Voller Angst habe ich allen Mut zusammengenommen, bin aus meinem Bett gestiegen und habe vorsichtig versucht, die Tür meines Schlafsaals leise zu öffnen, in der Hoffnung, möglichst unbemerkt an der Aufpasserin vorbeischleichen zu können. Natürlich war ich nicht leise genug und wurde erwischt. Die Aufpasserin schrie mich an, beschimpfte mich aufs Übelste und jagte mich unter Strafandrohung für den ganzen Schlafsaal zurück ins Bett. - Dort ist passiert was passieren musste: Mein Durchfall ging in die Hose und ins Bett. Das war mir so unsagbar peinlich, ich schämte mich so sehr deswegen und hatte gleichzeitig eine so unbeschreibliche Wut in mir... Aber ich wusste, dass ich das noch sehr lange ertragen musste, denn ich war ja erst seit ungefähr einer Woche da... Ich weinte, vor Scham und Demütigung, vor ohnmächtiger Wut und Verzweiflung. Ich hatte sehr großes Heimweh. Weil ich so sehr geweint habe, ist die Aufpasserin zur Tür hereingekommen und hat mich angeschrien, ich solle endlich still sein und schlafen. Aber ich konnte mich nicht beruhigen und habe ihr ängstlich stammelnd mein „Missgeschick“ gebeichtet. Daraufhin hat sie mich voller Zorn und unaufhörlich schimpfend in den Waschsaal gebracht, um mich zu säubern. Dass sie mein Bett frisch beziehen musste hat ihren Zorn vergrößert, weshalb sie mich vor allen anderen Kindern bloßgestellt hat und uns allen gedroht hat, dass so etwas nie wieder passieren dürfe, sonst würden wir sie erst richtig kennenlernen...

Ebenfalls schlimm fand ich die Zustände beim Essen. Wir wurden jeden Nachmittag dazu gezwungen, ein Glas warme Milch zu trinken und dazu einen Apfel und ein Butterbrot zu essen. Mir ist warme Milch damals nicht bekommen und Butterbrot hat mir als Kind nie geschmeckt. Deshalb habe ich einmal gewagt zu sagen, dass ich davon Bauchschmerzen bekäme und zu fragen, ob ich es nicht einfach lassen könnte, da ich sowieso keinen Hunger hätte und es bald darauf schon Abendessen gäbe. Das war jedoch eine schlechte Idee, ich wurde sofort beschimpft und dazu gezwungen, dies zu essen. Ich solle ja nicht wagen, dies nicht zu essen, alle dürften erst vom Tisch aufstehen, wenn JEDER alles aufgegessen habe.

So gab es auch relativ regelmäßig Haferbrei mit Zwetschgenkompott als Abendessen - sehr häufig. Dieses Essen haben manche Kinder auch nicht mehr essen wollen, dann sind die Erzieherinnen zu den Kindern gegangen, haben ihnen die Nase zugehalten, damit sie den Mund öffneten und haben ihnen den Haferbrei in den Mund gestopft, bis diese erbrochen haben. Zur Strafe mussten diese armen Kinder den Teller mit dem zusätzlichen Inhalt weiter leer essen.

Eine weitere, zwar nicht ganz so traumatische, aber trotzdem unschöne Erinnerung war der Pakete-Tag. Etwa einmal wöchentlich haben alle Kinder von zu Hause ein Päckchen geschickt bekommen. Alle haben mitunter sehr persönliche Dinge, ihre Lieblingssüßigkeiten oder gar ein paar Stückchen von der Mutter gebackenen Lieblingskuchen geschickt bekommen. - Lieblingsdinge, die von daheim extra für das jeweilige Kind liebevoll verpackt geschickt worden sind.
All diese Pakete wurden dann vor allen anderen Kindern geöffnet, die darin befindlichen Briefe allen laut vorgelesen und die Paketinhalte eingesammelt, von den Erzieherinnen unter Verschluss gehalten und nur zu bestimmten Uhrzeiten gleichmäßig („gerecht“) an alle Kinder verteilt. Wenn die Zeit knapp war, durften manche Kinder nicht einmal mehr selbst einen Blick in die Pakete werfen und die liebevoll eingepackten Dinge anschauen bevor sie konfisziert worden sind.
Da diese Pakete für uns von Heimweh geplagten Kinder sehr wichtig waren, quasi ein Liebesgruß von daheim, habe ich dies als sehr grausam empfunden. Das Problem bestand dabei nicht darin, dass ich meine Süßigkeiten nicht mit den anderen teilen wollte, sondern es war für mich schlimm, dass wir DAS Paket, DEN Gruß von daheim, nicht bei uns haben durften, sondern es uns einfach weggenommen wurde.

Dies sind meine schlimmsten Erinnerungen an diese „Kindererholungskur“. Rückblickend habe ich außerdem sehr unter dem großen Heimweh gelitten, welches von den Erzieherinnen überhaupt nicht beachtet worden ist. Es gab keinerlei Trost, nur Beschimpfungen, Drohungen, Demütigungen und Bloßstellungen.

Gott sei Dank sind die meisten Erinnerungen mittlerweile verblasst, aber ich habe sehr viele Jahre an diesen Erlebnissen geknabbert und nach meiner Rückkehr meinen Eltern für sehr lange Zeit schwere Vorwürfe gemacht, weil sie mich dorthin geschickt hatten. Eine Zeit lang ist nach meiner Rückkehr auch immer mal wieder passiert, dass ich nachts eingenässt habe, das hat sich dann aber nach ein paar Jahren wieder gelegt. Auch heute spüre ich noch dieses Gefühl des ohnmächtigen Ausgeliefertseins, wenn ich an diese „Kindererholungskur“ denke. Die geschilderten Erlebnisse sind teilweise noch immer recht lebendig in meinem Kopf, aber nur, wenn ich mich aktiv daran erinnere bzw. davon erzähle, so wie jetzt gerade.

Es tut gut, diese Dinge nun öffentlich schildern zu können. Dadurch habe ein kleines bisschen das Gefühl, einer - wenn auch viel zu späten - Abrechnung.

Hoffentlich werden durch diese Initiative viele Menschen aufmerksamer, damit künftig ähnliches Leid verhindert werden kann.

Vielen Dank an die Initiatoren/-innen und allen Leidensgenossen/-innen von Herzen alles Gute.
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Anonym schrieb am 07.12.2019
Hallo,

ich wurde Anfang der 70´ger Jahre für 6 Wochen nach Föhr geschickt.
Bereits bei der Ankunft wurde unser Gepäck durchsucht und es wurden uns sämtliche mitgebrachten Süßigkeiten weggenommen.
Es gab eine Art Wettbewerb zwischen verschiedenen Gruppen und man musste lernen auf einer mit Wasser gefüllten Flasche Musik zu machen. Zu den Mahlzeiten wurde man gezwungen aufzuessen, egal ob es einem geschmeckt hat oder nicht. Ich musste mich mehrmals übergeben als es Eier mit Senfsoße gab, ein Gericht das ich nicht mochte aber aufessen musste.
Zudem gab es eine Art Arbeitsdienst, einmal mussten wir die Stundenlang über eine Fläche stampfen, auf der Rasen ausgesät worden war.
Die Erzieherinnen waren extrem streng.Ich hatte mal Streit mit einem anderen Kind und musste dann auf das Zimmer einer erzieherin. Diese saß auf Ihrem bett und ich musste mich vor Ihr hinknien. Dann zog Sie mir mehrmals Ihre Haarbürste durch das Gesicht. Was danach kam, habe ich verdrängt, aber irgendwas ist da noch passiert.
Die letzten beiden Wochen war ich dann so krank, das ich auf die Krankenstation musste.
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Vielleicht schrieb am 07.12.2019
Guten Tag,
ich wurde 1959 im Alter von 7 Jahren für gute 6 Wochen nach Westerland auf Sylt verschickt. Ich versuche gerade, meine Kindheits- und Jugenderlebnisse per Video aufzuarbeiten und fand bei meiner Suche nach dem ehemaligen Kinderkurheim Haus Böving das Abbild dieses Hauses sowie im Nachlass meiner Eltern ein Gruppenfoto, auf dem ich zu sehen bin. Ich will an dieser Stelle die Strafandrohungen, den Kasernenhofton und vor allem die verbalen Demütigungen all der dortigen "Tanten", die ich ertragen musste, nicht weiter schildern, nur so viel: Man hielt mich bestenfalls für einen Sonderling, der wohl "nicht ganz richtig da oben" gewesen sein musste. Gemessen an anderen Schilderungen - z.B. Zwang, Erbrochenes aufzuessen, - ging es im Haus Böving noch einigermaßen menschlich zu, aber auch ich musste an einem Tag die Wanderung nach Keitum mitmachen, obwohl ich an Durchfall erkrankt war und unterwegs keine Gelegenheit bekam, den Dünnschiss loszuwerden. Als ich dann die Hosen voll hatte und den ganzen Tag bis zur Rückkehr in diesem Zustand verharren musste, war ich willkommenes Opfer von Häme: "Iiieh - der stinkt aber!" Alle Nächte musste ich wegen Bettenmangel auf einer harten Kinderpritsche zubringen, die für mich eher zu klein war. Wer mittags oder abends zur Bettruhe nicht ruhig genug war, bekam Schläge, wovor ich riesige Angst hatte.
Vielleicht ist jemand unter den Lesern/innen, der/die ebenfalls im Haus Böving war. Vielleicht fällt jemandem die ironisch gemeinte Bezeichnung von "TANTE" BÖVING ein: "Unser Goldstück", damit war ich gemeint.
Meine Eltern hatte sicher darauf vertraut, dass mir etwas Gutes zukommen würde. Später hatten sie aber wohl gemerkt, dass in dem Heim etwas nicht gestimmt hatte - ich hörte meinen Vater später sagen, dass das Heim geschlossen würde. Leider hatte ich nie Gelegenheit, mit den Eltern ausführlich über diese Zeit zu sprechen, sie konnten mir gegenüber wohl nicht eingestehen, dass diese Verschickung ein Fehler war.
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Katrin schrieb am 07.12.2019
Liebe Gabi,
wenn du möchtest, melde dich unter gmainbayerisch@gmail.com zum gemeinsamen Erinnerungsaustausch. Wir sind schon vier Kinder aus Bayerisch Gmain, zwei davon vom Haus Sonnleiten.
Liebe Grüße, Katrin
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Prof. Dr. Thomas Harmsen schrieb am 07.12.2019
Hallo Hildegard,

ich war auch in Bad Rippoldsau (1968) und bin jetzt einer der Forscher. Wir können uns gerne austauschen ... meine Kontaktmail findest Du unter Forscher
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Annegret Schneider schrieb am 07.12.2019
Guten Morgen,
in dieser Woche lief im Fernsehen „Report Mainz“ ein Beitrag über Verschickungsheime, was mich sofort an meine eigene Geschichte im Jahr 1964/65 mit all seinen furchtbaren Erlebnissen erinnern ließ. Ich war in einem Erholungsheim im Schwarzwald Villingen/Schwennigen. Vielleicht gibt es jemanden, der auch dort seine Zeit verbrachte. Dieses Haus ist noch nicht aufgelistet. Ich habe Interesse mich an der Aufarbeitung der Geschichte zu beteiligen.
Gruß Annegret
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Jens Rothfuss schrieb am 07.12.2019
Hallo Lucy,

Dort war ich auch! Hier ist mein Bericht:

http://verschickungsheime.org/regionalgruppen/#comment-553

Wenn Du recherchieren möchtest: das Gebäude, und Du wirst es wiedererkennen, wird heute als "Erwin-Rommel-Museum" genutzt. Es gibt auch alte Bilder von diesem Gebäude im Netz.

Herzliche Grüße
Jens
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xxx schrieb am 06.12.2019
Ende April im Jahr 1967 fuhr ich mit meinen älteren Geschwistern im Sonderzug von Hannover nach Schulenberg im Harz ins Kindererholungsheim der Arbeiterwohlfahrt zu einer 6-wöchigen Kur.
Das weiß ich noch ganz genau. Ich war 5 Jahre alt und fand es sehr interessant an einen Ort zu fahren, der das Wort "Schule" in seinem Namen hatte. Ich freute mich riesig, schließlich war ich noch nie in einem Kindergarten gewesen (geburtenstarker Jahrgang, keine Plätze) und hier sollte es nun ein großes Heim geben - extra für Kinder. Meine beiden älteren Geschwister waren bei mir im gleichen Zugabteil und ich ließ aufgeregt die Beine baumeln. Lauter Kinder, der ganze Zug war voller Kinder. Oh wie schön, dachte ich.

Wir kamen in Schulenberg an und wurden alle in einen Saal geführt. Nach und nach wurden die Kinder aufgerufen und mussten sich vorne an die Wand zu einem Fräulein stellen und dann abmarschieren. Wir Geschwister wurden getrennt. Ich war entsetzt, erschüttert, schockiert, tief traurig, so traurig, wie in meinem ganzen Leben nie zuvor. Ich war zuvor nicht einen einzigen Tag von meiner Familie getrennt - und nun lagen 6 Wochen ohne meine Geschwister, ohne meine Eltern, ohne jemanden, den ich kannte, vor mir - 6 lange traurige Wochen. Geweint habe ich nicht, dazu war die Situation zu hoffnungslos.

Wir bekamen unser Bett gezeigt, unseren Spind, unsere Koffer wurden ausgepackt, unsere Zahncremes und Hautcremes wurden eingesammelt. Ich legte traurig meinen Teddybär aufs Bett. Er bot mir nicht viel Hilfe, war er doch nur aus Stoff. Nur noch Gott war lebendig bei mir, leider lässt er sich nicht sehr gut umarmen. Mein Teddy lag still da und streckte die Nase in die Luft. Ich deckte ihn zu, deckte ihn auf, war traurig. Wir lernten das Betten machen. Zwei der Mädchen waren schon mal dort zur Kur gewesen. Sie waren sehr geschickt im Decke unterfalten. Ich nicht.

Von nun an konnte ich meinen Geschwistern nur noch aus der Ferne zu winken. Nicht mal beim Essen konnte ich sie sehen, da die Kleinen, zu denen ich gehörte (eine Gruppe 2-5 Jahre alte Mädchen ca. 12 und eine Gruppe 2-5 Jahre alte Jungen auch ca. 12 Kinder), von den anderen Kindern völlig abgeteilt im Speisesaal saßen.
Unser Fräulein hieß Fräulein Peter. Ich dachte, ich hatte mich verhört, schließlich war sie doch eine Frau und Peter eine Jungenname. Am nächsten Morgen beim aufstehen bat ich sie um Hilfe: "Fräulein Petra, können Sie mir bitte den Rock zu machen?". Damals hatte ich noch keine Angst vor erwachsenen Menschen. "Ich heiß nicht Fräulein Petra, sondern Fräulein Peter" kam es verärgert zurück. Ich schämte mich und war einsam.

In der Gruppenhierarchie, die sich bildete, landete ich ganz unten. Ich weiß nicht warum. Vielleicht, weil ich in der zweiten Woche eine infizierte Stelle an der Stirn bekam, weil ich ständig traurig war, weil ich keine bunten Strümpfe hatte (meine waren graubraun aus Wolle), oder weil ich nie Postkarten bekam, weil ich nicht klein und goldig war (die jüngsten waren zwei Jahre alt, ich schon fünf) - keine Ahnung? Ich trottete immer als letztes hinter den anderen her.

Der Tagesablauf war folgendermaßen: Aufstehen, waschen, Zähne putzen. Manche der Kinder benutzten kräftig Seife und erzeugten richtige Blasenberge im Waschbecken, sie wurden gelobt. Ich seifte mich sparsam mit den Händen ein, wie zuhause. Ein Fräulein kam zu mir und fragte: "Wozu ist der Waschlappen da?" ich antwortete "zum Waschen". "Na also" meinte sie. Ich verstand sie nicht, ich war doch noch beim einseifen und nicht beim abwaschen der Seife - egal, ich fühlte mich verkehrt, machte weiter, wie gewohnt.

Wir mussten uns alle mit der Zahnbürste in einer Schlange aufstellen und jeder bekam einen Klecks Zahncreme. Jeden morgen wurde laut verkündet von welchem netten Kind die Zahncreme war und welchen schönen Geschmack sie hätte. Die gute Kinderzahncreme, die meine Mutter extra in der Apotheke für uns gekauft hatte, bekamen wir nie. Einmal, als ich an der Reihe war, und meine Zahnbürste vorstreckte, nahm ich all meinen Mut zusammen und sagte zu den beiden Fräuleins (irgendwie waren die immer zu zweit - und man selbst einsam alleine): "Ich möchte nach hause." Daraufhin wurde mir erklärt, dass ich sehr unartig wäre. Meine Geschwister wären viel artiger als ich, sie würden nicht nach hause wollen. Nach hause käme ich nur ganz ganz ganz alleine. Ich dachte, das klingt zwar jetzt sehr fürchterlich, ist aber eigentlich akzeptabel. Ich gab zu verstehen, dass ich auch unter diesen Umständen nach hause wollte. Ich wartete Tag für Tag, aber es geschah nichts.

Nach der Morgentoilette gab es Frühstück, Waldspaziergänge und Spielzeit im Spielraum, dann Mittagessen, Nachmittagsschlaf, Kaffeetrinken, wieder Waldspaziergänge (es gab viele Frösche dort) Spielzeit und Abendessen. Zur Toilette ging die ganze Gruppe immer gemeinsam und ich wunderte mich, dass das funktionierte, dass ich zum festgelegten Zeitpunkt musste. Manchmal wusste ich beim aufstehen gar nicht mehr, ob jetzt morgens war oder nachmittags, alles war so gleich.

In dem Spielzimmer gab es einen Kaufmannsladen. Kaufmannsladen-spielen war mein Traum. So hatte ich mir Kinderheim vorgestellt: Mit anderen Kindern und meinen Geschwistern Kaufmannsladen spielen. Das Fräulein hatte sogar kleine Päckchen mit winzigen Butter-Keksen, die sie den Verkäufern im Kaufmannsladen gab. Das dumme war nur, ich durfte niemals mitspielen. Verkäuferin spielen hätte ich super toll gefunden, aber ich durfte noch nicht mal einkaufen. Wenn ich mich dem Kaufmannsladen näherte, zeigten die anderen Mädchen auf mich und sagten: "Nee, Du nicht!" Leider war ich nicht mit Freundin dort oder Geschwistern, leider war ich ganz allein.

Morgens bildeten wir im Spielzimmer einen Stuhlkreis und es wurden Postkarten vorgelesen. Kinder die eine Postkarte bekommen hatten, waren sehr froh und wurden geliebt und gelobt. Ich bekam nie eine Postkarte im Stuhlkreis vorgelesen. Einmal hielt mich das Fräulein von meiner Schwester auf dem Flur an. Sie hatte eine Postkarte in der Hand und war sehr freundlich zu mir. Ich kannte sie nicht, aber sie wußte wer ich war. Sie sagte, etwas sehr schönes wäre passiert, ich hätte ein Geschwisterchen bekommen und solle raten, wie es heißt. Sofort sagte ich alle Namen, die mir einfielen, aber der richtige war nicht dabei. Die Postkarte selbst bekam ich nicht vorgelesen. Hätte ich gewusst, dass sie mit: "Meine lieben Kinder...." anfing, hätte ich sofort Rotz und Wasser geheult und nie mehr aufgehört zu heulen. So aber blieb ich stumm.

Im Spielzimmer gab es eine Liege. Manchmal lagen da ältere Kinder. Sie mussten "Liegekur" machen, weil sie unartig waren. Dabei mussten sie eine Stunde ganz still liegen. Später taten mir Leute leid, die sich in die Sonne legten, wie bei der "Liegekur". Die machten das, um braun zu werden. Diese Armen, gefangen in ihrem Schönheitswahn nahmen sie freiwillig so eine harte Strafe auf sich. Ich habe das nie gemacht, niemals "Liegekur" - niemals. In unserer Altergruppe wurde diese Strafe noch nicht angewendet.

Als wir im Spielzimmer waren, hörten wir einmal ein Kind vom Krankenzimmer her weinen. Die Fräuleins sagten es wären unartig. Man hörte auch einmal Geschimpfe dort. Ich glaube ein krankes Kind wurde auch mal von den Eltern abgeholt.

Einmal pro Woche gab es Sport in der Turnhalle. Wir mussten uns zum Beispiel nur durch Bewegen der Zehen von einer Turnhallenwand zur anderen vor bewegen. Einmal mussten wir uns alle ganz gerade hinstellen, und die Fräuleins gingen um uns rum und schauten, ob wir das richtig machten. Ich hatte keine Ahnung, wie man richtig gerade steht, zum Glück wurde ich nicht weiter beachtet. Ein Mädchen hatte einen Kugelbauch und ein anderes ein Hohlkreuz, sagten die Fräuleins.

Einmal pro Woche wurden wir gewogen und gemessen. Jedes Kind, das ordentlich zugenommen hatte, wurde gelobt. Ich habe in den ganzen 6 Wochen 2 Pfund zugenommen, und das obwohl ich keinen einzigen Bissen mehr gegessen hatte, als ich musste. Manchmal fing ich an zu würgen, wenn ich das Essen runterschluckte. Zur Strafe musste ich dann auch mal in der Ecke stehen mit dem Gesicht zur Wand. Das fand ich nicht sehr schlimm. Insgesamt stand ich 3 Mal in der Ecke. Ich war ja sowieso einsam. Die Ecke hatte Holzstreifen und ich spazierte mit dem Finger auf und ab. Ecke stehen fand ich jedenfalls sehr viel schöner als essen. Aufessen musste ich aber trotzdem immer, oft alleine in der Küche stehend an der Durchreiche. Dabei schaute ich dann sehnsüchtig zu den Töpfen und überlegte, wie ich es schaffen könnte, das Essen dort wieder hinein zu bekommen. Aber sie waren viel zu weit weg von mir. Unter der Durchreiche stand ein Eimer mit Wischlappen, aber ich traute mich nicht, das Essen dort zu entsorgen. Aufessen war ja damals normal, zuhause musste ich das auch, nur durfte ich zuhause bestimmen, wie viel auf den Teller kommt.
Da ich sowieso immer alles aufessen musste, gewöhnte ich mir an, die schrecklichen Dinge zuerst zu essen, und dann die besseren Sachen hinter her. Einmal gab es halbgare Kartoffeln. Sie wurden mitten während der Mahlzeit wieder eingesammelt - und dabei nicht gezählt!! Dummerweise hatte ich meine Kartoffeln schon runter gewürgt. Zu gerne hätte ich sie abgegeben in den großen Topf, und nichts zurück genommen. Gebrochen hat bei uns niemand, so schlimm und viel war das Essen dann auch wieder nicht. Manchen Kindern hat es immer geschmeckt. Meine Mutter fand, ich hätte mir diese dumme Würgerei im Kinderheim abgeschaut, aber ich glaube, es passierte von alleine, ich musste mir das nicht abschauen.

Nachts war unsere Mädchengruppe in zwei angrenzenden Schlafräumen untergebracht. Bei mir im Zimmer lagen auch zwei Mädchen, die das Heimleben liebten und schon zum zweiten Mal zur Kur waren. Sie waren befreundet oder sogar Cousinen und die Lieblinge der Erzieherinnen. In der ersten Woche abends beim zu Bett gehen zeigte eine von ihnen mit dem Finger auf mich und sagte: "Die macht bestimmt auch bald in die Hose". Ich schüttelte den Kopf, weil ich mir das überhaupt nicht vorstellen konnte. Aber leider behielt sie recht, nach 2-3 Wochen fanden sich in meiner Schlafanzughose hin und wieder und immer häufiger Bremsspuren. Ich versuchte es möglichst gut zu verbergen und stieg dann abends wieder in die Hose mit dem eingetrocknetem Dreck. Manchmal wurde es aber auch entdeckt. Dann durfte ich morgens alleine in den Waschraum und die Hose auswaschen, während die anderen Kinder noch draußen warten mussten. Das empfand ich nicht als harte Strafe, eher als Möglichkeit das ganze wieder selbst in Ordnung zu bringen und endlich wieder eine saubere Hose zu bekommen. Zuhause habe ich das natürlich nicht erzählt.
Manchmal schmierten Kinder ihren Kot an die Wand oder entleerten sich einfach auf einen Stuhl im Schlafzimmer. Sie mussten das dann weg machen, aber nie während wir dabei waren. Trotzdem wussten wir bescheid und wußten, wer böse war (natürlich waren die Ungeliebten die Bösen). Niemals hätte ich mich getraut nachts auf die Toilette zu gehen.

Einmal hat die Erzieherin abends eine Geschichte vorgelesen. Es handelte von einem Kind, dass Karussell gefahren ist. Es saß in einem kleinen Auto, und das ist plötzlich los gefahren, runter vom Karussell und durch die Welt. Danach hatte ich einen wunderschönen Traum: Ich hatte ein kleines Auto und meine ganze Familie kam mit dem großen Auto und wir sind alle nach hause gefahren. Die ganze Groß-Familie im großen Auto, ich mit meinem kleinen Karussell-Auto hinterher. Wir waren alle glücklich und ich war glücklich und selbstbestimmt.
Leider war es nur ein Traum, als ich aufwachte, war ich wieder im Heim.

Wie schon gesagt, wir waren in zwei angrenzenden Schlafräumen untergebracht.
Abends passierte Quatsch. Ich lag am Fenster in einem Zimmer mit ca. 7 Betten, nebenan waren ca. 4 Betten. Insgesamt waren wir 12. Einige Mädchen (besonders die Lieblinge der Erzieherinnen) waren mutig, sie liefen zur Tür des anderen Schlafraums, zogen sich die Schlafanzughose runter und zeigten den anderen Kindern ihren nackten Arsch in der Dämmerung. Plötzlich kamen die Erzieherinnen rein. Sie bezeichneten mich als Anstifter, und ich musste mitsamt Decke mitkommen. Sie brachten mich in das Badezimmer mit den vielen Waschbecken. Dort gab es im Nebenraum am Rand eine Rinne zum Füße waschen, mit Wasserhähnen. Sie war trocken und wir haben sie nie benutzt. Die beiden Fräuleins legten meine Bettdecke zur Hälfte in die Rinne, ich sollte mich hinein legen. Dann wurde ich zugedeckt, um die Nacht dann dort zu verbringen. Die Fräuleins waren beim zudecken erstaunlich freundlich und haben gar nicht mehr geschimpft. Ich fühlte mich wie Daniel in der Löwengrube - völlig unschuldig bestraft. Da lag ich nun alleine mit den Wasserhähnen in der Dämmerung. Ich stellte mir vor, wie die Wasserhähne langsam dunkel werden würden, und wie ich dann Angst bekommen würde, so völlig alleine im großen dunklen Waschraum. Ich betete zu Gott, dass ich bitte schnell einschlafen möge, bevor es dunkel würde. Ich stellte mir vor, dass es vielleicht doch Engel geben könnte, die sich um meine Schlafstätte stellen könnten, und schlief ein. Ich wachte erst wieder auf, als die Sonne zum Fenster rein schien und genoss die Wärme auf meinem Gesicht - puh geschafft, danke Gott - ich war glücklich, dass es überstanden war, und fühlte mich wunderbar wohl, so mit der warmen Sonne auf der Nase. Ein Fräulein kam zu mir und fragte mich, wie es mir in der Nacht ergangen war. Ich antwortete: "Endlich konnte ich mal richtig ausschlafen!" Dabei streckte ich mich und war etwas unsicher, weil ich gar nicht so genau wusste, was ausschlafen überhaupt bedeutete. Ich war froh, dass ich nicht geheult hatte. Ich durfte mich waschen gehen.

Tage später passierte wieder das Gleiche, die Lieblinge machten Quatsch, zeigten ihren nackten Arsch an der Tür, und die Erzieherinnen kamen rein. Diesmal wurde die dreijährige Tina ergriffen. Sie hatte ihr Bett unglücklicherweise gleich neben der Tür. Tina war auch unschuldig. Sie war noch viel zu klein, um überhaupt Quatsch zu machen. Tina wollte ihre Puppe mitnehmen. Das durfte sie aber nicht. Die Puppe musste liegen bleiben, sie wäre artig gewesen, nur Tina wäre böse. Tina ging weinend mit, die Fräuleins trugen ihre Decke. Da lag die Puppe nun auf dem Kopfkissen in der Dämmerung.

Ich muss noch oft an Tina denken. Schade dass ich nicht den Mut hatte, Dich heimlich in der Rinne zu besuchen, aber ich habe mich ja noch nicht mal aufs Kloh getraut. Ich wusste ja als einzige von den Kindern, wo Du warst. Schade dass ich nicht aufgestanden bin und gesagt habe: "Ich will mit!" oder "Das ist nicht fair!" oder "Tina ist unschuldig" Schade, dass ich so so viel Angst hatte. Es tut mir leid. Tina und ich, wir waren die einzigen in der Gruppe, die so bestraft wurden.

Tina hatte Ohrringe, als sie einen verlor, weinte sie fürchterlich, weil das Ohren stechen so weh getan hatte. Mehr weiß ich nicht von Tina.

Einmal pro Woche wurde abends geduscht und Haare gewaschen, das war schön, denn es gab Harwaschmittel, das nicht in den Augen brannte. Das hatten wir zuhause nicht.

Beim Abschlussabend ging mein gebastelter Krepp-Rock kaputt und ich musste in Unterhose essen. Zwei blöde Fräuleins standen hinter mir, zeigten mit dem Finger auf mich, tuschelten und lachten, sie fanden das irgendwie goldig - mich in der Unterhose, ich fand sie doof.

Oft schien die Sonne und einmal haben wir auf einer Lichtung ein Singspiel gemacht: "Drei mal drei ist Neune, Du weißt ja..." das war schön. Sonntags gab es Eis, das war auch schön. Aber der Abschlussabend, als Sketsche vorgeführt wurden und Tänze und wir danach nach hause durften, das war das allerschönste. Alle waren gut gelaunt und fröhlich, die Kinder und die Fräuleins.

Es war wunderschön wieder zuhause zu sein. Meine Mutter hatte neue Kleider für uns genäht und alles war aufgeräumt. Ich hatte eine niedliches kleines Geschwisterchen bekommen, die Sonne schien und alles war wunderbar. Wir haben alles zuhause erzählt und gegenseitig mit der Anzahl der Strafen angegeben; ich als jüngste hatte die meisten kassiert. Wir protzten auch damit, wer am meisten zugenommen hatte, und meine Mutter meinte, wir könnte gerne wieder abnehmen. Meine Eltern haben nie wieder irgendein Kind irgendwohin verschickt. Nicht mit der Kirche, nicht mit der Arbeiterwohlfahrt nicht aus guten Gründen - gar nicht.

Vor der Verschickung hatte ich keine Angst vor erwachsenen Menschen, danach immer, besonders wenn ich alleine mit ihnen in einem Raum war.

Immer wenn ich eine Kindertagesstätte von innen sehe, diesen Linolfußboden, die kleinen Stühle diesen Erzieherinnen-Tonfall höre, muss ich weinen. Es fällt mir schwer Kinder in den Kindergarten zu bringen ohne in Tränen auszubrechen, selbst wenn diese ganz fröhlich sind. Erzieherinnen gegenüber bei denen ich Kinder abgeben muss, bin ich sehr skeptisch. Wenn Kinder im Erzieherinnentonfall reden, tun sie mir unendlich leid. Jede Begegnung mit Erzieherinnen oder Erziehern ist sehr belastend und stressig für mich und ich muss aufpassen, keine Feindseeligkeiten zu zeigen. Manche Erzieherinnen sind aber sehr sehr nett zu den Kindern und auch zu mir, irgendwie gibt es heutzutage aber auch doofe und nette Erzieherinnen. Man sollte mit einsamen Kindern - und viele Kinder in den Einrichtungen sind einsam - jeden Tag - man sollte mit ihnen noch viel viel netter umgehen. Jedes böse Wort ist schon zu schlimm. Heute hörte ich in den Nachrichten, dass einem Kind Essen eingeflößt wurde und die Staatsanwaltschaft ermittelt. Ist schon erstaunlich, was man damals als normal empfunden hat.
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Winfried Hölz schrieb am 06.12.2019
Gott sei Dank erinnere ich mich kaum an Details meines sechswöchigen Aufenthalts in Büsum/Holstein im Haus "Seeschlösschen". Ich schreibe dies, um darauf aufmerksam zu machen, dass es dort offensichtlich auch ein Heim gab, in dem Kinder leiden mussten.
Ich war dort vermutlich als Drittklässler (1959) und erinnere mich an die eiskalten Nächte in dem riesigen Schlafsaal. Alle froren, weil unsere Bettdecken hauchdünn waren.
Jeden Morgen gab es zum Frühstück Haferschleim...
Als wir aufgefordert wurden, einen Brief/eine Postkarte nachhause zu schreiben (Besuch der Eltern war nicht erlaubt), schrieb ich " Bitte, bitte holt mich...". Aber die Karte wurde nicht abgeschickt, man sagte mir, ich hätte die Adresse falsch geschrieben.
Ich habe die weiteren Einzelheiten dieser traumatischen Zeit vermutlich erfolgreich verdrängt. Trotzdem trage ich anstelle dieser immer noch unterschwellige Angst mit mir herum.
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Daniel schrieb am 06.12.2019
Unfassbar, ich hatte das ewig begraben, kann jeden Satz bestätigen - ich war 1973 im Alter von 5-6 Jahren in Timmendorf ( bin Jg. 1967 ). Erinnere mich noch an die Toiletten nachts, Rest 1 zu 1 meine Erinnerung. Habe noch viele Erinnerungsschnipsel an diese Zeit, die hier aber den Rahmen sprengen würden. Wirklich unfassbar für mich, dass ich mit den Erinnerungen nicht allein bin. . Danke Dir.
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Lucy schrieb am 06.12.2019
Hallo, 1972 wurde ich fünfjährig in ein Kindererholungsheim nach Herrlingen bei Ulm verschickt. Das Haus wurde von der AWO betrieben, mein Aufenthalt dauerte sechs Wochen. Die Anreise erfolgte als Sammelverschickung, ich hatte einen Zettel um den Hals auf dem meine Daten standen. Verschickt wur-de ich, da sich meine Mutter einer OP unterziehen musste und mein Vater sich nicht in der Lage sah, ein Kind zu versorgen. Meine kleinere Schwester konnte bei den Großeltern untergebracht werden. Für mich war dort kein Platz.
Etwa 40 Jahre nach der Verschickung habe ich von meiner Mutter erfahren, dass sie lediglich einige Tage im Krankenhaus war. Diese Information, die sie mir erst nach so vielen Gesprächen über die Zeit der Verschickung gegeben hat, hat mich wirklich erschüttert. Ein kleines Kind für sechs Wochen wegzu-geben, weil man ein paar Tage im Krankenhaus ist, ich verstehe das nicht.
Im Erholungsheim wurden mir und den anderen Kindern persönlichen Gegenstände abgenommen. Die Kleidung wurde in notwendig und überflüssig sortiert. Rücksicht auf den Lieblingsschlafanzug, oder das Kuschelkissen wurde nicht genommen. Meine Puppe, die ich ohne Puppenkleidung behalten durfte, wurde mir bei Fehlverhalten temporär weggenommen.
Nachts durften wir die Zimmer nicht verlassen. Wer dann in Bett machte wurde am nächsten Morgen vor den anderen bloßgestellt. Ich erinnere mich an eine Situation, da hatte ein Mädchen aus meinem Zimmer über Nacht in ihr Bett gekotet. Die „Tante“ sagte zu ihr „Du isst doch gerne Schokolade, dann iss jetzt das hier“. Das Mädchen hatte solche Angst, das wirklich machen zu müssen.
Neben unserem Mädchenheim war ein Jungenheim. Von dort kam ein kleiner Junge zu uns, der immer wieder eingenässt hat. Die männlichen Erzieher waren damit wohl überfordert und haben ihn daher zu den Erzieherinnen ins Mädchenheim abgegeben. Als er wieder einmal eingenässt hatte, schrie ihn die „Tante“ an „ich hau Dir solange auf den Hintern, bis der so rot ist, wie deine Unterhose“.
Warum merkt man sich als fünfjährige solche Sätze?
Zum Essen saßen wir an einem großen Tisch, an den Kopfenden jeweils eine „Tante“. Sogenannte schlechte Esser mussten neben den „Tanten“ sitzen und wurden teilweise fixiert und zwangsgefüttert. Wer sein Essen ausgespuckt hat, musste das Erbrochene wieder aufessen. Grundsätzlich musste immer der gesamte Teller leergegessen werden. Ich erinnere mich noch gut an widerlich fettes Fleisch. Bis heute verursachen mit Fettränder am Fleisch Ekel. Ich muss alles wegschneiden. damals musste ich es essen.
In den sechs Wochen habe ich so viel zugenommen, dass mich meine Eltern bei der Abholung kaum erkannt haben. Ich wurde dann erstmal auf Diät gesetzt, um wieder Normalgewicht zu bekommen.
Grausam fand ich auch, dass die Briefe unserer Eltern öffentlich von den „Tanten“ vorgelesen wurden und wir die Briefe nicht erhalten haben. ebenso durften wir nicht selbst an unsere Eltern schreiben. Es wurden Standardformulierungen von den „Tanten“ in unserem Namen verschickt.
Die gesamte Zeit ist mir als permanenter Stress in Erinnerung geblieben. wir Kinder waren immer auf der Hut alles richtig zu machen, um Bestrafungen zu entgehen.
Und am Schlimmsten war, dass meine Eltern mir nicht geglaubt haben, das als kindliche Übertreibungen abgetan haben. Ich hoffe sehr, dass die Zeit aufgearbeitet wird und die Geschehnisse von damals an die Öffentlichkeit kommen.
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Susanne schrieb am 05.12.2019
Liebe Frau Röhl, liebe ebenfalls Betroffenen,
ich bin durch einen Artikel zur geplanten Konferenz im Tagesspiegel auf die Thematik gestoßen und bin seither total aufgewühlt. Tagelang habe ich sämtliche Berichte gelesen und bin erschüttert, wie sich die Berichte ähneln. Offensichtlich wurde landesweit systematisch so mit den Verschickungskindern umgegangen. Andererseits tröstet es mich auch - so haben es andere schon geschildert - dass ich mit meinen Erinnerungen und Erfahrungen nicht alleine stehe.
Ich bin Jahrgang 1957 und wurde August/September 1963 von West-Berlin nach Salzdetfurth, Kindererholungsheim Haus Sothenblick verschickt, also vor meiner Einschulung. Angst, Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein und Ekel sind die Worte, welche mir zu der Zeit einfallen. Ekelhaftes Essen, z.B. fette Fleischknubbel, mussten gegessen werden bis zum Erbrechen, jeden Tag. Es wurde uns ständig mit den zwei Schäferhunden gedroht. Das Schlafen wurde bewacht, eine Tante verlangte die Bettdecke über den Kopf, die andere Tante oder "der Onkel" (der Hausmeister? jedenfalls der mit den beiden "riesigen" Hunden) schrie uns an, wir würden mit der Bettdecke über den Kopf nur so tun als würden wir schlafen und dürfen auf keinen Fall die Decke über den Kopf ziehen. Dann kam wieder die andere und schrie und drohte, weil wir die Decke nicht über den Kopf haben... Und immer so hin und her...
Toilettengänge und Weinen zur Schlafenszeit waren auch bei uns verboten. Einmal musste ich aber so doll weinen, dass der Onkel es bemerkte, er riss mir die Bettdecke weg und schnauzte mich an. In meiner Not sagte ich, ich müsste auf die Toilette. Ich wurde fest am Nacken gepackt, vom Bett gerissen und am Nacken festgehalten zur Toilette gestoßen, der Onkel blieb neben mir stehen. Dort konnte ich vor lauter Angst nichts machen, woraufhin ich wieder am Nacken gepackt und über der Toilette hochgehoben und hin und her geschüttelt wurde unter schlimmsten Beschimpfungen und Bedrohungen. Das sind einige konkrete Erinnerungen. Die gesamten Wochen muss ich in einer Art Schockstarre verbracht haben, es war die schlimmste Zeit in meinem Leben. Über die Folgen kann man nur spekulieren, aber bestimmt rührt meine Angst vor Hunden bis weit ins Erwachsenenalter und meine Reiseangst bis zur Jetztzeit von daher. Gegipfelt hat das, als ich 2017, also mit 60, das erste mal zu einer Reha fahren konnte (musste), bin ich nahezu panisch geworden. Völlig irrational erlebte ich heftigste Ängste und Gefühle von Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein - als gestandene und für Außenstehende selbstbewusste Frau.
Ich habe aus der Zeit ein Gruppenfoto gefunden, beim Anblick zieht alles bei mir zusammen...
Ich danke allen, die sich dieses Themas annehme und wünsche bei der Aufarbeitung viel Erfolg und Unterstützung!
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Nina schrieb am 05.12.2019
Hallo Gerald,

das erste Mal muß Frühjahr 1980 gewesend sein. Ich erinnere mich hauptsächlich an zwei Schafe,die mit der Flasche gefüttert wurden, an Vanille- und Schokosuppe (verdünnter Pudding) zum Frühstück, und lange Wattwanderungen. Ich wollte gar nicht mehr nach Hause, was dann wiederum meine Mutter etwas schockiert hat.

An den Namen des Heims erinnere ich micht mehr, außer daß es von der AOK war, und die Zimmer nach den Dörfern benannt waren (Alkersum, etc.).

Wenn ich also irgendwie dazu beitragen kann, daß die verschiedenen Erfahrungen anaysiert und verglichen werden, um daraus die Lessons Learned zu ziehen, würde ich gerne mithelfen.

Gruß Nina
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