Der Kongress in Bad Sassendorf hat die folgende Erklärung in einer Kleingruppe entwickelt, dann im Plenum diskutiert und abgestimmt, damit haben 2022 die KONGRESS-Teilnehmenden des Bundeskongresses der Verschickungskinder die folgenden Forderungen an die Politik präzisiert und erneuert:

Bad Sassendorfer Erklärung der Verschickungskinder 18.09.2022

Vom 15.-18.09.2022 trafen sich über hundert ehemalige Verschickungskinder in Bad Sassendorf,
Standort zahlreicher Verschickungsheime. In solche Einrichtungen wurden deutschlandweit mehrere
Millionen Kinder von den 1950er bis in die 1980er Jahre verschickt. Bei diesen so genannten
Kindererholungskuren erlitten unzählige von ihnen schwerwiegende Misshandlungen, ignoriert oder
geduldet von Trägern und zuständigen Behörden – auch des Bundes. Auf dem ersten Kongress der
Verschickungskinder im November 2019 auf Sylt wurde eine gemeinsame Erklärung verabschiedet.
Beim Kongress der Verschickungskinder im November 2021 auf der Insel Borkum wurden diese
Forderungen an Bund, Länder und Träger bekräftigt und konkretisiert:

  • Eine bundesweit tätige Anlaufstelle zur Beratung und Vernetzung Betroffener und für die
    Unterstützung unserer Landes- und Heimortgruppen
  • Ein partizipativ ausgerichtetes wissenschaftliches Verbundvorhaben von einschlägig
    qualifizierten Forschungseinrichtungen, das die zahlreichen Erlebnisberichte auswertet und
    die Bürgerforschungsgruppen vor Ort bei ihren eigenen Recherchen und Aktivitäten (wie z.B.
    der Schaffung von Gedenkorten) begleitet.
  • Ein Dokumentationszentrum, in dem die vielfältigen Zeugnisse der Betroffenen und die
    Rechercheergebnisse der Bürgerforschung archivgerecht aufbereitet und der Öffentlichkeit
    (auch in digitaler Form) zugänglich gemacht werden
    Wir sind sehr glücklich über die Unterstützung, die unsere Initiative inzwischen in BadenWürttemberg und insbesondere in Nordrhein-Westfalen erhält. Die nordrhein-westfälische
    Landesregierung fördert den Verein Aufarbeitung Kinderverschickungen NRW e.V. seit Mai 2022 miterheblichen Summen. Dadurch wird eine fundierte wissenschaftliche Aufarbeitung möglich und die Betroffenen können sich an eine professionell geführte Anlaufstelle wenden. Damit ist das Land Nordrhein-Westfalen beispielhaft. Wir hoffen, dass sich weitere Länder anschließen.
    Mit Empörung mussten wir dagegen zur Kenntnis nehmen, dass die Bundesregierung sich auf
    politischer Leitungsebene für nicht zuständig erklärt hat. Bei einem Gespräch am 7. Juli 2022 hat das federführende Bundesfamilienministerium den anwesenden elf Mitgliedern der Initiative
    Verschickungskinder in aller Form mitgeteilt, dass eine Förderung der Initiative aus Mitteln des
    Bundes grundsätzlich abgelehnt wird.
    Das ist ein erneuter Schlag ins Gesicht der Opfer von Misshandlungen und der vielen tausend
    ehrenamtlich Engagierten in unserer Initiative. Der Umgang mit dem geschehenen Unrecht ist ein Prüfstein für das Verantwortungsbewusstsein und die grundsätzliche Haltung unserer
    Bundesregierung und unserer Gesellschaft gegenüber ihren schutzwürdigsten Mitgliedern, den
    Kindern. Der traurigen Geschichte verweigerter und verzögerter Aufarbeitung von
    Kindesmisshandlungen und Menschenrechtsverletzungen in Deutschland darf kein weiteres Kapitel hinzugefügt werden.
    Im Koalitionsvertrag vom November 2021 hat sich die Bundesregierung auf das Ziel festgelegt, den Kinderschutz zu stärken (S. 94). Deshalb appellieren wir heute an die politisch Verantwortlichen:
    Schaffen Sie endlich auf Bundesebene die Grundlagen für eine angemessene Aufarbeitung der
    millionenfachen Kinderrechtsverletzungen.