ZEUGNIS ABLEGEN – ERLEBNISBERICHTE SCHREIBEN

Hier haben sehr viele Menschen, seit August 2019, ÖFFENTLICH ihre Erfahrung mit der Verschickung eingetragen. Bitte geht vorsichtig mit diesen Geschichten um, denn es sind die Schicksale von Menschen, die lange überlegt haben, bevor sie sich ihre Erinnerungen von der Seele geschrieben haben. Lange haben sie gedacht, sie sind mit ihren Erinnerungen allein. Der Sinn dieser Belegsammlung ist, dass andere ohne viel Aufwand sehen können, wie viel Geschichte hier bisher zurückgehalten wurde. Wenn du deinen Teil dazu beitragen möchtest, kannst du es hier unten, in unserem Gästebuch tun, wir danken dir dafür! Eure Geschichten sind Teil unserer Selbsthilfe, denn die Erinnerungen anderer helfen uns, unsere eigenen Erlebnisse zu verarbeiten. Sie helfen außerdem, dass man uns unser Leid glaubt. Eure Geschichten dienen also der Dokumentation, als Belegsammlung. Sie sind damit Anfang und Teil eines öffentlich zugänglichen digitalen Dokumentationszentrums. Darüber hinaus können, Einzelne, die sehr viele Materialien haben, ihre Bericht öffentlich, mit allen Dokumenten, Briefen und dem Heimortbild versehen, zusammen mit der Redaktion als Beitrag erarbeiten und auf der Bundes-Webseite einstellen. Meldet euch unter: info@verschickungsheime.de, wenn ihr viele Dokumente habt und solch eine Seite hier bei uns erstellen wollt. Hier ein Beispiel

Wir schaffen nicht mehr, auf jeden von euch von uns aus zuzugehen, d.h. Ihr müsst euch Ansprechpartner auf unserer Seite suchen. ( KONTAKTE) Wenn Ihr mit anderen Betroffenen kommunizieren wollt, habt ihr weitere Möglichkeiten:

  1. Auf der Überblickskarte nachschauen, ob eurer Heim schon Ansprechpartner hat, wenn nicht, meldet euch bei Buko-orga-st@verschickungsheime.de, und werdet vielleicht selbst Ansprechpartner eures eigenen Heimes, so findet ihr am schnellsten andere aus eurem Heim.
  2. Mit der Bundeskoordination Kontakt aufnehmen, um gezielt einem anderen Betroffenen bei ZEUGNIS ABLEGEN einen Brief per Mail zu schicken, der nicht öffentlich sichtbar sein soll, unter: Buko-orga-st@verschickungsheime.de
  3. Ins Forum gehen, dort auch euren Bericht reinstellen und dort mit anderen selbst Kontakt aufnehmen

Beachtet auch diese PETITION. Wenn sie euch gefällt, leitet sie weiter, danke!

Hier ist der Platz für eure Erinnerungsberichte. Sie werden von sehr vielen sehr intensiv gelesen und wahrgenommen. Eure Erinnerungen sind wertvolle Zeitzeugnisse, sie helfen allen anderen bei der Recherche und dienen unser aller Glaubwürdigkeit. Bei der Fülle von Berichten, die wir hier bekommen, schaffen wir es nicht, euch hier zu antworten. Nehmt gern von euch aus mit uns Kontakt auf! Gern könnt ihr auch unseren Newsletter bestellen.

Für alle, die uns hier etwas aus ihrer Verschickungsgeschichte aufschreiben, fühlen wir uns verantwortlich, gleichzeitig sehen wir eure Erinnerungen als ein Geschenk an uns an, das uns verpflichtet, dafür zu kämpfen, dass das Unrecht, was uns als Kindern passiert ist, restlos aufgeklärt wird, den Hintergründen nachgegangen wird und Politik und Trägerlandschaft auch ihre Verantwortung erkennen.

Die auf dieser Seite öffentlich eingestellten Erinnerungs-Berichte wurden ausdrücklich der Webseite der „Initiative Verschickungskinder“ (www.verschickungsheime.de) als ZEUGNISSE freigeben und nur für diese Seiten autorisiert. Wer daraus ohne Quellenangabe und unsere Genehmigung zitiert, verstößt gegen das Urheberrecht. Namen dürfen, auch nach der Genehmigung, nur initialisiert genannt werden. Genehmigung unter: aekv@verschickungsheime.de erfragen

Spenden für die „Initiative Verschickungskinder“ über den wissenschaftlichen Begleitverein: Verein Aufarbeitung und Erforschung von Kinderverschickung / AEKV e.V.:     IBAN:   DE704306 09671042049800  Postanschrift: AEKV e.V. bei Röhl, Kiehlufer 43, 12059 Berlin: aekv@verschickungsheime.de

Journalisten wenden sich für Auskünfte oder Interviews mit Betroffenen hierhin oder an: presse@verschickungsheime.de, Kontakt zu Ansprechpartnern sehr gut über die Überblickskarte oder die jeweiligen Landeskoordinator:innen


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2773 Einträge
Volker Fabian schrieb am 21.11.2019
Hallo liebe Leidensgenossen, ich bin heute über den Spiegel-Online Artikel über die Verschickungskinder ("Macht was. Bitte! Bitte!") gestolpert. Daher auch hier mein Kommentar, vielleicht erkennt ja jemand die Einrichtung wieder (Ludgeri-Stift auf Norderney, ca.1965):

Ich bin Jahrgang 1960 und war als 5jähriger für eine "Kinderkur" in der oben genannten Einrichtung. Es war für ein kleines, unsicheres Kind wie mich eine verstörende und gewalttätige Erfahrung. Beim Lesen des Artikels kam alles wieder hoch. Und erstaunlich, wie viel Deckungsgleichheit es hier gibt.
Das Ludgeri-Stift (kirchlich-soziale Einrichtung, der reinste Hohn...) wurde von einem Hausdrachen und sadistischen, unreifen Erzieherinnen (Tanten) geführt. Das Taschengeld musste abgegeben werden, jeder Brief wurde zur Zensur der Heimleitung vorgelegt. An das Essen habe ich relativ wenig Erinnerung (nur dass es schlecht war), aber an die Kasernierung im Speiseraum unter absoluter Ruhe samt Strafen, wenn das Schweigen gebrochen wurde. Woran ich genaue Erinnerungen habe, war die willkürliche Gewalt. Ohrfeigen, barfuß Strafe stehen im dunklen Flur, Entwürdigungen. Ein Junge wurde besonders schikaniert, weil er sich wohl etwas sonderbar artikulierte und recht lebendig war. Die "Tante" sperrte ihn für eine halbe Stunde in eine engen Besenspind, in welchen sonst nur zwei Putzeimer und die Besen passten. Das unglaubliche Schreien und Weinen werde ich bis heute nicht vergessen, weil ihm gesagt wurde, dass er für immer dort eingesperrt bleiben würde. Ein anderes Mal musste er sich nackt ausziehen und an die Wand stellen, und dann befahl die nette Tante, dass JEDER von uns (Jungen und Mädchen) in einer Schlange an ihm vorbeigehen musste und ihn entweder einmal hauen oder treten sollte. Das war perfide gesteuerte, organisierte Massengewalttätigkeit mit unschuldigen Kindern...
Einmal in der Woche durften wir eine Stunde zu dritt in den kleinen Ort, um unsere Taschengeldration auszugeben. Wurde natürlich alles kontrolliert, manches musste auch wieder abgegeben werden. Da habe ich im Krämerladen einfach einen heimlich geschriebenen Brief an meine Eltern aufgegeben und damit die Zensur ausgetrickst. Und meine Mutter kam tatsächlich und hat mich vorzeitig abgeholt! Zu Hause gab es dann auch halbherzige Beschwerden und Gespräche mit dem Träger, das verlief aber schnell im Sande. Ja nicht auffallen und immer ducken, das war ihre Devise. Aber dass sie mich da herausgeholt hatte, vergaß ich nie...
Ein halbes Jahr später bin ich dann noch auf eine andere "Kinderfreizeit" geschickt worden. Wo das war, weiß ich allerdings nicht mehr. Herrische Tanten, Willkür, viel Heulen und Heimweh, fast das gleiche Spiel. Auf einmal wurde gesagt, ich hätte Besuch! Das war extrem selten, alles staunte, ich am meisten. Es war mein Vater, der nur mal kurz auf der Durchreise war und nach 10 Minuten wieder weg war. Da war das Heulen danach noch viel größer.
Meine Eltern haben sich übrigens kurz danach getrennt, als ich in die Schule kam. War schon eine tolle Kindheit, damals in den 60ern...
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Karl Hohberg schrieb am 21.11.2019
Als Kind bin ich dreimal "verschickt" worden und habe ähnliche Erfahrungen gemacht, die auch in den Kommentaren der anderenn Betroffenen sind. In einer streng katholischen Familie aufgewachsen, wurde ich dabei immer in die "Obhut" von Ordensschwestern gegeben. Eswaren gjeweils katholische Heime, soviel ich weiß, wurde die Verschickung vondedr Caritas organisiert. Zweimal war ich in einem Kinderheim in Sandebeck ( ca. 1957 mit 6 Jahren und 1961 mit 10 Jahren). Ca. 1958 wurde ich zur Aufpäppelung und um für die anstehende Schulzeit fit zu werden ins Kinderkurerholungsheim nach Mittelberg/Oy verbracht.

Insgesamt war der Umgang der Nonnen und ihrer Helferinnen mit den Kindern geprägt von Respektlosigkeit, Einforderung unbedingten Gehorsams und strengster Sanktionierung von kleinsten Regelverstössen, fanatischer Glaubenserziehung und schwarzer Pädagogik, d.h. Gefügig machen durch Angsteinfößung (Feuer, Hölle, ewige Qualen). Rückblickend kann ich sagen, dass der Umgang und die Erziehungsstrategien sicherlich - wie es auch schon in vielen Kommentaren und Beiträgen zu lesen war - ihre Wurzeln in der NS-Zeit hatten, gepaart aber auch mit masochistisch-sadistischen Tendenzen der Ordensschwestern, deren Persönlichkeiten
durch ihre Unterwerfung unter das katholische Regelwerk (Sünde, Buße, Qualen, Hingabe, absolute Autoritatshörigkeit) deformiert wurde.

Ganz besonders erschreckend war die Zeit in Mittelberg/Oy. Viele Demütigungen und Schrecken habe ich vergessen (das Gesamtbild ist aber heute noch so lebhaft wie damals), aber in mein
fotografisches Gedächtnis hat sich eingebrannt, wie mein 6-jähriger kleinere Bruder, für den ich mich als 7-jähriger doch verantwortlich fühlte - nachts wegen nicht eingehaltener Nachtruhe aus seinem Bett gerissen wurde und in den (Kohlen?)keller gesperrt wurde, wo er die ganze Nacht verbringen musste und ich seine Schreie hören konnte.

Die Essenzeiten waren fast fast jedes Mal Horrorveranstaltungen (Und hier wiederholt sich das, was viele berichten): Das Essen (Milchgrütze etc) war für uns fast ungenießbar, es wurde in uns reingestopft und fast jedes Mal musste ein Kind erbrechen. Nicht nur die Tatsache, dass dieses Kind sein Erbrochenes auslöffeln mußte, nein - und jetzt kommt eine Variante, die ich bislang in den Schilderungen noch nicht gelesen habe - das jeweilige Kinde wurde von zwei Schwestern fixiert und mußte einen Schlauch schlucken, um noch mehr zu erbrechen und anschließend noch mehr auflöffeln. Ich empfand dieses Ritual so schockierend (es war kein Einzelfall, es wiederholte sich immer wieder!), dass ich auch später mit meinen Eltern nicht darüber reden konnte. Die Essenszeiten waren ständig Angst besetzt, dass es mir auch so passieren könnte.
Ich habe aber auch bemerkt, dass diese extreme Behandlung zumeist immer wieder den gleichen Kindern widerfuhren und schon damals , mit meien 7 Jahren - meinte ich, es seien zumeist eine der vielen Waisenkinder, die überhaupt keinen familiären Rückhalt hatten und an denen die Nonnen seine sadistischen Trieben ausleben konnte.

Ich fühle mich nicht traumatisiert, wenngleich die Bilder immer wieder an der Oberfläche erscheinen. Es hat aus mir aber einen militanten Kirchengegner gemacht, der sich nicht damit abfinden will, das eine Institution, deren strukturellen Probleme so offen liegen, noch imnmer diesen großen Einfluss in unserer Gesellschaft hat und deren Lobbyismus immer noch bedeutend die Politik bestimmt.
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Christian schrieb am 21.11.2019
Nach einer eingebildeten Erkrankung meiner Mutter 1967 wurde ich (7) mit meiner Schwester (3) in ein Heim am Schluchsee verschickt. Ich habe die Zeit dort nur in sehr schlechter Erinnerung. Bei der Wohnungsauflösung meiner Eltern habe ich noch eine Postkarte gefunden, auf der das Heim meine Grüße ans Elternhaus mit dem Stempel versehen hatte, dass die Zusendung von Geschenkpaketen an die Kinder verboten sei. Ich glaube, dass damals Kinder nicht als vollwertige Menschen angesehen wurden. Da man zudem als Junge nicht besonders emphatisch erzogen wurde, sondern funktionieren mußte, war das Heimerlebnis nicht traumatisierend, sondern entsprach eher dem Zeitgeist. Nach dem Aufenthalt war jedoch mein Verhältnis zu meinen Eltern nur noch neutral, da sie mich mit meiner kleinen Schwester allein gelassen hatten.
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Gudrun Kroll schrieb am 21.11.2019
Mit acht Jahren kam ich für vier Wochen nach Langeoog, ich hatte solches Heimweh, war noch nie von Eltern und Geschwistern getrennt. Wenn ich darüber erzähle, sage ich auch immer, dass man das heute als Mißhandlung bezeichnen würde. Wer sein Essen nicht aufaß, mußte stundenlang am Tisch sitzen bleiben, bis es gegessen war, In der Mittagspause durfte man nicht auf die Toilette, wer es trotzdem nicht aushielt, mußte den Rest der Pause auf der Toilette bleiben.Manchen Kindern wurden zum Spaß die Augenlider mit Schuhcreme beschmiert und wir wurden aufgefordert, einen Bettnässer auszulachen, das habe ich nicht gemacht, er tat mir so leid.Es herrschte eine Grundlieblosigkeit. Eine Sache war aber schön, wir sangen mit der Mundorgel zum Schifferklavier, ich habe immer gern gesungen. Damals als Kind habe ich mir geschworen, dass meine Kinder nie irgendwohin müßten, wohin sie nicht wollten und das habe ich beibehalten.
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Eggeling Lutz schrieb am 21.11.2019
War zu schmächtig

Kinderkurheim Büsum Deichhausen DAK, Name war ?? Seeschlößchen??
Neben diversen Erlebnissen wie Bunker, Knüppelgasse und iZwangsaufenthalt in der Krankenstation wurden wir gezwungen ständig zu essen. Das übelste Bild, welches mir in Erinnerung geblieben ist, das mein gegenüber, 9 - 10 Jahre, als er das Essen verweigerte, an den Armen festgehalten wurde, die Nase zugedrückt und beim öffnen des Mundes wurde das Essen, reingestopft. Das war eine Abschreckung für uns anderen. Und natürlich mussten wir am Tisch sitzen bleiben, bis alles aufgegessen war.
Ich leide heute ich unter Adipositas, da ich keinen natürlichen Reflex mehr habe, wann ich satt bin. Eine weitere Frage hätte ich auch, ist es bekannt, das damals auch ruhig stellenden Mittel ins Essen kamen?
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Josef schrieb am 21.11.2019
Hallo,
ich bin Jahrgang 1961. Mit 5 Jahren hatte ich einen „ Kuraufenthalt“ auf Norderney.
Eine Kur war wohl auch gerechtfertigt damals. Ich war ein kränkliches Kind und hatte u.a. Krupphusten. Die Seeluft hat mir geholfen.
An den Aufenthalt selber erinnere ich mich nicht so gerne, hatte es zum größten Teil auch verdrängt, bis ich den Artikel las.
Es gibt Erinnerungen von Erbrechen und das regelmäßig. Bloßstellen vor den Anderen. Und da waren sehr viele andere Kinder. Demütigungen. Androhung von Spritzen in den Hals, wenn ich nicht aufhöre zu erbrechen. Ich glaube es gab auch Isolation. Ich habe auch ins Bett gemacht. Die Erinnerungen sind sehr verschwommen, ich habe vieles verdrängt. Ich kann mich aber erinnern, daß ich danach als Kind sehr verängstigt war. Jetzt beim schreiben kommen Bruchstücke wieder zurück. Die Tanten waren groß und übermächtig. Mit Schürze und hochgestecktem Haar. Streng.
Ich kann mich an einen großen Speisesaal erinnern, mit Holztischen. Das Heim selbst war wohl ein sehr altes Gebäude. Es gab doppelte Fenster. Ein Fenster außen und eins innen. Sehr dicke Mauern. Ich hätte zwischen diese Fenster gepaßt.
Eine gute Erinnerung ist der Strand. Muschelsuchen und mit angespülten Quallen Fußball spielen.
Obwohl es sehr wenige und verschwommene Erinnerungen sind, macht sich jetzt beim schreiben ein schlechtes Gefühl breit. Eine innere Unruhe. Als wenn da noch mehr gewesen ist.

Ich glaube, da gibt es etwas, das ich aufarbeiten muß. Vielleicht gibt es noch Briefe. Es muß auch noch min. ein Bild geben.
Was mich aber mein Leben lang begleitet hat, ist die Drohung, eine Spritze in den Hals zu bekommen.

Danke.
Ich habe immer geglaubt, ich wäre der Einzige.
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Michael Brenner schrieb am 21.11.2019
Ich heisse Michael Brenner, bin 1951 geboren und war etwa 1958 zur Verschickung durch die DAK, die Krankenkasse meiner Eltern, aus Hamburg für 6 Wochen in einem Heim des DRK des Roten Kreuz in Muggendorf in der Fränkischen Schweiz.
Über meine Erinnerungen ist der folgende Text entstanden:

Kindheit zu Anfang der 1950er bedeutete ein Leben in zerstörten Städten, in Not und Elend. Doch Hunger musste ich nie erleben. Hatten die Erwachsenen wenig zu essen, hielten meine Großeltern Haferflocken mit Kakao, Zucker und Milch für mich bereit. Als Kleinkind soll ich schwächlich gewirkt haben, auch wenn ich mich selbst nie so gefühlt habe. Mein ausgezehrter Gesundheitszustand war nichts Persönliches, es waren die Zeiten der Nachkriegsnot. Mehrfach schickte mich unser Hausarzt auch zur Höhensonne. Doch es reichte nicht. Deshalb verordnete er mir im Alter von sechs Jahren einen längeren Kuraufenthalt, bezahlt von der DAK, der Krankenkasse meiner Eltern.

Auf dem Hauptbahnhof bestieg ich mit Hundertfünfzig oder gar mehr weiteren Kindern einen Sonderzug, der uns, gezogen von einer Dampflokomotive, für sechs oder in ein Kinderheim nach Muggendorf in Franken verschickte, wie es damals hieß. Dort wurden wir von Schwestern des Roten Kreuzes mit gesunder Luft, viel Bewegung und reichlich Essen aufgepäppelt. Sicherlich war es von meinen Eltern gut gemeint, aber ich habe zwiespältige Erinnerungsbilder in meinem Kopf: große Schlafsäle, eine strenge und kalte Atmosphäre, viele ärztliche Untersuchungen.

Im November 2019 entdeckte ich im Internet einen Kongress zum Thema Das Elend der Verschickungskinder, zu denen ich mich rechne. Verschickungskinder, das war nach 1945 der Sammelbegriff für das Verbringen von Klein- und Schulkindern, wegen gesundheitlicher Probleme, in Kindererholungsheime und -stätten in den 50/60/70er bis in die 80/90er Jahre. Die Kleinkinder wurden allein, in Sammeltransporten, dorthin „verschickt“. Die Kinder erinnern diese Verschickungen traumatisch, verkünden die Veranstalter.

Aus der Presseankündigung zum Kongress: Nach grober erster Schätzung sind in den 50/60/70er und bis in die 80/90er Jahre hinein ca 8 Millionen Klein- und Schulkinder ab 2. Lebensjahr allein über 6-8 Wochen, oft verlängert auf viele Monate, ohne ihre Eltern „verschickt“ worden. Die Stätten waren Kinderkurheime und Kindererholungsstätten auf Nord- und ostfriesischen Inseln, in den Mittel- und Hochgebirgen. Die Kinder wurden in Sammeltransporten verschickt. Die Eltern hatten kein Besuchsrecht. Die Kinder waren der Institution und ihren Bedingungen hilflos und allein ausgeliefert. Während die Eltern sich Erholung und Gesundung ihres Kindes vorstellten, wird der Alltag in diesen Verschickungsheimen von vielen Betroffenen traumatisch erinnert. Es werden Essenszwang und gewalttätige Einfütterung bis zum Erbrechen, harte Behandlung, Erniedrigungen, Strafen, Verbote, u.w. erinnert.

Auch in dem Heim in Muggendorf, in das ich verschickt worden war, hat ein überaus strenges Regime geherrscht und ich erinnere noch, dass ich dort wenig glücklich war und kein Klima von Geborgenheit und Wärme herrschte, aber das hatte ich zuhause auch eher wenig. Ob sie mir dort auch Beruhigungsmittel und Spritzen gegeben haben? Oft mussten wir uns ausziehen und uns medizinisch untersuchen lassen. Was sie genau gemacht haben, kann ich nicht mehr sagen. Die Bilder von ärztlichen Behandlungen bleiben unscharf. Offenbar habe ich viel verdrängt, an weite Teile meiner Kindheit kann ich mich besser erinnern.

Sozialwissenschaftlich und historisch habe ich mich viel mit der in großen Bereichen unmenschlichen Behandlung von Kindern und Jugendlichen in der deutschen Heimerziehung der 1950 und 1960er beschäftigt, die zu Anfang des zweiten Jahrzehnts im 21. Jahrhundert so intensiv diskutiert wurde. Die erste Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs ( Rundes Tisches für Missbrauch) ist mir persönlich bekannt. Daher ist mir schon seit langem ist bewusst, dass die pädagogischen Vorstellungen der dort Arbeitenden aus der Nazi-Ideologie über Erziehung stammten und dass viele der dort Tätigen ihre Berufsvorstellungen im Dritten Reich gewonnen hatten. Doch ich habe, bis zum Lesen der Texte dieses Kongresses von 2019, meine persönlichen Erlebnisse in Muggendorf nie in Verbindung damit gebracht. Manchmal schützen uns das Vergessen und ein blinder Fleck.

Wenn jemand ebenfalls in Muggendorf war, freue ich mich sehr auf seine oder ihre Eindrücke oder eine persönliche mail
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Hartmut Kuhn schrieb am 21.11.2019
Mein Name ist Hartmut Kuhn. Ich war ca 1969/70 im "Erholungsheim" Hafenpreppach.
Und alles, was hier schon beschrieben stand, kann ich bestätigen: Repressionen, Angst, Zwang zum Essen und auch das Essen des Erbrochenen, Einnässen mit Demütigungen, Zensur. Verschickt wurde ich vom Jugendamt / Gesundheitsamt Schweinfurt. Auch wenn ich erst rd. 8 Jahre alt war, ich werde diese Wochen nicht vergessen.
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Wilhelm Lüttebrandt schrieb am 21.11.2019
Es war in den späten 50er Jahren in Westerland auf Sylt , Die Sadistin hiess Charlotte. Daheim hatte ich eine langsame Prozedur des Aufstehens mit Kreislauftropfen auf Sylt gab es gleich Kakao mit Haferflocken,was regelmässig zu Erbrechen führte, zur Belohnung gab es dann einen Gummischlauch in die Speiseröhre. Der war zum Glück dünner als die damals üblichen Endoskope und hat wohl keine Verletzungen erzeugt.
Wurde mittags das Essen erbrochen, so hatte man bis der Teller blank war am Katzentisch zu sitzen, das dauerte meist bis zum Nachmittagskaffee, vermutlich war mit Flüssigkeit, das Erbrochene leichter zu schlucken.
Eine soziale und eigentlich sehr freundliche Sozialeinrichtung der Bahn hatte mich als Halbwaisen dorthin geschickt. Dort wurde der Bericht meiner Mutter kommentiert, mit den Worten: es ist bekannt, dass Charlotte schlägt. An die Schläge erinnere ich mich nicht mehr. Aber ich weiss noch, dass ein eigentlich unauffälliger Knabe regelmässig Asthmaanfälle bekam, sobald er in den Dünen ankam. Vermutlich gab es da keinen Mediziner, der da Verantwortung trug.

Dass ich nicht mit meinem richtigen Vornamen angeredet oder gerufen wurde, hat nur vorübergehend für Aerger gesorgt, ganz schnell habe ich begriffen , dass ich von nun an nur noch der Hans war.
dieser text hat mich total erschöpft
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Stefanie schrieb am 21.11.2019
Ich habe heute Morgen einen Beitrag über das Buch „Schwarze Häuser“ von Sabine Ludwig in Radio Bremen 2 gehört und wurde beim Aufwachen hellhörig. Sofort beim Hören stellte sich jenes bedrückende Gefühl von damals wieder ein und ein weiteres, noch nie gefühltes: ich bin nicht allein! Denn davon war ich bisher ausgegangen!

Ich war eine sogenannte „Bettnässerin“. Grund waren von Geburt an falsch angewachsene Harnleiter und ständige Blasenentzündungen, die mit reichlich Antibiotika behandelt wurden. Mit 4, 6, 8 und 11 Jahren wurde ich operiert, in den 1970er und Anfang der 1980er Jahre. Zunächst wurden die Harnleiter umoperiert, erst links dann rechts, dann festgestellt, dass die übergelassenen Stümpfe weitere Entzündungen verursachten, wieder operiert und wieder…, das alles in wochenlangen Aufenthalten in Krankenhäusern in Wilhemshaven und Trier, weit entfernt von meiner Heimat in Emden. Die Eltern durften damals nicht mit im Krankenhaus schlafen und mich nur zu den Besuchszeiten vormittags und nachmittags besuchen. Ich war einsam. Bei der ersten OP erzählte mir der Arzt, ich müsse nur einen Luftballon aufblasen, dann würde ich schlafen und nichts mehr merken und aufwachen und alles wäre gut. Nichts davon trat ein. Der „Luftballon“ blies mich auf, nicht umgekehrt. Ich fühlte mich belogen und betrogen. Später wurde mir beim Gucken der „Schwarzwaldklinik“ immer bei dem "Beatmungs-Blasebalg" im OP-Saal so übel, dass ich mich fast übergeben musste.

Mit 9 Jahren, 1982, sollte mir eine Kur in Bayern Besserung bringen. Meine Eltern kämpften dafür, dass die Krankenkasse die Kosten übernimmt. 8 Wochen wurden genehmigt, auf 10 Wochen wurde später verlängert (das war die schlimmste von allen schlechten Nachrichten, die ich je bekommen habe!). Das Heim war für Harn- und Kot-inkontinente Kinder gedacht, und stand kurz vor der Schließung. Statt 30 waren max. 3-4 Kinder zur gleichen Zeit da. Wir waren alle nicht so dicke, weil wir ja alle wegen einem sehr peinlichen Thema da waren, über das niemand sprach. Es hieß dann nur, dass man „Erfolg hatte“, wenn man einen Tag nicht eingenässt hatte. Das war nicht so schwer, denn wir bekamen so gut wie nichts zu trinken. Das Zahnputzwasser wurde mit einer rosa Farbe versetzt und uns gesagt, dass diese giftig sei, damit wir das Wasser nicht heimlich tranken, denn wir hatten immer Durst! Hatte ich trotzdem eingenässt, musste ich zur Strafe den Mittagsschlaf auf der harten Speisesaal-Bank verbringen statt im Bett.

Die Leiterin, ein Helfer und eine Betreuerin waren (aus damaliger Perspektive) 75+ und entsprechend pädagogisch-altmodisch, die Köchin burschikos-unsensibel – ich weiß noch alle Namen. Nur die Nachtschwester hatte ein freundliches Wesen und ab und zu Verständnis für mein Heimweh, das sich in Tränen ausdrückte. Das Essen war genauso fremdartig für mich wie der bayrische Dialekt, den ich – wieder „daheim“ – noch einige Zeit behielt. Die Betreuer zwangen uns, das Essen aufzuessen, sie waren stolz, dass ich endlich zunahm, meine Eltern und Großeltern ebenfalls glücklich, da ich immer ein kleines dünnes Kind war - ich jedoch nicht. Dies war vermutlich der Beginn meiner Übergewichtskarriere, die mich bis heute stark beschäftigt, genau wie die Inkontinenz. Freundlichkeit und Empathie, Trost, nette Worte bekam ich während der ganze Zeit von niemandem! Von "meiner" Welt war ich abgeschnitten. Telefonieren durfte ich nur an meinem 10. Geburtstag, ganz kurz und unter Aufsicht der Leiterin.

Die Briefe wurden zensiert. Ich grübelte immer wieder darüber nach, wie ich meinen Eltern heimlich mitteilten konnte, wie schrecklich es hier war und dass sie mich abholen müssen. Ich wollte eine kurze Nachricht in die Innenseite des Briefumschlages schreiben, damit sie wissen, dass mein ständiges „Mir geht es gut!“ nicht wahr ist, habe mich das aber nie getraut. Stattdessen habe ich rote Herzen mit Liebespfeil als geheime Botschaft gemalt und gehofft, dass sie verstehen. Ich wusste nie, ob sie meine Botschaft nicht verstanden oder mir nicht helfen wollten! Erst Jahre später erzählte ich ihnen von meinen Erfahrungen.

Ich habe drei Psychotherapien hinter mir, die letzte war eine EMDR-Trauma-Therapie. Diese hat mich in der Tat von meinem über 40jährigen OP-Trauma befreit, so daß ich danach eine nötige Operation absolvieren konnte. Wie tief die schrecklichen Erfahrungen der Kur noch in mir sitzen, merke ich nun wieder. Dass es scheinbar noch so viel mehr Kinder gab, die ähnliches Leid erfahren mussten, tut mir weh, erleichtert mich aber auf der anderen Seite, da ich somit irgendwie Teil einer Gemeinschaft und nicht allein bin.
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Jürgen schrieb am 21.11.2019
Hallo, ich bin 1952 geboren und war 1961 für 6 Wochen in St. Peter Ording an der Nordsee, Auch ich kann mich an Situationen erinnern, dass Kinder das Essen erbrochen haben und dann die Teller immer wieder aufgefüllt bekommen haben, bis sie den Teller leer gegessen haben ohne zu spucken.
In der Mittagstunde und in der Nacht durften wir nicht auf die Toilette, dadurch bin ich zum Bettnässer geworden. Zur Strafe musste ich dann ohne Bettdecke auf einer Holztruhe mit rundem Deckel schlafen oder ich wurde in die Toiletten gesperrt mit den Worten: "Hier hast du ja dein Klo". Dort musste ich dann auf dem kalten Boden schlafen, nur im Pyjama.
Briefe nach Hause durften nur positiv sein, ansonsten wurde man bestraft.

An mehr kann ich mich nicht mehr erinnern, vielleicht auch weil es zu Hause und in der Schule ähnliche " Erziehungsmassnahmen" gab.

Viele Grüße
Jürgen
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Bernhard schrieb am 21.11.2019
Bernhard, Jahrgang 1963:
Lange Zeit dachte ich, ich sei der Einzige der solche "Kuren" als extrem traumatisierend in Erinnerung hat. Nach der Lektüre eines Spiegel-Artikels darüber heute und einiger Kommentare auf der Internet-Seite hier, weiß ich es besser. Insgesamt fünf Mal wurde ich im Zeitraum von 1969 bis 1974 Jahr für Jahr zu unterschiedlichsten Jahreszeiten in ein Kinderkurheim geschickt. Die Aufenthalte variierten jeweils zwischen 6 und 9 Wochen. Die schlimmsten Erinnerungen habe ich an ein mutmaßlich konfessionell geführtes Kinderkurheim in St. Peter-Ording, an dessen Namen ich mich aber nicht erinnere.
Untergewichtig und mit der Diagnose Asthma und damit einhergehender Neurodermitis wurde ich 1969 gleich in den Sommerferien meines 1. Schuljahres wegen der "guten Seeluft" dorthin geschickt. "Damit du wieder rote Bäckchen kriegst!", hieß die Devise. Die Freude darüber, endlich mal das Meer zu sehen und über die damit verbundene, erste längere Zugfahrt meines Lebens, wich großem Entsetzen, als mir kurz vor der Abfahrt des Zuges im Bahnhof Münster erst richtig klar wurde, dass meine Eltern nicht mitfahren würden.
Die panische Angst, nun für eine gefühlte Ewigkeit von ganzen 7 Wochen in der Fremde auf mich allein gestellt zu sein, kann ich kaum in Worte fassen. Die tränenreich absolvierte Zugfahrt umgeben von zwei völlig überforderten älteren Damen von der Bahnhofsmission und vielen anderen ebenso verstörten Kindern, denen man auch eine Identifikationskarte aus blauer Pappe um den Hals gehängt hatte, werde ich mein Lebtag nicht vergessen.
Was dann vorort darauf Tag für Tag folgte, kann ich aus meiner Erinnerung heraus heute nur als Kindesmisshandlung durch Gewalt und eine widerwärtige, seelische Grausamkeit bezeichnen.
In einer Gruppe von etwa 20/30 gleichaltrigen Kindern wurde mir gleich am ersten Abend klar gemacht, was mich erwartete. Schimpfe und Schläge bei jedem Fehlverhalten. Was da waren: Unpünktlichkeit, vermeintlicher Ungehorsam durch Widerspruch, Reden beim Essen, den Teller nicht leer zu essen, das Aus-der-Reihetanzen- beim marschähnlich vollzogenen Spaziergang in Zweierreihen zum Strand, Nichteinhalten der verbindlichen Zeiten für den Toilettengang, die Augen offenzuhalten bei der erzwungenen Mittagsschlafzeit, sich trotz juckender Dermatitis zu kratzen, sich während einer durch Asthma bedingten, schweren Atemnot im Bett aufzurichten oder gar auf den Bettrand zu setzen, die Nachtwache des Schlafsaals aus dem gleichen Grund "unnötigerweise" um Hilfe und Medikamente zu bitten und vieles, vieles mehr. Die Strafen folgten als Schläge ins Gesicht oder auf den Nacken oder noch perfider, als ich etwa in der zweiten Nacht im Schlaf unfreiwillig mein Bett eingenässt hatte: durch das nackt im Dunklen für eine halbe Stunde unter einer kalten Dusche stehen zu müssen, bis das Bett neu gemacht war. Die damit einhergehenden, verbalen Aggressionen und Demütigungen muss man sich noch dazu vorstellen.
Das Personal bestand zu einem kleinen Teil aus hauptsächlich für die Verpflegung zuständigen Ordensfrauen in einem Habit, der dem heutigen der Diakonissen ähnelte und zahlreichen "zivilen" meist älteren Erzieherinnen, insbesondere verantwortlich für die Tages- und Nachtbetreuung.
Aus Erzählungen meiner Mutter zu ihren Lebzeiten weiß ich, dass sie mich nach der "Kur" am Bahnsteig im Bahnhof Münster als ein vollkommen verstummtes und blasses, kleines Häufchen Elend wieder in Empfang genommen hatte, um mich dann wochenlang wieder auf das gleiche Gewicht wie vor der Kur hochzupäppeln. Trotzdem haben meine Eltern mich, im Vertrauen auf die Aussagen eines Kinderarztes und im festen Glauben, mir damit etwas Gutes zu tun, auch in den vier Folgejahren gegen meinen erklärten Willen in ein Kinderkurheim geschickt.
Die drei weiteren Aufenthalte, in einem Rot-Kreuz-Kinderheim auf der Insel Langeoog danach, habe ich nach den Erfahrungen des ersten Mals als weitaus weniger schrecklich in Erinnerung. Die dort tätigen (wesentlich jüngeren) Erzieherinnen führten zwar auch ein strenges Regiment, jedoch ohne körperliche Züchtigung. Trotzdem habe ich diese Kuraufenthalte dort stets als Bestrafung und nicht als feriengleiche Zeit des Vergnügens empfunden und meine Eltern geradezu dafür gehasst, dass sie mich immer wieder fortschickten. Zumal ich aus keiner dieser Kuren gesünder zurück kam als zuvor. Im Gegenteil.
Erst nach meinem fünften Kuraufenthalt im Alter von nunmehr 11/12-Jahren, in einem Kinderkurheim in Bad Lippspringe, war auch für meine Eltern das Maß voll.
Das Kurheim war an eine Art allergologische und dermatologische Klinik angeschlossen. Die schweren Fälle von Kindern mit Asthma und Neurodermatitis, zu denen ich auch gehörte, wurden dort jede Nacht und auch häufig tagsüber nicht im naheliegenden Kurheim, sondern in Krankenbetten einer Klinik-Station untergebracht und betreut. Der Aufenthalt dort bestand darin, mit unterschiedlichsten Therapien und Anwendungen behandelt zu werden, die mit strikter Bettruhe und engmaschigen Kontrollen der Blutwerte und Herz-/Kreislauffunktionen durch Klinikpersonal einhergingen.
Nahezu jeden zweiten Tag wurden mir über zwei/drei Wochen sogeannte Tests gemacht und dazu subkutan oder intravenös Substanzen verabreicht sowie hinterher die Immunraktion des Körpers darauf beobachtet. Von Nesselfieberschüben, die ich nie zuvor in meinem Leben hatte, bis hin zu Erbrechen und hohem Fieber war da alles dabei. Hinzu kamen häufige UV-Licht-Therapien der erkranken Hautpartien, die für mich äußerst schmerzhaft waren und eine für mich heute noch unbegreiflich hohe Anzahl von Röntgenuntersuchungen des Thorax in nur wenigen Wochen.
Erst viele Jahre später wurde mir klar, das das Ganze mitnichten einen kurativen Sinn hatte. An uns Kindern wurden in der Klinik ganz offensichtlich empirische Untersuchungen zu allergologischen Studien mit unterschiedlichen Allergenen, Therapien und Antihistaminika vorgenommen. Wo sonst, als in einem auf Asthma, Allergien und Neurodermitis spezialisierten Kinderkurheim bekommt man soviele Vergleichsprobanden auf eine Schlag für eine solche Studie zusammen? Möglicherweise haben meine Eltern dem im Vorhinein unwissentlich sogar zugestimmt.
Sechs Wochen später kam ich mit deutlich verschlechterten Krankheitssymptomen und einem erheblichen Gewichtsverlust wieder nach Hause. Meine Eltern waren darüber entsetzt und versprachen mir danach endgültig, mich nie wieder zu einer Kur zu schicken. Meine Eltern haben sich in den Jahrzehnten danach bis zu ihrem Tod immer wieder bei mir für diese Zwangskuren entschuldigt. Dass diese traumatischen Kur-Erlebnisse bei mir selbst schwerwiegende psychische Folgen hinterlassen haben, das glaube ich ehr nicht. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass Vergleichbares bei vielen, psychisch ohnehin schon labilen Menschen, schwerwiegende Folgen hinterlassen kann und auch hat. Umso wichtiger finde ich die historische Aufarbeitung der Geschehnisse in solchen Kurheimen und auch die Unterstützung für dieses Projekt.
Vielen Dank dafür, Frau Röhl!
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Xyzxyz schrieb am 21.11.2019
Mit zehn auf Sylt - heute würde man diese "Erholung" mit den damaligen Zuständen als Trainingscamp bezeichnen - 6 Wochen überleben war alles.
Ekliges Essen in Blumentöpfen verschwinden lassen, hungrigen Dicken die
Leberwurstschnitten zuwerfen, wenn keiner guckte, nachts auf abenteuerliche Weise zur Toilette robben, den Kleinen eine schöne Muschel
heimlich in die kleine Faust drücken und sich mit AlibiPutzlappen in der Hand auf zu den tagelang isolierten Kindern auf die Krankenstation schleichen.
Und die Tante böse fixieren, wenn sie einem mit den Fingerknöcheln strafend gegen die Stirn pockerte.
Die Kreativität wurde dort schon sehr gefördert......
Speziell die Kleinen waren aber einfach nur hilflos ausgeliefert.
Und die Tanten hatten ein Händchen dafür, Freundschaften untereinander
und das Beschützen Schwächerer zu unterbinden.
Eigentlich müsste man sich fragen, in welcher Gefühlskargheit diese Tanten
ihr eigenes Leben verbracht haben, Freude am Kinderquälen ist ja nun nicht
wirkliche Lebensfreude - was für eine seelische Verarmung und das auf einer
schönen Insel wie Sylt. Wir konnten ja wieder raus aus dem Gruselhaus.
Die Tanten waren in ihrer selbst geschaffenen Hölle gefangen.
Kälte Asche lange vor der Urne.
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Diplom-Psychologin Kerstin Thormann-Hofmann schrieb am 21.11.2019
1967, im Alter von 11 Jahren, wurde ich für 6 Wochen nach Klappholttal, Sylt, verschickt und bin fast gestorben.
Ich war das erste Mal allein von zuhause fort. Bei der Ankunft untersuchte uns der Kurarzt, ein, so schien es mir zumindest damals, alter Mann mit stoppeligem Bart. Woher ich das weiß?:
Wir mussten uns mit nacktem Oberkörper der Reihe nach aufstellen. Mir war das zutiefst peinlich, weil ich, im Unterschied zu den anderen, in etwa gleichaltrigen, Kindern, bereits einen Busenansatz hatte. Der Arzt horchte alle mit dem Stethoskop ab. Als ich an der Reihe war, nahm er das Stethoskop aus dem Ohr und legte sein Ohr an meine Brust.
Wir durften keine Briefe nach Hause schreiben, nur Karten. Diese wurden vor dem Abschicken gelesen und vor unseren Augen zerrissen, wenn etwas Kritisches darin stand.
Das Essen war schrecklich. An der Tür standen 2 Erzieherinnen mit Kochlöffeln in der Hand und schlugen die Kinder, wenn sie den Raum verlassen wollten, bevor sie aufgegessen hatten. Überhaupt wurde viel geschlagen.
Beim Ausflug nach Westerland kauften sich die Erzieherinnen vor unseren Augen Leckereien und aßen sie. Wir hatten kein Geld und keine Erlaubnis, schauten zu.
Jeden Abend war Spindkontrolle. Andenken vom Strand etc. wurden weggeworfen, gesammelte Blaubeeren ins Klo gespült.
Am schlimmsten war, dass ich fast gestorben wäre.
Ich hatte erst wenige Wochen zuvor Schwimmen gelernt. Als wir das erste Mal ins Meer durften, war ich begeistert und übte mit Blick zum Horizont meine neu gelernten Schwimmbewegungen. Weil die kleinen Wellen immer auf mich zukamen, unterlag ich, die noch nie am Meer gewesen war, der optischen Täuschung, mich nicht von der Stelle zu bewegen. Als ich mich schließlich umdrehte, sah ich das Ufer in weiter Ferne. Erschrocken, versuchte ich mich hinzustellen, was natürlich nicht gelang, da ich schon viel zu weit draußen war. Ich tauchte unter, versuchte zu schreien und zu winken, schluckte noch mehr Wasser, bemerkte, dass niemand schaute und kam mit einer Art Hundepaddeln panisch zurück an den Strand. ich war etwas abgetrieben und als ich mich berappelt hatte, ging ich zu den anderen Kindern zurück.
Keiner hatte meine Abwesenheit bemerkt und ich sagte nichts.
Heute arbeite ich als Psychotherapeutin, unter anderem mit traumatisierten Patienten.
Ich freue mich über ihre Initiative.
Mit freundlichem Gruß,
Diplom-Psychologin Kerstin Thormann-Hofmann
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Kati schrieb am 21.11.2019
Hallo, Anfang der 60er Jahre wurde ich mit 10 Jahren in ein Schullandheim in Niedersachsen verschickt. Ich hatte mich gefreut und eine Freundin aus meiner Klasse war auch mit. Wir kamen ins selbe Zimmer mit jeweils 4 Mädchen. Als Kleinkind hatte ich Mittagsschlaf gemacht aber längst nicht mehr mit 10. Weil weder meine Freundin noch ich müde waren haben wir uns nur angeschaut, weil Reden eh verboten war. Die Gruppenleiterin machte ihre Zimmerrundgänge und als sie sah, dass wir die Augen offen hatten, hat sie uns dafür bestraft. Am Abend, wenn sie die Gute-Nacht-Geschichte vorlas, wurden meine Freundin und ich zur Strafe auf einer Pritsche für die Zeit im Gruppenraum untergebracht. Ich bei den Mädchen und sie bei den Jungen. Ich höre, wie die Jungen dort rein kamen und johlten. Aber ich hatte so Probleme Äpfel mit der Schale zu essen, die es oft als Nachtisch gab und musste abends auf dem Gang zu den Schlafräumen auf einem Stuhl sitzen und den Apfel essen. Er war in Stücke geschnitten aber mit Schale. Die anderen Mädchen, die alle schon im Bett waren wollten mir helfen und ich sollte ihnen ein paar Stücke abgeben. Das hat die Leiterin auch mitbekommen und ich durfte als Strafe nicht bei der Gute-Nacht-Geschichte dabei sein. Bin da noch sehr krank geworden mit Fieber auf die Krankenstation, ein Arzt musste kommen und als ich wieder in die Gruppe kam meinten einige Mädchen, es sei viel schöner ohne mich dort gewesen. Keine Ahnung warum das so war, hatte vorher zu allen anderen Mädchen ein gutes Verhältnis. Schlimm war für mich der Unterrichtsausfall, da es damals noch eine Aufnahmeprüfung für das Gymnasium gab und ich die gar nicht erst gemacht habe, eben wegen des fehlenden Unterrichtsstoffs.
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kerstin schrieb am 21.11.2019
Ich war 1973 Timmendorfer Strand mit 5 J. und 1974 auf Wyk auf Föhr. Ich habe nur schreckliche Erinnerungen: Bestrafungen, Heimweh, Angst, Verzweiflung und Verlorensein. Die Postkarten, die die Tante schrieb, habe ich alle noch. Sie schreibt immer, wie vergnügt und munter ich sei. Alles gelogen! Dabei war ich auch dort krank. Meine Eltern haben mich fast nicht wiedererkannt, so elend sah ich nach meiner Rückkehr aus.
Geprägt hat mich diese Erfahrung mein Leben lang, negativ natürlich.
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Tanja Perez-Roos schrieb am 21.11.2019
Hallo und guten Tag, ich bin 1964 geboren und habe damals auch ein Trauma erlebt. Ich war in Bad Sassendorf, ich weiß nicht genau welches Jahr das war..vielleicht 70 oder 71? Hätte ich damals nicht eine Tante Elke gehabt, die dort arbeitete und sich so oft wie möglich um mich gekümmert hat (ich klebte auf jeden Fall an ihren Versen, wenn sie Dienst hatte) , hätte ich wohl allen Glauben an gute Menschen verloren.Kinder wurden , wenn sie abends beim Tuscheln erwischt wurden, in stockfinstere Räume gestellt und mussten dort bleiben, bis die Nachtschwester sie wieder erlöste. Leider ist es mir auch einmal so gegangen und es war so schrecklich für mich! Ich glaube, ich habe noch nie im Leben so eine Angst gehabt...furchtbar! Es gab eine Tante Elke mit feuerrotem Haar, der Teufel persönlich! Sie hatte meines Erachtens nach, Spaß daran Kinder zu bestrafen. Sie schlug machmal den Kindern mit der Handinnenfläche, so hart gegen die Stirn, dass sie nach hinten auf den Po vielen. Sie ließ Kindern, ihr Erbrochenes wieder essen..wie pervers muss man sein? Sie holte jede Nacht irgendwelche Kinder aus den Betten, damit sie in der Dunkelheit , irgendwo im Gbäude in einer Ecke verharren mußten, bis die Dame sie wieder aus ihrem Martyrium erlöste. Wir durften teilweise am Nachmittag nicht raus und mussten im Essensraum sitzen bleiben, weil ihr mal wieder irgend etwas nicht passte und sie uns bestrafen musste. Einmal die Woche wurden Briefe geschrieben, die natürlich von den Tanten kontrolliert wurden, damit sich niemand beschwert....es war wirklich eine schreckliche Zeit dort!!! Es gab einige Glückliche, die an einer Kinderkrankheit erkranten und nach Hause durften..mein Gott, wie hab ich mir gewünscht auch krank zu werden!! Das sind meine Erinnerungen an Bad Sassendorf. So etwas nannte sie damals Kindererholungsheim...
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Doris Tonn schrieb am 21.11.2019
Hallo Frau Röhl, auch ich war auf Föhr im Berliner Kinderheim 1957 und habe sehr ähnliches erlebt. Fast 5 Monate war ich dort und viele Nächte habe ich nur mit einem Handtuch versehen im kalten Duschraum auf der Erde verbracht, meistens kamen noch 4-5 andere Mädchen dazu, so daß man nicht ganz allein war. Pakete habe ich bekommen, aber alles wurde an die anderen Kinder verteilt, man selbst bekam nur ein kleines Stückchen Süßigkeit. Gespräche wurde unterbunden grundsätzlich im Schulunterricht, beim Essen und in der Schlafenszeit. Gesehen habe ich oft, das Erbrochenes dem Kind wieder eingeflößt wurde - mehrmals. Besuch der Eltern wurde verboten, Karten nachhause wurden kontrolliert. Ich bin froh, das mir Ihr Bericht bestätigt, das mich meine Erinnerungen nicht betrügen und ich nicht alleine bin, so wie ich es damals war - allein!
Mit freundlichem Gruß Doris Tonn
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Johannes schrieb am 21.11.2019
Ich war im Januar 1955 mit 11 Jahren wegen Unterernährung zu Kur in Rantum auf Sylt. Das Essen und die Luftveränderung taten mir gut und auch die Spaziergänge und Spiele am Strand waren sehr schön. Die Betreuung der Kindergärtnerinnen und das Essen hat mir sehr gut gefallen. Strafen wegen nicht Essen gab nicht. Selbstverständlich ist die Betreuung zu Hause individueller aber die Heimleitung und das Personal machten uns den Aufenthalt zu einem Erlebnis an dem mich gerne zurück erinnere.
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ederi schrieb am 21.11.2019
Ich war auch in einem Posterholungsheim , allerdings in Manderscheid. Die Zustände dort waren ähnlich wie in deiner Beschreibung. Bin interssiert an Erfahrungsaustausch.
Ederi
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Ederi schrieb am 21.11.2019
Bin auf diese Seite gestoßen, weil ich schön länger Infos zu dem Posterholungsheim Manderscheid suche.
Frau Marion wege-rahmen hatte im Juli 2019 im Kommentar nachgefragt.
Mein Vater als Postangestellter wollte mir auch einen Urlaub mit anderen Kindern ermöglichen und schickte mich nach Manderscheid. Es war 1966 und ich damals 9 . Da gehörte ich fast schon zu den größeren Kindern.
Die Tochter einer Kollegin meines Vater war jünger. Meiner Erinnerung nach hatte diese furchtbares Heimweh und weinte jede Nacht, was aber strengstens verboten war.
Meine Erinnerungen, voller Schlafsaal im stickigen Dachgeschoss im Sommer , streng einzuhaltende Nachtruhe, junge Tanten, die kaum älter als die älteren Kinder waren, alte sehr strenge Frauen, die uns schimpften und quälten mit Zwang zum Leeressen der Teller.
Das ist mir besonders in Erinnerung geblieben.
Zum Frühstück, außer sonntags gab es immer Breie, Grießbrei, Milchbrei, dünner Pudding, Haferbrei.
Ich mochte keinen Brei und kann bis heute keinen Grießbrei riechen ohne dass mir leicht übel wird.
Eingesperrt wurden wir hin und wieder in eine Toilette, wegen welcher Vergehen weiß ich nicht mehr.
Schlimm für mich war, dass wir nicht an unsere Kleider kamen, meine Mutter hatte für mich nach Anweisung Wäsche und Unterwäsche für 4 Wochen eingepackt. Die koffer wurden aber versteckt und die Kleider zugeteilt. Das bedeutete aber nur einmal die Woche eine Unterhose, was für mich furchtbar eklig war, da ich doch jeden Tag frische Wäsche gewohnt war.
Pakete von zu Hause waren erlaubt, wurden aber nicht uns Kindern ausgehändigt, sondern angeblich unter allen verteilt. Selten ist aber etwas in der Gruppe angekommen.
In guter Erinnerung habe ich aber das Zusammensein mit den anderen Kindern, manchmal konnten wir uns verbünden gegen die bösen Tanten, besonders die älteren Jungs haben sich oft für uns eingesetzt.
Würde gerne weitere Erfahrungen und Erinnerungen austauschen .
Viele Grüße
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Angelika Schnitzkewitz schrieb am 21.11.2019
Ich heiße Angelika S. und bin Jahrgang 1952. ich wurde mit 6 Jahren zum „Essenletnen“ in den Harz verschickt, ich glaube es war Bad Sachsa. Es führten viele Treppen hinauf und ich wünschte immer, dass meine Eltern sie hinaufsteigen und mich zu holen würden. Ich war 3 Wochen dort, wohnte im 2 Stock unter dem Dach in einem großen Schlafsaal. Auf die Toilette durften wir nicht ohne Erlaubnis. Als erstes wurde mir von dem “Chef-Mädchen” das ihr Bett neben mir hatte, mein einziges Kuscheltier, ein Teddybär, entwendet. Die darauf folgenden Auseinandersetzung führte dazu, dass alle mir, dem Neuling, die Schuld gaben und ich zur Strafe zur Schlafenszeit im Dunkeln neben der Aufsichtführenden Schwester mit einer Decke um die Schultern auf der Treppe sitzen musste, Danach war ich in meinem Zimmer isoliert und keiner wollte mehr mit mir “gehen”, wenn wir in Zweierreihen zum Spazieren antreten mussten. An Spiele kann ich mich nicht erinnern.
Zum Frühstück gab es eine Milchsuppe, die ich nicht mochte und die ich, obwohl ich sie wieder ausspuckte, trotzdem aufessen musste. Ich erinnere mich, dass ich auch einige Male am Abend in der Dämmerung alleine im grossen Speisesaal vor meinem vollen oder halbvollem Teller saß bis ich ihn endlich leer gegessen hatte. Später habe ich mein ganzes Leben mit Gewichts- und Essproblemen gekämpft.
Ja und wenn mal ein Malheur in der Unterhose war, wurde ich abgeduscht und alle vorbeigehenden Kinder konnten mich sehen-ich habe damals ein Gefühl von tiefer Demütigung erlebt.
Die Karten, die eine Pflegerin nach meinem Diktat schrieb waren gefälscht und beschönigt, als ich später lesen konnte, war ich empört.
Jedesmal, wenn ich an diese Zeit denke bekomme ich Tränen in den Augen und habe tiefes Mitgefühl mit dem kleinen Mädchen. Ich habe nach dieser Zeit ein gebrochenes Verhältnus zu meinen Eltern gehabt und Ihnen, nur im Wissen darum, dass sie einem Trend der Zeit aufgesessen sind und wahrscheinlich das Beste für mich wollten, nach langer Zeit verziehen.
Aber ein immer wiederkehrendes Gefühl von tiefer Einsamkeit begleitet mich ein ganzes Leben.
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Peter Helga schrieb am 21.11.2019
Hallo Frau Röhl, durch N3 bin ich auf Ihre Seite gestoßen. Ich war 3 x in Verschickungsheimen. Bin 1943 geboren und war total unterernährt. Das 1. Mal war ich 1950 im Helenenkinderheim in Bad Pyrmont. War gerade eingeschult, konnte noch nicht lesen und schreiben, nur meinen Vornamen in Druckbuchstaben. Es war ein schreckliches Heim von Diakonissen geführt. Die Helferinnen, die sogenannten Tanten, hatten weiße Schürzen um. Das Essen war grauenhaft, man musste den "Teller" aufessen. Ich war ein ängstliches Kind und habe nachts mal ins Bett gemacht. Das Laken wurde dann von den Tanten herumgezeigt und die anderen Kinder lachten darüber. Es war fürchterlich.
Das 2. Mal war ich 1953 im Waldhaus in Bad Salzdetfurth. Man durfte nur zu bestimmten
Zeiten auf die Toilette, z.B. während des Mittagesschlafes nicht. Das Toilettenpapier wurde gereicht, 2 Blatt bekam jeder. Das 3. Mal war ich 1957 in Freudenstadt im Schwarzwald im Waldhaus, eine Nebenstelle des Oberlinhauses. Das Essen war auch grauenhaft. Einmal hatte ich Reste von einem Topfkratzer in den Bratkartoffeln mit Blutwurst. Besser war es dann in Menzenschwand im Schwarzwald, dort war ich als 16-jährige im Jugendkurheim der Barmer Ersatzkasse.
Viel Erfolg bei der Aufarbeitung auf Sylt.
Liebe Grüße
Helga Peter
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Peter Helga schrieb am 21.11.2019
Hallo Klaus, ich war 1953 im Waldhaus in Bad Salzdetfurth und das was Sie schreiben trifft genau zu. Mit den Toilettengängen und dem Klopapier. Ich war damals 9 Jahre alt. Das Essen war katastrophal.
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Deetjen, sylvia schrieb am 20.11.2019
Konnte nicht glauben, das es so vielen so erging ! Mein Name ist Sylvia geb.1953 , bin mit meiner Schwester Birgit 1961/62 Im Alter von 10 / 9 Jahren gen Wyk - Föhr verschickt worden weil wir so dünn waren. Wir stiegen mit einem Schild um den Hals am Bremer Hauptbahnhof in den Zug, indem wir erwartet wurden. An die Zugfahrt erinner ich mich nicht. Von der Insel haben wir nicht viel mitbekommen, die meiste Zeit waren wir im & am Heim. Wie das Heim hieß weiß ich nicht mehr aber ich erinner mich an Kälte in den Schlafsälen wie auch an emotionale Kälte, schlechtes Essen, weinende Mädchen in der Nacht & beim Mittagessen, Strafen, Essen bis der Teller leer war - auch wenn alle Kinder schon den Speisesaal verlassen hatten, Demütigungen vor allen Kindern bei Unpässlichkeiten weil man nicht zur Toilette durfte, Zensierte Briefe! Roter Tee ohne Ende. Wir bekamen 1 x 1 Paket von zu Haus, durften aber nicht alles behalten. Meine Schwester weinte viel vor Heimweh, sie war 2 Jahr jünger als ich. Ich dagegen bekam Ausschlag ( Herpes ) fast über die gesamte rechte Gesichtshälfte ! Es gibt zwei Fotos am Strand, an dem wir selten waren. Eines mit einer Erzieherin ( 35/40 Jahre alt ) beide Fotos stammen von Foto Herzog Wyk- Föhr.
Unsere Mutter erkannte uns nicht wieder, es brauchte Zeit, bis wir uns zu Haus wieder zurecht fanden, es war für uns eine Schlimme Zeit, ich dachte nur wir hätten gelitten. Meine Schwester & ich weigerten uns nochmals allein irgendwo hin zu fahren.
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Silke schrieb am 20.11.2019
Hallo, meine Name ist Silke und ich kam1970, mit 5 Jahren, zur Verschickung nach Wyk auf Föhr . Ich litt unter Neurodermitis und sollte dort vor meiner Einschulung von dieser Hauterkrankung geheilt werden. Ich kann mich an die Zugfahrt von Hamburg aus erinnern und das in meinem Abteil ein Mädchen saß, das sehr weinte und ich sollte sie trösten, obwohl es mir schrecklich ging. Ich kann mich an ein riesiges Bad erinnern mit vielen Waschbecken, bitterkalt, an den Schlafsaal mit der Aufpasserin davor, an den Speisesaal. Eines abends -wenn wir im Bett lagen, durfte nicht mehr gesprochen werden- wollte ich heimlich meiner Bettnachbarin etwas zuflüstern. Ich wurde von der Aufpasserin erwischt, sie zog mich aus dem Bett und ich musste irgendwo in einer Abstellkammer mit Stockbetten und alten Matrazen alleine die Nacht verbringen. Ich hatte schreckliche Angst. Zum Frühstück wurde ich dann abgeholt. Die Strafe war damit nicht zu Ende. Mittags gab es Eis zum Nachtisch, die Erzieherin stellte sich zu meinem Tisch und sagte “Silke war gestern unartig, sie bekommt kein Eis” und aß mein Eis vor aller Augen auf. Ich musste mehrmals die Woche abends in eine Badewanne. Dort wurde ich vergessen, das Wasser wurde kalt, eine Aufpasserin kam in das Bad, sah mich nicht, machte alle Fenster auf und löschte das Licht. Ich traute mich nicht, auf mich aufmerksam zu machen. Gefühlt saß ich dort 2 Stunden, bis man mich vermisste. Das Essen war schrecklich und man durfte erst aufstehen, wenn man aufgegessen hat. Ein Päckchen, welches mir geschickt wurde mit Süßigkeiten, durfte ich einmal ansehen, dann wurde alles verteilt und ich bekam ein Stück Schokolade. Diese schrecklichen 6 Wochen sind seit 50 Jahren tief in meinem Herzen und ich habe nur diese Erinnerungen abgespeichert. Ich habe keine Erinnerung daran, wie die Freizeit gestaltet wurde. Ich bin ein positiver und fröhlicher Mensch, aber wenn die Erinnerung an die Verschickung hochkommt, dann bekomme ich schon feuchte Augen. Ich habe nur das Gefühl von unglaublicher Angst in Erinnerung.
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Barbara schrieb am 20.11.2019
Ich bin 1957 von Hamburg aus in ein Kinderheim in Wyk auf Föhr verschickt worden, über mehrere Wochen. Ich konnte nicht so viel essen, hab aber eine 2. Teller voll bekommen und musste sitzenbleiben, bis der Teller leer war. Wenn ich mich dabei übergeben habe, musste ich das Erbrochene auch aufessen. Einmal gab es eine Lebensmittelvergiftung. Ich weiss den Zusammenhang nicht nehr, aber ich musste in ein anderes Bett und zwar einer Bettnässerin. Ich wurde auch von anderen Kindern gequält, aber ich bekam keine Hilfe. Es gab immer wieder ähnliche Situationen, die Erinnerungen kommen langsam wieder hoch. Die Briefe an die Eltern mussten wir ohne Umschlag abgeben.
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Ute Schlling schrieb am 20.11.2019
Ich bin 1945 in Hamburg geboren und war in der ersten Klasse viel zu dünn. Wann ich genau im Hamburger Kinderheim in Wyk auf Föhr war, kann ich nicht genau sagen Nur das ich schon schreiben konnte. Nur, das diese Karten sind nie zu Haus angekommen sind und so wußte meine Mutter nichts von meinem Kummer. Jede Woche hat sie mir ein Päckchen geschickt mit einem Buch. In der Serie war Sonja die Heldin. Nur die Naschsachen aus dem Päckchen bekam ich nie, die wurden an alle verteilt, die nie etwas bekamen. Tränen haben nicht geholfen. Und das Essen, ich esse heute noch keinen Fisch. Die Suppe roch fürchterlich und an meinem Tisch übergab sich ein Mädchen. Sie musste ihre Suppe aufessen MIT dem Erbrochenen. Dann passierte mir dasselbe, Nur das ich ganz schnell den Teller, mit Allem darin, auf die Erde geschmissen habe. Das brachte mir eine Nacht ein, wo ich nicht im Schlafsaal schlafen durfte, Wo ?
Dort war es dunkel, Kalt und ich war allein.
Heute sind Aufenthalte in Institutionen immer noch mit Panikgefühlen verbunden. Krankenhäuser, Kurheime usw lösen Aggressionen in mir aus.
Wenn ich meine Kinder verreisen lassen mußte, bekamen sie immer eine Postkarte mit. Schon frankiert mit Anschrift versehen. Wäre diese Karte jemals bei mir angekommen, wäre ich in den nächsten Stunden am Urlaubsort gewesen meine Kinder abholen.
Meine Mutter hat mir nicht geglaubt. Ich müßte mich eben mehr anpassen und das kommt davon, weil Du immer so schwierig bist. Dieses Wort tut mir noch heute weh. Und heute bin ich schwierig, wenn mir oder in meinem Umfeld Dinge passieren, die nicht gut sind
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Angela schrieb am 20.11.2019
Hallo, ich war 5, als ich 1969 nach Sylt verschickt wurde. Ich erinnere mich an Tante Brigitte, die mich zum Essen zwang. Oft saß ich noch beim Frühstück, während die anderen Kinder nach draußen gingen und zum Mittag wieder zurück kamen. Natürlich musste ich direkt weiteressen , was dazu führte, dass ich mich übergab. Ich musste das Erbrochene aufessen, manchmal im Toilettenraum, damit sich das niemand ansehen musste. Ich hatte so große Angst, dass ich mich nicht traute, alles ins Klo zu spülen. Nach dem Mittag wurde ich vor den anderen Kindern über‘s Knie gelegt und bekam Schläge auf den nackten Hintern. Wenn wir Post von zu Hause bekamen, wurde uns diese vorgelesen. Mir wurde oft gesagt, dass mich meine Eltern bestimmt schon vergessen hätten, da sie mir nicht geschrieben haben.
Bestimmt war ich in der Gruppe nicht die Einzige, aber ich war wohl so fokussiert auf mein Problem. An einen älteren Jungen erinnere ich mich, der versuchte mich zu trösten und mir zu helfen. Der bekam dann auch eine Strafe.
Meine Eltern haben mir jahrelang nicht geglaubt und das war fast noch schlimmer für mich. Das hat das Vertrauensverhältnis zu meinen Eltern nachhaltig gestört. Und mein Essverhalten war lange nicht normal. Ich brach auch als junge Erwachsene noch in Tränen aus, wenn mir jemand sagte, ich müsse essen.
So etwas vergisst man sein Leben lang nicht!
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Stefan Wendt schrieb am 20.11.2019
Ich (Jg. 1957) war im September/Oktober 1966 zusammen mit meiner älteren Schwester zur Aufpäppelung in St. Peter-Ording für sechs Wochen im "Weberhäuschen" interniert. Nachfolgend nur eine kurze Liste der übelsten Erlebnisse:

Leidensgenosse (ob Junge oder Mädchen erinnere ich nicht) hat sich am Tisch über dem Teller erbrochen und muss nun solange davor sitzen bleiben, bis der Teller leergeputzt ist. Wie lange die Tortur dauerte, weiß ich nicht mehr, aber es waren viele Stunden.

Unterwegs beim Runterrollen vom Sommerdeich - was eigentlich nicht gestattet war - war ich leider durch einen dicken Hundehaufen gerollt, wurde angepöbelt und musste die verkoteten Sachen zur Strafe längere Zeit anbehalten.

In der Nacht war die Toilettenbenutzung verboten. Wer sich dennoch aufmachte, wurde von einer herrischen "Schwester", die dort auf einem Stuhl permanent Wache hielt, angeschnauzt und ins Zimmer zurückgeschickt. Ich war mit dem Enkel der Heimleiterin in einem Zimmer, und dort haben wir dann in unserer großen Not in den Papierkorb gepinkelt. Am nächsten Morgen wurde das natürlich entdeckt, und mein Zimmergenosse bekam einige schallende Ohrfeigen von den Schwestern versetzt. Die Oma und Heimleiterin, die auch erschienen war, hatte "Feuer frei" erteilt, weil es ja ihr Enkel war und Sie ihr eigen Fleisch und Blut - natürlich - züchtigen durfte. Ich hatte Glück und wurde, so glaube ich, nur angeschrien. Fortan waren die Nächte die Hölle und von unglaublicher Furcht geprägt, dass man ja vielleicht auch einmal "groß" machen müsste, und was dann - in den Papierkorb scheißen?! Ich weiß nicht, wie wir das durchgehalten haben, aber seitdem habe ich entsprechende Ängste, die jetzt im Alter wieder eher verstärkt auftauchen. Wie sehr mich das getroffen hat, vermag vielleicht der Umstand illustrieren, dass ich viele, viele Jahre lang Gewaltphantasien hegte, um einst als großer, starker Mann an diesen Ort zurückzukehren, um dann den lieben Schwestern - mit Verlaub - mal so richtig die Fresse zu polieren. Leider oder zum Glück ist es nur bei dem Gedanken geblieben ...

Nach dem Abendessen wurden gemeinsam Lieder gesungen (Wir lagen vor Madagaskar, Wir lieben die Stürme, Wer will mit uns auf Kaperfahrt gehen etc. pp.). Wer nach Meinung der Schwestern irgendwie auffällig wurde, musste auf seinen Stuhl steigen und eine Strophe laut vorsingen. Also auch hier immer die Angst, ausgeguckt zu werden. Nicht- oder Leisesänger mit zittriger Stimme wurden dann zumindest angebrüllt oder lächerlich gemacht.

Beim Schwimmbadbesuch und/oder in den Waschräumen mussten wir uns nackt ausziehen - für einen Neunjährigen aus einem eher prüden Elternhaus auch ein Hammererlebnis. Wer nicht spurte, dem rissen die lieben Schwestern die Hose runter.

Während der Kur kam auch ein Arzt ins Heim, vor dem wir alle - ebenfalls nackt - antreten mussten. Ein Junge hatte offensichtlich seine Unterhose verloren und rannte auf der Suche nach seiner Büx verzweifelt durch den Saal, begleitet vom höhnischen Gelächter der Schwestern.

Bei einem Strandausflug hatte ich mich (auf der Suche nach Seeigeln und Krebsen) ein paar Meter von der Gruppe entfernt, weshalb ich angeschrien und zurück ins Heim eskortiert wurde. Ich bekam Hausarrest und musste eine Strafarbeit schreiben. Titel: "Warum ich mich nicht von der Gruppe entfernen darf".

Wir durften zwar nach Hause schreiben, aber wenn der Text in den Augen der kontrollierenden Schwestern irgendwie missliebig, also zu wenig positiv klang, wurde die Karte vor unseren Augen zerrissen und wir durften nun die "Wahrheit" nach Hause schreiben.

Beim Essen fiel auf, dass Schwestern und Heimleitung an einem großen Extratisch saßen und andere, bessere Mahlzeiten genossen als das, was wir auf den Tisch bekamen. Nun mag das kulinarische Urteilsvermögen eines Neunjährigen nicht besonders ausgeprägt gewesen sein, aber ich erinnere mich ganz genau, dass ich beim Vorbeigehen fast immer neidisch war. Auf jeden Fall hatten Heimleitung und Personal eine andere Speisekarte.

Vor der Abreise ging es kollektiv in einen Andenkenladen, wo wir für unsere Liebsten daheim ein paar Souvenirs kaufen sollten bzw. mussten, damit auch unsere Eltern nicht zuletzt ob der schönen Mitbringsel ahnen konnten, wie toll und erholsam der Kurlaub wohl gewesen sein musste. Ich hatte mein Taschengeld zusammengehalten, wollte partout nichts kaufen und war so stolz auf meine Sparsamkeit. Doch man nahm mir das Geld weg und kaufte kurzerhand einige Teile für mich, die noch heute bei mir in der Vitrine stehen - als Andenken an eine schreckliche Zeit.

Bei der Rückreiseankunft in Hamburg-Altona wunderten sich meine Eltern zwar, dass wir Kinder allein unser Gepäck über den ganzen Bahnsteig schleppen mussten, während die gut frisierten und manikürten Schwestern (was meiner Mutter, wie sie später einmal sagte, sehr "nuttig" vorgekommen war) rauchend ihrer Wege gingen. Schlimm war auch, dass meine Eltern die Erzählungen vom Heimaufenthalt einfach nicht glauben wollten oder konnten, hatten sie doch in bester Absicht und nach ärztlichem Anraten gehandelt.

Jetzt reicht's aber erst einmal ...

Stefan Wendt
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Schmidt Klaus schrieb am 20.11.2019
Etwa 1951 war ich in, damals 9 Jahre alt, Bad Salzdethfurt in einem der Kinderheime, wahrscheinlich im Waldhaus (die Postkarte in der HAZ ruft Erinnerungen wach. Es ging hart zu, Disziplin war alles. Wir durften zur Toilette nur zu festgesetzten Zeiten, auch wenn es drängte. Zwei Blatt Papier wurden je Kopf zugeteilt, auch wenn man leichten Durchfall hatte. Schlimm war das Essen; es sah wie Abfallverwertung aus - das Fleisch war eine Mischung aus Zadder und Blutgefäßen. Es ekelte mich an, und ich habe damals oft das Essen auf den Teller erbrochen. Weiter essen war dann angesagt. Ich habe einige Jahre später mit großer Genugtuung in der Zeitung gelesen, dass die Leitende des Heims vor Gericht stand wegen Veruntreuung von Essensgeldern. Sie hatte tatsächlich einen Teil für sich behalten und minderwertige Lebensmittel an die Kinder ausgegeben. Ist das heute noch feststellbar?
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Theresa schrieb am 20.11.2019
Hallo, war jemand Anfang der 70er im Haus Murgtal im Schwarzwald, bzw auf Borkum im Kinderheim Sankta Maria? Ich kam im Alter von 4 und 5 Jahren in den “Genuss“ der Verschickung zur Erholung. Welch ein Hohn! Nie wieder im Leben litt ich solches Heimweh. Ich habe Eure Kommentare gelesen und vieles darin wieder erkannt. Erbrochenes essen, zur Strafe nachts allein im Speisesaal auf einer Holzbank schlafen müssen bis zum nächsten Morgen, und von allen gesehen werden. Viele viele Tränen. Ich wusste aber bis jetzt nicht, dass es so schrecklich viele Leidensgenossen gibt...
Theresa
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F.G. schrieb am 20.11.2019
Moin,
Ostern 1979 sind meine Schwestern und ich zur "Kur" in Wyk auf Föhr gewesen, die für uns schrecklichen Erinnerungen an diese sechs Wochen haben wir seitdem immer unter "wir hatten einfach Pech mit der Einrichtung" verbucht. Als wir gestern zunächst den Artikel in der SHZ und später die Beiträge auf dieser Seite gelesen haben war alles wieder so präsent.
Die Anreise nach Föhr erfolgte damals in Begleitung einer Dame vom DRK-Betreuungsdienst, im Kurheim angekommen wurden meine Schwester und ich sofort getrennt und haben uns in den sechs Wochen ein einziges Mal für einen kurzen Moment sehen dürfen (es war der 7. Geburtstag meiner Schwester und ich durfte kurz gratulieren). Am Ankunftstag wurden alle Kinder einer "Läusekur" unterzogen, zu erkennen an einer Mullwindel um den Kopf. Diesem Prozess wurden wir nicht unterzogen, wir hatten glücklicherweise ganz kurze Haare. Im Anschluss bekamen wir alle schwere Lodenmäntel, die wir während unseres gesamten Aufenthaltes tragen mussten, obwohl eigene Winterjacken vorhanden waren.
Im Schlaftrakt der "Großen" waren die Türen ausgehängt, sodass wir unter ständiger "Bewachung" waren. Auch unsere Post wurde zensiert und die Eingangspost im Vorwege geöffnet, das Geburtstagspaket meiner kleinen Schwester wurde großzügig verteilt. Obwohl meine Schwester zu diesem Zeitpunkt schon schreiben konnte, haben meine Eltern keinen handgeschriebenen Brief von ihr erhalten, sondern immer geschrieben von einer Pflegekraft. Dies machte unsere Mutter stutzig, so dass sie mehrfach telefonisch nachfragte. Ein völlig genervter Leiter der Einrichtung empfahl unserer Mutter, OT: sich mal in der Kneipe nebenan ordentlich einen hinter die Binde zu kippen, damit sie mal ihre Kinder vergessen würde.
Eine Beschwerde meiner Mutter beim Kreis daraufhin ergab jedenfalls, dass der Mitarbeiter zunächst vom Dienst in dieser Einrichtung suspendiert wurde.
In der einzuhaltenden Mittagsstunde wurde meine kleine Schwester gezwungen einzunässen, weil es ihr verboten wurde das Bett zu verlassen um auf Toilette zu gehen.
Während dieser Zeit habe ich oft darüber nachgedacht wegzulaufen, zumal sogar Verwandschaft auf Föhr lebt, aus Angst vor drastischen Strafen (bei anderen "Flüchtlingen" erlebt) und Sorge um meine kleine Schwester habe ich mich durchgebissen.

Föhr hat bis heute einen "Beigeschmack" für uns und wir sind tatsächlich bis heute noch nicht wieder dort gewesen.
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Claudia S. schrieb am 20.11.2019
1969 in Bad Rappenau bei Heilbronn, Baden Württemberg. Über Ostern wurde ich für 6 Wochen in diese Anstalt verschickt um mich von einer Mandeloperation zu erholen. Zu dieser Zeit war ich 7 Jahre alt und ging in die 2. Klasse. Ich war immer kränklich und zart, etwas zu dünn und gänzlich ohne Selbstbewusstsein. Als zweite von 4 Kindern wurde ich von unserer strengen Mutter erzogen. Leider ohne Bindung - sie hat es gut gemeint, ich weiß es. Sie konnte und wusste es nicht besser und war bis ins hohe Alter davon überzeugt alles richtig gemacht zu haben. So hat sie mir einmal erzählt (zu einem Zeitpunkt, als ich selbst ein Kind bekam), dass man Kinder nicht so verzärteln soll, sie habe uns Kinder ab dem Alter von 8 Wochen nicht mehr bei jedem Schreien aus dem Bettchen genommen, sondern nur noch zu den Fütterungszeiten so alle 4 Stunden. Nachts auch durchgehen gar nicht. Wir sollten ja schließlich lernen, dass man nachts schläft und da niemand für einen da ist. So, jetzt wusste ich, warum ich niemals eine gute Beziehung zu meiner Mutter hatte. Sie war immer wie eine Fremde.
Unter diesen Umständen waren die Erfahrungen in dem Heim in Bad Rappenau nicht ganz so krass für mich, wenn auch das ein oder andere in schlechter Erinnerung geblieben ist:
Kurz vor Ostern musste meine Mutter in alle meine Kleidungsstücke Namen einnähen. Sie bekam eine genaue Anleitung, was ich mitzubringen hatte und wie das zu verpacken war. Am Tag als es los ging, brachte sie mich mit meinem Koffer und einem Rucksack auf den Stuttgarter Hauptbahnhof. Dort wurde ich von einer "Tante" in Empfang genommen und mit einer Gruppe anderer Kinder nach Bad Rappenau gebracht. Als wir an unserem Zielort eintrafen wurden uns die Zimmer und Betten zugewiesen. Wir wurden angewiesen, den Rucksack auf den Nachttisch neben das Bett zu legen und in den Gemeinschaftsraum zu gehen. Als wir in die Zimmer zurückkamen, stellten wir fest, dass inzwischen die Rucksäcke geleert waren und die mitgebrachten Süßigkeiten verschwunden !! Ich war sehr traurig und habe das überhaupt nich verstanden. Man muss dazu wissen, dass 1969 der Besitz von Süßigkeiten - zumindest für mich - etwas ganz besonderes war. Nur an Ostern, Weihnachten und zu meinem Geburtstag bekam ich welche geschenkt. So hat meine Mutter mir meine Ostersüßigkeiten in ein Geschenkpäckchen gepackt und mir gesagt, das dürfe ich an Ostern öffnen. Ich habe mich sehr darauf gefreut !!
Daher war das Gefühl bestohlen worden zu sein sehr schlimm !!
Immer nach dem Mittagessen hat die Erzieherin eine große Schüssel geholt. In der war das ganze Diebesgut. Sie hat ein Teil in die Luft gehoben und uns kleine Kinder gefragt: "Wem gehört das?" Der Besitzer hat es dann bekommen. Der Grund für diese Vorgehensweise ist mit erst sehr viel später klar geworden. Es sollte vermieden werden, dass die Kinder alles auf einmal essen. Die Erzieher haben es einteilen wollen. Da ich aber gar nicht wusste, was mir meine Mutter eingepackt hat, bekam ich also nichts. Das war für mich damals sehr schlimm!
Eine weitere Erinnerung ist die Strafe, die ich bekam, ohne zu wissen wofür. Unter der Dusche haben wir Kinder rumgealbert und die Erzieherin hat mich ermahnt damit aufzuhören. Hab ich wohl nicht gemacht, und zur Strafe hat sie mich von der Gutenachtgeschichte ausgeschlossen. Ich sollte gleich ins Bett verschwinden. Hab ich auch nicht gemacht. Heimlich habe ich mich an den äußersten Rand der Bank gesetzt, wo die anderen Kinder alle saßen und vorgelesen bekamen. Leider hat die Erzieherin mich da entdeckt und mich barsch in mein Bett geschickt. Ich wusste nicht, warum ich so bestraft wurde und bin völlig geknickt ins Bett gegangen, habe mir die Decke über den Kopf gezogen und mich in den Schlaf geweint.
Im Allgemeinen war alles sehr reglementiert und wir Kinder hatten gar keine Freiheiten. Nach jedem Mittagessen wurde geschlafen. Dafür gab eis einen Mittagschlafsaal. Dieser Saal war angefüllt mit sehr kleinen Holzpritschen. Auf jeder Pritsche ein dünnes Kopfkissen und eine dünne Decke (in meiner Erinnerung blau weiß kariert). in der Mitte des Saales war ein Podest mit einem Tisch und einem Stuhl. Auf diesem Stuhl saß die Aufsicht und sorgte für Ruhe. Wir Kinder mussten uns auf die Pritschen legen. Ich als 8-Jährige passte da gerade noch so drauf. Jedoch durften wir uns nicht unter die Decke legen, sondern oben drauf. Wir mussten auf der Seite liegen, mit dem Gesicht zur Aufsicht hin. Still liegen, die Augen schließen und sich nicht mehr bewegen. Unter diesen Umständen war das nicht sehr erholsam. Warum wir die Decken nicht benutzen durften? Vielleicht war das Aufräumen dann zu aufwendig?
Beim Essen wurde sehr genau darauf geachtet, dass die Dicken nicht viel bekamen und die Dünnen ja bloß nichts stehen lassen. Eines Tages gab es ein undefinierbares Gericht. Auf meinem Teller lag eine Scheibe Brot, eingeweicht in irgendeiner Soße und noch irgendetwas daneben. Das konnte ich beim besten Willen nicht essen. Aber ich war eine Dünne und musste !!
Bis heute habe ich noch das Bild im Kopf: Ich sitze ganz allein in einem leeren Speisesaal. Alle Kinder sind schon draußen. Vor mir der Teller mit dem unberührten Essen. Es war still, ich kam mir verloren vor. Ich kann mich jedoch nicht mehr daran erinnern, wie diese Situation aufgelöst wurde.
Von Zeit zu Zeit waren wir gezwungen Postkarten nach Hause zu schicken. Auf diesen sollten wir unsere schönen Erlebnisse schildern. Es durfte nichts negatives geschrieben werden. Alle Karten wurden von den Erzieherinnen gelesen und nur dann abgeschickt, wenn sie durch die Zensur kamen. So kam es, dass ich nur 2 Sätze geschrieben habe. "Es ist schön hier. Das Essen ist gut"
Mein Bruder hat mir später einmal gesagt, dass er sich über diese kurze Information etwas gewundert hat, wo ich doch 6 Wochen weg war.
Ansonsten habe ich noch ein paar kleine Erinnerungen an - Abduschen mit eiskaltem Wasser (Kneipp), Gymnastik, Spiele draußen und drinnen, Spaziergänge, Aufenthalt im Dampfraum ...
In diesem weiß gekachelten Raum (wie in einem Swimmbad) saßen wir auf einer weiß gekachelten Bank rings herum an der Wand. In der Mitte an der Decke war ein Gerät, aus dem salziger Dampf strömte. Damit wir Kinder den fest einatmen, mussten wir singen. Dafür bekamen wir jeder ein grünes Liederbüchlein und wir haben feste gesungen und geatmet. Das ist keine schlechte Erinnerung - wie hätte ich auch sonst die 6 Wochen irgendwie rum gebracht. Viele Kinder hatten deutlich Probleme mit Heimweh und haben viel geweint. Ich war da eher abgehärtet auf Grund meiner Erziehung zu Hause, aber schön war die Zeit in Bad Rappenau nicht wirklich. Auch nicht erholsam. Am Ende also wurden alle Sachen wieder in den Koffer gepackt. Es hat wohl nicht alles reingepasst. Jedenfalls musste ich auf der Heimfahrt die dicksten Sachen anziehen. Es war inzwischen aber schon warm geworden und ich kam im Wintermantel und viel zu warmer Kleidung am Stuttgarter Hauptbahnhof an. Noch heute habe ich das Entsetzen im Gesicht meiner Mutter in Erinnerung. Mit hochrotem Kopf und verschwitzt lief ich ihr entgegen und wir gingen nach Hause. Sogar meine strenge Mutter war entsetzt. Ich hatte abgenommen und war alles andere als erholt. Sie hat im Nachhinein an der Sinnhaftigkeit dieser Verschickung sehr gezweifelt. Das hat mich tatsächlich ein wenig getröstet.
Am nächsten Morgen ging es dann wieder in die Schule. Meine Klassenlehrerin bat mich, ihr die Hausaufgaben zu zeigen, die ich nicht hatte, denn ich war ja 6 Wochen nicht da. Trotzdem bekam ich eine Rüge und eine gesalzene Strafarbeit. Es ging also grad so weiter ... 1969 lässt grüßen !!
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Karin schrieb am 20.11.2019
Da mich die Schulärztin bei der Untersuchung für zu dünn befand, wurde ich mit 6 Jahren nach Bad Sachsa, in den Harz verschickt. Es war im Winter 57/58, an den Monat erinnere ich mich nicht mehr, es lag viel Schnee und es war kalt. Ein älteres Nachbarkind, Jutta, stieg ebenfalls mit in den Zug. Heute bin ich 68 Jahre und habe all die Zeit an meinen Erinnerungen gezweifelt. Ich dachte bis vor ein paar Monaten noch, so grausam kann es nicht gewesen sein. Doch seit ich die ersten Berichte von anderen Opfern gelesen habe, ist alles wieder da. Im Borntal, Bad Sachsa, mussten wir bis zum Erbrechen essen, wer sich übergab, hatte das wieder aufzuessen. Wir durften nur 3x am Tag zur Toilette, das nannte sich Eisenbahnspiel. Wir waren auf einer Treppe ein Zug und die ersten durften auf das Klo, musste dann die Bahn in die andere Richtung anführen. Viele, auch ich, machten in die Hose, wenn wir uns hinten am Zug befanden. Dann standen wir zur Bestrafung nachts barfuß im Nachtzeug aufgereiht auf dem kalten Flur an der Wand beim Schlafsaal, viele lange Stunken und zitterten vor Kälte. Einmal hatte ein kleines Mädchen aus unserem Saal nachts gespuckt. Sie musste in dem Erbrochenen bis zum Morgen liegen bleiben. Sie hat so geweint und es hat gestunken. Post wurde kontrolliert, diktiert und eingehende Briefe der Eltern abgefangen. Ich habe in den 6 Wochen so viel geweint. Zum Ende bekam ich Windpocken. Sie steckten mich in ein Turmzimmer, da standen ein Bett, Tisch und ein Nachttopf. 3x täglich schob man mir das Essen rein, kalt, ohne ein freundliches Wort. Trotzdem war das die beste Zeit für mich, sie ließen mich zufrieden. Als ich meinen Eltern nach der Rückkehr weinend berichtete, glaubten sie mir nicht, ich hätte zu viel Fantasie, war die Antwort. Heute weiß ich, diese Zeit hat mein ganzes Leben beeinflusst, meine Gesundheit, meine Seele. Während ich das schreibe, sind meine Augen voller Tränen. Wir waren Kinder, warum hat uns niemand geholfen?
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Sabine Preger schrieb am 20.11.2019
Liebe Iniatorin!!!!
Gestern Abend wurde durch einen NDR-Fernsehbeitrag am frühen Abend auf Euch aufmerksam!!!!!
Bin "begeistert", dass dieser Missbrauch so vieler Kinder nun Gehör findet!!!
Ich möchte unbedingt ergänzen, dass ich außerdem , zumindest in einem (meinem zweiten ) Hamburger Kindertagesheim ( der damaligen Vereinigung städtischer Kindertagesheime), welches ich vom 3./4. Lebensjahr bis zum Ende der 4. Klasse besuchen musste, unter der erlebten Praxis bei den Mahlzeiten sehr gelitten habe!!!!!!

Heute bin ich (Jahrgang 1957) 62 Jahre alt und aufgrund eines Burnout als Grundschullehrerin seit über10 Jahren frühpensioniert.

Meine 1.Verschickung war 1960 über meinen dritten Geburtstag in ein Heim nach Lüneburg.
Bis zur Einschulung 1964 würde ich mehrfach verschickt nach
Wittdün/Insel Amrum und Wyk auf Föhr.
Im Jahr 1966 musste ich dann noch in den Schwarzwald nach Schlägen bei St. Blasien....

Ich habe erstaunlich genaue und klare Erinnerungen an diese Zeiten!

Meine Schlagwörter dazu sind:
HEIMWEH

QUÄLEREIEN beim Essen

ZENSIERTE POST (würde gelesen, bzw. bevor ich selbst schreiben konnte meine Worte "gefälscht")

EKEL vor dem randvollen Nachttopf in der Schlafstube...als ich verbotenerweise deshalb die Toilette aufsuchte und brav spülte, kam die Nachtaufsicht gab mir eine Ohrfeige, zog mich am Ohr zu dem Pisspott und zwang mich ihn in der Toilette zu leeren - als 4-5 Jährige

OHNMACHT , HILFLOSIG- und EINSAMKEIT als Grundgefühl

Mit freundlichen Grüßen und Dank für das Engagement

Sabine Preger aus Büchen
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Jutta Schneider schrieb am 20.11.2019
Durch einen Zeitungsbericht über "Verschickungskinder" wurden wieder Erinnerungen wach. Im Februar 1962 wurde ich auf ärztliche Anordnung für 6 Wochen nach Scheidegg im Allgäu in das "Haus Hubertus" geschickt. Ich war damals 6 Jahre alt, ein schlechter Esser und sollte zunehmen. Das sollte im Heim erreicht werden, indem die Teller immer leergegessen werden mussten. Beim Frühstück sah das so aus: Es gab einen großen Teller Grießbrei und zwei Marmeladebrote. Grießbrei mochte ich nicht und konnte immer nur die Hälfte davon essen. Auch schaffte ich nur ein Marmeladebrot. Also musste ich sitzen bleiben, bis alles aufgegessen war. Mittags kam das Mittagessen dazu und abends das Abendbrot. Oft saß ich tatsächlich bis abends alleine im Speisesaal. Die "Tanten" hatten kein Mitleid mit mir.
Regelmäßig wurden Kinder dort mit dem Teppichklopfer geschlagen. Die Gründe für die Schläge weiß ich nicht. Prügel bekam ich, weil ich eine Tafel Schokolade, welche meine Eltern mir zum Geburtstag geschickt hatten, versteckte. Ich sollte alle Geschenk mit den anderen Kindern teilen. Allerdings habe ich später herausgefunden, dass die anderen Kinder meine Süßigkeiten auch nicht bekommen haben. Wahrscheinlich haben die "Tanten" mein Geburtstagsgeschenk aufgegessen. Bei der ärztlichen Kontrolle, die regelmäßig stattfand, musste ich sagen, dass die blauen Flecken durch einen Sturz von der Treppe kamen.
Ich erinnere mich auch daran, dass alle Kinder regelmäßig gewogen wurden. Die Kinder, die nicht zugenommen hatten, bekamen zusätzlich zum Essen eine weitere Ration.
Nach ein paar Wochen hatte eine der "Tanten" dann doch noch Erbarmen und nahm mich nach dem Mittagessen mit in die Küche, da ich wieder den Grießbrei und ein Marmeladebrot nicht geschafft hatte und auch vom Mittagessen war noch einiges im Teller. "Tante Gerda" fragte mich, was ich denn so richtig gerne esen würde anstelle Grießbrei und Marmeladebrot und ich wünschte mir ein Senfbrot (Butterbrot mit Senf bestrichen), was ich dann bekam und ganz aufessen konnte. Aber den anderen "Tanten" durfte ich nichts davon erzählen.
Ein anderes Kind hatte einmal einen Teil der Malzeit mit nach draußen genommen und im Schnee versteckt, weil es auch nicht alles aufessen konnte. Als einmal die Sonne länger scheinte, taute der Schnee und das entsorgte Essen wurde sichtbar. Da gab es eine lange Strafpredigt der Heimleiterin und uns allen wurde klargemacht, dass wir sehr schlechte Kinder seien, wenn wir Essen wegwerfen, während in Afrika alle Kinder Hunger leiden müssen.
Wir mussten regelmäßig schöne Briefe nach Hause schreiben. Allen Kindern wurde gesagt, was sie zu schreiben haben. Für die Kinder, welche noch nicht schreiben konnten, schrieben die "Tanten" die Briefe. So bekamen meine Eltern ausschließlich Briefe von mir, in denen stand, wie gut es mir doch ging und dass ich schon ein paar Kilo zugenommen habe.
Nach 6 Wochen durfte ich wieder heim. Meine Eltern und meine Geschwister holten mich in Stuttgart am Bahnhof ab. Meine Familie war mir fremd, nur den Vater erkannte ich sofort.
Zu Hause stellten meine Eltern fest, dass ich weniger wog als da, bevor ich fortgeschickt wurde.
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Beate Böttner, geb. Bleil schrieb am 20.11.2019
Über Ostern 1961, das war kurz vor meiner Einschulung und ich war oft erkältet und hustete, wurde ich zur „Erholung“ und Luftveränderung für 4 Wochen nach Storzeln nahe dem Bodensee verschickt. Meine Mutter brachte mich zum Stuttgarter Bahnhof und ich startete zusammen mit vielen anderen Kindern meine „Erholungsreise“. Diese für mich sehr traumatische Zeit hat vor allem meine Kindheit, aber auch mein weiteres Leben stark beeinflusst. Da ich ein „schlechter Esser“ war und für mein Alter klein und zierlich, sollte ich während meines Aufenthaltes vor allem tüchtig essen und zunehmen. Bei jeder Mahlzeit wurden die Kinder, je nachdem, wie schnell sie ihren Teller geleert hatten, in „ Kaiser, König, Kurfürst, Graf, Edelmann, Bettelmann, Bauer, Soldat eingeteilt. Ich saß oft alleine, manchmal zusammen mit ein bis zwei anderen Kindern noch lange, nachdem der letzte „ Soldat“ schon vom Tisch aufstehen durfte vor meinem vollen Teller und mir war so übel, dass ich mich das eine und andere mal in meinen Teller erbrochen habe. Lange Zeit habe ich gedacht, ich hätte geträumt, dass ich das Erbrochene aufessen sollte, heute weiß ich, dass dies real war. Die Erzieherinnen, eine hieß Elisabeth, waren furchteinflößende Personen ohne Empathie, die als Pädagogen komplett versagt haben. Meine Mutter erzählte mir, dass ich schon im Alter von 2 Jahren mittags nicht mehr geschlafen habe. Im Erholungsheim musste ich täglich zum Mittagsschlaf im riesigen Schlafsaal zu Bett, was für mich eine echte Tortur war. Manchmal zog mich die Cheftante aus meinem Bett mit in ihr Schlafzimmer, wo ich ganz alleine in ihrem Bett schlafen sollte. Zu Ostern bekam jedes Kind von zuhause ein Paket. In meinem befanden sich beim Auspacken außer den Süßigkeiten auch kleine Plüschküken und Häschen. Die fehlten, als ich mein Osterpäcken am nächsten Tag öffnete. Da ich nicht auf den Gedanken gekommen bin, dass mir das jemand wegnehmen könnte, dachte ich wiederum, ich hätte es geträumt. Meine Mutter bestätigte mir Jahre später, dass es kein Traum war. Statt meinen Plüschtierchen gab es für mich von der Obertante am Ostersonntag eine Rute mit der Drohung, sie würde zur Anwendung kommen, wenn ich künftig nicht aufessen würde. Alle anderen Kinder durften im Garten nach Ostereiern suchen. Anstatt zu essen wurde ich krank. In einer Postkarte an meine Eltern stand, dass ich eine leichte Erkältung hätte, es mir aber ansonsten gut ginge. In Wirklichkeit ging es mir beschissen schlecht, mein Heimweh war so groß, dass ich Fieber bekam und freiwillig im Bett geblieben bin. Ich erinnere mich, dass sich die Heimleiterin tatsächlich an mein Bett setzte und mich freundlich fragte, was ich mir denn zu essen wünschen würde. Ich wünschte mir Möhrengemüse und habe meinen Teller an diesem Tag im Bett liegend aufgegessen. Geschlagen wurde ich während meines Aufenthaltes nicht, aber die seelischen Hiebe und das Heimweh haben dazu geführt, dass ich ab diesem Zeitpunkt bis nach der Pubertät keine Nacht mehr ohne die Nähe meiner Mutter verbracht habe. Einzige Ausnahme war meine Oma. Mein ganzes Leben lang begleitet mich die schreckliche Kindheitserfahrung. Ich war kein böses oder unerzogenes Kind, fühlte mich aber jahrelang „schuldig“ und habe meiner Mutter erst Jahre später von diesen Vorfällen berichtet. Danach war ihr klar, weshalb ich nach meiner Ankunft am Hbf. Stuttgart für Tage nicht mehr von ihrer Seite wich und mich regelrecht an Sie geklammert habe. Noch heute sind diese Erfahrungen in manchen Lebenssituationen spürbar.
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Doris schrieb am 19.11.2019
Ich war 1971 für 6 Wochen nach Bad Soden Salmünster verschickt. Den Namen des Kinderheimes weiß ich nicht mehr. Es lag neben einer Kirche und wurde von katholischen Schwestern geleitet.
Wir durften in den Schlafräumen nicht miteinander sprechen. Wer das trotzdem tat, musste mit nackten Füßen auf den Steinfliesen im Flur vor der Tür still stehen.
Vor dem Essen mussten wir lange Zeit still sitzen, auf das Essen warten, sprechen war verboten. In den Suppen waren oft versehentlich Eierschalenreste. Wir mussten sie mitlaufenden. Vorher durften wir nicht vom Tisch aufstehen.
Wir bekamen Anwendungen: Massagen und Solebäder. Im Bad habe ich beobachtet, wie ein kleiner Junge von einer Betreuerin zur Strafe mit dem Kopf in einem Holzzuber mit Solewasser untergetaucht und so gehalten wurde. Von „unserer „ Betreuerin wurden wir schnell weitergescheucht. Keiner von uns Kindern hat ihm geholfen. Wir waren eingeschüchtert.
Ein Mal pro Woche mussten wir nach Hause schreiben.
Die Briefe mussten offen bei den Schwestern abgegeben werden. Uns wurde angedroht, dass unsere Eltern die Kur bezahlen müssten, wenn wir ihnen etwas Schlimmes schreiben würden.
Meine Eltern haben mir nicht geglaubt als ich zuhause von dem Erlebten erzählen wollte.
Heute habe ich die Reportage über das Treffen der Heimverschickungskinder auf Sylt gesehen. Es ist irgendwie tröstlich, dass ich ich mit meinen Erinnerungen nicht alleine dastehe.
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Klaus schrieb am 19.11.2019
Hallo, ich bin Klaus, Jahrgang 63. Durch die NDR Sendungen bin ich auf diese Seite gestossen. Es war wie ein Deja-Vu. Ich war 1970 kurz vor meiner Einschulung für ca 6 Wochen (gefühlt) im Kindererholungsheim Lensterhof bei Grömitz. Ich wurde, betreut von einem Rentnerehepaar, von Bad Harzburg aus mit dem Zug dorthin verschickt. Ein gleichaltriger Junge war noch mit dabei. Bei der Ankunft nahm man uns alles aus unserer persönlichen Tasche ab. Auch unsere Koffer wurden geöffnet und nach Kuscheltieren durchsucht, welche man uns sofort wegnahm. Ich übergab mich des öfteren nach oder bei dem Essen. Wie andere es beschrieben musste ich das zwar nicht wieder aufessen doch wurde ich dafür jedesmal bestraft. In Erinnerung blieb mir ein schrecklicher Pflaumenkompott. Erst später machte ich die Erfahrung, das er wirklich zum Kotzen schmeckt wenn man die Pflaumen vor dem Kochen nicht entsteint. Ich weigerte mich jedesmal und durfte zur Strafe nicht mit an den Strand, sondern musste in dem Schlafsaal bleiben. Geschlagen wurden wir öfters, auch ins Gesicht. Manchmal bis zum Nasenbluten. Ich war damals etwas aufmüpfig, doch das wurde schnell aus mir rausgeprügelt. Eine vorgedruckte Ansichtskarte in der handschriftlich mein Name eingesetzt wurde , war die einzige Nachricht, die meine Mutter erhielt. " Ihrem Kind Klaus geht es gut..." Ich habe sie Jahre später noch einmal in der Hand gehabt und sie war unterschrieben von der Tante, die mich immer drangsalierte. Sie hieß Jonnisek oder so ähnlich. Sie verpasste mir auch die Nasenbluten und stellte mich gerne in die Mitte um mich vor den anderen zu beschimpfen und zu demptigen. Während meiner alleinigen Strafzeiten beaufsichtigte mich noch eine von den freundlichen Tanten, sie teilte mit der anderen ein Zimmer. Sie mochte mich und ich durfte sie auf ihrem Zimmer besuchen und sah sofort mein Kuscheltier, eine Steiff-Schildkröte. Sie nahm mich mit in ihr Bett, kuschelte mit mir und gab mir dann die Schildkröte zurück. Später bekam ich noch Bonbons von ihr für jede "Kuschelrunde"
Ich empfand diese Nähe als wohltuend, weiss aber nicht mehr, ob sie was mit mir anstellte, ich wage nicht weiterzudenken. Ich weiß nur noch, das ich später zu Hause grosse Stotterprobleme hatte, die sich erst in der Grundschulzeit wieder verflüchtigten. Auch jahrelange Jaktation ( Kopfwackeln vor dem Einschlafen) hatte ich seit dieser Zeit. Heute ist es ein durchaus freundliches und auch positiv bewertetes Landschulheim. Damals im Sommer 1970 kam es mir vor wie ein Kinderstraflager, der Horror und das erste und einzige mal in meinem Leben erfuhr ich Heimweh. Später erfuhr ich noch, das mir Post von meiner Familie nie zugestellt wurde. In den 80er Jahren bin ich dort noch einmal vorbeigefahren, habe kurz gestoppt und sofort überfiel mich eine eisige Kälte, so dass ich schnell weiterfuhr.
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Daniela Anders-Wongel schrieb am 19.11.2019
Hallo, ich war ca 1967 in einem Heim auf sylt. Es war die Hölle. Mein ganzes Leben war die Hölle. Ich war damals ca 4 bis 5 Jahre alt. Ich würde dort noch kränker. Man hat mich alleine im Schlafsaal liegen lassen. Ich wurde mit einem Darmfehler geboren, was bis heute noch ist, ich war immer zu dünn, darum musste ich dort hin. Ich glaube, meine Mutter war froh, hatte sie doch 6 Wochen Ruhe vor mir und meiner Darmkrankheit. Es war die Hölle in dem Heim. Ich HASSE heute noch etliche Kinderlieder . Das einzige was ich mitgenommen habe, ist, dass ich heute noch Joghurt pur esse. Das Essen dort war furchtbar. Hat man nicht gegessen oder war krank, wurde man geprügelt. Das kannte ich ja schon von meiner Mutter. Ich würde gerne noch einmal auf Sylt fahren und mit der Vergangenheit abschließen, damit ich mit 56 endlich zur Ruhe komme. Mein Mann würde auch mit mir fahren, wenn es inzwischen nicht so teuer geworden wäre. Ich glaube, mein damaliges Heim ist heute eine Ferienunterkunft für Familien geworden. Aber die Erinnerung lässt mich nicht los. Meine Eltern bzw meine Mutter kann ich nicht mehr fragen, sie sind beide vor 20 Jahren mit ca Mitte 50 verstorben. Ich habe auch eine Tochter bekommen, sie hat meine bedingungslose Liebe bekommen. Ich habe die Fehler meiner Mutter nicht wiederholt. Heute bin ich krank, habe Depressionen, meine Kindheit hat mich geprägt. Ich wünsche das in der heutigen Zeit niemanden. Ich hätte und habe mein Kind immer bei mir gehabt. Noch heute kommt sie ständig zu uns und ihr Papa hilft ihr immer noch, zB was ihr Auto angeht. Ich liebe meine Tochter über alles.
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Katja Rast schrieb am 19.11.2019
Auch ich wurde 1977 zur "Erholungskur" mit meiner kleinen Schwester verschickt. Meine Schwester war 3 und ich 8. Sie schickten uns mit einem Sammelzug nach Pollingen in ein Katholisches Kloster in Garmisch Partenkirchen. Bis heute verfolgen mich diese Bilder. Die Kinder wurden geschlagen, wenn sie nicht machten was die Nonnen sagten. Ich hatte ja keine Ahnung, dass es so viele Menschen gibt, die ebenfalls so grausame Erfahrungen haben. Wir mussten sehr oft in deren Kirche und lange hat der Weihnrauch-Geruch immer wieder diese Erinnerungen nach oben geholt.
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P.F. schrieb am 19.11.2019
Hallo Frau Röhl, ich bin durch einen Zeitungsartikel auf Ihre Seite gestoßen.
Ich wurde 1978 ins Hochwald- Kindersanatorium (heute Edelsteinklinik) geschickt um meine "Lungenprobleme" in den Griff zu bekommen. Ich war 4 Jahre alt. Mit vielen anderen Kindern wurde ich mit einem Sammeltransport zu dem Sanatorium gefahren.Ein Schild mit meinem Namen und dem Zielort war alles was ich im Zug dabei haben durfte.
Ich bin sicher, dass Schwester Dora, Klasse 1, nett war. Jedenfalls glaub ich das wenn ich Ihre Postkarten lese, die Sie meinen Eltern geschickt hat. Erinnerungen hab ich nur als Gerüche gespeichert. Bis heute kann ich eine bestimmte Tomatensoße nicht riechen...Sie hat mich als umgänglich und ruhig beschrieben. Ich glaube, Sie konnte nicht unterscheiden was "umgänglich" und " total verschüchtert" war, oder wollte Sie meinen Eltern kein "Kummer" machen. Das schlimmste war einfach das unsägliche Heimweh. Selbst meinen 5. Geburtstag musste ich dort feiern. Als ich nach 6 Wochen wieder zu Hause ankam, war alles anders. Wie soll ein 5 jähriges Kind sich den Eltern gegenüber artikulieren. Wie Ihnen sagen wie fürchterlich, beängstigend und grausam eine 6 wöchige Trennung ist? Im Grunde mache ich meinen Eltern keinen Vorwurf, sie wollten wahrscheinlich nur "mein Bestes". Das ich ein Traumata erlitten habe und es bis heute nur schwer verarbeiten kann, schreibe ich der Kinderärztin und der LVA zu, die diese Kur für "unbedingt notwendig" erachtet haben.
Meines Erachtens liegt ihr der springende Punkt. Jedenfalls für mich.
Dieser Kuraufenthalt zieht sich durch mein ganzes bisheriges Leben.
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Edwin Schäfer schrieb am 19.11.2019
Ich war als Kind 2 x in Erholung. Erst in Marwang/Bayern, ca. 1960. Das war schon horrormäßig was die Nonnen dort veranstaltet haben. Beim Baden Seife in die Augen gerieben und bei ansteckendem Hausausschlag mit Armmanschetten gefesselt, damit man sich nicht kratzen kann. Fingernägel sind giftig hieß es. Vorführung bei einem Arzt: Fehlanzeige. Schlechtes Essen und immer nur Kümmelbrot. Ekelhaft!
Dann 1963 6 Wochen in Wyk auf Föhr. Das war ganz anders. Keine böse Nonnen, nette Betreuerinnen, viel Unternehmungen und viel Spaß. Daran denke ich gerne zurück!
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Monika Klebe schrieb am 19.11.2019
Hallo Horst, ich wurde dort 1967 im Jahr meiner Einschulung hingeschickt, weil ich angeblich so "zahrt"war. Es war grauenvoll. Wir wurden zum Essen gezwungen, bis sich einige Maedchen übergeben mussten. Die Badezimmer waren irgendwie im Keller und wenn man zögerlich unter die kalte Dusche ging, wurde man geschlagen. Ich habe 6 Wochen nichts von meiner Familie gehört und hatte grauenvolle Angst und Heimweh. Aber meine Mutter war voll von der ganzen Sache ueberzeugt. Was sie mir damit angetan hat ist ihr bis heute nicht klar. Ich bin ein sehr ängstlicher Mensch geworden. Im Internet kann man noch alte Postkarten von dem Kinderheim finden. Ich kann mich an alles erinnern und bekomme Beklemmungen, wenn ich durch Lueneburg fahre. Liebe Gruesse Monika
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Jochen Winkler schrieb am 18.11.2019
Ich war 1961 mit gerade mal fünf Jahren im Kinderheim Hirschegg/Kleinwalsertal und kann die Erinnerungen der anderen nur bestätigen. Allein mit dem Zug mit umgehängter Namenskarte in eine völlig unbekannte Umgebung geschickt, erwiesen sich die Tage dort als reine Tortur. Streng und unnachgiebig behandelt, kein freundliches Wort. Wir bekamen morgens und abends gerade mal eine Tasse Milch zu trinken, sodass alle immer fürchterlichen Durst hatten. Bei Wanderungen hätten wir am liebsten aus den Bächen getrunken. Jungs, die in die Hose gemacht hatten, mussten unter eine kalte Dusche und wurden abgebraust. Ich hatte mich mit Masern dort angesteckt und wurde in ein dunkles Zimmer gelegt, wo ich keinerlei Behandlung, sondern nur die notwendige Nahrung bekam. Es geschah so viel Ungeheuerliches, das ich hier aber nicht weiter ausbreiten möchte. Alles dies hat bei mir bis heute ein Trauma hinterlassen,
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Cornelia Weller (Stauch) schrieb am 18.11.2019
Hallo Christa, ich war auch in Bad Dürrheim, aber wahrscheinlich früher als Du. Ich kann mich gut an die Grausamkeiten der "Schwestern" erinnern. Dort wurde mir wegen Heulens im Schlafsaal der Teddy weggenommen..Mein Heimweh kann ich heute noch körperlich spüren. Geblieben sind mir seit der Zeit enorme Verlustängste, ich habe z.B. in Beziehungen ausgehalten, die mir nicht gut taten, nur um nicht noch jemand zu verlieren.
Wenn ich bisher in seltenen Fällen jemand von diesen Sachen berichtet habe, hieß es immer "stell Dich nicht sn, das waren doch bloß 6 Wochen". Nur sind 6 Wochen für eine Kinderseele eine Ewigkeit..
Ich denke, es hilft zu wisen, dass man nicht fantasiert hat (O-Ton meiner Mutter), dasses wahr ist und dass man nicht Schuld ist.
Liebe Grüße Conny
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Cornelia Weller (Stauch) schrieb am 18.11.2019
Ich bin so froh, auf diese Seite gestoßen zu sein. Dachte immer, es sei nur in meinen Verschickungsheimen passiert. Komme aus Karlsruhe und war überwiegend im Süden "verschickt ". Angeblich wegen chronischer Bronchitis, wohl aber eher, um meiner alleinerziehenden Mutter anfangs bis Ende der 60iger Jahre Freiraum in den Ferien zu schaffen. Habe 8 x die Heime genossen. In einem war die Strafe zu einem kleinen Jungen ins Bett gelegt zu werden, der jede Nacht einnässte. Noch Jahre später habe ich davon geträumt, zu ihm ins Bett zu müssen.
Stundenlang musste ich vor Griesbrei sitzen, obwohl mir alleine der Geruch schon immer Brechreiz verursachte. Als ich ihn dann gegessen habe, musste ich brechen und die "Schwester" zwang mich, das Erbrochene zu essen. Haferschleimsuppe ging auch gar nicht, deshalb wurde mir in einem anderen Heim, die Nase zugehalten und das Zeuge in den Mund gezwungen. Als ich das Zeug dann im Flur erbrach, musste ich das selbst wegwischen, Postkarten nach Hause wurden zensiert, Päckchen geöffnet, Süssigkeiten für die armen Kinder in Afrika konfisziert (katholisches Heim). Meine Großeltern, die mich besuchen wollten, wurden weggeschickt, weil wir angeblich eine Wanderung machten, ich habe sie aus dem Speisesaal gesehen, wie sie weggingen.
Stundenlang mussten wir zur Strafe still auf Stühlen sitzen, wer sprach wurde ins Bett der Krankenstation gesteckt.
An eine "Wanderung " kann ich mich erinnern. Ich war circa 6 Jahre alt, meine Freundin war durch eine Kinderlähmung gehbehindert. Wir mussten einen Steilhang im Wald hochklettern, um Tannenzapfen zu sammeln. Zusammen mit 6 oder 7 Kindern rutschten wir ab und konnten uns nur an Bäumen festhalten, meine behinderte Freundin schrie laut und bekam dafür Schläge. Abends mussten wir dann ohne Essen zur Strafe ins Bett.
Als ich im ersten Kinderheim vor Heimweh lsut heulte, wurde mir mein geliebter Teddy weggenommen, ich habe ihn nie mehr gesehen.
Bis auf den Aufenthalt in einem "guten" Heim kam ich jedes Mal schwer traumatisiert nach Hause. Noch Wochen danach habe ich kein Wort gesprochen, mich an meine Oma geklammert, wenn sie das Haus verlassen wollte.
Ich denke, dass ich viele Erlebnisse aus diesen Heimen verdrängt habe und mir nur die schlimmsten im Gedächtnis blieben.
Das einzige Heim, das ich in guter Erinnerung habe, war der Schafhof bei Lenzkirch.
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Kurt P. schrieb am 17.11.2019
Hallo, ich war auch mehrmals in "Kur". Bad Reichenhall, 2x Spiekeroog und zuletzt mit ca. zwölf Jahren in Berchtesgaden. Ich kann mich kaum an Details erinnern. Lediglich bestimmte Schlüsselreize haben im Laufe der Jahre immer wieder Reaktionen hervorgerufen. So z. B. bestimmte Gerüche bzw Geschmäcker z B. Rote Beete. Sofort überkommt mich Übelkeit. Ich kann mich nur noch vage erinnern, das ich als Kind (~4), gezwungen worde dieses Gemüse zu essen. An eine Bestrafung bei der ich nicht mitspielen durfte sondern isoliert, stehend die Zeit verbringen musste. Eigentlich kann ich mich an viele Dinge meiner Kindheit genau erinnern. Aber, die Geschehnisse, Orte und Menschen dieser Episoden bleiben für mich total im Dunkeln. Zum Teil kam ich auch krank wieder aus diesen Heilkuren. Geht es euch auch so, das ihr gar nicht an die Etinnerungen heran kommt? Sondern nur ein mulmiges Gefühl entwickelt wenn ihr getriggert werdet? Ich kann mich nicht einmal an eine positv besetzten Eindruck aus dieser Zeit erinnern. Seltsam!?
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Dr. Barbara Kaufmann schrieb am 16.11.2019
Ich bin zufällig bei Internetrecherchen zu einem anderen Thema auf diese Seite gekommen.Dreimal Kinderverschickung ( oder einmal davon Landschulheim, meine Mutter kann und oder will sich nicht wirklich erinnern,sie ist 85 Jahre alt und im Pflegeheim), mit 5 Jahren 6 Wochen Wyk auf Föhr und mit 8 Jahren 6 Wochen Ratzenried.
Ich frage mich heute, inwieweit diese Aufenthalte meine Persönlichkeit mitgeprägt / beeinflusst haben. Seit ich per Zufall auf diese Seite kam, beschäftigt mich diese Frage und die Suche nach Erinnerungen sehr intensiv!
Ich war mit 5 noch ein Nuckelkind und wurde laut Aussage meiner Mutter "mitgegeben", damit das Kind einer Freundin da nicht so allein ist. Dieses Mädchen habe ich in diesen 6 Wochen so gut wie gar nicht gesehen oder gesprochen. Ich habe mich nicht getraut, an der Bettwäsche zu nuckeln, wie daheim und habe verzweifelt auf Papiertaschentüchern genuckelt, so gut es ging, die ich bekam, weil ich Schnupfen vorgetäuscht hatte. ich kann mich erinnern, dass die Tanten eines Abends bei allen Kindern die Bauchnäbel (?????) kontrolliert hatten auf Sauberkeit und ich hatte große Angst, ihren Erwartungen nicht zu entsprechen und habe an dem Bauchnabeln gerieben und gerieben und als die Tante meinen kontrollierte, hat sie sich gefragt, warum der so rot ist, hat aber dann wieder schnell das Interesse verloren.
Ich war mir bei der Froschaugensuppe nicht sicher, ob das wirklich Froschaugen waren...
Mit 8 Jahren war ich bei den katholischen Nonnen in Ratzenried für 6 Wochen, im August 1970, es gibt noch zwei Gruppenbilder aus der Zeit mit Schwester Lioba und der Hauswirtschafterin Marianne. Das Schlimmste dort war der Schlafsaal mit 40 Kindern, ich bin mir nicht sicher, ob der mit Jungen und Mädchen belegt war, bis 11 Jahre, ab 12 waren die Kinder im Stock darüber untergebracht. Man durfte sich nachts nicht im Bett bewegen und wer das doch tat, wurde im Dachboden mit den leeren Koffern eingesperrt. Es herrschte Essenszwang und wir mussten kalt duschen. Wir durften unsere Kleidung nicht selbst aussuchen und es gab keine Süssigkeiten, außer wenn ein Kind ein Päckchen bekam, wurde 50% des Inhalts an die anderen verteilt.
Auf dem Rückweg bekam ich ein Oberteil eines Hosenanzugs als Kleidung und die Bitte nach der Hose wurde mir verwehrt. Ich saß 12 Stunden im Zug von Ratzenried nach Hamburg ohne Jacke und Hose. Die Post wurde zensiert und meine Mutter erwartete ein rotbackiges Moppelchen am Bahnhof und es stieg ein blasses, mageres, durchgefrorenes Kind mit Augenringen aus. Meine Mutter sagt noch heute, sie hätte mich fast nicht erkannt und ich konnte nicht mehr aufhören zu schluchzen. Ich hatte keine einfache Kindheit mit einer alleinerziehenden Mutter in den 60iger Jahren, aber das war die allerschlimmste Zeit.
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Susanne H. schrieb am 16.11.2019
Hallo zusammen,
nun habe ich mich auch entschlossen, hier meine Geschichte zu erzählen. Ich weiss leider nicht mehr sehr viel, da ich wohl einiges verdrängt habe.
Im Sommer 1966 (ich war 6 Jahre alt) bin ich alleine in ein Heim nach Bad Dürrheim gefahren. Leider weiss ich nicht mehr ganz genau wie das Heim hiess, meine Mutter hat alle Unterlagen wohl weggeschmissen. Nach Bildern zu urteilen, war es wohl das damalige DRK Heim. Ich war anscheinend zu dünn.
Ich wurde in einen Zug gesetzt und erinnere mich daran, dass der Zug durch unheimlich viele Tunnel fuhr. Am Heim angekommen empfing mich eine "Tante" mit fürchterlich vorstehenden Zähnen, die in meine Augen wie eine Hexe ausgesehen hat. Wir mussten sehr viel essen und wenn ich den Teller nicht geschafft hatte, dann bekam ich noch einen zweiten dazu. Wir mussten alle bis zum Hals in einer Badewanne mit Salzwasser liegen und durften uns nicht bewegen! Meine Oma hatte mir damals ein Paket geschickt. Meine Mutter wurde von einer Tante Minna angeschrieben, mit der Bitte, meine Oma solle dies doch bitte unterlassen.
Meine Mutter erzählte mir später, dass ich nach der Rückkehr sehr verstört gewesen war, habe viel gebetet, wollte nachts nicht schlafen und habe immer nachgefragt, ob sie böse auf mich sei. Ich wollte danach nicht eingeschult werden, da ich dachte sie schickt mich wieder weg. In ihrem Tagebuch hatte meine Mutter geschrieben: "Wer weiss, was sie dort mit ihr gemacht haben"
Ich habe noch ein Foto, wo ich mit 5 weiteren Mädchen draussen vor einem Taubenschlag oder ähnliches sitze. Ein Mädchen, es hiess Simone und war 8 Jahre alt, hat sich sehr um mich gekümmert. Mehr weiss ich leider nicht mehr.
Diese Zeit hat mein Leben geprägt. Mein Selbstbewusstsein hat darunter wohl stark gelitten.
So, dass war es erstmal von mir. Ich bin froh, dass ich es jetzt einfach mal so erzählen konnte.
Alles Liebe
Susanne
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fraukec.d@gmail.com schrieb am 12.11.2019
1959 Wyk auf Föhr Die Hölle.Milchsuppe trotz Allergie.Schlafen im Jungszimmer.Eingesperrt.Sitzen Bit Mittag mit Milchsuppe.Nur noch kotzen.
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Tina schrieb am 12.11.2019
Hallo.
Ich bin nur zufällig auf den Bericht gestoßen und wahrscheinlich eine der Jüngsten "Opfer".
Leider habe ich auch noch keine Zweitmeinung zu meiner " tollen" ,unvergesslichen Kureinrichtung gefunden. Seit Jahren verfolgt es mich. Und eigentlich bin ich auch auf der Suche nach meinen Zimmergenossen ( ein Junge und ein Mädchen), um herauszufinden, ob ich mich nicht täusche und es Tatsache alles so stattgefunden hat und ob sie genauso darüber denken und fühlen ,wie ich.
Es war März/ April 1990 Wendezeit.
DDR Regime noch in voller Blüte.
Ein Schularzt hatte mich kurz vor Einschulung dahin geschickt- in meinen ganz persönlichen Alptraum für 6 Wochen.
Zum Zunehmen- ich sah wohl danach schlimmer aus, als wie ich hingefahren bin. Es war für mich schrecklich. Ich saß am ersten Tag vor meiner Gräupchensuppe und hatte nur geweint.
Niemand hat mich getröstet- nur strenge Blicke.
Dies hat sich auch durchgezogen- das Strenge.
Ich weiß noch, dass wir das letzte Zimmer Treppe raufkommend links hatten. Neben uns war ein 4 Bettzimmer mit 4 frechen Jungen.
Sie haben mein Lieblingskuscheltier kaputt gemacht.
Darüber war ich sehr traurig- auch da kein Trost.
Nun zur Einrichtung:
Wir mussten stundenlang ewig durch den Wald spazieren gehen, Wassertreten im dunklen Keller mit Smaragdgrünen Fliesen, man musste vor seiner Leberwurst Schnitte sitzen bleiben, bis man sie aufgegessen hatte. Kleine 5/6 Jährige kinder hatten einen Nachttopf unterm Bett, den jedes Kind abwechselnd morgens entleeren musste.
Nachts lauschten wir an der Tür und hörten das Nachtpersonal Schuhe putzen.
Von Liebe und Trösten keine Spur.
Und dann kam das Schlimmste- Windpocken.
Bis ich überhaupt untersucht wurde, dauerte Stunden, anschließend wurde ich ins Zimmer isoliert ohne Spielzeug, Bücher, etc....man hat ewig niemand gesehen. Ich wollte nur nach Hause. Mir ging es sehr schlecht.
Später habe ich erfahren, dass meine Eltern telefonisch darüber informiert wurden und alles gut dargestellt wurde. Trotzdem sind sie gekommen und wollten mich besuchen- vielleicht hätten sie mich mitgenommen. Doch nein, sie wurden an der Tür abgewimmelt " zum Wohle des Kindes ". Ich musste Tatsache da bleiben und habe noch nicht einmal meine Eltern gesehen. Wie kann man nur so grausam sein?
Leider sind es nur wenige Erinnerungen, doch leider kann ich nichts Positives berichten.
Meine Eltern haben mir berichtet, als sie mich abholten, habe ich kein Wort mehr mit ihnen gesprochen. Wie tief muss diese Kinderseele verletzt gewesen sein und geschädigt? So sehr, dass es mich nach 30 Jahren immer wieder einholt und nicht in Vergessenheit gerät.
Diese sogenannten "Erzieherinnen" sollten sich in Grund und Boden schämen.
Ich würde es Ihnen so gerne selbst sagen und fragen, warum sie sich so verhielten....
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Matthias G. schrieb am 10.11.2019
Hallo zusammen, mit Interesse habe ich den Bericht von Report Mainz gesehen und bin im nachherein auf diese Seite gestoßen.
Ich selbst war 1976 als 6jähriger für 6 Wochen zur "Kur" in Berchtesgaden. Seit der Reportage sind viele Erinnerungen und Bilder, die verdrängt, vergessen und zum Teil auch verarbeitet waren, wieder "hochgekommen". Es war mir schon bewusst, dass das Erlebte in den Bereich Kindesmisshandlung fällt. Jedoch habe ich es bisher als einen von wenigen Einzelfällen angesehen. Das die menschenunwürdige Behandlung von Kindern bundesweit solche Ausmaße hatte, war mir bisher nicht klar.
1976 kam die Frage auf, ob ich mit 6 oder 7 Jahren eingeschult werde - ich bin ein paar Tage nach dem Stichtag geboren und somit ein "Grenzfall". Nach erfolgter Schuleingangsuntersuchung kam statt der erwarteten Einschulung im Sommer die Empfehlung von Krankenkasse (Barmer Ersatzkasse) und Arzt, für 6 Wochen zur Kur nach Berchtesgaden zu reisen. Ich hatte in der Zeit oft Bronchitis, häufige Hautausschläge (Neurodermitis) und war auch noch ein "schlechter Esser".

An die Fahrt kann ich mich nicht mehr erinnern; nur an einen grünen Rucksack, den ich von der Barmer bekommen habe. Dieser diente vielleicht als Erkennungszeichen, dass ich zu der Verschickung gehöre. Von den Süßigkeiten, die mir meine Eltern und meine älteren Geschwister eingepackt haben, habe ich nach meiner Ankunft nie wieder etwas gesehen.
Die Bilder vom Inneren das Gebäudes sind in der letzten Zeit wieder vermehrt in meinem Kopf aufgetaucht: viel dunkles Holz, die Medikamentenausgabe vor der Treppe nach oben, der Schlafraum und die Stelle wo mein Bett stand und der riesige Speisesaal mit angrenzendem Gemeinschaftsraum.

Der Speisesaal und der damit verbundene Esszwang sind mir noch sehr präsent: wenn ich mich recht erinnere, war es jeden Dienstag. Da gab es als Vorspeise eine eklige Suppe und danach Pfannkuchen. Die Pfannkuchen haben natürlich nur die bekommen, die die Suppe aufgegessen haben. Einmal habe ich es geschafft, die Suppe runter zu würgen und fand die Pfannkuchen echt lecker - hat sich aber nicht wiederholt. Ein anderes Mal saß ich alleine im Speisesaal vor meiner Suppen, während nebenan im Gemeinschaftsraum eine Veranstaltung stattfand.

Toilettengänge waren wohl auch nicht jederzeit möglich. Als ich wieder zuhause war, habe ich ein Gedicht aufgesagt, von dem ich noch das Ende kenne: „... und bist du endlich an der Tür, dann fehlt auch noch das Klopapier." Ich kann mich an Situationen erinnern, wo ich eingenässt habe und in eine Ecke musste, bis alles getrocknet war. Erst dann durfte ich wieder zurück zu den anderen Kindern (ohne frische Kleidung).

Dass andere Kinder im Speisesaal etwas aufsagen oder vorlesen mussten, habe ich noch im Gedächtnis. Worum es da ging weiß ich nicht mehr, aber das ungute Gefühl spüre ich immer noch.

Ein Highlight war es, wenn wir auf dem Pony "Frieda" reiten durften. Aber auch da war der Sadismus der Betreuer latent vorhanden: Das Pony wurde immer um einem Baum mit einem tiefhängenden Ast geführt. An der Stelle wo der Ast war mussten wir immer den Kopf einziehen. Ein Junge hat das mal vergessen und während er behandelt wurde hieß es von den Betreuern, dass er blöder wäre als das Pony - das hat nämlich an der Stelle immer den Kopf gesenkt. Ansonsten wurde der Kontakt mit dem Tier genutzt um Fotos an die Familie zu schicken, die eine schöne heile Welt vorspielen.

Wenn ich die anderen Berichte lese, weiß ich, dass ich "glimpflich" davongekommen bin. Doch bin ich froh und dankbar für diese Plattform und darüber, dass dieses dunkle Thema nun mehr und mehr öffentlich wird.
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Gabriele schrieb am 09.11.2019
Ich wurde 1943 im Dortmunder Norden geboren. Ich war immer sehr blass und hatte Untergewicht. So wurde ich vom Diakonischen Werk aus im Sommer 1951 in ein Ferienheim im Sauerland oder Hessen (ich erinnere mich leider nicht mehr genau), verschickt.
Schon auf der Hinfahrt mit dem Bus war ich Demütigungen ausgesetzt: Der Bus musste anhalten, weil ich mich übergeben musste. Die Betreuerin wusch mein Gesicht mit Cola ab; es klebte fürchterlich und die Betreuerin lachte, weil ich "wie ein Neger aussehe". Dann war ich dem Gespött der Kinder ausgesetzt.
Ich hatte Zöpfe und konnte meine Haare noch nicht selber kämmen. Die Betreuerin bürstete so brutal mein Haar, dass mir ein Büschel Haare ausgerissen wurde. Sie konnte darüber nur lachen und animierte auch die anderen Kinder dazu. Das brutale Bürsten wiederholte sich täglich.
Gegessen werden musste alles, ob man es mochte oder nicht, man sollte ja zunehmen.
Die Karten, die meinen Eltern schrieb, enthielten immer die gleichen Text: "Noch soundsoviel Tage und ich bin wieder zu Hause."
Meiner Erinnerung nach hat man sich wenig um uns gekümmert, wir waren tagsüber meistens uns selbst überlassen. Als kleines, schüchternes Kind habe ich das als sehr schlimm empfunden.
Als mich meine Mutter nach diesem Ferienaufenthalt (4 Wochen) am Bahnhof abholte, erkannte sie mich nicht wieder und lief an mir vorbei. Sie erzählte mir später, dass ich so verwahrlost ausgesehen habe, auch die Stelle mit den herausgerissenen Haaren hat sie wahrgenommen. Sie ist dann mit zur Bahnhofstoilette gegangen um mein Gesicht zu waschen. Sie schämte sich, so mit mir nach Hause zu fahren. Heute beschäftigt mich besonders, dass meine Mutter mich damals nicht bedauert, sondern sich für mich geschämt hat.
So war das, aber ich hatte 1 kg zugenommen.
Da sich meine Eltern nicht beim Diakonischen Werk beschwerten, dachte ich, dass ich als Kind die Behandlung so ertragen musste.
Ich hatte alles verdrängt, bis jetzt, nachdem ich den Artikel über Verschickungskinder in der Zeitung (Ostfriesische Zeitung) las.
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Frida schrieb am 06.11.2019
Hallo Anja. Bin gerade auf dein Post aufmerksam geworden.
İch finde es unglaublich.
İch bin aus berlin und wurde 1980 in ein Kinderkurheim verschickt, ich war 6 Jahre und ich denke, es war auf der İnsel Wyk auf Föhr. İch war habe null Erinnerung an diese Zeit. Meine Mutter war allein erziehend und schon lange verstorben, so dass ich sie nicht mehr fragen kann.
İch habe mich immer gefragt, warum ich mich an diese Zeit nicht erinnern kann.
So Schade, dass ich nicht zur Konferenz kommen kann.
Aber die ganzen Kommentare zeigen mir, dass meine Verdrängungsmechanismen schon richtig waren. Wer weiß, was ich da erlebt habe.

War jemand 1978 auf der İnsel Wyk auf Föhr?

Danke für die wertvolle Arbeit.
??
Frida
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Carolin Wortmann schrieb am 06.11.2019
Hallo Frau Röhl,

auch ich musste vor Schulbeginn in so ein Verschickungsheim – mir war aber das unglaubliche Ausmaß nicht bewusst. Deshalb finde ich es sehr gut, dass Sie sich dieses Leidens angenommen haben und möchte auch meine Geschichte kurz beschreiben.

Eigentlich war ich zu klein, um mich detailliert erinnern zu können. Ich hätte vom Alter her beide Kurzschuljahre (in denen man den Schuljahresbeginn von Ostern in den Sommer verlegt hatte) mitmachen müssen, wurde aber zurückgestellt, da ich damals „so zart war“. Ich war also fünf oder sechs Jahre alt. Es muss im Frühjahr 1966 gewesen sein, denn ich kann mich an Schnee erinnern. Mein Vater hatte mich mit dem Auto in den Schwarzwald (meine Mutter meinte, es sei in Todtmoos gewesen, weiß es aber auch nicht mehr genau) in ein Heim gebracht, das von Nonnen geführt wurde. Alle Frauen hatten eine Ordenstracht an, an männliche Aufseher kann ich mich nicht erinnern. Ich wurde nicht sexuell missbraucht und kann mich auch an Schläge nicht erinnern. Also ging es mir wohl besser als vielen anderen Leidensgenossen/innen.

Erinnern kann ich mich an wahnsinniges Heimweh und Verlustängste und, dass wir eigentlich immer nur einen Blechnapf und einen Löffel zum Essen in der Hand hatten, d. h. es gab immer nur Brei oder Suppe. Brei kann ich bis heute nicht essen – ich glaube, ich müsste nah am Verhungern sein, um das runter zu kriegen. Es gab immer unglaublich heftigen Streit um das wenige Spielzeug – ich habe eine ganz undeutliche Erinnerung, dass ich, um den Streit zu vermeiden, viel gemalt habe. Mittagsschlaf wurde auch erzwungen – in riesigen Schlafsälen. Weinen durfte man nicht, also habe ich entweder die Bettdecke über den Kopf gezogen, damit man mich nicht erwischte oder aus dem Fenster gesehen (das mir zugeteilte Bett stand so, dass ich rausschauen konnte) und mich weggeträumt. Wir haben viele Wanderungen unternommen (ich glaube täglich) und mussten immer zu zweit gehen. Ich habe zugesehen, dass ich weit nach hinten kam und habe mir dann vorgestellt, dass ein Wolf käme (meiner damaligen Vorstellung nach musste es im Schwarzwald einfach Wölfe geben) und mich aus dieser Situation befreien würde. Was der wohl dann getan hätte, da endete meine Phantasie.

Die schrecklichste Erinnerung war die, dass ich es nicht geschafft hatte, wegen Durchfalls rechtzeitig zur Toilette zu kommen und mir daher meine Unterhose entsprechend verschmutzte. Ich musste sie vor den Augen aller anderen Kinder ausziehen, selbst auswaschen (mit fünf/sechs Jahren!) und wurde entsprechend zurechtgewiesen. Das war unglaublich demütigend. Einmal hatte ich es rechtzeitig geschafft, in den Toilettenraum zu kommen, es waren aber alle Toiletten besetzt. Das wiederum heißt, dass ich nicht die Einzige mit Durchfall war.

Ich sollte vier Wochen bleiben, das Heim hatte dann entschieden, dass ich noch weitere zwei Wochen dort ausharren müsste.

Mein Leiden fing eigentlich danach, ca. 2 Jahre später an – mittlerweile hat sich herausgestellt, dass die Ursachen in dem Heimaufenthalt zu finden sind. Mit sieben Jahren bekam ich „Heuschnupfen“, Allergien, die sich mal im Anschwellen der Schleimhäute, mal als Ausschlag auf der Haut zeigten, mal zu Kurzatmigkeit führten. Die Allergieauslöser wechselten auch immer mal. Ich bekam hintereinander mehrere Mittel dagegen – viel, denn in den 60er, 70er Jahren glaubte man, viel hilft auch viel. Ich bekam u. a. Kortison (seitdem kämpfe ich gegen mein Hüftgold an), Desensibilisierungsspritzen, Antihistaminika usw. Ich habe also meine halbe Kindheit und Schulzeit verschlafen, weil mich die Antihistaminika so müde machten. Meine sozialen Kompetenzen habe ich eigentlich erst viel später entwickelt. Jahrelang hatte ich unglaubliches Bauchweh – da man nichts finden konnte, hat mir mal vorsichtshalber den Blinddarm entfernt. Der Kraftaufwand, diese Allergien auszuhalten und „normal“ funktionieren zu können, war unglaublich hoch.

Ich hatte das unermessliche Glück, im Alter von ca. 40 Jahren einen superguten Arzt zu finden, der herausfand, dass meine Allergien (und wahrscheinlich auch die Bauchweh in der Kindheit) durch eine „erhebliche bakterielle Infektion im Kindesalter“ verursacht worden war. Bingo!!! Wahrscheinlich ist, dass das Heim mit Salmonellen o.ä. zu tun hatte, dies aber nicht gemeldet hatte (sonst wäre es wahrscheinlich geschlossen worden). Denn die anderen Kinder hatten ja denselben Durchfall wie ich. Deshalb musste ich zwei weitere Wochen länger bleiben, in denen man versuchte, mich „gesund“ zu bekommen. Als ich dann wieder zuhause war, kam meine Mutter nicht auf die Idee, mit mir zum Arzt zu gehen und ich konnte ihr nicht sagen, dass es im Heim Probleme gegeben habe. So musste mein Körper selbst mit diesen Bakterien zurechtkommen. Dieser tolle Arzt, den ich im Erwachsenenalter traf, gab mir homöopathische Mittel zum Ausleiten – seitdem habe ich keine Allergien mehr und habe danach gemerkt, wie viel Kraft mich das Aushalten gekostet hatte.

Ich habe lange Zeit mit meinen Eltern gehadert, dann aber erkannt, dass diese nur mein Bestes gewollt hatten. Ich war das älteste Kind, meine Eltern waren unsicher. Richtig böse bin ich auf die damalige Kinderärztin (die mit Sicherheit nicht mehr lebt). Diese hatte nämlich meiner Mutter vor der Verschickung in das Heim empfohlen, mir durchgedrehte rohe Leber sowie viel Spinat (damals glaubte man noch, da sei viel Eisen drin) zum Essen zu geben. Der eklige Lebertran durfte natürlich auch nicht fehlen. Wer bitte schön würde bei dieser Speisekarte nicht das Essen verweigern?

Nachdem ich mein Zähneknirschen (auch eine Folge der Heimunterbringung?) losgeworden bin und weitgehend barfuß (oder in Barfußschuhen) laufe, bin ich auch von meinen Rückenschmerzen und Hüftproblemen befreit. Mir geht es also seit etwa 3 Jahren so gut wie noch nie zuvor.

Fazit: Ohne meine aus dem Heimaufenthalt resultierenden Erkrankungen wäre ich sicherlich ein anderer Mensch geworden. Ich hatte auch das Glück, mit den Krankheiten mein Trauma ablegen zu können, aber – wie schon oben gesagt – mir erging es im Heim wohl sehr viel besser als anderen Kindern.


Liebe Grüße, Carolin Wortmann
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Birgit de Boer schrieb am 04.11.2019
1976 wurde ich als 8 jähriges Mädchen, von unserem Hausarzt Dr. Teteberg, zur Kinderkur für 6 Wochen nach Bad Sachsa, Kinderkurheim "Im Borntal" verschickt. Es waren die schlimmsten 6 Wochen meines Lebens.

Ich litt als Kind unter spastischer Bronchitis und auch an Übergewicht. Dort angekommen, hat man mir dann mein Essen radikal gekürzt. Trockenes Knäckebrot mit Apfelspalten, Magerquark, Hagebutten-Tee, Sauerkraut in der Edelstahlschale.

Kinder, die zunehmen mußten und nicht essen konnten oder wollten, wurde gedroht, daß sie einen Schlauch in den Hals geschoben bekommen.

Bei den gemeinschaftlichen Toilettengängen wurde kontrolliert, ob man Stuhlgang hatte. Bei mir war das dann Mal nicht der Fall und ich bekam ein Abführmittel verpaßt. Außerdem wurde ich gegen meinen Willen kalt abgeduscht.

Briefe wurden zensiert, d.h. eine (weltliche) Schwester saß neben einem und hat kontrolliert, ob die Botschaften für zu Hause positiv waren, sonst hätte ich meinen Eltern geschrieben, dass sie mich wieder abholen sollen, weil es da so schrecklich war.

Das Schwimmen sollte ich dort erlernen, ich bekam Schwimmflügel, die man mir aber bei der nächsten Stunde schon wieder abnahm und man wollte mich nur an meinem Bikini-Band im Rücken festhalten. Das machte mir Angst. Ich leide heute unter diversen Angststörungen.

Einmal Nachts, wurde ich aus dem Bett geholt, wo alle anderen Kinder schliefen und mußte mich in eine Zinkwanne mit Kamillenblüten, in den Sanitärraeumen setzen. Im Dunkeln saß ich da im Wasser und wußte nicht wann sie mich wieder rausholen würden.

Ich hatte ganz schlimmes Heimweh. Mitgefühl der evangelischen Diakonissen dort - Fehlanzeige.
Einmal meinte eine Schwester zu mir, ich sollte nicht so viel weinen, ich bräuchte meine Tränen noch in meinem Leben. Ein Päckchen, dass mir meine Eltern schickten, durfte ich auch nicht für mich allein behalten. Sie wollten Luftballons für ein "geheimes" Grillfest haben und was glaube ich auch stattgefunden hat.

Eltern waren dort unerwünscht aber manchmal kamen doch Eltern am Wochenende. Einmal habe ich eine Mutter erlebt, die schimpfte, wenn sie ihre Tochter nicht besuchen dürfte, würde sie sie gleich mit nach Hause nehmen. Dieses Mädchen wurde "Vicky" genannt und kam aus Bremen.

Der Hunger war sehr schlimm, die Kinder, die zunehmen mußten, aßen morgens vor unseren
Augen Brötchen mit Marmelade. In einem Schrank im Speisesaal waren die Süßigkeiten von unserer Hinfahrt eingeschlossen. Für die Schlanken wurde dieser Schrank öfter Mal aufgeschlossen, wo die Kinder sich dann etwas rausnehmen durften.

Meine Eltern bekamen ein völlig verstörtes Kind mit Schuldgefühlen wieder.
Wenn die Menschen keine Kinder mögen, sollten sie einen anderen Beruf ergreifen.
Die Empathielosigkeit dort war einfach schrecklich. Die Zeit dort hat mich sehr geprägt,
leider nicht zum Positiven.

2 weltliche Schwestern schrieben mir sogar ins Poesiealbum, Eine davon war nett, die Andere ging so. Sie schrieb zur freundlichen Erinnerung an Deine Zeit in Bad Sachsa...welch ein Hohn.

Ich bin Frau Röhl sehr dankbar, daß sie diese Initiative ins Leben gerufen hat.

Gibt es noch andere Betroffene, die auch in Bad Sachsa, Im Borntal waren ?
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Dorothee Triphaus schrieb am 03.11.2019
Betr.: Kinderlandverschickung Juist Sommer 1959

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich bin 1951 geboren und 1959 in den Sommerferien mit meiner Schwester zusammen nach Juist in das Kinderheim der Stadt Münster (für Beamten- und Angestelltenkinder) zur Erholung /Gewichts-zunahme für 6 Wochen verschickt worden.

Dort angekommen, wurden meine Schwester (10 Jahre alt) und ich (8 Jahre alt) getrennt, weil es 1. angebliche altersgerechte Gruppen gab und 2. meiner Erinnerung nach alle Geschwisterkinder aus Prinzip getrennt wurden. Ich schlief in einem Schlafsaal am Anfang des Flures, meine Schwester am Ende des Flures. Kontakt war strengstens verboten, es blieb bei zufälligen Begegnungen. Mein Teddy war mein einziger Retter in der Not.

Seit dieser Zeit bin ich traumatisiert.

1. Abends, wenn Schlafenszeit angesagt war, mussten wir pünktlich und ohne zu schwätzen im Bett liegen und auf die Kontrolle warten, die die Kinder durchzählte und Schlafen befahl. An einem Abend haben wir uns, relativ still, die Wartezeit mit einem Socken vertrieben, der von Bett zu Bett geworfen wurde. Ich war dran, fing ihn auf, die Kontrolle kam rein und ich wurde bestraft.
Das war das, was ich lange Zeit nur noch in Erinnerung hatte.

Im Alter von ca. 30 Jahren habe ich, weil ich ein innerlich getriebener und unruhiger Mensch war, einen Meditationskurs besucht. Bei einer Übung mit Dunkelheit und Stille fing ich plötzlich an zu weinen und Bilder tauchten auf.

Ich wurde in den Waschraum geschickt. Dort waren mehrere Toilettenkabinen und 1 Kabine für Putzutensilien. In diese Kammer wurde ich gesperrt mit dem Bemerken: Und hier bleibst du so lange stehen, bis ich dich wieder abhole.

Ich stand, und stand und stand. Irgendwo schlug eine Turmuhr, jede Viertelstunde. Es gab einen Eimer in dieser Kabine aus Zink, den könnte ich umdrehen, so überlegte ich, aber der hatte am Boden einen hohen unbequemen Rand und außerdem wusste ich nur zu genau von zu Hause, was es für Konsequenzen haben kann, wenn ich als Kind einem Gebot/einem Befehl nicht gehorchte; also blieb ich stehen, Stunde um Stunde. Irgendwann war mir klar, dass man mich vergessen hatte und da war es mir egal; ich drehte den Eimer um und setzte mich.

Nachts um 24 Uhr bei der Nachtkontrolle muss dann wohl aufgefallen sein, dass ich nicht im Bett lag. Ich wurde geholt und ins Bett geschickt. Eine Entschuldigung gab es natürlich nicht.


Seitdem kann ich meinen Ängsten in Dunkelheit und meiner Unruhe bei Stille zumindest einen Namen geben.

2. Ein anderes Mal hatte ich wohl das Gefühl zur Toilette zu müssen, was natürlich nicht erlaubt war, oder ich habe geträumt, ich säße auf dem Klo. Wie auch immer, zumindest war am Morgen mein Bett nass und ich wurde beschimpft und ausgelacht. Seither und bis heute habe ich daher immer noch Angst und wenn ich nur daran denke, muss ich rennen, dass ich noch rechtzeitig zum Klo komme und gehe schon bei dem kleinsten Gedanken zur Toilette, damit nur ja kein Missgeschick passiert.



Ansonsten war das Essen eine Katastrophe. Haferschleim, bei dem das Wort Schleim seiner Bedeutung mehr als gerecht wurde. Spinat wurde angekündigt, gelber übelriechender Mangold in schleimiger Verfassung wurde angeboten und musste aufgegessen werden. Aus nichtigen Gründen gab es Strafarbeiten, die in Ermangelung von ordentlichem Papier auf Klopapier geschrieben werden mussten. Und, es gab auch Teddy-Entzug für mindestens 2 Tage.

Mein Bruder, 10 Jahre älter als ich, war irgendwann nach dem Krieg auch für 6 Wochen in dem Heim, kannte noch die Namen der „Tanten“, kannte die Strafsanktionen. Also alles „Erzieherinnen“ die schon zu Nazizeiten dort ihren Dienst getan hatten.

Ich bin jetzt nun nach 60 Jahren zum ersten Mal wieder auf Juist gewesen. Die Gebäude sind noch da, es sind Wohnungen draus geworden, die von Münsteraner Bürgern erworben werden konnten.

Es schaudert mich.


D. Triphaus
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Karin schrieb am 02.11.2019
Auch ich und meine Schwester waren Erholungskinder/Verschickungskinder.
Wir waren von der Caritas aus vom 04.06. – 15.07.1971 (6Wo) in Bad Kissingen im St. Josef Sanatorium = von Nonnen – Mariannhiller Schwestern geführt.
Damals war ich 4,10 Jahre und meine Schwester 6,3 Jahre.
Wir wurden mit einem Sammeltransport alleine mit der Bahn & einer fremden Frau verschickt. Als wir dort waren wurde uns gezeigt, dass wir so lange bleiben müssen = uns wurden 6 Finger gezeigt.
Wir haben täglich mitgezählt und bekamen eine andere Rechnung.
Es gab mehrere Gruppen dort. Wir waren bei Schwester Agathe & bei der Praktikantin od. Erzieherin Beatriz.
Als wir angekommen waren, wurden uns alle Sachen wie Tempos & Traubenzucker, auf die wir zur damaligen Zeit Mega-Stolz waren, von Schwester Agathe abgenommen.
Jeden Tag war strenge Pflicht, Heilwasser zu trinken, mit Gurgeltee zu gurgeln, Mittagschlaf zu machen. Es gab auch eine Bade-& Kneipp Einrichtung.
Dort machten wir Wassertreten und wurden mit Schlauch mit kaltem Wasser von Schwester Agathe abgespritzt. Das war damals Qual.
Postkarten, das einzige Signal der Eltern – was man bekam, wurden uns kurz gezeigt und dann weggeschlossen.
Da ich nicht alles Essen wollte, erlebte ich dort die Hölle.
Dann wurde ich zu den 2 Betreuern an den Tisch auf einen großen Stuhl gesetzt. Einmal gab es z.B. Bohnen. Schwester Agathe rieß mir mit 2 Händen den Mund auf und Beatriz musste die Bohnen reinschieben. Daraufhin drückte mir Schwester Agathe den Mund zu, solange bis ich unter Tränen und Panik das Essen gekaut und runtergeschluckt hatte. Nachts im Bett habe ich dann erbrochen. Irgendjemand vom Schlafsaal meldete dies. Dann kam Schwester Agathe wie eine Irre reingerannt, machte das Licht an – dass wirklich alle wach wurden – riss mich aus dem Bett und hat mich verschlagen und vor den anderen mit Worten bloßgestellt. Als Strafe durfte ich dann am nächsten Tag nicht mit ins Märchen-Kino, dass sich unter dem Schlafsaal befand. Ich musste um 16 Uhr schon ins Bett und die anderen durften den Film schauen, von dem ich im Bett einzelne Worte hörte.
Und so ging das ganze Spiel fast täglich 6 Wochen lang.
Immer wieder gefüttert, erbrochen, verschlagen, früh ins Bett.
Irgendwann erbrach ich nur noch unter der Decke, damit es niemand hörte und blieb lieber die ganze Nacht darin liegen.
Dann fing ich auch noch an einzunässen & hatte total verspielt und die Buhmann Rolle der Gruppe inne.
Da wir Geschwister waren, durften wir sonntags nicht zu zweit mit in die Kirche, weil so viel Platz nicht mehr war – denn 2 ist einer zu viel und ich musste alleine zurückbleiben. Aus demselben Grund mussten wir uns auch am Sonntag, als es zum Nachtisch ein 10er Eis am Stiel gab (Quadratisches Milcheis am Stiel in Alupapier verpackt,) eins zu zweit teilen, während die anderen jeder eins bekamen.
Irgendwann zum Abschluss gab es ein Fest wo wir einen Tanz vorführten.
Irgendwie ging die Zahl nicht auf und ich war nur ein Ersatztänzer mit einem Jungen-Spitz Hut, obwohl ich Tanzen sehr liebte.
Vor dem Haus stand eine sehr hohe Rutschbahn – die heute nicht mehr genehmigt werden würde. Sie war mir zu hoch & ich hatte Angst zu Rutschen. (darunter normale Betonplatten).
Schwester Agathe wollte Fotos machen und zwang mich auf die Leiter zu stehen und hoch zu klettern. Sie sagte nur fürs Foto. Als ich zitternd oben war – bekam ich von hinten einen Schubser und ich rutschte vor Schreck runter.
Wir mussten immer wieder in das Krankenzimmer, wo Schwestern uns Blut nahmen und uns auf die Waage stellten. Wir waren dort wegen Untergewicht. Die sagten immer, auf euren Rücken kann man mit den Knochen Klavier spielen. Da ich sehr blass war, sagte jedes Mal die eine Schwester zu mir, dass ich daheim unbedingt zum Doktor gehen muss, weil ich so blass war & bestimmt zu viel weißes Blut habe – was Leukämie genannt wird. Schock!
Außerdem kann ich noch leichter nach Hause – als ich mit Untergewicht hingekommen bin. Der volle Erfolg also. Eine Schwester konnte sich in ihrer angestauten Wut an Kindern vergehen.
Meine Schwester konnte mich nicht unterstützen, da sie selbst erst 6 Jahre alt war & dort in Dauerangst lebte.

So werden Selbstbilder bei Kindern früh geprägt - wie:
- Du bist schlecht/anders als die anderen
- Du bist krank
- Du gehörst nicht dazu/ du hast es nicht verdient
- Man muss immer den Teller leer essen/Abneigungen müssen unterdrückt werden/Reaktionen des Körpers sind nicht erwünscht.

Bis heute habe ich noch ständig Magen- & Darmprobleme.
Die Lebensmittel, mit denen ich dort gequält wurde, esse ich heute noch nicht.
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Andreas Schulz schrieb am 31.10.2019
Meine "Erholungskur" an der Nordsee


Meine Geschichte in diesem Zusammenhang beginnt im ausgehenden Frühjahr oder Sommer 1961. Wie fast jede einigermaßen brauchbare hatte auch sie eine Vorgeschichte, die immerhin mehrere Monate umfasste. Ich war sehr häufig erkältet gewesen, hatte oft Husten und immer wieder Probleme mit den Atmungsorganen. Der Hausarzt unserer Familie empfahl und beantragte eine Kur an der Nordsee, die vom damals dafür zuständigen Kinder- und Jugendamt einer etwas größeren Stadt im südlichen Niedersachsen bewilligt wurde. Ich sollte für einige Wochen nach der Nordseeinsel Langeoog verschickt werden und mich dort in einem speziellen Kinderheim erholen. An den genauen Zeitraum kann ich mich nicht mehr erinnern, ich meine, dass er vier oder fünf Wochen betragen hat.

Die Anreise mit einer Gruppe ungefähr gleichaltriger Kinder unter Begleitung einiger betreuender Kinder-krankenschwestern war erst einmal ein tolles Abenteuer – die Betreuerinnen waren super nett, die Züge fuhren damals noch unter Dampgf und kräftigem Getöse, und die Überfahrt mit dem Fährschiff nach Langeoog war für mich als Binnenländer eine völlig neue Erfahrung.

Ich erinnere mich noch, bei der langen Fahrt im Zug viel geschlafen und danach auf der Fähre durch Spielen mit Betreuerinnen erfreulich "seefest"gewesen zu sein. Innerlich sicher auch ein wenig stolz darüber, nicht – wie einige andere Kinder unserer Gruppe – durch das Geschaukel der Fähre seekrank geworden zu sein. Natürlich empfand ich für die armen, von Übelkeit geplagten Mitreisenden Bedauern – kaum ahnend, dass ich das schon wenig später auch gut würde gebrauchen können.

Der Aufenthalt auf der Insel Langeoog fand im Kinderhaus H. statt – der aus zwei Silben bestehende Name ist mir bis heute in schauriger Erinnerung geblieben – so, wie manche Kiddies heute sich in ein paar Jahren vielleicht an ihr erstes virtuelles Computerspiel mit diversen Horrorgestalten erinnern werden. Wobei der Wortteil "Horror" den Zustand des Zeitraums zwischen Ankunft und Wiederabreise vom angeblichen "Kinderhaus" recht treffend beschreiben mag.

Schon bei der Ankunft – wir wurden mit Pferdewagen zum "Kinderheim" gebracht – erwartete uns Kinder ein Empfang im Kasernenhofton. Meine Hoffnung, der Ton der Herbergseltern und der anderen uns angeblich betreuenden – in Wirklichkeit: bewachenden und kommandierenden – Personen werde schon bald freundlicher werden, zerplatzte leider schnell. Bis zuletzt wurde mit uns Kindern von allen Aufsichtsperso­nen im scharfen, ruppigen Befehls- und Kommandoton kommuniziert. An freundliche, Respekt zeigende und uns Kinder ansprechende Anreden kann ich mich nicht erinnern – stattdessen wurden wir Kinder regelmäßig angeschrieen, im ruppigen Befehlston kommandiert und bei den geringsten Nachlässigkeiten angebrüllt. Und das sollte nur der Anfang sein ...

Die Mahlzeiten wurden in einem großen Speisesaal eingenommen. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, meine aber, dass Jungen und Mädchen durch einen breiteren Mittelgang voneinander getrennt saßen. Es gab am Tag vier Mahlzeiten; außer Frühstück, Mittag- und Abendessen gab es am Nachmittag noch abgezählte Stücke Kuchen und Kakao bzw. Milch. An die Qualität des Essens erinnere ich mich nur noch dunkel. Besonders gut geschmeckt hat es mir wahrscheinlich nicht, was sicher mit daran gelegen hat, dass die Mahlzeiten sehr zügig eingenommen werden mussten. Jeder davon ging ein Tischgebet voran, das alle Kinder nach ein paar Tagen zumindest mistsprechen mussten. Nach dem Essen mussten wir abräumen und die Tische wieder säubern. Wer dabei nach Ansicht des Aufsichtspersonal schluderte, Essensreste versehent­lich fallen ließ oder gar Geschirr beschädigte, wurde angebrüllt und mit herabwürdigenden und persönlich verletzende Worten "zur Ordnung gerufen"; im Wiederholungsfall gab es auch "Backpfeifen".

Überhaupt nahm das Austeilen körperlicher Strafen einen nicht unerheblichen Anteil an der Behandlung von uns Kindern ein. Man muss sich dabei immer wieder vergegenwärtigen, dass es sich bei uns überwiegend um noch kleine Kinder im Vorschulalter handelte, die ihren Aufenthalt alle einer längerfristig angegriffenen Gesundheit zu verdanken hatten – und die insofern schon eine deutlich geringere Robustheit mitbrachten als andere Kinder gleichen Alters.

Anlässe für körperliche Strafen gab es genau genommen ohne Ende. Grundsätzlich wurde jedes Verhalten, das sich im weiteren Sinne von den Aufsichtspersonen als Aufsässigkeit auslegen ließ, mit den schon erwähnten Backpfeifen geahndet. Das konnten Widerworte sein, aber auch Rechtfertigungsversuche für ein nicht ordentlich gemachtes Bett, verspätet zum Essen Erscheinen oder auch zu langes Einnehmen der Mahlzeiten, zu leises Sprechen beim Essensgebet oder unerlaubtes Sprechen oder Flüstern beim Essen sein. Da man sich den gesamten Tag über in der Gruppe und unter Aufsicht befand, gab es für die Aufsichtspersonen quasi ständig Anlässe zum "Durchgreifen", und von diesen Möglichkeiten wurde ebenso ausgiebig wie für uns Kinder schmerzhaft Gebrauch gemacht.

Wiederholungs"taten" wurden grundsätzlich strenger geahndet als Erstvergehen – dann wurde auch "gezüchtigt". Schon bald hatte sich fast jeder genügend häufig versündigt, so dass weniger geohrfeigt als geschlagen wurde. Das fand dann zumeist nicht im Beisein der Gruppe, sondern in einem Nachbarraum statt.

Ebenfalls zu den körperlichen Strafen rechne ich ein paar Dinge, die mir in besonders widerlicher Erinne­rung geblieben sind. So ist es vorgekommen, dass Kinder sich schwertaten, ihr Mittagessen vollständig aufzuessen. In einem solchen Fall musste der oder die Betreffende dann allein weiter essen, bis alles verzehrt war. Wenn das zu lange dauerte, wurde ihm oder ihr das kalt gewordene Essen am Abend wieder erneut serviert – in einigen Fälle auch nicht wieder aufgewärmt. Es musste gegessen werden, bis es endlich verzehrt war. Extrem ekelhaft wurde geahndet, wenn sich jemand beim Essen übergeben hatte: Dann musste auch das Erbrochene mit aufgegessen werden – eine entsetzliche Qual, vor der ich große Angst hatte. Ich war als Kind alles andere als ein "guter Esser" und sah mich, als ich davon gehört hatte, permanent gefährdet. Aber ich habe Glück gehabt, dass mir so etwas nicht passiert ist. Andere hatten leider weniger Glück und waren danach tagelang fertig.

Und ebenfalls besonders schlimm habe ich die Nächte in Erinnerung. Wir schliefen in größeren Schlafsälen. Am Abend, wenn das Licht gelöscht worden war, kam Aufsichtspersonal in die Säle und kontrollierte, ob alle Kinder wirklich schliefen. Wer erwischt wurde, noch wach zu sein, musste mit den Aufsichtspersonen den Saal verlassen und hat in einem Nebenraum Schläge bekommen, um so sein Schlafbedürfnis gefördert zu bekommen. Und auch, wer tagsüber "unangenehm" aufgefallen war, wurde abends oder in der Nacht "geholt" – geschlagen wurde aufs Gesäß mit den Händen, Stöcken und Riemen. Das einzige, was wir Kinder an diesen Züchtigungen noch als einigermaßen gerecht erkennen konnten, war, dass jeder von uns so behandelt wurde. Jeder hat buchstäblich "sein Fett abbekommen". Ich glaube, es gab niemanden, der oder die diesen Aufwenthalt absolviert hat, ohne mindestens einmal körperlich bestraft worden zu sein. Mir ist dies aus dem Grund in besonders intensiver Erinnerung geblieben. Nicht, weil ich weniger oder mehr als andere davon betroffen gewesen wäre. Sondern weil ich zu meinem Glück Eltern hatte, für die körperliche Strafen nie Gegenstand der Erziehung gewesen waren – diese Art des Erzogenwerdens habe ich erst in diesem Kinderhaus H. kenengelernt.

Wir Kinder lebten genau genommen die gesamte "Kur" über in ständiger Angst, uns falsch zu verhalten und so wieder neue, zumeist körperliche Strafen verdient zu haben. Aber die Angfst erzeugte auch Unsicherheit im Verhalten, was einem dann prompt auch wieder entweder als Aufsässigkeit oder man habe wohl etwas "ausgefressen" und wolle dies verheimlichen ausgelegt – mit stets schlimmen Folgen, die je nach Laune des Aufsichtspersonals von ruppigen verbalen Einschüchterungen bis hin zu brutalen Körperstrafen reichten. Es kam auch vor, dass einige von uns Kindern sich in ihrer Angst nachts einnäßten, weil sie zwar nach einiger Zeit eingeschlafen, innerlich aber überhaupt nicht zur Ruhe gekommen waren.

Erst gut eine Woche vor dem Ende des Aufenthalts hörten die nächtlichen "Besuche" in den Schlafsälen schlagartig auf, und auch am Tage gab es mit einem Mal nur noch leicht weniger starke Ohrfeigen – der Grund hat sicher darin gelegen, dass unsere Eltern nach unserer Rückkehr zu Hause auf den Hinterteilen keine Striemen oder andere Spuren von Mißhandlung feststellen sollten.

Das einzige, was ich in positiver Erinnerung an diesen Aufenthalt in Erinnerung behalten war, dass wir Kinder uns gegenseitig geholfen haben, so gut es irgendwie ging – wir saßen schließlich alle im gleichen Boot. Und, was noch erfreulicher war: Die Dauer des Aufenthalts war begrenzt – und hatte daher ein festgesetzes Ende. Dieses sehnte jede und jeder von uns ständig herbei! Die Zeit ging nur allzu quälend langsam um, und die etwas größeren Kinder, die schon zählen konnten, haben schon nach wenigen Tagen angefangen, die Tage bis zur Abreise zu zählen.

Vor der Abreise wurden wir dringend ermahnt, alles was wir erlebt – das heisst erlitten – hatten, für uns zu behalten. Alle Bestrafungen, die wir bekommen hätten, wären dazu da gewesen, uns zu bessern – also letztendlich doch für uns selbst das Beste gewesen ...

Nach der Rückkehr nach Hause habe ich es aber vorgezogen, diese Zukunft dann lieber doch nicht lange abzuwarten – und alles meinen Eltern erzählt. Die sind natürlich aus allen Wolken gefallen! Nach ein paar Tagen ist meine Mutter mit mir zum zuständigen Kinder- und Jugendamt gegangen, um sich über die Miß­handlung ihres Jungen zu beschweren. Die zuständige Sachbearbeiterin hat sich alles angehört und sich dann geweigert, die Beschwerde überhaupt zur Kenntnis - geschweige denn zu den Akten - zu nehmen. Sie hat meiner Mutter sogar gedroht, wenn sie die Beschwerde aufrecht erhalte, werde man gegen sie und meinen Vater eine Klage wegen Verleumdung anstrengen. Das hat eingeschüchtert. Weil meine Eltern sich davor scheuten, sich mit staatlichen Behörden anzulegen, wurden dann keinerlei Schritte gegen das Kinderheim H auf Langeoog eingeleitet.

Ich habe als Kind und später als Jugendlicher wiederholt mit meinen Eltern über diese "Kur" gesprochen. Aus dem Grund sind mit viele scheußliche Dinge in Erinnerung geblieben. Etwas besser einzuordnen habe ich die furchtbaren Ereignisse im Kinderhaus H dann etwas später erfahren, als ich in der Schule gelernt habe, mich mit der NS-Zeit auseinanderzusetzen. Die meisten Personen, die im Kinderhaus H. tätig waren, sind schätzungsweise zwei bis drei Jahrzehnte älter gewesen als ich. Ich selbst bin Jahrgang 1957. Wenn ich davon dann gut zweieinhalb Jahrzehnte abziehe, dürften die Aufsichtsleute so im Durchschnitt um 1930 oder etwas früher geboren worden sein. Das bedeutet, unsere PeinigerInnen hatten ihre eigene Sozialisation im "Jungvolk" und in der "HJ" oder im "BdM" erlebt – und meiner Erinnerung nach offenbar verinnerlicht ...
Andreas Schulz
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Mein Name schrieb am 31.10.2019
Vor der Einschulung wurde ich 1973 für sechs Wochen mit der Caritas und auf Drängen unseres Hausarztes nach Albbruck in das Kinderkurheim am Stieg verschickt. Ich war häufig krank und recht dünn, so dass ich dort aufgepäppelt werden sollte.
Von Westfalen aus ging es mit der Bahn dorthin. Wir hatten ein Abteil für uns und einen Erwachsenen, der uns bis zum Zielbahnhof begleitet hat. Die Rückfahrt war ebenso.
Über den Kuraufenthalt habe ich nur noch wenige Erinnerungen. Es war furchtbar!!
Die Tanten legten die Kleidung für jeden raus. Mittags musste man schlafen. Einmal habe ich aus dem Fenster über meinen Bett geschaut, ganz leise, und hatte im selben Moment schon eine schallende Ohrfeige sitzen.
Zum Heim gehörte eine große Wiese, auf der wir manchmal spielen durften. Einmal haben zwei Jungs ordentlich getobt und waren verschwitzt, ganz harmlos, so wie Kinder halt sind. Die Heimleiterin hat sie beim anschließenden Appell aus der Gruppe geholt, sie im Nacken gepackt und mit den Köpfen zusammen geschlagen. Dieses Bild habe ich heute noch vor Augen.
Ich hatte durchweg starkes Heimweh. Da ich noch nicht lesen konnte, wurde jeweils am Wochenende eine Postkarte von der Tante geschrieben und an meine Eltern verschickt. Natürlich stand dann immer nur Positives darauf. Post von Daheim wurde immer vor der ganzen Gruppe vorgelesen. Das habe ich nicht als schlimm empfunden, eben weil ich noch nicht lesen konnte.
Ich erinnere mich an zwei Anrufe meiner Eltern: Das Telefon hing im Flur an der Wand. Während des ganzen Gesprächs stand eine Tante neben mir, so dass ich mich nicht getraut habe, meinen Eltern zu erzählen, was im Heim passierte.
Päckchen wurden geöffnet und der Inhalt an alle Kinder aufgeteilt. Ich erinnere mich, dass meine Oma mir das Buch ‚Heidi‘ geschickt hat. Das wurde einfach weggenommen und einem anderen Kind zum Lesen gegeben. Dieses Kind hat mich oft geärgert und ich wollte nicht, dass sie mein Buch hatte. Heimlich habe ich es dann wieder genommen - ohje, das gab Ärger für mich, habe ich doch ‚geklaut’! An das hämische Grinsen der Tante und des anderen Kindes erinnere ich mich noch gut. Vor allen Anderen wurde ich als Diebin beschimpft.
An das Essen habe ich gute Erinnerungen. An Zwang oder Erbrochenes aufessen kann ich mich nicht erinnern. Wir durften sagen, wenn wir etwas nicht so gern hatten, aber was auf dem Teller war, musste gegessen werden.
Samstags war Duschen angesagt. Alle mussten nackt in eine große Sammeldusche. Die Tanten haben einem dann jeweils die Haare gewaschen. Ich weiß noch, dass zwei Mädchen, die schon etwas älter waren, in einem separaten Raum baden durften. Dort gab es eine lange Reihe von Sitzbadewannen.
Mir war Unterwassermassage verordnet worden. Der Masseur war sehr warmherzig zu uns. Bis das nächste Kind an der Reihe war, durfte man anschließend in der großen Badewanne spielen. Das war immer ein Highlight und ein Trost im strengen Tagesablauf. Sexuellen Missbrauch in irgendeiner Form kann ich für mich nicht bestätigen.
Da ich mit zwei Jahren in einen von Nonnen geführten Kindergarten kam, wo ein ähnlich harter Erziehungsstil herrschte, kam mir das alles nicht seltsam vor. Ich kannte es ja nicht anders! Auch meine Eltern waren es gewohnt, vor Autoritäten zu schweigen. Ein fataler Teufelskreis!
Ein Trauma? Sicherlich! Aber ich denke, dass ich das alles überwinden konnte, da meine Familie sehr liebevoll miteinander umgeht und ich so ein gutes Fundament hatte.
Meines Wissens steht das Haus heute noch:
https://www.badische-zeitung.de/brandschutzfirma-an-areal-am-stieg-interessiert" target="_top">Brandschutzfirma an Areal am Stieg interessiert (veröffentlicht am Mi, 21. Januar 2009 auf badische-zeitung.de)
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Otto S. schrieb am 30.10.2019
Grüß Dich Martin M.,
der Vorname des Pflegers ist mir persönlich definitiv nicht bekannt. Sofern Dir jedoch der Name "Andreas" in Erinnerung ist, könnte dies sicherlich passen.
Die dritte weibliche Betreuerin - Magdalena?? - wäre eventuell möglich, allerdings habe ich deren Äußeres nicht mehr vor Augen. Wie die beiden anderen ausgesehen haben, das weiß ich jedoch noch sehr gut
.
Die Örtlichkeiten selbst habe ich noch gut in Erinnerung, ich kann z. B. noch heute das pulsierende Laufgeräusch der Kühlmaschinen "hören", die seitlich der Zugangstreppe in UG zur Kantinenbaracke Ihre doppelte Auspuffleitung ins Freie hatten. Dieses Funktionsgebäude hatte einen groben Rauhputz und einen gelblichen Außenanstrich.
Die speziellen Erinnerungen kommen in stillen Stunden, wenn ich mich in diese Zeit von 1965 bewußt "zurückfallen" lasse.
Eventuell hast auch Du noch solche Erinnerungen an bauliche oder technische Details.
Liebe Grüße,
Otto S.
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Verena schrieb am 30.10.2019
Ich bin mir noch immer nicht sicher, wohin ich verschickt worden war, Sylt oder Föhr, aber das mit dem Theater löst bei mir was aus. Ich wurde damals alleine in einen abgedunkelten Raum geführt, und größere Kinder saßen wie auf einer Tribüne. Keine Ahnung was das sollte aber ich fing laut an zu weinen, und alle lachten laut. Auch der Name Haus Sonnenschein macht mir komische Gefühle. Meine Eltern können sich an nichts erinnern.
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GCR schrieb am 29.10.2019
Hi, Sylt.. Westerland .. Heim.. meine Erinnerungen sind schon ziemlich verblaßt.
Habt ihr noch ein Photo von dem Backsteingebäude ?
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Kerstin Thome schrieb am 28.10.2019
Hallo, auch ich bin Betroffene und war im Frühjahr 1984 in Steinen im Schwarzwald. Ich würde mich freuen hier jemanden zu finden, der auch in diesem kinderkurheim untergebracht war.
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St. F. schrieb am 28.10.2019
Hallo Frau Röhl
Im November/Dezember 1966 wurde ich zur Verschickung nach Wyk auf Föhr geschickt. In meiner Erinnerung war es nur schrecklich. Es herrschte im Umgang mit uns Kindern ein furchtbarer Kommandoton. Ich war mit 8 Mädchen in einem Schlafraum. Am Abend musste absolute Ruhe herrschen, wenn nicht, hat uns die Erzieherin, die im angrenzenden Zimmer untergebracht war, durch ein, in der Wand angebrachtes Fenster angeschrien, wir sollten sofort ruhig sein. Den Namen der Erzieherin habe ich nie vergessen, sie hieß Fräulein Wolf. Trug Klapperlatschen mit Holzabsatz, und wenn sie en Flur hörbar herunterkam, bekam ich schon Angst vor ihr.
Am Morgen ging es in den riesigen Waschraum, dort musste man sich nackend ausziehen und wurde dann mit kaltem Wasser aus einem Schlauch abgespült. Auch bei den Mahlzeiten herrschte rauher Umgangston. Das Essen musste aufgegessen werden, wenn nicht gab es Tischdienst und man durfte nicht mit nach draußen. Schwarzbrot mit Marmelade konnte ich jahrelang nicht essen.
Ich war 1966 im Frühjahr gerade erst eingeschult worden und konnte noch nicht selbstständig schreiben. Durch die Erzieherinnen wurde ein Text an die Tafel geschrieben den wir abschreiben mussten...... Liebe Mama lieber Papa mir geht es gut... Ich wollte das nicht schreiben aber es blieb mir keine Wahl, ich wollte schreiben "holt mich bitte hier schnell ab, ich möchte nach Hause. Ich hatte schreckliches Heimweh. Und da das Alles noch nicht genug war bekam ich Mumps wurde in Quarantäne gesteckt, isoliert von allen anderen Kindern. Gesprochen hat keiner und wenn dann nur um mich anzumeckern ich solle mit meinem Erbrochenem nicht noch einmal die Toilette verstopfen. Zusätzlich bekam ich dann auch noch irgendwelche schrecklichen, schmerzhaften Spritzen. Ich habe mich mit Händen und Füßen gewehrt, sodass mich 4 Personen festhalten mussten.
6 elend lange Wochen war ich auf Wyk auf Föhr. Erst viele Jahre später habe ich mit meiner Mutter über die Zustände dort gesprochen. Und ich weiß noch, dass ich mir schon als Kind geschworen hatte, dass wenn ich je Kinder haben sollte, diese niemals verschickt werden sollten.
Ich selbst bin als Erwachsene nie zur Kur etc. gefahren, es war
mir ein Greuel die Vorstellung, das Heimweh und von zu Hause fort zu müssen.
Im Bekanntenkreis und unter Kollegen habe ich Etliche die auch dort waren und von ähnlichen Zuständen berichteten, von nächtelang Einsperren in Schrankbetten nach Einnässen etc.
Lange Zeit habe ich gedacht, dass nur ich das Alles so schrecklich empfunden habe. Jetzt habe ich aber all die furchtbaren Erlebnisberichte gelesen und bin entsetzt über das Ausmaß der Mißhandlungen und das sich das Ganze durch die gesamte BRD zog. Es hat mich depremiert.
Ich finde es großartig von Ihnen, dass Sie diese schrecklichen Zustände öffentlich gemacht haben, und uns als Leidtragende die Möglichkeit geben es uns von der Seele zu schreiben.
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Anja Lakeberg schrieb am 27.10.2019
Mein Name ist Anja, ich bin 1964 geboren und war im Jahre 1971 auf Baltrum für 6 Wochen in Kur. Als ich den Bericht in der Zeitung las, sind mir die Tränen gekommen. All die Erinnerungen kamen zurück. Hatte sofort die Bilder dazu. Eine schreckliche Zeit.
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Frank Sanderink schrieb am 27.10.2019
Hallo ich bin Frank Sanderink , geboren am 02.06.1965 in Westfahlen. Ich bin einmal im alter von 8 Jahren nach Bad Reichenhall verschickt worden und dann das Jahr darauf an die Nord oder Ostsee, der Name fällt mir leider nicht mehr ein. Ich kann mich aber sehr gut daran erinnern das es beim Frühstück in dieser "Kur" für jeden 2 Tassen Tee gab. Ausser für die Bettnässer die durften nur "2 halbe" Tassen Tee trinken. In einer Gruppe von ca. 15- 20 Jungs waren immer so 2-3 unglückliche Bettnässer , der eine hatte den ganzen Körper voll mit so merkwürdigen grauen Flecken . Eine wirklich traurige bedrückte Kreatur. Das Tagesprogramm in dieser Kur bestand ausschliesslich darin endlose Spaziergänge am Strand entlang zu absolvieren, man gab in jener Zeit den Kindern nichts zu trinken mit. Der Durst war deshalb ein ständiges Thema für uns. Kamen wir dann von der Wanderung zurück , stürmte die ganze Mannschaft auf die Toilette an die Waschbecken um zu trinken. Einmal erlebte ich wie einer der Bettnässer von einem Deppen dabei denunziert wurde. Ich kann mich nicht mehr erinnern was die Strafe war aber es war alles schrecklich .
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Siegfried schrieb am 27.10.2019
Hallo,
mein Name ist Siegfried und ich bin 1962 geboren. 1968 wurde ich mit meiner Schwester nach Bad Dürrheim geschickt, eigentlich sollte es St. Peter Ording werden. Wir waren dort zwei mal 6 Wochen am Stück, bekammen also Verlängerung, alle durften nach Hause und wir mussten nochmals 6 Wochen bleiben. Ich habe meine Schwester in dieser Zeit nicht ein einziges mal gesehen. Wir bekamen nicht genug zu trinken, aus Durst haben wir immer versucht aus dem Wasserhahn zu drinken. Jedes Getränk, das es gab, war mit Haferflocken versetzt. Wenn die Eltern was geschickt haben wurde das einbehalten. Eine Frau aus der Umgebung, mit der meine Mutter beim Abholen ins Gespräch kam, meinte, wenn die Eltern wüssten wir dort mit ihren Kindern umgegangen wird.
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Petra K. schrieb am 27.10.2019
Hallo Alle zusammen,
mein Name ist Petra und ich bin 1964 geboren. Vor 2. Monaten bin ich über die Seite von Anja Röhl gestolpert und was ich lass löste ein Gefühlschaos in mir aus.
Das Thema Kinderverschickung, diese Baustelle hatte ich 2010 geschlossen. Nachdem meine Recherchen immer wieder in einer Sackgasse endeten bzw.keiner darüber reden wollte und Hilfe von Weißer Ring und VDK etc. auch nicht zu erwarten waren.
Ich habe die letzten Wochen mit Flash Backs, Angstzuständen, Schlafstörungen und Albträumen zukämpfen.Jetzt bin ich soweit alles aufzuschreiben um anderen zuzeigen das sie nicht allein sind.
Es fällt mir nicht leicht meine Erfahrung - Erinnerung an meine "Kur" Aufenhalte,1968/69 in Bad Reichenhall über Ostern (es gibt ein Gruppenbild aus dem Heim) und 1971/72 in Amrum / Nebel hier zuschreiben.
Ich erinnere mich an den Tag als meine Mutter mit mir in die nächste Stadt fuhr um einzukaufen, das kam sonst nie vor, ich war Kind Nummer 5 und wir lebten auf dem Land. Normal hat meine Ältere Schwester auf uns jüngere aufgepasst wenn Mutti einkaufen ging. Es hieß ich bekomme neue Sachen, auch das machte es zum Erlebnis,normal bekam ich immer alles Abgelegte von meinen Älteren Schwestern.
Zuerst ging Sie mit mir auf eine Art Amt oder Klinik, ich wurde gemessen und untersucht,meine Mutter sagte dem Mann immer wieder das ich immer Atemnot hätte und Husten und nicht viel sprechen würde,das war sehr unangenehm, aber die Freude auf neue Sachen überwiegte. Danach in Geschäfte und ich bekam Unterwäsche und Schlafanzüge. Dann in ein Geschäft mit vielen Taschen und Koffer. Ich bekam einen kleinen rot-schwarz karierten Kinderkoffer er war wunderschön, für mich was ganz besonderes. Sie kaufte noch einen braunen Kofferanhänger wo man Name und Adresse rein schreibt und erklärte mir, - damit er nicht verloren geht und ich muss sehr gut auf das Köfferchen achten und darf es nicht verlieren, das habe ich nicht ganz verstanden aber egal.
In den nächsten Tagen fing meine Mutter an in alle Kleidungsstücke von mir kleine Schilder zunähen. Meine Schwester sagte,da steht dein Name drauf damit sie nicht verloren gehen, jetzt bekam ich ein unangenehmes Gefühl. Immer wieder, jeden Tag bekam ich zuhören den rot-schwarz karierten Koffer darfst du nicht verlieren sonst kommst du nie wieder nachhause. Verstanden hab ich es nicht, der Koffer lag in unserem Kinderzimmer und spielen durfte ich damit auch nicht.
Eines morgens,ganz früh es war stockdunkel, kam Mutti ins Kinderzimmer und hat mich geweckt.
Meine Geschwister schliefen noch alle.Sie hat mich gewaschen und angezogen,mein Vater war auch da,normal war er immer auf der Arbeit und der kleine Koffer stand im Flur. Wieder redete Sie auf mich ein den Koffer nicht zu verlieren, sonst komme ich nie wieder nachhause.
Das nächste woran ich mich erinnere, ist das sie mich in ein Zugabteil setzen und weg sind sie.
Ich umklammere meinen kleinen Koffer und hab riesig Angst. Der Koffergriff brennt in meinen Händen ansonsten nehme ich nichts war.
Jetzt bin ich in einem großen Haus,eine große alte Holztreppe, wo ins Unendliche führt, am Boden Steinfliesen, überall Holz an den Wänden, große Holztüren, wie ich dahin komme weiß ich nicht. Eine kräftige Kath.Nonne schreit mich an, den kleinen Koffer los zulassen, ich will nicht, wenn ich ihr den Koffer gebe komme ich nie wieder nachhause, das ist das einzige was ich denken kann. Aber sagen kann ich kein Wort. Sie entreist mir den Koffer und mir wird übel alles dreht sich. Ab jetzt nehme ich alles weit weg war, wie wenn ich nicht mehr in mir bin.
In zweier Reihen aufstellen vor einer Tür und dann rein in einen Speiseraum, Holztische und Bänke, alles dunkel. Setzen! Ich nehme die anderen Kinder nicht wahr, obwohl da welche sind,-
das Essen ist ein grüner Mus mit harten Brocken, kann ich nicht definieren, kann ich nicht essen.
Jetzt zieht mich die Nonne von der Bank, wie lange ich da saß weiß ich nicht, sie zieht mich in den Flur mit der großen Treppe von vorhin und drückt mich in eine Zweierreihe von Kindern vor einer Tür, ein Kind kommt aus der Tür, das nächste rein. Jetzt bin ich dran, erst weiß ich gar nicht was passiert und bis ich begreife, das es eine Toilette ist, reißt die Nonne die Tür auf und zieht mich raus.In Zweierreihe die Treppe hoch bis unters Dach in ein Zimmer mit schrägen Wänden und einem Erker mit Fenster, sechs Betten, meins ist direkt neben der Tür. Da liegt ein Schlafanzug von mir, ich ziehe ihn an und leg mich ins Bett. Die Nonne verlässt das Zimmer und es ist sofort totenstille.
Jetzt erst merke ich das ich zur Toilette muss, was hat die Nonne gesagt, hat sie was gesagt, wann kann ich zur Toilette, wo ist die Toilette? Ein Stein löst sich in meinen Schlafanzug,- er muss da raus. In meinem Kleid war ein Taschentuch. Leise stehe ich auf und durchsuche meine Kleider die am Bettende hängen, und packe den Stein (Kot) in das Taschentuch, jetzt wohin,- ich lege es unter mein Bett in die Ecke. Schlafen kann ich nicht, irgend wann kommt jemand mit Taschenlampe ins Zimmer und leuchtet jedes Bett ab, ich erstarre und stelle mich schlafen.
Am nächsten morgen werden wir durch eine junge Nonne geweckt, Zweierreihe die Treppen runter, Kleidung unter den Armen in einen Waschraum, Waschen anziehen, Zweierreihe ein Stockwerk höher, Toilettengang und zum Speisesaal. Da war wieder die ältere kräftige Nonne und blickte mich böse an. Hinsetzen Essen und wieder Lücke bis die kräftige Nonne den Raum verlässt. Ein Fräulein (junges Mädchen so um 18 J.) kam und ich musste nach oben in den Schlafsaal.
Da stand die älter Nonne und zeigte auf mein Taschentuch, das eine jüngere Nonne in der Hand hatte, ich musste mich vor die Nonne stellen und bekam 2 Ohrfeigen das mir der Kopf anfing zu glühen und sich alles drehte, dann wurde ich an den Ohren die Treppen runter gezogen in den Speisesaal, und vor allen Kindern degradiert vom feinsten, ich schämte mich so und fühlte mich allein und heimkommen werde ich nie wieder, weil ich meinen kleine Koffer nicht mehr habe. In dieser Nacht musste ich ohne Matratze und Bettzeug schlafen, nur auf dem Bettrost.

Von nun an liefen die Tage ziemlich gleich ab. Morgens aufstehen waschen, essen, Toiletten gang, dann einmal die Woche zwei, drei Strassen weiter in eine große Klinik zur Untersuchung,
ansonsten Liedersingen, stillsitzen und warten, ab und zu Gymnastik, vorm Mittagessen Toilettengang und vorm zu Bett gehen Toilettengang (die Toiletten waren ansonsten verschlossen) und alles immer in Zweierreihen. Wenn man Glück hatte gab es Nachmittags einen Spaziergang( kann mich nur an wenige erinnern) und alles immer in Zweierreihen. Oft musste ich alleine auf der großen Treppe sitzen, weil ich ein sehr, sehr böses Kind bin und mich nicht anpassen kann, warum weiß ich bis heute nicht.
Einmal wurden im Flur Bilder gemacht und die Kinder bekamen Osterhasen aus Schokolade in die Hand (ich natürlich nicht,was mich wieder sehr traurig machte) aber die anderen mussten nach dem Foto die Schokoladenhasen auch wieder abgeben. Dieses Foto wurde nachhause geschickt mit einem Brief, wie gut es mir geht.
Aber jede Nacht wenn alle schliefen und ich sicher war das so schnell keine Taschenlampe kommt, stand ich in diesem Erker am Fenster, auf Zehenspitzen, um hinaus zusehen, auf die Strasse in die Nacht und weinte und betete, erst nach der Mutti das sie mich holen soll, auch wenn ich den Koffer nicht mehr habe, später dann zu meiner Oma und am Schluss, lieber Gott hol mich zu dir.
Dann kam ein Tag wo alle Kinder sich freuten es geht nachhause, sie bekamen ihre Rucksäcke und kleinen Koffer, nur ich nicht. Die ältere Nonne sagte zu mir, böse Kinder kommen nicht mehr nach hause. Ich kam ein paar Strassen weiter in diese Klinik, wo wir immer alle Untersucht wurden, in ein Krankenzimmer, es hieß ich muss isoliert werden. In diesem Zimmer war ich lange allein, Morgens, Mittags und Abends kam eine Krankenschwester zum waschen, essen bringen, Fieber messen, ansonsten war ich allein.
Dann kam ein älteres Mädchen (etwas 12/13 J.) zu mir aufs Zimmer. Erst freute ich mich endlich nicht allein, aber für das Mädchen war ich (4/5 J.) ein Baby und sie wollte nichts mit mir zu tun haben. Ein Junge im Alter von dem Mädchen schlich sich oft zu uns ins Zimmer, dann wurde es für mich sehr unangenehm sie haben mich als ihre Puppe benutzt, mich verspottet und körperlich gequält. Irgendwann durfte das Mädchen dann nachhause und der Junge kam auch nicht mehr.
Ich war dann noch Tage lang alleine, bis die Schwester morgens ins Zimmer kam und zu mir sagte, heute ist Abreise. Wieder wo Anderst hin, das es nachhause gehen sollte wollte ich gar nicht mehr glauben. Erst als ich angezogen war und die Schwester meinen kleinen Koffer brachte, hatte ich Hoffnung nachhause zukommen.
Jetzt saß ich wieder in einem Zug allein, ein Schaffner kam und hat sich den Kofferanhänger angesehen und gesagt er würde mich in den nächsten Zug umsetzen.
Die nächste Erinnerung ist, das ich alleine auf einem Bahnsteig stehe und Angst habe, eine Frau kommt und nimmt mich mit in ein Büro, ich bekomme mit, das meine Eltern mich vergessen haben und jetzt die Leute versuchen sie telefonisch zu erreichen. Wieder wurde es dunkel draußen und wieder hell. Dann kam mein Vater, ein paar Worte mit den Leuten und dann ohne Begrüßung ins Auto, ich glaubte das meine Familie mich gar nicht mehr haben wollte.An meine Ankunft daheim kann ich mich nicht erinnern. Meine Große Schwester sagte mal, ich wäre mehr tot als lebend zuhause angekommen, hätte nicht mehr gesprochen und Nachts nicht mehr geschlafen, auch essen wollte ich nicht.
Das hatte zu Folge das ich 1971 wieder Verschickt wurde, dies mal nach Amrum/ Nebel. Jetzt ging ich schon in die erste Klasse. Und da war er wieder, dieser rot-schwarz karierte Koffer der mich begleiten soll und wieder die Ansage meiner Mutter, wenn ich ihn verliere, komme ich nie wieder nachhause.
Diesmal ging es früh morgens ab Frankfurt Flughafen mit dem Bus los, das nächste wo ich mich erinnere ist, das der Bus mit uns Kindern auf ein Schiff fuhr und übers Meer, jetzt werde ich nie mehr nachhause kommen dachte.
An diese " Kur" habe ich die Erinnerung, das ich nur am Weinen war und wegen meiner " sinnlosen Heulerei" von vielem bastel, spielen und usw. ausgeschlossen wurde. Ich musste mich dann immer mit einem Stuhl, Gesicht zur Wand in die Ecke setzen oder wurde raus in einen Art Vorraum gesetzt wo unsere Schuhe und Jacken waren. Auch hatte ich keine Wetter gerechte Kleidung dabei und meine Eltern mussten mir Kleidung nachschicken, so durfte ich nicht an Spaziergängen teilnehmen. Als das Paket endlich kam, hatte meine Mutter mir eine Tüte meiner Lieblingsbonbons mitgeschickt, ich musste alle an die anderen Kinder verteilen, weil ich immer die letzte bei allem war und die anderen Kinder auf mich warten mussten und ich allen mit meinem Geheule nerven würde, nicht ein einziges blieb für mich. Das tat sehr weh.
In diesem Heim habe ich auch gelernt mein Erbrochenes wieder zu essen. Es gab Spinat und ich habe mich geschüttelt weil er süß schmeckte. Ich habe ihn nicht nur einmal erbrochen immer wieder und als der Teller leer war gab es nochmal Nachschlag. In der Nacht danach kam dann alles hoch der Schlafraum war grün und mein Bett auch. Ich musste zur Strafe im Duschraum übernachten nur mit Unterwäsche auf einer Bank.
Wenn der Tischnachbar sich übergab und es in meinen Teller spritzte war es besser weiter zu essen ansonsten drohte Strafe.
In diesem Heim war es nicht möglich Nachts am Fenster zustehen, es waren Schlafräume mit 8 Betten und die Tür stand immer offen. Die ganze Nacht war eine Schwester da, wo im Flur auf und ab lief. Auch waren hier keine Kath.Nonnen. Es waren Schwestern und Tanten. Liebevoll gingen diese nicht mit mir um. Schulunterricht hatte ich da keinen nur die älteren Kinder so ab 12 Jahren. Aber ich hatte das Glück, konnte nach 8 Wochen nachhause, wie die anderen. Zurück wieder mit dem Bus auf die Fähre und dann Frankfurter Flughafen. Am Flughafen wurden dann alle Kinder abgeholt und ich stand als letzte da, mit meinen kleinen Koffer. Der Busfahrer wurde schon ungeduldig und hat mich gefragt wie meine Eltern aussehen und noch einige Fragen aber ich wusste gar nicht zu antworten weil ich nur Angst hatte. Dann kam mein Vater endlich und wir fuhren ohne große Begrüßung nach hause. An diese Heimfahrt und Ankunft zuhause habe ich auch keine Erinnerung.
Heute noch habe ich Probleme mit Krankenhäuser und alles was Einrichtungen in dieser Richtung gleicht. Auch reise ich sehr ungern mit Bus und Bahn. Ich kam auch nie weider richtig zuhause an, für meine Geschwister blieb ich ein Außenseiter. Für meine Eltern ein Sorgenkind das nicht viel spricht. Es hat mich eine Menge Kraft gekostet das alles nieder zuschreiben. Das Heim in Bad Reichenhall könnte das Kinderheim Sonnenwinkel gewesen sein und in Nebel das Kinderheim Satteldüne. Bin aber nicht ganz sicher.
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Verena schrieb am 27.10.2019
Hallo, mein Name ist Verena. Vor einigen Jahren ist bei mir die traumatische Erfahrung der Verschickung im Alter von 5 (1965 geboren), ich glaube es war nach Sylt, aber das muss ich erst herausfinden, wieder hochgekommen. Ich habe das aber weiter versucht zu verdrängen, bis es jetzt wieder auftauchte. Ich erinnere mich daran, frohen Mutes mit meinen beiden gleichaltrigen Freunden in einem 3Bettzimmer aufgenommen worden zu sein. Da ich aber offensichtlich zu laut war, wurde ich noch am ersten Abend von den Freunden getrennt und habe diese auch ca. 6 Wochen nicht mehr wiedergesehen. Ich erinnere mich, dass ich wieder anfing, in die Hose zu machen, dass ich nie genug Zeit hatte, um auf die Toilette zu gehen, dass ich irgendwie vor größeren Kindern vorgeführt und ausgelacht wurde. Ich habe mich sehr einsam gefühlt und wollte das schreiben, aber die Karte wurde ausgetauscht und mir ein Text diktiert. Bei einer Sitzung kam eine sehr starke Verängstigung und Angst vor Menschengruppen herauf. Leider nur sehr wenig Details. Viele Jahre hatte ich Träume, in denen ich verzweifelt eine Toilette zu finden versuchte, insbesondere auch in der ich nicht gestört werden würde.
Ich habe immer gedacht, ich wäre alleine mit dieser Erfahrung und mir kommen die Tränen, wenn ich hier lese, wie es euch allen gegangen ist. Im Grunde hatte ich ja noch fast Glück im Unglück, ich bin entsetzt.
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Margot Skopp schrieb am 27.10.2019
Ich bin im Jahr 1944 geboren und kam durch die Vertreibung aus Schlesien nach Ibbenbüren/Westf. Soviel meine Erinnerung sagt, war ich 1951/52 zur Erholung in einem Kinderheim in Kolberg. Ich finde in meiner Erinnerung keinen anderen Namen, sehe nur manchmal die Steilküste an der Ostsee vor meinen Augen und verschwommene Bilder eines großen Heimes. Nach einem Armbruch wurde ich - als schwächliches Kind - ins Erholungsheim zum Aufpäppeln geschickt. Auch ich kenne das; Essen, was auf den Tisch kommt oder Erbrochenes aufzuessen - und wenn nicht: Sitzenbleiben, bis der Teller leer ist. Ich habe mir beigebracht, alles zu schlucken und dann sofort in der Toilette wieder herauszubringen. Auch kann ich seitdem keine Graupen- oder Milchsuppe essen. Und auch keine Speise mit Klumpen. Ob ich glücklich dort war, weiß ich nicht. Ich kann es mir nicht vorstellen. Am Tage meines Geburtstages bekam meine Gruppe ein STück Schokolade und ein Stück Kuchen. Erst Zuhause wurde mir klar, dass dies aus dem Geburtstagspaket meiner Eltern stammte. Ob sonst noch etwas darin war, weiß ich nicht. Nur die Spaziergänge am Rande der Steilküste, die ich als hoch empfand - habe ich als schön in Erinnerung. Sonst ist mir nichts mehr bewusst. Wenn ich die Fragen zum Fragebogen lese, kommt es mir vor, dass ich viele meiner Angewohnheiten und Einstellungen dort und auch in meinem Kindergarten davor bekommen habe. Ich weiß nicht, wieso ich so anders bin als meine Schwestern und in der Kindheit und Jugendzeit so oft angeeckt und "vor die Wand" gelaufen bin. Vielleicht liegt es auch mit an diesem 6-wöchigen Aufenthalt dort.
Ich würde gern Weiteres über dieses Thema lesen oder hören.
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Peter Hoppe schrieb am 25.10.2019
Hallo miteinander,
ich heiße Peter und bin Jahrgang 1950.
Meine traurigen Erfahrungen musste ich ich 1961 in Tutzing am Starenberger See unter der furchtbaren Herrschaft von Frau Stautzenbach machen.
Dieser Name hat sich so bei mir eingebrannt weil alle auch kleinste angebliche Vergehen von einigen Betreuerinnen als Drohung: “das sagen wir Frau Stautzenbach“, verwandt wurde.
Diese Heimleiterin führte das Verschickungsheim im Sinne eines Gefängnisses mit Schlägen, Bettfesseln, einsperren im Bett über Stunden mit hohen Bettgitter Aufsätzen die aussahen wie Löwenkäfige.
Die Bestrafung ließ sich die Heimleiterin nicht entgehen und führte sie persönlich durch.

Ich erinnere mich an eine einzige junge, den Kindern gewogene Erzieherin, die wenn sie konnte heimlich den Kindern Beistand leistete, und dabei große Furcht vor Frau Stauzenbach hatte.

Toilettengang Verweigerungen in der Nacht und beim Mittagsschlaf über 2 Stunden waren an der Tagesordnung.
Nach dem daraus resultierenden Einnässen wurde man mit dem Wasserschlauch eiskalt abgespült.
Manche Kinder wurden herausgestellt und mit einer entsprechenden Aufschrift auf einem Pappschild am Bett z.B. als Bettnässer geschmäht.
Essen musste komplett aufgegessen werden, ebenso erbrochenes. Dabei saßen die betroffenen Kinder stundenlang im Speiseraum vor ihrem Teller auf dem Fussboden.
Alle Speisen waren mit Kümmel zubereitet und viele Kinder, darunter auch ich, vertrugen die ganzen Kümmelkörner nicht.
Post wurde streng zensiert und in 6 Wochen wurden 2 Spaziergänge gemacht, einmal in den Ort Tutzing um die zensierte Post abzugeben und ein zweites Mal zur Stelle wo König Ludwig ertrunken ist.

Anmerkung:
Die alte Villa in dem wir, etwa 25 Kinder, in 2 Schlafräumen unter der Furchtherrschaft von Frau Stautzenbach unter gebracht waren, lag direkt an der Promenade des Starenberger See,
wir konnten aus dem Fenster die vorbei fahrenden Schiffe sehen,
an das Wasser oder an das Ufer durften wir nie.......
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Hans-Dieter Clasmeier schrieb am 24.10.2019
Mißhandlungen in Kinderheimen gab es auch schon vor 1960
Hallo, ich bin Hans-Dieter, geb. 1946. Kurz vor der Einschulung 1952 im Januar war ich sechs Wochen im Kinderheim Bad Sassendorf um körperlich noch etwas zuzulegen, da ich recht schwächlich war. Der Aufenthalt dort, insbesondere die zweite Hälfte, mir mich auch heute noch manchmal in Erinnerung, insbesondere wenn ich wie jetzt lesen muß, wie es anderen Kindern in diesen "Erholungsphasen" erging. Am schlimmsten war eine Situation in der ich mich anfangs nicht wohl fühlte und beim Mittagessen die Tomatensuppe erbrechen mußte.Die Aufsicht zwang mich dann, das Erbrochene mehrfach wieder zu mir zu nehmen. Es war schlimm. Jahrelang war mir später Tomatensuppe ein Greuel, ich konnte sie nicht essen.
Eine weitere Strafe bestand dann darin, dass ich nicht wie alle anderen Kinder im Anschluß an eine Theateraufführung vom Rumpelstilzchen von dem gesponnenen Goldfaden ein Stückchen abbekam. Das tat damals sehr weh.
Ich erzählte diese Dinge meiner Mutter, sie gkaubte mir auch, aber sie besaß damals leider noch nicht die Kraft sich zu beschweren.
An einen späteren Aufenthalt in einem Kinderheim in Bad Weilmünster (1955) hingegen habe ich nur positive Erinnerungen, obwohl die Heime dort, wie ich später erfuhr, auch für Versuche der NS-Mediziner genutzt wurden und auch einige Tausend Menschen, vielfach Kinder, dort das Leben lassen mußten.
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Ingo schrieb am 24.10.2019
Hallo mein Name ist Ingo und ich bin 1961 geboren.
Im zarten Alter von etwa 4-5 Jahren hat man mich auf die Insel Langeoog geschickt.
Erst lange Zugfahrt über Nacht von Baden Würtemberg und dann übersetzen zur Insel.
Verbunden mit Heimweh, schlechter Betreuung und Tanten die es nicht mit den Kindern gut gemeint haben. Leider konnte ich damals nicht wehren und geglaubt hätte das sowieso niemand.
Leider ?????
Es ist jedoch sehr gut, dass darüber berichtet wird.
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Kathrin schrieb am 24.10.2019
Mein Name ist Kathrin und ich bin 1964 geboren. Meine Eltern wurden 1975 geschieden und damit ich wenigstens einmal im Jahr in Urlaub kam, wurde ich 1976 das erste Mal verschickt. Die erste Veschickung ging nach Amorbach im Odenwald die beiden weiteren Verschickungen nach Menzenschwand bei St. Blasien im Schwarzwald. Ja ich war immer schlank, hatte Untergewicht und sollte zunehmen. Ich habe in meiner Kindheit viel Sport getrieben, Leistungsturnen und Schwimmen. Ich habe aber auch immer gut und gerne gegessen.
In den Odenwald ging es begleitet per Zug. Dort angekommen, mussten wir zum obligatorischen Wiegen und zur ärztlichen Untersuchung. Wie nicht anders zu erwarten war, kam ich an den Tisch zum Zunehmen. Direkt daneben war der Tisch zum Abnehmen. Die "Abnehmer" bekamen einen Teller mit abgemessenem Essen, wir Zunehmer bekamen das Essen auf Platten und in Schüsseln auf den Tisch und konnten uns selbst bedienen. Manches Mal habe ich unter den Anfeuerungsrufen der "Tanten" einen Hausrekord aufgestellt, besonders dann, wenn es leckere Süßspeisen gab, wie z. B. Dampfnudeln mit Vanillesauce. So etwas kannte ich von zu Hause nicht, hat mir aber gut geschmeckt und auch heute esse ich so etwas sehr gerne. Was ich sehr ungerecht fand, waren das wöchentliche Wiegen und damit verbundene Demütigungen der Kinder, die die Zielvorgaben beim Zu- oder Abnehmen nicht erreicht hatten. An ein gewaltsame Mästen, wie von vielen anderen hier beschrieben kann ich mich nicht erinnern. Ebensowenig an Kinder, die sich erbrochen haben. Ich weiß noch, dass ich an vielen Sportangeboten nicht teilnehmen durfte, weil ich ja zunehmen sollte, das fand ich total blöd. Ich kann mich erinnern, dass es Bastel Angebote gab, an denen ich gerne teilgenommen habe. Mein schlimmstes Erlebnis dort war ein Toilettengang. Ich wollte die Toilette nach meinem großen Geschäft säubern und wollte die WC Bürste benutzen. Diese war voller Maden und Würmer. Ich habe mich so geekelt, dass mir die Bürste aus der Hand fiel und ich geschrieen habe. Die "Tante" liess mich die Schweinerei selbst weg machen. Noch heute ekel ich mich, wenn im Sommer in unserer Biotonne Maden krabbeln. An andere Kinder oder Ausflüge habe ich keine Erinnerung.

In Menzenschwand ging es etwas besser zu. Wir waren dort ja auch schon älter. Auch hier gab es die Zunehm- und Abnehmtische. Auch die strikte Mittags--und Nachtruhe. Aber von hier aus haben wir schöne Ausflüge gemacht, wir waren am Schluchsee schwimmen und durften nachmittags, wenn wir "lieb" waren, ins gegenüber liegende Cafe. Dort haben wir auch Kontakt zu den Einheimischen bekommen. Auch durften wir die Mittagsruhe draußen auf der großen Wiese hinterm Haus abhalten, aber auch nur, wenn wir "lieb" waren.
Ich habe während jeder "Kur" um die 3 Kilo zugenommen, die aber zu Hause zurück, innerhalb von 2 Wochen wieder runter waren.

Was mich heute wundert, ist, dass ich an manches gute Erinnerungen habe, aber nur bruchstückhafte an die Mädels dort.

Ich wünsche allen Betroffenen, die so stark traumatisiert wurden, dass sie durch den Austausch mit anderen Betroffenen, endlich nach so vielen Jahren, ihre Traumata bewältigen und überwinden können.
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Karin schrieb am 23.10.2019
Hallo,
mein Name ist Karin, ich war 1968 für mehrere Wochen in Lenggries, Sankt Georgi Haus verschickt. Kennt das jemand? Im Internet ist nichts darüber zu finden (außer alten Postkarten). Der Aufenthalt dort war für mich traumatisch. Vieles was ich hier gelesen habe, habe ich auch so erlebt. Ich war ein "dünnes" Kind was schlecht aß und aufgepäppelt werden sollte. Meinen Eltern war ich sowieso immer im Weg, so dass sie wahrscheinlich ganz froh waren, mich dort hin schicken zu können und ein paar Wochen los zu sein. Ich erinnere mich an Berge von Schmalzbroten, die es jeden (!!) Tag gab. Ich erinnere mich an Nachmittage, die ich in der Küche verbrachte vor meinem kalten Essen sitzend, denn ich durfte nicht raus bevor ich es nicht gegessen hatte (Später hatte ich für 14 Jahre lang Bulimie - ich denke dort liegt der Ursprung dafür !!!!)
Als ich krank wurde (eine Erkältung mit entzündeten Mandeln oder so etwas) legte man mich in ein Isolierzimmer wo ich den ganzen Tag völlig alleine war .....
Genauso alleine wie damals in meinem Krankenzimmer bin ich mit der Erinnerung an diese Zeit, es ist wie ein dunkles Verlies in meiner Mitte ... unbetretbar und trotzdem ganz real.
Es wäre großartig, wenn ich jemanden finden würde, der auch dort war.

Herzliche Grüße
Karin
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Ingrid Metzmacher schrieb am 23.10.2019
Neue Ergänzungen zu meinem leidvollen Aufenthalt in Bad Neuenahr. Ich hatte durch die ständigen Demütigungen viele Jahre meines Lebens unter Minderwertigkeitsgefühlen zu leiden. Ich litt unter Depressionen und war deswegen einige Jahre in Behandlung. Bei einer Recherche im Internet habe ich gestern eine Ansichtskarte von dieser Hölle gefunden. Auf der Karte war vermerkt:(KINDERERERHOLUNGSHEIM DES KRANKENKASSENVERBANDES AACHEN, BAD NEUENAHR.)
Mir stockte der Atem und es lief mir eiskalt den Rücken hinunter, als ich dieses Heim auf der Karte wieder erkannte. Wenn ich mir die Karte besehe, kommt mir das Haus wie ein Gefängnis vor. Sein Anblick ist schwer zu ertragen. Die Karte ist von 1955. Als Straße ist auf dem Abs. BAD NEUENAHR, JOHANNISBERG 70 angegeben.
Durch die Veröffentlichungen vieler Zeitzeugen, ist mein Inneres sehr aufgewühlt und so drängt es mich heute, wieder unschöne Erinnerungen nieder zu schreiben. Wir gingen dort fast täglich spazieren. Bei einem March durch Bad Neuenahr riß der Gummi meiner Unterhose und diese drohte nun hinunter zu rutschen. Ein großer Schrecken überkam mich. Ich wußte, das ich in dieser mißlichen Lage auf mich alleine gestellt war. Wem sollte ich mich anvertrauen ? Ich wußte, das ich nur Schimpf und Spott erfahren hätte. Krampfhaft hielt ich meine Unterhose zusammen mit meinem Kleid, in Höhe des Bauchnabels zusammengeknüllt mit einer Hand fest. Das war sehr schwierig. Weinen durfte ich nicht, das war verboten. Außerdem hätten die Tränen mich verraten. Der Marsch durch Bad Neuenahr kam mir sehr lange vor. Man kann sich kaum vorstellen, welche Angst ich ausstand. Da die Tante ja sowie so schon mit vielen Erniedrigungen dafür gesorgt hatte, das ich zum Einzelgänger wurde, kam mir das in meiner mißlichen Situation zu Gute. Ich hielt mich bei diesem Marsch ziemlich in der Mitte der Gruppe auf, immer in Angst, die Tante , oder eines der Kinder würde etwas merken, oder die Unterhose rutscht doch noch bis zur Erde. Aber die Tante hielt sich meistens am Ende der Gruppe auf, weil sie diese ja zusammen halten musste. Auf diesem endlosem Gang hatte ich unbeschreibliches Heimweh. Wie habe ich diesen unbeschreiblichen Gang zu Ende gebracht? Meine Erinnerung ist verblasst, aber vielleicht ist das auch gut so. Was sind das für Menschen, die Kinderseelen so verletzen? Ich habe mich in den letzten Jahre oft gefragt, ob diese Hexentante noch lebt.
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Jutta Gilbert schrieb am 23.10.2019
Als ich die vorhergehenden Kommentare las, bekam ich Herzrasen und es wurde mir noch einmal bewusst, was man uns in diesen 'Erholungsheimen' angetan hat..
Ich war im Alter von 5 Jahren für vier Wochen nach Grömitz verschickt worden. Obwohl Grömitz nur eine Autostunde von meinem Heimatort Hamburg entfernt war, durften meine Eltern mich dort nicht besuchen.
Ich erinnere mich mit Schaudern an das Essen vor allen Dingen an die angebrannte Schokoladensuppe. Süssigkeiten, die uns unsere Eltern mitgegeben hatten, sahen wir nie wieder.
Aber wirklich schlimm war diese absolute Lieblosigkeit der Erzieherinnen. Da ich abends aus Heimweh weinte, nahm man mir zur Strafe mein Kuscheltier weg und deponierte es auf einem Schrank, den ich auch unter grössten Anstrengungen nicht erreichen konnte. Den Mittagsschlaf musste ich zur Strafe bei den grösseren Mädchen verbringen, die mich mit ihren mit Rotz verschleimten Händen einrieben.
Ich war es gewohnt regelmässig frische Unterwäsche anzuziehen, von der ich auch ausreichend dabei hatte. Das war aber so nicht vorgesehen. Man gab mir keine frische Wäsche, die benutzte hatte ich aber auch nicht mehr. Ich musste dann ohne Höschen mit einem kurzen Rock im Sitzkreis auf dem Boden sitzen und war dann die Witzfigur für die anderen Kinder,die von der Gruppenleiterin auf meine peinliche Situation aufmerksam gemacht wurden.
Ich habe an diese 4 Wochen keine einzige gute Erinnerung, es war nur schrecklich.
Während meiner weiteren Kindheits-und Jugendjahre habe ich unter extremen Trennungsängsten gelitten.
Als ich mit ca. 30 Jahre eine Psychotherapie wegen Panikattacken machte, kamen die o.g. Erinnerungen wieder in mein Bewusstsein und konnten erst dann einigermassen verarbeitet werden. Der Therapeutin waren diese Vorfälle in Verschickungsheimen bekannt, ich erfuhr zum ersten Mal, dass es nicht meine Schuld, dass ich kein Einzelfall war.
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