ZEUGNIS ABLEGEN – ERLEBNISBERICHTE SCHREIBEN
Hier haben sehr viele Menschen, seit August 2019, ÖFFENTLICH ihre Erfahrung mit der Verschickung eingetragen. Bitte geht vorsichtig mit diesen Geschichten um, denn es sind die Schicksale von Menschen, die lange überlegt haben, bevor sie sich ihre Erinnerungen von der Seele geschrieben haben. Lange haben sie gedacht, sie sind mit ihren Erinnerungen allein. Der Sinn dieser Belegsammlung ist, dass andere ohne viel Aufwand sehen können, wie viel Geschichte hier bisher zurückgehalten wurde. Wenn du deinen Teil dazu beitragen möchtest, kannst du es hier unten, in unserem Gästebuch tun, wir danken dir dafür! Eure Geschichten sind Teil unserer Selbsthilfe, denn die Erinnerungen anderer helfen uns, unsere eigenen Erlebnisse zu verarbeiten. Sie helfen außerdem, dass man uns unser Leid glaubt. Eure Geschichten dienen also der Dokumentation, als Belegsammlung. Sie sind damit Anfang und Teil eines öffentlich zugänglichen digitalen Dokumentationszentrums. Darüber hinaus können, Einzelne, die sehr viele Materialien haben, ihre Bericht öffentlich, mit allen Dokumenten, Briefen und dem Heimortbild versehen, zusammen mit der Redaktion als Beitrag erarbeiten und auf der Bundes-Webseite einstellen. Meldet euch unter: info@verschickungsheime.de, wenn ihr viele Dokumente habt und solch eine Seite hier bei uns erstellen wollt. Hier ein Beispiel
Wir schaffen nicht mehr, auf jeden von euch von uns aus zuzugehen, d.h. Ihr müsst euch Ansprechpartner auf unserer Seite suchen. ( KONTAKTE) Wenn Ihr mit anderen Betroffenen kommunizieren wollt, habt ihr weitere Möglichkeiten:
- Auf der Überblickskarte nachschauen, ob eurer Heim schon Ansprechpartner hat, wenn nicht, meldet euch bei Buko-orga-st@verschickungsheime.de, und werdet vielleicht selbst Ansprechpartner eures eigenen Heimes, so findet ihr am schnellsten andere aus eurem Heim.
- Mit der Bundeskoordination Kontakt aufnehmen, um gezielt einem anderen Betroffenen bei ZEUGNIS ABLEGEN einen Brief per Mail zu schicken, der nicht öffentlich sichtbar sein soll, unter: Buko-orga-st@verschickungsheime.de
- Ins Forum gehen, dort auch euren Bericht reinstellen und dort mit anderen selbst Kontakt aufnehmen
Beachtet auch diese PETITION. Wenn sie euch gefällt, leitet sie weiter, danke!
Hier ist der Platz für eure Erinnerungsberichte. Sie werden von sehr vielen sehr intensiv gelesen und wahrgenommen. Eure Erinnerungen sind wertvolle Zeitzeugnisse, sie helfen allen anderen bei der Recherche und dienen unser aller Glaubwürdigkeit. Bei der Fülle von Berichten, die wir hier bekommen, schaffen wir es nicht, euch hier zu antworten. Nehmt gern von euch aus mit uns Kontakt auf! Gern könnt ihr auch unseren Newsletter bestellen.
Für alle, die uns hier etwas aus ihrer Verschickungsgeschichte aufschreiben, fühlen wir uns verantwortlich, gleichzeitig sehen wir eure Erinnerungen als ein Geschenk an uns an, das uns verpflichtet, dafür zu kämpfen, dass das Unrecht, was uns als Kindern passiert ist, restlos aufgeklärt wird, den Hintergründen nachgegangen wird und Politik und Trägerlandschaft auch ihre Verantwortung erkennen.
Die auf dieser Seite öffentlich eingestellten Erinnerungs-Berichte wurden ausdrücklich der Webseite der „Initiative Verschickungskinder“ (www.verschickungsheime.de) als ZEUGNISSE freigeben und nur für diese Seiten autorisiert. Wer daraus ohne Quellenangabe und unsere Genehmigung zitiert, verstößt gegen das Urheberrecht. Namen dürfen, auch nach der Genehmigung, nur initialisiert genannt werden. Genehmigung unter: aekv@verschickungsheime.de erfragen
Spenden für die „Initiative Verschickungskinder“ über den wissenschaftlichen Begleitverein: Verein Aufarbeitung und Erforschung von Kinderverschickung / AEKV e.V.: IBAN: DE704306 09671042049800 Postanschrift: AEKV e.V. bei Röhl, Kiehlufer 43, 12059 Berlin: aekv@verschickungsheime.de
Journalisten wenden sich für Auskünfte oder Interviews mit Betroffenen hierhin oder an: presse@verschickungsheime.de, Kontakt zu Ansprechpartnern sehr gut über die Überblickskarte oder die jeweiligen Landeskoordinator:innen
Meine Frage: Wer kann mir helfen, den Namen des Heims herauszufinden? Leider habe ich keine weiteren Anhaltspunkte als diese Erinnerungen. Ich wäre sehr dankbar, wenn ich wüsste, wie das Heim hieß, um nach Föhr fahren zu können und Spuren zu suchen.
auch ich bin wohl ein
" Verschickungskind",auch wenn ich es nie so ausgedrückt habe.Ich war mit meiner Zwillingsschwester ca. 1965,da 4-jährig, zur Kindererholung.Wer der Träger war,weiß ich nicht.Ich fühlte mich garnicht krank oder sowas,allerdings war die Scheidung der Eltern vorausgegangen.Ich freute mich auf dieses Abenteuer,war ganz aufgeregt und die Vorstellung ans Meer zu fahren gefiel mir.Zu den Vorbereitungen gehörte neben Koffer packen auch das einnähen von Namensschildchen in JEDEM Kleidungsstück.Das fand ich schon spannend...unser Lieblingsstofftier kam mit ins Gepäck.Auch gut!
Der Tag der Abreise kam...und ab da war gar nichts mehr so schön wie ich es mir vorgestellt hatte.
Mit der Zugfahrt im Dunkeln fing das 6-wöchige Drama unserer Kindererholung schon an.Die so aufgeregten Kinder wurden auf die Abteile verteilt und angehalten uns hinzulegen und den Mund zu halten.Na DAS sage man mal aufgeregten Kindern,die ans Meer fahren... Natürlich wurde in den Abteilen gekichert,gelacht und gequikst...eine Betreuerin kam und drohte das 1. Mal,wir sollten schlafen und ruhig sein!Ich habe mich sehr bemüht und wollte der Anweisung auch folgen,nur schlafen konnte ich nicht...Es war immer noch laut in unserem Abteil,die Betreuerin kam erneut,rupfte mich aus der Schlafstätte,zog mich am Arm hinaus,quetschte mich in den engen Gang und meinte,ich müsse jetzt eben den Rest der Fahrt stehend im Flur verbringen...ich durfte mich nicht auf diese ausklappbaren Sitze setzen...ich fühlte mich ungerecht behandelt,sie hat ja einfach mich aus dem Bett gezogen und garnicht geguckt,wer eigentlich noch geredet hat...Nuja,so stand ich halt im dunklen,kalten Zugabteil und die Fahrt war noch seeeehr lang.
Angekommen in Sylt- und nun waren fast alle wirklich müde- ging es in Zweierreihen durch die dunkle Nacht marschierend ins Kinderheim,wo wir von einem heißen Getränk empfangen wurden.Es roch wie Brühe in Plastikbechern...ich fand,es stank...Wir sollten es Austrinken und danach wurden wir auf die Zimmer verteilt.
Insgesamt ging es wochenlang in einem SEHR lieblosen,strengen,bis übergriffigem Verhalten durch die Nonnen so weiter...
Wir waren 4 Jahre alt,gehörten zu den " Kleinen" und mussten beim Essen noch Lätzchen tragen( ich fühlte mich schon viel zu groß für Letzchen).Wir mussten aufessen,da gab es kein Pardon,und wir mussten solange am Tisch sitzen bleiben,bis wir aufgegessen hatten.Reden am Tisch war nicht erlaubt.An einem anderen Tisch war ein noch kleineres Mädchen...sie hat so sehr geweint,daß sie nicht essen konnte,da wurde sie auf den Schoss genommen und gefüttert,aber die arme Kleine schluchzte und weinte immer mehr,und erbrach sich in den Teller...die Nonne rührte das Erbrochene unter und schob es der Kleinen weiter rein,die Kleine erbrach sich immer wieder und immer wieder wurde es untergerührt...ich war sehr schockiert,das mitanzusehen.
Ich selbst musste mal lange am Tisch sitzen bleiben,weil ich den Nachtisch nicht essen wollte. Und ein anderes Mal wurde ich in eine,am Speisesaal angrenzende Kammer gesperrt,weil ich am Tisch geredet habe.
Die Kleinen mussten Mittagschlaf halten,also hieß es auch für mich bei schönstem Sonnenschein still und bewegungslos unter dicken Federbetten zu liegen.Man durfte nichtmal die Augen offen haben...eine Nonne kontrollierte das...so schlich sie sich an,beugte sich über mich,sah meine geöffneten Augen und gab mir ohne Vorwarnung einen Schlag ins Gesicht" Augen zu"! war alles,was sie drohte...
Jeden Morgen mussten wir auf dem langen Balkon Gymnastikübungen machen,den Hampelmann,den Gänsemarsch auf dem laaangen Balkon.
Morgens zum Waschraum: wir standen bis auf Unterhose bekleidet in Reihe und Glied an der Wand und marschierten geordnet in den Waschraum,wo wir geordnet an den Waschbecken Zähne putzen und Gesicht wuschen...( wir hatten extra leckere Erdbeerzahncreme mitbekommen,die haben wir lieber gegessen,als sich die Zähne damit zu putzen).
Es kam Nikolaus,es kam unser 5.Geburtstag,es kam Weihnachten und es kam Sylvester...diese blöde Kinderkur wollte einfach kein Ende nehmen.
Zu unserem Geburtstag bekamen wir ein Paket geschickt,was haben wir uns gefreut...das Stofftier daraus durften wir behalten,die leckeren Süßigkeiten nicht- UNSER Paket wurde hoch oben auf den Schrank gestellt und jeden Tag daraus die Süßigkeiten an alle Kinder verteilt.
Ich fand's gemein!Es war UNSERES!
Zwischenzeitlich sollten wir unseren Eltern dann mal einen Brief schreiben...da wir noch nicht schreiben konnten,wurden wir von den Nonnen gefragt,was wir denn schreiben wollen..." hier ist es nicht schön,wir wollen nach Hause...!" Die Nonne meinte: " NEIN NEIN,SOOOWAS SCHREIBEN WIR NICHT!! Wir schreiben lieber: uns gefällt es gut,alle sind freundlich und lieb...und genau DAS kam dann bei den Eltern an.
Die Adventzeit kam und im Beschäftigungsraum hing ein Adventkalender mit vielen kleinen Säckchen von der Decke...jeden Tag durfte ein Kind,welches sich besonders gut benahm ein Säckchen abschneiden.....die,die sich angeblich nicht so gut benahmen,wie Nonnen sich das vorstellen gingen leider leer aus...ich leider auch,und ich hatte mich doch soooo bemüht.
Ich weiss nicht,warum ich ständig in dunkle Kammern gesperrt wurde,im Flur im Dunkeln an der Wand stand oder auch die ein oder andere Ohrfeige kassierte oder den Klaps auf den Po....keine Ahnung...
Es gab 1 Besuchstag für Eltern,alles Gebastelte kam auf lange Tische,die Stimmung war brennend aufgeregt,die Kinder standen fast Kopf vor Freude.Alle Zimmer,jede Nonne,jedes Kind wurde auf Hochglanz poliert und alle und alles zeigte sich plötzlich von seiner allerbesten Seite.Die Nonnen konnten LÄCHELN,wirklich! Das hatten wir bis dahin nicht gesehen.
Leider kam für uns keiner....da war ich echt unglücklich.
Ich kann mich an 1 einzigen Strandbesuch erinnern,endlich das Meer sehen und Muscheln sammeln,dafür hatten wir sogar ein Eimerchen bekommen.Ansonsten lief der Strandbesuch ab,wie alles andere: in Reihe und Glied,nicht trödeln,weitergehen,Beeilung,dranbleiben,gehorchen,und die schönen Muscheln am Strand zurücklassen...
Wir waren noch zu klein um aufzubegehren,waren ja noch nicht mal in der Lage uns richtig und ordentlich anzuziehen.Auf einem Foto dieser Kur stehen wir in fleckigem Pulli ,mit Latzhose,dessen Träger runterhängt vor Nikolaus...
Als Erwachsene sagte ich immer,wir sind aus der Kur kränker zurückgekommen,als hingeschickt.
Ich habe diese Kur nie als so schädigend oder gar traumatisch gehalten,aber öfter über diese " elendige,schreckliche Kinderkur" geredet.
Insgesamt war ich der Meinung,Nuja,die Zeit war halt so...unbarmherzig,hart,lieblos bis brutal...schwarze Pädagogik der Nachkriegszeit....
Ich fand die Zeit dort im Kindererholungsheim schrecklich,das ist alles,was davon übrig blieb...
Ich kann mich nur an Bruchstücke erinnern.
Der Aufenthalt war in der Adventszeit. Wir hatten einen Besuch der Krampusse, was für uns kleine Kinder sehr gruselig war. Das Lied "Es ist für uns eine Zeit angekommen" macht mich immer traurig, ohne dass ich weiß warum.
Der Duft von Zigarettenrauch und Instantkaffee erinnert mich direkt an die Zeit. Den großen Gemeinschaftsraum mit dem Kachelofen.
An den Schlafraum kann ich mich nur schwach erinnern. Ich musste aber auch mindestens eine Nacht auf dem Flur stehen.
Ich erinnere mich an den Königssee und an Wanderungen durch den Schnee.
Ich bin auch mal krank gewesen und konnte deshalb nicht nach draußen. Ich haben dann drinnen gespielt. Mit grünen Plastiksoldaten.
An einen Nachmittag mit Zauberer kann ich mich noch erinnern.
Auf der Zugfahrt zurück nach Ahlen/Westfalen ist, glaube ich, mein Marienkäfer Portemonnaie verlorengegangen. Es war weg.
Ich hatte mal die Adresse des jetzigen Besitzers herausgefunden und versucht, etwas über die weitere Geschichte zu erfahren. Er war sehr unfreundlich wegen des Anrufs. Vielleicht war ich nicht der erste Anrufer.
Ich habe auch ein paar persönliche Probleme und weiß nicht, ob das etwas mit dem Aufenthalt zu tun hat.
ICH dem Kindergarten und bevor ich eingeschult werden sollte, sollte ich zur Kur. Ich weiß noch das ich gar nicht von zuhause weg wollte. Ich bin die jüngste von 4 Geschwister, aber die einzige die zur Kur sollte. Ich verstehe eigentlich bis heute nicht warum ich dorthin musste. Für mich war es die Hölle. Heimweh ohne Ende .
Ich kann mich erinnern das in meine Kleidung Namensschilder gebügelt wurde. Und das wir mit vielen Kindern in einem Bus nach Adenau gefahren worden sind. Ich meine mich zu erinnern bei Ankunft wurden uns die Stofftiere und Süßigkeiten abgenommen die wir von zuhause mitgebracht hatten. Bei den Süßigkeiten hiess es das wir es mit allen teilen müssen. Kann mich aber nicht erinnern das wir jemals was süßes bekamen.
Im Speiseraum musste ich an den Diät Tisch. Obwohl ich eigentlich nicht Dick war. Wir am Diät Tisch bekamen wenig zu Essen. Ich weiß das ich immer Hunger hatte . Wir mussten zusehen wie die anderen viel zu essen bekamen. Nachts durften wir nicht auf Toilette, da ich aber nachts musste wollte ich heimlich schnell aufs Klo, bin erwischt worden und bekam mächtig Ärger und durfte nicht auf Klo. Somit machte ich dann ins Bett. Musste mein Bett in der Nacht noch abziehen und im Keller in die Wäschekammer bringen. Durfte mich nicht mehr hinlegen um zu Schlafen. Morgens beim Frühstück musste ich mich vor die Gruppe stellen und sagen " Ich bin ein Bettnässer"
Zur Bestrafung durfte ich an dem Tag nicht mit den anderen draußen im Garten spielen. Musste unter Beobachtung im Zimmer bleiben. Durfte auch nicht sprechen. Ich weiss noch das wir Postkarten für die Eltern schreiben sollten. Diese wurden aber kontrolliert, es durften nur positive Dinge drin stehen, negative Postkarten wurden zerrissen.
ICH hatte wahnsinniges Heimweh und für mich war es die Hölle. Als ich endlich wieder zuhause war, hab ich erstmal alles gegessen was ich in die Hände bekam. Ich erinnere mich auch, als meine Mutter mich am Bus abgeholt hat, das sie zu mir sagte... mein gott was hast du abgenommen.
Aber von der Kur selber durfte ich nie drüber reden. Ich habe jahre danach noch Albträume gehabt. Als ich die Dokus im TV sah, war es für mich wie ein Befreiungsschlag. Endlich glaubt mir jemand.
...
Immer wenn ich was über Verschickungsheime mitbekomme, muss ich an Ruhpolding denken.
(Vorsicht Triggergefahr, ich bin da recht offen)
Ich habe am Ende des Textes eine Überschrift gefunden:
"Wozu braucht man eine Kullertränenfabrik?"
Ich war vielleicht vier oder fünf Jahre alt und wurde gemeinsam mit meinem Bruder nach Ruhpolding geschickt. Das muss so 1979 rum gewesen sein.
Wenn ich heute nur Ruhpolding höre, dann löst das in mir enorm viel aus. Es war die Hölle und ich kann mich nur noch an Bruchstücke erinnern.
Ich habe keine Ahnung, wie lange es dauerte. Ich weiß aber noch ganz genau, wie wir ankamen, mit vielen anderen Kindern in einem Bus, der vor diesem Haus hielt, es war neblig, kalt und alles sehr fremd und bedrückend. Wir schienen irgendwie alle keine Ahnung zu haben, warum, weshalb und wie lange wir dort sein sollten. Wir mussten dann ein paar Betonstufen runter, in einen Speisesaal.
Es wurde ausschließlich mit Befehlston mit uns gesprochen und wir mussten (ja mussten) Kakao trinken.
Dieser hatte Haut oben drauf, vor der ich mich sehr ekelte und die ich erbrechen musste, ich musste würgen und erbrechen vor Ekel und diese Frauen dort (ich glaube Schwestern oder Nonnen) zwangen mich dieses Erbrochene wieder aufzuessen es gab Schläge auf den Hinterkopf (auch heute habe ich noch große Probleme mit Erbrochenem, aber wer auch nicht). Das war am ersten Tag, am zweiten Tag dasselbe, aber mein älterer Bruder (ca 1 Jahr älter) fand Haut auf dem Kakao nicht so schlimm und er hatte die ganz schnell für mich runter gemacht. Er bekam ja mit, wie ich litt und gequält wurde, wie ich schrie und weinte und wie lange wir am Tisch sitzen mussten, gefühlt bis spät in die Nacht bis ich das Erbrochene eben irgendwie runterwürgen konnte. Bis meine Augen leer geweint waren.
Ich weiß sonst noch, dass wir träumen MUSSTEN, um am nächsten Tag Träume zu erzählen, ich wurde als Lügner hingestellt und ziemlich fertig gemacht, dass ich da nicht lügen dürfe und dass alle träumen und ich sagen muss, was ich geträumt hätte. Als ich aber sagte, ich hätte nichts geträumt wurde ich hart und streng bestraft (ich kann mich allerdings nur noch an das Gefühl erinnern, ich glaube ich musste mich auf so einen gelben Würfel stellen und alle zeigten auf mich und sollten Lügner sagen oder böse rufen oder sowas). Man wurde dort generell oft vor anderen bloß gestellt, auch wenn man vor Angst ins Bett machte wurde vor allen ausgelacht und bloß gestellt.
Ich hatte solche Angst und war so eingeschüchtert, dass ich beim nächsten Mal erzählte, dass ich von Superman geträumt hätte, was ich mir ausdachte um nicht wieder bestraft zu werden. Den malte ich dann auch, womit ich mich sehr unwohl fühlte, weil man in unserer Familie eigentlich ehrlich war.
Ich habe bruchstückhafte Erinnerungen wie ich in eine Art Arztzimmer musste, mit orangebraunen Wänden und so einer dunkelblauen oder schwarzen Arztliege. Dort zog ein Mann mich aus und fasste mich überall an, auch an den Genitalien, auch am und im Po, wie oft das passierte, weiß ich nicht mehr. Sonst waren nur Frauen dort, nur böse Frauen mit Strafen und Befehlen, ich glaube dieser Pseudoarzt war der einzige Mann dort. Inwiefern diese "Untersuchung" medizinisch bzw. irgendwie diagnostisch notwendig war, kann ich schwer einschätzen, vielleicht hatten solche Methoden damals einen Sinn, heute würde man bei Vorschulkindern wahrscheinlich keine Prostata untersuchen...
Dies triggerte mich allerdings alles auch sehr an, da ich seit meinem dritten Lebensjahr (oder früher, jedenfalls seit ich denken und mich erinnern kann), von meinem Opa sexuell missbraucht wurde. Von daher dachte ich sowieso es sei völlig normal, wenn alte, stinkende Menschen einen ausziehen und überall anfassen oder verlangen, dass man sie anfasst, oder dass man gestreichelt wird oder streicheln soll oder dass man irgendwas in den Hintern gesteckt bekommt.
Als Kind dachte ich zumindest alle alten Menschen machen dies mit ihren Enkeln und da sei nichts außergewöhnlich dran. Erst mit 8 sowas lernte ich über das Fernsehen, dass sowas nicht normal ist und verboten dann wollte ich nicht mehr, wurde erpresst und unter Druck gesetzt und so mit 9 oder 10 sagte ich "nein" und war fest davon überzeugt er würde mich für meine Verweigerung umbringen, stattdessen zerstörte mein Opa ganz gezielt mit Lügen meine Glaubwürdigkeit in meiner Familie, die ich dadurch sozusagen für eine Lange Zeit verlor, (hoffe das ist nicht zu hart, ich kann da mittlerweile gut und frei drüber reden, dies klappte bis zu meinem 22. Lebensjahr nicht, da mir bis dahin schlicht die Worte für das Erlebte fehlten).
Seit diesem Zeitpunkt dieser "Untersuchung" in Ruhpolding habe ich eigentlich garkeine Erinnerungen mehr an dieses Haus und an das was da genau passierte, ich befürchte schlimmeres oder noch mehr Ähnliches, irgendwie Dinge vor denen mich mein Gehirn versucht zu schützen eben.
In meiner Erinnerung ist Ruhpolding für mich der Inbegriff von Hölle, von Unterdrückung, von harten Strafen und ja ich würde es Folter nennen, auf jeden Fall enorme unfassbare Gewalt.
Ich habe an die Zeit dort keine eine schöne Erinnerung, außer dass mein Bruder mich davor rettete die Kakaohaut erneut zu erbrechen und dieses Erbrochene dann wieder aufessen zu müssen.
Es war der liebloseste Ort, an dem ich je war, den ich mir überhaupt vorstellen kann.
Die Bedrückung und Angststarre der Kinder dort waberte wie der Nebel über Ruhpolding und wenn ich das schon höre "RUHPOLDING", dann ist der Nebel über Ruhpolding das passende Bild für dieses Kalte, Nasse, Feuchte, Eklige genau das wie alles dort war. Ein Ort an dem möglichst keine Menschen sein sollten, aber an welchen erstrecht keine schutzlosen einsamen Kinder geschickt werden sollten. Doch diese brachte man mit Bussen alleine und voller Angst dorthin und keines der Kinder wusste warum oder wie lange oder ob sie je wieder aus dieser Hölle heraus kommen würden.
Es gab keinen Kontakt zu den Eltern, man war plötzlich in einer anderen Welt, eklig, kalt, herzlos, brutal und dann dieser Nebel mit einem unangenehm kalten Nieselregen der immer da war und vor dem es keinen Schutz gab.
Genauso war die Kälte in den Herzen der bösen Frauen dort und wie vor dieser Kälte erstarrt waren die Blicke der Kinder, große starre Kinderaugen ohne Freude, ohne Lächeln in ständiger Angst, vor der nächsten Gefahr vor der nächsten Aktion, vor der nächsten unangenessenen Strafe, vor der Hilflosigkeit und der Machtausübung dieser bösen Menschen dort.
Aber die Kinderaugen waren nicht schnell, nicht wie auf der Flucht, nicht wie in Panik, nicht wie erschreckte Kanninchen. Nein! Es war der Schock in ihren Augen, die großen Kinderaugen voller Angst, voller Fassungslosigkeit, voll Schock, gepaart mit Hilflosigkeit. Sie konnten nicht mehr springen, rennen, spielen oder fliehen. Sie wirkten wie man sich die Tiere in Seligmans Experimenten zur erlernten Hilflosigkeit vorstellt, aber die Kinder durften sich nicht zusammenkauern, sie durften nicht richtig trauern, obwohl sie alles verloren hatten, was sie kannten.
Wir mussten jetzt Befehlen gehorchen, Tränen kullerten aus Kinderaugen, die nicht verstanden was passierte.
Es schienen alle, wie ich aus der Familie gerissen worden zu sein, weit weg von Schutz, Wärme, Geborgenheit und Verständnis in eine Welt von Befehlen und Anweisungen, von Regeln, die wir weder kennen, noch verstehen konnten, von solch kalter Herzlosigkeit, die Kinder nicht fassen oder verstehen können, die niemals ein Kind erleben sollte.
Es schockierte zusätzlich das, was anderen an Leid angetan wurde.
Man sah schockierte Kinderaugen mit leisen ängstlichen Kullertränen.
Gefühlt war keines der Kinder bereits im Schulalter, wir waren noch richtig richtig klein. Wir waren bedürftig und abhängig, brauchten Schutz, wir brauchten doch mal eine Umarmung, mit Mama Kuscheln, auf Papas dickem Bauch einschlafen, Nähe, mal etwas Aufmerksamkeit, wir brauchten doch Liebe.
Aber es war Ruhpolding, hier gab es keine Liebe, von niemandem, für niemanden, Ruhpolding eben.
Kullertränen interessierten niemanden, es gab sie täglich, bei allen. Aber Ruhpolding liegt auf einem kalten Berg, vielleicht um nicht in Kullertränen zu versinken, diese kullerten runter, aus den geschockten Kinderaugen, die Wange runter tropften sie auf den Boden. Ich glaube es war ein grauer Linoleumboden passend zum grauen kalten Himmel über dem nieselnebligen Ruhpolding (wie ich diesen Namen hasse, diesen Hass kann man geschrieben garnicht ausdrücken). Die Kullertränen von allen tropften zu allen Zeiten. Nein, nicht von allen gleichzeitig, manchmal waren Kinder einfach leergekullert, dann kamen auch keine Tränen mehr. Dann wurden wir so kurzatmig, man rang nach Luft, suchte Kraft und Energie, weil es noch so viel zu weinen gab und die Verzweiflung nicht zu ertragen war. Es gab immer ein Kind, dass noch Reserven hatte, vielleicht hatten welche auch eine bessere Atemtechnik, oder, oder, oder. Es weinte ständig eins von uns Kindern, denn es war uns allen zu viel, zu schlimm. Einige wurden geohrfeigt, einige bekamen vor allen den Hintern versohlt und einige am Ohr hoch in die Luft gezogen. Immer wieder wurden einzelne Kinder vor allen bloß gestellt, zum Gespött gemacht, ausgelacht, gedemütigt. Es gab keine Lieblinge, alle erlebten das, alle wurden von den bösen Frauen dort ausnahmlos gehasst. Solche Menschen sollten nicht mit Menschen arbeiten und schon gar nicht ihre Gewalt an Kindern ausleben. Was war nur los mit diesen Frauen, wieviel Hass und Gewalt kann nur in diesen Frauen gesteckt haben?
Erst als ich viel älter war, lernte ich wie der Kreislauf des Wassers funktioniert. Vielleicht war der nasse, unangenegme Nebel über Ruhpolding aus verdunsteten kalten Kullertränen gemacht, oder die Kullertränen kullerten ins Tal zum Kreislauf der Kullertränen, die dann wieder neuen Nebel schufen, was für ein schlimmer Ort - RUHPOLDING.
Aber alle Kinder hatten die Kullertränen, die immer leiser wurden, denn alles schluchzen, weinen und nach Atem ringen machte es höchstens schlimmer, doch helfen konnte nichts.
Es war eine herzlose und gottlose Kullertränenfabrik nur wusste ich als Kind nicht wozu, die anderen wussten es auch nicht, es wusste damals niemand.
Heute? Ja heute!
Heute weiß ich es auch nicht... Wer zur Hölle braucht eine kalte Kinderkullertränenfabrik die Ruhpolding heißt?
In Ruhpolding war egal, ob geweint, geschrien, geschluchzt oder getobt wurde man war unter vielen geschockten Kindern alleine, denn kaum ein Kind hatte Ressourcen für die anderen. Außer mein großer Bruder, der mich an einigen Tagen vor der Haut auf dem Kakao und der Gewalt der bösen Frauen dort retten konnte.
Ich hatte damals eine Puppe dabei, und mit dieser habe ich wohl um mich geschlagen um mich zu wehren gegen die Gewalt dieser Frauen, aber auch gegen andere Kinder, die mich ärgerten (auch weil ich ein Junge mit Puppe war), sie wurden ja auch dazu angestachelt, durch das ständige bloß Stellen durch die bösen Frauen dort. (irgendwie fällt mir auch keine andere Bezeichnung als "böse Frauen" ein, denn Nonnen, Schwestern, Betreuerinnen sind zu positive und damit falsche Bezeichnungen, für mich als Kind kamen sie direkt aus der Hölle).
Vor kurzem sah ich irgendwo im Fernsehen wieder etwas über "Verschickungsheime" und musste wieder genau daran denken, an RUHPOLDING. Aber ich habe keine Ahnung, ob diese Hölle tatsächlich solch ein "Verschickungsheim" war.
Ich glaube es wurde im Nachhinein immer Kur genannt. Kur, Verschickungsheim, Kullertränenfabrik, für mich war immer das Wort "Ruhpolding" das was das alles beschrieb.
Natürlich weiß ich heute als erwachsener Mann, dass Ruhpolding ein Ortsname ist, aber wenn ich an Ruhpolding denke, dann fühle ich das Leid, das Leid, dass eine Kullertränenfabrik produzierte, wo ich wahrscheinlich niemals verstehen werde, wer dieses Leid denn für was gebrauchen konnte. Ich verstehe bis heute nicht warum und wieso. Als Kind scheint es normal, dies oder das nicht zu verstehen und im Vorschulalter versteht man, je nach Entwicklung, nichtmal die Uhr oder den Kalender, vor allem hatten wir auch beides nicht. Es war zu Zeiten, als Captain Future in seinem Raumschiff, in der Komet, ein schnurgebundenes Telefon benutzte, Handys konnte man sich damals nichtmal vorstellen.
Wie soll man verstehen weg zu sein, wie soll man wissen oder hoffen können, ob man da wieder rauskommt (konnte je jemand aus einer Kullertränenfabrik fliehen?). Man fühlte viel und wusste garnichts, und wünschte sich so sehr was zu wissen. Aber bitte, bitte nichts mehr zu fühlen.
Aber selbst die großen Leute haben Probleme ihre Gefühle zu kontrollieren, ihre Ängste in den Griff zu bekommen und es ist normal, dass Menschen da manchmal Hilfe brauchen.
In Ruhpolding gab es keine Hilfe, für niemanden, es war RUHPOLDING, das Tor zur Hölle.
Es schien eine sehr professionelle Kullertränenfabrik zu sein, aus der es kein entkommen, kein entfühlen gab. Man musste fühlen, die Kälte und den ständig nassen Nebel. In meiner Erinnerung war dort immer eklig kalter Nebel, nichtmal Gott konnte mit Licht, Wärme und Sonne durchdringen, um den Kindern, die gefangen waren, alleine in der Kullertränenfabrik, nichtmal Gott konnte uns wärmen.
Und wir wurden sehr christlich aufgezogen, ich wollte später lange Zeit Pfarrer werden und während andere bei Vorbildern und Idolen Karl Heinz Rummenigge nannten, dachte ich an Jesus. Mein Vater war bei Kirche unterwegs aktiv und wir waren auf einigen Campingplätzen es wurden mit den Kindern Spiele gespielt und Lieder gesungen und getanzt, das war für mich als Kind was, wo Gott war, alles Schöne eben.
Aber wenn das Gott war, dann war Ruhpolding der gottloseste Ort, den man sich nichtmal vorstellen konnte, ich hätte mir so einen kalten Ort insbesondere zu der Zeit nicht vorstellen können und ich glaube als Kind war Ruhpolding für mich dasselbe wie Gottlos, das Tor zur Hölle eben.
Auf www.ruhpolding.de steht:
"Ruhpolding ist ein idyllischer Ort in den Bergen, wo man Sommerfrische, Almen, Bergtouren, Radfahren und Veranstaltungen genießen kann"
Irgendwie scheint es eine sehr unterschiedliche Sichtweise zu geben und ich weiß, dass meine negative Sicht, durch dieses Haus und diese Erfahrungen dort herrühren. Aber mein Gehirn kann einfach nicht annehmen, dass es an so einem Ort Sommer geben kann, Frische ja, wenn Frische gleich Kälte und ekligen nassen Nebel meint, ok... Leider geht es mir auch mit dem Wort genießen so, wer kann denn eine Kullertränenfabrik genießen? Was müssen das für Leute sein? Ich weiß, dass dies meine Vorurteile und meine gottlosen Erfahrungen an diesem Ort sind. Und es wäre sicher sinnvoll, mal dort hin zu fahren vielleicht ein paar Tage, vielleicht gibt es dort ja wirklich auch was anderes als diesen ekligen Nebel um die Kullertränenfabrik herum...
Vielleicht wurde diese Fabrik auch längst abgerissen, ich traute mich noch nicht wirklich zu schauen. Die strafenden Unmenschen die dort arbeiteten sind wahrscheinlich schon tot oder kurz davor. Vielleicht tragen auch garnicht alle von dort so viel Schuld, wir waren klein, sehr klein und es gab gefühlt keine Liebe in Ruhpolding....
Heute fragte ich meine Mutter per WhatsApp Nachricht, angeregt durch diese Verschickungsheim Reportage im Fernsehen, ob sie sich an Ruhpolding erinnern könne und noch weiß wie das hieß oder über welche Organisation das lief und sie antwortete einfach nur "nein", was ich sehr ungewöhnlich finde (allerdings ist sie auch gerade mit einer Freundin im Urlaub).
Wenn ich ein Vorschulkind mehrere Wochen alleine, bzw. mit Bruder irgendwo hin schicke, dann mache ich das doch mit einem Grund oder mit Ziel. Vielleicht frage ich meinen Bruder auch nochmal wie seine Erinnerungen Ruhpolding betreffend sind.
Ich selbst bin mir absolut unsicher, ob sowas ein sogenanntes Verschickungsheim war.
Da ich wirklich nur Bruchstücke erinnere und diese wie bei einem Trauma in visuellen Flashbacks zurück kamen.
Also ich habe auch noch das Bild im Kopf wie wir bei diesem Nebel eine graue Treppe runter in dieses Haus gingen, es hatte glaube ich so 50er Jahre Türgriffe mit gold und schwarz. Auf dem Tisch standen diese Metallkannen, die man aus Jugendherbergen kennt, mit dem Kakao mit der Ekelhaut drauf. Zu anderen Zeiten gab es diesen Jugendherbergsfrüchtetee, den ich bis heute nicht mehr trinken kann (Hagebutte).
Und wir waren mehrere in einem Zimmer mindestens vier oder sechs in Stockbetten, zusammen mit anderen Kindern und alle waren bedrückt, eingeschüchtert, ängstlich, gefangen, eine kalte und grausame Atmosphäre geprägt von der Gewalt der Erwachsenen an diesem Ort (ich wollte erst Betreuende schreiben, aber das wäre irgendwie falsch, die waren einfach nur so böse, wie ich es nie vorher erlebte richtig, richtig böse).
Das sind so grob die einzigen Bilder die ich noch erinnere. Das schlimmste ist wirklich das Gefühl, dass ich erinnere diese Befehle, die Strafen, das Betatschen, das bloß stellen, Vorführen und auslachen, Ekel, Angst, richtig viel Angst man war in einem ständigen Hyperarousal. Also diese Grundstimmung, dass man nicht weiß was wohl als nächstes passiert, man aber enorme Angst davor hat. Und dann die Emotionen der anderen Kinder (ich bin sehr sensibel für Emotionen). Diese geballte Angst und dass alle nicht verstanden, was da passierte und Hilflosigkeit, ich konnte weder mir, noch anderen helfen, alle mussten alles über sich ergehen lassen. Hilflosigkeit, viel Hilflosigkeit. Gefangen in einer unbegreiflichen Kullertränenfabrik in einem "idyllischen Ort in den Bergen, wo man Sommerfrische, Almen, Bergtouren, Radfahren und Veranstaltungen genießen kann".
Aber ich spüre auch Dankbarkeit, dass mein Bruder mich an einigen Tagen retten konnte und er die Haut von meinem Kakao nahm. Und dass es vorbei ging, es war nicht für immer, irgendwann war es vorbei. Ich würde mich so gerne daran erinnern wie es vorbei war, wie wir nach Hause durften, aber da habe ich keinerlei Erinnerungen mehr dran.
Ohje jetzt wo ich das alles schreibe, ich glaube sie hatten mich auch irgendwann von meinem Bruder getrennt, das kann ich aber nicht zu 100% sagen. Sie taten viel um uns zu foltern, zu quälen und psychisch klein zu halten...
Aber gehört sowas denn mit zur Definition der Verschickungsheime, oder war das einfach nur eine Kinderkur mit schlechtem Personal, als wir viel zu jung für sowas waren?
Auch wenn die Erinnerung daran immer einfach nur Schock und Ekel auslöste und an die Angst erinnerte und an diesen schlimmstmöglichen Ort, spielte Ruhpolding für mich nie so eine entscheidende Rolle, der Ort ist schlicht als Kullertränenfabrik und gefühlte Hölle gespeichert und ich bin mir sicher dort irgendwann mal hin zu fahren, denn ich weiß dass meine Erfahrungen nicht im kausalen Zusammenhang mit dem Ort an sich stehen und ich möchte mich gerne meinen Ängsten und Vorurteilen stellen. Vielleicht gibt es dort auch was schönes, vielleicht ein Wellnesshotel in das ich mich mal eine Woche einbuche, oder vielleicht fahre ich erstmal mit meinem Camper dorthin (um im Notfall flüchten zu können, denn als Kinder konnten wir nicht flüchten, jetzt bin ich groß und stark und solch ein Ort sollte mir eigentlich keine schlechten Gefühle mehr machen - vielleicht sollte ich diese Erfahrungen mal den Tourismusverantwortlichen dort schicken vielleicht werde ich ja als Entschädigung eingeladen
Erst durch eine Reportage im Fernsehen vor einigen Jahren über Verschickungsheime wurde ich regelrecht angetriggert und ich glaube auch gehört oder gelesen zu haben, dass in einer dieser Anstalten, ein anderes Kind auch das eigene Erbrochene wieder aufessen musste. Ich meine es gäbe zahlreiche ähnliche und auch schlimmere Geschichten.
Es gibt einige Parallelen, aber ich verstehe nicht genau, ab wann so eine Einrichtung als Verschickungsheim gilt, oder eben als eine Kur, in welcher SadistInnen arbeiteten oder ob diese Gewalt zu der Zeit vielleicht auch normal war. Immerhin durften Kinder noch bis November 2000 von ihren Eltern geschlagen werden, wir sind da ja recht langsam, was Kinderschutz angeht.
Ich habe mich nie näher mit Ruhpolding befasst und finde es schade, dass meine Mutter nichts dazu sagen kann oder möchte. Die müssen doch irgendwie erfahren haben, dass Kinder dahin können oder jemand muss das empfohlen haben... Ich bin überzeugt, meine Eltern dachten es sei was Gutes für uns und ich glaube nicht, dass sie wussten, oder sich hätten denken können, wie wir dort behandelt wurden.
Ohje jetzt war ich hier voll im Romanmodus, vielleicht kann ich das mit in meinem Buch verwenden, wenn ich an dem über meine Geschichte irgendwann mal weiter schreiben sollte....
Vielleicht schreibe ich hier nochmal, wenn ich mich meinen Vorurteilen stellte und den Ort Ruhpolding besuchte, ich würde mich jedenfalls freuen, die Hölle Ruhpolding von einer anderen Seite kennenzulernen (und jetzt schaue ich tatsächlich mal ob es dort vielleicht ein Hotel mit Sauna oder eine Therme oder sowas gibt, denn die negativen Erfahrungen dort dürfen doch nicht ein ganzes Dorf in meiner Erinnerung in solch ein schlechtes Licht rücken, so viel Macht möchte ich dem Böse nicht geben...)
Als es mir am 11.10.2023 wie Schuppen von den Augen fiel !!!! Ich war ein Verschickungskind...nie drüber gesprochen...es waren ja 6 Wochen "Ferien"
Das kam so BÄM einfach mitten in die Fresse und erklärt einiges, hilft mir jedoch auf meinem Weg der Selbsterkenntnis. Habe noch bissl Material von dort, das habe ich nie beachtet...aber stets aufgehoben. 2 Briefe und ein Heft was wir dort gemacht haben (mit Gruppen-Bildern und Berichten, (Vor-)Namen der Jungs (teilweise auch volle Namen) und auch Namen von den "Schwestern").
Schlechte Erinnerungen ? Weiß ich nicht, als ich den einen Brief gelesen habe, kam es mir, dass es streng war (Nachts keinen Mucks, sonst biste weggekommen) Ich muss da noch mehr reingehen und Erinnerungen sammeln. Ich war aber damals (10 Jahre alt), teilweise noch bettnässer, je nachdem was ich grad hatte und je nach Erlebnis. Das war dort mit Sicherheit nicht gerne gesehen.
Ich will jetzt hier auch nicht zu viel schreiben, bin noch am sortieren im Kopf
Vielleicht findet sich ja zufällig jemand der sich wiedererkennt auf dem Bild.
Einen Namen habe ich, sogar mit Adresse damals in Wiesbaden.
Ich war ein stilles und schüchternes Mädchen, das während der 6wöchigen Kur nur geweint hat, vor lauter Heimweh. Das Heimweh war so stark, dass mein Hunger und Appetit darunter gelitten haben. Ja, man musste aufessen. Wenn man nicht aufgegessen hat, musste man am Tisch sitzen bleiben bis der Teller leer war. Da ich fast ununterbrochen geweint habe sind die Erzieherinnen mit mir verzweifelt. Als ich einmal wieder nicht aufgegessen habe, hat mir eine Erzieherin (schwarze Haare ein Dutt - sehe ich heute noch vor mir) eine Ohrfeige gegeben. Ich fiel um und machte mir dabei in die Hose vor Angst. Dies hatte zur Folge, dass ich nach dem Abendbrot nicht mit den anderen Kindern den Sandmann im Fernsehen anschauen durfte. Nein, so eingenässt wie ich war musste ich mich hinter den Fernseher mit dem Gesicht zur Wand stellen, und so stehen bleiben bis die Sendung vorbei war. So klein ich damals war, aber das konnte ich nie vergessen. Ich sehe immer noch förmlich den großen Speisesaal vor mir. Auch den Schlafsaal wo mein Bett an einem Fenster stand. An den Park vor dem Heim kann ich mich auch gut erinnern. Es gab große Bäume und dahinter waren große Berge. Damals saß ich oft auf einer Bank und habe die Berge angestarrt. Ich dachte damals, wenn ich diese bezwingen könnte, dann wäre ich wieder zu Hause. Die Zeit dort kam mir wie ein halbes Leben vor. Meine Eltern schrieben mir Briefe auf denen sie bunte Bilder geklebt hatten, denn ich konnte ja noch nicht lesen und schreiben. Die Briefe wurden mir vorgelesen. Jedoch nicht alle, wie ich später erfuhr, da ich jedes Mal beim Vorlesen bitterlich geweint habe.
An den Tag der Abreise kann ich mich ebenfalls kaum noch erinnern. Nur als der Zug in Leipzig einfuhr, ich ausstieg und an meinen Eltern vorbei gelaufen bin. Meine Mutter sagte später, dass sie ganz erschrocken war, wie ich aussah. Noch dünner bin ich wiedergekommen. Ich habe wochenlang nicht mit meinen Eltern gesprochen. Saß eingeschüchtert und teilnahmslos da und man konnte mich nicht mehr alleine lassen. Als endlich die verspätete Einschulschulung stattfand, war das für mich eine Tortour. Alle Kinder waren glücklich nur ich weinte zum Schulanfang. Es gibt ein Foto von mir mit der Zuckertüte, auf welchem ich wahrlich total traurig aussah.
Im Schulalter war ich noch zweimal in einem Ferienlager, wo ich ebenfalls nur geweint habe. Nichts habe ich dort genossen. Es war einfach nur schrecklich für mich. Ich denke schon, dass mich dieser Kuraufenthalt dermaßen geprägt hat. Trennungen, Abschiede usw. - mit vielen zwischenmenschlichen Dingen kann ich einfach nicht umgehen. Auch meine Beziehungen scheiterten letztendlich an meiner Bindungsunfähigkeit und meine Verlustängsten. Lieber keine Beziehung eingehen, als eine Trennung durchmachen.
Ich finde es gut, dass man sich hier austauschen und sein Erlebtes mitteilen kann. So kleine Kinder ohne Eltern zur Kur zu schicken ist schon fast unzumutbar. Damals habe ich nicht begreifen können, was es bedeutet 6 Wochen von zu Hause fort zu müssen. Auch die Tatsache dass mein permanenter Gewichtsverlust zur Kur doch jemandem hätte auffallen müssen, verwirrt mich sehr. Dann muss man ein Kind doch nach Hause schicken. Die Ohrfeige und das Einnässen habe ich erst im Erwachsenenalter meinen Eltern erzählt. Sie waren entsetzt und erstaunt, dass ich das alles nie vergessen habe.
Diese Erinnerungen verblassen nie!
Nun habe ich gerade zu „meiner“ Kurklinik noch keine Bemerkungen hier im Forum gelesen. Das Haus besteht bis heute, aber natürlich unter weitaus besseren Bedingungen!
Die Daten meines Aufenthalts, 16. Mai bis 24. Juni 1958, hatten sich mir schon früh eingeprägt. Ich war Ostern zuvor in die 2.Klasse gekommen und wurde im August danach 8 Jahre alt. Die Vorbereitungen bedeuteten für mich schon eine große Vorfreude: das IK wurde in alle Wäschestücke eingenäht, Pixibücher als leichte Unterhaltung besorgt, zwei (!) Koffer und eine Tasche gepackt. Um 10.00 Uhr sollte die Fahrt mit dem Kindersonderzug in Beuel starten, wurde dann aber auf 8.10 Uhr per D-Zug vorverlegt. Alles aufregend! Die Entsendestelle war das Gesundheitsamt der Stadt Bonn.
Fast 6 Wochen sollte oben am Feldberg die Höhenluft meiner Lunge guttun. Nach meiner Erinnerung waren wir aber kaum draußen an der frischen Luft.
In meinen drei noch erhaltenen Briefen von damals an meine Eltern schrieb ich: „Wir haben jeden Samstag und Montag Turnen. Mir geht es noch immer gut.Das Essen schmeckt mir auch noch sehr gut.Es ist nicht sehr gutes Wetter. Ich komme ja bald wieder nach Hause. Wir spielen sehr viel. Ich habe schon sehr viele Spiele und Lieder gelernt.“ In einem anderen Brief schrieb ich: „Ich hatte auch mal Fieber, aber jetzt ist es schon wieder gut.“ Daraufhin bemerkte die Heimärztin Dr. Richartz auf der Rückseite meines Briefes, dass ich eine fieberhafte Halsentzündung gehabt hätte, ich jetzt aber nur noch ein paar Tage im Bett liegen müsste.... Meine Eltern wurden also nicht informiert, dass ich wohl fast zwei Wochen in der Krankenabteilung verbringen musste!
Und was meine anderen Bemerkungen betrifft: ich hatte ständig Durst und bekam kaum etwas zu trinken. Ich erinnere mich nur an (wenig!) Wasser mit Himbeersirup.
Ich war nie Bettnässer, aber dort wurde ich es, - wahrscheinlich wurde es auch uns verboten, nachts auf Toilette zu gehen. Ich musste noch in der Nacht meine nasse Bettwäsche und meinen Schlafanzug im Waschbecken waschen, irgendwo aufhängen und mein Bett selbst neu beziehen. Von der Schimpferei ganz zu schweigen! Und das alle paar Tage!
Ich mochte sehr oft das Essen nicht, aß nicht auf oder mir wurde schlecht bis zum Übergeben. Dann musste ich unter Beschimpfungen an den „Katzentisch“ in einer Abstellkammer. Das ist OFT passiert, aber im Brief an die Eltern sollte man davon nichts schreiben....
Im Gegensatz zu den Erlebnissen und Schicksalen anderer Verschickungskinder hört sich das nicht aufregend an, — aber für mich war es die Hölle! Rausgerissen aus einem intakten Familienleben, verbannt in ein großes Haus im Wald, - so allein gelassen habe ich mich nie wieder gefühlt. Ich konnte lange nicht darüber sprechen, meine Mutter hat erst nach und nach alles von mir erfahren, wie sie mir später berichtete.
Auf der Website vom Caritas Haus ist heute unter „Geschichte des Hauses“ zu lesen, dass man damals zu einem hohen Prozentsatz Selbstversorger war. Das betraf auch Kirschen, die explizit dort erwähnt wurden: 50 Zentner wurden im Jahr dort verarbeitet. Warum sollte das Personal sich damit abgeben? Wir haben doch die Kurkinder! So saßen wir im großen Kreis auf dem Hof und entsteinten die Kirschen! Wozu führte das? Durchfall! Wir hatten ja ständig Durst, und selten gab es so leckeres wie Kirschen zu essen.....
Gelernt haben wir eventuell doch etwas - ich schrieb eine Woche vor dem Ende des Aufenthalts: „Es blühen hier sehr viel Kuckuckslichtnelken und Butterblumen und auch Lupinen. In einer Woche fahren wir nach Hause. Ich freue mich, wenn ich bei euch bin.“ Diese Pflanzennamen musste ich ja dort gelernt haben.
Meine Gruppenleiterin war „Tante Brigitte“, sie steht mir nicht mehr vor Augen, - anders als ein gleichaltriges nettes Mädchen. Wir wollten uns später schreiben, ich habe Name und Adresse immer noch im Kopf: Sigrid Müller, Hagen in Westfalen, Goldbergstrasse 1. Wir haben uns nie geschrieben....
Meiner Gesundheit zuträglich war diese Kur nicht. Sie brachte nichts, und ich war ständig traurig, auch wenn die Briefe eine andere Sprache sprechen. Ich fühlte mich total isoliert, hatte nur in jener gleichaltrigen Sigrid eine Ansprechpartnerin.
Vielleicht meldet sich jemand, der auch zu jener Zeit dort oben am Feldberg war. In einem Brief erwähne ich noch einen Hans-Peter...
Ich wurde nie mehr von meinen Eltern zur „Erholung“ fortgeschickt!
1989 war ich nochmal mit meinem Mann und meinen kleinen Töchtern dort oben am Caritas Haus und hatte sofort wieder das Gefühl von früher, obwohl jetzt alles heller und freundlicher ist.
Das sind meine Erinnerungen an die Verschickung.
Meine Mutter, geb. 1940, ist mit 6 Jahren nach Norderney verschickt worden.
Sie ist eine untherapierte Frau mit Mehrfachtraumatisierungen. Sie war ohne eine Impulskontrolle, lebte ihre Emotionen an ihren 7 Kindern und Ehemann aus.
An ihren Aufenthalt kann sie sich kaum erinnern ( Schuhe gab es neu und ihr Hautekzem heilte endlich, die 1. Klasse musste sie wiederholen).
Ich suchte immer nach einer Erklärung, wieso sie so war wie sie ist und durch einen Zufall bin ich auf diese Berichte hier auf dieser Seite gestoßen.
So langsam begreife ich, was meine Mutter so unberechenbar gemacht haben könnte denn ihre anderen 4 Geschwister sind gar nie so gewesen wie sie. Auch hatte meine Mutter eine irre Wut auf ihre Mutter, ihre Geschwister hatten diese gar nicht.
Jedenfalls organisierte meine Mutter für mich 1972 im Alter von 10 Jahren eine Kinderverschickung.
Meine Lehrerin versuchte alles, meine Mutter vom Gegenteil zu überzeugen, da die Versetzung in die 5. Klasse Anstand und 6 Wochen fehlen vom Unterricht Schwierigkeiten mit der Versetzung bedeuten würde.
Leider war es dann auch so gekommen, mein Wunsch auf die Realschule zu kommen war anschließend zunichte gemacht, nach der Rückkehr kam ich im Unterricht nicht mehr mit und in meinem Verschickungsheim Bad Soden Allendorf gab es keinen Unterricht leider.
Ich vermisste meine Schulklasse, meine Freundinnen und natürlich meine 9 köpfige Familie sehr.
Es war alles sehr kühl dort, weil ich schon mit negativen Gefühlen hinfuhr, gegen meinem Willen.
Ich sah, das andere Kinder auch auf dem Schoß von Betreuerinnen saßen. Ich konnte nicht auf mich aufmerksam machen und blieb darum auch einsam im Gefühl.
Ich fühlte mich sehr fremd bestimmt, zumal ich daheim viel Freiheiten hatte.
Die Bettruhezeit mittags war extrem befremdlich mit 10 Jahren für mich.
Das Wiegen fand ich grausig, mich bis auf die Unterwäsche ausziehen und wie eine Nummer behandelt zu werden von den Weisskitteln, es schüchterte mich ein und nie konnte ich genügen. Ich war lang und sehr dünn. Das gehört zu unserem Familientypus, das waren wir alle und da ich auch kaum zunahm, bekam ich ein Gefühl der Ablehnung zu mir in diesem Kuraufenthalt für die nächsten Jahrzehnte!
Vorher hab ich mir doch nie nur einen Gedanke gemacht wie ich aussehe!
Ich habe dann selber mit 19 Jahren angefangen Essdiäten über 6 Wochen zum zunehmen durchzuführen! Ich war ja deutlich nicht richtig, da zu dünn… das war jetzt eingeimpft bei mir.
Bei uns daheim gab es in meiner Kinderzeit diese “Schokoladensuppe” auch zu essen.
Am Familientisch fand ich es super lecker! Jetzt weiß ich auch, woher meine Mutter das Rezept her hatte
Die Esssituation im Speisesaal empfand ich als Stress und somit auch als unangenehm. Warum genau, kann ich nicht mehr beschreiben.
Neben dem Wiegen empfand ich diese Szene, wie schon oft beschrieben, das Karte/Brief schreiben auch ganz schrecklich, denn ich wollte nur nach Hause, sobald und so schnell als möglich! Doch auch ich musste alle anlügen daheim, wie toll ich es habe und wie wohl ich mich fühlte im Kinderheim.
Das lesen meiner Briefe empfand ich als schweren Bruch und ich betrachtete die Betreuerinnen als meine Feinde. Folglich konnte ich mich auch nicht irgendjemandem zuwenden um meine Einsamkeit etwas zu mildern, wenn ich meinte, mein Heimweh nicht aushalten zu können.
Ich empfand auch diese heißen Solebäder in großen Bottichen als beängstigend, ich hab den Sinn nicht verstanden und traute mich auch nicht zu fragen.
Ich folgte einfach.
Die Spaziergänge im Park, Singspiele, tanzen in der Gruppe und bestimmt gab es noch andere Aktivitäten, machte ich begeistert mit.
Ganz schwierig war es für mich, als ich Zahnweh bekam. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich beim Zahnarzt. Mir wurde ein Backenzahn gezogen. Auch damit war ich anschließend allein, niemand setze sich zu mir, schaute mich an und nahm sich Zeit, meinen Kummer anzuhören.
Meine Heimkehr empfand ich als sehr belastend.
Alles und alle waren mir fremd, die 6 Wochen haben mich aus allem “rausgebracht” und erst jetzt, wo ich diese Webseite “Verschickungskinder” gefunden und viel gelesen hab, fange ich an zu begreifen, das viele meine negativen Gefühle die ich heute noch kenne von dieser Verschickung her kommen.
Für mich ist klar, das ich das mittels Therapie mir anschauen möchte!
Vielen Dank für diese Plattform!
Es ist schlimm dass viele dieser Kinder bis heute traumatisiert sind und das nicht nur oder insbesondere in den DDR Kinderkurheimen. Für mich ist mein Kuraufenthalt wie auch mein Leben in der DDR ein bunter Mosaikstein meines Lebens . Vielleicht ist das auch ein Resultat meiner doch schönen Kindheit welche ich nicht missen möchte.
Ich fange gerade an erinnerungen aufzufrischen. Durch das wiederfinden eines klassenkameradens, mit dem ich in bad sooden allendorf war, kam einiges vergessenes wieder hoch. Schläge, unterdrückung, kontrolle, einschüchterung sind wohl die säulen, auf denen meine erinnerungen stehen.
Leider habe ich keine genauen erinnerungen mehr an die unterkunft, glaube aber zu wissen, dass es kein großer klotz sondern eher ein größeres haus gewesen ist.
Und dann war da noch ein moorbad, dass wir im rahmen eines ausflugs besucht hatten. Ich sollte in die wanne mit moormatsch steigen, hatte aber angst vor der pampe und das es mich runterziehen könnte. Da hat mich die olle tante gepackt und regelrecht reingedrückt. Ich sollte die schnauze halten und ja nicht auf den gedanken kommen aus der wanne zu steigen.
Dann war da noch ein raum voller nebel. Sollte gut für die atemwege sein. Die bude war sooo voller nebel, dass ich meine eigene hand nicht mehr vor augen sah, geschweige eine tür, durch die man hätte rauskommen können. Schemenhaft drang licht durch die oberlichter und da niemand auf meine verängstigten hilferufe reagierte hab ich mich dann an den wänden entlang zum ausgang getastet.
Ein kind hatte sich bei essen beckleckert. Da kam die tante, zerrte das kind in die mitte des speisesaals und sagte "guckt euch diese sau an ..."
Oft bekam man grundlos backpfeifen. Entweder WEIL man was gesagt hat oder WEIL man nichts gesagt hat.
Briefkontrolle gab es bei uns auch.
Mein kamerad hatte sich beim toben/kämpfen/spielen ein loch im kopf durch den aufprall auf einen rippenheizkörper zugezogen. Widerwillen wurde das loch von einer der tanten medizinisch versorgt. Als er seine eltern anrufen wollte damit sie ihn abholen kommen wurde er bedroht und mit bösen blicken eingeschüchtert.
Als wir wieder am bahnhof abgeholt wurden soll ich zu meiner mama gesagt haben "lieber jeden tag einen arschvoll aber bitte nie wieder da hin".
Meine mutter erzählte mir, dass wir (angeblich) "nur" 3 wochen dort verbracht haben. Vom gefühl war es eine ewigkeit voller angst, verzweiflung, tränen und hilflosigkeit. Den genauen zeitpunkt versuche ich gerade zu rekonstruieren. Es sollte jedenfalls eine art urlaub für mich sein, da ich durch meinen erkrankten bruder und weil meine eltern durch das bauen unseres hauses viel zurückstecken musste und in allem zu kurz kam.
Soweit mein stand der dinge. Aber ich bin im kontakt mit meinem kameraden von früher. Und er kann sich irgendwie noch besser an alles erinnern als ich. Der erfahrungsaustausch läuft etwas holperig. Aber gut ding will weile haben.
Liebe Grüsse,
Frank
Ich war in den 50er Jahren zur "Erholung" im Marienhof in Wyk auf Föhr. Ich bin 1949 geboren, weiß nicht, wie alt ich da war. Ich kann mich gut an unser Zimmer mit 8 oder mehr Stockbetten und an die Bäume hinter den hochgelegenen Fenstern erinnern. Bei unglücklichen Vorkommnissen wie Erbrechen, Bettnässen oder Daumenlutschen wurde ich streng "ins Gebet genommen", richtig bloßgestellt. Ich war dann sehr still, wie auch heute noch, wenn an mir Kritik geübt wird. Das wird mir erst jetzt klar, wenn ich mich nicht positionieren kann.
In dem großen Flur im ersten Stock haben wir Spiele gespielt oder Ansichtskarten geschrieben. Ich habe nie wieder meine Ansichtskarten zu Gesicht bekommen.
Eine längere Zeit war ich krank und wurde in einem kleinen Haus isoliert. Da habe ich Spritzen bekommen, die sehr schmerzhaft waren. Ich erinnere mich, dass ich mich immer umdrehen musste und laut geweint habe. Danach wurde ich "Das Träumerle" genannt. "Guck mal, da kommt das Träumerle." Dann habe ich diese Rolle in einem kleinen Theaterstück, das wir auf einer Wiese im Wald/Park einübten, gespielt.
Ich kann mich kaum an Strandspaziergänge erinnern, nur an einen Keller, wo wir unsere Schuhe putzen mussten. Wahrscheinlich hatten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Angst, dass etwas im Wasser passiert. Wir waren öfter draußen im Park vor dem großen Haus, auch in Liegestühlen, um uns zu erholen. An Namen oder Gesichter kann ich mich überhaupt nicht erinnern. Vielleicht kann mir jemand beim Erinnern helfen.
Viele Grüße Iris
ich komme nicht umhin hier immer wieder die neuen Berichte-Erfahrungen zu lesen. Und auch die weiterzurückliegenden ist so gravierend an Tatsachen, kaum zu Ertragen.
Was mich jedoch auch beschäftigt als ehemaliges Verschickungskind ist der Sachverhalt, dass es wie ich lese-durchgehend- diese Perversion von erbrochenem zu Essen- ja fast alle Betrifft. Ich hatte wirklich gedacht nur ich hätte das machen müssen damals.
Auch ich muss mir immer mal wieder professionelle Hilfe holen, gerade die Corona Zeit hatte hier einiges an die Oberfläche wieder gebracht, an das ich schon nicht mehr gedacht hatte - klar verdrängt.
Doch ebenso möchte ich allen hier sagen, lasst uns nie, mehr von irgendjemanden beeinflussen, manipulieren oder sonstiges aufdoktrieren. Wir leben unser leben wie es für uns gut und richtig und wichtig ist und was uns gut tut.
Allen hier, alles Gute weiterhin viel Kraft, denn mit diesen Erlebnissen zu Leben erfordert viel Kraft.
Grüße Mona
Vielleicht war noch jemand in diesem Heim
Vorausgegangen war ein Winter mit einer Reihe an fiebrigen Atemwegsinfekten nebst einem pädiatrisch für ungünstig befundenen Mangel an Übergewicht. Wir Kinder bewegten uns viel, verbrannten alles Gegessene im Handumdrehen und fühlten uns wohl dabei. Allein, die Medizin befürwortete eine Kinderkur. So hieß das beschönigend hier in der Gegend.
Die Anfahrt über hunderte Bahnkilometer wurde begleitet von ehrenamtlichen Damen, ich glaube von der Caritas. Sie waren freundlich und heiter. Ich war 9 Jahre alt und gespannt, das Meer zu sehen.
Die Heimleitung unterstand einer Nonne, und ich erinnerte mich an meine fröhliche Kindergartenzeit unter Leitung ebenfalls einer Nonne. Tatsächlich wurde einiges zur Unterhaltung von uns Kindern unternommen, eine Fahrt ins Legoland, eine Bootsfahrt in Travemünde, ein Sommerfest mit Süßigkeiten, Knackwurst und Umzug, für den Lieder eingeübt wurden. Sonntags gab es die "Sendung mit der Maus" oder eine Messe. Niemand wurde geschlagen oder sexuell misshandelt. Damit sind die positiven Seiten aufgezählt, und wir nähern uns dem Kern des Problems.
Angekommen im Heim, begrüßten uns Schwester Irmlind und ihre säkularen Helferinnen mit dem Auftrag, eine Postkarte an die Eltern zu schreiben. Dazu brauchte ich drei Anläufe. Der erste wurde sogleich zerrissen wegen meiner krakeligen Handschrift. Weil ich dabei sehr rüde angefahren wurde, beinhaltete mein zweiter Versuch eine Bemerkung, die erkennen ließ, dass ich bei nicht sehr netten Menschen gelandet war, verfasst mit der schönsten mir möglichen Handschrift. Nun war der Inhalt nicht genehm. "Sollen sich Deine Eltern etwa schreckliche Sorgen machen?", lautete die psychologisch erpresserische Zensurbegründung, und man ließ keinen Zweifel daran, dass wir Betroffenen an dem Schreibplatz ewig schmoren würden, wenn wir nicht gehorchten.
Der dritte Versuch ging durch, und ich dachte, diese Menschen sind unehrlich. Falle besser nicht auf, mit denen ist wahrscheinlich nicht zu spaßen. Kinder sind weder erfahren noch vorausschauend, aber beobachten sehr genau und erfassen intuitiv. Meine Briefe in den folgenden Wochen waren krakelig und voller Schreibfehler, beinhalteten aber stets einen Satz, dass es dort "schön" sei oder es mir gefiele. Ich Bub vergaß auch nicht, die vom Heim gelegentlich organisierten Bespaßungsaktionen wortreich zu loben. Damit gaben sie sich zufrieden.
Abendbrot, Zähneputzen, ab in die Falle. 24 Jungen verteilten sich auf mehrere Schlafräume.
Am nächsten Tag erfuhren wir den eigentlichen Zweck der Maßnahme. Mast! Es ging zum Wiegen. Die Gewichtszunahme bis zum letzten Wiegetag war die einzig gültige Währung an diesem Ort. Wir bekamen nassforsch Essen aufgefüllt, vor allem mittags, so als wüssten Kinder nicht, wann sie satt sind. Um meinen Appetit zu "sparen", verzichtete ich auf den Nachtisch, was toleriert wurde.
Das reichte aber nicht. Mehrmals wurde mir beim Essen so übel, dass ich flüchten und mich übergeben musste. Die Konsequenz war, die nächsten 24 Stunden bei Tee und Zwieback im Bett verbringen zu müssen. Natürlich spielte es offiziell keine Rolle, dass sie mein Essvermögen überfordert hatten, nein, sie verdächtigten mich eines Magen-Darm-Infekts, mit dem ich andere hätte anstecken können. Quarantäne also. Wie verlogen. Wie boshaft. Als Geschundenem wurde einem auch noch die "Schuld" zugeschoben, und die Strafe war Isolation.
Der Speiseplan wiederholte sich ab und zu, und so auch das Schicksal eines Leidensgenossen, der keinen Rotkohl essen konnte. Er musste vor seinem Rotkohlteller im Speisesaal sitzen bis zum Abendbrot.
Im Juli hatte ich Geburtstag, und es kam ein Paket. Den beigelegten Brief händigten sie mir wohl aus, behielten aber den Inhalt an Süßigkeiten ein. Begründung: Es sei zu schwierig, ihn in der Gruppe zu verteilen. Meine Eltern hatten mich für diesen Fall vorgewarnt. Sie waren in einem Schreiben gebeten worden, keine Pakete zu schicken. Vielleicht dachten sie, weil es mein 10. Geburtstag war, würde es vielleicht eine Ausnahme geben.
Zwischenzeitlich fand eine ärztliche Untersuchung für alle statt und danach Inhalationen in einem eigens dafür ausgestatteten Raum. Über mehrere Wochen hatte ich eine kleine, eiternde Wunde am Unterschenkel. Die hat niemand entdeckt, und weil sie nicht schmerzte, habe ich sie mit keinem Wort erwähnt. Da war eine diffuse Angst, dass dann irgendetwas Unangenehmes passieren würde.
Bei warmem Wetter wurde gelegentlich ein Bad in der sehr nahen Ostsee angeordnet. Das hatte wenig Schönes. Alle kurz hinein ins Wasser und dann wieder raus. Auf dem Gelände gab es einen Sandkasten, wo wir oft spielten, z. B. angetriebene Quallen mit Sand panieren.
Die Wochen verrannen zähflüssig, und in der Gruppe herrschte eine freudlose, bleierne Stimmung. Jeder war in sich gekehrt, mit sich selbst beschäftigt. Der für Jungen so typische Trieb, sich zu bewegen und mit anderen zu messen, kam zu Erliegen. Beim Kicken auf dem kleinen Aschenplatz waren mir das Torezählen egal. Hatte etwas Symbolträchtiges. Warum sollte es an diesem unglückseligen Platz einen Sieger geben? In den trüben Gesichtern auf dem Abschlussphoto ist es festgehalten, niemand lächelte.
Am letzten Wiegetag notierte das Personal selbstzufrieden: "900 Gramm zugenommen". Mission accomplished. Das ganze elende Theater für 900 Gramm, aber nun war es überstanden, und es ging endlich heim.
Daheim am Bahnhof holten mich meine Eltern und Geschwister ab. Sie sorgten sich ein wenig, ich hätte nach der vermeintlich schönen, langen Zeit womöglich Fernweh. Sie fielen aus allen Wolken, als ich ihnen erklären musste, dass ich ihnen in den Briefen ein Trugbild hatte vorgaukeln müssen. Geschehen ist nichts. Ich lebte mich rasch wieder ein. Jahre später hatte ich eine massive, psychosomatische Essstörung, die mit Niendorf zu tun gehabt haben kann, aber wer weiß das schon? Auch das wuchs sich aus.
Fazit
Unter dem Banner der Kindesgesundheit wurden wir vom Heimatort, von Freunden, Geschwistern und Eltern wochenlang und in jedweder Hinsicht isoliert. Ich erduldete die Unterschlagung meines Eigentums, Körperverletzung, Freiheitsberaubung und psychische Deformation. Stets hatten die Methoden ein scheinbares Argument. Für alles gab es einen Vorwand. Wer erbricht, ist krank und ergo zu isolieren. Natürlich nur tagsüber. Nachts schliefen ja alle zusammen im selben Zimmer. Den Schwindel bemerken sogar wir Kinder. Bekommt jemand ein Paket, blutet den anderen das Herz, also ist das schlecht. Berichtet ein Kind wahrheitsgemäß, wird der Brief zensiert, schließlich soll sich niemand Sorgen machen. Sehr vielsagend ist das oben erwähnte Anschreiben an die Eltern. Darin stand, sie sollten um Himmels Willen ihre Kinder dort nicht besuchen, sonst drohe schlimmes Heimweh, und ihr Kind wäre unglücklich. Emotionale Manipulation. Auf den ersten Blick sieht das jeder ein. Tatsächlich diente es hauptsächlich der Sicherstellung einer allumfassenden Kontrolle. Ich Bub verstand das sofort. Dieses System war raffiniert und perfide, und seine Agierenden handelten planvoll. Vorsatz ist zu unterstellen und das Unrecht vollzog sich an Schutzbefohlenen.
In der Rückschau wird (mir) klar, wie es zu den von anderen geschilderten, weit schlimmeren Misshandlungen kommen konnte. In einem solchen Regime außerhalb jeder äußeren Kontrolle haben Täter, die wie in meinem Fall nicht nur kaltherzig, gleichgültig und bequem sind, sondern sadistisch oder sexuell pervers veranlagt, leichtes Spiel. Ein Selbstbedienungsladen geradezu.
Wenn ich sagen sollte, was ich den Täterinnen bis heute am meisten übel nehme, dann vielleicht dies: Dass ihr mich genötigt habt, mich zu verstellen, zu heucheln und meine Eltern in den Briefen zu belügen.
Ich konnte Fotos vom Gebäude machen leider durfte ich nicht rein.
Ich suche gleichgesinnte die in diesen kinder heim waren
In bayer am Samsberg in Friesing
Unmittelbar gibt es dort noch ein Gebäude mit einem Schwimmbad da war wohl auch ein kur Heim.
Bitte schaut auch bei faceboog vorbei dort hsbe ich Bilder von mehreren ki der bekommen vieleicht erkennt sich jemand wieder
Bevor ich im Alter von vier Jahren das erste Mal verschickt wurde, haben mich meine Eltern, als ich zwei und ein halbes Jahr alt war, in ein Heim gegeben, weil meine Mutter eine Kur machen wollte.
Ich habe daran überhaupt keine Erinnerung. Meine Mutter erzählte, dass ich, als sie mich wieder abholte, nicht mehr laufen wollte oder konnte.
Mit den Erinnerungen ist das bei mir so eine Sache, da ist nämlich nicht viel, an das ich mich erinnern kann.
Also, das erste Mal wurde ich an den Timmendorfer Strand verschickt. Ich erinnere lediglich, von einem Mann aus dem Heim in die Ostsee geschubst, gestoßen oder geworfen worden zu sein. Wasser war nicht so mein Element und an meine Tränen und an meine Verzweiflung und Angst erinnere mich gut.
Und das war es auch schon, alles andere liegt im Dunkeln.
Das zweite Mal ging es mit sieben Jahren, ich war in der ersten Klasse, nach St. Peter-Ording in das "Haus Blinkfuer".
Mein Zeugnis aus der ersten Klasse weist 61 Fehltage wegen zweier Verschickungen aus.
Da mein gesundheitlicher Zustand nicht zufriedenstellend war, habe ich eine Verlängerung bekommen, also war ich drei Monate von zuhause fort. Ich hatte ganz schreckliches Heimweh. Wegen des Heimwehs ging es mir nicht gut und statt mich wieder zurück zu schicken, musste ich noch sechs Wochen länger das Heimweh erdulden.
Meinen Leistungen in der Schule waren die fehlenden drei Monate keinesfalls dienlich.
Meine Mutter hat sich dann, aus Sorge um mich, in dem Ort ein Zimmer genommen und mich aus der Ferne beobachtet, Kontakt durfte es keinen geben.
Allerdings habe ich nach dem Mittagessen immer ein Stück von der Schokolade haben dürfen, von meiner Mutter vorbeigebracht, um das Heimweh etwas zu lindern.
Aber auch hier nur ganz wenig Erinnerung. Ich sollte etwas essen, was mir nicht schmeckte, es gelang mir, es in die Kloschüssel zu spucken. Vielleicht erinnere ich hier auch die Schokoladensuppe, die war einfach nur widerlich.
Die dritte Verschickung, ich glaube es ging nach Westerland auf Sylt, für sechs Wochen, hatte ich mit zehn Jahren.
Mal wieder wegen der Bronchien, wie es hieß.
Diese Verschickung ist ein einziger weißer Fleck, ich bin mir selbst mit Westerland nicht sicher.
Nach den Wochen bat ich meine Mutter mich nie wieder wegzugeben, wahrscheinlich hatte ich wieder sechs Wochen lang Heimweh. Ich hatte das Gefühl, meine Eltern haben mich abgeschoben, weil sie mich nicht lieb hatten.
Die ersten depressiven Episoden, mit Mitte zwanzig, ich wohnte seit einigen Monaten mit meiner Freundin zusammen, nahm ich zum Anlass für eine erste Therapie, ich vermutete einen Zusammenhang zwischen der depressiven Erkrankung meiner Mutter und meiner eigenen.
Etliche Therapien und vierzig Jahre später sehe ich auch einen ganz starken Zusammenhang mit dem viermaligen ungewollten Getrenntsein von meinen Eltern, Geschwistern und der gewohnten Umgebung.
Ich habe mit vierzehn Jahren angefangen, Medikamente und Drogen zu missbrauchen.
Trennungen sind, seitdem ich das erste mal fortgeschickt wurde, sehr schmerzhaft und hatten oftmals sehr negative Folgeerscheinungen für mich.
Der Auszug meiner älteren geliebten Geschwister aus unserem Elternhaus, die Auswanderung meiner Schwester mit ihrer Familie, das anfängliche wöchentliche Abschied nehmen von meiner Frau.
Ich habe in meinen Beziehungen Nähe nicht zulassen können, wurde depressiv und, weil ich mich eingeengt fühlte, aggressiv. Als ich mit meiner Frau zusammenzog, konnte ich die Nähe nicht ertragen und hab komplett zugemacht, die schönen Gefühle für sie waren nicht mehr da.
Meine Frau und meine Töchter mussten mich so jahrzehntelang ertragen. Darüber bin ich maßlos traurig aber auch voller Dankbarkeit und Liebe für meine Frau und für meine Töchter, die trotz allem zu mir gehalten haben.
Ich habe mich immer stärker separiert, habe Feste und Einladungen ausgeschlagen, mein Freundeskreis dezimierte sich auf Null.
Mein Selbstwertgefühl ist gering und meine Selbstwahrnehmung gestört.
Mittlerweile erlebe ich soziale Kontakte durchaus wieder als angenehm und bereichernd. Ein klein wenig stolz bin ich darauf sämtlichen Drogen entsagt zu haben. Die vielen Therapien und die Einnahme von Psychopharmaka haben es ermöglicht. Sie, die Kontakte wie die Therapien, sind aber auch sehr anstrengend und ermüdend. Ich muss mich dann wieder zurückziehen, um mich erholen zu können.
Mittlerweile beziehe ich eine Erwerbsminderungsrente, die Kräfte schwanden vor ein paar Jahren erheblich.
Termine wahrzunehmen kostet Kraft und lösen oft ein panisches Gefühl in mir aus.
Die vielen Berichte, die ich bisher von Verschickungskindern las, machen mich sehr traurig.
Ich denke, ich hatte "einfach nur" schreckliches Heimweh, und hoffe, nicht zu denen zu gehören, die während ihrer Aufenthalte in den Heimen so unfassbares Leid erleben mussten.
Ich wünsche mir eine Aufarbeitung zum Wohle von uns Verschickungskindern und bin Anja Röhl und allen Berichtenden dankbar für ihren Mut, sich dem Geschehenen zu stellen.
Kaum betraten wir am Altonaer Bahnhof den Zug Rg. Sylt, da wurden wir auch schon getrennt. Eine "Tante" kam von rechts und nahm meine Schwester mit und eine andere Tante zog mich nach links. Im Abteil saßen schon wenigstens 4 andere kleine Mädchen und die genannte Tante. Meine Mutter hatte uns auf Ausflügen häufig Sunkist Tüten mitgegeben. So auch dieses Mal. Es war Kirschgeschmack. Das weiss ich so genau, weil ich in den Strohhalm reinpustete und der Kirschsaft wie eine Fontäne heraus schoss, mein Kleid versaute und das meiner Nachbarn gleich mit. Die Tante sprang auf und wedelte wild mit einem Taschentuch herum um zu retten was nicht zu retten war. Mein Kommentar war " das ist nur passiert, weil das Kirsche war" ( Tatsache hatte ich das schon vorher gemacht und es war auch damals Kirschsaft gewesen...) die Tante wurde sauer und sagte :" ich gebe dir gleich Kirschsaft" ...das war alles nicht schlimm, denn der Spruch hätte auch von meiner Mutter sein können...in Westerland angekommen, bezogen wir ein eher kleines Gebäude. Es sah aus wie eine alte Stadtvilla in L-Form. Ich bin ziemlich sicher dass ich das Haus noch wieder erkannt habe, als ich auf den Spuren der Vergangenheit Sylt besuchte.. Heute denke ich, dass ich ausgelagert worden bin, denn ausser unserer Gruppe von höchstens 10 kleinen Mädchen gab es nur noch eine kleine Gruppe von grossen Mädchen im Haus, die wenigstens 10-12 Jahre alt waren. Die haben uns kleinen Mädchen so manches Mal vor Schaden bewahrt während des 6 wöchigen Aufenthaltes im Haus. Meine Schwester war also erstmal weit weg. Meine Eltern erfuhren nicht offiziell, dass wir getrennt wurden. Mama hatte nach wie vor nur eine Postadresse für uns beide. Sie hatte die 6 Wochen dazu genutzt Geld hinzu zu verdienen. Das war bei uns immer knapp und meine Eltern dachten uns ja in guten Händen. Es dauerte dann auch gar nicht lange, bis deutlich wurde wie schnell die Kinderrechte auf der Kur verletzt wurden. Ich muss im Nachhinein sagen, dass ich viel Glück im Unglück hatte. Ich aß immer mein Essen auf und ich mochte auch alles was es dort gab. Auch Puddingsuppe am Morgen, aber das war bei vielen Kindern in unserer Gruppe anders. Kleine Mädchen, die sich morgens schon in ihre Teller erbrachen und mit auf dem Rücken festgehaltenen Händen gewaltsam mit dem erbrochenem gefüttert wurden, sah ich häufiger. An meine Gefühle dabei kann ich mich nicht erinnern, aber die Tatsache, dass ich es nie vergessen habe spricht für sich. Das Abendessen bestand aus fertig geschmierten Schwarzbrotscheiben mit Gurke und Butter. Wenn alle im Speiseraum aufgegessen hatten, wurde Fred Feuerstein im Fernsehen eingeschaltet, aber eben nur wenn.... Vor dem Schlafen wurde gemeinsam gesungen. Ich sang sehr gerne und genoss die Zeit vor dem Schlafen gehen. Einmal duzte ich aus Versehen die "Tante" während der Singstunde. Ich musste sofort den Raum verlassen und mich ins Bett legen. Das empfand ich als sehr schmerzlich. Die "Tante" erschien noch an meinem Bett und forderte mich auf, mich bei ihr zu entschuldigen. Das war erniedrigend, aber ich tat das sofort. Vor dem Schlafen wurden alle unsere Puppen und Stofftiere oben auf einen Schrank gelegt. Die grossen Mädchen holten sie manchmal wieder für uns runter. Die waren sowieso in meinen Augen unglaublich mutig. Im Schlafraum gab es sehr viele Kinderbücher. Ich habe das sehr genossen, weil wir zuhause nur wenige Kinderbücher besassen. Ich erinnere mich an " das hässliche Entlein" und " wir Kinder aus Bullerbü". Unten im Speisesaal gab es eine Puppenecke. Jeden Tag nach dem Mittag mussten wir 2 Stunden Mittagsschlaf machen. Nicht im Bett, sondern unten im Saal auf kleinen Pritschen. Ich hatte schon seit meinem 2.Lebensjahr den Mittagsschlaf abgelehnt. Hier wurden wir gezwungen die Augen zu schließen. Das ist mir 6 Wochen lang fast nie gelungen. Hatte ich die Augen nicht geschlossen musste ich 2 Stunden " nachschlafen" während die anderen Kinder ins Wellenbad gingen. Was für eine Zeitverschwendung. Schlimmer war es des nachts. Schliefen wir nicht oder geisterten im Flur rum weil wir aufs Klo mussten, wanderten wir barfuß in den Schuhraum. Dort standen wir gefühlt stundenlang rum bis wir irgendwann befreit wurden. Einmal hatte ich während ich mit dem Gesicht zur weissen Wand stand, Nasenbluten bekommen. Das Blut spritzte gegen die Wand und die "Nacht-Tante" geriet in Panik ( wegen der Wand, ncht wegen mir...)
Einmal bin ich barfuss in Glasscherben getreten. Da wurde ich von einer Tante Huckepack getragen und zum Arzt gebracht, sodass die anderen Kinder mich beneideten. Es war eine externe Arztpraxis. Nicht der Arzt der manchmal ins Kurheim kam. Wir waren auch alle gemeinsam am Strand und bekamen Schaufeln. Auch waren wir ein bisschen im Wasser. Regelmäßig gab es ärztliche Untersuchungen beim Arzt. Dafür mussten wir uns im Schlüpfer auf dem Flur in eine Reihe stellen und warten. Erst wurden wir gewogen. Sollte man abnehmen und hatte man dies geschafft, gab es einen Bombon. Ebenso wars mit dem Zunehmen. Der Bonbon war die Belohnung. An Impfungen und dergl. kann ich mich nicht erinnern. Die Karten schrieben die Tanten. " Es geht mir gut, ich habe viele Freunde usw....
Nachdem wir ca 1-2 Wochen auf Sylt waren, ist unsere Oma hinter uns her gefahren. Ihr fiel dann auf ,dass meine kleine Schwester in ihrer Truppe 1 Woche lang nicht mehr draussen auftauchte. Also fragte sie bei den Tanten nach. Diese sagten Linda hätte Hausarrest. Sie hatte es mit ihren 3 1/2 Jahren gewagt ihr Eibrot abends beim Abendbrot unter die Bank zu werfen. Also wurde sie, die Bronchienkranke von Frischer Luft und Bewegung ausgeschlossen. Da nützte es auch nichts dass unsere Großmutter ständig beim Kurhaus meiner Schwester an die Tür klingelte. Man öffnete ihr einfach nicht. Ich hatte mehr Glück. Oma durfte mich tatsächlich einmal kurz besuchen. Wir waren gemeinsam in einem kleinen Raum mit einem Sessel auf dem ich kurze Zeit auf Ihrem Schoss sitzen durfte. Meine Oma berichtete nach Ablauf ihres Aufenthaltes alles brühwarm meinen Eltern. Auch, dass wir immer nur die Badesandalen und den Plastikrock trugen und all die hübschen Anziehsachen waren nie aus dem Schrank herausgekommen. Meine Eltern wunderten sich zwar, hofften aber, dass es so schlimm schon nicht sein würde. Als die sechs Wochen um waren, hatten wir erstmal aufgehört zu sprechen. Der Schock über das erlebte und die lange Trennung waren im warsten Sinne nicht in Worte zu fassen. Lange Zeit brauchte meine Mutter uns nur anzudrohen, dass wir wieder verschickt werden würden, um brav zu sein. Dennoch war es unseren Eltern schnell klar, dass die Aktion ein Fehler war. Mama hatte nicht mit Worten gespart den Nachbarn zu berichten, was auf Sylt alles vorgefallen war. Trotzdem verschickten unsere Nachbarn ihre Kinder Jahr für Jahr zur Kur. Und alle Nachbarskinder kamen trotz Vorwarnung "stumm" zurück. Unsere Kinderverschickung war lange Zeit Thema in der Familie und durch die Initiative Verschickungskinder, wurde sie nochmal wieder " aus der Versenkung geholt". Ich habe keine Langzeitschäden zurück behalten. Bei meiner kleinen Schwester war ich mir da weniger sicher. Mein Mitgefühl gilt allen " Verschickungskindern", denen damals grosse Gewalt und Unrecht zugefügt wurde. Wenn all die schrecklichen Dinge meinen eigenen Kindern passiert wären, ich hätte als Mutter Vergeltung gefordert. Unsere Eltern waren hilflos, obrigkeitshörig und ängstlich. Geprägt durch eine Kindheit im Krieg, nicht in der Lage die Situation richtig einzuschätzen. Ich habe ihnen die Kinderkur längst verziehen.
Erfahrungen mit Schlägen habe ich persönlich nicht, aber das ist meinem Bruder auf Sylt passiert, nachdem er eingenäht hatte.
In dem Kloster in Rottenbuch sind wir evangelischen Kinder nicht so gerne gesehen gewesen.
In Oberjoch schwamm immer eine braune Tablette in der Suppe, ich hoffe mal es war Lebertran oder so .
Ich habe heute das größte Problem mit dem Schweigen unserer Eltern. Bis heute redet meine Mutter( Kriegskind ) nicht mit mir darüber. Das ärgert mich sehr.
Ich habe aber auch gute Geschichten aus den Kuren zu erzählen.
Schön dass wir uns alle auf den Weg machen.
Danke
Danach fast alle 2 Jahre. 2 Mal davon war das Kurheim von katholischen Schwestern geleitet.
Ich denke heute die 2 ersten Verschickungen haben das Urvertrauen in die Eltern, besonders die Mutter stark beeinträchtigt.
Allerheiligen/Oppenau, Schwarzwald: Kinderkurheim, Caritas. 6 Wochen ca. 1962.
Glücksburg: Kindergenesungsheim St. Ansgar, von Ursulinen geleitet, Sandwigstraße 8.
6 Wochen November/Dezember 1964.
Mein Geburtsjahr ist 1954. Ich bin viermal verschickt worden, erstmals als Dreijähriger 1957 und erneut 1958 als Vierjähriger, beide Male nach Timmendorfer Strand, sehr wahrscheinlich in das Privatheim von Frau Düvel. Ca. 1962 (das genaue Jahr ist unbekannt) verschickte man mich zusammen mit meiner ein Jahr jüngeren Schwester nach Allerheiligen im Schwarzwald. 1964 wurde ich mit einem Jungen aus einem Nachbarort nach St. Ansgar in Glücksburg verschickt.
Timmendorfer Strand 1957 und 1958.
Als ich 2009 erstmals vom Schicksal der Verschickungskinder hörte, habe ich umgehend begonnen, meine 4 Verschickungen zu rekonstruieren. Bis auf wenige Ausnahmen habe ich an alle 4 Aufenthalte keine Erinnerungen mehr.
Von einer freundlichen und zuvorkommenden Mitarbeiterin des Fremdenverkehrsamtes Timmendorfer Strand habe ich 2009 auf meine Anfrage hin Informationen und Materialien zugeschickt bekommen, u.a. Kopien von Fotos einer Werbebroschüre für das private Erholungsheim. Im Schriftverkehr mit der Mitarbeiterin habe ich dann durch den Hinweis von ihr, dass Kinder u.a. über die Knappschaft in das Heim verschickt wurden, die Einrichtung von Frau Düvel als „mein“ Kindererholungsheim identifiziert. Mein Vater war mit seiner Familie bei der Knappschaft versichert.
Laut einem undatierten Zeitungsartikel aus Timmendorfer Strand, den ich als Kopie von der Mitarbeiterin erhalten hatte, wurde das Haus (vor 2009) abgerissen, nachdem Frau Düvel, die das Heim mit kriegsbedingter Unterbrechung (1945 – 1948 als Lazarett für Kriegsblinde genutzt) seit 1939 geleitet hatte, mit 70 Jahren in den Ruhestand gegangen war. Zitat aus dem Zeitungsartikel: „Jungen und Mädchen im Alter zwischen vier und zwölf Jahren […] strömten selbst aus fernen Ländern, beispielsweise aus Japan, nach Timmendorfer Strand, um im Kinderheim Urlaub zu machen.“ Weiterhin ist zu lesen, dass „kleine Gäste aus fast allen europäischen Ländern beherbergt“ wurden. Von Frau Düvel geschätzte Zahl der Verschickungskinder seit der Gründung 1912: 20.000.
Bei den zwei Verschickungen nach Timmendorfer Strand erinnere ich mich nur an eine Begebenheit: Während eines Gruppenaufenthaltes am Meer wurde ich am Strand von der Erzieherin allein zurück ins Wasser geschickt, weil ich bei der Rückkehr der Gruppe aus dem Wasser mit der nassen Badehose in den Sand gefallen war. Ich sollte noch einmal ins (vermutlich sehr flache) Meerwasser eintauchen, um die Badehose zu „säubern“. Ich mag mich aus der Erwachsenenperspektive gar nicht in die damalige Situation emotional hineinversetzen, aber man kann sich denken, wie unendlich allein, verlassen und ausgeschlossen ich mich gefühlt haben muss. Als dreijähriges (und im folgenden Jahr als vierjähriges) Kleinkind in der Fremde, ohne Eltern und Geschwister und weitere vertraute Bezugspersonen, war ich sowieso schon, wie auch meine Mitbetroffenen, im übertragenen wie im Wortsinn „mutterseelenallein“. Ich muss mich, wie es in einem Verschickungszeugnis formuliert wurde, in den 6 Wochen „verraten und verkauft“ gefühlt haben, ohne dies damals als Kleinkind verbalisieren zu können.
Und dann noch allein ins Meer geschickt zu werden, in die von Menschen nicht zu kontrollierende Urgewalt des Wassers, war das für die kleine Kinderseele überhaupt noch aushaltbar? Jedenfalls müssen meine Isolation in diesem Moment, mein Gefühl der Fremdheit, der Verlorenheit und des Verrats unermesslich gewesen sein.
Die von Thuiner Franziskanerinnen geleiteten Kindererholungsheime St. Johann und Antonhaus im Ortsteil Niendorf (Stichwort „Gedenkstein“) sind mir wohl erspart geblieben. Aber auch bezüglich des Deutschen Kindererholungsheimes sind hier auf dieser Website von Betroffenen schlimme Erfahrungen dokumentiert worden.
An Weihnachten 1979 schenkten meine Eltern meinen Schwestern und mir je ein persönliches Fotoalbum mit Fotografien aus der Kindheit und Jugend. Mein Album enthält 3 Fotos aus Timmendorfer Strand 1957/1958. Zwei davon zeigen mich inmitten einer fröhlichen Schar von unverkennbar älteren Mädchen – auf einem Klettergerüst bzw. auf einer Bank. Für das Zustandekommen dieses Motivs - ich als einziger Junge mit 10 bzw. 4 älteren Mädchen - habe ich keine Erklärung. Auf dem dritten Foto bin ich mit anderen Jungen und Mädchen sowie 3 Erzieherinnen auf dem Außendeck eines kleinen Schiffes abgebildet, das in der Ostsee unterwegs ist. Die Jungs sitzen für sich auf der einen Seite des Decks, die Mädchen, getrennt durch einen Gang, auf der anderen Seite. Von mir ist nur der Kopf im Vordergrund zu sehen, vor den Mädchenbänken und neben einer Betreuerin.
Inzwischen bin ich geneigt, diese fotografischen Dokumentationen meiner beiden Kuren in Timmendorfer Strand positiv für mich zu interpretieren. Vielleicht haben die älteren Mädchen mich kleinen Knirps zumindest in den beschriebenen Situationen ein wenig unter ihre Fittiche genommen, mich in gewisser Weise beschützt.
Allerheiligen/Oppenau ca. 1962.
Meine Anfrage 2009 beim Verkehrsamt Oppenau ermöglichte mir den Kontakt zur letzten Gesamtverantwortlichen des Heimes, die in der Leitung des Hauses vom Diözesan-Caritas-Verband Mainz unterstützt wurde. Die zu diesem Zeitpunkt hochbetagte Dame hat mir einen freundlichen Brief geschrieben und mir einige Fotografien u.a. vom Haus sowie Informationen zum Kindererholungsheim zugeschickt.
In der Zeit von 1947 bis 1972 wurden mehr als 25.000 Kinder aus den Diözesen Mainz und Trier sowie aus staatlichen und kommunalen Verbänden aus dem Rheinland und aus Nordrhein-Westfalen nach Allerheiligen verschickt. Anfangs standen 160, später 120 Betten für jährlich 8 sechswöchige Kuren zur Verfügung. Eine Gruppe musste immer von zwei Personen betreut werden, mindestens von einer ausgebildeten Erzieherin und ggf. einer Praktikantin. Die Mittagsruhe wurde von den Kindern in der Liegehalle verbracht. Die Funktion des Heimarztes wurde von einem Mediziner in Oppenau übernommen. Er untersuchte die Kinder am Anfang einer Kur, in der Mitte und am Ende.
Weiterführung des Heimes als Landschulheim 1978, seit 1990 wird die Einrichtung von der katholischen Laienmissionsorganisation ICPE (International Catholic Program for Evangelisation) genutzt.
Die Klosterruine Allerheiligen (ehemaliges Prämonstratenser-Kloster) und die Umgebung werden noch heute touristisch genutzt. Ein ehemaliges Hotelareal mit zwei Gebäuden wurde 1947 von der Caritas Mainz für das geplante Kindergenesungsheim gekauft. Die Allerheiligenkapelle, 1960 neu erbaut, spielte auch bei den Kinderkuren eine wichtige Rolle.
Von meinem sechswöchigen Aufenthalt in Allerheiligen habe ich nur eine Erinnerung: Ich wurde dorthin mit meiner ein Jahr jüngeren Schwester verschickt. Nach der Ankunft standen wir zwei Hand in Hand vor einer oder mehreren Betreuerinnen. Ich habe es so in Erinnerung, dass unsere Hände durch einen harten Schlag getrennt wurden und ich so meine Schwester, meinen einzigen Halt in der Fremde, verlor. Alles andere aus den 6 Wochen ist wie bei allen meinen 4 Heimaufenthalten komplett gelöscht.
Meine Mutter habe ich vor sehr vielen Jahren, als mir der Name des Ortes der Verschickung in den Schwarzwald nicht mehr eingefallen war, danach gefragt. Die Antwort kam prompt: „Allerheiligen“. Als ich sie fragte, wie es dort gewesen sei, sagte sie nur: „Nicht gut.“
Glücksburg 1964.
Sechswöchiger Aufenthalt mit einem Jungen aus einem Nachbardorf im November/Dezember im von Ursulinen (katholischer Frauenorden) geleiteten Kinderkurheim St. Ansgar, das 1950 vom Ursulinenkonvent aus dem ehemaligen Liebenthal, Niederschlesien, übernommen, renoviert und neu eingerichtet wurde. Das Gebäude wurde 1999 abgerissen.
Auf meine 2009 getätigte Anfrage bei der Stadtverwaltung Glücksburg hin, schickte mir das Bürgerbüro u.a. Kopien einer Broschüre über St. Ansgar von 1968 mit Fotos vom Gebäude und den Räumlichkeiten sowie Informationen über das Heim. Es wurden 120 Kinder, je zur Hälfte Jungen und Mädchen im Alter von 5 bis 14 Jahren, aufgenommen, Mädchen auch älter als 14 Jahre. Für die 120 Kinder, die nach Altersstufen in Gruppen eingeteilt wurden, standen lediglich 8 Badezellen und 1 Brausebad zur Verfügung. In der Broschüre ist auch zu lesen, dass als Teil des Kurverfahrens „je nach Bedürfnis Medikamente und zusätzliche Stärkungsmittel“ eingesetzt wurden. Mitzubringen hatten die Kinder u.a. „das Diözesan-Gesangbuch“. Neben der Oberin waren eine Jugendleiterin, Kindergärtnerinnen und Krankenschwestern für die Betreuung der Kinder zuständig.
Weiterhin liegen mir Kopien von Fotos mit dem Gebäude St. Ansgar von 1954, 1958, 1990 und 1998 vor. Eine von einem Verschickungskind 1962 beschriebene Ansichtskarte vom Speisesaal von St. Ansgar beschaffte ich mir über einen Ansichtskartenversand. Der verschickte Junge hatte für seine Eltern seinen Platz im Speisesaal markiert. Offenbar gab es also zumindest in dieser Zeit fest zugewiesene Plätze bei den Mahlzeiten.
Der freundliche Mitarbeiter vom Bürgerbüro schickte mir auch Kopien einer weiteren Broschüre mit Fotos und knappen Informationen sowie Kopien von 6 weiteren Fotos von Küche, Wäscherei, Schlafsaal und Aufenthaltsräumen zu. Die Broschüre und die 6 Fotos stammen aus der NS-Zeit: auf einem Foto in der Broschüre steht die Hakenkreuzflagge im Mittelpunkt („Blick vom Spielplatz am Hause“). Auf einem der 6 Fotos ist in einem Aufenthaltsraum u.a. ein Bücherregal zu sehen, 2 Bücher liegen auf einem Tisch. Den Titel des einen Buches konnte ich mit Hilfe einer Lupe und einer Recherche in der Deutschen Nationalbibliografie identifizieren: Adolf Hitler spricht. Ein Lexikon des Nationalsozialismus. Leipzig: Kittler, 1934. Dem Inhaltsverzeichnis des Eintrages in der Bibliografie ist zu entnehmen, dass es sich nicht um ein klassisches Lexikon von A – Z handelt, sondern um eine Sammlung von Hitler-Zitaten zu verschiedenen Themen.
St. Ansgar hat also eine NS-Vergangenheit. Auch im Deutschen Kindererholungsheim in Timmendorfer Strand lief der Betrieb in den unseligen Jahren der Nazi-Diktatur weiter. Inwieweit die Verschickungsheime der „Gleichschaltung“ unterlagen, ist z.B. in der Studie „Kur oder Verschickung?“ von Hans-Walter Schmuhl am Beispiel der Kinderheime der Deutschen Angestellten Krankenkasse DAK nachzulesen. Auf das Buch und weitere Publikationen zum Thema wird auch auf dieser Website hingewiesen. Darüber, dass die langen Schatten der menschverachtenden Nazi-Ideologie bis in die Kinderkurheime der 1950er und 1960er Jahre reichten, z.T. mit dem gleichen Personal, wird z.B. auch auf verschickungsheime.de auf der Seite „Mögliche Einflüsse der NS-Zeit auf Verschickungsheime“ informiert.
Auch heute steht in der Glücksburger Sandwigstraße 8 wieder ein „Haus St. Ansgar“: lt. Website des Instituts St. Bonifatius lebt dort eine „kleine geistliche Zelle“ der katholischen Pfarrei Flensburg mit 4 Mitgliedern.
Lt. den beiden Broschüren aus der Nazi-Zeit und von 1968 war das Kindererholungsheim St. Ansgar im Besitz des „Gemeinnützigen Vereins für Kinderhilfe e.V. Sendenhorst“. Über diesen Verein konnte ich nur einen Eintrag im Historischen Archiv des Erzbistums Köln (Bestandsangaben über die Deutsche Digitale Bibliothek aufrufbar) ermitteln: der Bestand des Diözesan-Caritasverbandes Köln enthält u.a. eine Niederschrift der Konferenz der katholischen Anstalten der Kindergesundheitsfürsorge aus der Zeit zwischen 1937 und 1984. Es handelte sich also um einen Verein, der sich aus dem katholischen Weltbild heraus der Kinderhilfe verschrieben hatte.
Ich habe nicht einmal eine Erinnerung daran, dass der mir bekannte Junge aus einem Nachbardorf mit mir in Glücksburg gewesen ist. Es gibt eine Erinnerung, die ich keiner der 4 Kuren eindeutig zuordnen kann: Ich befinde mich tagsüber allein in einem großen Schlafsaal im Bett. Wie schon bei der Badehose-Episode in Timmendorfer Strand ist auch diese Erinnerung an ein erzwungenes Ausgeschlossensein ein Bild der Verbannung, des in der Welt Verlorenen, des schuldig Gewordenen. Was noch einmal eine Steigerung war innerhalb des von der Außenwelt sowie so schon abgeschotteten geschlossenen Systems der Heime mit ausschließlich Kindern und Personal. Aus Zeugnissen von Mitbetroffenen weiß ich, dass zu den Strafmaßnahmen auch gehörte, dass man von seiner gerade mit Aktivitäten befassten Gruppe ausgeschlossen wurde und sich u.U. für Stunden in sein Bett im ansonsten leeren Schlafsaal legen musste.
Im Nachlass meiner Mutter habe ich nach ihrem Tod 21 Karten und Briefe meiner Mutter, von der restlichen Familie und weiteren Verwandten sowie von Schulfreunden gefunden, die mir 1964 nach Glücksburg geschickt wurden. Weiterhin 8 Briefe, die ich als Zehnjähriger nachhause geschrieben hatte. Ich bin meiner Mutter sehr dankbar, dass ihr die Glücksburger Briefe so wichtig waren, dass sie sie zu ihren persönlichen Unterlagen genommen hat und werde sie wie einen wertvollen Schatz hüten.
Sehr vage erinnere ich mich an eine Schifffahrt, mit der ich ein Gefühl positiver Aufregung verbinde. Die Briefe offenbaren, dass wir zwei Ausflüge nach Dänemark – ins Ausland! – gemacht haben. Einmal mit einem kleinen Dampfschiff, das in der Broschüre abgebildet ist, einmal mit dem Bus. Der eine Ausflug führte uns nach Sonderborg, der andere zu Schloss Gravenstein, der Sommerresidenz der dänischen Königsfamilie. In einem Brief an die Eltern erzähle ich ausführlich von einem Museum in Sonderborg, das wir besucht haben und von einem „Schattenspiel der großen Mädchen“ sowie einem Marionettentheater über die Bremer Stadtmusikanten, das wohl von einigen Jungen gestaltet wurde.
In fast allen Briefen schreibe ich, dass es mir gut geht. Und ich erzähle von meinen ausschließlich positiven Erlebnissen: es sei „sehr schön“ in St. Ansgar und das Essen sei „sehr gut“. Das Heim sei „sehr schön eingerichtet“. Ein Beleg dafür, dass die Kinder angehalten waren, nur Gutes nachhause zu berichten? Oder entsprach das, was ich geschrieben hatte, tatsächlich meiner damaligen Wahrnehmung?
In einem meiner Briefe (alle mit blauer Tinte geschrieben) ist in schwarzer Tinte ein grammatikalischer Fehler korrigiert. Meine Mutter schreibt mir in einem Brief, dass die Oma eine Karte von mir erhalten hätte, die gar nicht von mir selbst geschrieben worden wäre, und dass sie sich deshalb Sorgen machte, dass ich krank sei. Was ich in meinem Antwortbrief verneine und mitteile, dass ich nichts von einer solchen „falschen“ Karte weiß. Belege dafür, dass alle ausgehenden Briefe der Kinder gelesen und ggf. Negatives eliminiert wurde oder gar Briefe einbehalten und vom Personal neu geschrieben wurden? Aus Zeugnissen von Betroffenen ist bekannt, dass kein Brief das Heim verlassen durfte, der nicht kontrolliert und ggf. zensiert wurde.
Aus den Briefen weiß ich auch, dass eine „Frl. Petra“ die Betreuerin meiner Gruppe war. Von meinen Eltern wurde ich in den Briefen ermahnt, „Frl. Petra immer Freude zu machen“ und dass ich mich „an die Ordnung halten“ soll, dann hätte ich selbst „viel Freude“. In einem anderen Brief erzähle ich, dass ich für Vater Manschettenknöpfe bastele. Dies verbindet sich mit der vagen Erinnerung an Emaille-Arbeiten in unserer Gruppe.
Ein Satz aus einem Brief meiner Mutter, der mir gut gefällt: „Du kleiner Kerl bekommst allerhand zu sehen“. Noch ein bemerkenswerter Satz eines Freundes, der den von den Verantwortlichen beabsichtigten Zweck der Kinderverschickungen in entlarvender Weise auf den Punkt bringt: „Werde ja reichlich dick.“
Über eine weitere positive Erinnerung kann ich bei meinen 4 sogenannten Kindererholungen berichten, allerdings auch nur eine sehr vage: Es werden Briefe und/oder ein Päckchen (in einem der aufgefundenen Briefe ist von einem Nikolauspäckchen die Rede) von zuhause verteilt, bei mir verbunden mit einem wohligen und herzerwärmenden Gefühl.
Das, was ich in den 24 Wochen bei 4 Kuren in 3 Heimen im Alter von 3 bis 10 Jahren erlebt habe, ist nahezu vollständig in meinem Bewusstsein gelöscht. Die wenigen Ausnahmen habe ich in meinem Bericht aufgeschrieben. Nach einem psychischen Zusammenbruch als 22jähriger begann ich meine erste Psychotherapie. Noch heute konsultiere ich in großen Abständen einen Psychotherapeuten.
Dankbar bin ich meinen Leidensgenossen und -genossinnen, die auf dieser Website Zeugnis abgelegt haben. Ich fühle mich mit ihnen in dem, was uns bei den Verschickungen widerfahren ist, verbunden. Das hilft.
Es gab eine zweite, ebenfalls sechswöchige Verschickung im Jahr 1964 – gemeinsam mit meiner jüngeren Schwester – nach Wyk auf Föhr (Name des Heims nicht mehr bekannt). Auch aus dieser Zeit erinnere ich fast nichts mehr - außer dem täglichen Zwang, nach der Mittagsruhe eine große Tasse abgekochte warme Milch mit ekliger rahmiger Haut zu trinken und eine fingerdicke Scheibe fettiger Leberwurst zu essen.
Als „Kriegsenkel“ habe ich vor Jahren schon meine lebenslänglich wiederkehrenden depressiven Phasen und Angststörungen psychotherapeutisch bearbeitet, leider erfolglos. Mir scheint, ich muss angesichts der abgespaltenen Erfahrungen als „Verschickungskind“ einen neuen Versuch der Problembewältigung starten...
Viele Grüße
Sabine Müller-Ebbers
Wir Kinder wurden sofort in ein düsteres dunkles Spielzimmer mit anderen Kindern geführt. Nach dem Abendessen, was noch kein Problem war, brachte eine Tante uns in ein Schlafzimmer im 1.Stock unterm Dach mit 8 Gitterbetten und 6 anderen Mädchen, die uns alle seltsam anschauten, aber nicht mit uns gesprochen haben wie auch die ganze restliche Kur nicht. Wir bekamen die Betten in der rechten Viererreihe mittendrin. Wir waren keine Gitterbetten von zuhause mehr gewohnt. Es kam mir alles so seltsam vor, aber ich hatte meine Hoffnung auf den nächsten Tag gesetzt, an dem sich alles aufklären würde, und war allen widrigen Umständen zum Trotz eingeschlafen.
Danach ging der tagtägliche Horror los. Die Zimmertür wurde aufgerissen und wer noch nicht wach war, wurde wachgerüttelt. Ich muss dabei zumindest an mehreren Tagen angebrüllt worden sein, weil ich ins Bett gemacht hatte. In meiner Erinnerung fühle ich, daß ich am liebsten gar nicht mehr aufgewacht wäre, weil ich Angst vor den nicht abschätzbaren Ereignissen des Tages hatte. Ich sehe mich voller Angst in dem Bett liegen und hoffen, dass nichts für mich Schlimmes passiert. Dann wurden wir alle von einer Tante in ein Badezimmer mit endlos vielen Waschbecken gescheucht und mussten uns in Unterwäsche nach Anweisung der Tante waschen.
Das Frühstück war mit seinen Marmeladenbroten und Tee noch für mich essbar. Den Kakao mit der widerlichen Milchhaut hatte ich auch noch getrunken, wenn ich aber auch nach der Kur nie mehr danach Kakao zu Hause getrunken habe. Was aber gar nicht ging, war die ekelhafte Haferschleimpampe, die ich irgendwie heruntergewürgt habe. Zumindest die meisten Tage. Gegen Ende der Kur, als nur noch wenige Kinder im Esszimmer waren, konnten wir sehen, wie einer der älteren Jungs der Heimkatze, die durch die offene Tür hereinstolzierte, seinen gefüllten Teller hingestellt hat, als die Tante gerade nicht im Raum war. Das haben wir ab dann auch gemacht. Ich weiß nicht mehr, ob wir dabei erwischt und bestraft wurden.
Wir mussten essen, was wir vor uns hingestellt bekamen. Es wurde nicht gefragt, was wir wovon wieviel mochten oder nicht, und erst recht nicht, vor was es uns ekelte. Schlimm war der Geruch, wohl eher der Gestank, aus der Küche. Ich erinnere mich an eine Szene, in der Erbsensuppe in tiefen Tellern auf den Tischen vor uns steht. Ich höre an meinem Kleinkindertisch (jawohl, sie haben uns sogar beim Essen ohne Not getrennt), wie jemand an einem anderen Tisch kotzt. Ich sehe dann, wie meine Schwester würgt und die ausgekotzte Suppe in den Teller fällt, der über zu laufen droht. Die eine aufsichtführende Erzieherin hält meine Schwester fest und die andere rennt in die Küche, um einen weiteren tiefen Teller zu holen, den sie dann vor meine nach wie vor würgende Schwester stellt, damit ja kein bisschen von der Kotze daneben geht. Ich habe gedacht, daß meine Schwester nun in den Arm genommen und getröstet wird, so wird das unsere Mutter immer in solchen Fällen gemacht hätte. Stattdessen zwingen die beiden „Tanten“ meine Schwester, das Erbrochene aufzuessen! Ich an meinem Tisch will aufstehen und zu meiner Schwester, weil ich instinktiv fühle, daß das falsch ist, was da mit ihr gemacht wird. Ich will ihr irgendwie helfen, aber ich werde an meinem Platz von einer dritten Tante festgehalten. Die anderen Kinder dürfen gehen. Ich habe bis heute, mehr als 55 Jahre danach, Probleme mit Erbsen als Nahrungsmittel, insbesondere Erbsensuppe.
Ich war bis knapp vor 2 Wochen der Meinung, daß mir sowas in dieser Zeit nicht passiert wäre. Aber als ich die Berichte von anderen Betroffenen gelesen habe, insbesondere den von Maria, daß ein kleines Mädchen unter Androhung von Spritzen zum vollständigen Aufessen des Erbrochenen gezwungen wurde und ich weiß, daß wir panische Angst vor Spritzen hatten, sehe ich das anderes. Vielleicht waren es in meinem Fall Ravioli, die ich bis heute wie auch meine Schwester nicht essen kann.
Mindestens 1 Spritze haben wir beide unter Angst gesetzt bekommen. Ich sehe mich und meine Schwester noch mit nacktem Popo in dem unheimlichen Arztzimmer, das mit seltsamen Apparaten vollgestopft war, auf einer Liege; wofür oder wogegen eigentlich? Ich finde in meinem alten Impfbuch/Impfkarte keine passende Eintragung. Das Wiegen an sich war weniger schlimm, wenn wir auch vorher lange vor dem Zimmer warten mussten und uns dann die Kleider von den „Tanten“ vom Leibe gerissen wurden. Meine Schwester hätte zu dieser Zeit eigentlich noch Antibiotika wegen einer Nierenentzündung schlucken müssen. Die Heimleiterin hatte sie ihr nicht gegeben. Es gab keine Rücksprache dazu mit meinen Eltern.
Was haben wir ganzen Tag über gemacht? Ich erinnere mich an das dunkle, düstere Spielzimmer, in dem es Spielzeug gab, wie ich es zum Teil vom heimischen Kindergarten kannte und teils auch nicht. Meine Schwester meint, dass darin schwere Holztische so wie im Alpenraum üblich gestanden hätten. Wir mussten auch malen, wir konnten ja noch nicht schreiben. Dass das die Bilder für die Eltern zu Hause zur Dokumentation der ach so tollen Kur waren, reime ich mir zusammen. Ich hatte jedenfalls damals schon Malen gehasst, weil die Bilder nie so wurden, wie ich es wollte. Ich hatte gute Miene zum bösen Spiel gemacht, den Stift in die Hand genommen und gekrakelt. Vielleicht war ich dabei über den Rand des Blattes hinausgekommen und hatte den Tisch bemalt, vielleicht hatte ich die Malblätter aus Frust zerknüllt oder zerrissen. Den „Tanten“ hatte das nicht gepasst und ich erinnere mich, unter dem Stuhl der Heimleiterin für längere Zeit gesessen zu haben. Später erinnere ich mich, immer das gleiche gemalt zu haben: Sonne am Himmel, grüne Wiese, vermutlich so, wie die Tanten es mir gesagt hatten. Meine Schwester hatte protestiert, daß ich dasselbe wie sie zu malen versuchte.
Und dann gab es den Kreis, in dem irgendetwas mit allen Kindern gemacht wurde. Ich war zu klein, als daß es mich hätte ansprechen können. Ich meine, auf die Toilette gemusst zu haben und dafür um Erlaubnis gebeten zu haben. Die Heimleiterin persönlich hatte es verboten und als ich es trotzdem versucht hatte zu gehen, wurde ich von ihr auf ihren Schoss gesetzt und festgehalten. Der Erinnerungsfetzen hört da auf. Wahrscheinlich war das passiert, was passieren musste. Die Strafe war mit Sicherheit so drastisch und schlimm ausgefallen, daß ich mich nicht daran erinnere.
Wie in jedem Kinderheim, gab es den Mittagsschlaf, den jedes Kind machen musste, egal wie alt und ob es den Schlaf gebraucht hat oder nicht. An Schlechtwettertagen so wie meistens wurde er im Schlafzimmer gemacht, an schönen auf dem langen Holzbalkon auf Gartenliegen. Mein Pech war, daß es eine Liege zu wenig die Kinder gab und mich als Kleinste und Jüngste hat es getroffen. Während alle anderen, auch meine Schwester, mit den „Großen“ aus meiner Sicht die Sonne genießen durften, musste ich allein im Schlafzimmer in meinem Gitterbett bleiben. Meine Proteste blieben ungehört. Die Sonne schien heiß durch die Fenster und ich hatte in meiner 60ziger Jahre Wollstrumpfhose geschwitzt. Das war aber nicht das Problem. Das Schlimmste war, dass sie fürchterlich gekratzt hatte. Um den Juckreiz zu bekämpfen, hatte ich mit der Zopfspange meiner Flechtzöpfe auf dem Oberschenkel gerieben. Mit dem Ergebnis, daß die Strumpfhose anschließend ein riesiges Loch hatte und somit kaputt war. Ich wurde sofort ohne Anhörung meiner Sicht und ohne neue Strumpfhose in den ungeheizten Keller im Allgäuer Winter gebracht und eingesperrt. Das Schlimmste war nicht die dunkle und unbekannte Umgebung, sondern die Ungerechtigkeit.
Sonntags und/oder samstags muss es wohl eine Art religiöses katholisches Zeremoniell, abgehalten von einer Nonne, gegeben haben. Alle Kinder waren in einem Raum mit Kruzifix in der Ecke versammelt. Ich hatte mich trotz evangelischer Erziehung sicher und entspannt gefühlt, denn wir kannten vom heimischen katholischen Kindergarten das Bekreuzigungsritual. Ich hatte die Welt nicht mehr verstanden, als meine Schwester und ich zusammen mit einem älteren Jungen (wieso der, ältere Kinder wurden doch nie bestraft?) von der älteren Nonne zusammengestaucht wurden.
Es gab auch eine Art seltsamen Gymnastikraum mit noch seltsameren Turngeräten. Ich sehe mich und meine Schwester im Turnhemd umherlaufen. Es war gut, weil wir uns endlich mal so bewegen durften, so wie wir wollten und es keine Strafen zumindest für mich gab.
Ein einziges Mal erinnere ich mich, daß wir mit unseren von zuhause mitgebrachten Puppen spielen durften. Ich habe mich gewundert und gefreut, daß das Heim die gleichen Puppen wie wir hatte: Meine Schwester und ich sitzen im Schneidersitz im Schlafraum zusammen im Bett meiner Schwester. Eine Einladung von ihr, der ich nur zu gerne gefolgt bin. Eine gelöste, vertraute Atmosphäre fast wie zu Hause. Wir beiden entspannen, wir r e d e n endlich mal wieder miteinander und l a c h e n . Ich ziehe meiner Puppe gerade die Kleider aus, da wird die Zimmertür aufgerissen und die Tante stürmt herein. Sie sieht uns zusammen im Bett und zerrt mich heraus. Die Puppen werden eingesammelt, in einen Koffer gestopft, den ich noch nicht kenne, und auf einen Spind oder Schrank in für uns unerreichbare Höhen gestellt. Ich weiß nicht, welche Strafe wir dafür bekommen haben, aber ich sehe uns, wie wir von 2 „Tanten“ eine steile Außensteintreppe hinuntergeschoben und -gezerrt werden. Dann stehe ich in der einzigen gemeinsamen Strafszene mit meiner Schwester zusammen an einer eiskalten gekachelten Wand. Meine liebe, gehohrsame, angepasste, motorisch geschickte Schwester wird wegen mir bestraft.
Einmal stand ein Marmorkuchen im Esszimmer, so wie ihn meine Mutter oder Großmutter zuhause gebacken haben: Irgendjemand muss mir gesagt haben, daß ich an dem Tag den 4. Geburtstag habe. Ich bin entsetzt, denn ich nehme das als weiteres Anzeichen dafür, daß ich für immer im Heim bleiben muss; es hat sich alles so falsch und unwirklich angefühlt. Das halbe Stück Marmorkuchen, das auf meinem Teller war, hat seltsam geschmeckt, dafür gab es ja genügend Gründe, aber besser als das andere Zeugs, was es sonst gab. Als ich ein zweites Stück will, wird mir gesagt, es sei nichts mehr da. Meine Schwester sagt, daß ich eine Rolle Schokoladenkekse an die Kinder verteilt habe und sie Angst hatte, daß sie keinen Keks mehr bekommt.
Die einzige schöne Erinnerung, die ich habe, war das Spielen im Schnee auf einem Holzblockhaus vor dem Haus: Es liegt Schnee, die Sonne scheint und ich sehe die Berge. Ich sehe einen Weg, aber keine weiteren Häuser. Ich, meine Schwester und ein anderes kleines Kind, - hurra, ich bin endlich nicht mehr die kleinste in der Gruppe-, sind in den ersten Stock über eine Leiter hochgeklettert und haben aus Schnee eine Mauer gebaut. Eine junge Tante hilft uns, den Schnee nach oben in einem Eimer zu bringen und hält sogar die großen Jungs von uns fern. Leider ist die Freude vorbei, als unsere Kleider nass sind und wir zurück ins Haus müssen. Das einzige Mal, daß ich wirklich draußen an der frischen Luft war und Freigang hatte.
Es muss für mich ein spezielles abendliches Ritual mit einer Tante gegeben haben. Anders, als das Liebevolle zuhause mit einem Gutenachtlied: Ich sehe eine schimpfende Tante neben meinem Bett.
Wir durften nicht zur Toilette, wann wir wollten. Besonders nicht nachts. Ich kannte die Regeln nicht: Ich sehe mich nachts mit meiner Schwester über einen schwach beleuchteten Flur an einer dunklen, steilen Treppe vorbei zur Toilette tappen. Meine Schwester macht mehrmals „Psst“ zu mir. Auf der Toilette unterm Schrägdach angenommen, machen wir kein Licht. Ich möchte die Spülung drücken, aber meine Schwester hindert mich daran. Ich weiß nicht, ob wir ertappt worden sind und was die Strafe war.
Besonders abends gab es nicht genug zu trinken: Ich sehe mich beim abendlichen Zähneputzen Wasser aus dem Wasserhahn trinken. Meine Schwestern hatte mich darauf aufmerksam gemacht, daß ich meinen schrecklichen Durst auch aus dem Wasserhahn stillen kann.
An einem Tag werden meine Schwester und ich ins Büro der schrecklichen, furchteinflößenden Heimleiterin gerufen. Wir mussten sie „Mama“ Darm nennen. Gut, daß wir unsere eigene Mutter „Mutti“ genannt haben. Ich erwarte eine weitere Bestrafung, denn so war das immer in der Vergangenheit, wenn man ins Büro gerufen wurde. Aber das Unmögliche ist eingetreten: Unsere Eltern stehen im Büro. Meine Strafe ist also vorbei. Ich soll laut späteren Aussagen meinen Eltern nach gesagt haben „Ich muss ja so lachen, weil ich so fröhlich bin“, und gleichzeitig so geheult und hysterisch gelacht haben, dass es sogar dieser hart gesottenen Frau peinlich war. Dann hat sie ein Armbandkettchen mit einem Eichhörnchen-Anhänger dran aus einer Schublade geholt und mir als angebliches Geburtstagsgeschenk um das Handgelenk gelegt. Das kann ich zulassen, weil unsere Eltern in der Nähe sind und mich notfalls beschützen werden. Unsere Eltern wollen noch, daß wir der „Mama“ Darm, der schrecklichen Frau, die Hand geben. Was ich auch, wenn auch nur den Eltern zuliebe mache (ich will ja keine neue Strafe), weil ich spüre, dass jetzt alles wieder gut wird. Dann renne ich die Eingangstreppe in die Freiheit.
Wir sind zu viert durch das idyllisch verschneite Illertal mit dem Zug gefahren. In Ulm sind wir in einen damaligen D-Zug umgestiegen, der überfüllt ist, sodass wir im Gang Sitzplätze aufklappen müssen. Ich habe mir dabei schmerzhaft den kleinen Finger eingeklemmt. Aber es ist mir so was von egal gewesen!
Meinen vierten Geburtstag haben wir zuhause nachgefeiert. Ich sehe auf dem Foto nicht sehr glücklich und ernst aus. Auch dieses Geburtstagfest hat sich irgendwie trotz vertrauter sicherer Umgebung falsch angefühlt, und es lag nicht an den Geschenken oder am Geburtstagskuchen.
1. Alptraum. Ich suche verzweifelt eine Toilette, finde die endlich und das Bett ist nass.
2. Traum. Ich bin in einen Raum allein und Nebel steigt auf, ich bekomme keine Luft und ersticke.
3.Traum. Ich werde verfolgt und die Tür ist kleiner als der Türrahmen.
4. Traum. Es wird Fleisch aus meinen Beinen geschnitten, ich bin ohnmächtig vor Schmerz.
Ein Lehrer in der 12. Klasse sagte „Male es auf“ und es war damit vorbei.
Kennt ihr diese Träume?
Liebe Grüße, Annette
Mitte der fünfziger Jahre wurde ich mit meiner Schwester über das Bundesbahn-Sozialwerk in ein Kinderheim bei Tutzing am Starnberger See verschickt. Ich war 5 oder 6 Jahre alt, meine ältere Schwester bereits in der Grundschule. Was ich im Kinderheim als Albtraum erleiden musste, beschäftigt mich noch heute.
Direkt nach der Ankunft wurde ich von meiner Schwester getrennt und sah sie nur noch aus der Ferne, wenn wir zum Essen anstanden. Kontaktaufnahme war streng verboten. Post nach Hause funktionierte nicht, weil ich noch nicht schreiben konnte. Allgemein wurde die Post sowieso zensiert. Ich fühlte mich so verlassen und alleine.
Der Teller des Mittagessens musste leer sein, ansonsten gab es Nachsitzen im Speisesaal. Ich mochte keine Nudeln. Deshalb habe ich manchmal bis 16 Uhr im Saal gesessen und versucht, die Nudeln einzeln herunterzuwürgen. Was für eine Barbarei.
Kein Mitleid.
Das Schlimmste aber war, dass ich kurz nach Beginn der Verschickung eine Blinddarmreizung bekam, die sich im Laufe der sechs Wochen zu einer Entzündung entwickelte. Die Symptome wurde von den Pflegeschwestern einfach ignoriert oder weggewischt. Ich musste mich oft nachts aus dem Schlaf heraus übergeben und wurde deshalb heftig morgens ausgeschimpft, weil das Bettzeug beschmutzt war. Ich musste als Kind dann die Bettwäsche selber wechseln. Weil ich Angst vor der Schimpferei hatte, habe ich das Erbrochene manchmal runtergeschluckt. Manchmal gelang es mir, das Erbrochene auf dem Bettlaken mit einem Waschlappen notdürftig zu entfernen und den Flecken zu verbergen. Das gelang aber selten, denn bei der Kontrolle des gemachten Betts fiel ich dann doch auf. Und wieder ging das Geschimpfe los. Einmal habe ich mich bei einem Ausflug in den Starnberger See erbrochen. Es war grauenhaft.
Ich entwickelte aus meiner Angst heraus Schuldgefühle, weil ich den Schwestern Arbeit machte. Ich sah mich als Schuldigen. Ich wusste damals nicht, dass ich sehr krank war und versuchte auch, die heftigen Bauchschmerzen zu verbergen. Das den Schwestern zu erzählen, hätte ja wieder Geschimpfe bedeutet. Auch ein Arzt hat damals alles bagatellisiert.
Heute weiß ich nicht, wie ich das damals ausgehalten habe. Nachdem ich wieder zu Hause in Essen war, kam ich drei Tage später ins Krankenhaus und wurde operiert. Das Risiko eines Durchbruchs bestand akut . Die OP hat mir wohl das Leben gerettet.
Meine Eltern waren schockiert und haben mich nie wieder in eine Kinderkur verschickt.
Diese Erlebnisse belasten mich bis heute. Wie konnte es passieren, dass so mit mir umgegangen wurde? Das war Vergewaltigung einer Kinderseele. Manchmal habe ich heute noch flashbacks.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin trotz dieser Tortur im weiteren Leben ein gestandener Ingenieur sowie Ehemann und Vater geworden. Ich sitze nicht in der Ecke und bedauere mich selbst.
Der Auslöser für meine E-Mail ist ein Artikel im heutigen (01.07.2023) Kölner Stadtanzeiger mit dem Titel ‚Ein tiefes Gefühl der Verlassenheit‘. Genauso war es und noch schlimmer. Noch viel schlimmer.
Ich erinnere mich sehr deutlich an den Tag unserer Ankunft. Wir mussten alle unter Aufsicht eine Karte an unsere Eltern schreiben, der Text war auf einer Tafel vorgeschrieben. Natürlich nur positives. Dann wurde alles von uns eingesammelt, was man nur einsammeln konnte. Taschengeld wurde weggeschlossen, das bekam ich dann am Ende der Kur wieder, mit einer Quittung auf der stand, dass Geld für Spende für deutsch-sowietische Freundschaft oder so was entnommen worden war. Auf meinen Protest hin, sagte die Erzieherin "Du bist also gegen deutsch-sowjetische Freundschaft?" Naja, was sagt man dann noch, als Kind. Meine Armbanduhr wurde auch weggeschlossen. Auch alle Süssigkeiten wurden eingesammelt ("Sonst kommen Mäuse ins Haus"). Wir kriegten dann Sonntags ein kleines Stückchen, irgendwas, es war alles gemischt. Sicherlich haben die Erzieher sich die besten Sachen genommen. Dasselbe mit Zahnpasta. ("Die kleinen Kinder essen sonst die Zahnpasta") Ich hatte eine sehr gute, von der Tschechei. Stattdessen wurde mir jeden Abend diese grässliche süssliche DDR-Kinderzahnpasta Putzi auf die Zahnbürste geschmiert. Als ich mal Zahnpasta-Dienst hatte, habe ich meine eigene in der grossen Schüssel gesucht, weiß nicht mehr, ob ich sie gefunden habe.
Ich war mit noch einem fast 13-jährigen Mädchen allein im Turmzimmer. Laut Heimleiter hatten wir das schönste Zimmer. Und waren ihm dafür nicht dankbar genug. Er nannte uns seine "Zimtzicken". Überhaupt kann ich mich an recht viele beleidigende Bemerkungen erinnern. Ich weiss noch, dass alle unsere Sachen weggeschlossen wurden. Ich glaube wir durften nur einmal in der Woche richtig duschen. Genau weiss ich, dass wir nur einmal in der Woche neue Sachen anziehen durften. Das fanden wir als pubertierende Mädchen so ekelig! Meine Zimmernachbarin hatte schon ihre Tage. Ich weiss noch, dass wir es dann geschafft hatten, mit einem Stift heimlich den Schrank in unserem Zimmer aufzubrechen, um an saubere Unterwäsche heranzukommen. Wir hatten ja genug mit! (Es mussten genügend Sachen für vier Wochen mitgebracht werden. Ich erinnere mich noch an die endlose Stickerei, alles mit meinem Zeichen zu versehen. Ob die Heimleute irgendwann mal Wäsche gewaschen hätten, ist mir nicht bewusst.)
An irgendwelche sexuellen Übergriffe von Seiten des Heimleiters erinnere ich mich nicht. Ich war aber auch damals eher sehr mager, deshalb war ich ja hingeschickt worden. Ich habe mich in dem Heim so geärgert, dass ich dann nochmal zwei Kilo abgenommen hatte. Wenn es solche Übergriffe gegeben hat, dann hat sich der Mann möglicherweise auch lieber Opfer gesucht, die jünger waren, und sich nicht so gut erinnern würden.
Das Essen war manchmal schlecht, manchmal ok. Ich musste auch zu Hause immer aufessen, von daher war ich solchen Kummer gewohnt. Aber so schlimm wie im Heim war es zu Hause nicht. Ich mag auf Schnitten meine Butter nur ganz dünn. Ich erinnere mich, dass mich einmal eine Erzieherin zwang, den ganzen Rest meiner Butter auf einen kleinen Rest Schnitte zu schmieren, und das zu essen. Da kommt es mir heute nocht fast hoch bei dem Gedanken. Ich erinnere mich auch an das Pilzesammeln. Es gab massenhaft Pilze, aber sie endeten nie in unserem Essen. Wer weiss was die Leute damit gemacht haben.
Jeder Tag begann mit kalten Gesichts- und Nackengüssen, und einer Bürstenmassage. Dabei mussten wir alle zusammen nackt in einem Raum stehen, und ein Kind musste die Bewegungen vormachen. Mich hat das nicht gestört, unsere Familie hat immer FKK gemacht. Aber wenn ich jetzt so darüber nachdenke, kommt es mir doch sehr seltsam vor.
Es gab auch ein paar schöne Erinnerungen. Wir durften baden gehen, haben viele Lieder gelernt. Einmal waren wir im nahegelegenen Ort und haben dort Eis gegessen. Die vielen Wanderungen fand ich eher öde und viel zu lang. Eine Exkursion war zum KZ Museum. Irgendwann durften wir basteln, das hat mir dann sehr über die letzten zwei Wochen geholfen.
Das Schlimmste fand ich die Zensur der Briefe. Wir mussten immer unsere Briefe offen einer Erzieherin geben. Eine war jung, und fand die Sache offenbar peinlich. Der hab ich dann einen Brief gegeben, sie las ihn, und dann hab ich ihn zugeklebt. In dem Brief erwähnte ich Heimweh, und dass unsere Schokolade eingesammelt worden war. Am nächsten Tag kam der Heimleiter mit dem wieder geöffneten Brief in unser Zimmer und hat einen riesigen Krach gemacht. Ich habe den ganzen Abend geheult, und musste einen neuen Brief schreiben. Ich habe dann in einer geheimen Zeichensprache, die nur ich und meine Schwester kannten, den Satz "Alles Scheiße hier" an den Rand gekrakelt. Mehr hab ich mir nicht getraut, ich hatte Angst, der Mensch würde sonst merken, dass die Zeichen ein Alphabet waren. Hoffte dann lange, dass mich meine Eltern abholen kommen würden, aber sie kamen nie. (Sie sagten mir später, dass sie sich Sorgen gemacht hatten, aber einfach nicht wussten, wie schlimm es war. Ich hatte einfach nicht genug Information durchschleusen können.) Ich habe dann lange darüber fantasiert, mich irgendwie zum nahen Ort durchzuschlagen, um einen unzensierten Brief in die Post zu geben, aber das war hoffnungslos.
In meiner Erinnerung hiess der Heimleiter Fred Goldberg, aber viele andere hier sagen Goldmann. Ich erinnere mich, dass er immer wieder erzählte, dass er im KZ gewesen war. Er brachte uns verschiedene Protestlieder bei, die sie damals im KZ gesungen hatten, unter anderem ein Piratenlied, in der eine Zeile hiess "Und dann steigt am schwankenden Mast empor unsere Fahne, so rot wie das Blut". Das war so deren heimlicher Protest gewesen. Er betonte uns gegenüber immer wieder, dass er nach dieser Gefangenschaft sehr scharfe Ohren hätte, und ALLES von uns hören könnte, und alles in Erfahrung bringen würde.
Ich dachte als Erwachsene oft über diese Kur nach, und dachte damals, der Mann hatte sich an uns deutschen Kindern rächen wollen. Ich dachte auch immer, es sollten Ermittlungen stattfinden, und die Leute dort zur Rechenschaft gezogen werden. Ich hatte keine Ahnung, dass diese Kurheime so weit verbreitet und fast alle so schlimm waren.
Erinnerungen sind nur bruchstückhaft vorhanden:
Heimleiterin herrisch und mit Dutt(?), Bettnässen sollte mit 'umerziehen' geheilt werden, der Heimleiterin in ein Vorschlaghammer auf den Fuss gefallen..... Also wirklich nur schemenhafte Erinnerungen, die aber immer mit Gefühlen der Hilflosigkeit, Angst und enormer Einsamkeit verbunden sind. Vielleicht findet sich hier ja noch jemand, der in diesem Jahr auch dort war. Bei mir haben diese 6 Wochen bis heute starke Spuren hinterlassen. Ich denke, dass mir u.a. deswegen auch Erinnerungen fehlen.
Vielleicht gelingt es mir ja durch eure Erfahrungen, die Lücken etwas zu schließen.
Ich wurde am 27. 8. 1965 zum ersten Mal nach Norderney in das Seehospiz verschickt. Ich hatte das Glück nicht mit einem Sammeltransport anreisen zu müssen. Meine Eltern brachten mich. Sie hatten sich auf der Insel eingemietet um mich in der ersten Woche besuchen zu können, das wurde ihnen verboten. Sie haben noch versucht am nächsten Morgen meine Gruppe beim Spaziergang zu finden, ich war aber nirgendwo zu sehen. Das deckt sich mit dem Arztbericht ich habe in der ersten Nacht Fieber bekommen und musste neben der Trennung auch noch mit einer Pneumonie klar kommen. Man hatte meinen Eltern auch verboten zu schreiben damit ich kein Heimweh bekomme. Daran haben sie sich gehalten. Jeden Mittag wurde die Post verteilt, ich bekam nichts daran erinnere ich mich. Nur an meinem Geburtstag bekam ich Post ein Paket mit Süßigkeiten die an alle verteilt wurden. Als mich meine Eltern am 1. Dezember wieder abholten habe ich nicht gesprochen bis wir auf der Fähre waren und diese abgelegt hatte. Meine ersten Worte waren dann "Ich habe geglaubt Ihr holt mich nie mehr wieder".
Diese Kur wurde vom Kinderarzt empfohlen und 1967 und 1970 wiederholt, jeweils 14 Wochen.
Einige Erlebnisse aus meinen 3 Aufenthalten im Seehospiz möchte ich hier schildern.
Essen und Gewicht zunehmen war sehr wichtig. Es wurde von den Nonnen aufgetan und das musste aufgegessen werden. Mann musste so lange am Tisch sitzen bis der Teller leer war. Ich erinnere mich mit Nachdruck gefüttert worden zu sein, mit einer Hand gefüttert, mit der anderen Hand wurde der Mund zu gehalten. Ein Mädchen neben mir am Tisch erbrach sich über den Teller. Sie musste weiter essen und auch das Erbrochene aufessen.
Einmal gelang es mir ein Stück Brot mit grober fettiger Leberwurst in die Rocktasche zu stecken. Als wir hinterher zur Toilette durften habe ich versucht dieses Stück zu "versenken" . Das klappte leider nicht. Es wurde später von den Nonnen entdeckt, ließ sich aber nicht mehr einem Kind zuordnen. Die Nonnen schimpften mit der ganzen Gruppe und zum Schluss sagten sie "der liebe Gott wird den Täter bestrafen " ... ich habe jahrelang Angst gehabt in eine Kirche zu gehen.
Zur Toilette gehen war nur zu bestimmten Zeiten erlaubt. Wenn ich in der Nacht musste, so musste ich lange allein im dunklen Flur stehen bis die Nonne dann irgendwann die Erlaubnis gab. Andererseits bekam man aber auch großen Ärger wenn man ins Bett machte.
Tagsüber gab es feste Zeiten für den Toilettengang, außerhalb dieser Zeiten war es nicht erlaubt. Da hab ich mich in die Puppenecke gesetzt und habe auf die Kissen gemacht. Da Mädchen immer Röcke tragen mussten hat das keiner bemerkt. Ich erinnere mich das mehr als einmal gemacht zu haben und dann bin ich mit der nassen Unterhose rumgelaufen bis sie wieder getrocknet war.
Mittags gab es Liegekuren draußen in einem langen Gang. Alle lagen nebeneinander auf Liegen und mussten in eine Richtung auf der Seite liegen damit wir nicht reden. Damit sich keiner dreht wurde eine Decke um den Körper gewickelt und stramm fest gesteckt - ich ertrage heute noch keine engen Kleidungsstücke.
Eine Nonne hat die Kinder beaufsichtigt, reden durften wir nicht.
Beim 2. und 3. Aufenthalt habe ich dann Post von meinen Eltern und Großeltern bekommen. Die erste Karte von meiner Mutter hat ganz rund gekaute Ecken.
Die Post wurde Mittags natürlich nur verteilt wenn alle Kinder aufgegessen hatten und ruhig waren. Sonst wurde sie bis zum nächsten Tag wieder mitgenommen.
Mittags wurden auch Pakete mit in den Speiseraum gebracht die man z. B. bekam wenn man Geburtstag hatte. Ich hatte 2x dort Geburtstag. Beim ersten Mal wurde ich dort 4. das Paket wurde vor allen geöffnet. Die Süßigkeiten wurden allen gezeigt und dann wurde ich gefragt ob sie verteilt werden sollen oder in meinen Koffer gelegt. Das zu entscheiden war wirklich schwer mit gerade einmal 4 Jahren.
Bei meinem 3. Aufenthalt war ich 8 Jahre alt. Als ich gebracht wurde musste ich im Speiseraum auf meine Gruppe warten. Da saß ein Kind das auf seine Eltern wartete. Mit diesem Kind habe ich gespielt. Dann stellte sich nach einer Woche heraus das dieses Kind eine Hepatitis hatte. Also wurden alle Kontaktkinder isoliert. Ein kleines Haus mit ca 10 Kindern, kein Garten, keine Spaziergänge an der See. Das habe ich meinen Eltern geschrieben. Mein Vater hat dann im Seehospiz angerufen und gesagt das es wichtig wäre wenn ich an die Seeluft komme und wenn ich in den Isohaus bin würde er mich abholen kommen. Da wurde ihm gesagt "Ihre Tochter hat gelogen" . Als ich dann nach 14 Wochen abgeholt wurde sagte man meinen Eltern die Wahrheit. Das war für meine Eltern der Grund mich nicht wieder dort hin zu schicken. Aus dem Isolations Haus wurden nach und nach alle Kinder entlassen sodass wir die letzte Woche nur noch zu zweit da waren.
An Medikamentengaben kann ich mich kaum erinnern, weiß natürlich auch nicht was ich bekommen habe. Eines lässt mich im Nachhinein aber stutzig werden. In meiner Ausbildung zur Kinderkrankenschwester habe ich den typischen Geruch von Atosil Tropfen als einen vertrauten Geruch wahrgenommen. Laut meinen Eltern habe ich aber nie Beruhigungsmittel bekommen.
An vieles aus den ersten Beiden Aufenthalten kann ich mich nur ganz wage erinnern. Ich habe zum Beispiel gelesen dass Kinder auf Dachböden gesperrt wurden. Das kann ich nicht beschwören, aber ich sehe immer mal wieder einen großen leeren Dachboden vor meinem inneren Auge und ich habe heute noch Angst über einen knackenden Holzboden zu gehen.
Nicht stören dürfen habe ich gelernt. Das sitzt tief. Jemanden nur mal so anrufen kann ich nicht.
Angst im Dunkeln, bekomme ich nicht weg, manchmal kann ich nur mit dem Gesicht zur Tür schlafen, liege ich mit dem Rücken zur Tür habe ich oft das Gefühl eine Hand auf die Schulter gelegt zu bekommen und das ist keine freundliche Hand.
Zur Toilette gehe ich in fremder Umgebung nicht selbst bei Besuchen in der Familie, oder aber wenn wir Besuch haben, dann kann ich auch nicht zur Toilette gehen.
Das sind alles Dinge die geblieben sind.
Eine Nonne habe ich als Kollegin wieder getroffen in der Hautklinik in Hannover. Ich habe ihr das Foto aus dem Seehospiz gezeigt und sie hat sich wieder erkannt. Um über die Geschehnisse zu sprechen war ich damals noch zu verschüchtert und wahrscheinlich auch zu jung.
Mein Asthma war mit den Aufenthalten im Seehospiz nicht besiegt und die Ärzte empfahlen weiterhin Verschickungen. So kam es, das ich 1972 mit 11 Jahren und 1973 mit fast 13 Jahren nach Ühlingen kam in das Kindersanatorium Dr. Scheede.
Meine Eltern fuhren gern Auto und so brachten sie mich hin. Die Fahrt von Celle bis Ühlingen dauerte lange, im Käfer mit 2 rauchenden Eltern (Kind wir wussten doch nicht das das nicht gut für Dein Asthma ist) .
Dort angekommen kamen wir in ein Arztzimmer zur Untersuchung und zum Gespräch. Dort musste und konnte ich mich dann auch von meinen Eltern verabschieden. Anschließend steckte man mich sofort in die Badewanne. Damals war ich empört darüber, heute denke ich ich muss unendlich nach Rauch gerochen haben.
Ich kam in ein 6 Bett Zimmer und wurde freundlich aufgenommen. Ich hatte sogar einen Schrank für meine Sachen, das war auf Norderney deutlich anders. Beim 2. Aufenthalt waren 2 Betten mehr in dem Zimmer weil Ferien waren und mehr Kinder zur Kur fuhren.
Das Essen wurde an den Tisch auf Platten und in Schüsseln gebracht. Man durfte sich die Menge nehmen die man wollte. Man konnte jederzeit nachnehmen. Was man sich genommen hatte das musste man aufessen. Ich hatte mehr als genug das Zwangsfüttern auf Norderney erlebt und fühlte mich wie im Paradies.
Auch sonst war es ganz anders als das was ich schon kannte. Wir durften jederzeit zur Toilette gehen, auch in der Nacht.
Mittags mussten wir in die Zimmer, wenn wir nicht schlafen wollten, dann durften wir uns leise beschäftigen, lesen oder Spiele spielen, nur die Anderen nicht stören. So hat mir z.B. ein Mädchen das Kontergam bedingt keine Arme hatte auf einem Reiseschachspiel das Schachspielen beigebracht.
Das Heim hatte eine Sporthalle im Keller in der wir in Kleingruppen Übungen machen mussten.
Ich hatte jeden 2. Tag Unterricht mit noch einem Mädchen in Englisch und Mathe. Da war ein Lehrer der ins Haus kam.
Es gab aber auch einen grossen Spielplatz hinter dem Haus auf dem wir gern gespielt haben.
An Ausflüge kann ich mich nur wenig erinnern.
Einmal in der Woche wurde nach Hause geschrieben. Die Briefe wurden von den Betreuerinnen gelesen, "damit keine Schreibfehler drin sind". Heute ist mir klar was das sollte, damals konnte ich das glauben.
Abends hatten wir einen großen Waschraum in dem wir uns alle gleichzeitig (nach Geschlechtern getrennt) bettfertig gemacht haben. Als ich im 2. Jahr kurz vor meinem 13. Geburtstag dort war wurde ich gefragt ob ich am Abend nach den Anderen lieber allein duschen möchte. Das fand ich sehr gut.
Im 2. Aufenthalt bekam ich Röteln. Das war eine tolle Krankheit. Ich fühlte mich nicht sonderlich schlecht, blieb im Bett und alle Mädchen durften mich besuchen. Wenn sie sich anstecken brauchten sie wenigstens nicht mehr geimpft zu werden war das Motto.
Vor Kurzem habe ich mit meiner Mutter noch einmal über meine Verschickungen gesprochen. Da erzählte sie mir das die Leiterin Frau Dr. Scheede von ihrem Liebhaber umgebracht worden ist. Das wäre sogar in Niedersachsen durch die Presse gegangen, das soll gewesen sein als ich das 2. Mal dort war. Da hat man uns Kinder wohl sehr gut abgeschirmt, denn das habe ich bis vor Kurzem nicht gewusst.
Alles in Allem blicke ich positiv auf die beiden Aufenthalte zurück. Sicher war nicht alles toll aber um Längen besser als das was ich in meiner Kleinkindzeit auf Norderney erlebt hatte.
2013 schickte mich mein Personalarzt zur "Kur" nach Borkum. Meine Verschickungen waren noch nicht so wirklich Thema aber mein Verhalten spricht im Nachhinein doch eine deutliche Sprache. Wir sollten möglichst mit dem Zug anreisen, ich nahm das Auto und nahm es auch mit auf die Insel, der Preis war mir egal. Am ersten Morgen sollten wir in Unterwäsche und Bademantel zum Wiegen kommen, ich kam voll angezogen und hab mich so auf die Waage gestellt. Eine Blutentnahme habe ich verweigert. Ebenso die Gewichtskontrolle am Ende des Aufenthaltes. Ich bekam Anwendungen in einer großen Badewanne mit warmen Wasser. Ich sollte nackt nur mit Bademantel bekleidet zur Anwendung kommen, mich anschließen schnell abtrocknen und so wieder zurück ins Zimmer. Ich kam voll bekleidet, zog zur Anwendung einen Badeanzug an und zog mich anschließen wieder vollständig an. Das machte die Therapeuten ärgerlich weil es Zeit kostete aber ich konnte nicht anders. Ich habe viel Heimweh gehabt, habe keine Kontakte zugelassen und jede freie Minute in meinem Zimmer gesessen. Die meiste Zeit hab ich geweint. Ein paar mal bin ich mit dem Auto zum Fähranleger gefahren. Am Abreise Tag war ich die erste an der Schranke zur Fähre. Ich habe dafür sogar das Frühstück sausen lassen und auf der Fähre gefrühstückt. Zu Hause hab ich dann vor Freude nur noch geheult.
Wir waren in 3 und 4 Bettzimmern untergebracht. Die Schränke für unsere persönlichen Dinge waren auf dem Gang und uns war verboten worden ohne Aufsichtsperson an unser Gepäck dranzugehen. Auch das mitgebrachte Taschengeld wurde uns abgenommen und wir mussten, wenn wir z.B. bei Spaziergängen etwas kaufen wollten um den entsprechenden Betrag bitten.
Duschen durften wir nur einmal pro Woche, auch die Kleidung und Unterwäsche durfte nur an diesen Tagen gewechselt werden, auch wenn wir, wie in meinem Fall, ausreichend Wäsche und Kleidung für 6 Wochen mitbekommen hatten.
Die Telefonate mit den Eltern fanden unter Aufsicht statt und wir wurden angehalten, nur positives zu erzählen und Heimweh zu verheimlichen. Auch Brife wurden geöffnet und kontrolliert, sowohl die Briefe der Eltern als auch unsere Briefe an die Eltern.
Obwohl ich als Kind keine Milch mochte und auch heute noch nicht mag, wurde ich einmal gezwungen kuhwarme Milch zu trinken, mit dem Hinweis, dass das gesund wäre.
Auch eine ca. 2-stündige Mittagsruhe mussten alle Kinder einhalten. Wir mussten uns ausziehen und uns ins Bett legen, auch wenn wir nicht müde waren und nicht schlafen konnten. Jegliche Unterhaltung war in dieser Zeit verboten.
Es waren auch sehr viel jüngere Kinder in diesem Kurheim untergebracht, die oft Heimweh hatten und sich von den Erziherinnen anhören mussten, dass sie von zu viel Weinen krank werden würden und dann nicht mit den anderen Kindern am Ende der Kur nachhause fahren können, was deren Heimweh und Traurigkeit nur noch verschlimmert hatte.
Wieder zuhause, habe ich mit meiner Mutter über die Kur und das Verhalten der Erzieherinnen gesprochen und meine Mutter war zwar sehr verärgert über die Zustände. Beschweren wollte sie sich aber nicht, da das ganz nun vorbei war und eine weitere Kur für mich nicht geplant war.
Ich kann mich an Situationen aus meinem Kindergarten und der Schule erinnern, aber fast nichts von der Kur - keine Gesichter, Namen oder Gefühle.
Einzig wusste ich noch, dass wir aus einem privaten Garten Pflaumen gemopst hatten (also muss es Spätsommer gewesen sein) und am Tisch mit dem Armen hinter der Lehne sitzen mussten, damit der Oberkörper kerzengerade ist.
Dank Google stieß ich auf diese Seite. Die Tatsache, dass kaum Berichte aus der DDR zu finden sind und die meisten keine Erinnerungen haben, macht mir Angst! Ich sprach eine Freundin an, ob sie auch zur Kur war. Sie bejahte es und hat ebenfalls keinerlei Erinnerungen.
Durch das Lesen und die Gespräche darüber mit meiner Mutter kamen folgende Erinnerungen bei ihr oder mir wieder hoch:
- Wassertreten; auch ich watete in der Kinderkur in kalten Wasser, weiß aber nicht in welcher Räumlichkeit
- Szene, wo eine Frau auf meiner Bettkante saß und mir einen Brief meiner Eltern vorlas (jedoch nicht wie es mir ging, was um mich herum geschah)
- Meine Mutter bestätigte, dass auch ich mit einem Koffer voll sauberer Kleidung heim kam. Nur wenig Kleidung war schmutzig. Sie dachte damals dass diese gewaschen worden sei, aber nachdem, was ich hier las, wurde sie sicher bei Ankunft abgenommen.
- Nach meiner Rückkehr war ich sehr still, völlig verändert. Auf alten Bildern der Sonnenschein, war ich auf Bildern nach der Kur ein Trauerkloß.
- Wir sprachen nochmal zu Tisch, aber nach meiner Rückkehr sagte ich am Tisch kein Wort, selbst nachdem mir meine Eltern sagten das sei ok und ich darf es, erwiderte ich, dass ich es nicht darf. Auch saß ich weiterhin am Tisch mit den Armen rückwärts über die Lehne.
- Ich habe nach meiner Rückkehr kaum etwas gegessen.
- Meine Eltern durften mir keine Pakete senden. Nur einmal kam Post von mir. 6 Wochen absolutes Kontaktverbot, lediglich Briefe durften sie senden. Wie oft wir diese erhielten weiß ich nicht.
Ich wurde zur Kur geschickt (vom System, nicht meinen Eltern), um zu wachsen, da ich als Vorschulkind zu klein war. Ich kam nach den 6 Wochen tatsächlich etwas größer zurück. Wie das???
Auf der Suche nach Antworten las ich hier sehr viele Berichte und frage mich, ob ich deswegen
- Sauna und Hitze nicht mag. Es gibt mir das Gefühl, keine Luft zu bekommen.
- Eisbaden/kalt duschen meide.
- Butter nicht mag.
- Verlassensängste habe. Meine Eltern waren sehr fürsorglich, aus meiner sonst behüteten Kindheit kann es nicht kommen.
- Immer wieder Situationen erfahre, in denen ich absolute Ohnmacht fühle, also andere ihre Macht mir gegenüber ausspielen können, ohne dass ich etwas daran ändern könnte.
- Trotz dass ich eine schöne Frau bin, kein Selbstwertgefühl habe.
Als Kind war ich Linkshänder und musste umerzogen werden. Ob dies während der Kur begann der später weiß ich jedoch nicht.
Denen, die wie ich auf der Suche nach Antworten sind, kann ich ebenfalls keine geben, aber ich werde mir professionelle Hilfe suchen, da ich die Geschehnisse dieser 6 Wochen wissen möchte, egal wie schmerzhaft sie sind.
Ich wünsche und allen Antworten und Heilung.
Dieses Heim wurde von Nonnen geführt und ich erinnere mich nur an eine Erzieherin, die nicht Nonne war. Das ist sehr wichtig, weil ich selbst evangelisch bin und seit diesem Aufenthalt eine heftige Nonnen-Phobie habe. Wir mußten uns nach dem Frühstück und Gebet bekreuzigen. Das habe ich verweigert mit den Worten, ich sein evangelisch und bräuchte das nicht. Daraufhin gab es einen Anruf bei meinen Eltern, weil ich so ein bockiges Kind sei. Mein Vater hat völlig hinter mir gestanden und meine Aussage bekräftigt. Wenn uns Nonnen in den Gängen begegneten, mußten wir immer an die Seite treten und an den Wänden entlanglaufen. Das war so fremd und einschüchternd für mich, ich habe das Gehusche der Nonnen gehaßt. Das Gefühl ist immer noch ganz stark in mir. Wir mußten auch alles aufessen und das Essen war fettig und eklig. Ich habe kein bißchen zugenommen und dann gab es deshalb wieder einen Anruf bei meinen Eltern. Ich durfte meinen Vater sprechen und habe ihm gesagt, daß das Essen scheußlich sei. Meine Eltern haben total hinter mir gestanden und ich bin ihnen noch heute sehr dankbar dafür. Das Schlimmste war aber, daß wir ein Mädchen in unserem Schlafsaal hatten, daß nachts ihr Bett vollgenäßt hat. Daraufhin wurde, soweit ich mich erinnere, in mehreren Nächten plötzlich das Licht angemacht, eine Nonne ging an das Bett des Mädchens, riß sie aus dem Bett und stellte sie vor uns allen bloß mit den Worten: "Schaut her, das Schwein hat wieder das Bett vollgepinkelt". Ich habe mich schon damals mit 7 Jahren gefragt, warum diese Nonnen Kinder betreuen, wenn sie doch Kinder hassen. Dieses Gefühl ist geblieben und beim Anblick von Nonnen packt es mich jedes Mal. Alles in allem kann ich nicht von selbst erlebten Mißhandlungen berichten, aber trotzdem waren es die schlimmsten 6 Wochen meines Kinderlebens. Meine Eltern waren nach meiner Rückkehr auch entsetzt darüber, was sie durch die Anrufe mitbekommen hatten und daß ich überhaupt nicht zugenommen hatte. Daß sie nur mein Bestes wollten, war mir schon damals bewußt und ich habe ihnen auch verziehen.
In meiner Erinnerung wurde ich gleich am Anfang gewogen, ich denke ich war zu dünn in deren Augen und ich sollte zunehmen. Im Speisesaal wurde mir deswegen oft ungefragt zum Mittagessen ein heißer "Nachschlag" auf den Teller gekippt - auch über meine Hände wenn ich diese verrneinend und ablehnend über den Teller hielt. Meine Hände waren oft verbrüht und ich musste dann alleine im Speisesaal "nachsitzen" bis ich den Teller komplett aufgesessen hatte.
Nach dem Speisesaal ging es in den "Mittagschlaf Saal" - wir Kinder mussten uns mit einer speziellen Wickeltechnik auf den Feldbetten einwickeln. Dieser Schlafsaal war sehr hell, es war für mich schwierig zu schlafen - also tat ich so als würde man schlafen - wer mit offenen Augen entdeckt wurde musste "nachschlafen", das ist mir auch ab und zu passiert.
Ab und zu mussten wir in braune große Bottiche mit heißem Wasser - evtl Solewasser - steigen. Da es mir einmal beim einsteigen zu heiß war, hatte ich mich verweigert hinein zu steigen. Das half nichts ich wurde hinein geschubst und wurde dann durch die Hitze ohnmächtig und wieder heraus gezogen. Ich hatte im Anschluss immer Panik vor diesem heißen "Solebad"
Wir waren im Hochsommer in Hamburg, da wird es schon um 5 Uhr früh hell und die Sonne schien in den Schlafsaal - wir hatten keine dunklen Vorhänge, sodass der Schlafsaal schon ab 5 Uhr hell war. Das heißt ich wurde ab und zu "unerlaubt" wach zu einer Zeit in der ich nicht wach hätte sein dürfen. So bald ich mit offenen Augen gesichtet wurde, wurde ich aus dem Bett gezerrt und musste im "Waschsaal" auf einem Stuhl 2 Stunden ruhig verbringen und "nachschlafen " bis offizieller Aufwachzeitpunkt gewesen ist. Einmal wurde ich deswegen in die Besenkammer gesperrt, da der Waschsaal schon "belegt" war.
Einmal die Woche hatten wir einen Basteltag für die Eltern, dazu haben wir immer einen Brief geschrieben. Mein Brief wurde regelmäßig zerrissen und mir wurde diktiert was ich zu schreiben hatte, daher gingen meine Eltern davon aus, dass ich in den ca 4 Wochen eine tolle Zeit gehabt hätte.
Unser Spaziergang ging immer "um den Pudding" da gab es einen Graben voller Brennessel. Größere Kinder machten sich oft einen Spaß daraus kleinere Kinder - so wie mich - in den Brennessel Graben zu schubsen. Dagegen unternahmen die "Erzieherinnen" nichts - auch nicht für die Pflege der brennenden Haut im Anschluss.
Es war ein sehr sehr heißer Sommer. Damit niemand nachts in die Hose machte, bekamen wir nur im Laufe des Tages einen Becher mit Hagebutten Tee - ich hatte unendlichen Durst in den 4 Wochen. Den Geschmack von diesem Hagebutten Tee hatte ich oft in den Jahren danach noch im Mund, wenn ich nach einem langen Schultag in der weiterführenden Schule an heißen Tagen Durst hatte in den öffentlichen Verkehrsmitteln auf dem Weg nach Hause.
Während der ca 4 Wochen in dem "Kindererholungsheim" hatte ich kein Recht mit meinen Brüdern zu sprechen.
Es war alles andere als Erholung, es war der reinste Horror
H. F.
verfasst am 03.08.2023
Mein Name ist Renate Lenz, geb. am 17.4.53 in Hannover. Mit 5 Jahren wurde ich am 26. 09. 58 bis zum 7.11.58 nach Wyk auf Föhr ins Kinderheim geschickt wegen verschiedener Atemwegsprobleme (Polypen entfernt, schwerer Keuchhusten mit 4 Jahren, wiederholte vereiterte Mandelentzündungen, ständige Erkältungen mit schwerem Husten, angegriffene Hilusdrüsen). Der Aufenthalt wurde durch die ÜSTRA Hannover ermöglicht, wo mein Vater angestellt war. Ich weiß nicht, wie das Heim hieß, ich dachte immer, es gäbe nur eins und das hieße "Wikauför" Ich kann dies auch nicht mehr erfahren, es gibt keine Unterlagen darüber, nur das Datum habe ich aus dem Tagebuch meiner Mutter, die vor mehr als 10 Jahren verstorben ist.
Die Vorfreude auf den Aufenthalt auf der Insel war groß. Eltern, Großeltern Tanten sorgen für meine "Ausrüstung": Eimerchen und kleine Schaufeln und Harken sollten wir mitbringen, denn wir würden ja viel am Strand spielen. Badezeug war auch dabei, ich konnte schon schwimmen.
Bei der Ankunft stellte sich uns "Tante Else" vor, die für uns kleine Mädchen zuständig sein werde. Als erstes mussten wir unser Strandspielzeug abliefern, denn für den Strand seien wir noch zu klein und könnten ins Meer fallen und verschwinden. Dabei war der Strand auf den Fotos so breit. Und ins Meer durften wir erst recht nicht. Unser Spielzeug wurde eingesammelt, um es älteren Kindern zu übergeben. Tante Else erklärte uns auch, dass wir beim essen nicht reden dürften, sonst gäbe es Strafen. Und alles müsste aufgegessen werden. Tante Else zeigte uns unseren Schlafraum und die Toiletten. Sie selbst würde im Raum neben uns schlafen und wir könnten sie jederzeit rufen, wenn jemand zum Beispiel nachts auf die Toilette müsste und den Weg nicht fände.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war das Bett nass! Ich hatte mich eingenässt, denn ich fand den Weg zur Toilette im Dunkeln nicht oder vielleicht wurde ich erschreckt.
Ich habe diese Tante Else ganz oft in jener ersten Nacht gerufen, andere Mädchen haben das am nächsten Morgen, als mein eingepinkeltes Bett entdeckt wurde, bestätigt. Tante Else hat alles als Lüge bezeichnet und den anderen Kindern verboten, mit so einer wie mir zu reden. Ich wurde von den anderen Kindern isoliert gehalten. Tante Else taten meine Eltern leid, die mit einer Bettnässerin gestraft worden seien.
Ich war so verzweifelt, dass ich mich immer mehr vollpinkelte, dann überhaupt keinen Schließmuskel mehr beherrschte. Für Tante Else war ich das perfekte Beispiel eines total missratenen Kindes, aus dem nie etwas werden würde.
Bis zum letzten Tag. Ein Mädchen hat eines Tages das Redeverbot mit mir durchbrochen, bei einem Spaziergang wartete sie auf mich, die immer einen Sicherheitsabstand von ca.20m zu der Gruppe halten musste. Das Mädchen stand einfach neben mir und fasste meine Hand: ich täte ihr so leid. Dann stand Tante Else neben uns: Wenn Du nicht sofort zur Gruppe zurückkehrst , geht es Dir genauso wie Renate, schrie sie. Ich war dem Mädchen so dankbar für ihre Solidarität!!
Allerdings hat auch mein Schließmuskel sofort auf Tante Else reagiert und mein Höschen war mal wieder vollgeschissen...
Und das Schlimmste war für mich, dass Tante Else mir gedroht hatte, alle vollgepinkelten und -geschissenen Höschen in meinen Koffer zu packen, damit meine Eltern wüßten, was für ein unerzogenes Dreckskind sie haben. Ich war damals leider noch nicht in der Lage, zu berechnen, wie viele Schlüpfer für mich eingepackt waren für einen Aufenthalt von 6 Wochen. Ich befürchtete, der ganze Koffer würde mit dreckigen Hosen gefüllt sein.
Ein weiteres Detail: wir kleinen Kinder, ich war 5 Jahre alt, konnten natürlich noch nicht schreiben, sollten aber eine Postkarte an unsere Eltern bemalen. Die Idee war gut, meine Interpretation des Themas haute aber nicht hin. Ich wollte die Insel aus der Vogelperspektive malen, mit den Häusern, Wegen und Straßen. Ein trauriges Gekritzel von Straßen und Wegen und mehrere undefierbare Flecken als grüne Wälder, Bäume und Häuser mit roten und braunen Dächern waren das Ergebnis. Tante Else nahm dies zum Anlass mich mal wieder vor allen Kindern bloßzustellen: ich würde mir selbst, meinen Eltern und allen Anwesenden nur beweisen, wie unfähig ich sei. Nicht mal meinen Eltern könnte ich ein schönes Bild malen. Ich weiß noch, dass ich kein schönes Bild malen wollte, sondern etwas ganz besonderes, was absolut in die Hose ging.
Der Aufenthalt war die Hölle für mich, ich habe nach meiner Rückkehr niemandem etwas erzählt, aber alle merkten, dass ich sehr still geworden war.
Jahre später, ich war inzwischen 33 Jahre alt und lebte schon in Südamerika, war ich bei meiner Mutter zu Besuch. Irgendwann ging sie zum Geschirrschrank und holte eine total kitschige Moccasammeltasse mit Verzierungen in rot und Gold heraus. Sie fragte mich, ob ich diese Tasse aufheben wollte. Ich verneinte, sie würde doch wohl meinen Geschmack kennen. Ob ich mich wirklich nicht erinnern könne, fragte sie. Die Tasse hätte ich ihr als Mitbringsel von Wyk auf Föhr mitgebracht. Da kam plötzlich eine Erinnerung: kurz vor der Rückfahrt sollten wir kleinen Mädchen in einem Souvenierladen ein Mitbringsel für unsere Eltern aussuchen. Ich habe diese furchbar kitschige Tasse ausgesucht, denn mein Mitbringsel sollte ganz besonders toll und teuer aussehen. Tante Else hat mich sogar gelobt!!!
Abends bei einem Glas Wein habe ich meiner Mutter dann erzählt, was in diesem Heim abgelaufen war. Meine Mutter sagte, sie habe nach meiner Rückkehr mehrmals gefragt, was dort passiert war, weshalb ich so verstört zurückgekommen bin. Ich habe nie geantwortet.
Meine Erinnerungen waren immer mit Demütigung, Bloßstellung und Scham verbunden. Die dreckigen Höschen waren nicht im Koffer gewesen, nur eine einzige, mit Spuren von Urin. Und diese war meiner Mutter egal, weil ich ja schon lange ´sauber´ war und auch hinterher meine Schließmuskel wieder normal beherrschte. Alles war fast wie vorher.
Diese Heimerfahrung war zwar für mich schrecklich, aber heute weiß ich, dass andere in anderen Heimen noch viel mehr zu erleiden hatten.
Nichtsdestotrotz: meine Atemprobleme und Husten waren für den Rest meines Lebens kuriert!!
Was dieser Aufenthalt wirklich für mich bedeutet hat, ob er für meine weitere Entwicklung wichtig war und in welcher Beziehung kann ich nicht beurteilen. Andere Vorfälle haben meine Erfahrungen übertönt: drei Wochen nach meiner Rückkehr starb mein von mir sehr geliebter Großvater an einem Schlaganfall. Er war auf der Straße zusammengebrochen und die Polizei steckte ihn für die Nacht in die Ausnüchterungszelle, statt einen Notarzt zu rufen. Am nächsten Morgen war er tot und man brachte ihn zu meiner Großmutter. Die Polizeistation befand sich 30m neben unserem Haus.
Ein Jahr nach meinem Aufenthalt in Wyk verstarb mein Vater an einem plötzlichen Herzinfarkt. Ich habe sein Sterben von meinem Kinderzimmer aus miterlebt. So wurde aus unserer 5-köpfigen Familie plötzlich eine kleine Familie, bestehend aus meiner arbeitenden Großmutter, meiner arbeitenden Mutter und mir. Ich wurde zum Halbwaisenkind und Schlüsselkind. Den Schlüssel um den Hals habe ich gern getragen und fühlte mich sehr erwachsen damit.
Vielleicht ahnte ich, dass es kein Zurück mehr gab, und dass Angst ein schlechter Wegweiser ist, der einen niemals lähmen darf.
Meine Mutter hielt es manchmal für nötig, mich mit dem Rohrstock zu erziehen, um mir das "Böckchen" auszutreiben. Allerdings ließ ich mir kein "Böckchen" austreiben, sondern sagte ihr unter Tränen nach der Tracht Prügel, nun hätte ich zwei "Böckchen".
Kinder dürfen nie wieder so gedemütigt und verletzt werden. Das kleine Mädchen, ein wenig kleiner als ich, das auf mich wartete und sich dem Gesetz des Heimes, dem Gehorsam, widersetzte, ist mir nie aus dem Kopf gegangen. Ihr warmer Händedruck und ihre paar Worte haben für mich in meinem Leben bedeutet, mich überall für Menschenrechte einzusetzen, für die Rechte der Verfolgten, der Geflüchteten, derer ohne eine Heimat im Kopf. Gerechtigkeit nicht nur für mich, sondern für alle Menschen einzufordern. Und sich niemals von der Angst lähmen zu lassen. Meine Schließmuskel waren vor Angst gelähmt und haben mir gezeigt, was lähmende Angst ausmacht: nur große Scheißerei. Nie wieder!
Danke für´s Zuhören, und bitte um Entschuldigung für das Sch...wort. Renate Lenz
Ich bin als 4-Jährige für 6 Wochen im Kindersanatorium Helmut Just in Bad Frankenhausen gewesen. Die Erinnerungen an diese Zeit sind rudimentär, was (hoffentlich) am Alter liegt. Es gibt keine Fotos und etwaige medizinische Berichte habe ich auch nie gesehen.
Ich weiß noch, wie die Anreise ablief, nämlich ohne meine Eltern. Es ist ihnen nicht gestattet gewesen, mich zu bringen. Ich musste mit dem Zug anreisen. Die Schlafräume waren groß und wenn ich nachts auf‘s WC musste, empfand ich es als gruselig, da dunkel. Meine Eltern schrieben mir regelmäßig Briefe und schickten auch Päckchen. Besuchen durften sie mich die ganzen 6 Wochen nicht, obwohl ich in dieser Zeit Geburtstag hatte. Die Briefe blieben bei der Abreise im Sanatorium.
In meinem Gedächtnis sind einzelne Miniszenen gespeichert, aber mehrheitlich ist alles weg. Ich weiß nicht, was wir den ganzen Tag gemacht haben, wie die Mahlzeiten abliefen, ob wir untersucht wurden oder sonstige Therapien machten. Einzig an eine Betreuerin kann ich mich gut erinnern.
Ich bin vor kurzem in Bad Frankenhausen gewesen. Das Sanatorium wird zu Ferienappartements umgebaut. Das, was ich gesehen habe, weckte ein paar Erinnerungen. Vielleicht ist hier jemand, der etwa zur selben Zeit hier gewesen ist und kann mir ein paar Details nennen?
Der Aufenthalt an sich hat mir gesundheitlich sehr geholfen. Ich litt danach nicht mehr an Bronchitis und musste nicht mehr bis zum Erbrechen husten. Aber ich denke, die Erfahrung hat mich wesentlich geprägt.
ich war 4 Jahre trotzdem kann ich mich an das lange sitzen in den Speisesaal erinnern und auch an ein Lied das alle laut sangen an den Pavillion im Garten .....ich habe Fotos gemacht wenn die jemand sehen möchte schreibt mir
Das zweite Ereignis ist im nachhinein das folgenschwerste. Der einzige Bezugspunkt nach Hause war ein kleiner oranger Stoffhund. Dieser wurde mir weggenommen.
Ich habe jetzt schon zwei Rehas wegen Panikattacken hinter mir. Bei der zweiten Reha wurde endlich die Verbindung zum Traumatischem Ereignis festgestellt. Wenn man mir etwas wegnimmt, kommt der kleine hilflose Junge hervor und ist wie gelähmt. Mein ehemaliger Chef hat das gemerkt und dann dementsprechend gemoppt.
Ich habe jetzt noch knapp zwei Jahre bis zur Rente, an richtiges Arbeiten ist aber nicht mehr zu denken.
Wiederbekommen habe ich ein vollkommen eingeschüchtertes und trauriges Kind bekommen.
Es tut mir heute immer noch weh, wenn ich daran denke.
Reinhardshausen verschickt. Leider kann ich
mich nur noch bruchstückhaft erinnern, da
noch viel schlimmere Dinge Schlag auf Schlag
in mein Leben treten sollten, die anscheinend die
Geschehnisse rund um die Kur überdeckt haben.
Ich hatte schon beim Einstieg in den Zug große Angst, da ich noch nie von meinen Eltern getrennt
war. Ich war damals 8 Jahre alt und erlebte meinen neunten Geburtstag in dieser Kur auf
einer traurigen Weise. Zum Glück waren in diesem
Zug zwei Jungs (es waren Zwillinge) die mich
wie Ihre Schwester behandelten und mir einen
großen Teil meiner Ängste nahmen. Ich möchte
Ihnen heute noch meinen großen Dank dafür
aussprechen, leider weiss ich weder Ihren Namen
noch habe ich sonst irgendeinen Anhaltspunkt.
Ich hoffe das Sie noch leben und das hier vielleicht lesen. Ansonsten kann ich mich an
die unbequemen Betten und auch an den großen
Eßsaal erinnern. Auch das man Hiebe auf das
Hinterteil bekam und Im Flur oder in einer Kammer
zur Strafe stundenlang stehen mußte. Soweit ich
weiß war ich aber nie von einer solchen Strafe betroffen, da ich es immer gut verstanden habe
mich praktisch unsichtbar/unscheinbar zu machen.
So das ich als einziges Geburtstagskind kein
Geburtstagskuchen bekam, weil ich einfach vergessen worden bin. War zwar traurig aber
vielleicht auch besser so. Kann mich auch daran
erinnern das die Post von den Aufseherinnen gelesen worden ist, denn als ich meiner Mutter
in einer Karte gebeten hatte mir meine Tierkarten
sammlung zu schicken, kam eine von den Aufseherinnen und meinte, dies würde sich doch
wohl nicht mehr lohnen, da ich nicht mehr lange
hier wäre. Da wusste ich, dass ich nichts über
mein fürchterliches Heimweh schreiben werden
dürfte und auch nichts über diese schlimmen Zustände in dieser sogenannten Kinderkur.
Mehr Erinnerungen an diese Zeit habe ich leider nicht mehr. Weiß nur das ich über mehrere
Monate Alpträume hatte und immer von einer
Erziehungsanstalt gesprochen habe.
Ich hoffe, dass sich auf diesem Wege noch mehr
Zeitzeugen aus Rheine in dem Verschickungjahr
1973 melden werden.
Ich bin 64 Jahre alt. Seit zirka 60 Jahren liegen Bilder des Stifts in einer Schublade, und ich weiss immer haargenau wo ich sie verwahre.
60 Jahre lang habe ich nicht sehr viel über meinen Aufenthalt dort erzählt. 60 Jahre sind eine lange Zeit, aber die Konsequenzen spüre ich heute noch. Ich leide an Angst oder Panikattacken. Meine diversen Therapien helfen mir zwar, aber ich hatte immer den Eindruck, dass ich etwas in mir trage, eine gewisse Angst, die nie aufgearbeitet werden konnte.
Als ich von dem Thema über FB erfuhr machte sich eine Erleichterung in mir breit. Erleichterung darüber, dass ich nicht alleine bin, war. Ist es möglich, dass die Nachfolgen des Aufenthalts immer noch Spuren hinterlassen? Ich lebe in Frankreich und konnte leider nicht die Reportage sichtigen, aber durch die Internetseite, die sich mit diesem Thema beschäftigt, durch das Lesen der diversen Zeugenaussagen macht sich in mir ein grosses Tor in meiner Seele auf. Es wäre für mich sehr wichtig mehr zu erfahren, vielleicht mit jemandem auszutauschen. Wie auch immer, grossen Dank an alle, die es heute möglich machen, auszusprechen was damals mit den Kindern gemacht wurde.
Mein persönliches Erlebnis wurde auch von meinen Eltern verdrängt, da sie mir nicht geglaubt haben was sich dort abgespielt hatte. Daher auch die Erleichterung zu lesen, dass es keine "Hirngespinste" waren, sondern traurige Realität.
Danke, dass Sie dieses Thema anschneiden.
Andrea Moller
Jeden Tag zig Medikamente bekommen.Angeblich Vitamine wurde den Kindern gesagt.
Alles wurde dokumentiert. Niemand durfte wiedersprechen.
Wir haben viel geweint.
Ich entsinne mich das wir irgendwie nur Mädels dort waren?,!
Heute ich werde dieses Jahr 56 Gesundheitlich sehr angeschlagen grübelt man natürlich was haben die dort gemacht mit uns?!
Experimente?
Frühjahr 1978, als Vorbereitung für meine Einschulung .
Ich bin 1971 mit angebeorenen Herzfehlern zur Welt gekommen, habe praktisch mein ganze erstes Lebensjahr im KH verbracht, mehrmals op.
Daraufhin war ich immer zu dünn, zu klein… „Spätentwickler“, sagte man gerne, mein Körper hatte eben zu tun, gesund zu werden.
Bei der Schuluntersuchung wurde ich darum 1 Jahr „zurückgestellt“ (vielleicht sogar auch auf Wunsch meiner Mutti, damit ich zusammen mit meiner 1 Jahr jüngeren Schwester eingeschult werden konnte) Es hieß immer, ich bin viel zu winzig, kann ja gar nicht die Schulmappe tragen – das war mitfühlend & auch spaßig gemeint, ich fand es erniedrigend.
Als Kind will man immer „groß“ sein, was können – ich konnte nicht mal die Schulmappe tragen…. erniedrigend.
Als es hieß, ich soll zur Kur, konnte ich mir darunter nichts vorstellen, nur, dass ich lange von Zuhause weg sollte, wusste ich genau – & wollte es nicht.
Obwohl mir meine Eltern versuchten, Mut zu machen – verreisen, es ist was ganz besonders. Etc...
An die Abfahrt von irgendeinem Berliner Busbahnhof kann ich mich wage erinnern, meine Angst, meine Traurigkeit, meine Ohnmacht. An Dietlas (Rhön) selbst habe ich kaum Erinnerungen:
die riesigen Schlafräume mit unheimlich vielen Betten, die Bastelarbeiten für meine Eltern zu Hause (die Vorschulkinder konnten ja nichts schreiben), an Wassertreten (Kneippkuren?), an lange Spaziergänge. An Kälte, an Angst, an unendliches Heimweh – immer dieses Bedürfnis zu weinen, aber keine „Heulsuse“ sein zu wollen – das empfinde ich ganz genau. & immer still sein. Ich bin schon ein zurückhaltender Mensch, aber ich denke (oder schlussfolgere heute nur), in der Kur wurde ich still, vielleicht sogar stumm. Ich lernte mich zu verstecken & unsichtbar zu bleiben, aber ich erinnere nicht warum.
An die Essensgeschichten habe ich ebenfalls gar keine Erinnerung – die kommen erst später in der zweiten Kur in Bad Gottleuba 1982/1983
Im Übrigen kam ich von Dietlas mit Röteln zurück. An das Glück, endlich zu Hause zu sein, erinnere ich mich – nie wieder wollte ich weg.
Aber ein paar Jahre später musste ich;
es hieß, ich sei ja nun schon älter, das würde toll werden, viele Freundinnen, gut für meine Gesundheit, wir hätten da auch Schule, etc.
Mit mulmigen Gefühl erlebte ich die Vorbereitungen – der riesige Koffer wurde gepackt, füllte sich nach & nach gemäß einem Plan, was alles mit muss, Schildchen wurden in die Klamotten genäht, neue Klamotten wurden gekauft – ich fand das alles bedrückend & wollte nicht.
Aber das stand nicht zur Diskussion… nicht nur aus gesundheitlicher Sicht...
In der DDR war es beinahe eine „Auszeichnung“, zur Kur zu dürfen.
Man musste nicht nur besonders krank sein, der Haus-, Kinder- oder Facharzt mussten sich vor allem besonders dafür einsetzen, dass jemand zur Kur durfte… Dementsprechend waren meine Eltern immer dankbar & froh, wenn ich zur Kur durfte. Sie dachten, sie tun mir was Gutes….
– Kurplätze waren knapp… & ich mochte meine Kinderärztin.
& ich war ja leider zu still. ich habe mich als Kind nie beschwert, nichts erzählt…
dass ich so unglücklich aus Dietlas (& auch krank) zurück kam, schrieb man dem zu, dass ich damals erst 6 Jahre alt war, & vielleicht waren 6 Wochen von zu Hause weg etwas zu lange, dass ich einfach anhänglich bin & schnell Heimweh kriege, sehr sensibel, das dachte man eben.
Danke Mutti, dass du mich deswegen nie gezwungen hast, in so ein schreckliches Ferienlager zu fahren!
Aber ein zweitesmal zur Kur musste ich eben doch, nach Bad Gottleuba! 1982/1983? ich weiß es nicht genau, & finde darüber nichts. Keine Fotos, keine Briefe...
An diese Kur erinnere ich mehr:
1.) die ewig lange Busfahrt, bei der wir aus vielen anderen Städten neue Kinder einsammelten, die genauso beim Abschied weinten wie ich in Berlin….
2.) der Zwang aufzuessen für alle, die zu dünn waren – d.h.
ekliges fettes Fleisch, undefinierbare Wurst, stinkender Käse, widerliche Milchspeisen (Milchnudeln, Griesbrei, warme Milch mit Haut),
Marmeladenbrote (ich hasse Marmelade, Honig, etc & das konnte man natürlich gar nicht verstehen – ein Kind muss doch Süßes mögen….)
3.) im ganzen Objekt stank es immer nach diesem eklig obersüßen Tee (oder Sirup? keine Ahnung)
4.) dauerhafte Übelkeit (zum Glück kein Erbrechen) & Ekel.
5.) Wir mussten so lange am Essenstisch sitzenbleiben, bis wir aufgegessen hatten, & manchmal konnte ich dann vom leeren Teller weg schnell in die Toilette & wenigstens den letzten Rest ausspucken, aber es war kein Erbrechen, & es hat kein Erzieher bemerkt oder bestraft….
Manchmal konnten wir unbemerkt Essen tauschen – mit denen die kaum was kriegten, oder anderes, & immer Hunger hatten….
6.) Das wöchentliche Wiegen – gruselig. Immer die Angst, abgenommen zu haben.
Nicht nur nicht zugenommen zu haben, sondern abgenommen zu haben. Wir wurden permanent ermahnt, das Kurziel (aufgepäppelt nach Hause zu kommen) muss erreicht werden! Denn wenn es nicht erreicht würde, würden unsere Eltern die Kur bezahlen müssen. Das war eine ungeheuerliche Drohung für mich. In der DDR musste niemand seine medizinische Sachen bezahlen – aber ich lief Gefahr, Schuld zu sein, wenn meine Eltern Riesenbeträge für eine wochenlange Kur aufbringen müssen??? Das hat mir tatsächlich Angst gemacht. Zu versagen & Schuld haben am Unglück meiner Eltern. & vor allem, das gar nicht beeinflussen zu können, denn obwohl wir brav aufaßen, nahmen ja viele vor lauter Stress & Heimweh ab….
7.) generell immer Angst. obwohl ich keine Schläge oder sexuellen Missbrauch erleben musste, hatte ich die ganze Zeit Angst. Uns wurde jede Freude genommen – offen & subtil… Mit jeder Freude war was Unangenehmes verbunden, wahrscheinlich, damit wir bloß nicht „ausflippten“ & uns nicht „zu wohl“ fühlten.
8.) Pakete bekamen wir grundsätzlich nicht, die Süßigkeiten wurden auf alle verteilt, manchmal als Zugabe beim Vesper. Manchmal bekamen wir gar nichts. Kinder, deren Eltern das nicht wussten & Riesenpakete schickten, mussten alles „abgeben“, man nannte es harmlos “teilen“, aber das meiste landete garantiert in den Bäuchen der Erzieher – vor allem Süßes aus dem Westen war begehrt & bekamen wir nicht...
9.) Briefe & Karten von Zuhause durften wir nicht zu viele am selben Tag bekommen, denn dann mussten wir uns vor allen Kindern & Erziehern „produzieren“, d.h. ein Lied singen, ein Gedicht aufsagen…., bevor wir unsere Post bekamen. Super für ein schüchternes Kind – immer das Bibbern, wenigstens ein Brief, aber bitte keine drei – traurig. & mit Schuldgefühlen beladen – ich wollte mich doch freuen & nicht hoffen, wenig Post zu kriegen…. Alles wurde uns vermiest. Ich weiß nicht, ob wir unsere Post wirklich nicht bekommen hätten, wenn wir uns geweigert hätten – es hat niemand gewagt. Ob Post von uns Größeren zensiert wurde, weiß ich nicht, vermute es aber.
10.) morgendliche Wäsche mit eiskaltem Wasser… inwieweit das übergriffig war, erinnere ich nicht, aber morgens von irgendeiner ruppigen Erzieherin von Kopf bis Fuß mit eiskaltem Waschlappen (Abhärtung) am Waschbecken des Schlafsaales, im Beisein aller anderen Mädels, abgeseift zu werden – sehr unangenehm. & vor allem kalt, eiskalt.
11.) Mittagsschlaf in komplett abgedunkeltem Schlafsaal. Die Vorhänge waren mit irgendeiner schwarzen Farbe bezogen, sodass es finsterer war als nachts, wenn sie nicht zugezogen wurden & immerhin Mondlicht rein scheinen konnte.
12.) Natürlich herrschte zu den Ruhezeiten Sprechverbot, aber geflüstert & über die Betten hinweg Händchen gehalten haben wir trotzdem. & wurden dafür nicht bestraft.
Ich wünsche mir, dass das nicht etwa daran lag, weil statt dessen die Kleineren gequält wurden.
Es macht mich unendlich traurig, was ich hier lesen konnte. Dass es genauso & viel schlimmer auch in der BRD zuging…
Dass ich irgendwie noch gut davon gekommen bin..
Ich bin erstaunt, wieviel beim Schreiben hochkam, & dass meine einzige gute Erinnerung ist:
die Freundschaft mit den Mädels in Bad Gottleuba.
Dass keine der dort geschlossenen Freundschaften hielt, zeigt, dass wir alle tief verletzt nur vergessen wollten.
Ich hoffe, mit meinem Text dazu beizutragen, dieses Kapitel auch für die DDR-Kinderkuren aufzuarbeiten.
Danke für euer Engagement,
Katrin K.
Ich habe die Zeit der Kur furchtbar in Erinnerung, die Erzieherinnen waren kalt und ruppig. Ich hatte extremes Heimweh. Mein Gepäck wurde verwahrt und mir wurden Spielsachen, z.B. nagelneue Filzstifte (extra für die Kur gekauft, ich hatte mich drauf gefreut) und mein Kuscheltier vorenthalten. Einmal sah ich eine Erzieherin eine Schublade öffnen und entdeckte meine Tasche mit meinen Malstiften.
Jeden Abend vorm Schlafengehen mussten wir unsere Sachen zu einem kleinen Päckchen schnüren, das wir schnell mitnehmen konnten, falls es brennen sollte. Eines nachts gab es tatsächlich Alarm und wir mussten mit unseren Päckchen im Nachthemd lange frierend draußen stehen. Gebrannt hat es nicht, es war nur ein Probealarm.
Ich bekam während der Kur eine Furunkulose (das einzige Mal in meinem Leben). Mir wurden regelmäßig die Verbände gewechselt und zwar brutal abgerissen. Es tat jedes Mal wahnsinnig weh, weil die Verbände an der Wunde festklebten.
Die Postkarten wurden von den Erzieherinnen geschrieben. Meine Mutter hatte mir auch Post geschickt und wunderte sich, warum ich nie auf ihre Fragen antwortete.
Ansonsten fallen mir noch sehr lange Spaziergänge ein und an einer bestimmten Stelle mussten wir singen, da dort die Luft besonders gut sei und beim Singen mehr Luft in die Lungen gelangen würde.
Ein Mädchen, bei dem ich dachte, ich hätte in ihr eine Freundin gefunden, log mich an (sie hätte einer Oma im Vorbeigehen einen teuren Ring aus der Tasche geklaut). Ich durchschaute sie und merkte, dass sie mir etwas vorspielte und weiß noch, dass ich traurig und enttäuscht war und dachte: nicht mal den Kindern hier kann ich vertrauen.
Nach meiner Rückkehr erzählte ich meiner Mutter, dass ich geglaubt hatte, nie wieder nach Hause zu kommen.
Später wollte ich nie ins Ferienlager fahren (nach der Kurerfahrung rückblickend verständlich), musste aber trotzdem. Zum Glück habe ich dort überwiegend schöne Erfahrungen gesammelt.
Ein paar Monate vor der Kur hatte ich eine Mandel-OP und musste dafür 1-2 Wochen im Krankenhaus verbringen – ebenfalls mit schlimmen Erinnerungen und ohne Elternbesuch. Die OP war Bedingung dafür, dass ich zur Kur „durfte“, da befürchtet wurde, dass ich sonst während der Kur eine Bronchitis bekomme (hatte ich damals sehr häufig).
Mir hilft diese Website sehr viel dabei, alles zu verarbeiten. Es ist erleichternd, dass endlich alles öffentlich wird und bestätigt wird, dass so etwas psychischen Schaden anrichten kann. Ich habe mehrere Therapien aufgrund von Depressionen hinter mir, bin extrem unsicher, habe soziale Ängste und kein Grund-Vertrauen in mich und andere. Eventuell hat die Kur einen Anteil daran.
Ich kann dir nur zustimmen, es war kein guter Ort! Habe viel negatives erlebt! Melde dich gerne! Uschi
Denke ich an Cuxhaven, erscheinen mir die Erinnerungsbilder überwiegend in Schwarz-Weiß-Tönen. Untergebracht war ich für sechs Wochen im Haus „Sonnenhof“, einem im Inneren düsteren Haus, in dem eine dunkle, bedrückende Atmosphäre herrschte und in dem nicht laut geredet wurde. In den vollen Schlafräumen standen die Betten eng beieinander.
Auch im Speiseraum saßen wir Kinder eng gedrängt an langen Tischen. An das Essen erinnere ich mich nicht, auch nicht an physische Strafen. Insgesamt aber herrschte stets ein strenger, ruppiger Ton und es kam nahezu täglich vor, dass Kinder während der Mahlzeiten wegen „Plapperns“ mit dem Gesicht zur Wand stehen oder so lange bei Tisch sitzen mussten, bis die Teller leer waren.
Die Herrin des Hauses war Inhaberin Herta Koopmann. Die bloße Nennung des Namens flößte Respekt ein oder diente als Druckmittel. Den Namen habe ich zeitlebens nicht vergessen. Als ich zu Beginn stark unter Heimweh litt, wurde ich ihr Zimmer zitiert. Mit scharfem Ton stellte sie klar, dass ich – mit 9 Jahren - jederzeit alleine mit dem Zug nachhause fahren könne, ansonsten wolle sie von Heimweh „keinen Ton mehr“ hören. Die Betreuerinnen wurden als „Tanten“ angesprochen, wobei deren Vorgesetzte eine ebenso gefühlskalte und verhärmte Frau war wie die Eigentümerin.
Es herrschte oft Langeweile. Höhepunkte waren gemeinsame Besuche aller Kinder am Strand, an dem es keine Möglichkeit gab, zur Toilette zu gehen. Auf dem Rückweg wurden die in Zweierreihen laufenden Kinder dann aufgefordert, das „Sonnenhof-Lied“ zu singen: „Wir wollen Frau Koopmann doch eine Freude machen“, hieß es.
Kontakte zu Familien der Kinder wurden strikt eingeschränkt. Kinder, die schreiben konnten, bekamen belanglose Postkartentexte diktiert, den anderen wurden Karten vorgeschrieben. Vor dem Versenden wurden die Karten noch einmal daraufhin durchgesehen, ob Zusätze heimlich ergänzt wurden. Kamen Pakete von zuhause, wurden sie den Kindern nicht persönlich ausgehändigt. Die Inhalte, zumeist Süßigkeiten, wurden an alle Kinder verteilt. Dies diente zugleich als Belohnungssystem für „besonders Brave“. Andere Paketinhalte wurden zurückgehalten bis zur Abreise.
Meinem Großvater machten vor allem die stereotypen Inhalte der Postkarten skeptisch, sodass er kurzerhand beschloss, mit meiner Mutter nach Cuxhaven zu fahren. Inhaberin Koopmann machte ihnen eine lautstarke Szene und forderte sie zur sofortigen Abreise auf. In der Post-Nazi-Zeit schien derartig autoritäres Gebaren offenbar noch zu verfangen. Die Herrin des Sonnenhofs ließ mich während des „Donnerwetters“ vor der Türe warten und anschließend alleine in ihrem Zimmer antreten. Sie beklagte sich über das unmögliche Verhalten meiner Familie und schüchterte mich damit ein, mich jederzeit alleine in den Zug zu setzen.
Wie gesagt, die Erinnerungen kamen erst jetzt teilweise wieder ans Licht. Dinge, die mich in Folge zeitlebens beschäftigt haben, sind mir nicht bewusst. Ich erinnere mich nur noch daran, dass ich nach dem Cuxhaven-Aufenthalt lange Zeit an den Fingernägeln gekaut haben.
Meiner Mutter mache ich im Nachhinein keine Vorwürfe. Sie war alleinerziehend, berufstätig und nervlich schwer angespannt zu jener Zeit. Die Kinderkur war ihr von einer Betriebsärztin empfohlen worden, was ihr wohl eine gewisse Sicherheit vermittelt hatte. Nach Cuxhaven allerdings war das Thema Verschickung für alle Zeiten vom Tisch.
ich bin Heike und 1970 geboren.
1974 kam ich für 6 Wochen nach Borkum wegen Bronchitis, vermutlich in das Heim Sancta Maria. Zumindest habe ich Nonnen in Erinnerung und mich überfällt ein Brechreiz, wenn ich Bilder des Hauses sehe. Vor ca 15 Jahren bin ich noch einmal auf die Insel gefahren, habe das Haus gesucht und bin genau vor diesem Haus emotional zusammen gebrochen.
Ich habe sonst leider sehr rudimentäre Erinnerungen an meine Verschickung. Ich weiß noch wie der Waschraum ausgesehen hat und dass viele unbekleidete Kinder an dem langen Waschbecken standen. Dann war ich wohl krank (Mumps?) und kam in Isolation. Ich stand weinend und völlig verängstigt im Gitterbett. Das Zimmer war dunkel und ich schaue Richtung Tür. Jemand großes im weißen Kittel kam vom beleuchteten Flur in mein Zimmer. Es gab grüne Bohnen und Esszwang. Ich mochte sie nicht, habe sie erbrochen und trotzdem bekam ich immer wieder grüne Bohnen.
Vor der Verschickung war ich ein fröhliches und plapperndes, aufgewecktes Papa-Kind.
Danach war nichts mehr wie vorher. Wochenlang habe ich nicht gesprochen, nur geweint und Nahrung verweigert. Mein Vater durfte mich nicht mehr anfassen. Meine Eltern haben mehrere Kindertherapeuten aufgesucht, aber auch die bekamen nichts aus mir heraus.
Seit der Zeit leide ich unter Depressionen, Borderline und Binge-eating-disorder. Ich wurde stark übergewichtig, wollte immer nur durch Leistung und brav aufessen gefallen. Zudem habe ich starke Probleme selbst mit leichter Kritik umzugehen. Ich fühle mich dann wertlos, breche Arbeitsstellen und Beziehungen ab (bin in vierter Ehe).
Ich muss dieses Trauma, was auch immer dort geschehen ist, unbedingt aufarbeiten und hoffe, dass ich vielleicht Menschen finde, die zur gleichen Zeit dort waren und mehr Erinnerungen haben.
Ich war vor meiner Einschulung 1962/ 63 in der Kinder-Lungenheilstätte Haus Maria Helferin in Nettetal, wegen einer Entzündung der Hilusdrüse. Die Nonnen waren kalt und unfreundlich zu uns Kindern. Ich, sowie andere Kinder auch, mussten unser Erbrochenes essen, wurden geschlagen, zur Strafe in einer kleinen Kammer isoliert. Ich wurde auch vor anderen Kindern gedemütigt, wir Kinder mussten stundenlang in dicke Wolldecken bewegungslos eingewickelt in einem großen Schlafsaal liegen. Mir wurde ohne elterlichen Bestand der Magen ausgepumpt, auch das hatte lange große Ängste und Zahnarztphobie zur Folge.
Als ich nachts erwischt wurde wie ich mit einem Mädchen aus dem Nachbarbett leise flüsterte kam eine Nonne, schimpfte mit uns und nahm mich mit in das Schlafzimmer für ganz kleine Kinder. Dort hatte sie in einem extra Abteil ihr Bett für ihre Nachtschicht. Sie zwang mich, mich in ein ganz kleines Säuglingsbett zu quetschen. Ich war 6 Jahre alt und natürlich zu groß für das Bett. Ich konnte in der Nacht daher nicht schlafen und alles war Horror für mich. Am Morgen durfte ich nicht aufstehen. Sie holte die Kinder aus meinem eigentlichen Schlafsaal. Sie mussten sich rundum um mein kleines Baby-Gitterbettchen aufstellen und sie verhönte mich zusammen mit den Kindern in meinem Alter. Ich schämte mich sehr.
Wir wurden ja sowieso in gute und schlechte Kinder eingeteilt. Karneval wurde ein kleines “Kostümfest” veranstaltet. Wir Kinder durften uns unsere Verkleidung nicht aussuchen, sie wurde uns zugeteilt.
Es gab 2 Arten: Engelchen und “Neger”. Ich gehörte zu den “Negern” und mir wurde das Gesicht mit schwarzer “Schuhwichse” eingekleistert, das stank eklig.
An diese Dinge erinnere ich mich noch. Als ich zurück war erzählte ich meinem Vater einiges davon. Er lachte und sagte nur:”Du hast wohl schlecht geträumt”. Das sagte er in meinem Leben oft zu mir…
War jemand von euch auch in dem Kindersanatorium “Maria Helferin” in Nettetal/ Leuth? Es liegt kurz vor der holländischen Grenze an einer Bahnlinie. Später wurde ein Heim für psychisch behinderte Kinder daraus.
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Den Tränen nahe und erst einmal sprachlos, verstehe ich jetzt mein Leben oder finde Anhaltspunkte. Mit neun Jahren war ich in Grömitz (Kinderheim Seestern) für sechs Wochen zur Verschickung. Mitunter saß ich 2-3 Stunden allein im Speisesaal.. Drei Jahre nach der Verschickung und bis jetzt, lebe ich mit Magersucht.
Alles Gute an alle ehemaligen Verschickungskinder.
Angekommen im Heim, welches eine ehemalige schöne Villa war, nahm man allen Kindern, wir waren ausschließlich Mädchen, sofort die mitgebrachten Puppen bzw. Teddys ab und sperrte diese in einen Schrank. So war der einzige Halt an Zuhause weg. Ein einziges Mal für einen Fototermin wurde die Puppen/ Teddys hervorgeholt, damit es fürs Foto gut aussah. Für mich war das schlimm in meiner Erinnerung. Geschlafen wurde in Gitterbetten, was ich mit damals sechs Jahren schlimm fand, schließlich war man ja kein Baby mehr. Wurde nach dem Zubettgehen abends noch geredet, kam die Schwester rein und haute dem jeweiligen Mädchen eins an die Backen.
Weil ich ja angeblich zu dünn war ( heute bis ich, welch Überraschung, übergewichtig), musste ich abends zur Grießsuppe, die ich eigentlich liebte und noch liebe, den Knust vom Brot essen, was eine einzige Qual für mich war. Ich sehe mich noch heute allein am Tisch sitzen im Versuch, das harte Zeug runter zu quälen. Ich esse bis heute ungern dies bestimmte Brot, wenn, dann schneide ich die Rinde ab und toaste es. Morgens gab es immer eine Lebertrantablette, die ich kaum runter bekam.
Zum Thema sexuelle Übergriffe: die gab es nur indirekt aus heutiger Sicht, aber keiner von uns durfte sich nach dem Stuhlgang allein den Hintern abputzen, man musste hockenbleiben, bis die Schwester kam und es gemacht hat. Ich habe mich in Grund und Boden geschämt, weil ich das zuhause schon Jahre allein erledigt hatte!
Zweimal die Woche ging es unter die sogenannte,Höhensonne‘, dazu mussten wir komplett nackt vom Zimmer aus durch ganze Haus in den betreffenden Raum laufen, auch das war mir mehr als unangenehm. Dann in einer Reihe nebeneinander auf den Boden legen und auf Kommando alle paar Minuten drehen, fürchterlich….
Vorm Speiseraum draußen auf der Terrasse stand ein Vogelhaus, wo abwechselnd jeder morgens mal Körner ausstreuen durfte. Ich weiß nur, dass ich nie dran kam als Strafe für irgendwas, das fand ich so gemein… ich war nur ein einziges Mal auf der Terrasse, nämlich um heimlich den gehassten Brotknust in den Garten zu werfen, als ich einmal kurz allein gelassen wurde. Wie sich sowas einprägt, ist schon erschreckend.
Ich habe diese sechs Wochen als absolut schrecklich in Erinnerung und meine Eltern sagen heute noch, dass ich als völlig verändertes Kind wieder nach Hause kam. Ich war damals schon sehr selbstständig, wenn ich gewusst hätte, wo ich war, wäre ich abgehauen und mit der U-Bahn nach Hause gefahren so als Enkeltochter eines Hochbahners, welches sich mit Bus und Bahn dadurch schon ganz gut auskannte. Durch die täglichen stundenlangen Märsche in Reih und Glied aber wusste ich null, in welchen Teil von Deutschland ich mich befand, sie Schwestern erzählten immer, wir wären , hinter Bremen‘… und das war für mich doch gedanklich eine Weltreise.
Zurückblickend kann ich nichts positives sondern nur negatives an so einer Verschickung sehen.
Die Süßigkeitspakete meiner Eltern wurden in einen großen Korb geschüttet, der rumging, und jedes Kind durfte sich eine Süßigkeit nehmen.
In der ersten Woche meines Aufenthaltes mußte ich mittags im Zimmer bleiben zum Mittagsschlaf. Dabei wurde bei mir rektal Fieber gemessen, man vergaß mich dann aber. Ich könnte heute noch das Zimmer aufmalen, das Bild an der Wand, die Spinde auf dem Flur. Habe wohl viel geweint, beim Besuch meiner Eltern wurde ihnen gesagt, dass man merken würde , dass ich von der "Waterkant" (Wasserkante) sprich Küste, kommen würde. Ich wußte, dass eine der betreuenden Damen aus Bremen stammte. kannte ihren Namen und durch Zufall konnte ich durch deren Schwägerin Kontakt zu ihr herstellen. ( Ich hätte ein paar Fragen und würde mich gern mal mit ihr unterhalten). Als Erstes fragte sie, was ich denn für eine Geborene sei, um dann einen Kontakt abzulehnen! Warum wohl ??? Das muß jetzt aber auch schon ca. 10 Jahre her sein.
Ich kann mich nicht erinnern, meinen Eltern von diesen Dingen berichtet zu haben. Aber es ist ja auch schon etwas her. Einige Dinge sind bei mir aber immer noch sehr präsent. Am Schlimmsten
war das Alleingelassen worden zu sein und von keiner Seite Unterstützung zu bekommen.
Falls meine Eltern etwas gewußt hätten, wären sie sicherlich aktiv geworden, aber es waren eben andere Zeiten.
Ich was damals 9/10 Jahre alt. Das ist das einzige was ich genau weiß, da ich in der Kinderkur meinen 10 Geburtstag feiern musste und das war kein schönes Erlebnis.
Ich kann mich nicht an viel erinnern. Doch die Dinge die ich weiß, lassen mich nicht mehr los.
Als ich von 6 Monaten über einen Bericht über Verschickungskinder stolperte, hat es mir die Augen geöffnet und richtig Angst und Panik in mir ausgelöst. Ich fragte mich ob es Sinn macht weiter die Beiträge zulesen und mich mit meiner Schlechten Kindheitserinnerung auseinanderzusetzen. Doch ich will versuchen das Thema aufzuarbeiten.
Die Fahrt nach Sylt war schon dramatisch, da mir im Zug schon gleich meine Plüschtiere abgenommen wurden. Ich hatte 2 kleine und ein größeres dabei. Ich musst mich Entscheiden welches ich behalten wollte.
Meine Brüder waren mit mir in einem Schlafabteil und mein kleiner Bruder 5 Jahre wurde nach der Abfahrt aus dem Schlafabteil geholt und wo anders untergebracht. Auch mein großer Bruder 11 Jahre hätte aus dem Abteil sollen, doch wir klammerten uns wie Affen an einander und weinten. So durften wir zusammen bleiben. Wir machten in dieser Nacht kein Auge zu.
Das Heim? Ich weiß nicht genau wo es war, kann ich nur von Innen beschreiben. An Außen hab ich keine Erinnerung, es war nicht weit vom Strand weg. Denn wir machten jeden Tag bei Wind und regen eine Wanderung am Strand. In zweier Reihe und ohne das man auch nur einmal am Strand gespielt hätte. Wie Soldaten sind wir maschiert.
Wir waren 5 Mädchen in einem Zimmer und auch insgesamt. Er waren eigentlich zwei Zimmer (durchgangs Zimmer) im vorderen Zimmer standen 2 Betten da schliefen die größeren Mädchen. Ich war mit zwei weiteren jüngeren Mädchen in dem kleineren Zimmer. Es gab 1 Gitterbett und 2 normale Betten. Die 2 Betten standen hinter einander. Ich war die Älteste. Ich kann mich an das Mädchen im Gitterbett kaum erinnern. Nur das Mädchen im normalen Bett ist mir in Erinnerung geblieben, da ich ihr jede Nacht und bei jedem Mittagsschlaf immer die Hand gehalten habe. Das Mädchen hat immer geweint!
Wir wurden jeden Tag zum Mittagsschlaf gezwungen, wir mussten uns immer bis auf die Unterhose ausziehen und im Bett liegen. Wir durften nicht aufstehen und auch nicht mit einander sprechen. Wir durften nicht auf die Toilette. Wenn der Wachhund merkte das wir nicht schliefen. Kamm sie ins Zimmer und hat fürchterlich gebrüllt. Wenn sie sieh,Dass ich dem anderen Mädchen die Hand hielt musste ich zur Strafe auf die Treppe sitzen im kalten Flur und nur mit der Unterhose bekleidet. Im Treppenhaus war der Zugang in den jungen Bereich. Es war sehr erniedrigend wenn andere an mir vorbei liefen und ich nur in Unterhose auf der Treppe saß.
Meine beiden Brüder waren im ersten Stock in Zimmer eingeteilt. Ich war kein einziges Mal in dem Zimmer meines großen Bruders und ich weiß auch nicht wo mein kleiner Bruder geschlafen hat. Wir durften auch im Speiseraum nicht am gleichen Tisch sitzen mein kleiner Bruder saß bei den kleinen Jungs und mein großer Bruder bei den großen Jungs. Der Speiseraum war sehr groß.
Jeden Tag gab es Diskussionen wegen des Mittagsschlafs.
Zum Frühstück gab es immer einen Haferbrei und ein Löffel Lebertran oder so ein ekelhaftes Zeug. Man musste den Teller immer aufessen auch wenn man keinen Appetit mehr hatte. Man musste immer sitzen bleiben bis alles leer war. Manche Kinder sind den ganzen Vormittag vor ihren Tellern gesessen. Und konnten nicht mit zum Spaziergang ans Meer.
Das gleiche war beim Mittagessen. Wenn die Kinder erbrochen haben musste man das erbrochene essen. Am Essenstisch durfte nicht gesprochen werden und auch nichts getrunken.
An die Aktivitäten am Nachmittag kann ich mich nicht erinnern. Nur an den Mittagsschlaf der jeden Tag ein Problem war.
Nach dem Abendbrot was wie beim Frühstück und beim Mittagessen ablief mussten wir uns fürs Bett fertig machen. Man musste mit den Jungs zusammen duschen und durfte wenn man mal im Bett war nicht mehr auf die Toilette gehen. Man musste sich nachts aus dem Zimmer schleichen und hoffen nicht erwischt zu werden.Wenn ein Missgeschick im Bett passiert war wurde man vor allen Kindern geschimpft und bestraft. Ein Mädchen musste die ganze Nacht im nassen Bett schlafen.
Abends beim fürs Bett fertig machen gab es sexuelle Übergriffe und Missbrauch auch ich wurde nicht verschont. Man wurde an allen Stellen des Körpers berührt und musste ständig nackt herumlaufen.
Zu meinem zehnten Geburtstag habe ich von meinen Eltern ein Paket bekommen. Den Inhalt durfte ich nicht behalten. Die Süßigkeiten haben sich die Schwestern geteilt oder weggeworfen. Ein Buch welches ich von meiner Oma bekam durfte ich einmal durch Blättern und musste es wieder abgeben. Meine Mutter hat mir meine Lieblingspuppe geschickt da ich diese sehr vermisste und ich sie bei einem Telefonat darum bat sie mir zu schicken, durfte ich nur an meinem Geburtstag haben. Danach wurde auch sie mir wieder weggenommen. Zu meinem Geburtstag musste ich keinen Mittagsschlaf machen und durfte zwei Kinder zu meinem Geburtstag einladen und für 1 Stunde im Speiseraum mit ihnen ein Spiel spielen. Natürlich wollte ich meinen kleinen Bruder bei mir haben,Aber das erlaubt die Schwester nicht da er zu klein war und Mittagsschlaf machen sollte. So saß ich mit meinem Bruder alleine im Speiseraum und machte ein Spiel. Mehr Geburtstag gab es nicht.
Ich kann mich an einen Ausflug erinnern, wir wollten Laterne laufen gehen. Wir wurden in Gruppen eingeteilt und als ich bei meinen Brüdern sein wollte wurde mir das untersagt. Daraufhin wurde ich wütend und schrie die Schwestern an. Daraufhin wurde ich auf die Bühne in ein Büro gesperrt welches nicht einmal beheizt war und stockdunkel. Dort musste ich bleiben bis die restlichen Kinder vom Laterne laufen wieder zurück gekommen.
Ich kann mich an einen etwas kräftigeren Jungen erinnern welcher einmal einen Tag nichts zu essen bekommen hat weil er mit seiner Mama telefonieren wollte.
Ich habe ein einziges Bild von unserem Kuraufenthalt. Es gab einen Ausflug nach Westerland. Bei diesem Ausflug wurden Bilder gemacht und Souvenirs eingekauft. Das war das einzige positive Erlebnis an das ich mich erinnern kann.
Ich habe lange überlegt ob ich hier einen Eintrag machen soll da ich erst 1987 in Chur war und ich wenig Einträge über Sylt und 1980 finde. Doch vielleicht findet sich auf diesem Weg andere Betroffene. Es tat gut sich die ganze Sache einmal von der Seele zu schreiben.
Ich habe die Zeit der Kur furchtbar in Erinnerung, die Erzieherinnen waren kalt und ruppig. Ich hatte extremes Heimweh. Mein Gepäck wurde verwahrt und mir wurden Spielsachen, z.B. nagelneue Filzstifte (extra für die Kur gekauft, ich hatte mich drauf gefreut) und mein Kuscheltier vorenthalten. Einmal sah ich eine Erzieherin eine Schublade öffnen und entdeckte meine Tasche mit meinen Malstiften.
Jeden Abend vorm Schlafengehen mussten wir unsere Sachen zu einem kleinen Päckchen schnüren, das wir schnell mitnehmen konnten, falls es brennen sollte. Eines nachts gab es tatsächlich Alarm und wir mussten mit unseren Päckchen im Nachthemd lange frierend draußen stehen. Gebrannt hat es nicht, es war nur ein Probealarm.
Ich bekam während der Kur eine Furunkulose (das einzige Mal in meinem Leben). Mir wurden regelmäßig die Verbände gewechselt und zwar brutal abgerissen. Es tat jedes Mal wahnsinnig weh, weil die Verbände an der Wunde festklebten.
Die Postkarten wurden von den Erzieherinnen geschrieben. Meine Mutter hatte mir auch Post geschickt und wunderte sich, warum ich nie auf ihre Fragen antwortete. Eine Postkarte besitze ich noch. Darauf werden u.a. die Erzieherinnen Frau Raths, Frau Labahn und Frau Bast erwähnt.
Ansonsten fallen mir noch sehr lange Spaziergänge ein und an einer bestimmten Stelle mussten wir singen, da dort die Luft besonders gut sei und beim Singen mehr Luft in die Lungen gelangen würde.
Ein Mädchen, bei dem ich dachte, ich hätte in ihr eine Freundin gefunden, log mich an (sie hätte einer Oma im Vorbeigehen einen teuren Ring aus der Tasche geklaut). Ich durchschaute sie und merkte, dass sie mir etwas vorspielte und weiß noch, dass ich traurig und enttäuscht war und dachte: nicht mal den Kindern hier kann ich vertrauen.
Nach meiner Rückkehr erzählte ich meiner Mutter, dass ich geglaubt hatte, nie wieder nach Hause zu kommen.
Später wollte ich nie ins Ferienlager fahren (nach der Kurerfahrung rückblickend verständlich), musste aber trotzdem. Zum Glück habe ich dort überwiegend schöne Erfahrungen gesammelt.
Ein paar Monate vor der Kur hatte ich eine Mandel-OP und musste dafür 1-2 Wochen im Krankenhaus verbringen – ebenfalls mit schlimmen Erinnerungen und ohne Elternbesuch. Die OP war Bedingung dafür, dass ich zur Kur „durfte“, da befürchtet wurde, dass ich sonst während der Kur eine Bronchitis bekomme (hatte ich damals sehr häufig).
Mir hilft diese Website sehr viel dabei, alles zu verarbeiten. Es ist erleichternd, dass endlich alles öffentlich wird und bestätigt wird, dass so etwas psychischen Schaden anrichten kann. Ich habe mehrere Therapien aufgrund von Depressionen hinter mir, bin extrem unsicher, habe soziale Ängste und kein Grund-Vertrauen in mich und andere. Eventuell hat die Kur einen Anteil daran.
Ich würde gerne wissen, wo dieses Heim war, und welche Organisation es geleitet hat? Vielen Dank! Mit freundlichen Grüßen, Susanne Eichhammer (Mädchenname: Schlegelmilch), München
Die „gute Bauernmilch“ zur Begrüßung war, wie die „Betreuerin“ durchaus zugab, verdorben. Die Devise lautete nicht etwa Wegschütten, sondern: „Die wird jetzt trotzdem getrunken“. Keine durfte aufstehen, bevor nicht alle ihre Tasse geleert hatten. Was dann auch alle taten außer mir. Ich war eine brave Esserin, aber ich trank keine Milch, geschweige denn eine mit Stich.
Zum Glück war ich alt genug, um eine Art Strategie zu entwickeln. Nach einer Stunde Kinderkur ahnte ich: Um hier einigermaßen unbeschadet durchzukommen, musste ich unter dem Radar fliegen, mir was einfallen lassen und die Nerven behalten. In diesem Fall kippte ich blitzschnell meine Milch zurück in die Kanne, während die Tante kurz abgelenkt war. Selbstverständlich haben auch Kindergruppen eine soziale Dynamik, die im Übrigen gerne von den Erzieherinnen ausgenutzt wurde. Ein Mädchen wollte petzen, wurde jedoch durch die Blicke aller anderen eiskalt gestoppt. Sie wollten lieber endlich raus.
Speisen verschwinden lassen wurde meine Paradedisziplin, denn auch in den nächsten Wochen herrschte Esspflicht. Zum Glück wurden während meiner Kinderkur keine Foltermethoden wie der Zwang, Erbrochenes wieder zu essen, angewendet. Aber weil nach kurzer Zeit fast alle Kinder ihr Essen ohnehin nicht mehr auf normale Weise ausschieden – ich vermute aus heutiger Sicht Unverträglichkeiten in Abwechslung mit Magen-Darm-Viren – wollte ich besonders vorsichtig sein. Ich erinnere mich gut, wie ich ein fettes Würstchen von suspekter Konsistenz nicht in den Mund, sondern heimlich in die Hosentasche beförderte. Als ich es später draußen der Hofkatze anbot, ergriff diese nach kurzem Schnuppern entsetzt die Flucht.
Unsere „Tanten“ waren nicht wirklich bösartig, aber zumindest ziemlich manipulativ. So überredete mich eine, die Unterhose mit den Fäkalien der an Verdauungsstörungen – was sonst – erkrankten Zimmergenossin von Hand auszuwaschen: „Das machst du doch sicher für deine Freundin.“ Ich machte es. Leider unvergesslich.
Post an die Eltern hielt ich für sinnlos, da ganz offen zensiert wurde. Die Betreuerin verlies einen schwelgerischen Brief mit schönsten Schilderungen als Vorlage. "So macht ihr das."
An Zwänge, Ekel und körperliche Nöte des überforderten Kindes erinnert man sich leider besser als an die Schönheit der Allgäuer Landschaft. Nach dem Mittagessen war Bettruhe angesagt, was bei aufgekratzten Vorpubertären absurd war und offenbar dazu diente, sie eine Zeitlang aus dem Weg zu schaffen. Wir lagen Bett an Bett in einem kleinen Zimmer, keine tat ein Auge zu, doch es herrschte strenges Sprechverbot. Erstaunlicherweise hatten die „Tanten“ offenbar Riesenohren, und jedem noch so zarten Flüstern folgte die übliche Strafe: endlos lange im Nachthemd an der Wand stehen. Natürlich musste man während dieser pädagogischen Meisterleistung bald dringend zur Toilette, was allerdings auch verboten war.
Die Fremdbestimmung elementarer körperlicher Bedürfnisse war sicher auch ein Grund für die Verdauungsprobleme als stetiges Begleitprogramm. Dass die Kinder nicht zunahmen, konnte auch die Fütterung mit Unmengen von Marmeladenbroten nicht verhindern. Als auch mich kurz vor „Kur“-Ende noch der Durchfall erwischte, kam ich in ein Isolationszimmer samt Rausgeh- und Besuchsverbot. Was konnte man in dieser Einzelhaft noch verbieten? Ganz einfach: alles. Inklusive das Lesen, denn an die Decke starren förderte nach Meinung der jungen, unerfahrenen Erzieherin die Gesundheit. Um nicht völlig irre zu werden, bat ich meine Essenlieferantin um ein Buch. Hanni und Nanni, der Räuber Hotzenplotz, egal was. Allerdings platzte auch die Betreuerin hin und wieder ins Krankenzimmer - ich musste mein Buch jedes Mal unter die Decke retten, es war nervenaufreibend. Ich hielt das Isolationsexperiment nicht mehr aus. Also erklärte mich für gesund, obwohl ich es nicht war. Der Deal: „Dann musst du aber auch unsere große Wanderung mitmachen.“ So schleppte ich mich vollkommen dehydriert und mit schweren Bauchkrämpfen einen Tag lang durch die Allgäuer Sommerhitze. Ich habe seither nie wieder solchen Durst erlitten. In meiner Not ließ ich mich zurückfallen, um heimlich aus einem Bach zu trinken.
Habe ich psychische Schäden davongetragen? Keine Ahnung, aber zu einem Grundvertrauen hat es sicher nicht beigetragen.
Es bleiben vor allem einige Fragen: Wie konnten Menschen, die Macht über Schutzbefohlene haben, so viel Gleichgültigkeit und Empathielosigkeit besitzen? Wieso gab es keine Kontrolle? Und ist es heute wirklich eine andere Zeit? Angst vor dem Altenheim? Irgendwie schon.
Wenn wir während der Schlafzeiten mittags und abends geredet haben, gab es Prügel und Verbote. Auch waren Toilettengänge während der Schlafenszeiten verboten. Wir hatten ziemlichen Stress damit und Angst vor dem Bettnässen. Meine Schwester wurde u.a. einmal mit einem Kleiderbügel geschlagen.
Die an die Eltern geschriebenen Postkarten wurden uns diktiert (nur lobenswertes über den Aufenthalt) und anschließend kontrolliert. Mehrmals wurden wir mit einem stinkenden Läusemittel behandelt. Vor dem wöchentlichen Wiegen hatten wir große Angst. Bei Untergewicht wurde uns noch mehr von dem wenig schmackhaften Essen (u.a.Fischstücke in Gelee) und Kakaoschmand vorgesetzt. Die zum Geburtstag meiner Schwester geschickten Süßigkeiten wurden an alle Kinder der Gruppe verteilt. Sonntags wurde für c.a. eine Stunde ein Fernseher im Speisesaal angestellt. Das Highlight der Woche, aber nur für die ganz braven Kinder. Ausflüge über die Insel waren selten und nur in der Gruppe als Wanderung durchgeführt. Spielen am Strand gab es nicht. Nach der Kur hatten wir Angst über die Missstände zu sprechen.
Das Drama begann schon am Bahnhof Koeln. Meine Mutter hatte mir auf Anraten des Psychologen verschwiegen, dass ich alleine 'in Urlaub' fuhr. Entsprechend war ich ausser mir, als sich die Wahrheit offenbarte, zumal ich eh durch ein fruehkindliches Trauma extreme Verlustaengste und teilweise Paranoia hatte. Ich schrie und weinte wie noch nie zuvor - und nie wieder seitdem. Ich klammerte mich an meiner Mutter fest, wollte aus dem Zugfenster springen, weglaufen ... natuerlich alles ohne Erfolg.
Glücklicherweise erwies sich die Reise-Begleitperson, eine ältere Dame, bald als sehr zugewandt und ich fasste langsam Vertrauen zu ihr. Es blieb mir ja auch nichts anderes. Allerdings war auch dieses 'Glück' bald beendet, denn die Dame lieferte uns nach sechs bis acht Stunden Fahrt nur dem Heim aus - und macht umgehend kehrt. Der zweite traumatische Verlust in einem Tag.
Danach geschah das, von dem ich inzwischen leider weiss, dass es Methode war: Unempathische, harte Strafpädagogik, keine menschliche Nähe oder Wärme, kein Lächeln, Esszwang bis hin zu stundenlangem 'Nachsitzen' vor dem nichtgegessenen Essen im grossen, verlassenen Kantinensaal, nächtliches Toilettenverbot mit zwangsläufigem Einnässen, nächtliches Strafsitzen auf einem Stuhl im Gang, 'angeleitetes' Briefschreiben zur Beruhigung der Eltern, nicht vermittelte Elternpost bzw. Anrufe usw.
Zur Krönung infizierte ich mich nach ca. drei Wochen auch noch (ich glaube Masern) und musste auf die Krankenstation. Das allerdings empfand ich letztlich als 'Himmel' im Vergleich zur taeglichen Heim-Hölle. Hier wurde ich wenigstens 'pfleglich' behandelt und durfte auf Toilette, wenn ich musste. Und Essen-Nachsitzen war ja schlechterdings auch nicht mehr moeglich.
Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit, in Realitaet wohl 6-8 Wochen, wieder nach Hause kam, war ich erwachsen. Zwar immer noch Kind, aber ohne Vertrauen in meine Eltern und Erwachsene im Allgemeinen, felsenfest davon ueberzeugt, dass ich mich auf dieser Welt letztlich nur auf mich selbst verlassen kann.
Ich danke Ihnen von Herzen fuer diese Initiative. Jahrzehntelang dachte ich, meine Erfahrungen waeren ein Einzelfall, unglueckliche Umstände, Reste nazistischer Haltungen selbst geschädigter Erzieherinnen ... Dass Menschen, insbesondere auf dem Hintergrund der noch frischen, faschistischen Erfahrungen und des Holocaust, so etwas anderen Menschen, noch dazu wehrlosen Kindern, absichtsvoll antun, staatlich sanktioniert, das konnte ich mir trotz all meiner frühkindlichen Ent-Taeuschungen und des daraus erwachsenen Zynismus, nicht vorstellen.
Das Leid der anderen lindert das eigene wenig, auch wenn geteiltes Leid angeblich halbes ist. Aber das Wissen um die Systematik mit der hier Eltern belogen und Kinder gepeinigt wurden, reduziert zumindest das Gefühl der Eigenschuld und -scham und die innerlichen Schuldvorwuerfe gegenueber meinen Eltern.
Danke Ihnen! Wolf Schaefer